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Jugendbewegung und Weihnachten |
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Ich war grad auf der Suche nach Hintergründen für das "Quempas-Singen" als ich bei religiöses Brauchtum folgendes las:
Zitat Wieweit sich das familiäre Weihnachtsfest des 19. Jahrhunderts - und in seiner Tradition auch das des 20. Jahrhunderts - vom eigentlichen Festanlass entfernen kann, belegt das beliebte Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann”, das Weihnachten auf den bloßen Geschenkanlass reduziert, der sich von anderen nur noch durch den „Weihnachtsmann” unterscheidet, der sich problemlos gegen den „Osterhasen” oder irgendwen anderen austauschen lässt. Die ungebrochene Popularität dieses Liedes, dessen Melodie übrigens von einem frivolen französischen Salonlied aus dem 18. Jahrhundert stammt, die bereits Mozart verwendet hat, belegen die darauf bezogenen Liedsatiren. Treffend karikiert z. B. Dieter Süverkrüp: „Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt mit vielen Gaben: Goldnes Armband, goldne Clips, Socken, Oberhemden, Schlips, Schnäpschen, Bierchen, Weihnachtsschwips - will man schließlich haben.”
Gegen diese zelebrierte Familienweihnacht der Gründerjahre hat um die Jahrhundertwende die JugendFront gemacht. Die Jugendbewegung empfand die weihnachtliche Mischung von lamettabehangener Rührseligkeit, dankbarkeitsheischenden Familienpatriarchen und statusbewusster Repräsentation als unecht und überholt. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg suchte sie - jenseits hausbackener bürgerlicher Weihnachtspotpourris und als degoutant erachteten operettenhaften Feiern - nach Erneuerung. Sie suchten nicht nur nach der „blauen Blume”, sondern fanden in der Tradition alte Liedsätze, besonders Marienlieder, die ihnen tragfähigen Sinn vermittelten. Das Erlebnis in der Gruppe Gleichaltriger an Heimabenden, der Ersatz des Klaviers durch die „Klampfe”, Blockflöte und andere Instrumente waren kennzeichnend. Es bildete sich eine Jugendmusikbewegung, Singkreise entstanden. Nach Kirchenraum, Dorf und Familiensalon wurde das „offene Singen” beim Gruppenabend populär. Eigene Liedliteratur erschien: der „Zupfgeigenhansl”, das Finkensteiner Liederbuch?. Und als die Jugendliche Generation der Wandervögel selbst Familiennester baute, nahm sie ihre Liedkultur in die neuen Familien mit. „Es kommt ein Schiff, geladen”, „Maria durch ein’ Dornwald ging” oder „Meerstern, ich dich grüße” sind typisch für diesen Liedtyp, der ernst und besinnlich und marianisch-mystisch sein konnte. Sicherlich waren die Marienlieder, auch wenn sie einen Eindruck von marianischer Frömmigkeit vermittelten, keine Glaubensbekenntnisse, eher Stimmungsanzeiger. In ihnen leuchtet aber etwas von jener Konfessionsgrenzen überschreitenden Sinnsuche auf, die jene junge Generation kennzeichnete. Das vielleicht beeindruckendste Lied, nachdenklich und ahnungsvoll schwermütig, ist ?Die Nacht ist vorgedrungen” aus dem Jahr 1938 von Jochen Klepper (1903 - 1942), das Schuld, Sünde und Rettung thematisiert. Nur wenige Jahre später, 1942, sieht Klepper für sich, seine jüdische Frau und seine Tochter nur noch den Ausweg im Suizid. |
Das nur mal so als kleine Randnotiz.
P.S. Wobei mein Favorit schon seit Kindertagen "Es kommt ein Schiff geladen" ist.
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-- Ostwestfalen - wo man mit dem lieben Gott zusammen ein Bier trinken gehn kann. Hier komm'wa wech. --
-- Graue Kluft am Leibe, Zelte so schwarz wie die Nacht, Freundschaft die süchtig macht, Abenteuer so bunt -- |
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Beitrag vom 16.11.2010 - 15:44 |
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RE: Jugendbewegung und Weihnachten |
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Moderator 3537 Beiträge
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@Nachtwache: Hab Dank für diese interessante Randnotiz! 
Zitat Die Jugendbewegung empfand die weihnachtliche Mischung von lamettabehangener Rührseligkeit, dankbarkeitsheischenden Familienpatriarchen und statusbewusster Repräsentation als unecht und überholt. |
So dürfte wohl jeder spirituell-spürende Jugendliche zu fast allen Zeiten empfunden haben - und das bis in die heutige Zeit! Insofern finde ich es bemerkenswert, dass dies in der Jugendbewegung thematisch auch aufbrach. Schade nur, wie wenig davon geblieben ist...
Das innere, wahrhaftige Sträuben der Jugendbewegung gegen Scheinfassaden-Frömmlerei versöhnt mich fast mit diesen grausigen Marienliedern... 
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" 'Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?'
'Das hängt zum großen Teil davon ab, wohin du möchtest', sagte die Katze."
(Lewis Carroll: Alice im Wunderland)
- Ich diskutiere in Schwarz und moderiere in Blau. |
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Beitrag vom 16.11.2010 - 22:47 |
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Was mir noch nicht so ganz klar ist, woher der starke Marienbezug der Jugendbewegung rührt.
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Beitrag vom 18.11.2010 - 09:32 |
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Kein Lametta'? aber ich mag doch so gerne Lametta.......gibts aber nie weil meine Eltern nicht wollen 
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Beitrag vom 18.11.2010 - 14:01 |
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Zitat Original geschrieben von -Lioba-
Kein Lametta'? aber ich mag doch so gerne Lametta.......gibts aber nie weil meine Eltern nicht wollen |
na, die werden doch nicht auf dem Meißner 1913 dabeigewesen sein? ;-)
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Beitrag vom 18.11.2010 - 14:04 |
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Moderator 1559 Beiträge
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Zitat Original geschrieben von Nachtwache
Was mir noch nicht so ganz klar ist, woher der starke Marienbezug der Jugendbewegung rührt. |
Ich würde mal sagen, weil alles Mystische Jugendbewegte wie magisch anzieht. Die Marienverehrung ist eines dieser komplett verklärten Kirchendinge, wo die sprache schwurbelig und die Musik sphärisch wird. Ich würde das mal in der Schublade neben der mit den Donkosacken und unter der Mittelerde einordnen.
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www.myspace.com/bruncken
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Beitrag vom 18.11.2010 - 14:12 |
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die_rumpel |
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Das ist ja spannend! Ich hab gerade die Kiste mit den Quempasheften vom Boden geholt - keine Ahnung von wann die sind, aber die Lieder werden immer gern gesungen (nach dem Ewigkeitssonntag). So gibts im Advent und dann um Weihnachten drumherum offene Abende, wo sich bei uns oder anderen FReunde zum gemeinsamen Singen, Erzählen und Naschen treffen... und am 24.12. gehts dann in den Wald zur Waldweihnacht.
irka
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Beitrag vom 20.11.2010 - 19:25 |
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