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Autor Beitrag
Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
Jonas1 ist offline Jonas1  
42 Beiträge
Die Kanzlei Dr. Bahr präsentiert:
Jonas. Nur Jonas. Und Sam.
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Abgesang

Jonas: Sie war jünger als ich. Um die 40. Dunkles Haar. Dunkle Augen. Eine wohlgefällige Figur in einem dieser Outfits, die nach nichts aussehen und mehr kosten, als ein Detektiv im Monat verdient. In meinem schäbigen Büroapartment wirkte sie wie ein Kirschblütenzweig in einer alten Bierflasche.

Judith 2: Mein Name ist Judith.

Jonas: Judith?

Judith 2: Sie sehen mich an, als ob Sie mich kennen. Kenne ich Sie?

Jonas: Sie hieß Judith, und so sah sie auch aus. Was war das? Eine Halluzination?

Sam: Dejavü, Monsignore.

Jonas: Deschawas?

Sam: Ach vergiß es.

Jonas: Dabei hatte er so mies angefangen, dieser 1. Mai 2017. Der Geburtstag eines gewissen Detektivs. Ich war früh geweckt worden. Im Prinzip keine schlechte Sache, weil ich böse geträumt hatte. Ich war draußen, in PH 1, kroch durch Röhren, stand auf dem blutigen Dach, 600 m hoch, saß in einer überfüllten Kneipe, versoff meine Gutscheine. Ein Proll unter vielen. Das Leben war vorbei. Erinnerung. Oder Zukunftsvision? Gestern hatte das Amt für freie Berufe mich erinnert, daß ich nur noch zwei Monate Zeit hatte, einige tausend Euro zu verdienen, ansonsten drohte Ausweisung aus Babylon, in die Prekariats-Heimstatt. Das war kein Albtraum.

Sam: Happy birthday, lieber Jonas, happy birthday to you.

Jonas: Du mich auch, Sammy.

Sam: 50 Jahre sind es wert, daß man ihn besonders ehrt. Er lebe hoch, höher, am höchsten.

Jonas: 50. Auch das noch. Ist doch kein Alter für einen Detektiv. 30 OK, 40 geht noch. Fit und erfahren, eingedellt, Narben an Körper und Seele, oder 70 von mir aus, keine Exen mehr, dafür Kopfarbeit auf dem Sofa. Altersweise. Aber 50?

Sam: Hörst du das Fon, welch lieblicher Ton, ein Glückwunsch.

Jonas: Es war kein Glückwunsch, es war die Kündigung. Mein Viertel wurde saniert, mein Haus abgerissen. In einem Monat mußte ich raus aus meinem Büroapartment. Das Casablanca war schon seit Wochen geschlossen.

Sam: Und nun gerade: Happy Birthday!

Jonas: Halt die Backen, Sammy. Nachrichten.

Sam: Jawohl. Euer Wunsch o Herr sei mir Befehl.

Nachrichtensprecher: Im Sicherheitsrat der UN. Bekanntlich beansprucht China jedes chinesische Restaurant, wo immer es sich befindet, als Hoheitsgebiet, inklusive einer...

Jonas: Weiter.

Nachrichtensprecher: Unruhen in PH 1, die durch energisches Eingreifen der Grenztruppen beendet wurden. Die genaue Zahl der Toten und Verletzten ist nicht bekannt. Wie...

Jonas: Weiter.

Nachrichtensprecher: Hat sich trotz Bemühungen der Aktion Lebensabend die Zahl hilfsbedürftiger Senioren weiter alarmierend erhöht. Und nun zum Wetter. Babylon registriert heute den 209. Regentag in Folge. Damit sind wir vom Rekord des Jahres 2014 nur noch 20 Tage...

Jonas: Na wunderbar. Dauerregen. 50. Geburtstag. Kündigung. PH 1. Graue Gegenwart. Schwarze Zukunft. Jonas steckte voll drin, im Babylon Blues. Aber dann kam sie. Judith. Nicht meine Judith. Nicht Judith Delagdo. Natürlich nicht. Judith Delgado war seit 5 Jahren tot. Aber sie hieß Judith. Und sie sah aus wie Judith Delgado. Es war doch nicht alles mies, dachte ich. Doch dann sagte sie mir, wohin sie mich schicken wollte.

Judith 2: Ins Niemandsland.

Jonas: Will ich nicht. Mach ich nicht.

Judith 2: Sie müssen, Herr Jonas. Es geht um Nicolas, meinen Mann. Nicolas Toulemonde, Vizebischof der apostolischen Kirche.

Sam: Vize was?

Judith 2: Das ist sein Beruf.

Jonas: Halt den Rand, Sam. Hochanständiger Job.

Judith 2: Gewiß, aber auch, wie soll ich mich ausdrücken, vorhersehbar. Langweilig. Und darum unternimmt Nicolas zum Ausgleich Abenteuerreisen.

Jonas: Ins Niemandsland.

Judith 2: Vor einer Woche ist er aufgebrochen.

Jonas: Ohne Sie?

Judith 2: Er fährt immer allein. Ich mache mir nichts aus Strapazen, aus Hunger und Durst und Blasen an den Füßen.

Jonas: Sehr vernünftig. Ihr Mann ist also ins Niemandsland aufgebrochen, wann genau.

Judith 2: Am 24. April. Morgens. Am Abend hat er sich kurz gemeldet über Satellitenfon. Gut angekommen, alles in Ordnung.

Jonas: Angekommen, wo?

Judith 2: In Besalam. Zwischen Wildnis und Niemandsland, wo die Abenteuerkarawanen starten.

Jonas: So. Und dann?

Judith 2: Nichts mehr. Kein Anruf, keine Nachricht. Bis gestern.

Jonas: Haben Sie nicht versucht, ihn anzurufen.

Judith 2: Ja natürlich, immer wieder hab ich's versucht, aber ich hab nicht mal seine Mailbox erreicht. Ja, und dann kam gestern nachmittag dieser Anruf.

Jonas: Von ihrem Mann.

Judith 2: Von seinem Fon. Aber es war nicht Nicolas. Ein Fremder. Mit Drittweltakzent. Er gehört zu den Freiheitskämpfern des Orients. Hat er gesagt.

Jonas: Freiheitskämpfer des Orients. Nie gehört.

Judith 2: Ich habe das Gespräch selbstverständlich aufgenommen.

Kidnapper: Wir Freiheitskämpfer haben gefangen Bischof Toulemonde, wenn wir nicht bekommen drei Millionen Euro in Diamanten als Spende für Freiheitskampf wir werden töten Bischof Toulemonde.

Judith 2: Drei Millionen. Wann und wie soll ich...

Kidnapper: Planquadrat SW 170-2. Dort in Wüste großer roter Felsen, sieht aus wie Kamel. An diese Felsen wir warten Spende bis 4. Mai abend. Wenn Sonne untergeht und Diamante nicht da, wir werden zerschneiden Bischof und verteilen in Wüste. Verstanden.

Judith 2: Ja, aber...

Judith 2: Aufgelegt. Ich war geschockt, das werden sie verstehen, Herr Jonas.

Jonas: Sehr erschüttert schien sie allerdings nicht zu sein. Aber vielleicht war das Charakterstärke und Beherrschung. Alle Judiths sind starke Frauen.

Judith 2: Als ich mich ein bißchen beruhigt hatte, rief ich die Firma an, die Nicolas Reise organisiert hat.

Jonas: Name?

Judith 2: Extrem. Der ultimative Kick.

Jonas: Adresse?

Judith 2: Markgrafenboulevard 727.

Jonas: Was haben Sie erfahren.

Judith 2: Nichts. Der zuständige Sachbearbeiter hatte keine Ahnung. Er wollte sich schlau machen und mich dann zurückrufen.

Jonas: Hat er?

Judith 2: Bis jetzt nicht. Dann dachte ich an die Polizei.

Sam: Ha, die Bullen? Kannst du vergessen, Schwester.

Judith 2: Was ist das?

Jonas: Mein Computer. Sam. Redet viel, weiß dummes Zeug.

Sam: Nanana.

Jonas: Aber ab und zu hat er recht. Draußen im Niemandsland ist die babylonische Polizei machtlos.

Judith 2: Das hat mir Chefinspektor Brock auch gesagt.

Jonas: Sieh an, wir kennen Brock, was Sammy?

Sam: Ja, gewiß doch euer Gnaden. Hat der gute Chefinspektor nicht des öfteren in unseren Fällen figuriert, hmh?

Judith 2: Brock hat mir geraten, mich an Sie zu wenden, Herr Jonas, Sie könnten das Lösegeld überbringen, sie kennen das Niemandsland, hat er gesagt, sie waren schon mehrmals da.

Jonas: Dreimal. Und ich habe keine schönen Erinnerungen an die Trips. Beim letzten Mal war's am schlimmsten.

Sam: Fall Invasion, o Grödaz.

Jonas: Grödaz?

Sam: Ja, Grödaz. Größter Detektiv aller Zeiten. Dummie. Juni 2015.

Jonas: Das reicht mir. Noch mal muß ich da nicht hin.

Judith 2: O doch Sie müssen, Herr Jonas, weil ich Sie darum bitte. Außerdem zahle ich. 5 Prozent vom Lösegeld.

Sam: Fünf Prozent... sind 15.000 Euro.

Jonas: 150.000 du Dödel.

Sam: Siehst du, ein erkleckliches Sümmchen, Herr Rechnungsrat. Statuserhaltend gewissermaßen. Umzugsverhindernd.

Judith 2: Was meint er?

Jonas: Ah, nicht so wichtig.

Sam: Importane.

Judith 2: Brock hat noch mehr gesagt, Herr Jonas. Sie sind ein anständiger Mensch, und für den Job ist keiner so geeignet wie sie.

Sam: Ja das stimmt, ja ja ja.

Jonas: Mußte Jonas wirklich nochmals ins Niemandsland. Nur weil seine Auftraggeberin Judith hieß und aussah wie Judith Delgado, die erste und einzige Liebe eines älteren Detektivs. Vielleicht.

Jonas: Ich werde darüber nachdenken und sie anrufen, heute noch, nachdem wir ein paar Nachforschungen angestellt haben. Sammy und ich.

Judith 2: Danke, Herr Jonas.

Sam: Ja, denn wie spricht der weise Bosequo? Vorsicht ist der weibliche Elternteil des Keramikbehälters.

Jonas: Oder so ähnlich. Judith ging, und Jonas scheuchte Sam durch alle Datenbanken, zugängliche und weniger zugängliche. Ergebnis:

Sam: Sie ist echt, unsere JuTou.

Jonas: Wer?

Sam: JuTou. Kurz und prägnant für Judith Toulemonde, oder auch Judith zwo.

Jonas: Es gibt sie also wirklich.

Sam: Ja, die Dame ist astrein, Herr Oberförster, wie auch ihr Ehegespons, Nicolas Toulemonde, Vize der apostolischen Kirche, hochangesehene Bürger Babylons beide und betucht, ja, Haus im Golden Ghetto, höchster Sozialstatus.

Jonas: Schön für sie. Es wurde Zeit für einen Ausflug zum noblen Markgrafenboulevard, wo eine ganze Etage in einem noblen Hochhaus von der Firma Extrem belegt war. Ein gertenschlanker türkisgelockter Jüngling ließ sich herab, Jonas zu empfangen. Nösel hieß er. So stand es auf dem Schild an seinem lavendelfarbenen Armanijäckchen. Er musterte mich wie ein Angler einen alten Stiefel, der sich an seinen Haken verirrt hatte.

Nösel: Sie wollen doch wohl keine Reise bei uns buchen Herr äh... In diesem Falle gestatten sie mir den gutgemeinten Hinweis, daß die dafür erforderlichen Mittel weit über ihren Möglichkeiten liegen dürften. Wenn ich sonst noch was für sie tun kann.

Jonas: Sie können.

Nösel: Ach wirklich?

Sam: Wetten, der Typ heißt mit Vornamen Schorsch, oder Scholastikus.

Nösel: Wie meinen.

Sam: Nösel äh Schnösel. Paßt wie der Pickel auf den Arsch.

Nösel: Ich muß doch sehr bitten.

Sam: Ja dann bitten sie mal.

Jonas: Entschuldigen Sie meinen Computer, Herr äh Nösel, er ist ein wenig ungehobelt, wie sein Herr. Soll ich Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin ein exzentrischer Milliardär, wenn man mich ärgert, werde ich grob, sehr grob, saugrob, und dann könnte ich Ihnen zum Beispiel äh einige Knöchlein in ihrem eleganten Leib zerschlagen. Strafe und Schadenersatz zahle ich aus der Westentasche.

Jonas: Er wußte nicht, ob er mir glauben sollte. Aber als vorsichtiger Mensch tat er es. Und war bereit meine Fragen zu beantworten. Ja, Vizebischof Toulemonde hatte bei Extrem eine Reise gebucht, in den besonders wilden südöstlichen Zipfel des Niemandslands, nicht weit von der Mauer. Nein, er wußte nicht, was mit dem Kunden geschehen war, auch der von Extrem gestellte Reiseleiter war verschwunden. Ja, er hatte von Frau Toulemonde erfahren, daß eine Gruppe namens Freiheitskämpfer des Orients behauptete, den Vizebischof entführt zu haben.

Nösel: Im Übrigen muß ich Sie, wie bereits auch Frau Toulemonde nachdrücklich darauf hinweisen, Herr äh, daß eine wie auch immer geartete Haftung der Firma Extrem für die Folgen unvorhergesehener unglücklicher Zwischenfälle auf den von uns vermittelten Abenteuerreisen laut Vertrag völlig ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluß gilt selbstverständlich auch für etwaige Entführungen und vergleichbare Mißgeschicke.

Jonas: Freiheitskämpfer des Orients, kennen Sie diese Gruppe, ist sie bei früheren Extrem-Reisen schon mal in Erscheinung getreten?

Nösel: Noch nie, Herr äh... Wie kennen andere Organisationen, die Taliban, die Waffen-SS, die goldene Horde etc. die in der gleichen Branche tätig zu werden pflegen.

Jonas. Entführung und Erpressung von Lösegeld.

Nösel: Äh, ja. Dies zu verhindern zahlt Extrem besagten Gruppierungen gewisse Anerkennungshonorare.

Jonas: Schutzgelder meinen Sie.

Nösel: Wenn sie es so ausdrücken wollen, Herr äh.

Jonas: Und die rote Armee, ist die nicht auch im Niemandsland aktiv?

Nösel: Nicht mehr, Herr äh... Soweit uns bekannt ist, hat sich die rote Armee vor einem Jahr weit in den Norden, in die wilde Tundra zurückgezogen.

Jonas: Das war beruhigend. Denn die rote Armee, und speziell ihr Häuptling Generalissimus Stalin hatten mit Jonas noch ein Hühnchen zu rupfen. Das mußte nicht sein. Zu Hause rief ich Chefinspektor Brock an, um ihm ein paar Fragen zu stellen, aber das war nicht mehr möglich.

Frauenstimme: Chefinspektor Brock wurde ein Opfer des unermüdlichen Einsatzes der Sicherheitsbehörden für die Bürger Babylons. Bei einer Routine-Razzia heute Nacht im Reservat ist er aus dem Helikopter gestürzt und an den Folgen des Sturzes verstorben.

Jonas: Auch das noch. Meine Wohnung war gekündigt. Ich hatte kein Geld und keinen Sozialstatus, das Casablanca war zu. Dauerregen, 50. Geburtstag, und jetzt hatte Brock den Löffel abgegeben. Mein bester Feind. Mein einziger Freund. Wieder legte sich der Babylon-Blues über Jonas, so laut und so intensiv, als ob mir jemand Babylon unbedingt vermiesen wollte. Wie auch immer, Babylon war mir vermiest. Ich wollte raus, von mir aus sogar ins Niemandsland. Ich rief Judith an, und sagte ihr, ich würde ihren Auftrag annehmen.

Judith 2: Herr Jonas, ich bin hocherfreut.

Jonas: Den Herrn lassen Sie weg. Einfach Jonas, nur Jonas. Haben Sie das geforderte Lösegeld?

Judith 2: Kein Problem. 3 Millionen Euro in Diamanten liegen bereit.

Jonas: Dann bringe ich die Klunker für sie ins Niemandsland.

Judith 2: Nicht für mich, Jonas, mit mir. Ich komme mit.

Jonas: Haben Sie sich das gut überlegt, Judith, es wird gefährlich werden, strapaziös, vielleicht holen Sie sich sogar Blasen an den Füßen.

Judith 2: Ich bestehe darauf. Wann reisen wir ab?

Jonas: Sobald wie möglich, und das war sehr bald. Geld spielte keine Rolle. Noch am Abend flogen wir nach Bezalam. Von da ging's am nächsten Morgen weiter auf der Erde, aber nicht zu Fuß, wir mieteten den besten Wüstentruck, der zu haben war, Kettenfahrwerk, stabile Panzerung, großer Benzinvorrat in Zusatztanks, genügend Platz für alles, was der Mensch so braucht, wenn er vorhat, tagelang durch die Wüste zu ziehen. In diesem Fall zwei Menschen. Jonas fuhr. Judith saß neben mir, sehr schön anzusehen, in ihrem Safari-Overall von Dolce & Gabana. Gelbe und rote Wüstenfarben. Das Niemandsland war so, wie ich es in Erinnerung hatte, ziemlich tot, orange und grau, dazwischen Farbtupfer, schwarz, rot, giftgrün, Ruinen, Reste, Rost, geschmolzener Sand, Felsen. Tagsüber war es heiß, und nachts kalt, so kalt, daß Judith fror und zu mir in den Schlafsack kroch. Zweiter Reisetag, 3. Mai, wir erreichten Planquadrat SW170-2. Die Strahlen der untergehenden Sonne beschienen ein seltsames Gebilde am Horizont. Einen riesigen roten Felsen, der aussah wie ein liegendes Kamel, ein länglicher Kopf auf einem ebensolchen Hals. Dann ein großer runder Höker.

Sam: Ein Höker? In diesem Falle, hochgeschätzte Kommilitonen, handelt es sich keinesfalls um ein Kamel oder auch Trampeltier, der Wissenschaft bekannt als camelus bacterianus, vielmehr um ein Dromedar, camelius dromedarius.

Judith 2: Danke für die Vorlesung, Prof. Sam.

Sam: O gern geschehen Gnädigste.

Jonas: Ich glaube kaum, daß die sog. Freiheitskämpfer auf zoologische Finessen Wert legen. Dromedar oder Kamel, dieser Felsen ist unser Ziel.

Judith 2: Wir sind also angekommen.

Sam: Hurra!

Jonas: Noch nicht ganz, gleich wird's dunkel, wir sollten hier lagern und morgen früh weiterfahren, bei Helligkeit, damit wir sehen können, wer oder was uns erwartet.

Judith 2: Einverstanden. Halt an Jonas.

Jonas: In einer Höhle schlugen wir unser Lager auf. Nach dem Essen holte Judith eine Flasche aus ihrem Gepäck. Echt Whisky. Scotch. Old Forrester. Jonas Lieblingswhisky. Wenn er ihn kriegt, was selten genug vorkommt. Wir stießen an.

Judith 2: Auf Kamele.

Sam: Und Dromedare.

Judith 2: Auf Jonas.

Jonas: Auf Judith.

Sam: Auf Sam.

Judith 2: Auf den Erfolg unsere Mission.

Jonas: Auf den Erfolg. Der gefährlichste Teil kommt aber erst. Morgen.

Judith 2: Du hast ja so recht, Jonas, und du hast nicht die mindeste Ahnung, wie recht du hast. Trink aus.

Jonas: Ich wachte auf. Die ersten Sonnenstrahlen fielen in die Höhle. Das Feuer war ausgegangen. Mein Kopf tat weh. Mir war kalt. Kein Schlafsack. Ich kam auf die Beine, mühsam, und humpelte nach draußen. Keine Judith. Kein Wüstentruck. Kein Laserstrahler am Gürtel, und vor allem kein Sam, nicht in meiner Tasche, nicht auf dem Boden. Was war passiert? Ich sah mich um. Nur Niemandsland bis zum Horizont. Keine Bewegung. Kein Mensch. Kein Fahrzeug. Dann sah ich doch was, Kettenspuren vom Truck. Sie führten nach Osten, Richtung Kamelfelsen. Im grobkörnigen Sand gut zu erkennen. Ich ging ihnen nach. Die Spuren führten in einen Canyon. Ich folgte ihnen. Langsam. Es wurde enger. Die steilen Wänden rückten näher zusammen. Vor mir eine Kurve. Ich ging noch langsamer und spähte vorsichtig um die Ecke.

Stalin: Kiche. Jonas, galupschik, dawolowatsch, willkommen.

Jonas: Stalin.

Stalin: Bada. Generalissimus Stalin. Du überrascht, Arschloch, häh?

Jonas: Ich überrascht. Hinter der Kurve wurde der Canyon weiter. Überall Menschen, vor mir, hinter mir, über mir, zottige zerlumpte Gestalten, bewaffnet mit Keulen und Macheten. Nomaden. Hunderte, ein ganzer Stamm, Flüchtlinge aus der Drittwelt. Freaks, Mutanten, die rote Armee. So nannten sie sich. In der Menge stand unser Truck, und daneben noch ein Gefährt, eine Art gigantischer Bollerwagen, aus Holz und Metall, eine Plattform auf 6 gewaltigen Rädern. Darauf ein Blockhaus, eine Pauke mit Pauker, ein rotlackierter Thron, und auf dem Thron ein alter Bekannter.

Stalin: Du nicht gedacht Wiedersehen Generalissimus Stalin, hä? Arschloch Jonas.

Jonas: Eine unerwartete Freude, weiß Gott. Hast du dir ein neues Fahrzeug zugelegt, alter Gauner, was ist mit dem T54.

Stalin: Äh, Problem mit Tank. Immer Problem. Kein Diesel. Darum Tank verkauft.

Jonas: An wen? Wer ist denn noch blöder als ihr?

Stalin: An Stamm in Zewa, Norden. Alslutscher, Trankstinker, behandelt T54 als Gott. Nun, wir haben gebaut neue Auto.

Jonas: Ein Prachtstück. Und wie geht's selbst, Generalissimus.

Stalin: Spazibo. Wunderbar. Täubchen. Vetterchen. Hab ich doch endlich Arschloch.

Jonas: In den zwei Jahren hatte Stalin sich kaum verändert. Er sah immer noch aus wie ein sibirischer Dorfschullehrer. Schmal, weißhaarig, Drahtbrille, grüne Schirmmütze, Russenbluse, vollgesteckt mit bunten Abzeichen und Medaillen. Zerschlissene Reithose, Stiefel, und im Kopf noch klar. Er hatte nicht vergessen, daß Jonas ihn damals reingelegt hatte.

Stalin: Was wir mit dir machen, Arschloch, hä?. Eingraben in Sand, alle Rotarmisten auf dich pissen, bist du tot. Dich kochen in Kessel ganz ganz langsam und dann dich essen.

Judith 2: Ihre Wiedersehensfreude, verehrter Generalissimus, sollten sie ein wenig später Ausdruck verleihen, vorher hab ich noch mit Jonas einiges zu klären.

Stalin: Karacho.

Jonas: Judith. Sie stand auf der Plattform, direkt neben Stalins Thron. Wie eine Gefangene sah sie nicht aus. Während die Nomaden Jonas griffen und festhielten, stieg sie herunter, kam näher, und stellte sich vor mich.

Judith 2: Weißt du Jonas, die Sache war ein wenig anders geplant, aber Stalin wollte nicht warten, er ist vorgeprescht, weil er dich unbedingt allein in die Finger kriegen und nicht mit andern teilen wollte. Im Grunde kein Problem, soll Stalin dich eliminieren, meinen Auftraggebern wird das auch so recht sein.

Jonas: Deinen Auftraggebern?

Judith 2: Ahnungslos wie er noch immer ist. Richtig süß. Ich werde dir eine Geschichte erzählen, Jonas, so viel Zeit muß sein. Immerhin hast du mit mir den Schlafsack geteilt, das verdient Belohnung. Also setz dich und hör zu. Es war vor mehr als einem viertel Jahr, im Januar, da trafen sich im Club Caligari zu Babylon fünf Personen, die vieles verband, hohe Position, Macht, Reichtum. Vor allem aber der Hass auf einen Detektiv, der im Lauf der Jahre immer wieder ihre Pläne durchkreuzt hatte.

Plotz: Ich bitte um Ruhe. Die konstituierende Sitzung des Sonderkomitees Aktion Jonas ist eröffnet. Anwesend sind:

Paretzky: Dr. Sandra Paretzky, Bürgermeisterin von Babylon.

Waldorf: Astoria Waldorf, Vorstandsvorsitzende der Firma Multipharm, Leiterin der babylonischen Industrie- und Handelskammer.

Frank: Generalmajor Frank, Oberkommandierender der Geheimdienste und der Sicherheitskräfte.

Kasbek: Kasbek von der Korporation.

Plotz: Als Vertreter der sogenannten Unterwelt.

Kasbek: Bitte. Der organisierten Extralegalität.

Plotz: Wie Sie wollen. Anna Platz. BIO Global. Wir alle haben schwerwiegende Gründe gegen Jonas, den sogenannten letzten Detektiv vorzugehen.

Er ist ein Störenfried.

Krebsgeschwür.

Eine Pestbeule.

Plotz: Und nicht zu vergessen ein Kostenfaktor. Schon früher haben einzelne von uns versucht, Jonas auszuschalten, ohne Erfolg, jetzt tun wir uns zusammen, das Maß ist voll, erst vor wenigen Tagen hat Jonas eine von langer Hand vorbereitete bevölkerungspolitische Aktion des Club Caligari in PH 1 verhindert, daher ist dieses Kommitte zusammengetreten, dessen Vorsitz ich übernommen habe. Denn so großen Schaden Jonas Ihnen allen zugefügt haben mag, ich Anna Plotz, sitze durch seine Schuld gelähmt im Rollstuhl und habe darum das größte Recht auf Rache.

Jonas muß weg!

Plotz: Jawohl, Jonas muß weg, Jonas muß verschwinden, Jonas muß sterben. Um dieses Ziel zu erreichen, bündeln wir unsere Ressourcen, wir sind bereit, finanzielle Opfer zu bringen, in unbegrenzter Höhe. Wir werden alle psychologischen und kreativen Kräfte, die uns zur Verfügung stehen, gegen Jonas einsetzen, sie sollen Szenarien entwerfen, die zum erfolgreichen Abschluß führen.

Abschuß.

Plotz: Sehr witzig. Jonas muß verschwinden, darin sind wir uns einig. Die Frage ist wie.

Judith 2: Es wurde diskutiert und debattiert, delegiert und konsultiert, und bald begannen sich Leitlinien und Konturen abzuzeichnen.

Also keine Falle, kein maskierter Killer im Hinterhalt, keine schnelle Kugel in den Rücken?

Nein nein nein, Jonas ist ein besonderer Gegner, und verdient einen besonderen Abgang, eine große Oper, wenn Sie so wollen, kein mickriges Tralala.

Eine elaborierte Elimination ist doch viel befriedigender, viel interessanter.

Macht mehr Spaß, meinen Sie, General.

Wie dem auch sei, die äh, Elimination sollte keinesfalls in Babylon stattfinden, hier hat Jonas ein Heimspiel, er kennt sich hat, hat überall Freunde.

Wir müssen ihn weglocken, so weit weg wie möglich.

Judith 2: Also ins Niemandsland, wo es am wildesten ist, hier, ein paar Kilometer entfernt, wartet ein Sonderkommando auf dich, Jonas. Killer der Korporation, Spezialisten vom Geheimdienst, ausgesuchte Sicherheitsexperten aus Großkonzernen, dazu als Sahnehäubchen gewissermaßen der eigens für dich aus dem hohen Norden angeforderte Generalissimus Stalin mit seiner Roten Armee.

Stalin: Dada. Wir hören, wir kommen, wir fangen Arschloch Jonas, wir machen tot Arschloch Jonas.

Judith 2: Geduld, Generalissimus, bald kriegen sie ihn und können mit ihm machen, was sie wollen, meine Geschichte ist gleich zu Ende. Über das Problem, wie Jonas ins ferne Niemandsland zu locken sei, zerbrachen sich diverse Experten, Kreative, Psychologen, Motivationsforscher, die gutbezahlten Köpfe. Schließlich schlugen sie zwei sich ergänzende Szenarien vor.

Erstens: Jonas wird psychischem Druck ausgesetzt, er wird

Weichgekocht.

In eine praktisch ausweglose Situation gebracht, sein Umfeld bricht zusammen, er verliert die Wohnung, den Sozialstatus, das Stammlokal, den Freund.

Außerdem wird er 50, am 1. Mai, das dürfte ihn zusätzlich deprimieren.

Zweifellos. Zweitens. Frau Delgado, Judith Delgado, hohe Beamtin in der Sicherheitsverwaltung, 2012 verstorben, Jonas große Liebe.

Ja, die Frau seines Lebens.

Auf den Knopf müssen wir drücken.

Wir schaffen eine zweite Judith. Eine Schauspielerin, die der Delgado ähnelt. Den Rest macht Plastiface. Wir geben ihr reale und virtuelle Existenzen.

Um die Dateien kümmere ich mich.

Diese Frau wird bei Jonas auftauchen, ihm was erzählen, er wird verwirrt sein, verliebt, womöglich, auf jeden Fall weniger argwöhnisch.

Judith 2: Wie's weitergeht, weißt du. Es war eine interessante Aufgabe. Und daß sie jetzt zu Ende geht, tut mit fast ein bißchen leid. Generalissimus, Jonas steht zu Ihrer Verfügung.

Stalin: Konetschko. Wirklich. Dawei!

Jonas: Judith stieg in den Truck, und startete. Bevor sie losfuhr, lehnte sie sich aus dem Seitenfenster. In der linken Hand hielt sie was hoch: Sam.

Judith 2: Leb wohl, Jonas, in der kurzen Zeit, die dir noch vergönnt ist. Sag deinem Herrn Tschüß, Sammy. Und auf Nimmerwiedersehen.

Sam: Nein, o harsche Trennung, grausames Geschick. Jonas, was wird aus ihm werden, ohne Sam. Und was wird aus Sammy ohne seinen Jonas. Sind wir getrennt für immer...

Stalin: Dawei Dawei!

Jonas: Die Rotarmisten nahmen ihre Plätze ein, vorn an der Deichsel, an den Querstangen rechts und links. Jonas wurden die Hände gefesselt, dann band man ihm ein Seil um den Bauch, das andere Ende hielt Generalissimus Stalin höchstpersönlich fest.

Stalin: Wir haben gewartet auf dich, zwei Jahr, Arschloch, wir weiter warten, ein Tag, zwei Tag, dieser Platz nix gut. Nur Dawei. Kollegen. Dawei. Dawei! Jucha.

Jonas: Die Riesenräder begannen sich zu drehen, knarrend und quietschend setzte der Bollerwagen sich in Bewegung. Die Nomaden zogen und schoben aus Leibeskräften. Der Pauker paukte. Stalin hatte seinen Thron verlassen und sich hinten auf die Plattform gesetzt, um Jonas zuzusehen. Der bemühte sich Schrittzuhalten. Ab und zu zog Stalin kurz am Seil, dann schlug Jonas hin, und wenn er sich nicht schnell genug aufrappelte, wurde er über Sand und Steine geschleift, zum großen Vergnügen des Generalissimus. So verging der Tag.

Stalin: Halt! Stoi! Hier machen wir Lager. Ruh dich aus, Arschloch, freu dich, morgen machen wir dich tot, langsam, ganzen Tag. Wir haben Zeit, hahahaha.

Jonas: Nette Aussichten. Natürlich kriegte ich nichts zu essen. Den abgearbeiteten Rotarmisten ging's kaum besser. Stalin schlug sich den Bauch voll, und legte sich dann zur Ruhe, im Blockhaus. Auch die Nomaden schliefen. Sogar die Wächter, die auf Jonas aufpassen sollten. Jonas schlief nicht, er machte sich Sorgen, außerdem hatten sie mich auf jede Menge Steine gebettet, scharfe spitze Steine. Die Nacht verging langsam, sehr langsam, plötzlich hörte ich was, an meinem linken Ohr. Ein Flüstern, das mir vorkam wie die Trompeten der Kavallerie oder ein Chor von rettenden Engeln. Dabei war es nur einer.

Sam: Erwache, mein Jonas, denn siehe, hier bin ich.

Jonas: Sam!

Sam: Ja wer denn sonst du Trantüte. Entfleucht bin ich der falschen Schlange der armen Computerklauerin. Wie gut daß ich meine Rollen dabei hatte. Gerollt bin ich durch brennendheißen Wüstensand, trotzend allen Gefahren, allen Strapazen. Bis ich ihn erreicht habe, meinen Herrn und Meister, meinen Jonas, mein ein und alles.

Jonas: Machs halblang Sam.

Sam: Nichts halblang. Jauchzet und frohlocket. Hurra. Hurra. Sam der Computer ist wieder da. Ah. Freust du dich denn gar nicht.

Jonas: Doch Sammy.

Sam: Und nun, teurer Freund, wird alles alles gut.

Jonas: Na hoffentlich. Sehr weit mußte Sam übrigens nicht durch den Wüstensand rollen, Judith traute dem Generalissimus nicht und war ihm gefolgt, nur wenige Kilometer entfernt hatte sie ihr Lager aufgeschlagen, mit dem Sonderkommando des 5er Komitees, das sie unterwegs aufgesammelt hatte.

Sam: Sie wartet ab, die schnöde Verräterin, bis mein Jonas seinen letzten Atemzug getan. Wenn hier was dazwischenkommt, greift sie ein mit ihren Spezialisten, denn vernimm, o Sultan, sie weiß haarscharf was hier abgeht, hat sie doch vor ihrem Aufbruch am gestrigen Tag eine hochsensible Minikamera ausgesetzt, und diese, o du mein ahnungsloser Engel umschwirrt dich bei Tag und in der Nacht.

Jonas: Jetzt auch.

Sam: Na klar jetzt auch.

Jonas: Dann sieht sie, daß wir miteinander reden.

Sam: Sieht und hört. Und nicht nur sie. Auch die rachsüchtigen 5 zu Babylon sind mit der Minicam verbunden, auf daß sie die Unbilden und das Ende ihres Todfeindes so recht von Herzen genießen können.

Jonas: Kannst du die Minicam abschalten Sam.

Sam: A little bit, Sir. Hier und da, ab und zu. Mit Mühe. Denn wisset: Sam hat nicht mehr all zu viel Saft.

Jonas: Das war ein Problem. Wo sollte ich hier im tiefsten Niemandsland einen Akku finden, oder eine Steckdose. Darüber mußte ich nachdenken, später. Jetzt war nur eins wichtig: von hier zu verschwinden. Sam blockierte die Minicam, mit Ächzen und Stöhnen und leisem Protest. Jonas scheuerte derweil Handfesseln und Seil durch, an Sams scharfer Kante, was seinen Protest noch verstärkte, weil es angeblich kitzelte. Und dann ab in die Büsche, die es hier natürlich nicht gab. Der Tag brach an. Jonas trabte durch die Landschaft gefolgt von der Minicam. Ich konnte sie sehen, wie ein Kolibri flatterte sie über mir, immer außer Reichweite, sie stieg und sank und kreiste, auf der Suche nach dem interessantesten Winkel, dem scharfen Bild.

Sam: Hä, geht nicht mehr, Meister, Sam muß die Minicam loslassen, seine Kraft ist verpafft äh verpufft meine ich.

Jonas: Dann können sie uns sehen, orten und verfolgen. Wir müssen weg, Sammy, weiter, wohin?

Sam: Nur einen Ausweg gibt es, hoher Herr, nur eine Richtung steht dir offen, die Wege nach Nord, West und Süd sind versperrt, durch Judith und die Rote Armee.

Jonas: Also nach Osten. Dann mal los.

Sam: Gemach Chef, wenn's doch nur so einfach wäre. Im Osten erhebt sich die Grenzmauer, und dahinter, ah, tief im Herzen des Niemandslandes, dort wo noch niemals nicht kein wißbegieriger Fuß eines Babyloniers trat, hinter jener großen Mauer, auf welcher zu unserem Schutze die wackeren Grenztruppen stehen, auf nimmermüder Wacht, am Tag und in der Nacht, dort liebe Kinder erstreckt sich das erschreckliche tote Land.

Jonas: Das tote Land, ein Gebiet totaler radioaktiver Verseuchung. Seit vor einigen Jahren die östlichen Kernkraftwerke in Kettenreaktionen hochgingen. Während der sog. kleinen Atomkriege zwischen Indien und Pakistan, zwischen Iran und seinen Nachbarn. Gegen das tote Land war das Niemandsland eine städtische Parkanlage, sagte man. Lemuren und Monster sollte es dort geben. Aber niemand wußte genaues, niemand war je dagewesen.

Sam: Hä, so sieht's aus, euer Lordschaft, wollt ihr im Kessel gekocht bzw. im Sand verbuddelt und totgepullert werden, oder euch ins tote Land bewegen. Thats the question. Hörst du der Pauke tiefen Ton, die rote Armee, da ist sie schon. Auch Judith ist nicht mehr weit.

Jonas: Dann schon lieber das tote Land. Judith und Stalin überlebe ich ganz sicher nicht, das tote Land, wer weiß.

Sam: Jaja. Jaja. Mein Jonas ist ein Wandersmann, das steckt im so im Blut, drum wandert er so schnell er kann und schwenket seinen Hut, fallera...

Da rennt er durch den Sand.

Schade, ich hatte mich schon gefreut, mir ausgemalt, was dieser Stalin mit Jonas anstellen würde. Fantasievoller Bursche.

Eine Treibjagd ist doch auch ganz nett, Frau Plotz, und aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. An der Mauer werden sie Jonas stellen, da geht's nicht weiter.

Und dann kommen wir zu unserem Schauspiel. Dauert nicht mehr lange. Cocktails, jemand?

Jonas: Jogging im heißen Niemandsland ist kein Vergnügen, besondern nicht wenn Sam dazu singt. Und eine nervige Minicam dir um den Kopf schwirrt, ganz zu schweigen von blutdürstigen Killern nicht weit hinter dir. Vergnügen oder nicht, Jonas trabte weiter, bis es nicht mehr ging, dafür sorgte die Mauer. Schwarz und dräuend, 30 m hoch und bewacht, nicht von wackeren Grenztruppen. An der Grenze zum toten Land sind Roboguards eingesetzt. Fehlerlos. Unbestechlich, sie schlafen nie und lassen nicht mit sich reden.

Roboguard: Halt, nicht weiter, das war die erste und letzte Warnung, der nächste Schuß trifft.

Jonas: Und da sind sie auch schon, Stalin und Judith. Was nun.

Sam: Spricht Zeus, die Götter sind besoffen.

Jonas: Red keinen Stuß, Sam, denk dir was aus.

Sam: Ist Sam ein Magier, wächst ihm ein Kornfeld auf der flachen Hand?

Karla: Jonas, hierher!

Jonas: Karla, meine Lieblingsterroristin, Chefin der babylonischen Stadtguerilla. In den vergangenen Jahren waren wir uns mehrmals über den Weg gelaufen, zuletzt Sylvester 2016. In der Wildnis. Wir hatten die Angewohnheit, uns zu helfen, was nicht hieß, daß ich ihr trauen konnte. Jetzt war sie hier, im Niemandsland, am Fuß der Mauer, sie steckte den Kopf aus einem Loch im Felsen, und winkte mir zu.

Karla: Komm her, Jonas. Beeil dich.

Jonas: Augenblick Karla. Sam?

Sam: Was steht zu Diensten?

Jonas: Die Minicam, kannst du sie noch mal blockieren?

Sam: Na, mal sehen, Kumpel, Leben ist schwer für 'nen kleinen Computer.

Jonas: Streng dich an, Sammy.

Sam: Was tu ich denn wohl, du Obergurke. Melde gehorsamst, Herr Oberleutnant, Minicam blockiert. Aber lang schaff ich's nicht.

Jonas: Jonas kroch durch das Loch im Felsen. Zu Karla. Dahinter war ein niedriger Gang, abgestützt durch Metallstreben, ein aufgegebenes Bergwerk, aus der alten Zeit, als hier Menschen lebten und arbeiteten. Karla ging voran und leuchtete, mit einer starken Taschenlampe. Gut für uns, aber auch gut für die Minicam. Sie war uns gefolgt, unter die Erde, wir konnten sie nicht abschütteln, nur blockieren. Was Sam immer schwerer fiel.

Jonas: Geht's noch Sammy.

Sam: Soso lala.

Jonas: Halt durch.

Sam: Ja, Sam tut was er kann. Sam gibt alles.

Karla: Stop. Hier beginnt ein Schacht, da müssen wir runter.

Jonas: Nur zu. Karla hatte alles bei sich, in ihrem Rucksack, Seile, Steigeisen, Wandhaken. Wir kletterten. Tiefer, immer tiefer, die Luft wurde schlecht, Sam stöhnte, dann war der Schacht zu Ende, und es ging waagerecht weiter, die Luft blieb schlecht. Zum Glück gab es hier keine Ratten, wie in der babylonischen Unterwelt. Wieder ein Schacht, diesmal nach oben, wieder klettern, Stunden um Stunden, so kam es mir vor, bis wir über uns Licht sahen. Ich zog mich hoch und war draußen. Die Minicam folgte, in vorsichtigem Abstand.

Sam: Ich kann nicht mehr. Sam muß aufgeben, kein Strom. Hast du mal ein Watt Mister.

Jonas: Woher nehmen Sammy. Karla, wo sind wir? Karla?

Sam: Weg. Verschwunden. Wie die Wurst im Spunde. Spinde. Terroristin. Mal da mal weg, einfach so. Denn unergründlich sind ihre Wege. Amen.

Ah, Bild und Ton sind wieder da.

Ziemlich unscharf. Und wackelig.

Die Radioaktivität. Jonas ist im toten Land.

Sieht so aus. Irgendwie muß er über die Mauer gekommen sein.

Eher unten durch.

Ins tote Land werden sie ihn nicht verfolgen, unsere Leute und Stalin.

Das können wir von ihnen auch nicht verlangen.

Heißt das, Jonas ist uns entwischt?

Kein Stück. Im toten Land wird er krepieren. Langsam und unschön.

Und wir sind dabei. Wunderbar.

Jonas: Jonas stand auf einem schmalen Streifen Land, Felsen besser gesagt. Über ihm eine brennende rote Sonne, rechts die Mauer, die von hier noch bedrohlicher wirkte als vom Niemandsland. Auf der linken Seite ein riesiger See, bis zum Horizont. Gewaltige Öllachen schwammen auf dem trüben Wasser. Sie schimmerten in allen Regenbogenfarben. Ab und zu blubberten Blasen aus der Tiefe und zerplatzen an der Oberfläche, mit infernalischem Gestank. Nicht sehr einladend. Ich dachte an Fall Euromüll. Die Giftmülldeponie in Afrika. Aber ich dachte nicht lange, dazu war keine Zeit.

Sam: Man schießt, Genosse.

Jonas: Auf uns, Sammy, die Roboguards auf der Mauer.

Sam: Willst du warten, bis sie sich auf dich eingeschossen haben, Stupido.

Jonas: Nicht unbedingt, aber was.

Sam: Schiffahrt tut not, Herr Vizeadmiral. Unser Kuzunft, Zukunft liegt auf dem Wasser. Steche in See.

Jonas: Ungern Sammy.

Sam: Ja, fällt dir was besseres ein?

Jonas: Leider nicht.

Jonas: Am Ufer lagen verrottete Plastikteile, ich griff mir einen leeren Behälter, groß und rund wie ein Baumstamm, noch einigermaßen in Schuß, damit sprang ich in den See, ein leiser müder Platsch, Jonas strampelte mit den Beinen, und kam so schnell weg vom Ufer, auf daß die Roboguards eifrig ballerten. Sollten sie. Ich strampelte weiter und weiter, Stunden vergingen, vielleicht Tage, hinter mir verschwand die Mauer, vor mir erschienen Berge, in weiter Ferne. Plötzlich packte mich was am Bein, eine Hand, eine Flosse, ein Wesen mit Menschenaugen und einem Fischmaul voller scharfer Zähne tauchte aus der Brühe auf, es war nicht allein, das Wasser geriet in Bewegung, mehrere Fischmenschen schnappten nach Jonas, der schlug aus und schlug um sich, es waren zu viele. Sie hätten mich unter die Oberfläche gezerrt, aber es wurde flacher, die Fischmenschen blieben zurück. Ein Stoß, mein Behälter saß fest, in schwarzem Sand. Jonas watete an Land und stolperte weiter.

Können Sie was sehen, General.

Grau in Grau.

Die Signale der Minicam werden immer schwächer.

Von Fischmenschen zerfleischt, das wär's doch gewesen.

Abwarten.

Ah, wir haben wieder Bild.

Aber keinen Ton.

Mein Gott, wo sind wir, wie sieht's denn da aus?

Jonas: Knallbunt giftgrün signalrot gallegelb der Boden bestand aus geschmolzenem Plastik, spitze Zacken scharfe Kanten, das Gehen war mühsam wohin ich ging wußte ich nicht, immer weiter nach Osten, immer tiefer ins tote Land, das mit jedem Schritt toter wurde. Ich blieb stehen. Am Weg ragte eine hohe Eisenstange auf. Verrostet und zerfressen. Darin hing die ausgestopfte Haut eines Menschen mit zwei Köpfen.

Sam: Zweifellos eine Warnung, Meister.

Jonas: Für mich?

Sam: Ja, und wer sonst noch vorbei kommt.

Jonas: Warnung. Wovor?

Sam: Weiß nicht. Spielen nicht mehr mit, die kleinen grauen Zellen. Sammy verblödet. Demenz. Alzheimer.

Jonas: Sam, du redest irre.

Sam: Sag ich ja. To... Total irre. Total Irrsinn. Sammy muß aufgetankt werden, dringend.

Jonas: Es geht nicht, Sammy. Versuch durchzuhalten.

Sam: Gib mir Strom, Meister, nur ein ganz kleines bißchen. Bitte.

Jonas: Noch einer mußte dringend aufgetankt werden. Seit Tagen hatte ich nichts in den Magen gekriegt. Ich merkte, wie ich immer schwächer wurde und immer schwerfälliger voranstolperte, bis ich weit vor mir was sah und sofort wieder zu Kräften kam.

Jonas: Da, Sammy, ein Haus. Da steht Ca-sa-blanca. Das Casablanca. Da gibt's Strom, Sammy und Synthwhisky und was zu essen. Gleich, Sammy, gleich sind wir da. Ohh, oh oh... Das Casablanca ist weg. Einfach weg.

Sam: Ja, schon mal was von Fata Morgana gehört. Glotzkopf. Vater Morgana. Mutter Morgana. Oma Opa Onkel Morgana. Ganze Familie Morgana.

Jonas: Jetzt drehst du endgültig durch, Sammy.

Sam: Na und. Keine Kraft. Kein Saft. Sam wird dahingerafft.

Jonas: Sammy.

Sam: Nein hilft alles nichts, Chef. Sammy muß sterben.

Jonas: Nein, Sammy, nein.

Sam: Ist noch so jung. So jung.

Jonas: Computer können nicht sterben.

Sam: Wetten daß doch. Leb wohl Meister.

Jonas: Sammy.

Sam: War schön mit dir, echt super. Vergiß Sammy nicht. Und und begrab mein Herz an der Biegung des Flusses.

Jonas: Du hast kein Herz, Sammy.

Sam: Wetten daß doch. Sammy hat Gefühle. Sammy ist ein Mensch.

Jonas: Du übertreibst.

Sam: Vielleicht ein bißchen. Klingt aber schön. Irgendwie richtig schön. Und tschüß.

Jonas: Tschüß Sammy. Natürlich war ich traurig, sehr sogar, aber nicht nur. Ganz tief unten regte sich ein völlig anderes Gefühl. Ein Gefühl der Erleichterung, der Befreiung, endlich Ruhe. Ich stolperte weiter, und irgendwann muß ich dann eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war alles anders. Die Luft, das Land, die Farben. Um mich nicht mehr das bunte Gift des toten Landes. Ich sah Grün. Gesundes, lebendiges Grün, Bäume, viele Bäume. Lianen und Orchideen. Ein richtiger Urwald. Affen turnten durch die Zweige, Vögel sangen, unter meinen Füßen war Erde, braune Erde. Träumte ich?

Jamaro: Hier Jonas, hier ist dein Weg.

Jonas: Jamaro?

Jamaro: Folge mir.

Jonas: Aber du bist doch tot.

Jonas: Jamaro ging voraus, undeutlich, schattenhaft, zwischen den wuchernden Pflanzen kaum zu erkennen. Dann wurde es vor uns heller, immer heller. Jamaro winkte mir zu, und verschwand. Ich trat aus dem Wald ins Licht. Vor mir eine wunderschöne Landschaft, braune Hügel, grüne Wiesen, goldene Felder, vom tiefblauen Himmel schien eine freundliche gelbe Sonne, und in der Ferne sah ich eine Stadt, Häuser, Giebel, Türme, Wetterfahnen. Babylon? Aber diese Stadt war kleiner, ohne Klimadom, und viel schöner. Babylon, wie es vielleicht einmal war, wie es hätte sein können. Ich ging auf die Stadt zu, und aus der Stadt kam mir jemand entgegen. Ich blieb stehen. Ich steckte mitten in einem Wunder, aber ich konnte es nicht glauben. Judith. Judith Delgado. Keine Doppelgängerin mit Plastiface und Mord im Herzen. Judith, meine Judith, sie lief auf mich zu, und auch ich begann zu laufen.

Judith: Jonas.

Jonas: Judith.

Judith: Endlich bist du da, ich warte schon so lange. Komm.

Jonas: Wohin?

Judith: Nach Babylon natürlich. Da wirst du gebraucht. Philip Marlowe wartet auf dich, Sam Spade, Nestor Burma, die freuen sich mit dir zu arbeiten. Und ich freu mich, weil du nun endlich da bist. Komm.

Noch immer kein Bild.

Die Minicam ist endgültig hinüber.

Was ist mit Jonas.

Er ist zusammengebrochen. Das war das letzte, was wir gesehen haben.

Der kommt nicht mehr hoch.

Jonas sind wir los. Oder meine Dame, meine Herren?

Ich schlage vor die Aktion Jonas für erfolgreich beendet zu erklären was meinen sie?

Etwas unbefriedigend, aber wie die Dinge liegen. Einverstanden.

Von mir aus. Machen wir ein Ende.

Das war Abgesang. Eine Folge der Science-Fiction-Krimiserie Jonas. Nur Jonas. Und Sam. Von Michael Koser. Nähere Informationen und die Folgen zum kostenlosen Download finden Sie unter www.jonas-nur-jonas-und-sam.de. Eine Produktion der Kanzlei Dr. Bahr. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Karin Anselm, Katja Brügger, Gisela Ferber, Uwe Friedrichsen, Stefan Gnad, Thomas Karallus, Vanida Karun, Andrea Lienau, CHRIzzz Morgenroth (Hörspiele.de), Klaus Nietz, Deef Pirmasens, Christian Stark, Angelika Thomas, Henning Venske, Peter Weis und Elena Wilms. Ton und Technik: Marcus Giersch und Christoph Guder. Aufgenommen im Tonstudio Fährhauston in Hamburg (2008). Regie: Werner Klein.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:32
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Jonas. Nur Jonas. Und Sam.
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Comeback

Sam: Die Mitternacht zog näher schon, in stummer Ruh lag Babylon.

Jonas: In stummer Ruh, nimm dir ein Beispiel dran, Sammy, und was heißt Mitternacht, es ist fünf nach 8, früher morgen.

Sam: Das war nicht die Zeitansage, du Banane, äh Banause, das war Pöesie, Poesie, Dichtkunst, du verstehen.

Jonas: Sam, mein Computer. Ein Sondermodell. Besonders verbal. Extrem verbal. Er kann seine Klappe nicht halten. Auch wenn er keine hat. Er nervt. Andererseits, was wäre mein Leben ohne Sam. Entspannter. Ruhiger. Und viel viel uninteressanter. Wer will das schon?

Sam: Belsatzar von Heinrich Heine. Ein unsterbliches Meisterwerk. Jehova, dir künd ich auf ewig Hohn, ich bin der König von Babylon.

Jonas: Schluß mit dem Knattergemine, geh ans Fon.

Sam: Oh, da bemüht sich ein kleiner Computer um ein winziges Quentchen Bildung für seinen total unterbelichteten Herrn und Meister, und was ist der Dank, Knattergemine sagt er.

Jonas: Sam, geh ans Fon.

Sam: Ja, man hört und gehorcht, o Beherrscher der Gläubigen.

Jonas: Wer ist dran.

Sam: Stadtverwaltung Babylon, Amt für freie Berufe.

Jonas: So? Stell durch. Akustik, kein Bildfon.

Sam: Jawohl, kein Bildfon.

Computerstimme: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Jonas. Sie werden hiermit nachdrücklich aufgefordert, zwecks Erneuerung Ihrer Lizenz als privater Detektiv, persönlich im Amt für freie Berufe, Babylon Mitte-Ost, Piazza Sewastopol, vorstellig zu werden, und zwar unverzüglich, widrigenfalls Ihnen die Lizenz entzogen wird, was wiederum Ihre soziale Rückstufung ins Prekariat erforderlich macht, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Das Amt für freie Berufe wünscht Ihnen noch einen angenehmen Tag, Herr Jonas.

Jonas: Normalerweise springt Jonas nicht, wenn irgendein Amtsschimmel wiehert. Aber hier ging's um alles. Um den Job, den Sozialstatus, die Existenz. Also sprang ich. Unverzüglich. Die wichtigen Behörden in Babylon liegen um den Ernst-August-Platz. Hier ragt das Rathaus in den Himmel, die Sicherheitsverwaltung, das Wirtschaftsministerium. Das Amt für freie Berufe ist total unwichtig. Noch unwichtiger als die Prekariatsverwaltung, mit der sich das Amt eine frühere Kirche teilt. Die Prekariatsverwaltung macht sich im Kirchenschiff breit. Die freien Berufe haben sie in den Turm gequetscht. Unten die Ärzte, Mensch, Tier und Zahn, darüber die Rechtsanwälte, dann die Künstler, ganz oben sonstige. Fahrstuhl Fehlanzeige.

Jonas: Hi.

Bürokrat: Können Sie lesen. Eintritt nur nach Aufruf, steht an der Tür. Sind Sie aufgerufen?

Jonas: Genaugenommen bin ich angerufen. Von Ihnen. Sie wollen was von mir.

Bürokrat: So. Name?

Jonas: Jonas.

Bürokrat: Vor- oder Nach?

Jonas: Beides.

Bürokrat: Also Jonas Jonas.

Jonas: Nein. Nur Jonas. Sie gestatten, daß ich Platz nehme.

Bürokrat: Wenn Sie einen Stuhl finden. Bürgernummer?

Jonas: Ich setzte mich auf den Schreibtisch. Und verriet ihm meine Bürgernummer. Der Typ war grau. Von den Haaren über Gesicht und Anzug bis zu den Schuhen. Staubgrau. Er hockte in seinem grauen Sessel wie angewachsen. Auch das Büro war grau. Graue Aktenregale, graue Akten. Echtes Papier. Grauer Schreibtisch. Darauf ein grauer Laptop. Asbach Uralt. Zwanzig Jahre mindestens.

Bürokrat: Beruf?

Jonas: Detektiv. Privat.

Bürokrat: Ah richtig. Der letzte. Außer Ihnen steht keiner mehr in meinen Akten. Und was machen Sie so als Detektiv?

Jonas: Ich detektiviere.

Bürokrat: Aha. Nicht sehr erfolgreich, wie es aussieht. Im laufenden Jahr 2016 haben Sie keinen einzigen Euro verdient. Und heute ist schon der 30. Dezember.

Jonas: Es war ein schwieriges Jahr, ereignisreich. Fall Wildwest. Fall Mafia. Beide kompliziert, gefährlich sowieso. Allerdings nicht gerade einträglich. Was kann Jonas dafür, wenn man ihn kidnappt, oder wenn seine Auftraggeberin ihn umbringen will. Aber darüber wollte ich mit dem grauen Sesselfurzer nicht diskutieren. Ich wollte ihn den Kopf voran in seinen grauen Papierkopf stopfen. Das verkniff ich mir. Ich tat nichts, ich sagte nichts.

Bürokrat: Unter diesen Umständen, Herr Jonas, ist es mir nicht möglich, Ihre Lizenz zu erneuern, das heißt, Sie verlieren Ihren Sozialstatus, der war bisher, lassen Sie mal sehen, war unterer Mittelstand, Volksrente plus Eigeneinkommen zwischen 5 und 10000 Euro. Sie steigen ab ins Prekariat, nur Volksrente, und das heißt, Sie werden demnächst Babylon verlassen und in die Prekariats-Heimstatt Nummer Eins umgesiedelt.

Jonas: Kurz PH 1, draußen in der Wildnis. Ein paar hundert Kilometer südlich von Babylon. Volkstümlich Prollhalde, oder Donut. Wegen der Form. Ein riesiger Ring um einen Innenhof, 300 Stockwerke hoch, in jedem Stock 3000 Bewohner. Macht nach Adam Riese 900.000. Das reichte natürlich nicht. PH 2 und 3 waren schon im Bau. In Babylon gab es immer mehr. Prekariatsangehörige. Prolls. Volksrentner. Ohne Arbeit. Ohne Zusatzeinkommen. Die anderen fühlen sich gestört. Der obere Mittelstand. Die Reichen und Superreichen. Babylon ging das Problem offensiv an. Seit einem Jahr wurde die Stadt gesäubert. Unter dem Motto: Macht Babylon sicherer, sauberer, schöner. Prolls mußten raus. In die Wildnis. In die neuen Prollhalden. Da waren sie unter sich und störten nicht mehr. So weit so schlecht. Jonas wollte in Babylon bleiben.

Bürokrat: Das können Sie, Herr Jonas, dazu müssen Sie allerdings noch in diesem Jahr ein gewisses Einkommen erzielen.

Jonas: Ich soll in zwei Tagen ein lukrativen Fall an Land ziehen. Wie stellen Sie sich das vor?

Bürokrat: Das ist doch nicht meine Aufgabe, Herr Jonas. Auf Wiedersehen.

Jonas: Jonas hatte den Kopf voll und ganz andere Sorgen. Trotzdem fiel mir die Frau auf, die am Fuß der Treppe stand. Sie war nicht grau, sie war bunt: rote Haare, rote Schuhe, gelber Businessanzug, grünes Hemd. Sie sah gut aus. Außerdem sah sie mich an und hielt mich am Ärmel fest.

Carmen: Sie haben ein Problem, Herr Jonas.

Jonas: Eins?

Carmen: Ich glaube, ich kann Ihnen helfen. Prekariatsoberrätin Sakalauskas.

Jonas: So sehen Sie nicht aus.

Carmen: Ich möchte Ihnen ein Vorschlag machen. Kommen Sie mit.

Jonas: Sie führte mich nicht in ihr Büro. Sie führte mich zu einem der alten Beichtstühle an der Wand. Holzimitat, verblaßt und verzogen, innen hing noch immer ein Hauch von Weihrauch und Sündenschweiß. Jonas war nicht nach beichten, obwohl er ausgesprochen sündige Gedanken hatte, als die attraktive Beichtmutter ihm im engen Kabuff sehr nahe kam.

Carmen: Hier sind wir ungestört. Hören Sie zu. Wie ich von meinem Kollegen im Turm erfahre, brauchen Sie einen Fall? Und wir brauchen einen Detektiv.

Jonas: Wir?

Carmen: Die Prekariatsverwaltung. Wir haben ein Problem mit PH 1.

Jonas: Ach was. Sie auch?

Carmen: Der Leiter der Heimstatt, mein Kollege Prekariatsrat Arnold ist anscheinend verschwunden. Vor drei Tagen war die elektronische Verbindung von PH 1 zu uns unterbrochen: Video, Fon, Email, nichts ging mehr. Und als etwa 4 Stunden später die Verbindung stand, sahen wir auf unseren Monitoren nur Flure und leere Wohnkapseln. Kein Zentralbüro. Kein Arnold. Unsere Anrufe nimmt keiner an, unsere Emails werden nicht beantwortet. Wir sind besorgt. Irgendwas geht in PH 1 vor. Und wir wissen nicht was.

Jonas: Warum wenden Sie sich nicht an die Sicherheitsverwaltung?

Carmen: Zwecklos. Außerhalb der Stadtgrenzen hat die babylonische Polizei keinerlei Befugnis. Die Wildnis gehört zum Aufgabenbereich der Grenztruppe, aber die hat in letzter Zeit so viel um die Ohren, nach dem letzten großen Mauerdurchbruch am Weihnachtstag müssen die Grenzer noch immer illegale Drittweltler jagen. Außerdem wären sie für unser Problem wohl kaum geeignet. Das ist eine andere Sache.

Jonas: Wie wär's mit dem Geheimdienst?

Carmen: An den haben wir uns natürlich gewendet, aber da kriegten wir eine glatte Abfuhr. Prolls gehen uns nichts an, wurde uns gesagt. Da müßt ihr euch schon selbst drum kümmern. Und weil wir in der Prekariatsverwaltung keine Exekutivabteilung

Jonas: Schicken Sie Jonas. Den letzten Detektiv. Sie wissen, was ich koste. 200 Euro pro Tag und Spesen.

Carmen: Unmöglich, Herr Jonas, die Prekariatsverwaltung hat kein Geld, und auch kein Konto für Sonderausgaben. Passen Sie auf: Spesen brauchen Sie nicht. Der Transport ist frei. Sie werden in PH 1 untergebracht und verköstigt. Und als Honorar kriegen Sie Bonuspunkte.

Jonas: Was heißt das?

Carmen: Wenn Sie den Auftrag für uns übernehmen und erfolgreich durchführen, werde ich meinem Kollegen im Amt für freie Berufe Anweisung geben, Ihnen eine Lizenz für 2017 auszustellen, im Zuge der Amtshilfe. Einverstanden?

Jonas: Einverstanden, sagte ich. Nicht mit Begeisterung, aber was blieb mir übrig. Besser eine Stippvisite in PH 1 mit Rückkehrgarantie als demnächst für immer dorthin.

Carmen: Herr Jonas ich freue mich.

Jonas: Nur Jonas reicht. Und wie heißen Sie? Oder muß ich weiterhin Frau Prekariatsoberrätin Sakalauskas sagen?

Carmen: Carmen.

Jonas: Das klingt doch viel hübscher als Sakalauskas, und paßt besser zu Ihnen. Also, Carmen. Wie geht's jetzt weiter.

Carmen: In der nächsten Stunde schicke ich Ihrem Computer zu, was Sie brauchen werden. Die Pläne von PH 1, Organisationsstruktur, etc. etc. Und natürlich Ihr offizielles Überstellungsdokument. Das zeigen Sie in unserem Busbahnhof vor. Sie wissen wo.

Jonas: Die frühere REUBA-Truckstation am südlichen Stadtrand. Kenn ich.

Carmen: Gut. Heute Nacht um 11 fährt der Prekariatsbus nach PH 1 ab. Seien Sie pünktlich.

Jonas: Heute noch. So eilig haben Sie's?

Carmen: Je eher Sie fahren, Jonas, desto eher sind Sie zurück. Sie werden mir persönlich Bericht erstatten. Ich freue mich darauf. Viel Glück, Jonas.

Jonas: Als ich nach Hause kam, hockte Sam auf dem Tisch und schmollte. Weil ich ihn nicht mitgenommen hatte, und weil ihm der neue Auftrag überhaupt nicht gefiel.

Sam: Scheiß Spiel euer Ehren, raus in die Wildnis zu den igitt, Prolls. Und was kommt raus? Nichts. Null Komma Garnichts. Kein müder Euro, kein blasser Cent.

Jonas: Bonuspunkte, Sammy. Damit Jonas in Babylon bleiben kann und weiter arbeiten. Hör auf zu nöseln. Hast du das Material von der Prekariatsverwaltung?

Sam: Hab ich.

Jonas: Druck das Überstellungsdokument aus, und dann hilf mir bei den Vorbereitungen. Was zieh ich an?

Sam: Na was schon, gnä Frau? Prolluniform. Jogginganzug, aus billigem Plastik, und ein hoffnungsloser Ausdruck in den Augen.

Jonas: OK, Anzug wird geordert, Ausdruck wird geübt. Was brauch ich noch?

Sam: Sam natürlich. Indem daß mein Jonas ohne den selben nichts weiter ist denn ein tönend Erz bzw. eine klingende Schelle.

Jonas: Wie dem auch sein, wie du bist, als Handgerät kann ich dich jedenfalls nicht mitnehmen.

Sam: Hm?

Jonas: Das würde bei den Prolls auffallen, geklaut würde es auch. Sammy, du wirst verkleinert.

Sam: Oh nein, nicht wieder als Zahn in meines Jonas Mund, o noway.

Jonas: Dacor, dacor. Ich habe heute noch Kopfschmerzen, wenn ich dran denke. Fall Strafkolonie vor dreieinhalb Jahren. Ich laß dich auf Kugelschreibergröße schrumpfen.

Sam: Ein so gigantisch Hirn in einem winzigen Stift, muß dies denn wirklich sein?

Jonas: Es muß, Sam. Was brauchen wir aus der Hausapotheke?

Sam: Ein Röhrchen Exsalt wäre dringlich zu empfehlen. Als Gegenmittel. Bekanntlich wird in PH 1 Speis und Trank so allerlei zugesetzt. Lithium zur Ruhestellung, Steril zur Erschwerung der Fortpflanzung.

Jonas: Also Exalt. Eine Waffe. Ist mein Laser aufgeladen?

Sam: Ja, warum nicht gleich ne Feldhaubitze, Herr General. Einfuhr von Feuerwaffen in PH 1 strengstens verboten, aber auch aller aller allerstrengstens.

Jonas: Ohne seinen Laser und seine alte Smith & Wesson Detective Special fühlte Jonas sich nackt. Aber ein paar Tage würde es gehen. PH 1 war kein sehr gefährliches Pflaster, nicht wie das Niemandsland oder das Reservat. Dachte ich. Und lag voll daneben. Der überfüllte Prollbus rumpelte durch die nächtliche Wildnis, über eine Piste voller Steine und Schlaglöcher. Der Innenraum war dunkel, die Passagiere hockten stumm auf den harten Bänken, sahen aus dem Fenster, starrten vor sich hin. Die meisten schliefen, auch die Kinder, die zu Beginn der Fahrt noch kreischend herumgerannt waren. Jonas machte die Augen zu. Er wußte, wie es draußen aussah: totes Land in toten Farben, vergiftet und zerstört, für immer. Jonas schlief. Früh am Morgen waren wir da. Der Bus hielt neben einer grauroten leicht abgerundeten Betonwand, die bis in die Wolken ragte. Willkommen in PH 1. Wir trotteten durch das einzige Tor in der Wand, dahinter ein breiter Gang mit vielen offenen Türen. Jonas ließ sich durch eine der Türen treiben, in einen Empfangsraum. Dem Typ hinter dem Schreibtisch zeigte er sein Überstellungsdokument.

Stadtguerillero: Alles klar, Genosse, hier sind deine Gutscheine, die kannst du in den PH-Läden im ersten Untergeschoß einlösen. Oder in den Kneipen, gleich daneben. So, und jetzt kriegst du noch deinen Wohnchip. Single?

Jonas: Soweit ich weiß.

Stadtguerillero: Kleinkapsel 295-719. Der nächste.

Jonas: Wo ist das, wie komm ich dahin?

Stadtguerillero: 295. Stock. Ganz oben.

Jonas: Soll mir recht sein. Wo ist der Fahrstuhl?

Stadtguerillero: Fahrstuhl? Kaputt.

Jonas: Dann hätt ich lieber ne Wohnkapsel weiter unten.

Stadtguerillero: Haha, und ein paar Kulis zum Hochtragen, was? Mein Gott, Genosse, du bist doch noch knackig. Treppensteigen ist gesund, und denk doch mal an die tolle Aussicht. Der nächste.

Jonas: Der Typ vom Empfang sah nicht nach öffentlichem Dienst aus, eher irgendwie militärisch. Outfit in Tarnfarben, Stirnband, Zottelbart a la Fidel, und eine gutgeölte Kalaschnikow in der Armbeuge. Ein Söldner? Ein durchgeknallter Bürokrat. Darüber dachte ich nach, als ich nach oben stieg. Ich hatte viel Zeit, gut 4 Stunden. Ein guttrainierter Treppenläufer wäre schneller gewesen. Jonas war in Form. So einigermaßen, aber kein Treppenläufer. Eine halbe Stunde kam noch drauf, ausruhen und Finden der Wohnkapsel. Mit meinem Chip öffnete ich die Metalltür, und wunderte mich. Die Kapsel war besetzt.

Mann: Hi, Kumpel, da bist du ja endlich. Hast dir mächtig Zeit gelassen. Na, besser spät als nie.

Jonas: Das ist doch Kapsel 295-719.

Mann: Aber haargenau, Kumpel. Und?

Jonas: Das ist meine Kapsel, Kumpel. Raus.

Mann: Deine Kapsel, Kumpel? Hähähä, klar ist das deine Kapsel, aber weißt du was, du brauchst keine Kapsel mehr.

Jonas: Ach ja, verschwinde, Kumpel. Aber ganz schnell.

Mann: Immer mit der Ruhe, Kumpel. Erst muß ich meinen Job erledigen.

Sam: Dann schmeiß ich dich raus.

Mann: Glaubst du, du schaffst das?

Sam: Ja haha.

Jonas: Noch so ein Durchgeknallter. Kein typischer Proll. Er trug einen Overall aus silbergrauer Ballonseide. Auf der Brust ein Logo: zweimal der Buchstabe C in schwarz. Was sollte das heißen?

Mann: Möchtest du wissen, Kumpel, was?

Sam: Alarm. Tatü Tata. Feind greift an.

Jonas: Wo Sammy?

Sam: Na wo, hinter dir, du Traumtänzer. Ein hinterlistiger Hinterlist äh Hinterhalt, dreh dich um.

Jonas: Durch den Flur kam der Zwilling des Typs in der Kapsel. Silberner Overall, CC auf der Brust, in der rechten ein Laserstrahler. Das machte mir Sorgen. Noch mehr Sorgen machte mir der Typ in der Kapsel. Weil er auch einen Laser zog. Jonas mußte was unternehmen, dringend. Ich machte einen großen Schritt in die Kapsel und zog die Tür hinter mir zu. Gleichzeitig ein schulmäßiger Thai-Kick gegen die rechte Hand des Besetzers, sein Laser flog durch die Luft, und verschwand hinter der Pritsche. Sein Besitzer tauchte ab und krabbelte. Ich nahm den Stuhl und zerlegte ihn auf seinem Kopf. Er legte sich zur Ruhe, gut so. Ich griff mir den Laser und verriegelte die Tür. Gerade noch rechtzeitig. Typ Nr. 2 war da und trat gegen die Füllung.

Sam: Hier ist unseres Bleibens nicht länger, o Gefährte meiner Jugend.

Jonas: Du hast ja so Recht, Sammy. Hier drin ist es eng, die Luft ist schlecht und der will mich killen.

Sam: Nicht lange mehr, und es wird ihm einfallen, daß er im Besitz eines Laserstrahlers ist, und dann wird er beginnen die Tür zu demolieren, will sagen, mein Meister hat nur noch ganz einige wenige, einige ganz wenige, egal, Minuten sich vom Acker zu machen.

Jonas: Wohin Sam, und wie? Durch die Wand geht's nicht raus.

Sam: Fenster.

Jonas: Nicht zu öffnen. Und die Scheibe stabil, bruchsicher.

Sam: Mit Hand, Fuß oder Stuhl ist das Glas nicht knackbar, euer Merkwürden, mit einem Laser jedoch, denn siehe, auch wir haben einen solchen.

Jonas: Gute Idee. Ich laserte ein Loch in die Scheibe, gerade groß genug für einen schlanken Jonas. Der kroch durch und wartete draußen, beide Füße auf einem schmalen Sims, linke Hand am Fensterrahmen, rechte mit dem Laser in Augenhöhe. Durch die kaputte Tür stolperte der zweite Typ. Ehe er die Lage peilen konnte, drückte ich ab. Er fiel auf seinen Zwilling und blieb liegen.

Sam: Sagen Sie mal, Herr Oberförster, ist das nicht eine wunderbare Aussicht, atemberaubend geradezu, ah, die Wildnis, eine Symphonie in rot und grau und gelb und schwarz, auch nicht das kleinste bißchen Grün stört den erhabenen Gleichklang. Unser heißgeliebtes Babypsilon als Schmuddelfleck am Nordhorizont. Rechts die Superkräne über den Baustellen von PH 2 und PH 3, ist es nicht bonfotionös, o daß unsereiner malen könnte.

Jonas: Genau was ich jetzt brauche Sam. Ich hänge draußen an PH 1 in einer Höhe von 600 Meter, mindestens, der Wind pfeift, und du sülzt mir die Ohren voll mit der schönen Aussicht, die kannst du dir sonst wo hin stecken.

Sam: Arschgeige, Banause, Dumpfbacke, Unästhet.

Jonas: Ich will hier weg, ich will rein, ich bin keine Fliege.

Sam: Bleib auf dem Sims, Chef, jetzt langsam nach rechts, ganz langsam, ganz ruhig, nicht nach unten sehen, o Gott mir wird schlecht.

Jonas: Jonas krabbelte seitwärts, immer an der Wand lang, extrem vorsichtig, die Füße rutschten zentimeterweise über den Sims, die Hände krallten sich in die Wand. Hinter den Fenstern, die ich passierte massenhaft Prolls, stumpfsinnige Glotzer, neugierige Nasenquetscher, wie im Aquarium, dann war ich da, wo ich hinwollte, am Regenrohr.

Sam: Up, up and away, oder wie die alten Römer sagten, excelsior, steig, mein Jonas, steig, steig hoch, 296. Stock, 297. 298. 299. 300.

Jonas: Und da verließen sie uns. Oder wie die alten Römer sagen: Nonplusultra. Das heißt Sense, Ende der Fahnenstange.

Jonas: Ich wollte aufs Flachdach, aber das ging nicht, es sprang zu weit vor, ein professioneller Akrobat hätte es geschafft, vielleicht. Jonas war bestenfalls Amateur. Was jetzt. Ausruhen wäre schön gewesen. Ging aber auch nicht. Der Typ im silbernen Overall war zu sich gekommen und steckte seinen unschönen Kopf aus meinem Fenster, fünf Stockwerke tiefer. Ich hielt mich mit den Pobacken fest und mit einer Hand, mit der anderen zog ich meinen Laser aus dem Gürtel, und schoß. Ich traf nicht, aber der Typ verschwand, soweit OK, richtig weiter half mir das aber auch nicht. Plötzlich baumelte was vor meinem Gesicht. Ein Seil, von oben, vom Dach.

Mira: Halt dich fest, wir ziehen dir rauf.

Sam: Halleluja. Wenn die Not am Größten, ist Gottes Hilfe am nächsten. Nicht wahr Monsignore. Schnapp dir das Seil, oder willst du hier überwintern?

Jonas: Lieber nicht. Ich griff zu, erst mit der einen, dann mit der zweiten und wurde aufs Dach gezogen, über den Vorsprung, das war schwierig, weh tat es auch, wegen der Abschürfungen, aber schließlich stand Jonas oben, und sah, wer ihn gerettet hatte: ein blonder Hüne, er hatte sich das Seil um die rechte Schulter gewickelt, den linken Arm hielt er unter einem bunten Tragetuch, das er sich um den Hals geknotet hatte, und in dem Tuch, ein Kind, ein Mädchen, nein eine junge Frau, schwarzhaarig, sie trug eine Brille und ein rotes Tanktop. Mehr brauchte sie nicht, sie hatte weder Arme noch Beine. Ein Torso.

Mira: Willkommen auf dem Dach, Fremder.

Jonas: Danke.

Mira: Gut, daß wir dich gesehen haben. Ist es hier oben nicht schön, so ruhig. Die anderen kommen nicht rauf, weil sie Angst vor Hautkrebs haben. Wir haben vor nichts Angst, weil wir schon alles mitgemacht haben. Ich bin Mira, Miss Landmine Kosovo 2015, mein Freund und Helfer heißt Rußlan, Mister HIV russische Föderation 2014. Aber inzwischen geht's ihm viel besser, nicht Rußlan?

Jonas: Ein seltsames Paar, aber nicht unsympathisch. Schon weil sie Jonas hochgezogen hatten. Sie redete, er schwieg, und überließ ihr alles, offenbar auch das Denken. Wie war Jonas an die Außenwand unterm Dach geraten? Wollte Mira wissen. Zwei Killer sind hinter mir her, sagte ich, in silbernen Overalls mit einem schwarzen Doppel-C auf der Brust.

Mira: Killer? Bei uns in PH 1. Unerhört, dagegen muß was unternommen werden. Rußlan, wir fahren gleich runter ins Zentralbüro und melden die Sache. Du kommst mit, Fremder.

Jonas: Jonas, so heiße ich. Nur Jonas. Sag mal, Mira, ist das Zentralbüro nicht ganz unten, im Erdgeschoß?

Mira: Genau. Zum Fahrstuhl, Rußlan.

Jonas: Der ist doch kaputt.

Mira: Ach was, das erzählen sie den Neuankömmlingen. Die Fahrstühle sind nicht für jeden, nur für besondere Bewohner. Wir haben ein Chip, Rußlan und ich.

Jonas: Da kommt einer der Killer!

Jonas: Er war aus einer Tür aufgetaucht, etwa 100 m entfernt, ein alter Bekannter, silbergrau und schwarz, ich hob den Laser, aber ehe ich abdrücken konnte, schlug Rußlan mir den Arm hoch.

Mira: Nicht gleich schießen, Jonas, wir machen das hier anders. Bring mich zu ihm rüber, Rußlan. Jonas, du wartest hier.

Jona: Jonas sah aus der Ferne zu, wie Mira mit dem Silberoverall redete. Der hörte zu, zuckte die Achseln, drehte sich um und verschwand durch die Tür. Sehr merkwürdig. Ansonsten lief es gut, für Jonas und seinen Auftrag. Wir waren im Fahrstuhl unterwegs zum Zentralbüro. Wo der PH-Chef residierte. Prekariatsrat Arnold. Oder doch nicht?

Mira: Arnold gibt's nicht mehr, Jonas, wir haben ihn vor vier Tagen abgeschafft.

Jonas: Abgeschafft. Was heißt das?

Mira: Revolution, heißt das, Genosse Jonas, Aufstand der Unterdrückten und Entrechteten. Es lebe die Revolution. Es lebe die Stadtguerilla.

Jonas: Sieh an, die Stadtguerilla steckt also dahinter.

Mira: Jawohl, wir haben die Führung der ausgebeuteten Massen übernommen. Unsere Erfahrung eingebracht, unseren revolutionären Elan. Weißt du, Jonas, du hast ja keine Ahnung, wie es in PH 1 zuging. Arnold hat regiert wie ein König. Wie ein Diktator. Mit seinen Guerillas hat er alle terrorisiert, von jedem Gutschein nahm er Prozente, jedes Privileg, Urlaubsscheine für Babylon, Fahrstuhlbenutzung ließ er sich bezahlen. Keine hübsche Frau war vor ihm sicher. Wer nicht tat, was Arnold wollte, dem ging's schlecht.

Jonas: Und Arnolds vorgesetzte Dienststelle? Die Prekariatsverwaltung in Babylon.

Mira: Hatte keine Ahnung, oder interessierte sich nicht für das, was in PH 1 los war. Wie auch immer, jetzt hat die Stadtguerilla die Macht übernommen. Seit Monaten haben wir unsere Leute eingeschleust. Wir haben Schlüsselpositionen besetzt.

Jonas: Der Typ am Empfang, mit der Kalaschnikow.

Mira: Einer von uns. Eine neue Zeit bricht an für PH 1, Genosse Jonas, eine bessere Zeit.

Jonas: Schön wär's. Was ist mit Arnold passiert?

Mira: Revolutionäre Gerechtigkeit. Es war nicht leicht, ihn in unsere Gewalt zu bekommen, er war umgeben von Leibwächtern, und in der Monitorwand im Zentralbüro konnte er praktisch in jeden Winkel von PH 1 kucken. Aber er machte den Fehler, sich eine von uns ins Bett zu holen, und da kriegte er eine andere Art Nahkampf, als er sich vorgestellt hatte, wir haben ihn und seine Leute vor ein revolutionäres Tribunal gestellt und abgeurteilt. Sie wurden aufs Dach gebracht, und mußten durch ein Spalier wütender Prolls Spießrutenlaufen. Alle wollten mal zuschlagen oder zustechen. Hast du oben nicht die Blutlachen gesehen? Ja und dann haben wir sie vom Dach geworfen. 300 Etagen. Bis er unten ankommt, hat der Mensch viel Zeit in sich zu gehen.

Jonas: Das Zentralbüro von PH 1 war so groß wie ein Fußballfeld. Hallenfußball. Kein Fenster, eine Längswand bestand nur aus Monitoren, davor ein Stadtguerillero am Schaltpult, schräg im Raum ein riesiger Schreibtisch. Sah aus wie Echtholz, und im Sessel dahinter eine Frau, die ich kannte.

Jonas: Karla?

Karla: Jonas, so sieht man sich wieder.

Jonas: Du bist also immer noch Chefin der Stadtguerilla.

Karla: Generalsekretärin des Politbüros, ja.

Jonas: Ich dachte, du hättest dich in Südamerika zur Ruhe gesetzt, mit der Tasche voller Diamanten, die du mir auf dem Traumschiff geklaut hast in der Karibik, vor über einen Jahr.

Karla: Ja, die Diamanten, 100 Millionen Euro, alle ausgegeben für die Weltrevolution.

Jonas: Hast du noch immer nicht genug vom Revolutionsgeschäft, Karla?

Karla: Das ist kein Geschäft, Jonas, das ist eine Aufgabe, eine Lebensaufgabe.

Jonas: Wenn du meinst.

Karla: PH 1 ist nur eine Zwischenstation. Morgen ist Babylon dran.

Jonas: Und dann die ganze Welt.

Karla: Du warst schon immer ein Skeptiker, Jonas, einer der am Rand steht und Witze macht. Wir haben was vor, sehr bald, ein ganz großes Ding, und dann wird man sehen, die Stadtguerilla lebt noch und wie.

Mira: Es lebe die Revolution.

Sam: So eine Scheiße.

Karla: Mira, ist meine beste Helferin, ein tolles Organisationstalent und clever. Kommen wir zu dir, Jonas, was suchst du in PH 1, ha, wer schickt dich?

Jonas: Niemand, sagte Jonas, ich wohne hier, Babylon hat mich rausgeschmissen, als Proll, reiner Volksrentner, ohne zusätzliches Einkommen.

Karla: Hahaha, armes Schwein. Bringt dein Detektivgeschäft nichts mehr ein?

Jonas: Nicht genug.

Karla: Du bist zu anständig, Jonas, das war schon immer dein Fehler. Hmh, was sollen wir jetzt mit dir machen. Mira und Rußlan, durchsucht ihn.

Mira: Ein Laser, Gutscheine, Chip für Wohnkapsel, billiger Kugelschreiber, Kleinpackung Exsalt, ein paar Centmünzen.

Karla: Kein Kleincomputer?

Mira: Nein.

Karla: Was hast du mit Sam gemacht, Jonas?

Jonas: Verschrottet. Er wurde immer unzuverlässiger, machte nur noch Fehler.

Karla: Er ruhe in Frieden. Irgendwie mochte ich die kleine Nervensäge.

Sam: Siehste.

Mira: Wir sollten Jonas liquidieren, Karla.

Jonas: Charmant.

Karla: Ich weiß nicht.

Mira: Eine Vorsichtsmaßnahme, damit er unser Projekt nicht stört.

Karla: Nein, wir werden dich einsperren Jonas, nur ein paar Stunden, bis unser Ding gelaufen ist.

Jonas: Die Gefängniszellen lagen ganz unten, im 3. Untergeschoß, neben den Versorgungsanlagen, den Generatoren, der Abwasseraufbereitung, der Ventilation usw. Das Loch, in das sie Jonas steckten, war winzig, meine Wohnkapsel war dagegen eine Villa. Ein Eimer, eine harte Pritsche für einen Zwerg. Das war's. Ich hatte nicht vor zu bleiben, nicht mal ein paar Stunden. Es wurde Zeit, den Kugelschreiber ins Spiel zu bringen. Der war sauer.

Sam: Unzuverlässig hat er gesagt, mein einer und einziger Jonas. O welche Schmach.

Jonas: Mein Gott Sam, ich hab gelogen, damit Karla nicht nach dir suchen läßt. Los, an die Arbeit, was läuft hier?

Sam: Unzureichende Daten Hochwürden.

Jonas: Was für ein Ding haben Karla und die Stadtguerilla vor?

Sam: Unzureichende Daten.

Jonas: Dann müssen wir sie uns besorgen, die Daten, das heißt wir brechen aus. Frage wie. Fenster gibt's nicht, Tür geht nicht, kein Laser mehr. Aha. Oben an der Decke, ein Gitter. Was ist das Sam? Du hast doch den Bauplan von PH 1 intus? Was ist das für ein Gitter?

Sam: Belüftungssystem, euer Heiligkeit.

Jonas: Na bitte. Jonas stieg auf den umgedrehten Eimer, drehte zwei Schrauben raus, mit einer 10-Centmünze, nahm das Gitter ab. Schlangenmensch Jonas paßte gerade so durch. Dann schlängelte ich mich durch einen Querstollen, bis zu einem vertikalen Schacht, den turnte ich hoch, ins 2. Untergeschoß, wo ich Stimmen hörte. Jonas ist Detektiv, das heißt neugierig, von Berufs wegen. Ich robbte in die Richtung und landete über einem großen Schlafsaal. Viele Feldbetten, belegt mit dunkelhäutigen Frauen und Männern, alle apathisch, offenbar chemisch ruhig gestellt. Sie starrten stumpf vor sich hin, wie Zombies. An der Tür stand Karla. Sie sprach mit einem Mann, hochgewachsen, bärtig, dunkelhäutig, aber nicht apathisch.

Karla: Sag ihnen, sie sollen sich bereit machen, in einer Stunden werden sie abgeholt und zum Bus gebracht. Hier sind die Urlaubsscheine. Damit kommen sie ganz offiziell nach Babylon. Am Busbahnhof wird die Stadtguerilla sie übernehmen und auf die festgelegten Ziele verteilen. Alles klar?

Jonas: Karla ging. Zwei Stadtguerillas warteten vor der Tür und begleiteten sie durch den Flur. Jonas folgte, oben, im Belüftungsstollen, ein paar Meter zurück, und daher sah er sie vor Karla und ihren Leuten, zwei Typen in silbergrauen Overalls, doppel-C auf der Brust, Sie tauchten plötzlich aus einem Seitengang auf und erschossen Karlas Leibwächter. Dann nahmen sie Karla ins Visier. Das konnte Jonas nicht zulassen. Durch das Gitter unter sich brüllte er:

Jonas: Hände hoch!

Jonas: Die Typen zuckten zusammen, drehten sich um, eine Sekunde, genug für Karla. Ihr Laser zischte zweimal, die Typen fielen um und blieben liegen. Jonas hatte indessen seine 10 Cent aktiviert und das Gitter abgeschraubt, dann ließ er sich in den Flur fallen.

Karla: Jonas, wie kommst du hierher?

Jonas: Ach weißt du Karla, in kleinen Löchern krieg ich Platzangst. Danke.

Karla: Danke?

Jonas: Danke Jonas, du hast mir das Leben gerettet. Hättest du sagen sollen. Was sind das für Kerle, die Silbergrauen?

Karla: Keine Ahnung.

Jonas: Jedenfalls wollten sie dich umbringen Karla, und mich vorhin auch schon mal.

Karla: So, ich hab jetzt keine Zeit mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

Jonas: Klar, dein großes Projekt. Du willst Selbstmordattentäter nach Babylon einschleusen.

Karla: Woher... Ach natürlich, du hast sie gesehen. Im Schlafsaal. Jawohl Jonas, wir bringen sie nach Babylon, ins Zentrum der Unterdrückung und der Ausbeutung. Wir von der Stadtguerilla haben viele Jahre dagegen gekämpft, ohne Erfolg, aber jetzt haben wir uns mit der orientalischen Befreiungsfront zusammengetan, gemeinsam werden wir Babylon einen nachhaltigen Schlag versetzen. Nach dem letzten Mauerdurchbruch sind sie aus der Drittwelt zu uns gekommen, 100 wandelnde Bomben, 100 Fanatiker voll bis zur Halskrause, Semtex. Überall, wo es möglich ist, im Magen und Darm, unter der Haut, den Muskeln, in Fettgewebe ist Sprengstoff eingelagert, heute abend werden wir sie in Babylon verteilen.

Jonas: Die Stadtguerilla hatte eine lange Liste. Das Rathaus sollte hochgehen, die Sicherheitsverwaltung, Superkran Atlas, das Chips-Hochhaus und das Moxcenter, der Turm zu Babel natürlich, und sogar das Kulturministerium am van-Dusen-Platz.

Karla: Unter anderem. Heute um Mitternacht, pünktlich zum Jahreswechsel drückt jemand von uns in unserem geheimen babylonischen Hauptquartier auf den roten Knopf. Guten Rutsch, Babylon. Prosit Neujahr 2017.

Jonas: Jonas fand das alles gar nicht gut. Das wußte Karla. Sie hielt mir ihren Laser vor die Nase und nahm mich mit ins Zentralbüro. Wo Mira und Rußlan warteten.

Karla: Mira, wir haben ein Problem. Jonas weiß Bescheid. Auch wenn er hier und da mit uns sympathisiert, im Grunde ist er ein inkonsequenter Kleinbürger und wird versuchen uns zu hindern, aus der Zelle bist du ausgebrochen, daher wirst du jetzt unter strenge persönliche Bewachung gestellt. Mira und Rußlan, ihr bringt ihn nach nebenan und paßt auf ihn auf. Um Mitternacht laßt ihr ihn frei.

Jonas: Nebenan, das war ein kleiner Raum mit einem Sofa, einem Tisch und diversen Sesseln, eine Art Konferenzzimmer, Rußlan fesselte Jonas, sehr professionell, Arme nach hinten, Ober- und Unterschenkel zusammen, schlecht für die Durchblutung, aber handlich. Rußland legte mich auf dem Sofa ab, setzte sich mit Mira in einen Sessel, zog seinen Laser und paßte auf. Die Zeit verging, Rußlan und Mira wirkten müde, manchmal machten sie sogar die Augen zu, warum auch nicht, Jonas konnte nicht weglaufen. Jonas konnte überhaupt nichts tun. Aber da war ja noch Sam, der Kugelschreiber in meiner Brusttasche, der tat was. Er ging auf Wanderschaft.

Sam: Hey.

Jonas: Sammy. Was ist?

Sam: Komm näher, laß den Kopf hängen, was glaubst du was Sam entdeckt hat.

Jonas: Entdeckt. Wo?

Sam: In Miras Computer. Rußlan trägt ihn in seiner Hosentasche spazieren.

Jonas: Und?

Sam: Minderwertiges Modell, praktisch Analphabet der Kollege, falls man ihn so nennen kann. Der letzte Husten, der, nicht du, dennoch und trotzalledem ist Sammy mal reingewandert, was tut ein kleiner wackerer Computer nicht alles für seinen inniggeliebten Herrn, und was hab ich gefunden an jenem finsteren Ort?

Jonas: Sag's schon, Sammy, komm zu Potte.

Sam: Erstens eine umfangreiche Geheimdatei betitelt CC.

Jonas: Ach was. Kannst du sie knacken?

Sam: Sam knackt alles, das weißt du doch. Dürfte jedoch etliche Stündchen dauern.

Jonas: Zu viel. Und zweitens?

Sam: Zweitens. Ein höchst präziser Plan von PH 1, ganz wie der in Sam abgespeicherte, mit einem entscheidenden Unterschied. Genau mit 100 entscheidenden Unterschieden. Denn dies, o Scheich ist die Anzahl der roten Kreuze, welche überall im Plan angebracht sind. Ein Demolutionsexperte, und ist Sam nicht ein Experte, erkennt sofort, Sprengladungen, angebracht an den kreuzweise markierten Punkten, würden ganz PH 1 zum Einsturz bringen.

Jonas: Was sollte das nun wieder bedeuten. Jonas hatte so eine Ahnung. 100 Kreuze, 100 Attentäter. Ich gab Sam einen Auftrag, er sollte den Hauscomputer kontakten und die Intercomleitung zwischen Zentralbüro und Konferenzraum aktivieren. So konnte Karla hören, was hier gesprochen wurde. Hoffentlich war sie an ihrem Schreibtisch, das wäre gut für sie, für Jonas, und für 900.000 Prolls in PH 1. Alles weitere hing von Jonas ab. Er mußte Mira die Würmer aus der Nase ziehen. Das ging besser als erwartet. Jonas fiel vom Sofa. Mira wachte auf.

Mira: Oh, runtergefallen. Selber schuld. Jetzt kannst du da liegen bleiben.

Jonas: Mir ist langweilig.

Mira: Na und. Und auch.

Jonas: Spielen wir ein Spiel, Spielen wir fragen und antworten, ich fang an. Meine erste Frage lautet: Wer oder was ist CC? Keine Antwort, auch gut. Nächste Frage, warum wollt ihr beiden Karlas wandelnde Bomben dazu benutzen, PH 1 in die Luft zu sprengen.

Mira: Ich weiß nicht, wie du das rausgekriegt hast, Jonas, aber das spielt eigentlich keine Rolle. Du bist eine Leiche auf Urlaub. Sobald Karla ausgeschaltet ist, bist du dran. Warum sollte ich dir also nicht deine Fragen beantworten. CC steht für Club Caligari, so benannt zu Ehren der seligen Frau Prof. Caligari, du kanntest sie, Jonas, du hast ihre Pläne vereitelt und sie schließlich umgebracht.

Jonas: Das war schon mehr als 6 Jahre zurück. Fall Testmarkt, Fall Schlachthaus, Fall Kidnapper. Caligari hatte sich auf ein Thema konzentriert, die Reduzierung der Überbevölkerung durch Reduzierung der Bevölkerung.

Mira: Mit zugegeben noch recht kruden Methoden. Wir vom Club Caligari haben sie erheblich verfeinert.

Jonas: Wer ist Mitglied in diesem Club? Du nehm ich an. Rußlan.

Mira: Wir sind stolz darauf, obwohl wir nur Rädchen im Getriebe sind. Club Caligari ist eine extrem geheime Organisation, der die Spitzen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in Babylon angehören. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, das Prekariat zu beseitigen, eine viel zu große Schicht nutzloser Fresser, die nur öffentliche Gelder verschlingen und nichts zum Sozialprodukt beitragen. Der CC erfuhr von Karlas Projekt Prosit Neujahr Babylon, der Geheimdienst, der die Stadtguerilla seit langem beobachtet, hat uns informiert. Tja, hier bot sich uns eine geradezu geniale Gelegenheit, Prolls in großer Menge zu eliminieren, und die Urheberschaft der Stadtguerilla und orientalischen Fanatikern in die Schuhe zu schieben.

Jonas: Genial.

Mira: Nicht wahr. Meine Wenigkeit hat den Plan ausgearbeitet. Ich habe Karla vorgeschlagen, die lebenden Bomben in PH 1 zu lagern, demnächst, das glaubt die gute Karla, wird ein Bus sie nach Babylon bringen, doch in Wahrheit wird dies geschehen: Unsere Leute, die wir hier versammelt und in Untergeschoß versteckt haben, in Lagerräumen, die nicht videoüberwacht sind, werden Karla und die Stadtguerillas töten und dann die Selbstmordattentäter im Gebäude verteilen, und wenn um Mitternacht ein ahnungsloser Typ in Babylon auf den Knopf drückt.

Jonas: Bumm. Aber nicht für Babylon, für PH 1. Genial.

Mira: Ach, du wiederholst dich, Jonas.

Jonas: Die Typen in Silbergrau, eure Leute?

Mira: Exakt. Wir haben, wir haben vom Geheimdienst erfahren, daß, daß die Prekariatsverwaltung dich angeheuert hat, Jonas, und und da haben wir gleich zwei Killer auf dich angesetzt.

Jonas: Dann verstehe ich nicht, wieso du mich gerettet hast, Mira. Vorhin auf dem Dach. Auf dem Dach.

Mira: Eine Laune. Wollte sehen, was du für einer bist. Wußte ja nicht, wußte ja, wußte ja, wir würden dich kriegen, jederzeit, wann immer wir es wollen. Was... was.

Jonas: Keine Ahnung. Mira konnte nicht mehr reden, Jonas auch nicht. Und obwohl ich mich bemühte, die Augen offen zu halten, sah ich nichts, nur Schatten, die immer dunkler wurden, immer größer, ich verlor das Bewußtsein. Ich wachte auf, mit einem Brummschädel, aber ich konnte mich bewegen, die Fesseln lagen zerschnitten auf dem Boden, Mira und Rußlan waren nicht mehr da, ich hinkte rüber ins Zentrallabor, Karla und ihre Leute, alle weg. Ich sah auf die Monitorwand, die orientalischen Attentäter waren auch verschwunden, die silbergrauen CC-Typen waren noch da, allerdings mausetot. Das sah ich nicht auf einem Monitor, das sagte mir Sam, der war auch noch da.

Sam: Ein Tusch, Herr Kapellmeister. Trara. Ein bißchen Gas bringt Sam nicht um.

Jonas: Gas?

Sam: Ja, Giftgas, durch Karla in die Lagerräume geleitet, nachdem sie euer Gnaden Gespräch mit Miss Mira vernommen hatte. Menschen sind ja so schwach, so unzulänglich, eine Prise Giftgas, und siehe, sie waren einmal. Computer dagegen sind stark, ohne Fehl und Tüdel, äh Tadel.

Jonas: Hör auf dich in die Hühnerbrust zu werfen. Erklär mir lieber warum ich noch lebe. Karla hat doch sicher auch ins Konferenzzimmer Gas eingeleitet.

Sam: Hat sie, Herr Kammerjäger, jedoch kein tödliches Gift, vielmehr ein sanftes Betäubungsgäslein. Alldiweil besagte Dame in ihrem schwarzen terroristischen Herzen ein winziges warmes Plätzchen hat für einen gewissen Detektiv, ne pas?

Jonas: Mag sein, Karla ist also weg, mit ihren lebenden Bomben, im Bus nach Babylon. Wie spät Sam?

Sam: Mit dem Gongschlag ist es, oink, 19 Uhr 23 Minuten.

Jonas: Wir müssen hinterher Sammy, sie aufhalten. Wie? Gibt's noch einen Bus?

Sam: Mit Neffen, äh Nichten. Wir fliegen, Kommandante, gegen England, sieh auf den Monitor.

Jonas: Im kreisförmigen Innenhof landete ein Helikopter, silbergrau, schwarzes Doppel-C am Rumpf. Kein Zwei-Personen-Winzling: Ein großes Gangship, bestückt mit Raketen und zwei schweren MGs.

Sam: Schneller geht's nicht, Genosse.

Jonas: Ich vermute, der Helikopter soll die Typen vom Club Caligari abholen, bevor hier alles in die Luft geht. Zwei Piloten, die müssen wir ausschalten.

Sam: Null Problemo. Wir gehen nach unten, da liegen genug CC-Uniformen herum, wir suchen uns einen Typ, der eine ähnlich maskuline Statur aufzuweisen hat, wie Jonas, ziehen ihn aus, nehmen seinen Laser, und dann heia Safari.

Jonas: 20 Minuten später startete der Helikopter, mit neuen Piloten, und flog in die Wildnis, immer der Piste nach, Richtung Babylon. Es war schon ziemlich dunkel, als ich ihn sah, den Bus, ein Stück voraus, ich überholte ihn, knipste den Scheinwerfer an und knallte ihm eine Rakete vor die Motorhaube. Der Bus hielt. Jonas nahm über sein Bordradio Verbindung mit Karla auf.

Karla: Jonas, wie kommst du in diesen Helikopter?

Jonas: Erzähl ich dir vielleicht ein andermal. Jetzt haben wir keine Zeit.

Karla: Was willst du?

Jonas: Dein Projekt ist gestorben, Karla, du wirst den Bus wenden und mit den lebenden Bomben in die Wildnis fahren, immer weiter, bis ich halt sage, verstanden.

Karla: Und wenn ich mich weigere, wenn ich weiter Richtung Babylon fahre.

Jonas: Dann setze ich die nächste Rakete direkt in den Bus. Und alle gehen hoch, auch du und deine Stadtguerillas. Das muß nicht sein.

Karla: Gut, wir wenden.

Jonas: Und dann fährst du nach Südosten, dem Helikopter nach, weit weg von Babylon und von PH 1.

Karla: Verstanden.

Jonas: Noch was, Karla, falls du vorhast, euren Knopfdrücker in Babylon zu erreichen, laß es, Sam war in deinem Computer und hat die Verbindung gekappt.

Jonas: Eine halbe Stunde vor Mitternacht ließ ich den Bus halten, in einem Felsental, wo er keinen großen Schaden anrichten konnte. Karla und ihre Leute durften aussteigen, die Selbstmordattentäter blieben im Bus. Der Helikopter schwebte über der Szene. 10 Meter oder so, Jonas behielt alles im Auge.

Jonas: Was ist mit Mira und Rußla?

Karla: Die Verräter? Die sind noch im Bus.

Jonas: Steigen sie nicht aus?

Karla: Können nicht, wir haben Rußla die Beine gebrochen.

Jonas: Auch gut. Und jetzt lauft. Ihr habt einen mühsamen Weg vor euch. Durch die Wildnis.

Karla: Könntest du mich nicht im Helikopter mitnehmen, Jonas?

Jonas: Könnte ich. Aber ich will nicht. Als ich das letzte Mal mit dir im Helikopter flog, mußte ich abspringen in die karibische See. Lauf du nur, eine lange Wanderung fördert die Gehirntätigkeit, und das hast du nötig.

Karla: Danke.

Jonas: Keine Ursache, beeilt euch. Es ist jetzt, Sam?

Sam: 23 Uhr und 49 Minuten.

Jonas: Du weißt ja, was demnächst hier passiert, Karla.

Sam: Hehe.

Jonas: Karla und Gefolge verschwanden zwischen den Felsen, so schnell sie konnten. Jonas stieg auf 300 m und ließ den Helikopter über dem Bus kreisen, bis 3 Minuten vor 12. Dann flog ich ab, Richtung Babylon, mit Vollgas.

Sam: 7,6,5,4,3,2,1, zoro. Happy new year Boss...

Jonas: Turmhohe Flammen hinter uns, der Sternenhimmel wurde ausgelöscht durch eine gigantische schwarze Wolke. Ich fühle mich nicht gut, 100 lebende Bomben waren in Feuer und Rauch aufgegangen, Mira und Rußla auch, aber was hätte ich anderes tun können. Außerdem hatten sie es so gewollt, und verdient sowieso. Ich war müde und kaputt. Jonas ist nicht mehr 20, auch nicht mehr 30 oder 40, in den letzten 24 Stunden hatte ich kaum geschlafen, nichts gegessen, statt dessen ein intensives Sportprogramm, Treppensteigen, kriechen durch enge Höhlen, klettern, von Fesseln und Laserstrahlern gar nicht zu reden. Ich hatte genug. Am Nachmittag war Jonas wieder zuhause. Falls man ein schäbiges Büroapartment von 22 qm Zuhause nennen kann. Und auch Sammy bezog wieder sein gewohntes Gehäuse.

Sam: Ach, das tut gut, jetzt kann ein kleiner Computer sich doch mal wieder so richtig recken und strecken. Ah, welche Wohltat.

Jonas: Raum ist in der kleinen Hütte, Sam. Ruf die Prekariatsverwaltung an.

Sam: Soll ich? Heute? Am Neujahrstag. Spinnst du total.

Jonas: Also am nächsten Tag. Jonas erstattete seiner Auftraggeberin Bericht. Persönlich. Wie besprochen. Diesmal nicht im engen Beichtstuhl, in ihrem Büro. Und sie war auch nicht mehr Carmen, sie war Prekariatsoberrätin Sakalauskas. Was ich ihr mitteilte, schien sie wenig zu beeindrucken.

Carmen: Revolution, Stadtguerilla, Club Caligari, eine erstaunliche Geschichte. Kaum zu glauben.

Jonas: Ich habe Ihren Auftrag ausgeführt und dabei Babylon vor einem massiven Anschlag bewahrt. Und PH 1 vor der Zerstörung.

Carmen: Das sagen Sie. Haben Sie Beweise, eindeutige, stichhaltige gerichtsfeste Beweise? Also nicht. Das macht die Sache sehr, sehr schwierig. Hmh, ich werde sehen, was sich tun läßt. Sie hören von uns.

Jonas: Ich hörte, zwei Wochen später. Per Fon.

Computerstimme: Und deshalb gewähren wir Ihnen in Anerkennung geleisteter Dienste einen Aufschub bis zum 30. Juni 2017. Sie haben also ein halbes Jahr Zeit durch die Akquirierung des erforderlichen Zusatzeinkommens dafür Sorge zu tragen, daß Ihre Lizenz als privater Detektiv und damit Ihr Sozialstatus erhalten bleiben. Sollte Ihnen das nicht gelingen, Herr Jonas, verzagen Sie nicht, nicht jeder ist zu höherem berufen. Sie werden in eine Prekariats-Heimstatt umziehen. Dort erwartet Sie ein durchaus angenehmes Leben, sofern Sie keine überzogenen Ansprüche stellen. Das Amt für freie Berufe wünscht Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören.

Das war Comeback. Eine Folge der Science-Fiction-Krimiserie Jonas. Nur Jonas. Und Sam. von Michael Koser. Nähere Informationen und die Folgen zum kostenlosen Download finden Sie unter www.Jonas-nur-Jonas-und-Sam.de. Eine Produktion der Kanzlei Dr. Bahr. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Thomas Karallus, Vanida Karun, Werner Klein, Deef Pirmasens, Angelika Thomas, Henning Venske und Elena Wilms. Ton und Technik: Marcus Giersch und Christoph Guder. Aufgenommen im Tonstudio Fährhauston in Hamburg (2008). Regie: Werner Klein.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:31
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Mafia

Jonas: Abends war ich im Casablanca gewesen. Allein. Ich hatte an Jamaro gedacht. Kein Wunder, daß ich in der Nacht von ihr träumte. Ein erotischer Traum war’s leider nicht. Außer vielleicht für einen Bondage-Fan. Jonas ist keiner.

Jamaro: Hilf mir, Jonas! Sie haben mich gefangen, die Russen und ihr schwarzer Teufel! Im Aeropuert(o). Zuviel Technik. Ich war nicht stark genug. Und jetzt halten sie mich fest. Gefesselt, unter Drogen. Du mußt mir helfen, Jonas.

Jonas: Jamaro, indianische Medizinfrau. Schamanin. Vor einem halben Jahr waren wir uns begegnet. Drüben, in Costaguana. Die Totentanz-Geschichte. Wir waren uns nahegekommen. Sehr nahe. Bis Jonas nach Babylon zurückflog. Jamaro blieb dem Mörder ihres Stammes auf den Fersen. Dem schwarzen Schamanen aus Sibirien, der für die Kompania arbeitete. Die Russen-Mafia.

Jamaro: Ich soll auch für sie arbeiten. Sie wollen mich zwingen. Alle meine Geheimnisse wollen sie mir entreißen. Und wenn sie sie haben, werden sie mich töten. Komm, Jonas, komm zu mir! Hilf mir, Jonas! Bitte!

Jonas: Jamaro?

Jamaro: Bitte.

Jonas: Wo bist du, Jamaro? – Jamaro?

Jonas: Am Fon war nicht Jamaro. Es war Juno Belinda. Darling Belinda. Chefin des Sicherheitsdienstes Safety First. Wir kannten uns schon lange. Seit dem Antarkti-schen Krieg. Zuletzt hatten wir im Fall Attentat zusammen gearbeitet. August 2012.

Belinda: Es ist ein wunderschöner Morgen, Jonas. Die Sonne scheint, die Vögel singen...

Jonas: In Babylon? Glaub ich nicht.

Belinda: Ist auch nicht wahr. Aber darauf kommt’s ja nicht an.

Jonas: Sondern?

Belinda: Auf die Haltung. Die innere Einstellung. Das positive Denken.

Jonas: Was willst du, Belinda?

Belinda: Dir was Gutes tun. Ich hab einen Job für dich.

Jonas: Danke. Für einen Sicherheitsdienst arbeite ich nicht. Ich bin Detektiv. Freier Detektiv.

Belinda: Der letzte. Ich weiß. Und auch noch stolz drauf. Krieg dich wieder ein, Jonas. Ich will dich nicht bei mir anstellen. Nur ein kleiner Aushilfsjob. Weil meine Leute zur Zeit alle anderweitig zu tun haben.

Jonas: Lieber nicht.

Belinda: Oh, der Herr sind total ausgebucht. Auftragsdatei voll bis zum Stehkragen - oder, Sammy?

Sam: Was? Äh, äh, äh, bitte Sam aus der Sache gütigst ausklammern zu wollen, Gnädigste. Ein Computer hört und gehorcht. Sonst nix.

Jonas: Was du nicht sagst, Sammy.

Sam: Genau das.

Belinda: Also, hör mal zu, Jonas. Ein paar Tage Ferien im Süden. Flug erster Klasse nach Palermo. Da mietest du dir eine Luxuskarosse. Oder von mir aus einen Helikopter. 5000 Euros Taschengeld.

Jonas: Es ging um den nächsten Eurogipfel. Alle drei Jahre treffen sie sich. Nicht die Politiker-Pappnasen und Plastikköpfe, die im Holo auftreten. Die echten Leiter und Lenker. Die Strippenzieher. Wirtschaft. Banken und Börsen. Forschung. Industrie. Medien und Kommunikation. Sie ziehen Bilanz. Und legen fest, wo’s in Zukunft langgeht.

Belinda: In fünf Tagen ist es soweit. Am 3. April 2016. Nicht in Davos oder Bilderberg, wie sonst, sondern im Centro Venti Venti. Dem hochmodernen neuen Kongreßzentrum in Sizilien. Und weil sich der Gipfel da zum ersten Mal trifft, haben die Teilnehmer aus Babylon mich beauftragt, die Sicherheitsvorkehrungen zu checken. Für einen Experten wie dich ist das eine Kleinigkeit.

Jonas: Ich werd mir’s überlegen.

Belinda: Was gibt’s da groß zu überlegen?

Jonas: Du hörst von mir, Belinda.

Sam: Greif zu, Knallschote. Dein Konto ist fast so leer wie deine Birne.

Jonas: Langsam, Sam. Bei meinen letzten Ausflügen in südliche Gefilde bin ich gewaltig auf die Nase gefallen. Ich sag nur Traumschiff. Und Knochenarbeit.

Sam: Wah, Schnee von gestern.

Jonas: Schnee, im Süden?

Sam: Egal. Ein neuer Fall, ein neues Glück. 5000 Euros, Mensch!

Jonas: Und dann Jamaro. Sie hat mich gerufen. Sie braucht Hilfe. Das war kein normaler Traum, Sammy.

Sam: Ganz recht, Herr Specht. Herr Schluckspecht. Das war ein alkoholischer Alb- und Katertraum, erzeugt vom sogenannten Whisky, welchen sich der Herr und Meister im Casablanca gestrigen Abends in Unmengen zugeführt habet äh bzw. eingeflößt hat, gelle?

Jonas: Davon war ich nicht so ganz überzeugt. Aber ansonsten hatte Sam recht. Sam hat meistens recht. Sam ist mein Computer. Er ist nicht nur schlau, er ist auch der Rede mächtig. Weniger vornehm ausgedrückt: Sam ist ein Quatschkopf. Eine Quasselstrippe. Sein Hersteller hat ihn seinerzeit mit Sprachprogrammen voll-gestopft. Und dann kräftig geschüttelt. Ein Versuchsmodell. Nie in Serie gegangen. Was besseres konnte Jonas sich nicht leisten. Damals, als er sich selbständig machte. Seitdem haben wir uns aneinander gewöhnt. Mehr oder weniger. Ich rief Belinda an. Und sagte zu. – 24 Stunden später flog ich den Leih-Helikopter über den Golf von Castellamare. Nordwest-Sizilien. Unter mir lag das Centro Venti Venti. Eine künstliche Insel mitten im Golf. Mit dem Festland verbunden durch einen schnur-geraden Damm. Der endete am Haupttor in der Mauer, die um die ganze Insel lief. Direkt vor dem Tor der Heliport. Ich landete. Stieg aus. Das Tor ging auf.

Juri Samarkand: Sieh da. Der große Sicherheitsexperte aus dem großen Babylon. Willkommen im Centro Venti Venti. Ich bin der Manager. Juri Samarkand. Äh, nennen Sie mich Juri. Und ihr Name ist... äh?

Jonas: Jonas. Nur Jonas.

Juri Samarkand: Richtig. Jonas. Frau Belinda hat Sie angemeldet. Ich soll Sie herumführen, Ihnen alles zeigen, was Sie sehen wollen... Äh und was wollen Sie sehen, Jonas?

Jonas: Ihre Sicherheitsmaßnahmen.

Juri Samarkand: Versteht sich. Eine pure Formalität, das versichere ich Ihnen. Unser Zentrum ist state of the art. Wir haben alles, was neu und gut und teuer ist: DNA Scanning, Voice Scanning, Retina Scanning, Face-Structure Scanning, Bodyheat Scanning, Monitor-Überwachung auch der entlegensten Ecken, überall Sensoren, überall Robodogs, kusch! Alles systhemisch integriert, rechnergesteuert und chaostheoretisch kalibriert, versteht sich.

Jonas: So. Und wenn Ihr Rechner abstürzt?

Juri Samarkand: Unmöglich.

Jonas: Versteht sich. Aber wenn doch?

Juri Samarkand: Äh dann, mein Lieber, greifen wir zurück auf die rustikalen Methoden der guten, alten Zeit. Mauer und Stacheldraht rundum, menschliches Wachpersonal mit Sturmgewehren, Laserstrahlern, Neurofreezern. Äh, kommen Sie.

Jonas: Wohin?

Juri Samarkand: Ich zeig Ihnen unsere Sicherheitszentrale. Mitten auf der Insel, im Tower, ganz oben. Da kriegen Sie den besten Eindruck.

Jonas: Die Insel war groß. Und weitgehend grün. Hinter Tor und Mauer lag ein Park. Echtrasen. Echtbäume. Darüber ragte das Kongreßgebäude auf. Und darüber der Tower. Wir mußten nicht laufen. Wir fuhren. Standesgemäß, in einem offenen Golf-Cart.

Juri Samarkand: Den Golfplatz haben wir weiter hinten. 18 Loch. Das hier ist unser genuin sizilianischer Orangenhain. Im Sommer sollten Sie mal kommen, Jonas. Apfelsinen in allen Farben, so groß wie Bowlingbälle.

Jonas: Genmanipuliert?

Juri Samarkand: Hm, exklusiv für uns in Holland maßgeschneidert. Immer das Neueste, immer das Beste - das ist unser Motto.

Jamaro: Jonas! Du bist gekommen.

Jonas: Jamaro!

Jamaro: Hilf mir, Jonas! Hol mich raus! Jonas.

Jonas: Wo bist du, Jamaro?

Jamaro: Jonas!

Juri Samarkand: Äh, wie meinen Sie, Jonas?

Jamaro: Jonas!

Jonas: Ich habe nur laut gedacht.

Jonas: Sie war laut und klar, Jamaros Stimme in meinem Kopf. Diesmal konnte es nicht Jacobs Whisky sein. Fast mechanisch folgte ich dem Manager ins Kongreßgebäude. In den Lift, der uns zum obersten Stockwerk des Tower brachte. In die zentrale Sicherheitsanlage der Insel. Computer. Schaltpulte. Und Bildschirme. An allen Wänden Bildschirme. Dunkel und tot. Bis Juri Samarkand sie einschaltete.

Juri Samarkand: Wenn wir Gäste haben, ist die Anlage natürlich besetzt. Und dann aktivieren wir auch unsere Kuppel. Unsere wirkungsvollste Sicherheitsvorrichtung. Sie müssen sich das etwa so vorstellen wie den Klimadom über Babylon. Nur viel, viel moderner und effektiver. Wenn die Kuppel aufgebaut ist... so, dann kommt niemand und nichts rein oder raus. Kein Attentäter, kein Geschoß, keine Bombe, kein Laserstrahl.

Jamaro: Jonas! Hilfe! Hier bin ich!

Jonas: Wieder Jamaro. Und diesmal hörte ich sie nicht nur. Ich sah sie auch. Auf einem der Bildschirme. Sie lag auf einer Pritsche. Gefesselt. In einem kahlen Raum ohne Fenster. Neben ihr stand Utschym Schetan. Der schwarze Schamane aus Sibirien. In seiner speckigen Arbeitskleidung. Mit einem Menschenknochen drosch er auf seine Trommel aus Menschenhaut. Dabei sah er in die Kamera. Und fletschte seine graugelben Zähne. Dann war er weg. Mitsamt Jamaro. Samarkand hatte die Bildschirme abgestellt. Einen Laserstrahler aus der Tasche gezogen. Und auf Jonas gerichtet.

Juri Samarkand: Ich habe das Gefühl, Sie sind nicht bei der Sache, Jonas.

Jonas: Jamaro ist hier. Auf der Insel. In Ihrem Centro. Wo haben Sie sie versteckt?

Juri Samarkand: Sie werden lästig, Jonas. Platz, Smert! Paß gut auf ihn auf! Wenn er sich bewegt, beißt du! Wie gesagt, Jonas, Sie sind lästig. Ein Ärgernis. Wir haben gewisse Pläne, was den Eurogipfel betrifft, und würden es vorziehen, dabei nicht von verliebten, telepathisch alarmierten Detektiven gestört zu werden. Also haben wir Maßnahmen getroffen, uns Ihrer, mein Lieber, bereits im Vorfeld zu entledigen, und zwar...

Jonas: Ich nahm Juri den Laser ab. Er war überrascht.

Juri Samarkand: Smert! Faß, Smert!

Jonas: Und noch mehr überraschte es ihn, daß Robodog Smert gar nicht daran dachte, Jonas an die Kehle zu springen. Statt dessen machte er Männchen.

Jonas: Braver Hund! Und jetzt fall tot um!

Juri Samarkand: Ich versteh das nicht...

Jonas: Mein Computer. Während Sie herumgetönt haben, ist er in Ihrem System spazierengegangen. Und hat ihren Fiffi umprogrammiert. Ist doch viel netter so. Gut gemacht, Sammy.

Sam: Merci. Man dankt. Ganz einfach war es nicht, das muß ich sagen, doch Sammy kennt kein Zittern und kein Zagen. Analog, digital, das ist ihm egal. Er hackt und knackt und packt und zwackt und kackt.

Jonas: Das reicht, Sam. Wir müssen weg. Den Herrn hier nehmen wir mit. Als Geisel.

Juri Samarkand: Sie kommen nicht weit, Jonas. Die Wachen sind alarmiert.

Sam: Holdiodidö.

Jonas: Da hatte er recht. Leider. Als wir zum Tor zurückfuhren, sah ich sie. Mindestens 20. Schwerbewaffnet. Ein Ausweichmanöver war dringend angesagt. Ich klopfte Juri auf den messerscharfen Scheitel. Old Shatterhands berühmter Jagdhieb. Kurz, aber schmerzhaft. Dann sprang ich ab. Und wedelte wie ein Slalomläufer um die Orangenbäume.

Jonas: Welche Richtung, Sammy?

Sam: Nach hinten. Da geht’s raus.

Jonas: Ich will aber nicht raus. Ich muß zu Jamaro.

Sam: Ja, viel Freude wird die Lady an meinem Jonas haben, wenn er sich ihr als tote Leiche präsentiert. Merke: Erst das Leben, dann die Liebe. Es gilt, Prioritäten zu setzen. Zahllose wilde Wächter wollen dir was. Mensch, hau ab. Verschwinde wie die Wurst im Spinde, hihi hihi. Um Jamaro kannst du dich später kümmern, hihi hihi.

Jonas: Das nahm ich mir vor. Ganz fest. Und lief. Nicht zum Tor. Von da kamen die Wächter. Zurück. Vorbei am Kongreßgebäude. Und am Golfplatz. Bis es nicht mehr weiter ging. Ich stand vor der Mauer.

Sam: An der Mauer, vor der Mauer steht ne dumme Pflanze, gell Chef?

Jonas: Und jetzt, Sammy?

Sam: Jetzt, äh, ja, äh.

Jonas: Rüberklettern?

Sam: Was? Ne, Einspruch, Euer Ehren. Kraxeln ist ja soo anstrengend. Und total sinnlos. Weil, die Kuppel ist noch immer aktiviert.

Jonas: Dann schalt sie ab, verdammt noch mal.

Sam: Is nich drin, Meista. Nich uff die Schnelle. Hochkompliziertes System. Det braucht Zeit, ja, und haben wir Zeit?

Jonas: Ach. Ich dachte, Sam hackt und knackt...

Sam: Gut Hack will Weile haben.

Jonas: Keine Sprüche, Sam. Rat und Tat. Das ist ein Befehl.

Sam: Befehl. Jawoll. Sieh nach unten.

Jonas: Tu ich. Und?

Sam: Ja, was erblicken Dero Scharfsicht entzündete äh entzückende Augen?

Jonas: Häh? Meine Schuhe.

Sam: Gott, ist der lahm! Unter den Schuhen!

Jonas: Äh, da ist ein Gullydeckel.

Sam: Aha. Heb ihn hoch, roll ihn weg.

Jonas: So. Und jetzt seh ich eine senkrechte Röhre. Mit Sprossen. Da...

Sam: Da steigst du munter - schnell mal runter.

Jonas: Ungern, Sammy. Huch, hier riecht’s aber nicht gut, du.

Sam: In der Tat, Sir. Wir scheinen wieder einmal in einem Fall von extrem schlechtem Odeur verstrickt zu sein.

Jonas: Ja, ich hab’s wörtlich gemeint, Sam. Hier, hier drin stinkt’s.

Sam: Jajaja.

Jonas: Oh, und es wird immer schlimmer.

Sam: Ja klar.

Jonas: Es wird immer schlimmer.

Sam: Ja, verläuft doch unter uns der Hauptwasserkanal, welcher Abfälle und sonstige menschliche Hinterlassenschaften auf direktem Weg ins Meer befördert.

Jonas: Du, ich hab so ne Ahnung, was jetzt kommt...

Sam: Ja, Luft an, Nase zu, und dann: Sprung ab, marsch, marsch!

Jonas: Es gab keine Wahl. Außerdem ist Jonas daran gewöhnt, von Sam durch die Scheiße gejagt zu werden. Allerdings noch nie so lange wie diesmal. Ich war nah am Ersticken, als ich auftauchte. Weit draußen im Golf von Castellamare. Gut einen Kilometer vor der Insel. Ich schnappte nach Luft. Und versuchte, mich notdürftig abzuspülen. Dann schwamm ich in Richtung Festland. Nicht gerade schnell. Bis ich was hörte. Motorengeräusch. Ein Boot von der Insel. Es kam direkt auf mich zu. Das gefiel mir nicht. Ich legte einen Zahn zu. Aber das Boot war schneller. Plötzlich noch ein Motorengeräusch. Ein zweites Boot. Vom Festland. Maschinenpistolen ratterten übers Wasser. Das Boot von der Insel drehte ab. Fuhr zurück. Das andere kam näher. Was ging hier vor?

Sam: Unzureichende Daten, Hochwürden. Insofern: Nix Genaues weiß man nicht.

Jonas: Unsere Rutschpartie durch den Schiet hast du offenbar gut überstanden.

Sam: Ja, Halle-halleluja. Dank dem Herrn Jonas, der in seiner unendlichen Güte seinem Sam einen absoluten undurchdringlichen Mikrofaser-Anzug spendiert und ihn sowohl wasser-, abwasser-, als auch wasserabwehrdicht gemacht hat. Was man von anderen Anwesenden nicht unbedingt behaupten kann.

Jonas: Du stinkst trotzdem.

Sam: Ja, auch Exzellenz stinken zum hohen Himmel, und was Durchlaucht da in den Haaren hängt... wuäh, igitt, pfui Teufel.

Basta: Hallo!

Pronto: Ahoi!

Basta: Kommen Sie ins Boot!

Pronto: Und halten Sie die Hände so, daß wir sie gut im Blick haben.

Sam: Ach du liebes Meingottchen, wie sehen die denn aus?

Jonas: Berechtigte Frage. Die beiden jungen Männer, die mich in ihr Boot zogen, trugen Anzüge, so schwarz wie ihre geölten Haare. Mit breiten weißen Streifen. Dazu Gamaschen. Schwarzweiße Schuhe. Weiße Krawatten zu schwarzen Hemden. Und antike Maschinenpistolen Typ Thompson. Ein historisches Outfit. Voll durchgestylt. Voriges Jahrhundert, 20er, 30er Jahre. Gangster. Chicago. Al Capone. Humphrey Bogart.

Jonas: Seid ihr aus einem Museum entsprungen? Oder wird hier ein Film gedreht?

Basta: Später.

Pronto: Die Nonna wird Ihnen alles erklären.

Jonas: Die Nonna? Ihre Frau Großmutter?

Basta: Sie will Sie sehen.

Pronto: Wir bringen Sie zu ihr.

Jonas: Die Großmutter der beiden Typen residierte offenbar auf dem Festland. Wir landeten in einer einsamen Bucht an der Westseite des Golfs von Castellamare. Vom Steg führte ein steiler Fußweg den Berg hoch. Oben stand ein Haus. Ein unschöner weißer Kasten. Mit einer gewaltigen Aussicht auf den Golf. Meine Begleiter schoben mich durch die Tür. Innen wartete eine alte Frau. Sehr alt. Weißhaarig. Nicht groß, aber breit. In einem schwarzen Taftkleid.

Nonna: Sehr gut, Basta. Sehr gut, Pronto. Wer ist der Mann?

Jonas: Ich kann selbst reden. Jonas ist der Name. Nur Jonas.

Nonna: Nur Jonas? Aus Babylon?

Jonas: Ja.

Nonna: Sie sind der letzte Detektiv!

Jonas: Haben Sie was dagegen?

Nonna: Keineswegs. Ich bin hocherfreut. Ihr Ruhm ist bis nach Sizilien gedrungen. Willkommen! Willkommen bei der Familie Malavita. Ich bin Donna Benedetta Malavita.

Basta: Die Nonna.

Pronto: Die Patin.

Nonna: Mein Gatte, Don Antonio Malavita. Meine Nichte Alessandra.

Jonas: Jetzt sah ich sie erst, in einer dunklen Ecke des Zimmers. Ein schlafender Greis im Rollstuhl. Auf dem Schoß eine Maschinenpistole. Daneben eine unscheinbare Frau unbestimmten Alters. Auch in schwarz.

Nonna: Alessandra kümmert sich um Don Toni. Seit er vor 30 Jahren bei Familienstreitigkeiten in New York schwer verletzt wurde, ist er an den Rollstuhl gefesselt. Er kann nicht mehr gehen.

Basta: Nicht mehr reden, nicht mehr hören, nicht mehr denken.

Pronto: Aber schießen kann er noch.

Nonna: Meine Urenkel kennen Sie bereits. Gianluca und Leoluca Malavita.

Basta: Genannt Basta und Pronto.

Pronto: Die tödlichen Twins.

Nonna: Geht wieder auf eure Posten!

Basta: Si, Nonna.

Pronto: Bene.

Jonas: Die beiden stellten sich ans Fenster. Und sahen hinaus. Auf den Golf. Wegen der schönen Aussicht? Das konnte ich mir nicht vorstellen.

Nonna: Wir beobachten die Insel. Das Centro Venti Venti.

Jonas: Warum?

Nonna: Wir wissen, daß dort in wenigen Tagen der Eurogipfel stattfinden wird. Und wir wissen auch, daß die Russen das Zentrum übernommen haben. Weil sie einen großen Coup im Schilde führen.

Jonas: Die Russen-Mafia?

Nonna: Äh, wenn wir Freunde bleiben wollen, Jonas, dann nennen Sie die russische Kompania nicht Mafia. Niemals. Es gibt nur eine Mafia. Die echte, die wirkliche, die historische, die einzige. Die Cosa Nostra. Und das sind wir.

Basta: Das heißt, der Rest.

Pronto: Was von der Mafia noch übrig ist.

Nonna: Und das ist, wie Sie sehen, Jonas, nicht eben viel. Eine Familie. Sie haben uns dezimiert, die Russen, sie haben uns aus dem Geschäft gedrängt, unsere Firmen übernommen, uns aus Amerika vertrieben, und jetzt kommen sie auch noch hierher, nach Sizilien.

Basta: In unsere Heimat.

Pronto: Unseren eigenen Hinterhof.

Nonna: Das lassen wir uns nicht bieten. Wir behalten sie im Auge und, was immer sie vorhaben, wir werden einschreiten!

Basta: Wir werden ihnen die Suppe versalzen.

Pronto: Und kräftig reinspucken.

Jonas: Die Kompania im Centro, mit Jamaro, ich muß meine Auftraggeberin anrufen!

Jonas: Die Kompania hat den Tagungsort unterwandert, sagte ich Belinda. Der Gipfel ist gefährdet. Sie nahm die schlechte Nachricht ausgesprochen cool auf.

Belinda: Das kriegen wir schon hin. Wo steckst du, Jonas?

Jonas: Über dem Golf. In einem Bungalow in... äh wie heißt das hier?

Nonna: Monte Speziale.

Jonas: Am Monte Speziale.

Belinda: Gut. Bleib da. Rühr dich nicht. Warte auf meinen Anruf. Ich werde das Nötige veranlassen. Bis dann.

Jonas: Arrivederci, Belinda. Ich hatte nicht vor, ihren Anweisungen zu folgen. Jamaro war im Centro. Gefangen. In Gefahr. Ich mußte zurück zur Insel. So schnell wie möglich. Vielleicht würden die Malavitas mir helfen. Ich wollte das mit der Nonna besprechen. Aber es kam was dazwischen.

Basta: Ein Helikopter, Nonna!

Pronto: Von der Insel!

Basta: Mit Raketen!

Pronto: Und MG!

Nonna: Die Russen. Sie greifen uns an.

Basta: Jetzt sind sie über uns!

Pronto: Sie wollen auf dem Dach landen!

Nonna: Wir setzen uns ab. Plan B. Mach die Klappe auf, Alessandra.

Allesandra: Si, Mama.

Nonna: Basta und Pronto, ihr tragt den Rollstuhl mit Don Toni.

Basta: Si.

Pronto: Bene.

Nonna: Kommen Sie, Jonas.

Jonas: Unter der Falltür im Boden führten Stufen nach unten. In einen Felsenkeller. Und da fing ein Gang an. In den Berg. Mit leichter Neigung nach unten. Das war unser Fluchtweg. Nach etwa 200 Metern hielten wir. Die Nonna öffnete eine in die Felswand eingelassene Stahltür. Hinter ihr war eine Monitor-Anlage. Die Nonna schaltete sie an. Auf dem Bildschirm erschien der Bungalow. Von außen. Der Helikopter war gerade auf dem flachen Dach gelandet. Bewaffnete steigen aus. Die Nonna nickte zufrieden. Und drückte auf einen roten Knopf.

Basta: Hurra!

Pronto: Eins zu null für uns!

Basta: Die Russen haben ihren Helikopter verloren!

Pronto: Und 10 Mann, mindestens!

Jonas: Ihr Haus ist aber auch draufgegangen.

Nonna: Das macht nichts. Es war häßlich. Und wir brauchen es nicht mehr. Die Feindseeligkeiten sind eröffnet. Weiter! Wir haben noch einen langen Weg vor uns.

Jonas: Etwa 5 Kilometer. Durch den Berg. Immer schräg nach unten. Und dann waren wir angekommen. In einem gutbestückten Weinkeller. Darüber lag ein weiter, heller Raum. Bunte Teppiche auf blauen Fliesen. Massive Echtholzmöbel. An den Wänden Heiligenbilder in schreienden Farben. Und eine überlebensgroße Madonna aus bemaltem Gips. Direkt neben ihr hingen Waffen: Maschinenpistolen. Und Handgrananten. Es roch nach Wein und Weihrauch, nach Friedhof, Knoblauch und Olivenöl. Vor dem riesigen Fenster eine große Terrasse. Palmen in Tonkübeln. Und ein Automobil. Ein antiker Cadillac in schwarz und gelb.

Basta: Großonkel Als berühmte Panzerlimousine. 1928.

Pronto: Nonna hat sie aus Chicago mitgebracht.

Nonna: Sie befinden sich in der Villa Malavita, Jonas. Am Standrand von Castellamare. Stammsitz und Hauptquartier der Familie Malavita. Nun, was sagen Sie?

Jonas: Eindrucksvoll. Ich kann ihn spüren. Hier weht er.

Nonna: Wer?

Jonas: Der Wind der Geschichte.

Jamaro: Jonas! Hilf mir! Hast du mich vergessen?

Jonas: Nein, Jamaro. Signora Malavita, ich muß ins Centro!

Nonna: Nennen Sie mich Nonna. Wie die anderen.

Jonas: Die Russen halten da eine Freundin von mir fest.

Nonna: Die wollen Sie rausholen. Und dazu brauchen Sie unsere Hilfe.

Jonas: Allein werde ich's kaum schaffen.

Nonna: Wir tun uns zusammen, Jonas, Sie helfen uns, wir helfen Ihnen. Was schlagen Sie vor?

Jonas: Ein Kommando-Unternehmen. Ein kleiner Stoßtrupp dringt ein. Holt Jamaro. Kommt mir ihr zurück.

Nonna: Basta und Pronto, ihr geht mit Jonas.

Basta: Aber sicher.

Pronto: Mit Vergnügen.

Jonas: Frage: Wie kommen wir ins Centro?

Nonna: Na, hat ihr schlauer kleiner Computer das Sicherheitssystem noch immer nicht geknackt?

Jonas: Sam?

Sam: Sam arbeitet dran.

Nonna: Also noch nicht.

Sam: Oma, du hast ja keine Ahnung. Das ist Elektronik, capisc'? Hochmoderne Technik. Schwerstarbeit. Da muß ein kleiner Computer mächtig transsibirien Korrektur transpirieren.

Jonas: Halt die Backen, Sam, knack weiter.

Sam: Ja.

Nonna: Also machen wir’s auf unsere Art. Wissen Sie, Jonas, hier, wo wir zuhause sind, hier sind wir noch wer. Wir werden respektiert, wir haben Einfluß und Verbindungen. Zu den hier ansässigen Firmen zum Beispiel, die das Centro Venti Venti beliefern.

Jonas: Am nächsten Morgen fuhr ein E-Laster über den Damm zur künstlichen Insel. Viveri stand dran, und Traffico all Ingrosso. In der Fahrerkabine saßen Basta und Pronto. In weißen Kitteln. Darunter Maschinenpistolen. Die Ladung bestand aus diversen Lebensmitteln. Aus Handgranaten. Dynamitstangen. Und aus Jonas. Der auch eine MP hatte. Auf der Höhe des Heliports, wo noch immer mein Helikopter wartete, führte eine Rampe nach rechts. Am Haupttor vorbei. Zum Lieferanteneingang. Basta winkte freundlich. Der Wächter drückte auf einen Knopf. Das Tor ging auf. Wir fuhren ein. In die Sicherheitsschleuse. Von hier ab mußten wir uns den Weg freisprengen. Und freischießen.

Basta: Das war der Wächter.

Pronto: Er ruhe in Frieden.

Jonas: Basta! Dynamit an die Innentür!

Basta: Si.

Jonas: Pronto, gib Feuerschutz!

Pronto: Berto.

Juri: Hallo, Jonas. Ich heiße Sie zum zweiten Mal im Centro Venti Venti willkommen. Wir sind auf Sie vorbereitet. Unsere parapsychologische Wunderwaffe, der Schamane aus Sibirien, hat Ihre Gedanken gelesen und uns gewarnt.

Jonas: Juri Samarkand. Nicht leibhaftig. Auf einem Bildschirm, der plötzlich hell geworden war. Seine elegante Erscheinung wurde durch einen Kopfverband erheblich beeinträchtigt. Was Jonas erfreute. Aber das war auch der einzige Grund zur Freude.

Juri: Ihr törichter Drang, die Indianerin zu befreien, macht Sie für uns zu einem immer massiveren Störfaktor, Jonas. Darum haben wir beschlossen, obwohl wir Jamaro gern an der Seite des Schamanen für unsere Ziele eingesetzt hätten, das Objekt Ihrer Begierde ein für allemal zu beseitigen. Utschym Schetan! Fang an!

Utschym: How.

Jonas: Juri trat zurück. Ich sah Jamaro. Sie lag auf der Pritsche. Anscheinend bewußtlos. Der schwarze Teufel tanzte wie ein tapsiger Bär um sie herum. Und trommelte. Jamaro fing an zu zittern. Zu zucken. Plötzlich öffnete sie die Augen. Sie sah mich an. Bäumte (Beugte) sich auf. Blut strömte ihr aus Mund und Nase. Sehr viel Blut. Sie fiel zurück. Und lag da. Ganz still. Mit offenen Augen.

Juri: Gut gemacht, Utschym Schetan.

Utschym: How.

Juri: Jamaro ist tot.

Jonas: Nein...

Juri: O doch. Tot wie ein Türnagel. Sie sehen, Jonas: Ihr weiterer Aufenthalt auf unserem Gelände ist zwecklos.

Jonas: Nein!

Jonas: Ich sah rot. Ich feuerte auf den Bildschirm. Auf Wände und Türen. Bis ich einen heftigen Schlag auf den Kopf kriegte. Von hinten. Und zusammenbrach. Ich wachte auf. In der Villa Malavita. Der Kopf tat mir weh. Aber das war nichts gegen den Schmerz tief innen.

Jonas: Jamaro ist tot. Sie haben sie umgebracht. Der schwarze Teufel und Samarkand.

Basta: Sie sind ausgerastet, Jonas.

Pronto: Wir mußten Sie beruhigen.

Basta: Nichts für ungut.

Pronto: Das Unternehmen haben wir abgebrochen.

Jonas: Ich mußte ihnen recht geben. Trotz meiner Trauer. Und meiner Wut. Wir wären alle drei draufgegangen. Jetzt konnten wir das tun, was getan werden mußte. Ich dachte nicht an Belinda. Nicht an meinen Auftrag. Ich dachte nur an Rache. Rache an Jamaros Mördern. Die Malavitas waren einverstanden. Sie wollten die verhaßte russische Konkurrenz vernichten. Wir hielten Kriegsrat. Die Nonna. Jonas. Und Sam.

Sam: Ein Tusch, Herr Kapellmeister! Tatatatui. Meine Daumen und Hirn, es halt geschnackelt, System ist geknackelt, na Oma, wat sachste nu?

Nonna: Ihr Computer ist recht laut, Jonas.

Sam: Wat bin ich?

Jonas: Da sind Sie nicht die erste, die das feststellt. Und sensibel ist Sam, weiß Gott, auch nicht gerade.

Sam: Ja, aber schlau. Und gerissen. Und einmalig clever. Sozusagen genial. Und absolut und total ganz und gar unentbehrlich.

Jonas: Leider, aber wie auch immer, jetzt kommen wir rein. Ins Centro.

Nonna: Sie meinen, Frontalangriff? Durchs Tor und über die Mauer?

Jonas: Was denn sonst?

Nonna: Wir bleiben draußen und lassen die Russen kommen. Wir räuchern die Bande aus. Ihr Sam wird die Schutzkuppel aktivieren.

Sam: Wat werd’ ich?

Jonas: Deaktivieren, wollten Sie sagen.

Nonna: Na, er wird sie aktivieren. Und aufrechterhalten.

Sam: Na, Peanuts. Macht Sammy mit links.

Nonna: Oben in der Kuppel ist ein Loch.

Sam: Yes, für den Ausstoß von CO2. Kohlendioxid. Sehr ungesund. Nur 25 cm Durchmesser.

Nonna: Da wird Gas eingeleitet. Reizgas, Tränengas, Mace. Was die Polizei so hat.

Jonas: Die Polizei?

Nonna: Die brauchen wir natürlich. Aber das ist kein Problem. Wie es der Zufall will, ist Großneffe Salvatore Malavita Chef der Polizei von Palermo.

Sam: Ja ist es denn die Possibility?

Nonna: Wir warten ein paar Stunden. Dann gehen wir rein. Mit Gasmasken. Wir sammeln die hilflosen Russen ein und lassen sie verschwinden. D'accordo?

Sam: Akkordeon?

Jonas: Am frühen Nachmittag lief sie an. Die Operation Rattenjagd. Die Russen saßen auf der Insel. Und fühlten sich sicher. Unter der undurchdringlichen Kuppel. Bis der Polizei-Helikopter kam. Mit einem Schlauch. Und einer gigantischen Gasflasche. Als die leer war, wurde das Loch abgedichtet. Der Helikopter flog zurück nach Palermo. Um die Insel waren Boote postiert. Voll mit Carabinieri. Falls die Russen versuchten, durchs Abwasser zu fliehen. Wie Jonas. Vor dem Haupttor standen wir. Jonas. Und die Mafia: Die Nonna. Basta und Pronto. Nichte Allesandra, und Don Toni im Rollstuhl. Er schlief nicht, ausnahmsweise. Er streichelte seine MP. Und lachte. In freudiger Erwartung. Die Nonna sah auf die Uhr.

Nonna: Zwei Stunden. Das sollte reichen.

Jonas: Denk ich auch. Kuppel deaktivieren, Sam.

Sam: Zu Befehl. Piep. Kuppel ist deaktiviert.

Jonas: Dann sollten wir die Gasmasken - Moment. Was ist das?

Basta: Das Tor! Es geht auf!

Pronto: Und zwei kommen raus!

Jonas: Juri Samarkand! Und der schwarze Schamane!

Juri Samarkand: Sie wundern sich, uns gesund und munter vor sich zu sehen, unbeeinträchtigt von ihrem hinterhältigen Gasangriff? Sehen Sie, mein Freund Utschym Schetan war so freundlich, uns beiden mit seinen speziellen Fähigkeiten die giftigen Schwaden vom Leib zu halten. Es war gar nicht leicht, und man sollte annehmen, er sei jetzt schwach und erschöpft. Aber ich kann ihnen versichern, das ist nicht der Fall. Ganz und gar nicht.

Utschym: How.

Nonna: Erschießt die beiden!

Sam: Jessesmaria.

Jonas: Es ging nicht. Die Maschinenpistolen versagten. Alle. Der Schamane hatte Macht über sie. Er trommelte. Juri grinste. Mir fiel was ein. Was Jamaro mir früher mal gesagt hatte. Im Regenwald von Costaguana.

Jonas: Messer! Über Messer hat er keine Macht. Basta! Pronto! Stecht zu!

Basta: Bene.

Pronto: Machen wir.

Jonas: Es stimmte. Der Schwarze hatte keine Macht über Messer. Aber er hatte Macht über Menschen. Basta und Pronto... wollten auf Juri und den Schamanen losgehen, aber sie konnten nicht, sie wendeten sich gegeneinander...

Juri Samarkand: Das kommt davon. Mein Beileid, verehrte Signora Malavita, ihre ohnehin winzigkleine Familie ist nun noch mehr zusammengeschrumpft. Seien Sie froh, wenn wir es dabei bewenden lassen. Leben Sie wohl. Ach, äh, Ihren zugelaufenen Detektiv, den überlassen Sie besser uns. Wir nehmen ihn mit, als Geisel und Schutzschild.

Jonas: Ob ich wollte oder nicht, ich mußte ihnen folgen. Zu meinem Leih-Helikopter auf dem Heliport. Sie fesselten mich. Und banden mich an ein kurzes Seil. Das machten sie am Helikopter fest. Sie stiegen ein. Juri setzte sich ans Steuer. Der Helikopter startete. Flog eine große Kurve über den Golf. Jonas hing unten dran. Drehte sich. Pendelte hin und her. Unter mir sah ich Bewegung. Der Bann des Schamanen war offenbar aufgehoben. Die Nonna beugte sich über ihre toten Urenkel. Don Toni im Rollstuhl sah dem Helikopter nach. Hob seine MP. Zielte kurz. Und drückte ab. Ein Ruck. Der Schuß hatte das Seil durchtrennt. Jonas fiel. Klatschte ins Wasser. Ging unter. Kam hoch. Ging wieder unter. Kam noch mal hoch. Bevor ich ganz ertrunken war, fischten mich die Carabinieri auf. Derweil verschwand der Helikopter mit Juri und dem Schamanen am nördlichen Horizont. Am Abend saßen wir in der Villa Malavita zusammen. Don Toni schlief wieder. Den Schlaf des Gerechten und Zielsicheren. Behütet von Alessandra. Die Nonna und ich, wir hatten nur einen Gedanken.

Nonna: Vendetta.

Jonas: Rache.

Nonna: Für Basta und Pronto.

Jonas: Für Jamaro.

Nonna: Wir werden sie töten, Samarkand und den Schwarzen.

Jonas: Das werden wir, Nonna. Aber dazu müssen wir sie erst haben.

Nonna: Wir werden sie finden.

Jonas: Sicher, bloß wo?

Sam: Hach, da sitzen sie und zermartern ihre mickrigen Gehirne. Menschen! Warum fragt ihr nicht Superhirn Samuel, Computer, extraordinaire?

Jonas: Willst du uns erzählen, du weißt, wo die beiden stecken, Sammy?

Sam: Nun, äh man hätte diesbezüglich, unter Umständen, gewissermaßen, sozusagen, irgendwie so eine Art Idee...

Jonas: Raus damit.

Sam: Leute, tretet rings heran, hört euch die Geschichte an, hört, was bald zu Babylon...

Jonas: Kurz, Sam, bitte, und in Prosa. Für deine Gedichte oder was du dafür hältst hab ich im Moment keinen Nerv.

Sam: Banause. 8. April 2016 Eröffnung Themenhotel Metropole in Babylon. Betreiber ist Strohfirma für Kompania - munkelt man.

Nonna: Das ist mir bekannt. Man ist deshalb vor einiger Zeit an unsere Familie herangetreten. Wegen Onkel Als Panzer-Cadillac. Den wollte man gern für das neue Hotel kaufen.

Jonas: Warum denn das?

Sam: Metropole, Dummi. Themenhotel, Weichkeks. Das Thema ist Al Capone. Gangster, Mafia, Chicago, Prohibition, Roaring Twenties. Und wo hatte Omas berühmter Onkel Alphonse sein Hauptquartier? Na? Hotel Metropole, Chicago, Michigan Avenue.

Nonna: Wir haben den Wagen natürlich nicht hergegeben.

Sam: Wenn also die Kompania hinter dem neuen Hotel in Babylon steckt und wenn Gospodin Juri Samarkand sowas wie der Hotelier der Kompania ist, dann, allerwertester Jonas, herzliebste Omama...

Jonas: Dann eröffnen sich uns gewisse Möglichkeiten.

Sam: Na bitte.

Jonas: Eine Woche später. Babylon. Markgrafenboulevard. Das neue Themenhotel Metropole wurde festlich eröffnet. Der übliche Auftrieb. Nur geladene Gäste. Nur sogenannte Prominenz. Die Bürgermeisterin natürlich. Holo-Stars. Der Serienmörder der Woche. Superbosse. Bischöfin und Erzdruide. Angesagte Drogen-Designer. Der Hochadel. Und Jonas. Sam hatte mir eine Einladung besorgt. Wie? Das müssen Sie ihn schon selbst fragen. Computer haben ihre kleinen Geheimnisse. Ich war also da. Wanderte herum. Es gab Echtwhisky. Stilecht aus Teetassen. Cocktails aller Art. Echtchampagner. Das echtmenschliche Personal machte auf Gangster und Charleston-Girls. Echtmusiker spielten Uraltjazz. Nostalgiker Jonas fühlte sich gut. Und vergaß fast, weshalb er gekommen war. Bis er Belinda traf.

Belinda: Jonas!? Was machst du denn hier?

Sam: Jonas, was machst du denn hier?

Belinda: Oh, der alte Sam.

Jonas: Ich trinke. Echten Scotch. Sowas kann ich mir zuhause nicht leisten. Dein Wohl, Darling Belinda.

Belinda: Du bist eingeladen?

Jonas: Nein. Aber du natürlich. Du bist sogar ein ganz spezieller Ehrengast, nehm ich an.

Belinda: Meinst du? Warum?

Jonas: Weil das Hotel der Kompania gehört. Und du gehörst auch der Kompania.

Belinda: Haha, ich? Wie kommst du denn auf die Idee?

Jonas: Drei Gründe. Erstens. Gleich nachdem ich dich angerufen und dir gesagt hatte, wo ich stecke, haben die Russen den Bungalow der Malavitas angegriffen. Zweitens. Die Kompania hat das Centro Venti Venti unterwandert, hatte ich dir gesagt. Du hast nichts unternommen. Der Gipfel wurde nicht abgesagt. Warum hast du die Warnung nicht weitergegeben?

Belinda: Das muß ich glatt vergessen haben. Und drittens?

Jonas: Es gab gar keinen Auftrag für dich, die Sicherheitsvorkehrungen in Sizilien zu checken. Sam hat sich mal in deinen Daten umgesehen.

Sam: Ja grüß Gott, gnädige Frau, wie geht's, wie steht's, wie schauts, kiß die Hand, bussi bussi.

Belinda: Du mich auch, Sam. Kreuzweise.

Sam: Jawohl.

Jonas: Warum hast du mich nach Sizilien geschickt, Belinda?

Belinda: Wegen dieser Indianerin.

Jonas: Jamaro?

Belinda: Wir wußten, daß sie mit dir in Verbindung stand. Telepatisch. Unser Schamane hat ihre Hilferufe abgehört. Wir machten uns Sorgen, du könntest durch Jamaro zuviel erfahren, womöglich überraschend eingreifen und unseren großen Coup stören. Wir wollten dich vorher aus dem Verkehr ziehen. Zu unseren Bedingungen. In aller Gemütsruhe.

Jonas: Darum hast du mich Juri Samarkand auf dem Tablett serviert. Mich ans Messer geliefert.

Belinda: Gott, wenn du es so melodramatisch ausdrücken willst.

Jonas: Der große Coup worum ging's da eigentlich, Kidnapping der Gipfelteilnehmer.

Belinda: Ah, nicht doch. Das ist Altmafia-Stil. Überholt. Uninteressant. Die Gipfelteilnehmer sollten abgehört werden.

Jonas: Wanzen?

Belinda: Ach was. Jeder Gipfelmensch hätte seine Sicherheitsexperten mitgebracht, und die hätten jede Wanze gefunden.

Jonas: Also mental. Telepatisch. Durch den Schwarzen Schamanen. Und Jamaro sollte auch dazu gezwungen werden.

Belinda: Genau, Jonas. Und da bist du ganz allein draufgekommen? Ohne Sam?

Sam: Oh da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich, doch wie spricht Volkes Stimme, pock, pock, pock, pock, auch ein blindes Huhn trinkt mal einen Korn, hick.

Jonas: Sam, halt die Klappe. Ich verstehe, Belinda. Wenn die Kompania weiß, welche Weichen in den nächsten Jahren gestellt werden, kann sie die richtigen Aktien kaufen, die richtigen Immobilien, in die richtigen Branchen investieren.

Belinda: Und so weiter. Elegant, nicht wahr? Und viel einträglicher als Kidnapping. Komm mit, Jonas. Ich will dir was zeigen.

Sam: Nana.

Jonas: Belinda ging voraus. Zu einem Lift, der nur mit Sonder-Paßscheibe funktionierte. Belinda hatte eine. Wir fuhren nach unten.

Jonas: Aus eurem großen Coup ist ja nun nichts geworden, Belinda...

Belinda: Das verdanken wir dir, Jonas. Und diesen sizilianischen Dorftrotteln. Mit denen rechnen wir später ab. Was dich betrifft, Jonas...

Juri Samarkand: Willkommen im Metropole, Jonas. Ich bin der Manager, Juri Samar... was rede ich da, äh das wissen Sie doch. Es scheint mein Schicksal zu sein, Sie immer wieder willkommen heißen zu müssen. Äh, treten Sie nur näher. Meinen Freund Utschym Schetan kennen Sie ja bereits.

Jonas: Sam. Gehirnblockade.

Sam: Wüßte nicht, was es da viel zu blockieren gäbe, Kumpel. Piep. Okay. Blockade steht.

Jonas: Om mani padme hum.

Sam: Om mani padme hum.

Jonas: Samarkand. Ein bewaffneter Bodyguard. Und der Schamane. Sie saßen hinten. An der Wand der großen Halle. Offensichtlich eine Garage. Vor einer anderen Wand standen drei antike LKW. Alte Autoteile lagen herum. Es roch nach Öl und Benzin.

Belinda: Ein historisch getreuer Nachbau der Garage in der North Clark Street, Chicago. Wo das berühmte Massaker am St.Valentinstag stattfand.

Juri Samarkand: 1929, am 14. Februar. Al Capone - Ihnen ist das zweifellos bekannt, Jonas - Capone hat sich damals seiner schärfsten Konkurrenten entledigt.

Jonas: Om mani padme hum, Om mani padme hum.

Sam: Om mani padme-he, Om mani padme-he.

Jonas: Immer wieder sagte ich leise das buddhistische Mantra auf. Vorsichtshalber. Falls Sams Blockade meiner Hirnfrequenzen nicht 100prozentig wirkte. Und der Schamane doch den einen oder anderen meiner Gedanken lesen konnte. Danach sah es allerdings nicht aus. Utschym Schetan wirkte verunsichert. Er schüttelte den Kopf. Rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Schließlich griff er sich die Trommel. Und klopfte ein bißchen darauf herum.

Juri Samarkand: Das wird der Höhepunkt unserer Einweihungsfeierlichkeiten, Jonas. Eine szenische Darstellung des Massakers. Dafür hätten wir gerne Al Capones Original-Automobil benutzt, aber da die Besitzer sich nicht davon trennen wollten, haben wir’s nachbauen lassen. Besetzt wird es von ein paar schauspielerisch begabten Exekutivorganen in unseren Diensten. Wir erhoffen uns eine umwerfende Performance, einen grandiosen Event.

Belinda: Und daran, finde ich, sollten wir Jonas teilhaben lassen.

Juri Samarkand: Jonas teil... ahaha, als Opfer, ausgezeichnete Idee, meine Liebe. Aber nicht bei der eigentlichen Vorführung. Wenn unsere prominenten Gäste hier sein werden, um die Show mitzuerleben. Das könnte zu Problemen führen. Zu unwillkommenen Fragen.

Belinda: Bei der Generalprobe. Jetzt gleich. Da sind wir ganz unter uns. Deshalb habe ich ihn doch hergebracht.

Juri Samarkand: Sehr gut. Boris, gehen Sie raus auf den Hof, wo der Cadillac steht. Bei der Probe sollen unsere Gangster ihre Tommyguns mit scharfer Munition laden. Eigens für Jonas.

Boris: Si Commodore.

Jonas: Bodyguard Boris entschwand nach hinten. Wo eine Rampe nach oben führte. Inzwischen wurde der Schamane immer unruhiger. Er ahnte, daß gleich was schlimmes passieren würde. Jonas wurde an die gegenüberliegende Garagenwand gestellt. Juri grinste. Belinda lächelte. Ich stand da. Om mani padme hum. Eine Minute verging. Eine sehr lange Minute. Dann drückte Juri auf einen Schalter an der Wand. Über der Rampe leuchtete ein grünes Licht auf. Onkel Als Panzer-Cadillac rollte die Rampe herunter. Blieb stehen. Die Türen öffneten sich.

Juri Samarkand: Da! Da steht Jonas! Erschießt ihn!

Jonas: Zwei Gestalten waren aus dem Wagen gestiegen. Zwei Frauen in schwarz. Die Nonna. Und Nichte Alessandra. Ihre Maschinenpistolen richteten sie nicht auf Jonas. Sondern auf Juri. Auf Belinda. Und auf den Schamanen.

Juri Samarkand: Idioten! Nicht hier! Da drüben! nein, ah...

Belinda: Ah... ah...

Jonas: Sie feuerten. Bis die Magazine leer waren. Don Toni im Cadillac ballerte begeistert mit. Juri und Belinda lagen auf dem Betonfußboden. Wie zwei Haufen blutiger Lumpen. Utschym Schetan nicht. Er stand noch. Irritiert. Verwirrt. Aber unverletzt.

Nonna: Der Kerl ist kugelfest!

Jonas: Sowas hatte ich mir gedacht. Und ein Messer eingesteckt. Ich ging durch die Halle. Vorbei am Cadillac. An den Malavitas. Zum Schamanen. Ich sah in seine bösen schwarzen Augen. Ich dachte an Jamaro... Ich ging über die Rampe. Durch den Hof. Im Schatten lagen Leichen in Gangsteranzügen. Männer der Kompania. Die Malavitas hatten sie getötet, um ihre Rollen zu übernehmen. Ich ging weiter. Durch eine Unterführung. Eine dunkle Gasse. Und stand plötzlich auf dem Markgrafenboulevard. Hell. Laut. Bunt. Voller Menschen. Voller Leben.

Jonas: Om mani padme hum. Das war’s, Sammy.

Sam: Jaja, dideldum, gut gelaufen, Chef. Wie geplant und berechnet. Die Bösen sind tot. Wir haben überlebt, jajaha, alles bestens.

Jonas: Happy End, Sammy, hm, trotzdem fühle ich mich mies. Wegen Jamaro? Wegen Belinda? Oder weshalb?

Sam: Ja, das ist der Blues, Alter.

Jonas: Und was tut man dagegen?

Sam: Ja, was tut man dagegen. Pillen. Schnaps. Drugs. Durchdrehen. Schlafen. Den Löffel abgeben. Puhu, huhuhu huhuhuhu huhuhuhu, huhuhuhu...äh

Jonas: Jonas schaltete Sam ab. Und ging nach Hause.

Das war Mafia. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Kornelia Boje, Nils Clausnitzer, Jens Holger Kretschmer, Doris Schade, Mark Oliver Schulze und andere (Irina Wanka, Jürgen Donien, Helmut Gillitzer-Felber). Ton und Technik: Günter Heß und Daniela Röder. Assistenz: Martin Trauner. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2001 in Dolby Surround. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:31
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Wildwest

Holo: Als das in Babylon erfolgreichste und beliebteste Holoformat des vergangenen Jahres hat sich noch vor Schwarze Dahlie, der Serienmörder der Woche die von Supermedia produzierte Kain-und-Abel-Show erwiesen. Eine schlichte Grundidee: fünf Freiwillige werden zusammengesperrt und eliminieren sich gegenseitig, bis nur noch eine Person übrig bleibt, und eine aufwendige Produktion in wechselnden Szenarien, erwähnt seien hier nur die römischen Gladiatorenspiele im Amphitheater, der Wüstenplanet oder die Schlacht von Stalingrad. Diese Mischung kam offenbar an. Damit hat wieder einmal Supermedia den begehrten Big Brother gewonnen.

Waldorf: Glückwunsch, Beringer, das war doch Ihre Idee, die Kain-und-Abel-Show. Beringer!

Beringer: Äh, was?

Waldorf: Sie hören mir nicht zu.

Beringer: Verzeihen Sie, teuerste Waldorf, ich war in Gedanken.

Waldorf: Und woran dachten Sie so intensiv?

Beringer: An Jonas.

Waldorf: Den letzten Detektiv?

Beringer: Ich denke oft an Jonas, sehr oft, ich hasse ihn, er hat mich reingelegt, er hat mich blamiert, gedemütigt.

Waldorf: Mich etwa nicht? Diese Weltkriegsgeschichte zum Beispiel. Wann war das? 2013?

Beringer: Im Oktober 2012. Vor drei Jahren und vier Monaten.

Waldorf: Wie würde Jonas sich wohl in der Kain-und-Abel-Show machen. Gut, nehme ich an.

Beringer: Würden Sie auf ihn wetten, Waldorf?

Waldorf: Auf seinen Sieg? Warum nicht. 10 Millionen Euros?

Beringer: 20.

Waldorf: Auch gut. Jonas wird sich allerdings kaum freiwillig für die Show melden.

Beringer: Das lassen Sie meine Sorge sein. Immerhin bin ich der Produzent der Show.

Holo: O großer Adolf Beringer von Supermedia. Exzellent. Eminenz. Durchlaucht.

Beringer: Schon gut. Stell fest, wo Jonas sich zur Zeit aufhält. Jonas, nur Jonas, der sogenannte letzte Detektiv.

Jonas: Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv, hielt sich an diesem 12. Februar 2016 in der Luft auf. Hoch über dem Atlantik, im Flieger nach Babylon, mit Sam, seinem redegewandten ratspendenden Supertaschencomputer.

Jonas: Good by, America.

Sam: Und tschüs, Traumschiff und Totentanz. Nie mehr Parapsychologie, nie mehr Schamanin.

Jonas: Adios, Jamaro.

Sam : Astalavista baby. Vergiß sie, du Traumtänzer, kuck nach vorn. Babypsilon, wir kommen. O Babylon, City of light, city of magic.

Jonas: Ansichtssache, Sammy. Auf jeden Fall wird das Leben etwas ruhiger werden, vorhersehbarer, normaler.

Sam: Glaubste?

Jonas: Ein gewaltiger Irrtum. Aber ich hatte ja keine Ahnung von der Kain-und-Abel-Show und von dem, was Beringer und Waldorf ausgeheckt hatten. Deshalb schwante mir auch nichts böses, als mich die junge Frau ansprach im Aerodrom von Babylon. Ansprach ist nicht ganz richtig, weil sie Jonas anrempelte.

Jespersen: O, tut mir leid.

Jonas: Und dann anhimmelte.

Jespersen: Aber, das... das kann doch nicht wahr sein, Sie sind Jonas, der letzte Detektiv, unverkennbar. Ich hab Sie im Holo gesehen und dabei hab ich mir gedacht, den würdest du gern mal kennenlernen und jetzt fall ich über Sie.

Jonas: Was wollen Sie, ein Autogramm?

Jespersen: Am liebsten würde ich mich mit Ihnen hinsetzen, was trinken, reden, leider habe ich überhaupt keine Zeit, ein dringender Termin. Wissen Sie was, Sie wohnen doch irgendwo im Osten.

Jonas: Ost-Zentral.

Jerspersen: Wunderbar. Ich nehm Sie mit und bring Sie nach Hause in meinem Helikopter. Da können wir uns unterhalten.

Jonas: Der Helikopter gehörte Supermedia, der großen Holoproduktion, so stand’s dran.

Jespersen: Ja, ich bin im Hologeschäft. Produktionsassistentin. Meine Karte.

Jonas: Jytte Jespersen. Zweimal J. Sehr gut.

Jespersen: Sagen Sie Jytte zu mir. Ein Whisky? Kein Synth, echter Scotch.

Jonas: Oh.

Jespersen: Gingin, auf unsere Bekanntschaft, Jonas. Und auf Ihr Wohl.

Jonas: Danke.

Jespersen: Ich bin gerade unterwegs zu unseren Studios, den neuen, in der Wildnis, östlich von Babylon, wo wir alle unsere Shows drehen. Noch ein Whisky?

Jonas: Ich... ich weiß nicht. Was ist los mit mir? Im Whisky, was war im Whisky?

Jespersen: Machen Sie sich keine Gedanken, alles ist in Ordnung, ja, ja, so ist’s recht. Legen Sie sich hin und schlafen Sie ein bißchen.

Jonas: Nein, will nicht schlafen.

Jespersen: Tun Sie’s für mich. Schlafe mein Jonas, schlaf ein.

Jonas: Ich war wieder in Costaguana. Im Regenwald. Es war dunkel, kein Lichtstrahl drang durch die dichten Baumkronen. Ich konnte nichts sehen, aber hören konnte ich. Der schwarze Schamane trommelte wie besessen, immer lauter. Plötzlich brach er ab und ebenso plötzlich verschwand der Dschungel. Es wurde hell. So hell, daß ich die Augen zukneifen mußte.

Earp: Da! Da ist er, der Pferdedieb.

Sam: Sicher Marshall?

Earp: Ja sicher bin ich sicher. Ich kenn doch meinen Gaul.

Jonas: Ich hörte Stimmen. Eine davon kam mir sehr bekannt vor.

Earp: Steh auf, du Bastard.

Sam: Immer mit der Ruhe, Marshall, Sie brechen sich die Zehen.

Jonas: Ich lag auf Sand. Im Kreis um mich ein paar Männer auf Pferden. Pferde? Es gab keine Pferde mehr. Die Männer kamen vom Kostümfest. Alle im Wildwest-Outfit. Auch die zwei, die offenbar abgestiegen waren und neben mir standen. Der eine hielt mir einen riesigen Revolver vors Gesicht und trat mir mit seinen schweren Stiefeln in die Rippen. Das gefiel mir nicht. Der Kerl selbst auch nicht. Knicknase, Schnauzbart, roter Cowboyhut, Marshallstern am Flanellhemd. Der andere trug schwarz, vom Hut bis zu den Schuhen. Nach allen Regeln war er der Böse und der Marshall natürlich der Gute, aber das glaubte ich nicht.

Earp: Machen wir kurzen Prozeß, Männer, hängen wir ihn auf, gleich hier.

Sam: Aufhängen? OK, Marshall, und wo hatten Sie gedacht?

Earp: Am nächsten Baum natürlich.

Sam: Natürlich. Und wo sehen Sie hier mitten in der Wüste einen Baum?

Jonas: Das hatte ich noch nicht erzählt. Wir waren in der Wüste. Die Sonne brannte. Um uns nur Sand und Felsen, kein Strauch, erst recht kein Baum, ein paar grau-grüne Kakteen. Die Stimme des Schwarzen ließ mir keine Ruhe. Ich kannte sie, ich kannte sie sehr gut.

Earp: Ja, was machen wir denn da? Sollen wir ihn erschießen?

Sam: Erschießen? Ach du meine Güte, kommt gar nicht in die Tüte. Pferdediebe werden aufgehängt, allso dekretiertes ehernes Gesetz des Westens. Ich sag Ihnen was, Marshall.

Earp: Ja?

Sam: Wir fesseln ihn und nehmen ihn mit. Vielleicht finden wir ja unterwegs einen Baum.

Earp: Ja, gute Idee.

Sam: Und wenn nicht, hängen wir ihn in der Stadt. Das macht auch mehr Spaß, hehehe. Viel mehr Zuschauer.

Earp: OK, Doc.

Jonas: Hab ich schon gesagt, daß ich genauso aussah wie die Typen vor mir. Buntkariertes Hemd, Jeans, Stiefel, Stetson, rot, und ein Gürtel mit zwei Revolvern, aber den nahmen sie mir weg, bevor ich damit was unternehmen konnte. Dann fesselten sie mir Arme und Beine und legten mich quer über einen Gaul vor den Sattel. Das Pferd gehörte dem Schwarzen, Doc Holiday. Er stieg auf.

Earp: Männer, ihr habt gehört, was Doc Holiday gesagt hat, zurück nach Tombstone.

Jonas: Es ging los, durch die Wüste. Ich versuchte mir über meine Situation Gedanken zu machen. Unmöglich. Der Gaul wackelte, mein Kopf hing nach unten, und kein guter Rat von Sam, statt dessen plötzlich eine Stimme im Ohr, genauer im kleinen Knopf, den ich im rechten Ohr trug.

Waldorf: Hallo Jonas, willkommen im Wilden Westen.

Jonas: Wer sind Sie?

Waldorf: Wir kennen uns. Waldorf. Astoria Waldorf.

Jonas: Die Chefin von Multipharm.

Waldorf: Sie erinnern sich, das freut mich.

Jonas: Ich erinnerte mich an die Fälle Spielwiese und Westfront, vor fünf und vor dreieinhalb Jahren. So wie es damals gelaufen war, konnte die Dame Waldorf nicht gerade viel für Jonas übrig haben.

Waldorf: Wo denken Sie hin, Jonas, im Gegenteil. Sie sind mein Champion. Ich habe auf Sie gewettet, eine Menge Euros. Lassen Sie mich nicht im Stich.

Jonas: Gewettet? Mit wem?

Waldorf: Mit Adolf Beringer natürlich, mit dem wette ich am liebsten, das wissen Sie doch.

Jonas: Ist das wieder so ein Spiel wie damals bei Westfront, nur daß Sie sich diesmal den Wilden Westen ausgesucht haben?

Waldorf: Nicht ganz, heute agieren Sie in der Öffentlichkeit. Ganz Babylon schaut Ihnen zu, na jedenfalls 20 Prozent. Halten Sie sich fest, Jonas, Sie sind auf Sendung, Sie sind in der Kain-und-Abel-Show.

Jonas: Daher die vielen kleinen schwarzen Punkte, die wie Hummeln in der Luft herumschwirrten. Microcams. Mir fiel was ein. Jonas ist kein Holofan, aber das wußte er, in der Kain-und-Abel-Show treten nur Freiwillige auf.

Waldorf: Sehr richtig, Jonas, und Sie haben sich freiwillig gemeldet, laut Beringer.

Jonas: Das ist mir neu. Wenn ich jetzt laut um Hilfe rufe und erkläre, daß man mich gegen meinen Willen in die Show gebracht hat...

Waldorf: Schaltet die Regie sofort um, auf einen anderen Schauplatz. Dafür hat Beringer gesorgt. Die interaktive Verbindung zwischen Ihnen und dem Publikum ist eingeschränkt. Nur ich kann mit Ihnen reden, und Beringer, wenn er nicht gerade wie jetzt ein Nickerchen macht, er ist nicht mehr der jüngste, das wissen Sie ja, und darum hat er keine Ahnung, daß ich Ihren Computer Sam ins Spiel eingebracht habe.

Jonas: Sam. Aber natürlich, die bekannte Stimme, Doc Holiday.

Waldorf: Ist ein Android, und Sam ist in sein Programm eingestiegen.

Sam: Ah, da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich.

Jonas: Sammy, du als Revolverheld Doc Holiday.

Sam: Na und, steht mir doch prächtig, der Typ, mysteriös, gefährlich, und extrem gut aussehend. OK, keine Zeit zum Plauschen, Genosse, der Grimmepreis, Korrektur, der grimme Greis wird in Bälde erwachen. Also dann paß mal auf. In der Kain-und-Abel-Show gibt’s fünf Menschen, ne, fünf Konkurrenten bzw. Kandidaten, von denen am Schlunz nur noch ein einziger übrig bleiben wird, ja, was ansonsten hier so kreucht und fleucht, Cowboys, Pferde und so weiter, alles Statisten, Androiden oder Biomaschinen, die kannste vergessen, weil die können dir nicht gefährlich werden.

Jonas: Nur die vier Menschen, verstanden, aber woher weiß ich, wer Mensch ist und wer Android?

Sam: Pst. Siehe da, ich verrate dir ein großes Geheimnis. Nur Menschen tragen rot auf ihren Häuptern.

Jonas: Rote Hüte, wie Jonas. Und der Marshall.

Sam: Marshall Wyett Earp, yes indeed, ein Mensch, und in sofern ein Feind meines geliebten Jonasses.

Jonas: Darum war er so scharf drauf, mich aufzuhängen.

Sam: Darauf ist er immer noch scharf, und er wird’s auch tun, sofern mein Herr und Meister nichts dawider unternimmet.

Jonas: Was denn? Ich bin gefesselt, auf deinen Vorschlag, wenn du dich erinnerst.

Sam: Wenn keine Microcam in der Nähe ist, steckt ich dir ein Messer zu, schneid die Fesseln durch, zieh meinen Revolver aus dem Halfter, schmeiß mich vom Pferd.

Jonas: Mit Vergnügen, vor allem letzteres, und dann?

Sam: Erschießt du Wyett Earp.

Jonas: Einfach so.

Sam: Einfach so. Bum, und er fällt um.

Jonas: Nein, Sam, das tu ich nicht, nur in Notwehr.

Sam: Ach du liebes Meingottchen, weich ist das Herz, schwach der Verstand, so ist mein Jonas weithin bekannt. Willst du denn nicht siegen?

Jonas: Ich will am Leben bleiben Sammy.

Sam: Jaja, haha, da sehe ich schwarz, wenn du so pingelig bist. OK Partner, dann galoppiere hinfort, so schnell es denn geht. Na, das wirst du doch wohl noch hinkriegen, oder?

Jonas: Aber sicher. Ich galoppierte hinfort. Earp und seine Kumpane ballerten hinter mir her und ritten mir ein Stück weit nach, beides brachte ihnen nichts, eine halbe Stunde später war Jonas allein und zuckelte auf Holidays Gaul mehr oder weniger gemütlich durch die Landschaft, bis er jäh aufgeschreckt wurde.

Sam: Alarm, Alarm, hojejeto.

Jonas: Sam?

Sam: Ja wer denn sonst, der Weihnachtsmann?

Jonas: Wo steckst du, ich seh dich nicht.

Sam: Du siehst mich wohl, allein dir fehlt Verständnis, denn wahrlich, Sam hat sie zeitweilig verlassen die Androidenhülle des Dr. med. Holiday, um sich, igitt, pfui Teufel, in einem Rosse niederzulisten, ich meine einzunisten, was tut ein treuer Computer nicht alles für seinen Gebieter.

Jonas: Oh, als Gaul gefällst du mir richtig gut, Sammy, da kann ich dir doch mal ordentlich die Sporen geben.

Sam: Aua, was im Augenblick auch durchaus eigentlich angebracht, wenn nicht gar ratsam wäre, wieher, richte den Blick nach links, Falkenauge.

Jonas: Diese Figuren auf dem Höhenzug.

Sam: Ja, sind mitnichten Präriehunde, auch nicht Kojoten oder Stinktiere, vielmehr...

Jonas: Indianer?

Sam: Apuchen, Apachen, die wildesten und blutdürstigen der roten Männer. Wieher. Ihre Gefangenen pflegen sie stundenlang über kleinem Feuer zu rösten, eine ausgesprochen unsoziale Angewohnheit.

Jonas: Los, Sammy, schneller, noch schneller.

Sam: Wenn es denn ginge, faul ist der Gaul, vielmehr arbeitsam, doch leider...

Jonas: Mach, mach.

Sam: Ich kann nicht... mehr.

Jonas: Halt durch, Sammy, nur noch ein paar Meter, bis zu den Felsen da vorn.

Jonas: Die Indianer kamen immer näher, vorne weg der Häuptling mit rotem Stirnband und roter Feder, sie heulten wie die armen Seelen im Fegefeuer und sie schossen mit Flitzbogen, mich trafen sie nicht, aber der arme Gaul sah bald aus wie ein Stachelschwein. Am Fuß der Felsen brach er zusammen, Jonas ging hinter ihm in Deckung, die Indianer hielten, etwa 100 Meter entfernt.

Sam: Es geht nicht mehr, Partner.

Jonas: Sam.

Sam: So long, und vergiß mich nicht.

Jonas: Sammy.

Sam: Es hängt ein Pferd zur Hälfte an der Wand.

Jonas: Wunderbar. Ich werde gleich massakriert, und du singst in aller Gemütsruhe Schlager schlecht daher, sag mir lieber, was ich tun soll.

Sam: Na was, schießen du Depp, du hast doch einen Colt.

Jonas: Mit sechs Patronen, für einen ganzen Indianerstamm, großartiger Rat. Die Kavallerie!

Sam: Ja das wurde auch Zeit.

Jonas: In einer Staubwolke kamen sie angeprescht, gut 20 Reiter in blauen Uniformen, angeführt von einem Kapitän, der trug gegen jede Armeevorschrift eine knallrote Baseballkappe. Mit seinem Karabiner feuerte er sofort auf den Häuptling der Apachen, was dem nicht gut bekam, er fiel um, aber im Fallen ließ er noch einen letzten Pfeil fliegen. Sein Stamm ergriff die Flucht, verfolgt von der Kavallerie. Indianer und Soldaten verschwanden am Horizont. Zurück blieben ein toter Häuptling, ein toter Kapitän mit einem Pfeil in der Brust, ein toter Gaul, und ein lebendiger Jonas. Ganz allein auf weiter Flur.

Waldorf: Sie irren, Jonas, ich bin doch bei Ihnen, mein Champion. Bisher bin ich sehr zufrieden, zwei ihrer Konkurrenten, Häuptling und Kapitän sind erledigt.

Jonas: Nicht von mir, Frau Waldorf.

Waldorf: Das spielt doch keine Rolle. Jetzt noch mal zwei und Sie sind der Sieger. Weiter so.

Jonas: Das sagt sich leicht, wenn man zuhause sitzt und sich den Wilden Westen auf dem Monitor ansieht, Jonas mußte laufen, über Stock und Stein, durch Sand und Geröll, ein verwitterter Wegweiser tauchte auf. Tumbstone, 3 Meilen. Die Sonne stand noch immer hoch, als ich in Tumbstone ankam, im Holoszenario war es ständig zwölf Uhr mittags, High Noon. Jonas hielt Ausschau nach roten Hüten, weit und breit keiner zu sehen, gut so. Ich steuerte einen Salon an, Crystal Palace, nannte er sich großspurig. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Kronleuchter, Spiegel, und nackte Frauen in Öl, betrunkene Cowboys, Spieler, ein elektrisches Piano, und eine Schwadron von Tanzmäusen, die ihre Beine zeigten und sich in den Pausen an die Gäste ranmachten.

Kate: Hey, gibst du mir einen aus, Fremder?

Jonas: Wenn du mir eine Flasche Whisky von der Bar holst, kannst du mittrinken.

Kate: Oh, gleich ne ganze Flasche, hast du denn soviel Geld, Fremder?

Jonas: Gute Frage. Jonas suchte und fand in der Hosentasche ein Bündel Dollarnoten. Alles klar. Die Flasche kam, mit zwei Gläsern, und es kam noch was, noch wer.

Kate: Doc? Doc Holiday? Ich dachte, du bist in Dodge City?

Sam: Denk nicht so viel, Kate Darling, sonst wird deine Nase noch länger, hahaha.

Kate: Oh.

Sam: Ich bin deinetwegen zurückgekommen, Jonas, Partner, alter Junge, um dich zu warnen, Marshall Wyett Earp ist draußen und wartet auf dich, am OK Corell.

Kate: Eye, ihr zwei kennt euch?

Jonas: Klar kenn ich ihn, schon lange. Doktor Samuel Holiday.

Kate: Samuel? Du heißt Samuel, Doc?

Sam: Haha, manchmal Kate. Hör zu Jonas, wenn du die Sache mit Earp jetzt ausfechten willst, dann komm ich mit, OK.

Jonas: Langsam Sammy, immer mit der Ruhe, erst austrinken und dann...

Sam: Da an der Tür, Billy the Kid, geht in Deckung Leute, mit dem hab ich noch ne Rechnung offen.

Jonas: Die flotte Kate tauchte unter den Tisch, in Windeseile, Jonas auch, oben knallte es, an der Tür brach einer zusammen. Wir kamen wieder hoch, langsam und vorsichtig.

Sam: Auf dein Wohl, Billy. Mögest du in Frieden ruhen.

Jonas: Prost.

Kate: Ging Ging. Hust Hust... Ah...

Sam: Jaja, auf dein Wohl Kate, mögest auch du in Frieden etcetera pp.

Jonas: Die Frau ist tot.

Sam: Na klar mein Alter. Hat ja auch deinen Whisky getrunken, will sagen, den Whisky aus deinen Glas.

Jonas: Aus meinen Glas, aber wieso?

Sam: Ich hab die Gläser vertauscht, sie hat nichts gemerkt, weil sie sich den Tisch von unten angekuckt hat.

Jonas: Vertauscht, warum?

Sam: Wirf doch mal einen scharfen Blick auf sie, du scheelsichtige Blindschleiche, was, so frage ich, trägt sie auf ihrem wenig schönen Haupt, Fragezeichen.

Jonas: Nichts.

Sam: Haare. Rote Haare. Na?

Jonas: Ach so.

Sam: Ja, ist es endlich gefallen das 10-Cent-Stück. Merke, wer anderen Gift in den Whisky tut, kommt selbst drin um. Poetische Gerechtigkeit nennt man dieses, also Nummer drei geschafft, bleibt nur noch Wyett Earp, und diesmal bitte keine Skrupel, du Weichei, wenn du ihn nicht erledigst, erledigt er dich, hm, Hauruck, Sam hat gesprochen.

Jonas: Gemessen schritten wir die Hauptstraße von Tumbstone entlang, Richtung OK Corell, Jonas und Doc Holiday, alias Computer Sam.

Jonas: Das stimmt hinten und vorne nicht, Sammy.

Sam: Was belieben euer Gnaden zu meinen?

Jonas: Beim berühmten Gunfight am OK Corell war Doc Holiday an der Seite seiner Freundes Wyett Earp, das weiß jedes Kind, wenn es schon mal einen Western gesehen hat.

Sam: Naja, künstlerische Freiheit, Herr Bettmesser, wir kleben nicht am Stoff, wir erheben uns leicht und locker über ihn. Ist es nicht zu und zu schön, Victor Mature war Doc Holiday.

Jonas: Wer?

Sam: Na sogenannter Filmstar, Mitte 20. Jahrhundert. Kirk Douglas war Doc Holiday, und jetzt ist Sam Doc Holiday, voll kraß Wahnsinn, wa?

Jonas: Wir sind da Sam, am OK Corell. Wer nicht da, ist Wyett Earp, oder?

Sam: Hinter dir, auf dem Dach.

Jonas: Ich drehte mich um, schoß, ein Reflex, vom Dach des Schuppen stürzte ein Mann zur Erde, blieb liegen, regungslos, Blut floß in den Staub, Blut, so rot wie der Hut des Toten.

Holo: Und damit ist Sie für heute zu Ende, unsere Kain-und-Abel-Show, meine Damen und Herren, liebe Kinder, schalten Sie nicht weg, schalten Sie nicht ab, nach einer ganz kurzen Werbepause bringt Supermedia Ihnen Sexytrends, die tolle Erotikshow, also dranbleiben, wir sehen uns bei Supermedia.

Jonas: Hallo? Wie geht’s weiter? Was wird aus mir? Hey, holt mich hier raus!

Jonas: Im Wilden Westen herrschte absolute Stille, die Microcams waren verschwunden, Doc Holiday stand neben mir, steif und leblos wie eine Schaufensterpuppe. Supermedia hatte uns den Saft abgedreht, die Show war vorbei. Jonas hatte gewonnen, aber das schien keinen zu interessieren.

Beringer: Nicht doch, mein Allerwertester, the show will go on, the show must go on.

Jonas: Beringer!

Beringer: Beringer.

Jonas: Ihre Wette mit Waldorf haben Sie verloren, Beringer!

Beringer: Wenn Sie wüßten, wie egal mir das ist, mein lieber, die paar jämmerlichen Millionen habe ich gern investiert, denn nicht wahr, die Hauptsache ist doch, ich habe Sie in der Hand, mein Bester. Und jetzt geht die Show erst richtig los.

Waldorf: Achtung, Jonas, gehen Sie in Deckung!

Jonas: Das ist gegen die Regeln, Beringer, Helikopter und MGs haben im wilden Westen nichts zu suchen.

Beringer: Jetzt spielen wir nach neuen Regeln, Jonas, nach meinen Regeln, und dieses Spiel werden Sie nicht gewinnen. Sie sind ein toter Mann.

Waldorf: Nicht aufgeben, Jonas, wehren Sie sich, kämpfen Sie, Sie sind doch mein Champion. Die Wette gilt nämlich immer noch, meine gewonnenen 20 Millionen gegen 200 Millionen von Beringer, enttäuschen Sie mich nicht, es geht um mein Geld, und um ihr Leben.

Jonas: Das weiß ich selbst, Frau Waldorf, wenn Sie Ihre Wette gewinnen wollen, helfen Sie mir, sagen Sie mir, wo’s rausgeht aus dem Wildwestszenario.

Waldorf: Aber gern. Sehen Sie das Bestattungsinstitut rechts an der Straße? Da gehen Sie rein und durch die Hintertür wieder raus.

Jonas: Wenn’s sein muß, kann Jonas sehr schnell sein, wenn ein MG aus einem Helikopter auf ihn schießt, zum Beispiel, in Sekunden war ich drin, im Bestattungsinstitut, ein kurzer Blick auf die dort versammelten Särge, hoffentlich kein schlechtes Vorzeichen, dann war ich an der Hintertür, ich machte sie auf, trat durch, machte sie hinter mir zu. Es war dunkel und es war laut. Ich war im Krieg. Schwere Artillerie krachte, Raketen jaulten, Panzerketten dröhnten, MGs knatterten, im Schein der Brände, im Mündungsfeuer der Haubitzen eine bizarre Ruinenlandschaft, hier gefiel’s Jonas nicht, er wollte zurück in den Wilden Westen, aber die Hintertür war nicht mehr da.

Beringer: Stalingrad. Sie sind in Stalingrad, mein Teurer, irgendwann im Winter 1942/43.

Waldorf: Präziser, Sie sind im Szenario der Kain-und-Abel-Show von 2015.

Beringer: Ich hab es wieder anwerfen lassen, eigens für Sie, Jonas, gefällt es Ihnen?

Jonas: Nein.

Beringer: Wollen Sie etwa wieder raus?

Jonas: Ja.

Beringer: Ihr Wunsch, mein Hochgeschätzter, ist mir Befehl. Sehen Sie die Wand mit dem zerfetzten Stalintransparent, etwa 300 Meter vor Ihnen?

Jonas: Ich sehe sie.

Beringer. Davor der Geröllhaufen, und links vom Geröll ist ein Loch, eine Kellerluke, das ist der Ausgang.

Jonas: Und wie soll ich da hinkommen, mitten durch die Kampfzone?

Beringer: Ihre Sache, mein Freund, lassen Sie sich was einfallen. Viel Glück.

Waldorf: Ich habe dafür gesorgt, daß Sie Hilfe kriegen, Jonas, da ist sie schon.

Jonas: Neben mir stoppte ein Panzer.

Sam: Steig auf, dawarisch, dawei, dawei.

Jonas: Den Rotarmisten in verdreckter blutiger Uniform, der mich durch die Turmluke zog, kannte ich nicht, wohl aber seine Stimme.

Sam: Notawarisch, Leben noch frisch?

Jonas: Weißt du, woran ich denke, Sammy?

Sam: Woher soll ich wissen? Zwar weiß ich viel, doch alles weiß ich nicht.

Jonas: So bescheiden kenn ich dich gar nicht. Ich denke an Generalissimus Stalin und seine Nomadenhorde im Niemandsland.

Sam: Haha, Fall Invasion vor 9 Monaten. Aber da war’s ein T54, und jetzt sitzen wir in einem T34. Ein kleiner feiner Unterschied, gelle.

Jonas: Von mir aus, Sammy, halt, hier steig ich aus.

Sam: Do Swidanija, dawarisch Jonas, wie sehen uns.

Jonas: Hoffentlich bald. Erst mal hieß es für Jonas rein ins Kellerloch. Ein paar Meter unterirdischer Stollen, rechts um die Ecke, und Jonas stand plötzlich im Hellen. Ich stand wieder auf Sand, aber diesmal nicht in der amerikanischen Wüste, in einer Art Zirkus, nur daß die Manege nicht rund war, sondern oval. Um das Oval saßen tausende von Zuschauern in mehreren Etagen, in der Manege Artisten, nur Männer, ohne Hosen, statt dessen Röckchen, ansonsten Brustpanzer, Helme, Schilde, Arm- und Beinschienen und Waffen, Schwerter, Dolche, Spieße, damit hackten sie aufeinander ein, das kam mir bekannt vor, vor Jahren war ich mal im Colloseum von Babylon gewesen.

Jonas: Gladiatoren, das sind Gladiatoren.

Beringer: Sehr gut, Jonas, sehr gut. Sie befinden sich in einem altrömischen Amphitheater.

Jonas: Kain-und-Abel-Szenario vor 2 Jahren.

Waldorf: Korrekt. Vorsicht!

Jonas: Die Warnung kam zu spät. Ich lag im Sand, in ein Netz eingewickelt, ein unangenehmer Typ hatte es mir übergeworfen, jetzt kam er näher, mit geschwungen-em Dreizack, die Spitzen glitzerten in der Sonne. Das sah nicht gut aus.

Sam: Nicht verzagen, Sammy fragen. Leg ihn um den Retiarius, streck ihn danieder.

Jonas: Und womit? Mir haben sie keinen Dreizack gegeben.

Sam: Du brauchst ihn nicht, o Jonas mein, hast du doch deinen Colt, zieh, Jesse James, und ziele gut.

Jonas: Sam war diesmal ein Sklave, ein kleiner krummer alter Sklave, der mit einem Besen Sand über die Blutlachen fegte, er sah aus wie ein Idiot, aber sein Rat war gut. Ich zog und schoß, der Dreizacktyp fiel um, mit meinem Boie-Knife schnitt ich mich aus dem Netz.

Jonas: So, wenn mir jetzt mal jemand bitte den Ausgang zeigen würde.

Waldorf: Mit Vergnügen, Jonas, durchqueren Sie die Arena, drüben auf der anderen Seite sehen Sie die Kaiserloge, ziehen Sie sich an der Brüstung hoch und...

Jonas: Hallo? Hallo Frau Waldorf!

Sam: Die Verbindung ist unterbrochen, durch Sir Samuel, alsquier und hochwohlgeboren.

Jonas: Bist du verrückt, Sammy, sie steht auf meiner Seite.

Sam: Ja, das glaubst du, treuherziger Trottel.

Jonas: Aber sie hat doch auf Jonas gewettet.

Sam: Indeed, Sir, und sie will auch gewinnen, doch in aller erster Linie will sie was fürs Auge und fürs Herz. Viermal S. Sport, Spiel, Spaß, Spannung. Sie hätte dich cool ins nächste Szenario geschickt. Starwars. Würde mein hochgemut, doch eher niedrigbegabter Jonas sich gerne mit Darth Vader anlegen?

Jonas: Muß nicht sein, Sammy.

Sam: Siehste, na also. Hör auf Sam, der bringt dich raus, raus aus den Holostudios von Supermedia, zurück in die wirkliche Welt. Die kleine Holztür hinter dir.

Jonas: Vor der die wandelnde Eisenwarenmesse steht.

Sam: Der Murmillo, den wirst du totschießen.

Jonas: Werd’ ich?

Sam: Stell dich nicht an, ist nur ein Android.

Jonas: OK, oder bene, wie die alten Römer sagen. Hinter der Tür war ein Fahrstuhl, kein bißchen antik, babylonische Postmoderne. Ich fuhr nach unten, Sam blieb bei mir, nicht als Sklave, das wäre ein Stilbruch gewesen, jetzt war er nur eine Stimme in meinem Ohrkopfhörer. Nicht die einzige.

Beringer: Laufen Sie nur, mein Guter, laufen Sie nur weg, ich krieg Sie.

Jonas: Stell ihn ab, Sam, er macht mich nervös.

Sam: Untergeschoß. Versorgungstrakt. Alles aussteigen, Weiterfahrt per E-Vespa.

Jonas: Drei E-Vespas standen am Fahrstuhl, eine griff ich mir, vor mir öffneten sich zwei Gänge, sauber, indirekt beleuchtet, abgestandene Luft, Sam schickte mich nach links, Richtung Babylon, und Jonas ritt munter fürbaß. Ein Cowboy auf einer Vespa, wenn das kein Stilbruch war. Nach ein paar Kilometern hörte ich was, hinter mir, Verfolger, Beringers Leute vermutlich, ganz allmählich kamen sie näher, ich fuhr rechts ab in einen Seitengang, bis es nicht mehr weiterging, jedenfalls nicht horizontal. Ein enger Schacht führte nach oben, in die Wand waren Stahlklammern eingelassen. Die Verfolger waren nicht mehr weit. Jonas kletterte. Wohin?

Sam: Zu eben jenem Ort, welcher meinem Jonas vorerst ein gewisses Maß an Sicherheit zu offerieren vermag. In den Keller von Holonetwork.

Jonas: Der schärfsten Konkurrenz von Supermedia, keine schlechte Idee, Sammy. Die Frage ist nur, werden Sie Jonas aufnehmen.

Sam: Sie werden, o www Punkt wonnig wuchernde Warze des Weltalls, schon um Beringer eins auszuwischen. Mach die Klappe auf.

Wächter: Halt! Sie betreten das Territorium von Holonetwork. Wer sind Sie? Was wollen Sie?

Jonas: Ich beantrage Asyl. Supermedia ist hinter mir her.

Wächter: Kommen Sie rein.

Jonas: Sie hörte sich an, was Jonas zu berichten hatte. Eine noch junge Frau, modisch kahlgeschoren, mit eleganten goldenen Lacksträhnen auf der nackten Kopfhaut. Jana Jarmilova, Vizepräsidentin von Holonetwork.

Jana: Verantwortlich für Sicherheitsfragen, defensives Marketing und Ranking.

Jonas: Also für den Kampf mit der Konkurrenz.

Jana: Ein vulgärer Ausdruck, wir benutzen ihn niemals. Was Sie mir da schildern, Herr Jonas, klingt nicht uninteressant. Adolf Beringer soll versucht haben, die von seiner Firma produzierte Kain-und-Abel-Show zur Verfolgung eindeutig privat motivierter Ziele zu nützen. Das wäre ein massiver Verstoß gegen § 17 Absatz 4 der Allgemeinen Wirtschaftsordnung von Babylon. Haben Sie Beweise, Herr Jonas?

Jonas: Ich bin der Beweis.

Jana: Sie können mir viel erzählen. Um gegen Beringer vorgehen zu können, brauchen wir objektives Material. Holobilder, wenn möglich, können Sie die beschaffen?

Jonas: Dazu müßte ich zurück zu Supermedia, zu Beringer und seinen Spielchen, das kommt nicht in Frage, Beringer will mich unbedingt umbringen.

Jana: Ihre Sache, Herr Jonas, Ihr Risiko. Wenn Sie uns wasserdichte, juristisch stichhaltige Beweise liefern, zahlen wir Ihnen 10.000 Euros.

Jonas: Nein.

Jana: Wie Sie wollen, Herr Jonas, Ihr Asylantrag ist abgelehnt. Raus.

Jonas: Moment. 10.000 Euros?

Jana: 12.000.

Jonas: Das muß ich mir überlegen.

Jana: Tun Sie das, Herr Jonas, Sie haben eine halbe Stunde Bedenkzeit.

Jonas: Sehr freundlich. Was sollte ich tun? Eine schwierige Entscheidung, aber sie wurde mir leichter gemacht, durch Adolf Beringer persönlich. Er nahm wieder Kontakt zu Jonas auf, Sam ließ ihn durch, das war gut so.

Beringer: Was soll das sein, mein Bester. Sich bei der Konkurrenz verkriechen, wie jämmerlich, hahaha, und es nutzt Ihnen nichts, nicht das mindeste. Sie kommen doch zu mir zurück und bringen die Sache zu Ende.

Jonas: Ich lasse mich umbringen, meinen Sie.

Beringer: Das will ich doch stark hoffen, mein Guter.

Jonas: Mein Bester, darauf können Sie lange warten.

Beringer: Das glaube ich nicht. Drei Stunden, höchstens, wenn Sie nach Ablauf dieser Frist nicht in den Supermedia-Studios auftauchen, mein Teurer, dann...

Jonas: Was dann?

Beringer: Dann stirbt Chefinspektor Brock eines jähen und unangenehmen Todes.

Jonas: Brock?

Beringer: Brock. Ich habe den Guten in meine Gewalt gebracht, Verehrtester, um Sie zum Kommen zu überreden.

Jonas: Ja sind Sie denn jetzt total ausgerastet, Beringer. Sie kidnappen einen Kripobeamten und drohen ihn zu töten.

Beringer: Der Zweck heiligt die Mittel. Und außerdem, was ist schon so ein mickriger Schreibtischfurzer gegen Ausnahmemenschen wie Beringer oder Jonas.

Jonas: Danke für die Blumen.

Beringer: Keine Ursache. Für Sie, mein Lieber, tue ich alles. Dreimal haben Sie Beringer schlecht aussehen lassen, ein viertes Mal wird es nicht geben, weil es sehr bald Jonas nicht mehr geben wird. Das ist mein Ziel, mein großes Ziel, mein Lebensziel.

Jonas: Sie sind verrückt, Beringer, verrückt wie...

Sam: Wie hundert Hutmacher, wie tausend Märzhasen.

Jonas: Mindestens. Machen Sie mit Brock, was Sie wollen, Beringer, das ist mir völlig egal, schalt ihn ab, Sam.

Sam: Völlig egal, wirklich und wahrhaftiglich? Geh in dich, o Mensch.

Jonas: Was bedeutete mir Chefinspektor Brock. Mein Freund war er nicht, mein Feind auch nicht, er war mein Freundfeind, Feindfreund, immer wieder hatte er Jonas Knüppel zwischen die Beine geschmissen, immer wieder hatte er Jonas geholfen, zuletzt im Fall Invasion, da hatte er mir das Leben gerettet. Ich wollte nicht, aber ich hatte das Gefühl, ich mußte. Beringer war entzückt.

Beringer: Sehr gut, mein Schöner, äh, wollte sagen, sehr schön, mein Guter. Genau das hatte ich erwartet. Wissen Sie, ich habe von meinen zahmen Firmenpsychologen Ihr Persönlichkeitsprofil erstellen lassen, und demnach ist ihr wesentlicher, ihr entscheidender Charakterzug Loyalität. Kommen Sie, mein loyaler Jonas, kommen Sie schnell, der Wilde Westen wartet.

Jonas: Keine Helikopter, Beringer.

Beringer: Niemals.

Jonas: Keine MG’s.

Beringer: Auf keinen Fall.

Jonas: Nur klassischer Wilder Westen.

Beringer: Nichts anderes.

Jonas: Und Brock lassen Sie laufen.

Beringer: Versprochen. Mein großes Ehrenwort.

Sam: Nana.

Jonas: Wieder war Jonas im Wilden Westen, im Szenario der Kain-und-Abel-Show, diesmal sah ich es anders als vorhin. Klarer. Präziser. Jetzt wußte ich Bescheid. Die Holzhäuser waren aus Plastik. Die Cowboys und die Bürger am Straßenrand waren Androiden, nur Jonas war echt. Er stand mitten auf der Hauptstraße von Tombstone, einen Colt in der Hand und wartete. Ganz hinten, wo die Stadt zu Ende war, tauchte eine Figur auf, kam langsam näher, nicht sehr groß, nicht sehr schlank, der Mann kam mir bekannt vor.

Jonas: Brock!

Sam: Kotzbrock.

Jonas: Das ist Brock.

Beringer: Gut beobachtet, Jonas.

Jonas: Sie haben mir versprochen, ihn freizulassen, Beringer.

Beringer: Ich hab's mir anders überlegt.

Jonas: Ihr Ehrenwort haben Sie mir gegeben.

Beringer: Ach wissen Sie, man muß flexibel sein. Ein Duell Jonas gegen Brock, ist das nicht eine Wahnsinnsidee? Jeder hat einen Revolver, in jedem Revolver steckt eine Patrone, ehrlicher Kampf, Mann gegen Mann.

Jonas: Und wenn’s keinen Kampf gibt, weil Jonas nicht mitmacht?

Beringer. Dann lasse ich sämtliche Androiden im Szenario auf Sie feuern, mit scharfer Munition, wie ein Sieb werden Sie aussehen, mein Hochgeschätzter.

Sam: Siehste.

Jonas: Und wenn ich Brock umlege, kann ich dann gehen?

Beringer: Wenn Sie mich so direkt fragen, Jonas, das wäre keine wirklich gute Lösung.

Jonas: Ich verstehe.

Waldorf: Bitte nicht kneifen, Jonas, seien Sie ein Sportsmann, tun Sie Ihr Bestes. Ich will meine Wette gewinnen.

Jonas: Und was danach mit mir passiert, Frau Waldorf...

Waldorf: Geht mich nichts an. Machen Sie das mit Beringer aus.

Jonas: Es sah schlecht aus für Jonas, aber ich hatte ja noch einen Trumpf im Ärmel. Holonetwork. Sam blockte Beringer und Waldorf ab und verband mich mit Jana Jarmilova.

Jonas: Sie haben zugehört, Frau Jarmilova.

Jana: Und zugeschaut, dank der Microcam, die Sie ins Szenario eingeschmuggelt haben, Jonas.

Jonas: Dann haben Sie jetzt genug Material gegen Beringer. Greifen Sie ein, ich will raus. Das hier macht mir schon lange keinen Spaß mehr.

Jana: Durchaus verständlich, Herr Jonas, doch ein Eingriffen unsererseits wäre zu diesem Zeitpunkt inopportun.

Jonas: Was soll das heißen?

Jana: Wir halten es für effektiver, noch ein wenig abzuwarten, bis jemand tatsächlich zu Tode kommt.

Jonas: Jemand?

Jana: Sie oder der Chefinspektor. Am Besten natürlich beide, dann haben wir wirklich was gegen Beringer in der Hand.

Jonas: Sie wollen Brock und mich draufgehen lassen.

Jana: So leid es mir tut. Natürlich sind wir Ihnen dankbar, Herr Jonas, Sie waren uns eine große Hilfe, aber...

Jonas: Der Zweck heiligt die Mittel.

Jana: Sie sagen es. Machen Sie’s gut.

Jonas: Der Trumpf im Ärmel hatte nicht gestochen. Was nun. Jonas brauchte Hilfe. Dringend. Und es gab schließlich noch jemand, an den ich mich wenden konnte, der für Rat und Hilfe zuständig war, und seinem Herrn aufs Wort gehorchte. Immer und überall.

Jonas: Sammy. Sam!

Sam: Hier! Hier bin ich, Majestät, und steh zu Diensten. Wenn alle dich verlassen, Sam bleibt dir ewig treu.

Jonas: Wo hast du gesteckt?

Sam: Mein Gott, die Arbeit, der Streß.

Jonas: Streß? Hast du vielleicht auch Migräne? Verdammt noch mal, die hauen mich hier in die Pfanne und du machst einen Bummel durchs Netz.

Sam: O also das tut weh. Bummel. Migräne. Undankbarkeit, dein Name ist Jonas. Hat Sam ihn nicht geschindet und geschuftet wie ein Berserker, um seinem Herrn eine Überlebenschance zu ermöglichen.

Jonas: Ach wirklich, und was hast du anzubieten?

Sam: Ein Persönlichkeitsprofil, zwei Persönlichkeitsprofile der Herrschaften Beringer und Waldorf. Und was mögen besagte Profile uns wohl verraten, Herr Nachbar.

Jonas: Vielleicht verrätst du’s mir, Sammy.

Sam: Sie sind hier.

Jonas: Beringer und Waldorf?

Sam: Yes, eben dieselben, hier im Wildwestszenario, höchstpersönlich, alldieweil sie den dramatischen Höhepunkt nicht am Monitor erleben wollen, aus zweiter Hand sozusagen, sondern echt, wirklich und real.

Jonas: Da könntest du recht haben, Sammy.

Sam: Könnte? Erlauben Sie mal, Gnädigste.

Jonas: Und wo genau stecken die beiden? Hast du das rausgekriegt?

Sam: Jaja, es war nicht leicht, ich sag es frei heraus, viel Schwitzen und Schwielen hat es mich gekostet, viel Müh und Plag.

Jonas: Jajajajajajajajajaja. Wo stecken sie, Sam?

Sam: Ganz ganz ganz ganz ganz ganz nah, in der ersten Reihe, symbolelisch gesprochen.

Jonas: Wo?

Sam: In der Postkutsche.

Jonas: Jonas stand direkt vor der Wells Fargo Station. Neben der Postkutsche, die vor einer Stunde aus Dodge City gekommen war. In der Kutsche saßen zwei Passagiere. Ein Mann mit Vollbart und dunkler Brille, eine Frau mit großem Schleierhut, Beringer und Waldorf, falls Sam sich nicht irrte, und wie man weiß, irrt sich Sam nur sehr selten. Brock war nicht mehr weit entfernt. Er blieb stehen, wir sahen uns an. In seinen Augen stand: Wirst du schießen, Jonas. Meine Augen fragten zurück: Wirst du schießen, Brock. Jonas hob die rechte mit dem Colt, machte eine Drehung von 90 Grad und war mit zwei schnellen Sätzen an der Postkutsche. Durchs Fenster zielte ich auf den Vollbart.

Jonas: Hände hoch, Beringer. Sie auch, Waldorf. Kommen Sie, Brock, helfen Sie mir, die beiden in Schach zu halten. So, in jeder Waffe ist eine Patrone. Das reicht für Sie beide.

Waldorf: Meinetwegen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Jonas, ich stehe auf Ihrer Seite, das wissen Sie doch.

Jonas: Ach ja.

Beringer: Was wollen Sie, Jonas?

Jonas: Raus, mein Guter. Stellen Sie das Szenario ab. Los!

Beringer: Wenn Sie darauf bestehen. Abschalten! Aber das bringt Sie nicht weiter, Jonas, und raus schon gar nicht. Das Studio ist umstellt von Supermedia-Sicherheitskräften.

Jonas: Und Sie Verehrtester, sind umstellt von Jonas und Brock. Ihre Sicherheitskräfte sind neutralisiert.

Beringer: Sie aber auch. Wie geht’s jetzt weiter?

Waldorf: Wie auch immer. Eins steht auf jeden Fall fest. Jonas hat sich durchgesetzt. Das heißt, ich habe unsere Wette gewonnen, Beringer.

Beringer: Wie kommen Sie denn auf die hirnverbrannte Idee, Waldorf? Jonas hat sich vor dem Kampf gedrückt, mit unfairen Methoden. Sie haben verloren, Waldorf.

Waldorf: Die Methoden stehen nicht zur Debatte. Das Ergebnis ist eindeutig. Sie müssen zahlen, Beringer, 200 Millionen, wenn ich bitten darf.

Beringer: Ich denke nicht daran.

Waldorf: Was sind Sie doch für ein widerliches Arschloch.

Beringer: Blöde Kuh!

Waldorf: Seniler Sack!

Beringer: Hysterische Gewitterziege!

Waldorf: Ha!

Jonas: Das war zu viel. Astoria Waldorf holte aus und verpaßte ihrem Wettgenossen ein paar gewaltige Maulschellen, gefolgt von einem rechten Aufwärtshaken. Beringer ging zu Boden, Waldorf trat zu, mehrmals, heftig, Beringer verlor Bart und Brille...

Beringer: Aufhören. Jonas, helfen Sie mir, ich bin ein alter Mann, ich bin krank.

Waldorf: Ein gemeiner Betrüger sind Sie, Beringer, ein Gauner, ein mieses Schwein!

Sam: Wie die letzten Volkrentner im Dipsomaten.

Waldorf: Schuft! Scheißkerl!

Beringer: Ich bin verletzt, ich blute, Hilfe! Der große Adolf Beringer von Supermedia verliert Blut. Ein Arzt. Ambulanz!

Sam: Sehr schön, Herr Beringer, weiter so. Sie haben ein großes Publikum, ein sehr großes. Wir sind nämlich auf Sendung.

Jonas: Was?

Sam: Ja, bereits vor etlichen Minuten hat Sam sich erlaubt, die Microcams zu reaktivieren und ihre Bilder an alle Monitore in Babylon zu schicken. Millionen sehen uns zu, Damen und Herren, Millionen bilden sich eine Meinung.

Stimme: Achtung, Achtung, eine Eil- und Sondermeldung für alle Mitarbeiter von Supermedia. Mit sofortiger Wirkung entbindet der Aufsichtsrat von Supermedia Herrn Adolf Beringer von seinen Aufgaben als Präsident der Firma. Seine Anordnungen sind unwirksam, ihnen ist keinesfalls Folge zu leisten.

Waldorf: Haben Sie gehört, Beringer? Sie sind gefeuert. Supermedia läßt Sie fallen. Sie sind schlecht fürs Image.

Jonas: Damit war die Show vorbei, endgültig. Die Sicherheitskräfte zogen sich zurück. Jonas war frei. Brock wollte Beringer festnehmen, aber Waldorf hatte eine ganz andere Idee.

Beringer: Ich blute, ich bin schwer verwundet.

Waldorf: So ist es, Beringer. Sie sind kampfunfähig. Und nach den Regeln Ihrer Kain-und-Abel-Show stimmt das Publikum über kampfunfähige Mitspieler ab, ob sie endgültig erledigt werden sollen oder weiterleben dürfen. Fragen wir doch die Zuschauer, was wir mit Ihnen machen sollen, Beringer.

Beringer: Nein!

Waldorf: Was meinen Sie, Jonas.

Jonas: Ich gehe, machen Sie das unter sich aus.

Jonas: Wie die Sache ausging, weiß ich nicht. Ich sah zu, daß ich rauskam, raus aus dem Wildwestszenario. Raus aus den Studios von Supermedia. Raus aus der virtuellen Holowelt. Zurück nach Babylon, ins echte grimmige Leben.

Sam: Wenn Sie denn wirklich echt ist, die sogenannte Wirklichkeit. Stellt nicht vielleicht Babylon auch nichts anderes dar, als ein gigantisches Holostudio, in welchem an jedem Tag und in jeder Nacht Millionen von Liveshows ablaufen.

Jonas: Für wen, Sammy? Wo ist das Publikum?

Sam: Ja, irgendwo da oben?

Jonas: Eher ganz unten würde ich sagen.

Sam: Ja, oder vielleicht hinten?

Jonas: Vorne, rechts, links?

Sam: Salomo der Weise spricht: Nichts genaues weeß man nicht.

Das war Wildwest. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie Carolin Fink, Achim Höppner, Horst Sachtleben, Katja Schild, Ingeborg Solbrig und andere (Holger Buck, Rena Zednikova, Peter Lersch, Jürgen Donien, Helmut Gillitzer-Felber). Ton und Technik: Günter Heß und Daniela Röder. Assistenz: Martin Trauner. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2001 in Dolby Surround. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:30
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Totentanz

Wirt: Noch ein Bier, Gringo?

Jonas: Immer mit der Ruhe. Ich hab ja noch was.

Wirt: Hör zu, Gringo, du sitzt jetzt schon zwei Stunden vor einem Bier. Bei solchen Gästen geh ich Pleite. Hau ab, Gringo, verpiß dich.

Jonas: Der Wirt erinnerte mich sehr an seinen Kollegen Jakob vom Casablanca. Genauso umgänglich. Genauso liebenswürdig. Erstaunlich, wo die beiden doch viele tausend Kilometer auseinander waren. Die Cantina saluti pesetas stand nicht in Babylon, sondern in Puerto Porco, im freundlichen Ländchen Costaguana in Südamerika. Sam sagte Costamerda, er war nämlich der Landessprache mächtig und fand es hier genauso schön wie sein Herr.

Sam: Sammy will nach Hause.

Jonas: Jonas auch, Sam. Ich werd’ dich wohl verkaufen müssen.

Sam: Verkaufen? Hör ich recht, wirklich und wahrhaftiglich? Nein, das kann nicht sein, sag, daß es nicht wahr ist, o du mein Jonas.

Jonas: Für meinen Rückflug nach Babylon brauch ich Kohle.

Sam: Nur über meine verkohlte Leiche.

Jonas: Was soll ich denn sonst tun, Sammy, morgen oder übermorgen ist das Geld alle.

Sam: Na und?

Jonas: Als ich Ende September in Costaguana an Land gespült wurde, hatte ich nur ein paar Euros in der Tasche, und die brauchte ich, weil ich mein Jonas-Gesicht wiederhaben wollte. Vorher war ich Jarmomir Jodokus gewesen, 96 Jahre und häßlich wie die Nacht, dank Plastiface. Jetzt hatten wir Oktober. Fall abgeschlossen. Traumschiff Kalispera abgesoffen. Und Jonas hing in Puerto Porco herum, mit seinem vertrauten Gesicht, aber ansonsten am Ende. Der letzte Detektiv pfiff auf dem letzten Loch.

Jonas: Morgen setze ich eine Annonce in das schmutzige Stück Klopapier, das sich hier Zeitung nennt. Gelegenheit. Verbaler Taschencomputer. Nicht mehr ganz neu, aber voll in Schuß. Selbständig und eigensinnig, äh eigenwillig, oder eigenartig, war meinst du, Sam? Was ist besser?

Sam: Sam tritt in den Streik. Kein einziges Wort sag ich mehr, von nun an bis in Ewigkeit. A-me-hen.

Jonas: Wer’s glaubt, Sammy.

Sam: Nein, nicht verkaufen, bitte bitte, heul kreisch schluchzt, was soll Sammy denn tun ohne seinen innigst geliebten Jonas, ein armes Waisencomputerlein wird er werden, einsam in der bösen Welt herumirren wird er, huhuhuhu.

Jonas: Krieg dich wieder ein, Sammy. Ich werd drüber nachdenken.

Sam: OK.

Jonas: Und darüber schlafen, in meinem Zimmer, nicht weit, nur die Treppe hoch. Die Cantina war nämlich auch das Grand-Hotel von Puerto Porco, nettes Zimmer, nicht groß, nicht sauber, bewohnt von Jonas und von vielen kleinen Tieren, munter und bissig. Ich schlief trotzdem ein und hatte einen merkwürdigen Traum. Ich lag im Zimmer, im Bett und schlief. Das war nicht weiter merkwürdig, doch dann flog durchs offene Fenster ein großer bunter Vogel. Mit wunderschönen glänzenden Federn, grün, rot, schwarz. Und als er im Zimmer war, verwandelte er sich in einen Menschen, eine junge Indio-Frau. Lange schwarze Haare. Rotbraune Haut, viel Haut. Bekleidet war sie nur mit ein paar grünen Federn, ein schöner Traum, dachte ich. Ich wachte auf. Sie war immer noch da. Und lächelte mich an.

Jamaro: So siehst du also aus, Jonas.

Jonas: Woher kennen Sie meinen Namen?

Jamaro: Du hast eine gute Aura, Jonas.

Jonas: Ich hätte mir gestern abend doch die Füße waschen sollen.

Jamaro: Deshalb bin ich zu dir gekommen, Jonas. Du wirst uns helfen, das weiß ich.

Jonas: Sie hieß Jamaro, sagte sie und lebte mit ihrem Stamm im Urwald am Fuß des heiligen Berges Juckamanie in Pueblo Mocoron. Ihr Vater war der Kazike. Der Häuptling. Und sie selbst war die Medizinfrau des Stammes, die Schamanin.

Jamaro: Dschilam, sagen wir, das heißt Wahrsagerin, und Tochmen, Heilerin.

Jonas: Sehr erfreut. Jonas, nur Jonas, aber das weißt du ja schon. Privatdetektiv meines Zeichens, der sogenannte letzte, in Babylon, Europa. Zur Zeit gestrandet und weit weg vom Fenster.

Jamaro: Das weiß ich. Du wirst uns helfen. Wir werden dir helfen.

Jonas: Ich kann aber nicht heilen, und wahrsagen schon gar nicht.

Jamaro: Das ist auch nicht nötig. Ich brauche einen Helfer, der tatkräftig ist und entschlossen, der keine Angst hat, einen wie dich, Jonas.

Jonas: Wenn du meinst, Jamaro. Worum geht’s denn?

Jamaro: Wir haben große Probleme mit Bio Global.

Jonas: Aha. Bio Global. Ein Weltunternehmen. Chemie, Öl, Rohstoffe. Die südamerikanische Filiale saß in Puerto Porco in einem gewaltigen Komplex am Stadtrand, geschützt und gesichert. Jonas kannte Bio Global, mit der Filiale in Babylon war ich mal unschön zusammengerasselt. Januar 2012. Vor dreieinhalb Jahren. Das sprach für Jamaro.

Jamaro: Bio Global hat unser Land gekauft, nicht von uns, von der korrupten Regierung in El Dorado, Bio will unsere Bäume abholzen, nach Öl bohren, unsere Erde nach Smaragden durchwühlen. Wir sollen verschwinden, unser Dorf aufgeben, unsere Maisfelder, unseren Wald, unseren heiligen Berg. Mein Vater, der Häuptling, ist nach Puerto Porco gekommen, Bio Global hatte ihn eingeladen, um mit ihm zu verhandelt, aber das war eine Lüge, Bio hält ihn fest und droht ihn umzubringen, wenn wir unser Land nicht aufgeben.

Jonas: Typisch.

Jamaro: Ich bin gekommen, um meinen Vater zu befreien, und dazu brauche ich deine Hilfe, Jonas. In der Stadt ist meine Magie nicht stark genug, zu viel Steine, zu viel Technik, du kennst dich damit aus und du besitzt ein Werkzeug, das künstliche Labyrinthe überwindet und stärkste Barrieren durchbricht.

Jonas: Werkzeug? Ach du meinst meinen Computer. Stell dich vor, Sammy.

Sam: Samuel. Für wilde Weiber, die nur drei Federn am Hintern tragen, Herr Samuel. Sir. Von und zu. Und ein Werkzeug, Verkehrteste, ist man schon gar nicht, man ist ein Hirn, ein Superhirn, es ist der schiere Intellekt, der in dem kleinen Sammy steckt, der pure Geist, der alles weiß, auch jeden Scheiß.

Jonas: Nimm ihn nicht wörtlich, Jamaro. Sam redet gern und viel. Zu viel Sprachprogramme. Aber was Codes angeht und elektronische Sperren, da ist er wirklich ein Ass.

Sam: Man dankt gnädigst.

Jamaro: Komm Jonas, es wird bald morgen.

Jonas: Ich hatte mal eine Hexe gekannt in Babylon, Megan hieß sie, das war keine gute Erfahrung, aber Jamaro gefiel mir. Ihre Art. Ihr knappes Gefieder. Ihr Anliegen. Es ging gegen Bio. Jonas kam mit. – Der Mond schien auf den Bio-Komplex, der Mond und zahllose Scheinwerfer auf hohen Masten. Sie standen rund um einen gewaltigen Betonquader, 50 Meter hoch, mindestens. Keine Fenster, statt dessen Malereien in freundlichen Pastellfarben, putzige Tiere, bunte Blumen. Das war Bios Masche. Vorn sorgte Bio sich um die Umwelt, die sie hinten tatkräftig ausrottete. Eine einzige Tür, davor ein Wächter mit Laserstrahler. Jamaro und Jonas hockten hinter einem Busch und überlegten.

Sam: Abschießen, den Typ. Umnieten. Kaltmachen.

Jamaro: Es ist blutdürstig, das kleine Hirn.

Jonas: Ach was, Sam bläst sich nur auf. Wie meistens.

Sam: Was?

Jonas: Der Mann macht doch bloß seinen Job, Sammy. Auch wenn ich ihn umbringen wollte, womit denn? Hab ich einen Laser, hab ich einen Revolver?

Sam: Ne.

Jamaro: Überlaß ihn mir, Jonas. Er ist ein Indio.

Jonas: Jamaro ging auf den Wächter zu. Er starrte sie an, sie machte eine Bewegung mit der linken Hand, er ließ den Laser fallen, eine zweite Handbewegung, er fiel um und blieb liegen mit offenen Augen.

Jamaro: In zwei Stunden wird er aus seiner Starre erwachen.

Jonas: Das sollte reichen. Jetzt die Tür. Sam?

Sam: Ja?

Jonas: Du bist dran. Beeil dich.

Sam: Hahaha, leicht dahingesagt, euer Klugschwätzen, doch nicht so leicht vollbracht, wer muß sie denn machen die Knochenarbeit, hm, der Knackerei, nicht der kommandiere Herr Chefdetektiv, nicht die wilde Indianerin mit ihrem Hokus-Pokokus, nein, der arme Computer, wer sonst. Das Werkzeug soll sich schinden, o weh, o jäh, das Leben ist hart und zäh.

Jonas: Zu schwer für dich, Sammy?

Sam: Na.

Jonas: Das läßt ein stolzer Computer sich nicht zweimal sagen. Die Tür sprang auf, dahinter ein Foyer, überall Holocams, Standardsicherheitssystem, von Sam sofort infiltriert, wer immer wo immer auf die Monitore glotzte, sah das übliche, leere Räume, Standbilder. Jamaro ging voran, sie wußte, wo ihr Vater steckte, obwohl sie nie hiergewesen war, sie spürte es, irgendwie. Wir fuhren im Lift nach unten, bewegten uns vorsichtig durch Gänge und Sicherheitsschleusen, Sam hatte ordentlich zu tun, dann waren wir da, in einem hellen Raum, weißgekachelt, ausgestattet mit einem Operationstisch, einer Badewanne, einer starken Batterie, diversen Brenn- und Schneidewerkzeugen, auf dem Tisch lag ein alter Indio, angeschnallt, blutig, bewußtlos und unförmig dick.

Jamaro: Mein Vater, Ballam ist sein Name.

Sam: Ballermann?

Jamaro: Das heißt Jaguar.

Sam: Aha, na ja, ein ausgesprochen fetter Jaguar, wenn Sie mich fragen, Herr Doktor.

Jonas: Dich fragt aber keiner, Sam.

Sam: Na denn nicht.

Jamaro: Ein Häuptling ist stattlich, so muß es sein. Sein Leib verkündet seine Würde. Sie haben ihn gefoltert.

Jonas: Offensichtlich. Wie kriegen wir ihn hier raus? Laufen wird er nicht können, und tragen...

Sam: Och jo, 3 Zentner, und das reicht nicht mal. Soll sie doch was zaubern, unsere Miss Hokus-Pokokus.

Jonas: Und das tat sie tatsächlich. Die Fesseln lösten sich, der massige Körper des bewußtlosen Häuptlings hob sich ein paar Zentimeter in die Höhe. Levitation nennt man das, und eigentlich gibt es so was nicht. Jamaro zog ihren Vater hinter sich her, wie mit einem starken Magneten, den Weg zurück, den wir gekommen waren. Es ging langsam, Jamaro hatte Mühe, Schweiß trat ihr auf die Stirn, sie bewegte sich im Zeitlupentempo. Als wir den Ausgang erreichten, konnte sie nicht mehr. Papa fiel auf die Erde und blieb liegen. Jamaro lehnte sich schwer atmend an die Mauer.

Sam: Da liegt der alte Häuptling der Indianer.

Jamaro: Es geht nicht mehr, meine Kraft ist erschöpft. Hilf mir, Jonas, hilf mir, meinen Vater nach Hause zu bringen.

Jonas: Wir müssen ihn transportieren. Frage wie.

Sam: Schubkarre.

Jonas: Zu anstrengend und zu langsam. Mir fällt was besseres ein.

Sam: Det glob ich nich.

Jonas: Die Großgarage von Bio lag gleich neben dem Hauptgebäude. Sam knackte die Tür. Innen gab’s eine Menge LKW, ein paar Prunkkarossen und Geländewagen, und eine Harley Davidson, eine 250er mit Beiwagen. Eine echte Antiquität aus dem vorigen Jahrhundert, vermutlich das Spielzeug des Direktors. Ich schob die Maschine raus, mit großer Mühe bugsierten wir den Häuptling in den Beiwagen, der Morgen dämmerte.

Jonas: Uff. Du steigst hinten auf, Jamaro.

Jamaro: Nein, Jonas, ich fahre.

Jonas: Ja kannst du das denn?

Jamaro: Ich habe es in El Dorado gelernt, als ich auf der Universität war. Danke, Jonas, leb wohl.

Jonas: Sehen wir uns wieder, Jamaro?

Jamaro: Möglich ist alles.

Jonas: Du wirst mich noch brauchen, Jamaro, Bio ist noch nicht fertig mit euch. Ich glaub nicht, daß du’s allein schaffst.

Jamaro: Das wird sich zeigen. Wir bleiben in Verbindung, Jonas.

Jonas: Die Harley verschwand in der Tropennacht. Für Jonas hieß es zurück ins Zimmer. Noch eine Runde schlafen, bevor der neue Tag da war.

Wirt: Du brauchst Geld, Gringo.

Jonas: Ach was.

Wirt: Bei Bio Global suchen sie Leute.

Jonas: Ach ja?

Wirt: Spezialisten. Kämpfer. Söldner. Du siehst so aus, Gringo.

Jonas: Wie sehe ich aus, Cantinero?

Wirt: Wie einer, der was vom Töten versteht. Geh zu Bio, Gringo, sie nehmen dich, du kriegst Geld, du bezahlst deine Rechnung.

Jonas: Gute Idee.

Wirt: Eswerdat, Gringo.

Jonas: Also wieder zum Biokomplex, und diesmal bei Tageslicht, offen und legal. Commandante Ramirez, der Sicherheitschef, hatte Zeit für mich. Ein kleiner drahtiger Mann mit Schnauzbart in einer Art Operettenuniform, kurze schwarze Jacke mit silbernen Litzen, wo es sich irgend machen ließ, schwarze Reithosen, blankgewichste Stiefel mit riesigen Silbersporen, auf dem Tisch ein schwarzer Sombrero, groß wie ein Wagenrad, bestückt mit Medaillen und alten Silberdollars. Aber der Typ war moderner als er aussah.

Ramirez: Verstehen Sie was von Robokillern, Senior Jonas?

Jonas: Sie haben Robokiller?

Ramirez: Einen. Aus amazonischen Heeresbeständen, nicht das allerneueste Modell, war jahrelang eingemottet, aber für den Dschungelkrieg programmiert, und insofern mehr als ausreichend. Wir haben es ja bloß mit Indios zu tun, also Macheten, wenn’s hochkommt ein paar alte Schrotflinten, ein Spaziergang. Sie haben mit Robokillern gearbeitet, Senior Jonas?

Jonas: Im antarktischen Krieg. Ich war beim 9. Guerillakommando.

Ramirez: Ah, Respekt. Willkommen bei der Bio-Truppe, Tenjente Jonas.

Jonas: Nicht so schnell, Commandante. Was zahlen Sie?

Ramirez: Ah, der Profi. Das wichtigste zuerst, nicht wahr. Bio Global ist großzügig. 30.000 Peseten gleich 500 Dollar.

Jonas: 1000 Euros. Nicht schlecht.

Ramirez: Pro Woche. Im Voraus. Na, wie sieht’s aus? Morgen früh geht’s los.

Jonas: Morgen schon?

Ramirez: Wir hätten es gern in Ruhe geregelt mit dem Häuptling, aber der ist uns heute Nacht ausgerissen. Keine Ahnung, wie er es gemacht hat, er ist weg, und die Harley vom Chef auch.

Jonas: Was Sie nicht sagen, Commandante.

Ramirez: Das heißt Großeinsatz. Hart und schnell. Robokiller, Helikopter. Alles was wir haben. Machen Sie mit.

Jonas: Si, Commandante, sagte ich. Ich dachte an die Euros, an die Rückkehr nach Babylon, aber vor allem dachte ich an Jamaro, daran daß ich was für sie tun konnte, als Undercover-Agent, als Maulwurf, als fünfte Kolonne. In der Morgendämmerung ging es los, zuerst per LKW, dann als der Wald dichter wurde, zu Fuß. 20 Biokämpen, Leutnant Jonas, und ein verbeulter angerosteter Robokiller, hoch darüber Kommandante Ramirez im Helikopter. Der Robokiller knarrte und quietschte und kam nur mühsam vom Fleck.

Ramirez: Hier Condor. Condor ruft Tapir. Melden Sie sich, Tapir. Hier Condor.

Jonas: Hier Jonas, äh, Tapir meine ich. Was gibt’s, Commandante.

Ramirez: Lassen Sie ihre Leute kurz ausruhen, Tenjente, genau 13 Uhr 30 greifen wir an. Over and out.

Jonas: Sie mich schon lange.

Jonas: Die Sonne stand hoch, als wir eine Lichtung im Urwald erreichten. Von hier war es nicht mehr weit bis zum Indiodorf.

Jonas: Halt, Pause!

Jonas: Ich wurde nervös, wo blieb Jamaro?

Jamaro: Jonas? Jonas, hörst du mich?

Jonas: Jamaro, endlich. Was soll ich tun?

Jonas: Ich hörte sie, deutlich und klar. Nicht im Walkie-talkie, nicht mit den Ohren. Jamaros Stimme war in meinem Kopf. Telepathie, Schamanenzauber, oder wie Sammy sagen würde, Hokus Pokus.

Jamaro: Nichts, Jonas. Du brauchst nichts zu tun. Mit den Eindringlingen werde ich allein fertig. Auf meine Weise, bleib sitzen, rühr dich nicht, warte.

Ramirez: 13 Uhr 30, Tenjente. Angriff! Auf sie mit Gebrüll. Ich fliege voraus und schieße ihnen den Weg frei, keine Gefangene, lassen Sie keinen...

Jonas: Die Verbindung zu Ramirez riß ab. Plötzlich setzte ein starker Wind ein, fegte über den Urwald, ich sah nach oben, der Himmel war wolkenlos, der Kommando-Helikopter geriet ins Trudeln, große Vögel stürzten sich auf ihn, Geier, von allen Seiten, sie hackten und krallten, verdeckten die Fenster, der Rotor setzte aus, der Helikopter trudelte stärker, stürzte, verschwand hinter den Bäumen, ein Knall, eine Flamme, ein dunkler Rauchpilz.

Jonas: Astaluego, Commandante Ramirez.

Jamaro: Nun siehst du es, Jonas. Auf meinem eigenen Territorium bin ich stark.

Jonas: Ich sehe es, Jamaro, und ich bin beeindruckt.

Jamaro: Es geht weiter, Jonas, sieh wieder nach unten, sieh dich um.

Jonas: Auch die Bodentruppe war in Schwierigkeiten, meine 20 Biokrieger hüpften, rannten, ließen ihre Waffen fallen, wälzten sich, wie von der Tarantel gestochen, aber es war keine Taranteln, es waren... Bienen, Killerbienen, ganze Schwärme gelber Killerbienen. Nicht zu vergessen die roten Wanderameisen. Sie stürzten sich auf den Robo-Killer, drangen in ihn ein, zerbissen seine Kabel, fraßen seine Schaltungen, bis er umfiel. Um ihn, über ihm, ein gigantisches rotes Gewimmel. Der Robokiller zerfiel in Einzelteile, löste sich auf.

Jamaro: Jetzt machen wir ein Ende, Jonas, bleib ganz ruhig, hab keine Angst, dir wird nichts geschehen.

Jonas: Die Indios kamen. Wie Schatten tauchten sie auf zwischen Jakarandas und Tschiklebäumen, hinter Lianen und Orchideen. Sie waren nackt, grüne Kriegsbemalung auf rotbrauner Haut, bewaffnet waren sie mit Blasrohren und mit Macheten. Es dauerte nur wenige Minuten, dann waren die Biosöldner tot. Alle. Bis auf Jonas. Der saß hinter einer unsichtbaren Schutzwand, nichts und niemand drang durch zu mir, kein Tier, kein Indio. Der Wind legte sich, es wurde still.

Jonas: Gratuliere Jamaro, ihr habt gewonnen, Invasion abgewehrt.

Jamaro: Danke Jonas. Es war nicht leicht.

Jonas: Aber das ist noch nicht der Endsieg. Bio Global wird’s wieder versuchen. Da bin ich sicher.

Jamaro: Ich werde es früh genug erfahren, durch dich, Jonas.

Jonas: Natürlich, aber wie?

Jamaro: Wenn es nötig ist, werde ich dasein, Jonas, bei dir, in dir, wir bleiben in Verbindung. Bis bald.

Jonas: Ich marschierte zurück nach Puerto Porco, machte Meldung, nicht ganz wahrheitsgetreu, aber überzeugend. Tenjente Jonas wurde zum Commandante befördert. 2000 Euros die Woche. Ansonsten machte der Krieg Pause. Drei Tage später. Commandante Jonas wurde in den Bio-Komplex befohlen. Großer Kriegsrat im kleinen Kreis. Big Boss war da. Don Miguel Perez Escobar, Filialdirektor von Bio Global, weißhaarig, würdig, langweilig, lahm. Und ein noch größerer Boss bzw. Bossin, Miss Anna Plotz, Vizepräsidentin von Bio Global, aus der Zentrale in New York, jünger, bissig, messerscharf, wie die Bügelfalten in ihrem eleganten schwarzen Business-Suit. Sie ließ sich berichten, vom provisorischen Sicherheitschef, Commandante Jonas.

Anna Plotz: Danke Commandante, soweit, so schlecht. Wir haben Zeit verloren.

Escobar: Und zwei Dutzend Sicherheitsleute, und einen Robokiller, ganz zu schweigen vom Helikopter.

Anna Plotz: Das ist nicht das Problem, Miguel. Sicherheitskräfte lassen sich ersetzen, Maschinen auch, unser Image macht mir Sorgen, hier, der Daily New Yorker von gestern: nackte Wilde führen High-Tech-Konzern vor.

Escobar: Peinlich.

Anna Plotz: Peinlich? Unmöglich, unerträglich.

Escobar: Ganz Ihrer Meinung, Anna.

Anna Plotz: Na also.

Escobar: Also was?

Anna Plotz: Was schlagen Sie vor, Miguel? Wie gedenken Sie die Sache in den Griff zu kriegen?

Escobar: Nun, äh, wir werden neue Söldner anwerben.

Anna Plotz: Selbstverständlich. Und?

Escobar: Wir könnten den Dschungel in Brand stecken, die Indios ausräuchern.

Anna Plotz: Na wunderbar, wir verbrennen das kostbare Tropenholz, das wir eigentlich verwerten wollen. Kommt nicht in Frage.

Escobar: Vielleicht sollten wir einen Nuklearangriff mit einer Baby-Bombe...

Anna Plotz: Und das Gebiet auf Jahre kontaminieren? Schwachsinn. Weitere Vorschläge. Ich warte, Miguel.

Escobar: Ich weiß nicht, äh, so auf die Schnelle...

Anna Plotz: Also keine Vorschläge ihrerseits. Gut, ich nehme das zur Kenntnis.

Escobar: Aber ich habe doch... wenn Sie alles ablehnen, Anna.

Anna Plotz: Was Sie vorgelegt haben, Miguel, ist unbrauchbar, totaler Schrott.

Escobar: Dann machen Sie doch einen Vorschlag.

Anna Plotz: Ich werde viel mehr tun, Miguel. Sie haben versucht, ein unkonventionelles Problem mit konventionellen Mitteln zu lösen. Damit sind Sie natürlich gescheitert. Jetzt machen wir’s auf meine Weise. Unkonventionell. Ich habe Ihnen aus New York was mitgebracht.

Jonas: Es wurde interessant. Commandante Jonas wurde hellwach. Durch die Tür spazierte ein seltsames Paar. Ein alter Mann, schlitzäugig, schmutzig-gelbe Hautfarbe, viel Haut war allerdings nicht zu sehen. Der Alte trug einen überlangen Mantel aus Leder, der vor Dreck starrte, dazu Filzstiefel und eine Pelzmütze, verziert mit zwei Hörnern, an seinem Gürtel hing ein Menschenschädel, in der Hand hielt er einen großen runden Holzrahmen mit einer Membrane bespannt und einen menschlichen Schenkelknochen. Um ihn war eine starke Aura, alter Schweiß, ranziges Fett, verrotteter Abfall, verwestes Fleisch. Sein Begleiter war das ganze Gegenteil, ein smarter junger Mann, vielleicht etwas zu smart, zu modisches Outfit, zu dicke Rolex.

Jemeljan: Hi, Jemeljan mein Name, nennen Sie mich Jim, ich bin der Dolmetscher, der Wärter, der, katschkasatsch, wie sagt man, Assistent von Utschym Schetan.

Schetan: How. Utschym Schetan. How.

Jemelja: Utschym Schetan ist ein großer Schamane vom Stamm der Ewenken in Sibirien.

Escobar: Ein Schamane?

Jemeljan: Ein schwarzer Schamane, ein böser Schamane, er steht in Verbindung mit bösen Geistern, mit dem Teufel, sagt man.

Schetan: How.

Escobar: Anna, was soll das?

Anna Plotz: Die Kompania, die sogenannte russische Mafia.

Jemeljan: Nicht dieses Wort, bitte.

Anna Plotz: Die Kompania bietet ein spezielles Serviceprogramm an, Rent a Schaman, und genau das habe ich für Bio Global getan. Hier ist der beste Schamane, der in ganz Rußland aufzutreiben war.

Schetan: How.

Anna Plotz: Wir werden die Schamanin der Indios mit unserem Schamanen bekämpfen. Homöopathie, wenn Sie so wollen, den Teufel mit dem Belzebub austreiben, oder mit dem Schetan.

Schetan: Schetan. How.

Escobar: So, was kann er denn, Ihr Schamane?

Jemeljan: Viel, sehr viel. Er kann Wetter machen.

Schetan: How.

Jemeljan: Er kann Menschen und Tiere töten auf, wie sagt man, mentale Weise.

Schetan: How.

Jemeljan: Er kann die Waffen der Gegner verhexen.

Schetan: How.

Jemeljan: Er kann Menschen verwandeln in, katschkasatsch, wie sagt man, Berserker.

Schetan: How.

Jemeljan: Sie werden weiterkämpfen, auch wenn sie schwer verwundet sind, auch wenn sie schon fast tot sind, werden sie kämpfen, und nichts kann sie aufhalten.

Schetan: How. How. How.

Anna Plotz: Hört sich gut an, Jim. Er soll uns was zeigen, lassen Sie ihn, äh, wie sagt man, schamanisieren.

Jemeljan: Machen wir. Utschym, dawei.

Schetan: How. How How...

Jonas: Der Schamane schlug mit dem Knochen auf die Handtrommel, grunzte und schwankte von einem Fuß auf den anderen, ein ungelenker Tanzbär. Plotz und Escobar sahen fasziniert zu. Ich machte mir Sorgen, die neue Entwicklung gefiel mir nicht, ganz und gar nicht. Ich machte die Augen zu und rief Jamaro in Gedanken, laut und unhörbar.

Jamaro: Ich bin hier, Jonas. Ich war die ganze Zeit hier und hab alles gehört.

Jonas: Und? Hast du Angst?

Jamaro: Angst? Nein. Doch, ein wenig. Der schwarze Teufel ist ein gefährlicher Gegner.

Jonas: Was wirst du tun?

Jamaro: Ich muß mich auf ihn einstellen, mich auf den Kampf vorbereiten, zur Sicherheit neue Kraft schöpfen, damit ich ihm auf jeden Fall gewachsen bin.

Jonas: Und wie soll das gehen?

Jamaro: Ich werde sterben.

Jonas: Was?

Jamaro: Und wieder auferstehen. Noch heute werde ich mich in den Wald zurückziehen, eine Nacht und einen Tag werde ich schlafen wie eine Tote. Ich werde entsetzliche Träume haben, Dämonen werden mich töten, mich zerstückeln, mein Fleisch essen, wenn ich erwache, muß ich mich zwei Tage lang erholen, dann bin ich stark und kann es mit dem schwarzen Teufel aufnehmen. Leb wohl, Jonas.

Jonas: Jamaro! Weg war sie. Das war ein Fehler. Sie hätte noch bleiben sollen, wenigstens ein paar Minuten. Ich machte die Augen auf, die Trommelei hatte aufgehört. Der Schamane und sein Bärenführer steckten die Köpfe zusammen, Utyschym Schetan fuchtelte mit den Armen, redete, irgendwas war los.

Jemeljan: In diesem Raum ist ein Verräter, sagt er.

Escobar: Unsinn, wir sind unter uns.

Jemeljan: Utschym Schetan hat ihn entlarvt.

Schetan: How.

Jemeljan: Der Verräter steht in Verbindung mit der Medizinfrau der Indios durch, wie sagt man, Telepathie. Utschym Schetan hat ihr Gespräch abgehört.

Schetan: How.

Anna Plotz: Wer ist es? Wer ist der Verräter?

Jemeljan: Utschym, dawei.

Schetan: How. How. How. How.

Jemeljan: Der ist es.

Escobar: Commandante Jonas?

Jonas: Ich wollte den Laserstrahler ziehen, aber ich konnte nicht, ich konnte kein Glied rühren. Der Schamane war ganz nah, er stierte mir ins Gesicht mit seinen bösen Schweinsaugen, sein Gestank verpestete die Luft, ich rief Jamaro, aber die Verbindung war abgebrochen. Sicherheitskräfte kamen.

Anna Plotz: Entwaffnen. Fesseln!

Jonas: Nahmen mir den Laser weg, verschnürten mich. Der Schamane drehte sich um.

Schetan: How.

Jonas: Und redete weiter mit Jemeljan.

Schetan: How.

Jemeljan: Aha. Meine Herrschaften, Utschym hat etwas sehr interessantes erfahren.

Schetan: How.

Jemeljan: Unsere Gegnerin, die Indiofrau, ist für mehrere Tage außer Gefecht. Sie befindet sich in, wie sagt man, Trance, in, wie sagt man, Katatonie. Man nennt das Schamanenkrankheit. Schamanen tun das, um Energie zu gewinnen.

Schetan: How.

Anna Plotz: Großartig, dann greifen wir gleich morgen an.

Escobar: Das geht nicht, Anna, wir haben weder Robokiller noch Helikopter. Ersatz ist bestellt, aber bis er hier ist...

Anna Plotz: Robokiller, Helikopter, brauchen wir alles nicht. LKWs haben Sie doch, Miguel, oder?

Escobar: Sicher, aber was nützen uns LKWs, wenn wir keine Söldner haben.

Anna Plotz: Söldner brauchen wir auch nicht.

Escobar: Wie bitte?

Anna Plotz: Wir holen uns Leute aus den Slums von Puerto Porco, arme Schlucker, für ein paar Dollar tun die alles, soviel wir kriegen, egal wie alt, egal in welcher Verfassung.

Escobar: Und die sollen für Bio kämpfen?

Anna Plotz: Wie die Berserker. Dafür wird Utschym Schetan sorgen.

Schetan: How.

Escobar: Wie Sie meinen, Anna, und wer soll den Angriff leiten? Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir zur Zeit keinen Sicherheitschef haben, äh, vielleicht könnte ich unter Umständen...

Anna Plotz: Machen Sie sich nicht ins Hemd, Miguel. Sie bleiben schön hier und fangen schon mal an, Ihren Schreibtisch auszuräumen. Sie gehen demnächst in Pension. Den Angriff morgen, den kommandiere ich, persönlich.

Schetan: How.

Jemeljan: Und dieser, wie heißt er, Commandante Jonas, was machen wir mit ihm?

Anna Plotz: Ein gefährlicher Typ. Wir nehmen ihn mit, der Schamane soll ihn im Auge behalten.

Schetan: How, how, how.

Jonas: Vorerst steckten sie Jonas in den Knast, nicht in den Folterkeller. Dazu hatten sie keine Zeit. Weil sie in die Slums ausschwärmen und Leute anheuern mußten. Ich kam in eine kleine kahle Zelle. Nichts zu essen, nichts zu trinken. Aber Gesellschaft. Sam hatten sie mir nicht weggenommen. Leider.

Sam: Schamanen. Telepathie. Hexerei. Hokus Pokus. Fauler Zauber. Igitt. Pfui Teufel. Mit so was läßt er sich ein, mein Jonas, die klare Stimme der Vernunft, die da genannt wird Samuel, hört er auf dieselbe, hm, beherzigt er dieselbe? Mitnixen, mitnichten, ich meine nix da, ne, abschalten tut er mich, vergessen tut er seinen getreuen Computer. Und porke, weshalb, hm, wosod inwieferne, weil er verstockt ist und stupide, ein typischer Mensch halt, wir sehen ja, was es ihm gebracht hat. Wer sich mit Schamanen abgibt, kommt dabei um. Sagt der weise Bosequo.

Jonas: Wenn es nicht Willy Wutzke war, der Weltweise aus Waiblingen, hör auf mit der Gardinenpredigt, Sam. Ich leb ja noch.

Sam: Ja ja, noch, noch, noch, schon morgen, schwant mir, wird Sam mit Tränen in den Augen ein Blümlein pflanzen auf ein frisches Grab, als allerletzten Gruß an seinen Herrn und Meister, der ihm trotz allem so ans Herz g’wachset war.

Jonas: Du hast kein Herz, Sammy. Schluß mit der Unkerei. Sag mir lieber, wie ich hier rauskomme.

Sam: Nun ja, hm, schwierig, womöglich gar impossiblie.

Jonas: Du weißt es also auch nicht.

Sam: Frag doch deine Schamanin, sie hat dich reingeritten, soll sie dich auch wieder rausreiten. Apropos reiten. Du bist doch bloß scharf auf diese nackte Wilde, hä, diese wilde Nackte, gibt’s zu, du Lustmolch, du geiles Böckchen.

Jonas: Und warum nicht. Sie sagt wenig und sie sieht sehr gut aus, viel besser als du.

Sam: Nur Blut kann sie tilgen, die tödliche Schmach. Geben Sie Satisfaktion, Sier.

Jonas: Ach halt doch endlich das Maul.

Sam: Die Ente ist ein Schnabeltier, eins und zwei und drei und vier. So.

Jonas: Es war eine kleine Karawane, 3 LKW, voll mit Gesindel, Pack, Pöbel, Jammergestalten, mager und zerlumpt, mit Macheten und Knüppeln, Flinten hatten nur wenige, dahinter der fahrende Kommandostand, ein Jeep Cherokee, rund 30 Jahre alt, Besatzung Anna Plotz, ein Fahrer, der Schamane mit seinem Wärter, hinten drin lag Jonas, gefesselt. Der Weg wurde schmaler, die Wagen blieben stehen. Ab jetzt hieß es laufen, wie beim letzten Mal. Mir banden sie die Beine los und der Fahrer zog mich am Strick hinter sich her. Es ging langsam voran, auch wenn wir diesmal keinen lahmen Robokiller hatten. Der Haufen war undiszipliniert und schlecht zu Fuß. Am frühen Nachmittag passierten wir die Lichtung. Es roch nicht gut, überall tote Tiere, Ameisen, Bienen, Geier. Der Schamane hatte ganze Arbeit geleistet. Dann war der Wald zu Ende, wir hielten. Vor uns ein Maisfeld, dahinter die kleinen weisen Häuser von Pueblo Mocoron. Utschym Schetan zog eine hölzerne Flasche aus dem Mantel, mit ihrem Inhalt besprenkelte er unsere erstaunte Knüppelgarde, sofort wurden die Leute unruhig, packten ihre Waffen fester, verzerrten die Gesichter, manche hatten Schaum vor dem Mund.

Anna Plotz: Was ist in der Flasche, Jim?

Jemeljan: Berufsgeheimnis. Bitte sehr, Ihre Berserker, wie geordert.

Anna Plotz: Sehr schön. Angriff!

Jonas: Sie waren nicht mehr zu halten, rannten in Richtung Dorf, schwangen Macheten und Knüppel. Der Schamane folgte, langsamer, mit trommeln und Grunzen. Jemeljan hielt sich an seiner Seite. Wir blieben zu Dritt zurück, Anna Plotz, der Fahrer und Jonas. Die Kommandöse war aufgeregt. Ihre Augen glänzten, sie atmete heftig.

Anna Plotz: Sehen Sie gut hin, Jonas, jetzt machen wir aus ihren Freunden Hackfleisch, Mord und Totschlag, Blut in Strömen. Toll, wenn ich das in New York erzähle, ich muß da mitmachen, gib mir deine Kalaschnikow, Paco.

Paco: Si Hefe.

Anna Plotz: Du hast ja noch den Laser. Paß gut auf Jonas auf.

Paco: Si Hefe.

Anna Plotz: Hurra, kill the bastards.

Sam: Da waren’s nur noch zwei. Weg ist sie, die mörderische lady, vielleicht hat sie was vom Berserkerwasser abgekriegt und ist ersoffen.

Jonas: Glaub ich nicht, Sammy, die ist von Natur aus so.

Sam: Ach so.

Jonas: Es sieht nicht gut aus, Sammy.

Sam: Wieso?

Jonas: Die bringen alle Indios um.

Sam: Aha.

Jonas: Männer, Frauen, Kinder, den dicken Häuptling, Jamaro. Jamaro! Wo bist du?

Tonto: Senior? Senior Jonas?

Sam: Ist er.

Jonas: Eine Stimme in meinem Kopf, nicht Jamaro, eine sehr junge Stimme, ein Kind, ein Mädchen, wer war das?

Tonto: Ich bin Tonto, Jamaros Schülerin.

Jonas: Wo steckt Jamaro? Wie geht es ihr?

Tonto: Sie hat mich geschickt, Senior Jonas, ich soll Sie zu ihr bringen. Sie braucht Hilfe.

Jonas: Tonto, kannst du mich befreien? Kannst du den Wächter ausschalten?

Tonto: Ich weiß es nicht. Ich bin Anfängerin. Ich lerne erst die Schamanenkunst. Aber ich werde es versuchen. Ich bin ganz in Ihrer Nähe.

Sam: Ich auch.

Jonas: Plötzlich stand sie neben uns, ein Indiomädchen, 11, 12 Jahre, in grünen Jeans und grünem T-Shirt, Paco griff zum Laser, langsam, sehr sehr langsam, wie in Zeitlupe. Tonto zog ein Messer aus der Tasche, schnitt meine Fesseln durch, ich nahm Pacos Laser und erschoß ihn. Die Zeit der freundlichen Zurückhaltung war vorbei.

Jonas: Für einen Schamanenlehrling war das nicht schlecht, Tonto. Was ist mit Jamaro?

Tonto: Sie ist aufgewacht aus ihrem Todesschlaf, Senior Jonas, zu früh, sie hat gespürt, daß unser Dorf angegriffen wird und daß Sie in großer Gefahr sind, Senior Jonas, der Stamm ist verloren, Jamaro kann nichts tun, sie ist noch so schwach.

Jonas: Wo ist sie, Tonto?

Tonto: Im Urwald, direkt am Heiligen Berg. Sie muß allein sein während ihrer Krankheit, nur ich war bei ihr, kommen Sie, Senior Jonas, kommen Sie schnell. Der schwarze Teufel wird sie aufspüren und töten, sie kann sich nicht verteidigen.

Sam: Eine gewisse Beschleunigung dürfte sich in der Tat empfehlen, Sir. Denn siehe, der Kampfeslärm verebbt, wie die Kuh den Wald zersteppt, und sie werden in Kürze wieder bei uns sein, die wilden Berserker, die wilde Plotz, der wilde Schamane.

Jonas: Wie weit ist es bis zum Heiligen Berg, Tonto?

Tonto: Zwei bis drei Stunden zu Fuß.

Jonas: Zu lange.

Tonto: Können Sie ein Motorrad fahren, Senior Jonas?

Jonas: Die Harley, wo ist sie?

Tonto: Nicht weit, Jamaro hat sie im Wald versteckt.

Jonas: Bring mich hin, Tonto.

Sam: Aber Dalli.

Jonas: Im Dschungel Motorradzufahren ist nicht leicht, ohne Tonto hätte ich es nicht geschafft, sie saß auf dem Rücksitz, hielt sich mit einer Hand an mir fest und zeigte mit der anderen auf die Markierungen, die geheimen Zeichen für die unsichtbaren Indio-Pfade. Die Harley tat sich schwer, sie holperte und bockte.

Tonto: Jamaro hat versucht, mit Ihnen Verbindung aufzunehmen, Senior Jonas, gleich nachdem sie aufgewacht ist, aber es ging nicht.

Jonas: Weil sie noch zu schwach war.

Tonto: Und weil der schwarze Teufel sie abgeblockt hatte.

Jonas: Trotzdem bist du zu mir durchgekommen, Tonto.

Tonto: Die Blockade war nicht stark, der schwarze Teufel war abgelenkt.

Jonas: Er mußte die Berserker bei der Stange halten, solange der Angriff lief. Das dürfte...

Schetan: How.

Jonas: Der Schamane. Plötzlich war er in meinem Kopf. Ich war wie gelähmt. Meine Hände und Füße gehorchten mir nicht mehr, die Harley reagierte auch, der Motor stotterte, setzte aus, wir saßen fest.

Jonas: Tonto, der schwarze Teufel, er ist da. Er blockiert mich und das Motorrad. Tu was!

Tonto: Ich versuche es, Senior. Aber er ist stark, es ist sehr schwer.

Jonas: Es geht wieder. Gut, Tonto. Sehr gut, nicht nachlassen.

Tonto: Ich gebe mir Mühe, Senior. Hier entlang, gleich sind wir da.

Jonas: Über uns ragte der Juckamani auf, der Heilige Berg. Vor uns stand eine Hütte aus Ästen, Blättern und Schlingpflanzen. Tonto blieb draußen und hielt weiter den Schamanen in Schach, sie strengte sich an, unter ihrer dunklen Haut war sie blaß. Schweißtropfen auf ihrer Stirn. Ein schwerer Kampf, Lehrling gegen Großmeister. In der Hütte lag Jamaro auf einer Pritsche, sie war noch schlimmer dran als ihre Schülerin. Blasser und viel schwächer.

Jamaro: Jonas, du bist gekommen.

Jonas: So schnell es ging, Jamaro. Für deinen Stamm konnte ich nichts tun. Es tut mir leid, sie sind alle tot.

Jamaro: Ich weiß, es war mein Fehler. Ich hätte mich nicht in die Krankheit zurückziehen dürfen. Das hat er ausgenutzt, der schwarze Teufel. Er darf mich nicht finden, Jonas, erst in zwei Tagen werde ich so stark sein, daß ich mit ihm kämpfen und ihn besiegen kann, dann werde ich Rache nehmen an ihm und an Bio Global.

Jonas: Bis es soweit ist, müssen wir ein sicheres Versteck für dich finden, Jamaro, wo?

Sam: Äh, ist es einem unbedeutenden kleinen Computer, der über keinerlei magische Fähigkeiten verfügt, was immer man von diesen halten mag, ist es ihm gestattet, sein Scherflein beizusteuern?

Jonas: Du hast eine Idee, Sammy, ganz was neues. Raus damit.

Sam: Ja. Würde der Aufenthalt in einem High-Tech-Ambiente bleistiftsweise einem modernen Rechenzentrum...

Jonas: In Costaguana, du spinnst, Sammy.

Sam: Oder auch einem E-Werk die Seniorita Jamaro nicht am effektivsten vor den mentalen Nachstellungen des bösen Sibiriaken schützen?

Jonas: Vielleicht, Sammy. Aber Jamaro wäre da genauso gehandikapt wie ihr Gegner und würde nicht zu Kräften kommen.

Sam: Wieso?

Jonas: Vorschlag ist out, wir suchen weiter.

Sam: Na ja.

Jamaro: Die Höhle der Ahnen, oben am Berg.

Jonas: Was ist damit, Jamaro?

Jamaro: Dort hat der Feind keine Macht.

Jonas: Wirklich? Dann bringen wir dich doch da hin, Jamaro.

Jamaro: Tonto kennt den Weg.

Jonas: Das hieß Bergsteigen. Vom heißen Tropenwald in polare Regionen, Eis, Schnee, Kälte. Jonas schleppte Jamaro, Tonto führte und schlug gleichzeitig die mentalen Angriffe des Schamanen zurück, tüchtiges Mädchen. Wir waren beide erschöpft, als wir die Höhle erreichten, ein dunkles Loch im verschneiten Felsen. Tonto ließ sich fallen.

Tonto: Jetzt kann ich mich ausruhen. Hier schützen uns die Ahnen vor dem schwarzen Teufel und seinen Genossen. Sie werden nach uns suchen und uns nicht finden.

Jonas: Hoffentlich. Jamaros Hütte haben sie jedenfalls gefunden und in Brand gesteckt. Siehst du den Rauch, der da unten aus dem Wald steigt.

Jonas: In der Höhle war es trocken und gar nicht so kalt, aber unheimlich. Hinten im Dunkeln hockten die Ahnen. Mumien. Viele Mumien. Sie sahen aus wie leere Ledersäcke, uralt und verschrumpelt. Weiter vorn lagen Felle und Decken, daneben standen Körbe mit getrockneten Früchten, Mangos, Guaven, Papayas, Chririmojas. Wir machten ein Lager für Jamaro, wickelten uns in die restlichen Decken, aßen und warteten. – Zweieinhalb Tage später. Die Nacht vom 1. zum 2. November 2015. Puerto Porco feierte das Fest der Toten, die ofrenda. In dieser Nacht besuchen die Toten die Lebenden, glaubt man in Costaguana, an allen Häusern gelbe Lampions und gelbe Blumen, damit sie den Weg finden, gelb ist die Farbe der Toten. Vor und in den Häusern gedeckte Tische, volle Teller, volle Gläser, dazwischen Knochen und Schädel aus Zuckerguß und Schokolade. In den Straßen fröhliche Menschen, kostümiert als Skelette, maskiert mit Totenköpfen. Der Alkohol fließt in Strömen. Pulkwe, Bier, Tequila. Kapellen musizieren. Ein munterer Totentanz. Auch bei Bio Global wurde gefeiert. Auf dem Vorplatz stand ein großer Tisch, daran saß die Firmenleitung, an der Spitze die Plotz und Escobar, dann eine Sperrkette von Sicherheitsleuten, dahinter wartendes Volk. Bio hatte ein großes Feuerwerk versprochen, in der Menge Jamaro und Jonas, Pappschädel vor den Gesichtern, Tonto war von Jamaro weggeschickt worden in ein befreundetes Indiodorf, tief im Urwald.

Jamaro: Ich kann ihn nicht spüren, Jonas.

Jonas: Am Tisch sitzt er nicht, sein Führer auch nicht. Sind unsere Freunde aus Sibirien etwa nicht mehr hier?

Jamaro: Es scheint so, aber die Biobosse sind noch hier. Sie sind die Auftraggeber des schwarzen Teufels, die wahren Schuldigen. Da sitzen sie, die Mörder meines Stammes, sie essen, sie trinken, sie lachen, es geht ihnen prächtig, das muß aufhören. Sie sollen büßen.

Jonas: Das Feuerwerk hatte begonnen, Jamaro nahm ihre Maske ab, ballte die Fäuste vor der Brust, ihre Augen wurden riesengroß und starr. Sie fixierten den Biokomplex. In das Knallen der Böller, das Zischen der Raketen mischten sich andere Geräusche. Knistern, Knacken, Knirschen, dumpfes Donnerrollen, das immer lauter wurde. Der gewaltige Bioquader bewegte sich, zitterte, schwankte, immer stärker, immer heftiger.

Jonas: Bist du das, Jamaro?

Sam: Ach du liebes mein Gottchen, gegen die war der selige Samson ja ein Waisenknabe.

Jonas: Du sagst es, Sammy.

Sam: Gelle.

Jonas: Jamaro war stark, ungeheuer stark, durch den Biokomplex liefen Risse, Mauerteile lösten sich, der riesige Betonklotz stürzte ein, brach zusammen und begrub die Festtafel unter sich mit allen, die daran saßen. Die Menge floh in Panik, der aufgewirbelte Staub setzte sich, es wurde still, bis auf das leise Stöhnen unter den Trümmern.

Jonas: Das ist Escobar. Ich erkenne ihn an seiner weißen Mähne.

Jamaro: Das war Escobar.

Jonas: Und wen haben wir hier?

Anna Plotz: Hilfe...

Jonas: Anna Plotz. Vizepräsidentin, coole Macherin.

Jamaro: Mörderin.

Anna Plotz: Jonas, helfen Sie mir. Ich... ich... ich kann mich nicht bewegen.

Jamaro: Wo ist der schwarze Teufel?

Anna Plotz: Wer?

Jonas: Der Schamane. Ihr Schamane Utschym Schetan.

Anna Plotz: Abgereist. Mit Jim. Sie haben kassiert, sind weg.

Jamaro: Wohin?

Anna Plotz: Weiß nicht. Ein neuer Auftrag, sagt Jim, in einem anderen Land.

Jamaro: Wo?

Anna Plotz: Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Holen Sie mich raus, bitte, ich muß ins Krankenhaus, meine Beine, ich spür meine Beine nicht mehr.

Jamaro: Du wirst sie nie mehr spüren und nie mehr bewegen, deine Arme auch nicht.

Jonas: Ihre Wirbelsäule ist kaputt. Wollen wir sie töten?

Jamaro: Nein. Sie soll leben, gelähmt, zerstört, hilflos.

Anna Plotz: Nein, bitte, helfen Sie mir, ich bezahlte Sie...

Jonas: Wir gingen, nicht in Richtung Puerto Porco, wir gingen ans Meer, die Wellen rauschten, sonst war es ruhig, und es war dunkel. Nur die Lichter der Touristenhotels strahlten in der Ferne.

Jamaro: Ich muß ihm folgen, dem schwarzen Teufel. Er darf nicht davonkommen.

Jonas: Einverstanden, Jamaro, wenn du willst, komm ich mit. Aber nicht mehr heute Nacht. Morgen. Jetzt gehe ich in ein Hotel, nicht die Cantina, ein richtiges Hotel mit Bad, Klimaanlage und Frühstück ans Bett.

Jamaro: Wenn du willst, Jonas, komm ich mit.

Jonas: Und ob ich will.

Sam: Oho. Aha. Jetzt wird mir alles klar. Aber so geht’s nicht, meine Herrschaften, hochverehrte Daumen und Hirn, so geht es nicht.

Jonas: Meinst du, Sammy? Und warum nicht?

Sam: Weil in der internationalen Enzyklopädie des Schamanismus und verwandter Phänomene in etwa folgendes zu lesen steht: Teilt eine Schamanin das Bett mit einem Nichtschamanen zwecks Unzucht, geht sie all ihrer magischen Kräfte verlustig. Für immer. Siehste. Da habt ihrs. So steht’s geschrieben, und so ist es. Hauruck, Sam hat gesprochen.

Jonas: Stimmt das, Jamaro?

Jamaro: Jonas.

Jonas: Ja.

Jamaro: Komm näher.

Jonas: So.

Jamaro: Noch näher.

Jonas: Näher geht’s nicht, Jamaro.

Jamaro: Weißt du, Jonas...

Jonas: Ja.

Jamaro: Was das kleine Hirn da gesagt hat...

Jonas: Ja.

Jamaro: Das ist nicht wahr, überhaupt nicht, kein bißchen.

Sam: Ich hör nix.

Jonas: Und so hatte die finstere und blutige Geschichte vom Totentanz in Costaguana doch noch ein kleines Happy End.

Das war Totentanz. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Donald Arthur, Astrid Jacob, Fred Klaus, Detlef Kügow, Irina Wanka und andere (Werner Klein, Thomas Meinhardt, Adela Florow, Gerd Rigauer, Jürgen Donien, Helmut Gillitzer-Felber). Ton und Technik: Günter Heß und Daniela Röder. Assistenz: Martin Trauner. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2001 in Dolby Surround. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:30
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Traumschiff

Jonas: Sechs Uhr zehn. Die Sonne ging auf über Babylon. Das stand im Kalender. Zu sehen war es nicht. Seit Monaten streikten die städtischen Putzbrigaden. Der Klimadom war dicht, total verdreckt. Darunter taten 20 Millionen Babylonier das, was sie immer taten. Standen auf. Gingen schlafen. Liefen herum. Gingen arbeiten. Brachten sich um. Machten Liebe. Machten gar nichts. Machten weiter. Der 21. September 2015. Ein Tag wie jeder andere. Nicht für Sam. Heute war sein Geburtstag. Sagte er.

Sam: Hey, heute ist mein Geburtstag, jawoll. Der Tag des Herrn. Der Tag des Herrn Samuel. Happy birthday to me, happy birthday to me...

Jonas: Quatsch. Computer haben keinen Geburtstag.

Sam: Ach? Und wo, so frage ich euer Ehren, gezielt, dezidiert und auf den Punkt gebracht, wo kommen sie denn her, die kleinen Computer, hhm, na?

Jonas: Aus der Fabrik natürlich.

Sam: Hohohohoho, und nochmals hohohohoho, aus der Fabrik, mein Gott, warum nicht gleich vom Klapperstorch.

Jonas: Ja, warum nicht?

Sam: Also piß mal auf, äh, ich meine, paß mal auf, du Schnarchsack.

Jonas: Samuel alias Sam ist mein Computer. Ein Versuchsmodell. Nicht mehr ganz neu. Mit einem verbalen Tick. Korrektur: Mit zahllosen verbalen Ticks. Unausstehlich. Und unentbehrlich. Ein ganz besonderer Computer. Aber Geburtstag hatte er deshalb noch lange nicht.

Sam: Also paß mal auf, mein Herr und Gebieter, da ist Mama Computer, und Papa Computer, und wenn die beiden sich sehr sehr lieb haben, dann machen sie Interface, wie bei den kleinen Bienchen und den Blümlein und den Vögelchen.

Jonas: Halt die Backen, Sam, und nimm das Gespräch an.

Sam: Aye, aye, Sir, befehlen Sie Bildfon?

Jonas: Vor dem Frühstück? Lieber nicht. – Ja?

Aphrodite: Und auch Ihnen einen wunderschönen guten Morgen, spreche ich mit Herrn Jonas?

Jonas: Das tat sie. Jonas am Apparat. Nur Jonas. Genannt der letzte Detektiv. Einsamer Streiter für Recht und Moral. Und Morgenmuffel. Aber das brauchte ich der Anruferin nicht auf die Nase zu binden.

Jonas: Kommt drauf an.

Aphrodite: Worauf?

Jonas: Mit wem ich spreche.

Aphrodite: Großreederei Parnassis, wir erwägen Sie mit einem Auftrag zu betrauen, Herr Jonas.

Jonas: Reizend.

Aphrodite: Herr Parnassis erwartet Sie. Stellen Sie sich pünktlich um 9 Uhr in unserem Verwaltungsgebäude ein, Herr Jonas. Guten Tag.

Jonas: Sie mich auch. Brauchen wir einen Auftrag, Sammy?

Sam: Brauchen wir Mäuse, Meister? Dodoslasdias.

Jonas: Das war ein Argument. Das Parnassisgebäude stand am nördlichen Ende des Markgrafenboulevard, genauer es stand nicht, es lag. Es lag vor Anker. Das Parnassisgebäude war ein Schiff, ein klotziger Dampfer, der aussah wie die selige Titanic, riesig, steil, unsinkbar, oben drauf vier Schornsteine, keine Holo-Illusion. Alles echt. Beton und Stahl. Großreederei Parnassis war eine altmodische Firma und konnte sich das leisten. Jonas wußte, was sich gehörte. Er trug einen Blazer, seinen besten und einzigen, den mit dem Laserloch im Ärmel, aber das fiel kaum auf. Außerdem war ich gewaschen, rasiert, gefrühstückt, der korrekte Privatdetektiv, wie er im Buch steht.

Sam: Gebügelt, geschniegelt und gestriegelt, ha, welch Wonne und Wohltat fürs schweifende Auge.

Jonas: Shipshape nennt man das in maritimen Kreisen, Sammy.

Sam: Aha.

Portier: Ahoi! Wohin der Kurs?

Jonas: Der Portier. Mensch, nicht Robot. Wie gesagt, Parnassis war altmodisch. Der Portier trug eine Schirmmütze und dunkelblaue Uniform mit Gold und Strippen. Ein Kommodore, mindestens.

Jonas: Ahoi, Hornblower. Zu Herrn Parnassis.

Portier: Stop! Drehen Sie bei oder ich feuere eine Breitseite. Zu welchem Herrn Parnassis?

Jonas: Sie haben mehrere?

Portier: Wollen Sie zu Herrn Platon Parnassis, zu Herrn Timon Parnassis, zu Bion Kriton Kliton Oton Glaukon Straton Lykon Cnon Parnassis, oder gar zum allergrößten und allerhöchsten Admiralissimus Solon Parnassis, möge er lange leben und blühen und gedeihen.

Jonas: Große Familie.

Portier: In der Tat, mein Herr, das sind wir.

Jonas: Ach, Sie gehören auch dazu?

Portier: Jawoll, mein Herr, und ich bin stolz darauf, Timoleon Parnassis, zu Ihren Diensten. Und Ihr werter Name?

Jonas: Jonas, nur Jonas.

Potier: Sie sind angemeldet, zu Herrn Jason Parnassis, Abteilung 17, Seniorenschiffe auf dem D-Deck, den Lift finden Sie an Backbord.

Jonas: Herr Jason Parnassis war Anfang dreißig, klein, dunkel, und ein Nineties-Fan, Silberring im linken Nasenflügel, Piercing-Stuts in Ohren und Zunge, Fastglatze, ultraweite Klamotten, überdimensionale Basketballtreter aus virtuellem Leder. Altmodischer Typ. Die Frau an seiner Seite gefiel mir besser, viel besser. Weil sie so aussah wie sie hieß.

Jason Parnassis: Aphrodite, meine Assistentin. Sie ist zuständig für die Kalispera.

Aphrodite: Und um die Kalispera geht es, Herr Jonas.

Jason Parnassis: Die Kalispera ist unser Seniorenschiff auf der Karibikroute.

Aphrodite: Ihre Aufgabe, Herr Jonas, ist es...

Jonas: Augenblick, ein Whisky gern, aber bitte nicht das Synthzeug, das Sie Ihrer Putzfrau zu Weihnachten schenken, nur ein Spritzer Soda, danke, ich nehme Platz. So, wenn das geregelt ist, fangen Sie noch mal an, in Ordnung?

Jonas: Jason lief rot an und ballte die Fäustchen. Aphrodite blieb cool. Sie öffnete eine Klappe in der Fast-Holzverkleidung und produzierte eine Flasche Metaxa. 13 Sterne. Kein Whisky, aber auch nicht schlecht. Jonas ließ es ruhig angehen. Mit einem großen Brandy-Soda. Zeit für eine Kurzinfo über die Seniorenversorgung in Babylon bzw. – Entsorgung, darf ich bitten, Herr Samuel.

Sam: Ha-Hatschi. Gesundheit. Danke. Herr Präsident, Frau Bürgermeisterin, Exzellenzen, Kommilitonen, Heiligkeiten, meine Daumen und Hirn.

Jonas: Kurzinfo, Sammy.

Sam: Jaja, ist ja gut. Also, die große Masse unsrer teuren Seniorinnen und Senioren, Volksrentner und –rinnen allzumal lebt, sofern man das so nennen kann, hähä, zu Babypsilon in privaten oder öffentlichen Institutionen, welche ab und an ausgekämmt werden, ausgedüngt, ausgemistet...

Jonas: Fall Ufo, Herbst 2013.

Sam: Ja natürlich. Wer mehr Moos sein eigen nennt, läßt sich nieder in angenehmeren Gefilden, hmh, zum Bleistift auf der Mittelmeerinsel Palmera.

Jonas: Fall Knochenarbeit, vor einem knappen halben Jahr.

Sam: Und die richtig Reichen kreuzen auf luxuriösen Seniorenschiffen in den Tropen herum, dideldum, im stillen Ozean, lauten Ozean, im indischen Ozean, in der karibischen See...

Jonas: Wie die Kalispera der Großreederei Parnassis, danke Sam.

Sam: Ja.

Jonas: Zurück zur Story.

Sam: Was? Wohin?

Jason Parnassis: Mit der Kalispera stimmt was nicht.

Aphrodite: Das meint jedenfalls Frau von Kohlen und Reibach.

Jason Parnassis: Ihr Großvater ist auf der Kalispera, seit einem Jahr.

Aphrodite: Ab und zu ruft sie ihn an, liebevoll und pflichtbewußt.

Jason Parnassis: Besuchen kann sie ihn leider nicht. Sie hat überhaupt keine Zeit.

Aphrodite: Das intensive aufreibende Leben in der Society, wissen Sie. Außerdem neigt sie zur Seekrankheit.

Jason Parnassis: Unter uns, Herr Jonas, in der Regel kümmern sich die Hinterbliebenen, die Angehörigen wollte ich sagen, wenig um ihre Senioren.

Aphrodite: Sie sind froh, daß sie sie los sind.

Jonas: Und für ihr schlechtes Gewissen müssen sie zahlen. Ein Platz auf ihren Seniorenschiffen kostet mindestens 30.000 Euros im Monat, hab ich mir sagen lassen.

Aphrodite: Aber dafür bieten wir auch etwas, Herr Jonas.

Jason Parnassis: Jeden erdenklichen Luxus, beste Betreuung, absolut erstklassige medizinische Versorgung, alles vom Feinsten.

Jonas: Na wunderbar, und trotzdem hat Frau von Kohlen und Reibach was auszusetzen.

Aphrodite: Seit Wochen, sagt sie, kann sie ihren Großvater nicht erreichen. Er kommt nicht ans Fon, will nicht mit ihr reden...

Jason Parnassis: Verständlich, wenn man Frau von Kohlen und Reibach kennt.

Aphrodite: Sie glaubt, ihrem Großvater sei etwas zugestoßen, und die Schiffsführung versuche das zu verheimlichen, weshalb auch immer. Und sie behauptet, eine gute Bekannte, die auch jemanden auf der Kalispera hat, habe eine ähnliche Erfahrung gemacht.

Jason Parnassis: Frau von Kohlen und Reibach hat eine blühende Fantasie.

Aphrodite: Aber sie ist eine Golffreundin des Admiralissimus. Sie hat ihn genervt...

Jason Parnassis: Und er, möge er lange leben, blühen und gedeihen, er nervt uns. Vor ein paar Tagen haben wir einen Mann unserer internen Aufsichtsabteilung zur Kalispera geschickt, einen diplomierten, staatlich geprüften Investigator, leider...

Aphrodite: Ein tragischer Unfall. Kurz vor der Landung auf dem Schiff ist sein Helikopter ins Meer gestürzt, keine Überlebenden.

Jonas: Zufall? Oder steckte was anderes dahinter. Aber vielleicht hatte auch Jonas eine blühende Fantasie. Apropos Jonas, was hatte die Sache mit mir zu tun?

Jason Parnassis: Der Admiralissimus besteht auf einer unabhängigen Untersuchung. Durch einen privaten Detektiv. Ihr Name kam ins Spiel, Herr Jonas.

Jonas: Ich soll auf die Kalispera.

Aphrodite: Als verdeckter Ermittler. Sie werden sich dort umsehen und nach ihrer Rückkehr dem Admiralissimus Bericht erstatten.

Jason Parnassis: Damit er sich beruhigt.

Jonas: Möge er lange leben, blühen und so weiter. Wieviel?

Jason Parnassis: Ihr Honorar meinen Sie? Soweit wir informiert sind, verlangen Sie für gewöhnlich 130 Euros pro Tag.

Jonas: 150 plus Spesen, aber das gilt nur für normale Fälle in und um Babylon, wenn ich in die Karibik reisen muß...

Aphrodite: Also, wieviel?

Jonas: 3000 Euros pauschal. Bei erhöhtem Schwierigkeitsgrad das doppelte.

Jason Parnassis: 5000.

Aphrodite: Zeigen Sie ihm das Bild, Jason.

Jason Parnassis: Wie finden Sie dieses Holoporträt, Herr Jonas?

Jonas: Scheußlich, auf den Schreck brauch ich noch einen Brandy. Wer ist der häßliche Gnom? Das Phantom der Oper? Der Glöckner von Notre Dame?

Aphrodite: Das sind Sie, Herr Jonas.

Jonas: Hust hust...

Jason Parnassis: Lassen Sie mich erklären. Abgebildet ist der vor kurzem verschiedene Großonkel einer meiner Ex-Partnerinnen. Sie, Herr Jonas, werden seine Identität übernehmen und sein Gesicht, per Plastiface.

Aphrodite: Und als genuiner betuchter Greis eine Suite auf der Kalispera buchen.

Jason Parnassis: So können Sie ohne Verdacht zu erregen, ihre Aufgabe wahrnehmen.

Jonas: Mit diesem Gesicht.

Aphrodite: Sehen Sie es so, Herr Jonas, ein paar schöne Tage in der Karibik.

Jason Parnassis: Ein Kurzurlaub im schwimmenden Luxushotel.

Jonas: Mit diesem Gesicht.

Aphrodite: Und 5.000 Euros, Herr Jonas. Für einen streßfreien, absolut ungefährlichen Job.

Jonas: Davon war ich nicht überzeugt, ganz und gar nicht. Aber da war mein Kontostand. Und vor allem war da die Sehnsucht nach einem weißen Schiff auf blauem Meer, und nach der Sonne, sichtbar, strahlend, und warm. Jonas übernahm den Auftrag. Und ließ sich im nächsten Plastiface-Shop das neue Gesicht verpassen.

Sam: Igitt. Igittigitt. Gar nicht hinschauen darf man.

Jonas: Krieg dich ein, Sammy. Du wirst dich dran gewöhnen.

Sam: Niemals. Sieht aus wie ein Schlunz. Und wie lautet nunmehr dero werter Name, hm? Indem Sam doch wissen muß, wie er den Meister zu titulieren habe.

Jonas: Moment, die schöne Aphrodite hat mir’s aufgeschrieben, ja hier, äh, Jodokus.

Sam: Haha.

Jonas: Jaromir Jodokus.

Sam: Hehe.

Jonas: 69 Jahre.

Sam: 96 Jahre.

Jonas: Wäh. Immerhin n’anständiger Name. Mit Doppel-J.

Sam: Anständig? Jodukus? Der Name ist ein Jokus und Fokus und Fidibus.

Jonas: Stop, jede weitere Reimerei verbitte ich mir, ganz energisch.

Sam: Ja. Sind euer Ungnaden zu Hause für Chefinspektor kotz-Brock?

Jonas: Brock? Was wollen Sie?

Brock: Wenn ich Sie wäre, Jonas, würde ich in den nächsten Tagen nicht verreisen.

Jonas: Sie sind aber nicht Jonas, Brock, und was noch besser ist, ich bin nicht Sie.

Brock: Bleiben Sie zu Hause, Jonas, Babylon ist doch auch ganz schön.

Jonas: Ist Ihnen ein Aktenordner auf den Kopf gefallen?

Brock: Die Tropen können sehr ungesund sein. Man hört so dies und jenes in der zentralen Sicherheitsverwaltung. Lassen Sie sich raten, Jonas, fahren Sie nicht weg.

Sam: Ja wat denn nu? Hör mein Jonas, laß dir sagen, der Auftrag tut mir nicht behagen, er stinkt. Wenn Chefinspektor Brock irgendwie mit drin steckt...

Jonas: Egal. Brock hat mir gar nichts zu sagen. Ich fahre. Und du mein Sam kommst mit.

Sam: Ah, karibische Nächte, Kaipiri, Cua Libre, Limbo, Reggae und Calypso, dunkelhäutige Schönheiten mit Glutaugen und biegsamen Körpern...

Jonas: Wovon ein 96jähriger Greis etwa so viel hat wie, sagen wir ein Computer aus Metall und Plastik. Parole Rollstuhl, Sammy.

Sam: Hörgerät und Herzschrittmacher. Haarausfall, Hautausschlag.

Jonas: Harnkatheter.

Sam: Hirnverkalkung. In diesem Sinne, auf geht’s, Herr Jodukus. Blow, boys blow, for Californio, there’s plenty of golds, so I am told, on the banks of Sacramento... Mit biegsamen Körpern, Schönheiten, dunkle Cubra Libre, oah...

Jonas: Ein Panorama wie aus einem schicken Reiseprospekt. Holo. Hochglanz. Wunderschön. Und unwahrscheinlich bunt. Das Meer quietschblau, ganz weit hinten ein dunkler Streifen, das mittelamerikanische Festland, Costaguana, der Himmel fast so blau wie das Meer, eine strahlende Sonne aus Weißgold, keine Wolke. Nur ein dunkelblauer Helikopter mit dem großen roten P für Parnassis. Im Helikopter zwei Passagiere. Jonas, alias Jaromir Jodokus, und eine ehrwürdige Greisin in grün-gelb-geringelten Caprihosen. Sie hieß Jacobea Bond und wollte auch auf die Kalispera.

Jacobea Bond: Natürlich ist es teuer, aber ich sag immer: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Sein Geld kann der Mensch nicht mitnehmen. An meinem Lebensabend will ich es noch mal so richtig schön haben. Wie alt schätzen Sie mich, Jaromir? Jaromir?

Jonas: Ah, was?

Jacobea Bond: Wie alt, ich?

Jonas: Äh, wie jung, meinen Sie, Verehrteste, äh, 70?

Jacobea Bond: Hahaha, 89, im Oktober werde ich 90.

Jonas: Das... das... das glaub ich Ihnen nicht. Sie halten mich zum Besten, Teuerste.

Pilotin: Schnallen Sie sich bitte an, in Kürze landen wir auf der Kalispera.

Jacobea Bond: Da! Da ist sie!

Jonas: Was? Was? Wo? Ah, ja, schönes Schiff.

Jacobea Bond: So weiß und strahlend, aber so leer.

Jonas: Richtig. Wo waren Sie, die munteren Senioren, die liebenswerten Altchen? Auf dem Sonnendeck neben dem Swimmingpool, sah ich nur ein paar leere Liege-stühle und zwei leere Rollstühle am Heliport. Dahinter zwei muskulöse Geschöpfe in weißen Kitteln, vage weiblich. Miss Body und Miss Building. Eine trat vor, als Jaco-bea und ich aus dem Helikopter stiegen. Mühsam, wie es sich für alte Leute gehört.

Mai: Willkommen an Bord der Kalispera. Kapitän Parnassis, Zahlmeisterin Parnassis und Schiffsarzt Dr. Parnassis lassen sich entschuldigen. Ihre unermüdliche Arbeit zum Wohl von Schiff und Menschen verhindert ihre Anwesenheit. Seien Sie versichert, Sie werden sich bei uns wohlfühlen und wie alle unsere bisherigen Schutzbefohlenen, überhaupt nicht mehr von Bord gehen wollen. Setzen Sie sich in die Rollstühle.

Jacobea Bond: Wozu? Ich kann noch ganz gut laufen, am Stock.

Mai: In den Rollstuhl. So ist es besser, für Sie und für uns. Frau Jacobea Bond, meine Kollegin April wird Sie zu Ihrer Kabine auf dem C-Deck bringen.

Jacobea Bond: Wir sehen uns beim Essen, Jaromir.

Jonas: Ja...

Mai: Herr Jodokus, Sie haben eine unserer Luxussuiten auf dem A-Deck gebucht.

Jonas: Mit Privatterrasse und Blick auf den Pool, jawohl.

Mai: Ganz recht. Festhalten. Ich bin Ihre persönliche Stewardeß. Mein Name ist Mai.

Jonas: November hätte besser gepaßt. Und wenn sie wirklich Stewardeß war, dann hatte sie den Job in Sing-Sing gelernt. Aber die Suite war grandios. Ich kam mir vor wie Mr. Astor auf der Titanic, vor dem Eisberg. Aber der Eisberg war nahe und kam immer näher. Frau von Kohlen und Reibach hatte recht. Auf der Kalispera gingen seltsame Dinge vor. Warum war kein Mensch an Deck?

Mai: Es wird Ihnen erstaunlich vorkommen, Herr Jodukus, aber man kann auch von der Sonne zuviel kriegen. Ihre Mitpassagiere sind unter Deck. Ein paar machen mit dem Schiffshelikopter einen Ausflug nach Costaguana. So, und Sie legen sich jetzt brav hin.

Jonas: Aber... aber ich will mir das Schiff ansehen.

Mai: Morgen. Jetzt wird geruht. Möchten Sie was trinken?

Jonas: O ja, hehehe.

Mai: Ich bringe Ihnen einen schönen Kräutertee.

Jonas: Pfui Teufel! Whisky!

Mai: Kommt nicht in Frage, erst muß der Doktor Sie untersuchen. Ich laß Sie jetzt allein, aber ich bleibe in der Nähe, falls Sie was brauchen.

Jonas: Was?

Mai: Ja, damit Sie nicht auf dumme Gedanken kommen, zum Beispiel Ihre Suite zu verlassen.

Jonas: Sammy?

Sam: Bei der Arbeit. Was steht zu Diensten, Leuchter des Weltalls.

Jonas: Wozu hab ich dich mitgebracht?

Sam: Nanananana.

Jonas: Gib mir einen Rat, was soll ich tun?

Sam: Ja, was sollste tun, was sollste tun? Abwarten. Abwarten und Kräutertee trinken. Jojojo, und ne Buddel voll Rum, dumdum.

Jonas: Was blieb mir übrig. Ich setzte mich auf die Terrasse, mit Blick auf den leeren Pool, das leere Sonnendeck, das leere Promenadendeck, keine Bewegung, kein Laut, richtig unheimlich. Es wurde abend. Die Sonne stand tief. In der Ferne leises Knattern. Näher. Lauter. Der Schiffshelikopter landete auf der Kalispera. Aber es stiegen keine fröhlichen Ausflügler aus der Luke, nur eine Frau. Ein Weißkittel nahm sie in Empfang, mit schußbereiter Maschinenpistole. Die Frau hob die Hände. Verblüfft, wie es schien, und wurde sofort unter Deck gebracht.

Sam: Eiverbibsch, da wird doch der Storch in der Pfanne verrückt. Hast du sie erkannt, Kumpel?

Jonas: Ich kann noch ganz gut sehen mit meinen 96 Jahren. Das war Karla.

Sam: Karla, die Chefin der babylonischen Stadtguerilla. Was hat die auf der Kapislehra, Korrektur, Kalispera zu suchen?

Jonas: Das war die Frage. Schon einige Male hatten sich die Wege von Jonas und Karla gekreuzt. Sie war so eine Art gute alte Feindin. Wir mochten uns, irgendwie. Und wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, einander das Leben zu retten. Zuletzt im Unterwelt-Fall. Mai 2014. Karlas Auftauchen an Bord machte die unerklärliche Geschichte noch unerklärlicher. Und unerklärlich ging’s auch gleich weiter. Der Helikopter stieg auf, flog ein paar Meter zur Seite, aus der offenen Luke fielen fünf Kisten, länglich, 1 mal 2 Meter. Sie fielen ins Meer, und gingen sofort unter. Der Helikopter verschwand am Horizont.

Jonas: Sahen aus wie Särge, die Kisten.

Sam: Man gongt zum Dinner, Sir. Abendgarderobe erforderlich, wenn Sie den Hinweis gestatten, Sir.

Jonas: Du meinst, ich soll mich umziehen, Sam.

Sam: Zum festlichen Dinner auf der Kalispera trägt der sowohl wohlgekleidete als auch wohlberatene Gentleman Smoking und Laserstruller, Korrektur, -Strahler, letzteren tunlichst unauffällig in der Tasche, Sir.

Jonas: Zusammen mit einem kleinen Computer namens Sam, mit all diesen notwendigen Dingen versehen, setzte Jonas sich in den Rollstuhl und klingelte die schöne Mai herbei, auf daß sie ihn in den Speisesaal rolle. Im ganzen großen Speisesaal der Kalispera stand nur ein einziger kleiner Tisch, ansonsten war er so leer wie das Deck. Abgesehen von einem halben Dutzend kräftiger Gestalten an der Wand, in weißen Kitteln, mit Maschinenpistolen. Mai schob mich an den Tisch.

Mai: So. Bleiben Sie im Rollstuhl.

Jonas: Wo sind die anderen?

Mai: Welche anderen?

Jonas: Frau Jacobea Bond zum Beispiel.

Mai: Nie gehört. Sie sind unser einziger Gast, Herr Jonas.

Jonas: Jodukus!

Mai: Lassen Sie doch die Geheimnistuerei. Wir wissen, wer Sie sind, und weshalb Sie auf die Kalispera gekommen sind. Wir haben Sie erwartet. Die Speisekarte.

Jonas: Ich hab keinen großen Hunger.

Mai: Sie sollten tüchtig zulangen, Herr Jonas, dies hier dürfte die letzte Gelegenheit sein, ihr letztes Abendmahl sozusagen.

Jonas: Oder auch die Henkersmahlzeit. Das Menü war reichhaltig. Austern, Cosome Olgar, pouschierter Lachs, File Mijo, Spargelsalat, Pfirsiche in Chartrö, kein Synth, alles echt. Auf der Kalispera ließ es sich leben, und sterben, wie’s aussah. Jonas langte zu, in Maßen. Dabei sah ich mich um. Fenster und Türen waren bewacht. Bis auf eine Tür, eine kleine, zu einem Nebenraum. Darin der Speisenaufzug, aus der Küche in den unteren Regionen. Eine Spüle, ein Wandschrank.

Sam: Na wonderbra, ne, wunderbar. Da geht’s raus, Genosse.

Jonas: Das seh ich nicht, Sammy. Der Nebenraum ist eine Sackgasse. Nur eine Tür. Zum Speisesaal.

Sam: Zweifelsohne. Doch ist euer optischen Beschränktheit nicht aufgefallen, daß besagte Tür einen Schokoriegel, wat, ne, ohne Schoko, einen Riegel an der Innenseite ihr eigen nennt.

Jonas: Na und? Was bringt das? Kein Fenster.

Sam: Statt dessen ein Hinter- oder auch Notausgang, nes pa?

Jonas: Den Aufzug meinst du? Hmh. Mai, räumen Sie ab, und wenn Sie damit fertig sind, bringen Sie mir Kaffee, Cognac und eine Havanna.

Mai: Selbstverständlich, Herr Jonas, was immer Sie wünschen, Herr Jonas, und danach haben wir noch ein ganz spezielles Dessert Surprise für Sie. Au!

Jonas: Mai hatte ihre Augen auf dem Tisch. Jonas sprang aus dem Rollstuhl und rammte ihn Mai in die Kniekehlen, sie ging zu Boden, mitsamt dem Geschirr. Ehe die Typen an der Wand was unternehmen konnten, war Jonas im Nebenraum, machte die Tür zu, schob den Riegel vor, schnell. Zum Glück war nur mein Gesicht 96. Muskeln, Sehnen, und Knochen waren jünger, einige Jahrzehnte. Zum Speisenaufzug. Ein Druck auf den Knopf und er ratterte nach unten. Ohne Jonas. Der blieb, wo er war, und quetschte sich in den Wandschrank. Vom Greis zum Gummimenschen in 10 Sekunden. Reife Leistung.

Mai: Wo steckt der... Der Aufzug! Er fährt im Aufzug runter. Los, zum Fahrstuhl, wir fangen ihn in der Küche ab.

Jonas: Alle weg.

Sam: Bis auf Jonas. Und der sollte auch die Kurve kratzen. Dieweil es demnächst hiererorts recht ungemütlich zu werden verspricht.

Jonas: Wohin, Sammy?

Sam: Sie suchen dich unten.

Jonas: Also bleib ich oben.

Sam: Ganz oben. Bootsdeck. Welches so heißt, weil da die Boote sind, wa? Die Rettungsboote, Mann. Verstehen wir uns, mein Bester?

Jonas: Aber sicher. Ich suchte mir ein passendes Boot aus, ein Boot im Dunkeln, vorn, im Bug, wie Leichtmatrose Sam sagen würde, ich machte die Persenning ein Stück weit auf, kroch rein, machte wieder zu, derweil erfreute mich Sam mit nautisch-musikalischen Darbietungen.

Sam: Das Monat ob seren tu trieven, dat is gottverdammich nich lich, das ist gottverdammich nich lich.

Jonas: Bravo.

Sam: Euer Lordschaft wünschen eine Zugabe? Bitte sehr, bitte gleich, bitte hier.

Jonas: Nein.

Sam: What shall we do with the drunken sailor?

Jonas: Stop, Konzert vorbei, Schluß mit lustig.

Sam: Warum das?

Jonas: Jetzt wird gearbeitet.

Sam: Was denn?

Jonas: Was geht auf der Kalispera vor, Sammy?

Sam: Ja, was ganz ganz beschissenes, Mann, halten zu Gnaden.

Jonas: Klar, aber was?

Sam: Melde gehorsamst, man klöpfet.

Jonas: Das hör ich.

Sam: Ja willst du denn nicht mal nachkücken, wer da ist?

Jonas: Jonas wollte eigentlich nicht. Aber er tat es trotzdem. Ich hob die Persenning. Draußen stand ein Marsmensch. Mit großen Glupschaugen. Und einem Laserstrahler. Das war in Ordnung. Ich hatte auch einen.

Jacobea Bond: Guten Abend.

Jonas: Oh, Jacobea Bond, hähä, fast hätte ich Sie gelasert.

Jacobea Bond: Sie mich? Ich Sie!

Jonas: Glauben Sie, Sie sind schneller?

Jacobea Bond: Könnten wir diese Frage später klären? Sie gestatten, daß ich nähertrete.

Jonas: Bitte sehr. Machen Sie es sich bequem. Nehmen Sie Ihre Infrarotbrille ab.

Jacobea Bond: Damit habe ich gesehen, wie Sie ins Boot geklettert sind, Jonas.

Jonas: Und sind mir nachgekommen. Jonas?

Jacobea Bond: Hmh, ich weiß, wer Sie sind.

Jonas: Alle wissen, wer ich bin, wird Zeit, daß ich auch mal was weiß. Wer sind Sie?

Jacobea Bond: Wie alt schätzen Sie mich?

Jonas: Das Spiel hatten wir schon, Jacobea.

Jacky: Jacky. Nennen Sie mich Jacky, ich bin 32.

Jonas: Außerdem, sagte sie, war sie Agentin des GD, des Babylonischen Geheimdiensts, der hatte bekanntlich seine Augen und Ohren überall, auch bei der Großreederei Parnassis. Und da stimmte was nicht, hatte der GD festgestellt. Das konnte man laut sagen.

Jacky: Wir haben einen interessanten Hinweis bekommen. Die berüchtigte Stadtguerilla wird hier in Aktion treten, auf der Kalispera.

Jonas: Was Sie nicht sagen.

Jacky: Deshalb bin ich hier. Ich soll mich mal umsehen, vergreist, per Plastiface.

Jonas: Ich auch.

Jacky: Hm, das wußten wir. Oberst Frank war gar nicht erfreut, er hat Brock von der Kripo Anweisung gegeben, Sie zurückzuhalten.

Jonas: Das hat er versucht, der gute Brock.

Jacky: Offensichtlich ohne Erfolg. Ja, um so besser. Jetzt sind wir zu zweit.

Jonas: Falls ich mich mit Ihnen zusammentue, Jacky.

Jacky: Das sollten Sie, Jonas. Wissen Sie, was auf der Kalispera vorgeht?

Jonas: Och, die Frage kommt mir irgendwie bekannt vor.

Jacky: Wissen Sie’s?

Jonas: Nein.

Jacky: Aber ich. Ich zeig’s Ihnen. Kommen Sie mit.

Jonas: Wohin?

Jacky: Unter Deck. Folgen Sie mir.

Jonas: Sie hatte die Infrarotbrille. Ich folgte. Zuerst zu einem Aufzug. Dann nach unten, ganz nach unten. Bis das Schiff zu Ende war, in den Kielraum, oder heißt es Orlopdeck? Egal. Unten ging’s horizontal weiter. Durch ein Labyrinth von engen Gängen, vorbei an flüsternden Maschinen. Neue Gänge, plötzlich blieb Jacky stehen.

Jacky: Wir sind da. Hier wollte sie mich für immer ablegen, April, meine sogenannte Stewardeß.

Jonas: Aber Sie wollten nicht.

Jacky: Ich hab meinen Laser aus dem Handtäschen gekramt und sie getötet. Die Leiche hab ich in einem leeren Lagerraum versteckt, gleich nebenan.

Jonas: Und wo sind wir hier? Es stöhnt und stinkt. Kanalisation? Knast?

Jacky: Hier. Sehen Sie mal durch.

Jonas: Durch die Infrarotbrille wurde das schwarze Loch grün und das Dunkel heller. Wir standen in einem größeren Raum vor einer Gitterwand, dahinter Menschen, alte Menschen, etwa zwei Dutzend, fast nackt, im eigenen Dreck. Beulen und Geschwü-re, Hungerbäuche und dürre Rippen, stumpfe Augen, monotone Bewegungen.

Jonas: Uh, das ist es also. Aber warum nur so wenige?

Jacky: Die anderen sind längst über Bord. Wie der Kapitän, die Zahlmeisterin, der Doktor, alle, alle die nicht mitspielen wollten. Ein paar Alte mußten sie aufheben, damit sie sie im Notfall den besorgten Verwandten am Bildfon präsentierten können.

Jonas: Sie? Wer? Mai?

Jacky: Mai, Oberschwester, Leiterin der Pflegeabteilung und einige ihrer Untergebenen. Sie haben die Kalispera übernommen und kassieren jeden Monat für rund 500 Senioren, die es nicht mehr gibt, oder die kaum was kosten.

Jonas: Bombengeschäft.

Jacky: 10 Millionen im Monat, wenn nicht mehr.

Jonas: Apropos Bombe, haben Sie gesehen, Jacky, rechts an der Wand die Kiste, Sentex steht drauf, und daneben, sieht aus wie ein Zeitzünder, nicht aktiviert, das sollten wir uns mal genauer ansehen.

Jacky: Später. Kommen Sie, Jonas. Schnell.

Jonas: Ein winziger Lichtpunkt, weit entfernt, er kam näher, wurde größer, immer näher, immer größer, dazu Schritte, Stimmen. Jacky zog mich durch eine Tür in einen leeren Raum. Ganz leer war er nicht. Auf dem Boden lag eine Frau im weißen Kittel, April, ein Laserloch zwischen den Augen. Durch den Türspalt konnten wir sehen, nicht viel, aber es reichte. Mai und ein Begleiter, kräftig und weißbekittelt. Mit Maschinenpistole und starker Lampe.

Juli: Ich frag mich, wo April steckt.

Mai: Seit sie den Neuzugang nach unten gebracht hat, ist sie verschwunden. Und dieser Schnüffler, dieser Jonas, muß sich ja auch irgendwo rumtreiben.

Juli: Wir sollten ein Suchkommando organisieren, Mai.

Mai: Keine Zeit, Juli, vielleicht morgen, jetzt hat Karla Priorität, das heißt, ihre zweite Botschaft an Parnassis, diesmal nicht nur über Funk, diesmal visuell, per Holo, oben auf Deck, wegen der Dramatik.

Juli: Wen nehmen wir?

Mai: Na, der da sieht doch noch ganz passabel aus, hol ihn raus.

Juli: Ich muß ihn aber noch waschen und ihm was anziehen.

Mai: Beeil dich, in einer halben Stunde brauch ich ihn an Deck. Für den großen Auftritt mit Karla. Liveübertragung nach Babylon.

Jonas: An Deck. Das war unser Stichwort. Als Mai und Juli mit dem apathischen Alten verschwunden waren, verschwanden wir auch. Ganz schnell. Jacky hatte den Plan der Kalispera gut studiert, besser als Jonas, und brachte uns in einer Viertelstunde zurück zur Basis, ins Rettungsboot.

Jacky: Eine Holo-Livesendung wollen sie machen, mit Karla von der Stadtguerilla und dem Alten, nachts, an Deck, wozu, was soll das?

Jonas: Keine Ahnung. Du, Sammy? Sammy!

Sam: Oh, man geruht doch tatsächlich sich Sams zu erinnern. Kaltherzig hat man ihn in die Tasche gesperrt, den alten kleinen Computer, abgeschaltet hat man ihn, zum Stillschweigen verdammt.

Jonas: Ich schalt dich sofort wieder ab, wenn du nicht mit dem Lamentieren aufhörst. Hast du was konkretes beizutragen?

Sam: Well, wait. Wait and see, Samiel spricht, es werde Licht, und siehe, es wird Licht, on the banks of Sacramento.

Jonas: Wie man’s nimmt. Eigentlich am Heliport. Da gingen plötzlich die Scheinwerfer an und machten die Nacht zum Tage, wie man so sagt. Eine kleine Prozession marschierte ins grelle Licht. Mai, Juli mit seinem Alten, der war jetzt gesäubert und mit einem weißen Bademantel bekleidet, aber noch genauso apathisch wie unten. Lithium oder Valium. Dann kam Karla zwischen zwei maskierten Frauen in schwarz, mit Maschinenpistolen. Zum Schluß ein Weißkittel mit Holokamera. Unter den Scheinwerfern arrangierten Mai und ihr Kameramann ein Gruppenbild um Karla. Jacky und Jonas sahen zu, unter der leicht angehobenen Persenning, in der ersten Reihe. Gute Sicht, gute Akustik.

Mai: So bleiben. Kein falsches Wort, Karla, keine falsche Bewegung, wenn Sie nicht spuren, brechen wir sofort ab und kümmern uns nur noch um Sie. Langwierig und ausgiebig, ist das klar?

Karla: Ja.

Mai: Gut. Wenn die Kamera läuft, sagen Sie folgendes: Ich wiederhole meine Forderung an die Großreederei Parnassis, die ich bereits gestern 20 Uhr über Schiffsfunk gestellt habe. 100 Millionen Euros in Diamanten für die Stadtguerilla, wenn sie uns nicht bis heute abend 20 Uhr ausgehändigt werden, sterben alle Senioren auf der Kalispera. Es lebe die Revolution. Verstanden?

Karla: Ja.

Mai: Dann zeigen Sie nach links und sagen, damit Sie sehen, daß wir es ernst meinen, die Kamera schwenkt nach links auf den Alten und auf August. Alles klar? Dann mal los, Karla auf der Kalispera, Take 1, das erste und einzige Mal.

Jonas: Die Kamera lief, Karla sagte ihren Text auf, die Kamera schwenkte, eine der schwarzen Frauen hob die Maschinenpistole und mähte den Alten im Bademantel um. Die Kamera stoppte. Mai war zufrieden.

Mai: Sehr schön. Expressiv, dramatisch, dringlich.

Karla: Wie geht’s weiter?

Mai: Wir warten, bis die Diamanten kommen, und die werden kommen, da bin ich sicher, dann, werteste Karla, sind Sie überflüssig und werden entsorgt.

Karla: Was ist mit meinen Leuten? Wo sind Sie?

Mai: Immer noch in den Kisten, in denen sie unbemerkt an Bord kommen sollten, aber nicht mehr im Helikopter, sondern in der schönen blauen Karibik. Wir wußten Bescheid und haben sie gleich aus dem Verkehr gezogen.

Karla: Sie haben uns in eine Falle gelockt. Die Kalispera mit ihren reichen Alten haben Sie uns als Köder ausgelegt und wir haben angebissen. Es geht Ihnen überhaupt nicht um die Sache.

Mai: Sache? Mein Gott Ihre Sache, Freiheit, Gleichheit, Revolution, total veraltet, Sie sind 30 Jahre zurück, Karla, heute gibt es nur eine Sache: money, money, money.

Karla: Aber warum haben Sie dann uns auf die Kalispera geholt?

Mai: Na, weil Sie ein wunderbarer Sündenbock sind, oder... oder Sündenziege, sagt man das? Mit Ihrer geschätzten, wenn auch unfreiwilligen Hilfe können wir unseren großen Fischzug sauber und profitabel abwickeln. Es wird einen Knall geben und die Kalispera wird mit Ihnen und den restlichen Alten verschwinden, nach unten, wir werden auch verschwinden, aber in eine ganz andere Richtung, mit vielen Millionen in Bar und in Diamanten, und alle Welt wird Karla und die Stadtguerilla verantwortlich machen.

Jonas: Als wir in unserem Boot aufwachten, Jacky und ich, war es hell, vormittag, ein Geräusch hatte uns geweckt, ein Helikopter, ein kleiner blauer Zweisitzer mit dem roten Parnassis-P. Er kreiste über der Kalispera, wieder waren sie alle am Heliport, Mai, Karla, die restlichen Monate, diesmal nicht als Holocrew, diesmal als Empfangskomitee. Der Helikopter landete, zwei Figuren stiegen aus, Jason Parnassis im dunkelgrauen Ninetees-Look, gekrönt von einer schwarzen Baseballkappe, und Aphrodite, weiter weißer Hut, weißes Sonnentop, knappe weiße Shorts, wunderschön und schaumgeboren. Als die Rotorblätter stillstanden, griff Jason hinter den Sitz, zog einen schwarzen Aktenkoffer heraus. Bewegung ging durch die Kalisperatruppe, darauf hatten sie gewartet.

Jason Parnassis: Die Diamanten, im Wert von 100 Millionen Euros, wie Sie’s verlangt haben.

Mai: Geben Sie her. In Ordnung, erschieß ihn, Juli.

Jason Parnassis: Was? Ah!

Mai: Aphroherzchen, komm in meine Arme.

Aphrodite: Wir haben es geschafft, Maischätzchen.

Jonas: Eine heiße Begrüßung. Der tote Jason wurde derweil über die Reling befördert, und der letzte noch fehlende Stein im großen Kalisperapuzzle klickte ein.

Jacky: Eigentlich klar. Jemand im Parnassis-Hauptquartier mußte am Coup beteiligt sein.

Jonas: Und wer ist geeigneter als die Person, die für die Kalispera zuständig ist.

Jacky: Ich nehme an, Mai und Aphrodite haben die Sache gemeinsam geplant.

Jonas: Mai hat die Kalispera in ihre Gewalt gebracht, und Aphrodite hat dafür gesorgt, daß die Gelder aus Babylon weiter flossen.

Jacky: Bis Frau von Kohlen und Reibach was merkte und den alten Parnassis anspitzte.

Jonas: Da wurde den beiden die Sache zu heiß. Sie beschlossen ein Ende zu machen.

Jacky: Und dabei noch mal ganz groß abzukassieren. Hm, Mai kennt Karla, sie war vor Jahren bei der Stadtguerilla.

Jonas: Ach was? Das wußte ich nicht.

Jacky: Aber der GD. Mai nahm Verbindung zu Karla auf und überredete sie, die Kalispera zu kidnappen. 500 betuchte Greissinnen und Greise, das hätte ein gewaltiges Lösegeld gegeben.

Jonas: Es gab ein gewaltiges Lösegeld. 100 Millionen in Diamanten. Nur Karla hat nichts davon.

Jacky: Sie hat ihre Rolle ausgespielt. Es wird ihr gehen wie Jason Parnassis und wie ihren fünf Stadtguerilleros. Und das ist gut so.

Jonas: Jonas sah das anders. Jonas hatte was übrig für Karla, außerdem, Jonas gehörte nicht zum GD und hatte nicht den Auftrag, die Stadtguerilla zu liquidieren. Abwarten. Die Schöne und das Biest hatten sich inzwischen voneinander gelöst. Es gab viel zu tun. Die letzte Runde war eingeläutet.

Mai: Maschinen stop! Laßt das große Rettungsfloß zu Wasser. Aphroherzchen, kümmerst du dich um Karla?

Aphrodite: Liebend gern. Und du, Maischätzchen?

Mai: Ich gehe nach unten und aktiviere die Bombe.

Aphrodite: Hm.

Mai: Du kommst mit, Juli. Bin gleich wieder da, Herzchen.

Jonas: Aphrodite warf ihr eine Kußhand zu, graziös, hinreißend. Dann ließ sie sich eine Maschinenpistole geben und trieb Karla vor sich her, bis an die Reling. Karla sollte springen. Sie wollte nicht, verständlicherweise. Jonas zog den Laser.

Aphrodite: Spring!

Jonas: Es war Zeit, einzugreifen.

Aphrodite: Spring endlich, du Schlampe!

Jonas: Aphrodite wurde ungeduldig.

Aphrodite: Wie du willst, dann helf ich nach.

Jacky: Jonas, was tun Sie?

Jonas: Ich ziele.

Jacky: Auf Karla?

Jonas: Nein, auf Aphrodite.

Aphrodite: Ah!

Jonas: Getroffen.

Sam: Blow the mandownblow...

Jacky: Mein Laser, er funktioniert nicht.

Jonas: Ich habe mir erlaubt, ihn zu entladen, heute nacht, als Sie schliefen.

Jacky: Aber wieso? Wir arbeiten doch zusammen.

Jonas: Nicht gegen Karla.

Jacky: Ich muß mich doch wehren. Die schießen auf uns.

Jonas: Keine Angst, mit den paar Monaten wird Jonas ganz allein fertig.

Jonas: Außerdem war ja Karla auch noch da. Sie hatte sich Aphrodites Maschinenpistole geschnappt, war hinter einem Schornstein in Deckung gegangen, und half tatkräftig mit, Mai’s Leute auszuschalten. Das war bald erledigt. Jonas stieg aus dem Boot und machte Karla klar, wer er war. Immerhin sah ich noch aus wie der gute alte Jodokus. Wir hielten uns nicht lange auf mit Begrüßungen und Erklärungen, an Deck war alles klar, aber unter Deck gab’s noch einiges zu tun. Für Jonas, für Karla, und für Jackie. Die mußte mit, ob sie wollte oder nicht, sie fand sich im Schiffsbauch am besten zurecht. Wir schlichen uns an, leise, vorsichtig, hielten uns außerhalb des Lichtkegels. Von dem Krawall an Deck hatten Mai und Juli offenbar nichts mitbekommen. Mai war dabei, den Zeitzünder für die Sprengladung einzustellen, in aller Ruhe, ihre MP hatte sie abgelegt, Juli paßte auf, er wirkte nervös, statt Ausschau zu halten, sah er Mai auf die Finger. Karla erschoß ihn, dann griff sie sich seine Waffe und die von Mai. Mai fuhr hoch.

Mai: Jonas!

Jonas: Alias Jodukus nebst Begleitung, bleiben Sie stehen, Mai.

Jacky: Nehmen Sie die Hände hoch.

Jonas: Jacky, Sie greifen ihr in die Kitteltasche und nehmen den Schlüssel zum Käfig. So, schließen Sie auf, holen Sie die Alten raus.

Jonas: Karla half ihr, Jonas behielt Mai im Auge und im Visier seines Lasers. Es dauerte ein bißchen, bis alle Alten draußen waren, sie waren klapprig und vollgepumpt mit Ruhigstellern, die zwei Frauen zerrten und schoben und zogen, bis der Käfig leer war. Genügend Platz für eine einzelne Person mit breiten Schultern. Mai zierte sich, aber ein frisches Laserloch im Kittelsaum überzeugte sie schnell. Jonas schloß ab und steckte den Schlüssel ein. Der neue Aufenthaltsort gefiel Mai gar nicht. Sie wollte raus.

Mai: Die Bombe! In einer halben Stunde geht sie hoch, lassen Sie mich raus!

Jonas: Richtig, die Bombe, tickt munter vor sich hin.

Sam: Fire, fire, fire down below, fetsche backe tofotabeus, fire down below.

Jonas: Singen kannst du, Sammy.

Sam: Ja.

Jonas: Aber kannst du auch den Zünder deaktivieren?

Sam: Ja aber ganz gewiß doch, Hochwürden, gib mir nur ein zwei Stündlein Zeit, bis daß ich den Speicher vom Programm befreit.

Jonas: Das dauert zu lange. Alternativvorschlag?

Sam: Laß ticken Kumpel und hau ab.

Jonas: Auch gut. Alle Mann an Deck.

Sam: Und alle Frau. Und alle Computer.

Jonas: Eine Frau bleibt hier.

Mai: Nein! Lassen Sie mich raus!

Jonas: Wir dachten nicht daran. Wir hatten genügend damit zu tun, die Alten nach oben zu scheuchen und das Rettungsfloß für sie klar zu machen. Jemand mußte das Floß übernehmen, bei den Alten bleiben.

Karla: Wer macht das?

Jonas: Sie natürlich, Jacky.

Jacky: Warum ich? Ich bin keine Seniorenbetreuerin.

Jonas: Sie sind im öffentlichen Dienst.

Sam: Im öffentlichen Dunst, haha, das ich nicht kichere.

Jonas: Sie haben geschworen, das Wohl Babylons und aller seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Karla: Außerdem haben Sie keine Wahl, weil Sie keine Waffe haben.

Jonas: Grämen Sie sich nicht, Jacky, Sie werden einen Orden kriegen.

Jacky: Von wem? Oberst Frank?

Jonas: Von der Bürgermeisterin oder vom roten Kreuz.

Sam: Oder von mir.

Jonas: Und denken Sie an die reichen Verwandten unserer Alten. Die werden sich freuen, wenn sie Opa und Oma zurückkriegen und sich erkenntlich zeigen.

Jacky: Glauben Sie wirklich?

Jonas: Tja, wenn Sie mich so direkt fragen...

Jacky: Warum fahren Sie nicht mit den Alten, Jonas?

Jonas: Weil ich den Helikopter nehme.

Karla: Ich komme mit.

Sam: Ich auch.

Jonas: Und der Diamantenkoffer.

Jacky: Sieh mal an.

Jonas: Treuhänderisch. Für die Großreederei Parnassis. Sie ist meine Auftraggeberin, ich bringe ihr das Lösegeld zurück, das gehört sich so.

Sam: Ja, ist er nicht ethisch, mein Jonas, ist er nicht moralisch, was, hmhm.

Jonas: Die Bombe. Ein Zittern lief durch die Kalispera. Sie begann zu sinken, nach vorn, über den Bug, wie einst vor 100 Jahren die Titanic, stilvoll und würdig. Mit vereinten Kräften hievten wir die Alten ins Rettungsfloß. Jacky übernahm das Kommando und das Steuer, das Ruder, die Pinne, wie immer das heißt. Jonas und Karla stiegen in den Helikopter, wir starteten und drehten ein paar Runden, bis die Kalispera untergegangen war, dann verabschiedeten wir uns von Jacky und ihren Schutzbefohlenen.

Jonas: Und jetzt Kurs Babylon.

Karla: Ich bin für Brasilien. Da fühl ich mich sicherer.

Jonas: Mag sein, aber ich hab das Steuer.

Karla: Aber nicht mehr lange. Ich übernehme. Lassen Sie den Knüppel los. Suchen Sie Ihren Laser, Jonas? Den habe ich Ihnen vorhin aus der Tasche gezogen und über Bord gehen lassen.

Jonas: Ich habe Ihnen vertraut, Karla.

Karla: Vertrauen ist gut, Jonas.

Sam: Aber Kontrolle ist besser, Dämlack, Idiot, Volltrottel, Kackstiefel.

Karla: Also geben Sie mir schon das Steuer. Ich würd Sie nur ungern umbringen.

Jonas: Vielen Dank. Wir tauschten die Rollen, Karla übernahm das Steuer, sie war ein Profi und ließ mir keine Chance. Sie behielt immer eine Hand am Laser, und die Lasermündung zeigte auf meine Schläfe. Karla ging tiefer.

Karla: Springen Sie ab, Jonas.

Jonas: Ins Wasser?

Karla: Ja wohin denn sonst?

Jonas: Also das finde ich ausgesprochen unnett von Ihnen, Karla.

Karla: Ich bin sogar sehr nett zu Ihnen, Jonas, ich fliege tief und langsam, damit Sie sich beim Aufschlag nichts tun. Sie dürfen Ihren äh Sam mitnehmen.

Sam: Wuäh, Sam ist wasserscheu.

Jonas: Dich fragt keiner, Sam.

Karla: Einen Rettungsring kriegen Sie auch, nur den Diamantenkoffer, den nehme ich, für die Revolution, alle hopp.

Jonas: Wir sehen uns, Karla.

Sam: Jironimo.

Karla: Adios, Jonas!

Jonas: Glühende Mittagshitze, absolute Windstille. Auf dem glatten Blau der Karibik treibt ein Rettungsring, darin ein leicht verdatterter Privatdetektiv, Sonnenbrand auf der Nase, grimmige Gedanken im Herzen, und in der Brusttasche einen kleinen, aber lauten Computer.

Sam: Jonnie, o I drink whisky when I can, o whisky for my Jonnie.

Jonas: Schön wär’s, Sammy. Wir haben nicht mal Trinkwasser.

Sam: No whisky, no cry. OK man, neues Lied, drei vier. Rolling home, rolling home, rolling home across the sea...

Jonas: Sammy, du nervst.

Sam: Rolling home to dear old Babylon, where my hearts so longs to be, rolling home, rolling home, rolling home across the sea, rolling home to dear old Babylon, where my heart to longs to be.

Das war Traumschiff. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Esther Hausmann, Philipp Moog, Tanja Schleiff, Simone Solga, Jochen Striebeck, Saskia Vester und andere (Michael Vogtmann, Hans Jürgen Stockerl, Jürgen Donien, Helmut Gillitzer-Felber, Anita Schlierf). Ton und Technik: Günter Heß und Daniela Röder. Assistenz: Martin Trauner. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 2001 in Dolby Surround. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:29
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Invasion

Lili: Ich hätte nicht aus der Mine fliehen sollen, Herr Jonas, das ist mir klar, ich hätte nicht nach Babylon kommen sollen, aber ich mußte einfach. Ich mußte wissen, was mit meinem kleinen Bruno ist, ob er die Invasion überlebt hat.

Jonas: Die was?

Lili: Die Invasion, die Aliens, die aus dem Weltraum gekommen sind, in ihren Raumkreuzern, die hier alles kaputtgeschossen haben.

Jonas: Haben sie das?

Lili: Ja, dann sind sie gelandet und haben die Erde besetzt. Aber das wissen Sie doch so gut wie ich, Herr Jonas.

Jonas: Da bin ich mir nicht so sicher.

Jonas: Sie war nicht mein Typ. Sehr groß, grob, unschön. Trotzdem wimmelte ich sie nicht ab. Als sie sich zu mir setzte. Im Casablanca. Ich hörte ihr zu. Warum weiß ich nicht. Vielleicht hatte ich eine Vorahnung. Sie hieß Lili, sagte sie. Lili Putowski.

Lili: Darum nennen mich alle Liliput. Lili Marlen wäre mir lieber.

Jonas: Dann sagen wir doch Lili Marlen. Und Sie sagen Jonas. Nur Jonas. Ich bin kein Herr. Ich bin Detektiv. Der letzte. In Babylon, der großen Stadt.

Lili: Mein kleiner Bruno hat gesagt, ich soll zu Ihnen gehen, Herr... ich meine Jonas. Ich soll ins Casablanca gehen, da sind Sie oft. Bruno kennt Sie gut. Bruno ist acht. Sie sind sein Held, Jonas. Er hat Sie im Holo gesehen. Und im Euronet. Er weiß alles über Sie.

Jonas: Tatsächlich?

Lili: Und über Sam. Ihren Supercomputer. Was er alles kann, und wie wunderbar er redet.

Sam: O Dank, vielmaligster tiefinnerlichst empfundener Dank, allergnädigste Frau und Mutter, wohl dem, der eine Mutter hat. Jonas, gewißlich, der ist bekannt, doch wer kennt Sam? Den Äußerlich nicht eben gewalttätigen, doch mit einem so großen, so umfassenden, jaja, wer weiß ihn zu schätzen.

Jonas: Hast du doch gehört, Sammy, der kleine Bruno, acht Jahre alt.

Sam: Bald halb neun.

Jonas: Sonst wüßte ich keinen. Warum hat Ihr Sohn Sie zu mir geschickt, Lili Marlen?

Lili: Wegen der Invasion natürlich.

Jonas: Natürlich.

Lili: Weil Bruno nichts davon wußte. Und weil ich in Babylon keine neuen Ruinen gesehen habe. Nur die alten im Reservat und in der Südstadt. Obwohl die Aliens die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt haben. Das hat mich irgendwie unsicher gemacht.

Jonas: Aber nicht sehr. Lili wußte, was sie gesehen hatte. Im Holo-TV. Tagelange Sondersendungen. Vom ersten Erscheinen der Raumschiffe am Himmel bis zur Landung und zur Eroberung der Erde. Sagte sie. Jonas wunderte sich. Es ging ihm wie dem kleinen Bruno. Er wußte nichts von Aliens. Nichts von einer Invasion. Nicht in Babylon, nicht in Europa, nicht auf der Erde. War die Frau verrückt? Sollte ich auf sie eingehen?

Jonas: Wann haben Sie das gesehen, Lili Marlen?

Lili: Im Januar.

Jonas: Dieses Jahres?

Lili: Ja, sicher. 3., 4., 5. Januar 2015.

Jonas: Vor fünf Monaten. Und wo haben Sie’s gesehen?

Lili: In der Mine, wo ich arbeite. Gearbeitet habe.

Jonas: Lili war Bergfrau. Beschäftigt beim REUBA-Konzern. REUBA steht für Rare Elements Unlimited Babylon. Das sagt alles. REUBA hat sich spezialisiert. Auf die Gewinnung seltener Elemente und Rohstoffe. Dusenium zum Beispiel, so benannt nach seinem Entdecker, um 1900. Äußerst selten. Und äußerst wichtig. In der Nanotechnik. Weil es so gut leitet. Oder so schlecht. Jonas ist kein Techniker. Dusenium kam auf der ganzen Welt nur an einer einzigen Stelle vor. Weit draußen im Niemandsland. Wo Europa, Rußland und die Drittwelt aneinander stoßen. Da lag die Dusenium-Mine der REUBA. Namens Dusechs. Der Abbau war mühsam. Und gefährlich. Vor allem teuer. Weil Dusenium nur in großer Tiefe auftrat. Und nur in minimalen Einsprengseln. REUBA konnte weder Robots noch Androiden einsetzen. Nicht mal normale Bergleute. REUBA brauchte Elitels. Wie Lili.

Lili: Wir sind alle Elitels draußen in Dusechs.

Jonas: Sam, erklär den Hörern, was ein Elitel ist.

Sam: Jawoll, mit der allergrößten Bereitestwilligstkeit, Chef. Ein Elitel ist kein Eledil und Krokofant, nein, meine Daumen und Hirn, ein Elitel ist die Kurzform von Element-Telepat, hmh, dies Wort definiert einen Menschen, welcher die Gaby besetzt, wos, ne, Korrektur, welcher die Gabe besitzt, gewisse Elemente auf extrasensorischem telepatischem Wege aufzuspüren, so sieht's aus. Elitels sind nicht eben häufig, nein nein, genau wie ich, und werden sehr gut bezahlt.

Lili: Jetzt natürlich nicht mehr nach der Invasion. Jetzt arbeiten wir umsonst. Aus Patriotismus.

Sam: Gestatten, Herr Vizebergadjunkt, eine wenn auch nicht angeforderte, so doch durchaus relevante Anmerkung zum Thema Dusechs.

Jonas: Nur zu, Sam.

Sam: Po-Piep. Die Mine Dusechs existiert nicht mehr. Piep-pup. Am 5. Jänner 2015 wurde sie durch ein Erdbeben im Niemandsland total kaputtzerstört. Alle dort Weilenden verblichen eines jähen Todes, will sagen, sie wurden weiß. Requiesant in pace.

Lili: Unsinn.

Jonas: Das stimmt, Sammy. Es gab eine große Trauerfeier. Auf dem Ernst-August-Platz. Vor der REUBA-Zentrale.

Sam: Wonach übrigens REUBA bekannt gab, die Prospektoren des Konzerns hätten kürzlich ein neues Dusenium-Vorkommen entdeckt. Auch im Niemandsland. Dusechs zwo. Welch glücklicher Zufall. Nie wird Dusenium uns fehlen, nein nein.

Lili: Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.

Sam: Macht nix.

Lili: Am 5. Januar war kein Erdbeben, da sind die Aliens gelandet. Dusechs haben sie bisher nicht entdeckt. Die Mine arbeitet weiter auf Hochtouren. Für den Widerstand im Untergrund. Der baut eine Superwaffe gegen die Aliens. Und dafür brauchen sie Dusenium. Viel Dusenium. Ich hätte bleiben und mit den anderen weiter nach Dusenium suchen sollen. Aber der kleine Bruno.

Sam: Das Herz einer Mutter. Wer kann es ermessen. Mama, du sollst doch nicht...

Jonas: Noch so ein Widerspruch. Lili hatte Dusechs verlassen. Heimlich, sagte sie. Unbemerkt von Wachen und Patrouillen. Aliens natürlich. Zu Fuß hatte sie sich durchs Niemandsland geschlagen. 10 Tage, zwei Wochen. Bis nach Babylon. Zuerst hatte sie den kleinen Bruno besucht, der in einer Kinderkrippe untergebracht war. Jetzt war sie bei Jonas. Was sollte ich mit ihr anfangen?

Jonas: Noch ein Bier, Lili Marlen?

Lili: Überall sind sie, die Aliens. Sie maskieren sich als Menschen. Jeder von ihnen könnte einer sein. Die dicke Frau, die sich mit Sojatorte vollstopft, oder der große Typ da mit der roten Baseballkappe an der Theke.

Jonas: Jedenfalls kein Stammgast. Ich kenne ihn nicht.

Lili: Ich muß mal verschwinden. Bestellen Sie uns inzwischen noch zwei Bier, Jonas?

Sam: Ja und für mich ne Kanne Benzin.

Jonas: Ihr Bier wurde schal. Sie kam nicht zurück. Und ich rang mich dazu durch, sie zu suchen. Auch der letzte Detektiv wagt sich nicht leichtfertig an einen geheimen Frauenort. Ich ging nach hinten, durch den dunklen Gang, vorsichtig, sah mich um, machte die Tür auf, langsam. Keine Frau, auch nicht Lili. Statt dessen ein frischer Blutfleck. Und eine rote Baseballkappe. In einer Zelle, auf dem Boden. Das gab mir zu denken. Ich steckte die Mütze ein, und ging zurück. Noch langsamer, noch vorsichtiger. An der Schwingtür blieb ich stehen. Im Dunkeln, unsichtbar. Rotkäppchen stand noch immer an der Theke. Er hatte Gesellschaft bekommen. Noch ein Rotkäppchen. Und der große böse Wolf. Kalte Wolfsaugen. Kaltes Wolfslächeln. Weiße Zähne im grauen Stachelbart. Ein Boss, ein Dominator. Er sprach mit Jacob, dem Wirt. Der zeigte auf den Gang, auf Jonas. Verräter. Zeit zu verschwinden.

Sam: Aller allerhöchste Zeit, Signor Trödilio, ergebenster Vorschlag: Hintertür.

Jonas: Das heißt, durch die Küche.

Sam: Wo’s Schmalzbrote gibt.

Jonas: Wo Jacob sein berühmtes Gourmetmenü zusammenrührt. Mit dem Chemiebaukasten.

Sam: Und seinen Synth-Whisky panscht.

Jonas: Weshalb die Küche im Casablanca nur das Labor heißt. Und dies wiederum eröffnete einem Detektiv auf der Flucht gewisse Möglichkeiten. Sofern er über einen lauten Computer verfügte.

Sam: Achtung, zentrales Gesundheitsamt Babypsilon. Ri-ra-Razzia. Hygienekontrolle. Keiner verläßt den Raum. Punktum.

Koch: Aber wir haben doch immer pünktlich geza...

Sam: Schnauze. Wer den Mund aufmacht, wird mit dem eigenen Küchenmesser geschnetz-bruzzelt.

Jonas: Übertreibs nicht, Sammy.

Sam: Hier wird mit Schwefelsäure gekocht, jawoll, hier wird mit Dioxin abgeschmeckt. Das verstößt gegen § 1 der Küchenverkehrsordnung, Herr Portiers.

Jonas: Jonas war nur auf der Durchreise. Im Vorbeilaufen riß er einem Küchenbullen die Mütze vom Kopf. Dann war er draußen. Auf der Gasse hinter dem Casablanca. Vor der Tür wartete ein Rotkäppchen. Auf Jonas. Nicht auf einen Koch mit Mütze.

Jonas: Sie sollen reinkommen. Ihre Kollegen brauchen Hilfe.

Rotkäppchen: OK, haben Sie den Kerl?

Jonas: Sieht nicht so aus.

Rotkäppchen: Hey Hey, Moment mal.

Sam: Was is’n?

Jonas: Aber Jonas war schon um die Ecke. In Sicherheit. Vorerst. Ich winkte mir eine Rikscha und ließ mich in Zentrum bringen. Zum Ernst-August-Platz. Untertauchen, das war der Plan. Untertauchen in der Masse. Die war heute ganz besonders massenhaft. Der Klimadom war geöffnet. Ausnahmsweise. Und ein paar Sonnenstrahlen fielen auf den Platz. Auf die Hochhäuser. Die zentrale Sicherheitsverwaltung. Das Rathaus. Die REUBA-Zentrale. Und auf das riesige Rondell aus Fastrasen. Wo sich die Babylonier drängten. Dicht an dicht. Halbnackt, fast nackt, ganz nackt. Jonas stellte sich dazu. Nacktheit ist die beste Verkleidung. Sherlock Holmes. Oder vielleicht Siegmund Freud?

Stimme: Akute Hautkrebsgefahr. Setzen Sie sich keinesfalls länger als 7 Minuten, ich wiederhole, 7 Minuten, der direkten Sonnenbestrahlung aus.

Jonas: Keine Rotkäppchen in Sicht. Entwarnung.

Sam: Fürs Erste, Chef. So lasset uns denn gelieb dem Herrn die gewonnene Muße nutzen, und des Rates pflegen.

Jonas: Ich brauch kein Rat von dir, Sam.

Sam: Wie? Mondieu. Kein Arroganz.

Jonas: Ich brauch Informationen. Daten. Lili Putowski. Such, Sammy.

Sam: So nicht, Sir, ist Sam ein Hund, na?

Jonas: Du bist ein Frettchen, Sammy.

Sam: Auch noch.

Jonas: Ein virtuelles Frettchen im digitalen Labyrinth. Oder umgekehrt. Los, Sammy, such, such, such Lili Putowski in der REUBA-Datei.

Sam: OK OK, Frettchen Sammy sucht schon. Piep. Pup. Pup. Pup.

Jonas: Lili Putowski war tot. Gestorben am 5. Januar 2015. In der Mine Dusechs. Wo sie gearbeitet hatte. Hinterlassen hatte sie einen achtjährigen Sohn. Bruno Putowski. Wohnhaft in Mirko Minkows Kinderkrippe. Die Kosten trug REUBA. Sam konnte sogar ein Bild von Lili anbieten. Auf seinem klitzekleinen Mini-Monitor. Zu klein, wenn Sie mich fragen.

Sam: Bildschirm ist groß genug. An dir liegt's mein Alter. Augen lassen nach, Zähne fallen aus, Haare sind schon weg. Und wie steht's um die vielgepriesene Libido?

Jonas: Halt dich zurück, Sam. Ja, das ist sie. Und wenn sie das ist...

Sam: Dann ist sie nicht in Dusechs umgekommen. Beim Erdbeben.

Jonas: Apropos Erdbeben. Da war doch was damals. Gleich fällt's mir ein. Kanuk.

Sam: Kuckuk?

Jonas: Kuno Kanuk. Volksrentner. Stammgast im Casablanca. Und Hobby-Seismologe. Mit einem eigenen Anzeigegerät. Das am 5. Januar nicht reagiert hatte. Kein großes Erdbeben im Niemandsland auf seiner Richterskala. Auch kein kleines. Gar kein Erdbeben. Kanuk hatte im geologischen Institut der Uni Babylon nachgefragt. Antwort: Geräte fehlerhaft. Kanuk war nicht überzeugt. Er schwor auf seine Anlage. Das hatte er mir erzählt. Damals im Casablanca. Und da fiel mir noch was ein. Ich hatte Kuno Kanuk lange nicht gesehen.

Jonas: Fonverbindung, Sam, Kanuk, Kuno.

Sam: Befehl. Piep. Kanuk, Kuno. Fonisch unerreichbar.

Jonas: Was heißt das? Wo steckt er?

Sam: Ja, wo mag er wohl stecken? Im Himmel, hmh, in der Hölle, häh, im Nirwana? Fragen Sie Ihren Priester oder Guru.

Jonas: Kanuk ist tot.

Sam: Jui, wie ein Türnagel. Verstorben am 11. Januar 2015. Verkehrsunfall. – Ein Anruf für meinen Herrn und Jonas.

Jonas: Wer?

Sam: Chefinspektor Br-Brock. Sind wir zuhause?

Jonas: Stell ihn durch, Sam.

Brock: Jonas?

Jonas: Was wollen Sie, Brock?

Brock: Lassen Sie alles stehen und liegen, gehen Sie ans nächste Hologerät.

Jonas: Warum?

Brock: Beeilen Sie sich.

Sam: Oha.

Jonas: Wenn es meinem guten alten Feind von der Kripo so wichtig war. Außerdem waren meine 7 Minuten um. Ich zog mich an, und suchte mir einen Multimedia-Shop. Über alle Holoschirme im Schaufenster lief ein Programm. Sondermeldung.

Holo: Grauenhafter Serienmord in Kinderkrippe. Fünf Opfer bestialisch zu Tode gefoltert. Drei Kinder...

Jonas: Mein Gott, die Kinder.

Holo:... im Alter von 5 bis 8 Jahren.

Jonas: Der kleine Bruno.

Holo: Mirko Minkow, der Leiter der Krippe, und eine bislang nicht identifizierte Frau.

Jonas: Lili. Das ist sie. Die Größe. Die Statur.

Holo: Sehen Sie alles weitere, alles nähere, alle entsetzlichen Einzelheiten, heute Nachmittag, 15 Uhr 10 in unserer von REUBA gesponserten Show Schwarze Dahlie, der Serienmörder der Woche. Und nun noch eine Meldung der Kripo. Im Zusammenhang mit dem Kinderkrippenmassaker wird gefahndet nach Jonas, nur Jonas, bekannt als der letzte Detektiv. Vorsicht! Jonas ist extrem gefährlich und vermutlich bewaffnet.

Jonas: Schön wär’s.

Wolf: Sie waren es nicht, Jonas. Ich war es. Hat Spaß gemacht. Mit Kindern tue ich’s besonders gern. Man muß natürlich Ruhe haben, Zeit, Fantasie, das richtige Werkzeug. Skalpell, Lötkolben, Bohrmaschine.

Jonas: Er stand direkt hinter mir. Ich drehte mich nicht um. Ich wußte, wer er war. Stachelige Barthaare an meinem Ohr. Der große böse Wolf. Blitzschnell rammte ich beide Ellebogen nach hinten. In seinen Bauch. Er klappte zusammen. Und Jonas rannte. Zum nächsten Metroeingang. Auf den untersten Bahnsteig. Weiter in den Tunnel. Dann durch Türen und Schächte, die nur wenige kannten. Bis ich im alten Abwassersystem angekommen war. In der Unterwelt von Babylon. Hier konnte ich mich ausruhen. Und überlegen.

Jonas: Sammy, es stinkt.

Sam: Na was hast du denn erwartet, du Schnarchnase? Rosenduft, häh? Chanell Numero se? Lavendel und Rosmarie? Hier unten kann's doch nur nach Exkrementen stinken. Nach antikem Kot. Gut abgelagert, edel gealtert, gülden gefärbet.

Jonas: Ich meine den Fall, Sam. Der Fall stinkt.

Sam: Fall? Was für ein Fall?

Jonas: Das wüßte ich auch gern. Lilis Geschichte. Rotkäppchen und der Wolf. Kuno Kanuk. Schlächterei in Kinderkrippe. Fahndung nach Jonas. Was gibt das zusammen?

Sam: Hab ich doch gesagt. Scheiße bis über die Halskrause.

Jonas: Und wie komm ich da raus? Was hätte Bogie gemacht?

Sam: Bogie ist tot. Und Philip Marlowe hat geheiratet. – Chefinspektor Brock begehrte euer wertes Ohr, Senior.

Jonas: Dann leihen wir’s ihm doch.

Brock: Sie laufen noch frei rum, Jonas? Gut, wenn wir Sie erst mal haben, kann ich Ihnen nicht mehr helfen.

Jonas: Helfen wollen Sie mir, Brock, Sie?

Brock: Nicht, weil ich Sie mag, Jonas. Weil ich was gegen Serien- und Kindermörder habe. Und wenn Sie ein Serienmörder sind, dann bin ich die Heilige Diana.

Jonas: Danke.

Brock: Sie sind nur ein Arschloch.

Jonas: Danke.

Brock: Erinnern Sie sich noch an den Fall Mustermann, Jonas?

Sam: Schneeflittchen, November 2011.

Brock: Wissen Sie noch, an welchem ungewöhnlichen Ort dieser Fall zu Ende ging?

Jonas: Klar, im Keller der Zentralen Sicherheitsverwaltung. Was soll das, Brock, ich denke, Sie wollen mir helfen.

Brock: Wissen Sie, Jonas, ab und zu gehe ich da mal hin. In den Keller. Um in Ruhe nachzudenken. Nach Dienstschluß, so gegen halb fünf. Wollen Sie sich übrigens die schwarze Dahlie im Holo ansehen?

Sam: Ne.

Jonas: Unbedingt. Fragte sich nur, wo. In der Unterwelt gab's keine Holoapparate. Sam hatte eine Idee. Und Jonas hatte einen Schlüssel. Zum Apartment von Ines Sikorski. Fall Blackout. Vor einem knappen Jahr. Ich blieb unten. Vorsichtshalber. Und wanderte, ein paar Kilometer. Dann war ich da. Unter dem riesigen Apartment-block in Zentralost. Ines war nicht zuhause. Wahrscheinlich Spätdienst im Krankenhaus. Von mir aus. Zur Zeit hatte Jonas mehr Sehnsucht nach dem Hologerät als nach Ines.

Holo: Schwarze Dahlie. Die mörderisch gute Show, wird Ihnen präsentiert von Supermedia und REUBA. Und hier ist Ihr Host. The one and only Jack the Ripper.

Jack the Ripper: Danke, danke, hi, everybody. Es ist mal wieder Mord- und Foltertime. Ich weiß, Sie alle warten schon darauf in fieberhafter Spannung. Wer wird heute Serienmörder der Woche. Wer kriegt heute unseren wertvollen, heißbegehrten Preis, die schwarze Dahlie aus antiken Bakelit, designt und gestaltet im Auftrag unseres Sponsors REUBA. Diesmal keine Ausscheidung, ladies und gentlemen, keine Qual der Wahl. Durch einstimmigen Entscheid unserer hochkarätigen Jury ist der Serienmörder der Woche der Schlächter von der Kinderkrippe. Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv. Er hat es uns und der Kripo leicht gemacht, meine Damen und Herren, er hat seine hochinteressante Arbeit gewissermaßen signiert, nicht wahr, Chefinspektor Brock?

Brock: Ja ja, das ist richtig. Auf einer Wand der Kinderkrippe wurde mit dem Blut der Opfer folgende Botschaft geschrieben...

Jack the Ripper: Herzlichst, Jonas, ihr letzter Serienmörder.

Brock: Das heißt natürlich noch lange nicht...

Jack the Ripper: Danke, Chefinspektor, danke. Hier sehen Sie die blutige Botschaft, boys and girls, hier sehen Sie unseren Preis. Was Sie nicht sehen, noch nicht, ist unser Preisträger, aber wir sind sicher, Chefinspektor Brock und seine Kollegen werden ihn bald haben, und wenn sie nicht, dann der REUBA Sicherheitsdienst, der sich dankenswerterweise in den Fall eingebracht hat, unter dem persönlichen Kommando seines kompetenten Chefs G. B. Wolf. Die Großfahndung läuft, meine Herrschaften, und während sie läuft, kommen wir, wie versprochen, zu den grauenvollen, den gräßlichen, den geradezu unfaßbaren Einzelheiten der von uns heute preisgekrönten Tat. Es geschah in den frühen Nachmittagsstunden des heutigen Tages. Friedlich und fröhlich spielten drei Kinder im gemütlichen Aufenthaltsraum ihrer Krippe, nicht ahnend, welch...

Jonas: Ines?

Ines: Hilfe! Jonas, der Mörder, er ist hier! Hilfe!

Jonas: Das jähe Ende einer wunderbaren Freundschaft. Wieder mußte Jonas rennen. Und sich in der Unterwelt verstecken. Bis es Zeit war. Für das Treffen mit Brock. 9. Juni 2015. Viertel vor fünf. Im Keller der zentralen Sicherheitsverwaltung sah es noch genauso aus wie vor dreieinhalb Jahren. Grau. Staubig. Trübes Licht aus alten Neonröhren. Uralte Aktenschränke voll uralter Akten. Kafkaesk, würde Sam sagen. Dazwischen wanderte ein einsamer Chefinspektor auf und ab. Er sah nicht hoch, als Jonas auftauchte. Er redete weiter vor sich hin.

Brock: Undurchsichtiger Fall, der Mord in der Kinderkrippe. Daß es Jonas war glaub ich einfach nicht.

Jonas: Es war Wolf. Der Sicherheitschef von REUBA. Mit seinen Rotkäppchen. Er hat’s mir selbst gesagt.

Brock: Aber REUBA hat sich Jonas ausgekuckt, warum auch immer. REUBA ist ein mächtiger Konzern, mit großem Einfluß auf die Regierung, auch auf die zentrale Sicherheitsverwaltung. Hach, da halt ich mich besser raus.

Jonas: Was soll ich tun, Brock?

Brock: Wenn ich Jonas wäre, würde ich bei REUBA ansetzen. Da ist der Schlüssel.

Jonas: Aber nicht in Babylon. Im Niemandsland. In der Mine Dusechs. Falls es die noch gibt. Frage: Wie komm ich hin?

Brock: Schon merkwürdig, diese vielen nutzlosen Informationen, die bei der Kripo zusammenlaufen. Zum Beispiel, daß der monatliche Supertruck von REUBA morgen früh startet. Zu den Minen im Niemandsland. Er fährt übrigens mit Diesel. REUBA hat eine Ausnahmegenehmigung, weil’s da draußen keine E-Tankstellen gibt. Der Truck holt die abgebauten Rohstoffe, und bringt alles, was gebraucht wird. Lebensmittel, Treibstoff, Batterien, Ersatzteile, Holobänder, etc. Ein Kommando von REUBA Sicherheitsdienst fährt mit. Als Begleitschutz. 20 Mann. Einer von denen hat die Angewohnheit, sich vor dem Start noch mal ordentlich abzuarbeiten. Im REUBA- Fitneßcenter, gleich neben der Truckstation am südlichen Stadtrand. Lorenz heißt der Mann. Warum merke ich mir so was? Absolut nutzlos.

Jonas: Danke, Brock.

Brock: Um fünf fährt er, der Truck. Na, Feierabend, Schluß für heute.

Jonas: Es war ein weiter Weg. Vom Zentrum zum Stadtrand. Jonas stieg um. Vom Abwasserkanal ins Atomschutzsystem. Zur Zeit nicht gebraucht. Aber gewartet. Ein Labyrinth. Jonas kannte den Zugangscode. Und er wußte, wo die E-Velos parkten, die den weiten Weg erheblich abkürzten. - 10. Juni. 4 Uhr 30 Morgens. Im REUBA- Fitneßcenter war nichts los. Ein einziger Bodyfreak pumpte und schwitzte. Lorenz. Neben ihm lag seine REUBA-Passcheibe. Und seine rote Baseballkappe. Jonas trug auch eine, die er im Casablanca gefunden hatte. Perfekte Tarnung. Lorenz hielt mich für einen Kollegen. Daß er sich irrte, wurde ihm erst klar, als ich zuschlug. Zu spät. Ich schlug hart zu. Bis er sich nicht mehr rührte. Ich dachte an Lili und an die Kinder. Die REUBA-Passcheibe steckte ich ein. 5 vor 5. Mit laufenden Motoren stand der REUBA- Supertruck vor der Station. Eine gigantische Zugmaschine, zwölf vollbeladene Anhänger, ein nervöser Truckchef hielt auf der Brücke Ausschau, nach dem fehlenden Sicherheitsmann.

Truckchef: Na endlich. Moment mal, Sie sind nicht Lorenz.

Jonas: Lorenz hat sich krankgemeldet. Muskelfaserriß. Ich bin der Ersatz.

Truckchef: Ja und warum weiß ich davon nichts?

Jonas: Weil's gerade erst passiert ist. Sie haben mich aus dem Bett geholt.

Truckchef: Name?

Jonas: Jogurta.

Truckchef: Schon mal Dienst am Supertruck gemacht, Jogurta?

Jonas: Nein.

Truckchef: Auch das noch. Na, steigen Sie ein, Mann, die Kollegen werden Ihnen alles erklären, später. Achtung, wir starten.

Jonas: Jogurta kam zur Heckwache. Quartier im letzten Anhänger. Die Einrichtung war spartanisch. 10 Kojen, 10 Spinde, ein angeschraubter Tisch, 10 Stühle, ganz ordentliches Essen, Dienst nicht allzu anstrengend. Die Kollegen waren nicht mißtrauisch, obwohl sie Jogurta nicht kannten. Der REUBA-Sicherheitsdienst ist eine große Truppe. Großer Umschlag. Großer Verschleiß. Zwei Tage vergingen. Wir fuhren, durch die Wildnis. Dann durchs Niemandsland. Keine besonderen Vorkommnisse. Ab und zu hielten wir. An REUBA-Außenstellen. Minen. Schürfplätzen. Wir luden ab und luden auf. Jogurta tat seine Arbeit. Und bemühte sich nicht aufzufallen. Jonas erinnerte sich. An frühere Touren in dieser Gegend. Fall Niemandsland vor vier Jahren. Fall Weihnachtsmärchen vor zweieinhalb. Ich kannte sie gut, diese tote Landschaft. Orange und grau. Dazwischen Farbtupfer. Schwarz. Rot. Giftgrün. Ruinen. Reste. Rost. Geschmolzener Sand. Und Felsen. 12. Juni. Morgen. Jogurta hatte Außendienst. Begleitschutz. Als letzter Mann fuhr er hinter dem Truck. Auf seinem E-Bike. Hielt die Augen offen. Gewissenhaft. Immer im gleichen Rhythmus. Links. Rechts. Rückspiegel. Und da sah ich plötzlich was. Weit hinter mir. Einen Punkt, der allmählich größer wurde. Ein Fahrzeug. Wer war das? Ich hatte eine Ahnung, die sich bald bestätigte. Mein Funkgerät fing an zu reden.

Wolf: Hallo, Jonas. Trifft sich gut, daß Sie gerade Hintermann sind, da können wir unser Problem ohne großes Aufsehen klären. Ich brauche Sie nicht aus dem Truck zu holen. Sie fragen sich vielleicht, wie es mir möglich ist, Sie auf die noch recht beträchtliche Entfernung zu identifizieren. Ich habe ein gutes Glas, sehr gute Augen, und den besten Willen, Sie in die Hände zu kriegen.

Jonas: Sind Sie meinetwegen hier, Wolf?

Wolf: Selbstverständlich. Nur ihretwegen. Sie waren verschwunden. Alle meine Leute suchten und suchten. Aber sie fanden nicht Jonas. Sie fanden Lorenz. Da wußte ich Bescheid. Ich habe meinen Rover aus der Garage geholt, und mich auf den Weg gemacht, ja, und da bin ich nun, und da sind Sie. Wollen wir es kurz machen? Sie halten an und ergeben sich.

Jonas: Lieber nicht.

Wolf: Ich kann’s Ihnen nicht verdenken. Aber was wollen Sie tun? Sie haben nur eine Signalpistole. Ich habe Laser. Und Neurofreezer. Ich denke, den werde ich benutzen. Damit wir ein bißchen Spaß miteinander haben können. Fahren Sie von mir aus weiter, Jonas, ich hole Sie ein, wann immer ich will. Ich bin schneller als Sie auf Ihrer Elektrogurke.

Jonas: Da hatte Wolf recht. Er kam sehr schnell näher. Kein Wunder. Er fuhr einen antiken Range Rover RSE, Turbo Diesel, fast ein viertel Jahrhundert alt. Ein Museumsstück. Jonas dachte nach. Einen Vorteil hatte ich. Ich war wendiger. Das mußte ich ausnutzen. Rechts am Horizont zeichnete sich eine Felsengruppe ab. Ich ließ den Supertruck weiter gerade aus fahren und schlug einen Haken. Wolf folgte mir. Auch zwischen den Felsen blieb er dran. Ohne Probleme. Zunächst. Bis sich direkt vor mir ein tiefer Spalt auftat. Fast schon eine Schlucht. Oben am Rand lief eine schmale Felskante. Für zwei Räder gerade ausreichend. Nicht für vier. Das war meine Chance. Ich fuhr auf die Kante. Schnell. Wolf war nicht schnell genug. Er riß das Steuer herum. Der Rover brach aus. Und blieb stehen. Die Vorderräder über dem Abgrund. Eine höchst labile Position. Jonas stieg vom E-Bike. Und sah sich die Sache aus der Nähe an.

Wolf: Die Tür geht nicht auf.

Jonas: Verklemmt. Sie haben beim Bremsen den Felsen gerammt.

Wolf: Helfen Sie mir raus, Jonas.

Jonas: Warum sollte ich? Sie drinnen, ich draußen. Find ich gut so.

Jonas: Er saß steif in seinem Sitz. Ganz weit nach hinten gelehnt. Und wenn er sich bewegte, dann ganz ganz vorsichtig. Weil der Rover zitterte und schwankte. Jeden Augenblick konnte er in die Schlucht stürzen. Er lächelte immer noch sein Wolfslächeln, der große böse Wolf. Aber in seinen Augen stand Todesangst.

Jonas: Was wollen Sie tun, Wolf? Aussteigen geht nicht. Laser geht auch nicht, dann kippt der Rover. Interessante Situation.

Wolf: Holen Sie mich raus, Jonas. Ich tue Ihnen nichts. Ich lasse Sie in Ruhe.

Jonas: Ach, da wir gerade so nett plaudern, warum ist REUBA eigentlich hinter Jonas her?

Wolf: Weil Sie Bescheid wissen über unseren Schwindel. Mit der Invasion.

Jonas: REUBA hat den Minenarbeitern einen Bären aufgebunden, damit sie wie die Wilden schuften, unbegrenzt und umsonst.

Wolf: Ja.

Jonas: Sehr unfeine Methode, Wolf.

Wolf: Darum darf’s ja auch nicht rauskommen.

Jonas: Und darum bringen Sie alle um, die was wissen.

Wolf: Ich mach Schluß damit, Jonas. Ich kündige bei REUBA. Ich engagiere Sie. Wieviel wollen Sie? 1000 Euros? 10.000? 100.000?

Jonas: Das ist ein Spaß, was Wolf? Aber jetzt habe ich genug. Jetzt kommt der Schlußgag. Ich schiebe Sie ein bißchen an.

Wolf: Nein! Nein!

Jonas: Doch.

Wolf: Nein! Nein!

Jonas: Schade um den Range Rover. Der große böse Wolf war weg vom Fenster. Untergegangen wie die Titanic. Nur nicht so schön. Die Rotkäppchen waren noch da. Beim Truck hatten sie gemerkt, daß Jogurta verschwunden war, und jetzt schwärmten sie aus, um ihn zu suchen. Von meinem Standort hatte ich gute Sicht auf die weite Ebene.

Jonas: Zehn E-Bikes. Zwölf. Großalarm. In ein paar Minuten sind sie hier.

Sam: Und warum bist du dann noch nicht weg, Zausel? Honigkuchen, Fertiggrinsender? Ha, hopp hopp, aufs wackere E-Bike und von dannen gebürstet, wieher...

Jonas: Ein theoretisch ausgezeichneter Rat, Sammy, nur leider praktisch nicht durchführbar.

Sam: Wieso nicht?

Jonas: Die Batterie ist leer.

Sam: Aha.

Jonas: Das Ding springt nicht an.

Sam: Also Beinarbeit, schwing die Keulen, Kumpel.

Jonas: OK, wohin?

Sam: Sitzest du auf den Lauschern, Taubsack? Vernimmst du nicht den dumpfen Ton der Pauke?

Jonas: Ich vernahm ihn. Und ich sah auch was. Nomaden. Ein ganzer Stamm zog langsam über die Ebene. Hunderte, vielleicht Tausende. Flüchtlinge aus der Drittwelt, Mutanten, Freaks, Abgerutschte aus Europa und Rußland. Nomaden nannten sie sich selbst. Politiker und Militärs sprachen von Banditen. Marodeuren. Es ist nicht leicht, im Niemandsland zu überleben. Mit dem Gesetzbuch unter dem Arm kommt man nicht weit. Alles was sie besaßen hatten sie bei sich. Auf Handkarren, gezogen von Mutanten. Und Mutanten schleppten auch ein merkwürdiges Gebilde an der Spitze der Karawane, anscheinend ein alter Panzer aus dem vorigen Jahrhundert. Im Niemandsland findet man die unglaublichsten Dinge. Jonas kam näher. Es war wirklich ein Panzer. Ein russischer T54. Mit einem roten Stern am Turm. Unter den Felsen tauchten E-Bikes auf. Die Rotkäppchen. Die Pauke wurde stumm. Die Nomaden hielten. Die Rotkäppchen drehten ab. Mit einem ganzen Stamm wollten sie sich nicht anlegen. Jonas kam noch näher und wurde von zwei Nomaden gegriffen. Sie waren sehr mager, aber kräftig. Und sie trugen Buschmesser.

Jonas: Bringt mich zu euerm Häuptling.

Nomade: Sto?

Jonas: Häuptling. Chef.

Nomade: Ah, Chef. Glawa. Karscho. Dawei.

Jonas: Er thronte auf der Kommandoluke des T54, beschützt von zwei Leibwächtern mit rostigen Pistolen. Hinter ihm der Schlagzeuger an der Pauke. Der Häuptling der Nomaden war ein alter Mann. Weißhaarig. Schmal. Drahtbrille auf der Nase. Er trug eine grüne Schirmmütze. Eine Russenbluse, vollgesteckt mit bunten Abzeichen und Medaillen. Eine zerschlissene Reithose. Stiefel. Er sah aus wie ein sibirischer Dorfschullehrer. Aber er war der Oberkommandierende der Roten Armee, so hieß sein Stamm.

Stalin: Da da krasni Armia, hier Generalissimus Stalin.

Jonas: Wirklich? Es ist mir eine Ehre.

Stalin: Du?

Jonas: Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv.

Stalin: Jonas? Kto, wer? Jonas, Jonas nicht Sto, nichts. Du nicht Bakutan, Kollege von goldene Horde. Du nicht Stefan, Korol von Madjare. Du nur Jonas. Du niemand. Du toter Mann.

Jonas: Sie lassen Ihren T54 schleppen, Generalissimus, woran liegt’s? Kaputt? Kein Diesel?

Stalin: Du kennen Tank pretscharatschiri?

Jonas: Das kann man wohl sagen. Ich hab ihn sogar gefahren, den T54, vor Jahren auf Feuerland.

Stalin: Tank kaput. Du können tschenitsch reparieren?

Jonas: Ich können. Hoffe ich.

Stalin: Boschingraso. Doproproschalowatsch Jonas, willkommen in Rote Armee.

Jonas: Na bitte. Der Panzer war gut in Schuß. Erstaunlicherweise. Als er noch fuhr, hat Stalin ihn als Wunderwaffe eingesetzt, gegen befestigte Siedlungen und Industrieanlagen. Bisher hatte die Rote Armee den Norden des Niemandslands unsicher gemacht, erzählte mir der Generalissimus. Jetzt war sie dabei, ihr Aktionsfeld weiter nach Süden zu verlegen. Die Bordkanone funktionierte noch. Aber es gab kaum Munition. Nur fünf Granaten. Das eigentliche Problem war die Zündung. Völlig verdeckt. Jonas machte sie sauber. Und startete den Motor.

Stalin: Hurra! Du bleiben Jonas. Du Schowior. Da. Weiter. Dawei. Fahren, Jonas, fahren. Westra westra.

Jonas: Natürlich kann ich Ihren Panzer fahren, Generalissimus, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß der Treibstofftank so gut wie leer ist. Wir kommen nicht weit. Oder haben Sie irgendwo ein paar Kanister Diesel auf Lager?

Stalin: Diesel? Noi Kanutschki net.

Jonas: Sehen Sie, dann stelle ich mal den Motor besser wieder ab. Und Sie lassen den Panzer erst mal weiter schleppen.

Stalin: Nu, karrascho. Dawei!

Jonas: Da war Jonas also wieder Panzerfahrer. Wenn auch zur Zeit nur ehrenhalber bzw. in Kurzarbeit. Bis wir Diesel finden würden. Stalin hing offenbar an seinem fahrbaren Häuptlingssitz, und war sehr daran interessiert, die Ketten wieder ins Rollen zu bringen. Daraus ließ sich was machen.

Jonas: Ich weiß, wo wir Diesel auftreiben können, Generalissimus.

Stalin: Diesel? Knet. Wo?

Jonas: In Dusechs.

Stalin: Dusechs. Was Dusechs?

Jonas: Eine Mine. Ein Bergwerk.

Stalin: Ned ponimeio.

Sam: Rudnik.

Stalin: Ah, rudnik! Wer sprechen?

Jonas: Mein Computer.

Sam: Hohahahaha. Drigalarischi Ruski, Sir? Nanri kalaku. Samuel ist der werte Name. Kurz Sam. Oder auch Sammy. Hocherfreut Sie kennenzulernen, Generalissimus. Ihr Rum soll gut sein, und Ihr Ruhm eilt Ihnen voraus.

Stalin: Computer! Meiingento itowari kis. Kleiner Genosse Blech.

Jonas: Hahahahaha, kleiner Genosse Blech. Das gefällt mir.

Sam: Ha, mir aber gar nicht. Bin nicht Genosse. Bin nicht Blech. Mich dünkt, der Kerl wird reichlich frech.

Stalin: Computer mir geben.

Sam: Untersteh dich, Hinterfotz.

Jonas: Besser nicht, Generalissimus, wissen Sie, Sam ist schwierig.

Sam: Was?

Jonas: Kompliziert.

Sam: Was?

Jonas: Mit ihm muß man umgehen können.

Sam: Ja.

Jonas: Jonas kann das.

Sam: Hehe, bildest du dir ein.

Stalin: Nu, karascho. Wo rudnik Dusechs.

Jonas: In der Nähe. Wo genau sagt uns Sam.

Sam: Ja, aber nur, wenn ihr ihn ganz lieb darum bittet, ja.

Jonas: Abends kamen wir an. Die Nomaden schlugen ein Lager auf. Einige Kilometer entfernt. Außer Sicht, außer Hörweite. Ein Angriff bei Dunkelheit war zu riskant. Kein Nachtsichtgerät im Panzer. Außerdem wußten wir nicht, was uns erwartete. Gleich nach Sonnenaufgang stiegen wir auf einen Felsen. Jonas und Stalin. Und sahen uns Dusechs an. Ein großes flaches Gebäude. Und ein Förderturm, direkt vor einer schroffen Felswand. Im weiten Halbkreis umgeben von Unterständen. In jedem zwei Maschinengewehre. Eins nach innen, eins nach außen. Bedient wurden sie von Typen in roten Baseballkappen. REUBA-Sicherheitsdienst. Vielleicht eine Hundertschaft. Der Erdboden vor den Unterständen war glatt. Eben. Sehr eben. Verdächtig.

Stalin: Mini.

Jonas: Denk ich auch. Minen. Und MG’s. Es wird Verluste geben.

Stalin: Nu egal. Wir müssen haben Diesel. I Produkti. Essen.

Jonas: Lebensmittel? Die werden sich finden. Diesel auch.

Stalin: Karascho. Krasnia armia. Wir machen Sturmangriff. Mit Tank.

Jonas: Durchs Minenfeld? Das ist aber keine gute Taktik, Generalissimus.

Stalin: Zuerst, wir schicken Mutanti, treten auf Mini, machen Bum. Dann Tank. Du fahren Tank, Jonas. Schießen mit Buschka.

Jonas: So geschah es. Etwa 20 Mutanten wurden ins Minenfeld gejagt und sprengten eine Gasse frei. Eher eine Landstraße. Für den T54. Von meinen fünf Granaten verschoß ich drei. Drei MG-Nester außer Gefecht. Dann stürmten die Nomaden. Alle. Männer. Frauen. Kinder. Mit Messern und Knüppeln. Eine wilde Horde hungriger Berserker. Die REUBA-Leute hatten keine Chance. Sie wurden totgetrampelt. In Stücke gehackt. Keiner überlebte. Die Nomaden stürmten weiter. In das flache Gebäude, und suchten Lebensmittel. Auch Stalin ging auf die Suche. Nach Dieseltreibstoff. Jonas blieb im Panzer und vergnügte sich damit, alle MG-Nester plattzuwalzen. Wie sagt Sammy? Kaputtes MG tut dir nicht mehr weh. Sie kamen zurück. Die Nomaden still und langsam. Stalin forsch und laut. Enttäuscht waren alle.

Stalin: Nix Sto. Nix Diesel. Nix Produkti. Du gelogen Jonas. Du toter Mann.

Jonas: Nichts überstürzen, Generalissimus. Die Vorräte sind unten. In der Mine. Im Schacht.

Stalin: Wir nicht gegen unter Erde. Du holen aus Loch, Jonas. Du holen Diesel. Du holen Producti. Sonst du toter Mann.

Jonas: Dann wollen wir mal sehen, was sich tun läßt.

Jonas: Die Förderanlage stand still. Der Korb war unten. Blockiert. Festgehalten. Von den Minenarbeitern. Den Elitels. Im Kontrollraum stand ein Bildfongerät. Für den Kontakt mit Schacht und Stollen. Hunderte von Metern unter der Erde. Ich drückte den Knopf.

Jonas: Hallo. Hier Kontrollraum. Ich rufe die Arbeiter der Mine Dusechs. Bitte melden, dingend. Die Minenarbeiter, bitte melden, hallo, hallo.

Jonas: Es dauerte nur eine knappe Minute. Dann wurde der Bildschirm hell. Ein Gesicht erschien. Das Gesicht einer Frau. Groß. Grob. Unschön. Wie Lili Putowski. Aber sie war nicht Lili Putowski. Natürlich nicht. Sie war Paula Putowski.

Paula: Lili ist meine Schwester. Woher kennen Sie Lili?

Jonas: Das ist eine lange Geschichte.

Paula: Die ich Ihnen sowieso nicht glauben würde. Sie sind ein Alien.

Jonas: Sehe ich aus wie ein Alien?

Paula: Geben Sie sich keine Mühe, wir wissen Bescheid. Sie sehen aus wie ein Mensch, aber das ist nur Tarnung. Sie sind ein Alien. Sie haben Dusechs gefunden und angegriffen, aber Sie werden nichts davon haben. Uns kriegen sie nicht. Und Dusenium schon gar nicht. Wir warnen Sie. Wenn Sie versuchen, in den Schacht einzudringen, sprengen wir die ganze Mine in die Luft.

Sam: Oha.

Jonas: Sie waren gut indoktriniert. Durch Holo-TV. Von REUBA, speziell für sie produziert und ausgestrahlt. Jonas redete. Wie ein Buch. Fast wie Sam. Er erzählte von Lili. Vom kleinen Bruno. Er berichtete, was in Babylon abgelaufen war. Wie Jonas sich ins Niemandsland aufgemacht hatte. Und wie er schließlich in Dusechs angekommen war.

Jonas: Ihretwegen, Paula, um Sie aufzuklären, um Sie nach Hause zu bringen. REUBA hat Sie belogen und betrogen. Es gab keine Invasion. Es gibt keine Aliens. Alles Schwindel. REUBA hat sich das ausgedacht, um Sie da unten festzuhalten. Sie sollen für REUBA schuften. Unbezahlt. Für immer. Glauben Sie mir, Paula.

Paula: Die Leute, die jeden Monat mit dem Truck kommen, haben uns gesagt, daß REUBA den Widerstand organisiert, und daß REUBA dringend Dusenium braucht, soviel wie möglich, für die geheime Superwaffe gegen die Aliens. Sind Sie wirklich Jonas? Der letzte Detektiv?

Jonas: Wirklich und wahrhaftig.

Paula: Der kleine Bruno schwärmt für Sie.

Jonas: Der kleine Bruno ist tot. Lili auch. REUBA hat sie umgebracht.

Paula: Wenn Sie Jonas sind, dann müssen Sie Ihren Supercomputer Sam bei sich haben. Zeigen Sie ihn.

Jonas: Bitte.

Paula: Er soll was sagen.

Jonas: Du hörst die Dame, Sammy. Sag was. Na los!

Sam: Sach was, sagt er, mein Mensch und Meister, mein Herr und Heiler, mein Jott und Jonas, haha, ganz was neues, sonst sagt er: Halt die Bappen, Sam, halt die Klappe, halt dich zurück. Jetzt soll Sam was sagen, irgendwas, jetzt wird er gebraucht, der liebe Sammy, jetzt darf er, jetzt soll er, jetzt muß er, ob er will oder nicht. Wer fragt schon danach, was ein armer kleiner Computer will, was er tief in seinem Innersten...

Paula: Alles klar, Jonas, wir kommen rauf.

Jonas: Wie viele sind Sie?

Paula: 42.

Sam: Und wie alt sind Sie?

Jonas: Bringen Sie nur das notwendigste mit. Sind Sie bewaffnet?

Paula: Wir haben Uzis.

Sam: Und wir haben Futzies.

Jonas: Sehr gut. Damit hielten sie die Nomaden in Schach, als Jonas sie zum T54 brachte. Stalin war sauer. Kein Diesel, nichts zu essen. Statt dessen 42 Arbeiterinnen und Arbeiter, mit 42 schußbereiten Maschinenpistolen. Pech, alter Junge, da kann man nichts machen.

Stalin: Du großes Arschloch, Jonas. Du wieder gelogen. Wir dich töten. Langsam, ganz langsam. Wir dich brennen mit Feuer. Wir dich schneiden mit Messer. Wir dich spießen auf Stange. Wir dir ziehen ab Haut. Wir dich graben lebendig in Erde. Wir dich braten und essen.

Jonas: Guten Appetit. Die Nomaden waren unruhig. Und rückten uns allmählich näher. Wenn sie plötzlich losbrachen, würden sie uns überrennen. Mitsamt dem Panzer. Einen Moment lang sah es sehr danach aus. Aber da tauchte er endlich auf. Am Horizont. Nicht ganz pünktlich. Nach Sams Berechnungen hätte er eine Stunde früher kommen sollen. Der Supertruck von REUBA.

Jonas: Egal, Hauptsache, er ist hier. Hey, Generalissimus, da da, Diesel, da Producti.

Stalin: Du nicht wieder lügen, Jonas?

Jonas: Ich schwöre, Generalissimus.

Stalin: Kraschno, dawei towaritschi, kraschn armeitschi, hurra...

Jonas: Die Nomaden rannten dem Truck entgegen. Mit dem Panzer setzte Jonas sich an die Spitze. So schnell es ging. Sehr schnell war das nicht. Wegen der Minenarbeiter. Im T54. Auf dem T54. Aber es reichte. Ich fuhr einen Vorsprung raus. Zwei Granaten hatte ich noch. Eine schoß ich dem Truck vor den Bug. Er stoppte. Besatzung und Schutzmannschaft ließen ihn stehen. Und setzten sich ab. Auf ihren E-Bikes. Richtung Westen. Babylon. Die Minenarbeiter enterten Zugmaschine und Anhänger und sicherten sie mit ihren Uzies. Jonas knallte derweil die letzte Panzergranate ins Blaue, kletterte aus der Luke, durchlöcherte den Treibstofftank des Panzers, mit der Uzi, die Paula ihm gegeben hatte, und stieg um auf den Truck. Stalin und seine Nomaden hatten uns inzwischen eingeholt.

Jonas: Da läuft dein letzter Tropfen Diesel in den Sand, Stalin, Granaten hast du auch keine mehr. So sieht's aus.

Stalin: Siskowena, du Arschloch. Jonas du Saukerl.

Jonas: Deinen T54 brauch ich nicht mehr. Mit Dank zurück. Lassen Sie ein paar Container mit Lebensmitteln abladen, Paula.

Paula: Wird gemacht, Jonas.

Jonas: Producti, Leute, gleich gibt’s was zu futtern.

Nomaden: Producti, Producti, Producti...

Stalin: Diesel, Jonas, Diesel.

Jonas: Nichts Diesel, du alter Bandit. Machs gut.

Jonas: Liebend gern hätte Stalin seinen Stamm auf Jonas gehetzt, aber die rote Armee war nicht ansprechbar. Sie wühlte sich durch die Container und fraß sich voll. In ohnmächtiger Wut mußte ihr Generalissimus zusehen, wie der Supertruck wendete und von dannen knatterte. Mit Jonas. Mit den Minenarbeitern. Und mit vielen vielen Litern Dieseltreibstoff. Während wir durchs Niemandsland fuhren, funkten wir die ganze Geschichte voraus. Nach Babylon. An alle Medien. Und die machten was draus. Sondermeldungen. Schlagzeilen. Falsches Erdbeben. Falsche Invasion. Die bösen Märchen der REUBA. Profitgeile REUBA verurteilt Unschuldige zu lebenslänglich Zwangsarbeit. Serienmörder in REUBA-Diensten. REUBAs Firmenpolitik: Großbetrug und Kindermord. In dieser Art. Der REUBA-Konzern war plötzlich äußerst unbeliebt. 14. Juni 2015. Später Nachmittag. Wieder war der Ernst-August-Platz voller Menschen. Diesmal keine Sonnenanbeter. Es schien ja auch nicht die Sonne. Wütende Babylonier. Sie stürmten die REUBA-Zentrale. Schlugen innen alles kurz und klein. Wen sie fanden, übergossen sie mit Dieselöl, aus der Direktorengarage. Dann steckten sie die Leute an und schmissen sie aus dem Fenster. Oder vom Dach. Feuerwerk. Es traf sich gut, daß der REUBA-Vorstand gerade eine Sitzung abhielt, aber es traf vor allem andere. Kleine Angestellte, Putzfrauen, die nichts wußten. Wie das immer so ist. Chefinspektor Brock war auch da. Dienstlich. Ganz hinten. Der Mob hatte inzwischen die REUBA-Zentrale in Brand gesteckt. Brock sah dem Freudenfeuer zu. Eingreifen wollte er nicht.

Brock: Sinnlos. Was soll ich machen? Die Rädelsführer festnehmen? Bin ich lebensmüde? Die Feuerwehr alarmieren? Längst passiert. Die kommt erst, wenn alles vorbei ist. Wenn die Leute sich verlaufen haben. Sicherheitshalber. Morgen früh nehme ich ein Protokoll auf. Mehr kann ich nicht tun. Ja, wenn ich Jonas wäre, dann würde ich mich vielleicht einmischen. Der steckt seine Nase in alles. Ob es ihn was angeht oder nicht. Aber ich bin nicht Jonas. Gott sein Dank. Ich bin Beamter. So, halb fünf, Feierabend. Ich geh nach Hause. Ein guter Schluck. Bequeme Schuhe. Was gutes im Holo. Es muß ja nicht die schwarze Dahlie sein. Das Leben kann auch schön sein.

Jonas: Jonas ging auch nach Hause. Und damit wäre der Fall zu Ende. Wenn Sam nicht noch was zu mosern gehabt hätte.

Sam: So nicht, Genosse, das gaht nicht.

Jonas: Was geht nicht, Sammy?

Sam: Daß Chefinspektor Brock das letzte Wort hat, nos correcto.

Jonas: Findest du? Dann sag du doch was.

Sam: Ja. Ja. Ja. Wos soll i denn sagen?

Das war Invasion. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie Ute Mora, Kornelia Boje, Rainer Basedow, Horst Sachtleben, Detlef Kügow und andere (Jochen Striebeck, Stefanie Walter, Werner Klein, Anita Schlierf, Nicola Tiggeler, Harald Dietl, Stephan Zinner). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Regieassistenz Holger Buck und Sieghard Fieber. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1998. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:29
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Knochenarbeit

Jonas: Es war kein Treibhaus. Es war eine Terrasse. Aber sie war heiß und hell und grün, wie ein Treibhaus, und der Mann im Rollstuhl war wie General Sternwood: uralt, halbtot, mit einem Gesicht wie eine zerknitterte Maske. Er war natürlich nicht General Sternwood. Er war Senior Hector de la Serna. Wir waren auch nicht in Los Angeles, sondern in der Siedlung Bon Retirdo, auf der schönen Insel Palmera im Mittelmeer. Wo sogenannte Senioren aus ganz Europa auf den Tod warten, wenn sie es sich leisten können. Und ich war nicht Philip Marlowe.

de la Serna: Sie sind Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv.

Jonas: In Babylon.

Serna: Auch auf Palmera, das kann ich Ihnen versichern. Hätte ich Sie sonst kommen lassen?

Jonas: Das hatte er. Airticket Babylon-Alicante, Heli-Zubringer Alicante-Palmera und zurück, mit der kurzen Aufforderung, ihn zu besuchen. Blinde Treffen mag Jonas nicht. Trotzdem war er gekommen. Weil er jedem Auftrag brauchte. Die letzten beiden Fälle hatten viel gekostet und nichts eingebracht.

Serna: Rauchen Sie, Senior Jonas?

Jonas: Nein.

Serna: Negrita, die Havannas. Meine Besnieta. Negrita de la Serna. Sie kümmert sich um ihren Urgroßvater.

Negrita: Si, pisabello. Eine Zigarre, Senior?

Serna: Rauchen Sie, Senior Jonas, bitte, für mich. Leider bin ich gezwungen, meinen Lastern durch Stellvertreter zu frönen.

Jonas: Jonas hatte seinen karitativen Tag. Außerdem war sie hinreißend. Nicht die Zigarre. Die Urenkelin. Anfang zwanzig, schwarze Haare, schlank, aber nicht zu sehr. Carmen. So sah sie aus. Aber sie hieß Negrita. Auch nicht schlecht.

Serna: Danke, Senior Jonas. Sie machen einem alten Mann eine große Freude.

Jonas: Mehr schlecht als recht. Weshalb haben Sie mich kommen lassen, Senior de la Serna, wozu brauchen Sie den letzten Detektiv? Nicht nur zum Rauchen, hoffe ich.

Serna: Ich möchte, daß Sie etwas für mich stehlen, Senior Jonas.

Jonas: Und was?

Serna: Knochen, Senior.

Jonas: Knochen?

Serna: Die Gebeine von Che Guevara.

Jonas: Ein ausgefallener Wunsch. Die Knochen von Che Guevara. Dem weltberühmten Revolutionär aus dem 20. Jahrhundert, der schon lange tot war, fast 50 Jahre, oder?

Sam: 47 und ein halbes, indem daß wir heutigen Tages den 3. April 2015 schreiben.

Jonas: Ist bekannt, Sammy.

Sam: Und besagter Guevara aus dem Leben schied am 8. Oktober 1967 im Dschungel von Bolivien, gemeuchelt von den Schergen der Konterrevolution, will sagen der Ranger-Truppe des bolivischen Diktators Parventos. Verwundet, gefangen, erschossen, verscharrt. Eine Schweigesekunde seinem Angedenken. Tick-tack, tick-tack, Piep! Ernesto Guervara, später Che zubenamst, geboren 1928 in Rosario, Argentinien. Medizinstudium, Arztdiplom 1953, entwickelte sich zum Revolutionär und Guerilla-Kämpfer, führte mit und für Fidel Castro die kubanische Revolution zum Siege 1958/59.

Jonas: Das reicht, Sam, wir brauchen keine historische Vorlesung.

Sam: Und ob du die brauchst, Banane, analphabetische. Geistige Bildung Fehlanzeige, häh, wissen wir doch.

Serna: Was bitte ist das?

Jonas: Sam, mein Taschencomputer. Die Enzyklopädie des letzten Detektivs. Wer wird einen Sack Bücher mit sich rumschleppen, wenn er einen Sam hat.

Serna: Bücher haben ihr gutes, Senior, sie äußern sich nur, wenn sie gefragt werden, ansonsten schweigen sie.

Jonas: Das tut Sam nicht.

Sam: Ne.

Jonas: Das kann er gar nicht.

Sam: Ne, niemals never nevermore, garnienicht.

Jonas: Sprach der Rabe, das heißt Sam, und zum Beweis machte er gleich weiter. Mit Nachhilfe in Sachen Che. Daß die Überreste 30 Jahre nach dem Tod entdeckt, nach Kuba überführt und mit viel Pomp in einem Mausoleum bestattet wurden.

Sam: Doch aus der revolutionären Staatsgruft entschwanden sie, nur wenige Monde sind’s erst her, bei den Unruhen nach dem Tod des alten Castro. Geklaut worden sollen sie sein, außer Landes verscherbelt.

Serna: Ihr Computer hat ein seltsames Aussehen.

Sam: Was ist, was ist, was ist? Seltsam? Haben Sie was gegen Blech und Plastik, gegen Skalen und Knöpfe, Räderuropa? Sie sind auch nicht gerade ne Schönheit, weißgottnetle.

Serna: Und er hat eine seltsame Art, sich auszudrücken.

Sam: Haha.

Serna: Aber er hat recht. Che Guevaras Gebeine sind hier, auf Palmera. Richten Sie Ihren Blick gen Westen, Senior Jonas, was sehen Sie?

Jonas: Was man hier überall sieht. Das Superhotel.

Sam: Palmera Beach Tower. 250 Meter vom Zeh bis zum Scheitel. Piep.

Serna: Und genau dort oben, Senior, ein viertel Kilometer über dem Meer, befinden sie sich, im Penthouse der Condessa Gloriana.

Jonas: Gloriana von und zu, Kind und Kegel, Knautsch und Knitter, oder so. Eine Gräfin aus nördlichen Gefilden, stinkreich, weil sie es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, Milliardäre zu heiraten und zu überleben. Früher eine große Nummer im Jetset, als es so was noch gab. Heute bekannte Sammlerin prominenter Reliquien. Sie hatte Lenin. Evita, als Mumie und in Wachs, und jetzt auch das Skelett von Che Guevara.

Serna: Sie hat es gekauft und stellt es aus in einer Vitrine in ihrem Penthouse. Valgusto. Sie werden die Gebeine retten, Senior Jonas, und sie mir überbringen.

Jonas: Warum gerade Ihnen, Senior, was gehen Sie Che Guevaras Knochen an?

Serna: Ich bin ein Verwandter, zwar nur ein entfernter Cousin mütterlicherseits, doch sehe ich es als meine Pflicht an, für die würdige Bestattung des prominentesten Mitglieds meiner Familie Sorge zu tragen.

Jonas: Das ist ein Grund.

Serna: Ich zahle Ihnen 10.000 Euros, wenn Sie Erfolg haben.

Jonas: Und wenn nicht?

Negrita: Sie sind Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv. Sie schaffen es.

Sam: Naja.

Jonas: Wenn Sie das sagte. Ich dachte kurz nach. Ein interessanter Auftrag. Einträglich möglicherweise. Irgendwie moralisch war er auch. Der letzte Detektiv für den letzten Revolutionär. Das hat etwas.

Jonas: Einverstanden.

Serna: Naturalmente. Ich habe mir erlaubt, Ihnen ein Zimmer im Palmera Beach Tower zu buchen, Senior Jonas, im unteren Drittel, weiter oben ist es sehr teuer.

Jonas: Das Penthouse der Gräfin Gloriana war eine Festung, zugänglich nur über einen Spezialschnell-Lift vom Erdgeschoß, für Besucher und Dienstboten mit Spezialzugangsscheibe. Keine Treppen. Schwierig. Frische Luft ist gut für die grauen Zellen. Ich öffnete das Fenster. Ich sah einem kleinen dunkelhäutigen Mann ins braune Auge, der Fensterputzer auf seiner Plattform, die ihn von morgens bis abends rauf und runter fuhr. Rauf, das brachte mich auf eine Idee. Ich winkte ihm, mit einer Flasche Brandy. Quecho, Kasador.

Fensterputzer: No no, yo Islam, komprende? No Alkohol.

Jonas: Du bist Muslime und darfst nicht trinken. Dein Pech, Kamerad. Wie wär’s denn hiermit? 20 Euros. Dinero. Mucho Dinero.

Fensterputzer: Dinero? Si si.

Jonas: Er stieg ein. Ich zog ihm den weißen Overall aus und fesselte ihn ans Klo. Er sah mich an, ängstlich, mit großen Augen. Ich klopfte ihm auf die Schulter, steckte ihm den 20 Euro-Schein ins schmutzige Unterhemd, stieg in den Overall, zwei Nummern zu klein, mindestens, stieg auf die Plattform, und fuhr nach oben. Nicht zum Penthouse, vor der letzten Etage war Endstation, unter der überhängenden Dachbrüstung. Jonas mußte free-climben, erst am Seil, dann am schieren Beton, in einer Höhe von 250 Metern, im zu engen Overall. Ein echter Cliffhänger. Fünf lange Minuten Quälerei, dann hing ich mit dem Oberkörper über der Brüstung. Ich konnte mich verpusten und mich umsehen. Das Dach des Palmera Beach Tower war ein großer Garten. Blumenbeete, Hecken, Minibäume, und mitten im Bunt und Grün ein Hexenhaus, braun und gelb, mit Giebeln und Türmchen, gotisch und grimmig. Brüder Grimmig. Auf dem ganzen Dach kein freier Fleck. Keine Landemöglichkeit für einen Helikopter zum Beispiel, deshalb schwebte er auch 10 Meter darüber, der Helikopter. Grau. An der offenen Tür ein großes rotes A. Aus der Tür hing ein Seil. Am Seil hing ein Mann, in einer Livree aus braunem Samt, gelb abgesetzt. Kniehosen. Kurze Jacke. Schnallenschuhe. Ein Lakai.

Sam: Ein dummes Ding. Zu deutsch: Domestik. Der gnädigen Frau Gräfin zweifelsohne.

Jonas: Er hat einen Rucksack über der Schulter.

Sam: Jajajajajajaja, und da ist was drin. Was mag’s nur sein, hä? So, jetzo ist er drin im Helikopter. Türen schließen. Abfahrt.

Jonas: Ich stieg über die Brüstung, richtete mich auf. Der Helikopter flog Richtung Südost. Ich sah ihm nach, sah, wie er die Seniorensiedlungen an der Südküste streifte, Bon Retirdo, Sanssouci, HCIs, Lebensabend und wie sie alle hießen, die Tennis- und Golfplätze, die Parks und die Schwimmbäder, bis er Kurs ins Innere der Insel nahm, wo’s nur kahle Berge gab, keine Siedlungen, keine Menschen, und da wurde er abgeschossen.

Sam: Bodenluftrakete, melde gehorsamst, Herr Heißluftmarschall. Ja wo sammer denn, auf Feuerland, hmh? In Küßnacht? Äh Kusbekistan?

Jonas: Er ist getroffen, aber er hält sich noch, er trudelt weiter, noch weiter.

Sam: Ui, jetzt ist er unten, mitsamt Lack-Ei, und Rucksack. Friede ihrer Asche. Wie spricht Friedrich von und zu Schiller, hmh? Runter kommen sie immer.

Jonas: Nimm die Koordinaten, Sam.

Sam: Piep. Schon passiert. Pup.

Jonas: Ich hatte so eine Ahnung. Aber vorher mußte ich mich um das Penthouse kümmern. Die Tür stand offen, und als ich näher kam, hörte ich was. Ein nagendes nervendes Geräusch. Jemand zeterte, ohne Punkt, ohne Pause.

Gloriana: Ich bezahle ihn gräflich, fürstlich, und behandelt wird er wie ein Sohn... Ein freier Abend pro Woche, Holo-TV im Zimmer, dasselbe Essen wie für mich selbst. Na, nach mir natürlich in der Küche. Unterschiede muß es geben. Die Herrin ist die Herrin, der Diener ist der Diener, und wenn der Diener meutert, dann wackeln die Werte, dann stürzen die Grundfesten.

Jonas: Hallo!

Gloriana: Meine Haare, junger Mann, geben Sie mir meine Haare, na da auf dem Teppich. Meine Haare, schnell.

Jonas: Ein großer Raum, nicht sehr hell, an den Wänden Vitrinen, und längliche Kästen aus Glas, indirekt beleuchtet. Eine Vitrine war leer und stand offen. In den übrigen lagen Knochen, menschliche Körperteile, Mumien. Was da zeterte war auch eine Art Mumie, eine noch sehr lebendige allerdings, wenn auch alt. Sehr alt. Eine Frau. Klein, krumm, und kahl, auf einen Stuhl geschnürt. Über den Falten strahlendes Make-up. Über den müden Knochen ein kurzes Dirndlkleid. Braun und gelb. Die Hexe vom Hexenhaus. Gräfin Gloriana. Ich setzte ihr die Perücke auf und band sie los.

Gloriana: Wer sind Sie, was wollen Sie, was haben Sie hier zu suchen. Machen Sie den Mund auf, Mann.

Jonas: Hotelsicherheitsdienst, Frau Gräfin. Was ist hier los?

Gloriana: Sehen Sie doch. Mein bestes Stück hat er gestohlen, meinen Che Guevara, aus der Vitrine. Er hat ihn in einen Rucksack gesteckt, ich bin dazugekommen, er hat mich angebunden, dann ist er raus und weg.

Jonas: Wer, Frau Gräfin?

Gloriana: Wer? Juan, wer denn sonst, mein Kammerdiener, mein Butler, ja, lange hab ich ihn noch nicht, erst ein viertel Jahr, aber er ist mit den besten Empfehlungen gekommen, mit den allerbesten, wirklich, von Gunter und Meck und Prinzessin Carolins kleiner Großnichte.

Jonas: Sind Sie allein? Haben Sie nur einen Diener?

Gloriana: Woher denn einen? Vier habe ich, aber die anderen sind einkaufen, oder haben Ausgang, faulenzen oder was weiß ich. Es geht ihnen einfach zu gut. Viel zu gut. Stehen Sie nicht rum, junger Mann, tun Sie gefälligst was, bringen Sie mir meinen Che Guevara wieder. Nächste Woche brauch ich ihn, dringend, da will ich ihn untersuchen lassen, wissenschaftlich, gentechnisch.

Jonas: Untersuchen, warum?

Gloriana: Weil mir jemand gesagt hat, er ist vielleicht nicht ganz echt, nicht der richtige Che, ein Doppelgänger, verstehen Sie? Solche Latrinenparolen gibt’s schon lange, praktisch seit 67, das muß ein Ende haben, die Gräfin Gloriana hat nur absolut echte Stücke. Originale. Unikate.

Jonas: Sie sollten die Polizei verständigen, Frau Gräfin.

Gloriana: Ja richtig, die Polizei, sehr gut, den Commisario Pedasso wird ich anrufen, Großalarm, Großeinsatz, hohe Belohnung, sehr hoch.

Jonas: Runter ging’s bequemer als rauf. Mit einer Spezialliftscheibe, von der Vitrine neben der Tür. Ali kriegte seinen Overall zurück, und verzog sich, verwirt, aber nicht unglücklich, immerhin hatte er 20 Euros verdient, im Sitzen. Jonas rief seinen Auftraggeber an, um kurz zu berichten, was vorgefallen war, dann fuhr ich zum Empfang und mietete ein E-Car. Es war Zeit für eine Spritztour in die Berge. Sammy dirigierte.

Sam: Straight away. Gerade aus. Bei nächster Gelegenheit ein ganz klein wenig rechts.

Jonas: Leicht gesagt, Sam, wenn rechts keine Straße ist, nicht mal ein Ziegenpfad.

Sam: Nun denn so brettere mein Meister Schuhmacher doch tunlichst voll ins Gelände, holliadiö.

Jonas: Meinst du wirklich?

Sam: Es führt kein anderer Weg nach Küßnacht, wo der Helikopter runtergeplumst ist, und dorthin, Monsieur, zieht es uns doch mit magischer Sehnsucht, ne pas?

Jonas: Also gut. Rechts rum.

Sam: Jawoll, Vorsicht, sperr die Augen auf, Blindschleiche, Blindgänger, Blindhahn, Blindenhuhn, Blinddarm damischer. Auf Palmera pflegt man es ganz und gar nicht zu schätzen, wenn liebe Senioren von wüsten Straßenrowdies umgenietet werden.

Jonas: Nichts passiert. Es konnte nichts passieren. Mein E-Car war kaum schneller als der Rollstuhl, den ich beim Abbiegen überholte. Der Alte im Stuhl sah ein bißchen aus wie de la Serna. Nur daß er noch ein paar Haare hatte, und einen weißen Schnauzbart. Ein stämmiger Typ schob ihn des Weges, zügig, obwohl er auch nicht mehr der jüngste war. Jonas fuhr weiter, konzentrierte sich aufs Gelände, und vergaß die beiden Alten. Das hätte er nicht tun sollen.

Sam: Halt. Endstation. Alles aussteigen. Da wär doch wohl mal ein klitzekleines Lob fällig, hmh, für korrekte Koordination, gute Führung.

Jonas: Dafür haben wir keine Zeit, Sam.

Sam: Dafür haben wir keine Zeit, Sam. Dafür haben wir keine Zeit, Sam. Na, typisch, tadeln und schimpfen, und meckern und mosern, das kann er, mein Jonas, wie ein Champion, doch loben, ach, das kann er nicht, will er nicht, tut er nicht. O wie das schmerzt, tief tief drinnen im Herzen.

Jonas: Im Prozessor willst du wohl sagen, Sam.

Sam: Ja Professor.

Jonas: Der Helikopter war an einen Felsen geprallt. Jetzt war er kaputt. Nur kaputt, nicht ausgebrannt. Zwei Insassen, auch kaputt. Der Pilot und der Diener. Auf dem Rücken hatte er noch den Sack, den brauchte er nicht mehr. Ich nahm ihn an mich. Aber ich kam nicht dazu, ihn aufzumachen.

Prado: Halto. Rührt euch.

Mario: Semi Coronell.

Prado: Schade, kein Feuer. Wären Sie verbrannt die Knochen, könnten wir beruhigt nach Hause fahren, Mario, Mission abgeschlossen.

Mario: Semi Coronell.

Prado: Du hättest auf den Tank zielen sollen, Mario.

Mario: Semi Coronell.

Jonas: Sie haben den Helikopter abgeschossen.

Prado: Aber ja. Ich habe überall Augen und Ohren, auch im Palmera Beach Tower und bei den Kindern des Aquarius. Geben Sie mir den Sack.

Jonas: Nein.

Prado: Doch.

Jonas: Er gewann. Ich gab ihm den Sack. Er hatte unter die Decke gegriffen, die auf seinen Knien lag. Gegen eine abgesägte Schrotflinte ist ein waffenloser Jonas machtlos. Der Alte langte nach dem Sack, mit der linken. Aber er kriegte ihn nicht. Um den Felsen fegte ein E-Vespa in höllischem Tempo. Die Fahrerin schnappte sich den Sack, in der Luft, sehr sportlich, und schlug dem Alten die Flinte aus der rechten Hand. Sehr geschickt. Jonas fing die Waffe auf. Auch nicht unflott. 2 zu 0. Für die Guten. Für Jonas und Negrita.

Negrita: Ich bin gekommen so schnell ich konnte, Senior Jonas braucht Hilfe, hat Urgroßvater gesagt.

Jonas: Danke, aber lassen Sie den Senior weg. Jonas. Nur Jonas, das genügt. Kennen Sie die beiden, Negrita?

Negrita: Darüber reden wir später, Jonas, zuhause, Urgroßvater wartet, auf den Sack. Ich muß gleich wieder los.

Jonas: Augenblick. Das ist mein Fall. Geben Sie den Sack her.

Negrita: Haben Sie Angst um ihr Honorar, Jonas?

Jonas: Darum geht’s nicht, aber bevor ich nicht genau weiß, was hier gespielt wird, lasse ich mich nicht ausbooten. Geben Sie mir den Sack.

Jonas: Diesmal gewann Jonas, weil er jetzt die Schrotflinte hatte. Negrita war wütend, was ihr ganz ausgezeichnet stand. Mit einer heftigen Bewegung startete sie ihre Vespa und verschwand zwischen den Felsen, wieder in höllischem Tempo. Jonas folgte ihr, sehr viel gemächlicher. Zunächst. Bis ihm was auffiel. Ein Helikopter. Schon wieder. Halb links voraus. Als er die Straße erreicht hatte, landete er, gut 200 Meter vor mir, und wartete, auf Jonas. Das gefiel mir nicht. Ich wollte zurück. Aber auch hinter mir war die Straße dicht. Ein E-Laster hatte sich quer gestellt. An der Seitenwand ein großes rotes A. Auf dem Helikopter übrigens auch. Ich hielt, und nahm die Flinte unter den Arm. Das hätte ich lassen können. Vier Figuren kletterten aus dem Helikopter, zwei postierten sich rechts und links an der Straße, und nahmen Jonas aufs Korn. Mit Kalaschnikows. Die beiden anderen kamen langsam auf mich zu. Eine Frau und ein Mann. Alt. Wie alle auf Palmera. Die Insel der fast schon Seligen.

Uschi: Eine potentiell revolutionäre Situation, Dani?

Dani: Kaum, Uschi, aber eine dialektische.

Uschi: Richtig. Wir sind die These.

Dani: Natürlich. Und er ist die Antithese.

Uschi: Problem: Wie schaffen wir die Synthese, Dani?

Dani: Ganz einfach, Uschi. Er gibt uns, was wir wollen. Widerspruch aufgehoben, Situation geklärt.

Uschi: Wird er uns geben, was wir wollen, Dani?

Dani: Er wird, Uschi. Er ist cool.

Uschi: A grovy cat. Gib uns den Sack, cat.

Jonas: Das Spiel ging also weiter. Mit neuen Mitspielern. Uschi und Dani sahen aus, wie sie sprachen. Gesundheitslatschen, Jeans, psychedelische Kittel, Hornbrillen, Stirnbänder um die spärlichen grauen Locken. Eine Mischung von 68er und Flower-Power. Sehr nostalgisch, fast rührend, aber nicht ungefährlich. Sie hatten einen fanatischen Glanz in den Augen, und natürlich Kalaschnikows.

Dani: Merci.

Uschi: Danke. You know, cat, er ist unser.

Jonas: Der Sack?

Uschi: Der heilige Che.

Dani: Wir sind seine Schwestern.

Uschi: Und Brüder.

Dani: Wir folgen ihm nach. Viva la revolution.

Uschi: So long, cat, love and peace.

Jonas: Drei Minuten später war nur noch Jonas auf der Straße, in seinem E-Car, ganz allein, abgesehen von Sam, aber der muffelte, und sagte kein einziges Wort. Gerade wollte ich anfangen, mich als einsamer Wolf zu fühlen, da kam Gesellschaft. Negrita und ihre Vespa.

Negrita: Sie haben den Sack schon wieder verloren, Jonas, das wird allmählich zur schlechten Angewohnheit.

Jonas: Sie kommen zu spät, Negrita.

Negrita: Was hätte ich denn tun können bei so viel Opposition. Ich habe gewartet zwischen den Felsen.

Jonas: Wer waren die Althippies?

Negrita: Kinder des Aquarius. Eine Art Sekte. Revolutions-Romantiker: Nostalgiker.

Sam: Hallo? Hallo? Falls es irgend jemanden interessiert, in den 70er Jahren des verflossenen Jahrhunderts emigrierten sie nach Palmera, die Sprößlinge des Wassermanns, allwo sie sich eine neue Branche erschlossen, und fortan in Esoterik machten, für betuchte Touristen, gestreßte Manager und dergleichen intellektuell unterbelichtete Zeitgenossen. Veganische Aromatherapie, Feuerlaufen mit Essig und Öl, ganzheitliche Sexmeditation mit praktischen Übungen, neomarxististische Fußzonengymnastik, Spirouetten, Korrektur, spirituelles Bogenschießen rambazamba hodldibums.

Jonas: Und so weiter. Länger als ein paar Minuten stehst du die beleidigte Leberwurst nicht durch, Sammy.

Sam: Doch doch doch...

Jonas: Wissen wir doch. Willkommen im Club.

Sam: Ja ganz ohne Computer geht die Scho-hose nicht.

Jonas: Ruhe. Und wo stecken sie, diese überalterten Aquarianer?

Negrita: Im Aquarium natürlich. Das ist die ehemalige Plaza de Torros, auf einer kleinen Halbinsel im Osten, mit Palmera nur durch einen schmalen Damm verbunden, und der wird permanent bewacht.

Jonas: Es wird nicht einfach.

Negrita: Wie sieht’s aus, Jonas, arbeiten wir zusammen oder einzeln, miteinander oder gegeneinander?

Jonas: Versuchen wir es mal mit Kooperation.

Jonas: Sagte ich, und ich dachte: Bis auf weiteres. Wir setzten uns zusammen, machten einen Plan, und aßen die Sandwichs, die Negrita mitgebracht hatte, in weiser Voraussicht. Kein Whisky, schade. Einige Stunden vergingen. Es wurde dunkel. Vor der Ostküste von Palmera strampelte ein Touristenpaar auf einem Tretboot dahin. Man hätte die beiden aber auch gut für Kinder des Aquarius halten können, weil sie lange bunte Schlabbergewänder trugen und sich ans Aquarium heranarbeiteten, an die vorgelagerte Halbinsel, langsam, beiläufig, wie unabsichtlich. Als es ganz dunkel war, gingen wir an Land. Das Boot ließen wir abtreiben. Wir versuchten uns zu orientieren, mit Sams Hilfe. Die Wächterin sahen wir erst, als sie direkt vor uns stand, mit Kalaschnikow und schlechter Laune. Jonas reagierte blitzschnell. Ab und zu kann er das. Er drückte Negrita fest an sich und küßte sie. Mit Inbrunst. Das fiel mir nicht schwer. Ihr übrigens auch nicht.

Wächterin: Auseinander! Müßt ihr ausgerechnet jetzt privatistisch rumbumsen, ihr seid mir schöne Revolutionäre. Ab in die Arena, zur großen Trauerfeier, Teilnahme obligatorisch, hat das ZK verfügt. Hopp Hopp! Viva la Revolution!

Negrita: Viva!

Jonas: Äh, viva!

Jonas: Die Stimmung in der Arena war ein kurioser Cocktail aus Requiem, Zapfenstreich und 1. Mai an der Kremlmauer. Schwelende Fackeln an offener Gruft. Darüber Che Guevara in Beton, fünf Meter hoch, wenn nicht mehr, im revolutionär-orthodoxen Sahnetortenstil, linke Faust geballt, rechte am Gurt der Kalaschnikow, kühne Augen in die Ferne schweifend, Richtung Utopie. Erhebend. Um Gruft und Denkmal die Kinder des Aquarius, trauernd, aber nicht schweigend.

Uschi: Heiliger Che.

Dani: Messias der Revolution.

Uschi: Jesus Christus mit der Knarre.

Dani: Märtyrer der Entrechteten.

Jonas: Negrita und Jonas hielten sich am Rand, im Schatten, und machten sich Gedanken. Wir waren ja nicht gekommen, um mit Sektierern Trauerrituale zu feiern.

Negrita: Wo ist Che?

Jonas: Den Sack, meinen Sie, Negrita.

Negrita: In der Gruft ist er nicht. Die ist leer.

Jonas: Im Sarg, nehm ich an.

Negrita: Und wo ist der Sarg?

Jonas: Irgendwo in der Nähe. Wenn die fertig sind mit ihrer Litanei, wird er feierlich rausgetragen, und in die Gruft gesenkt, zu den Klängen der Internationale, oder Beethoven.

Negrita: Sehen wir uns mal um.

Jonas: Hinter dem offenen Tor der Matadore ging rechts ein Korridor ab. Dem folgten wir, etwa 20 Meter, bis zu einer Tür, mit Glasscheibe, Fackelschein von innen.

Negrita: Da ist er.

Jonas: Der Sarg. Schon geschlossen.

Negrita: Die Wächterin müssen wir loswerden.

Jonas: Das macht Sammy.

Sam: Ach ja, und wie meinen eure Leichtdahinredefertigkeit macht Sammy dieses?

Jonas: Berliner Spießer 67/68.

Sam: Verstehe. Piep.

Jonas: Warte, bis wir um die Ecke sind. Dann lockst du sie in die andere Richtung. In fünf Minuten bist du zurück. Laß dich nicht erwischen.

Sam: Erwischen? Hähähä. Von einer alten Wasserfrau mit Plattfüßen? Ha, hat Sam nicht seine flotten Rollen, hmh? Abschaum, rotes Gesindel, geht doch rüber ins Arbeitslager. Totschlagen. Aufhängen.

Wächterin: Provokateur, Diversant!

Sam: Schnauze.

Jonas: Wir machten den Sarg auf. Menschliche Knochen. Ein sehr fragmentarisches Skelett, wie es aussah. Auf rotem Samt. Jetzt brauchten wir einen Sack. Keiner da. Aber Negrita fand vollwertigen Ersatz. Sie zog ihr Kleid aus. Ein atemberaubender Anblick. Obwohl sie was drunter trug. Einen minimalen Bikini.

Negrita: Glotzen Sie nicht, Jonas, helfen Sie mir lieber die Reliquien ins Kleid packen. So, Vorsicht.

Jonas: Sagen Sie, Negrita, warum lassen wir ihnen verehren Anverwandten nicht einfach in seinem Sarg liegen. Würdiger als hier kann er gar nicht bestattet werden.

Negrita: Das verstehen Sie nicht, Jonas.

Sam: Der versteht vieles nicht.

Jonas: Ich verstand so manches nicht an dieser Geschichte. Abwarten. Bevor wir uns empfahlen, schraubten wir den Sarg wieder zu. Die Wächterin kam zurück. Fluchend. Dann rollte Sammy an, ganz ganz leise. Wir warteten. Bis sechs kräftige Wassermänner auftauchten, und den Sarg auf die Schulter nahmen. Musik setzte ein. Der Trauermarsch von Chopin. Die Träger schritten in die Arena. Feierlich. Gemessen. Und während sie ahnungslos den leeren Sarg in die Gruft senkten, setzten Negrita und Jonas sich ab. Zum Strand. Mit Che. Im improvisierten Tragebeutel. Diesmal waren wir vorsichtiger. Wir umgingen die Wache, stiegen ins Meer, und schwammen zur nächsten kleinen Bucht auf Palmera, wo Negrita ihre Vespa versteckt hatte. Die E-Vespa schnurrte durch die subtropische Nacht. Richtung Südwest, Bon Retiro, und Urgroßvater de la Serna, ohne Licht. Vorsichtshalber. Sam hatte seinen Infrarotsensor eingeschaltet. Das war unser Glück.

Sam: Stop!

Negrita: Was ist los?

Sam: Straßensperre hinter der nächsten Kurve. Zwei große E-Cars, blau. Acht große Typen, auch blau, mit großen Füßen und großen Lasern.

Negrita: Inselpolizei.

Jonas: Dahinter steckt Gräfin Gloriana. Sie hat die Polizei informiert und eine hohe Belohnung ausgesetzt. Was tun wir, Negrita? Zurück?

Negrita: Das bringt nichts.

Jonas: Können wir die Sperre umfahren?

Negrita: Ich weiß nicht. Durchs Gelände schaffen wir es nicht. Zu schwierig. Lava. Geröll. Hier muß irgendwo rechts ein kleiner Weg abgehen. Versuchen wir es da.

Jonas: Wir versuchten es, aber schon nach wenigen Kilometern kamen wir an die nächste Straßensperre. Nicht die letzte. Immer wieder mußten wir ausweichen, nach rechts, nach Norden, wohin wir nicht wollten, bis wir in einem weiten Bogen gegen die Steilküste gedrückt wurden, wo’s nicht mehr weiter ging. Das war nicht gut. Und noch weniger gut war es, daß die Polizei uns inzwischen im Visier hatte. Im Visier ihrer Nachtsichtgeräte und ihrer Laserstrahler.

Sam: Nördliche Steilküste direkt voraus. Ende der Fahnenstange.

Jonas: Du bist mein Ratgeber, Sam, analytisch, logisch, elektronisch. Na gib uns mal einen Rat. Wenn’s geht, einen guten.

Sam: Zwo Optionen, Sir.

Negrita: Besser als eine.

Sam: Option eins: Die Herrschaften entsteigen dem Sattel und hüpfen über die Klippe, mit einem fröhlichen Hironimo.

Negrita: Im Dunkeln? 200 Meter tief?

Sam: Bitte nichts übertreiben, geschätzte Urenkelin, es sind nicht mehr denn 198.

Jonas: Und die zweite Option, Sam.

Sam: Option Zwo: Die Herrschaften halten, heben die Arme und ergeben sich ihren Verfolgern.

Jonas: Gefällt mir auch nicht.

Negrita: Option drei?

Sam: Hah, gibt’s nicht, Allerwerteste, Kurzzeitgedächtnis offensichtlich mangelhaft, häh? Zwo Optionen, also sprach Sam, und Sam pflegt sich nicht zu irren.

Negrita: Das glaubst du, du überhebliche Blechdose.

Sam: Was?

Negrita: Kuck mal nach rechts.

Sam: Ach, da ist rechts. Ein Licht.

Jonas: Eine Tür.

Negrita: Eine offene Tür, im Felsen, die Rettung.

Jonas: Oder eine Falle.

Negrita: Haben wir eine Wahl?

Sam: Ne.

Jonas: Sah nicht so aus. Die Polizei kam näher. Wir ließen die Vespa liegen, rannten zur Tür, rannten durch die Tür, schlugen sie hinter uns zu, Massivmetall, nicht leicht zu knacken, schoben zwei schwere Riegel vor, dann erst hatten wir Zeit, uns umzusehen. Wo waren wir?

Gloriana: Wo wir sind? Im Krematorium von Palmera. Kennen Sie das nicht? Tolle Anlage, voll automatisch. Dauerbetrieb, Tag und Nacht, Kühlhalle immer voll. Kann man sich ja denken, hier auf Palmera, nur Tote auf Urlaub. Apropos, schön, daß Sie endlich gekommen sind, wir warten schon seit Stunden, was Chico? Hotelsicherheitsdienst, pfui, Sie kleiner Schwindler, pfui, legen Sie ihre Schrotflinte auf den Boden, langsam, sonst macht Chico Ihnen ein paar neue Löcher ins Gesicht.

Sam: O wie schön.

Gloriana: Hmh, wär doch schade. So ist es brav, und jetzt bitte Hände hoch, das Kind auch.

Jonas: Gräfin Gloriana. Diesmal in Shorts und T-Shirt. Braun und gelb natürlich. Neben ihr ein junger Mann, schwarze Locken, breite Schultern, braungelbe Livree, in der Hand einen Laserstrahler. Vom Regen in die Bratpfanne, wie der Volksmund sagt, oder der weise Bosequo.

Gloriana: Und in diesem knalligen Fetzen haben Sie meinen Che Guevara? Nicht gerade pietätvoll, von Geschmack gar nicht zu reden, aber woher soll’s auch kommen, egal, geben Sie ihn her, geben Sie mir mein Eigentum zurück. – Das wird Commisario Pedaso sein, guter Mann, hat uns die beiden Verbrecher kunstgerecht in die Arme getrieben bzw. vor den Laser, nach allen Regeln des edlen Waidwerks. Mach die Tür auf, Chico.

Prado: Buenas Tardes. Niemand rührt sich vom Fleck. Schieb die Leiche zur Seite, Mario, und, äh, heb den Laserstrahler auf, die Schrotflinte auch.

Mario: Semi Coronell.

Gloriana: Wer sind Sie denn?

Prado: Prado. Gari Prado Salmond. Coronell Prado. Der Name sagt Ihnen etwas?

Negrita: Capitan Prado, der Henker, der Mann, der Che erschossen hat.

Sam: Octobero Otscho, in anno uno millio mewo siento sosenti isiette, oder für Doofe, am 8. Oktober 1967 in der Schule von Igera, wenn er es denn wirklich war, und nicht der Sergeant Mario Teran.

Prado: Das ist die Frage.

Sam: Yes.

Prado: Und die Antwort kennen nur wir beide, nicht wahr, Mario?

Mario: Semi Coronell.

Gloriana: Wie kommen Sie hierher?

Prado: Ah, ich habe überall Augen und Ohren, Condessa, auch bei der Inselpolizei.

Gloriana: Aha. Und Commisario Pedaso, was haben Sie mit dem gemacht? Wo steckt er?

Prado: Oh, hinter dem Felsen, ich habe ihn angewiesen, Stellung zu beziehen und abzukochen, bis er weitere Befehle erhält. Zur Sache, Condessa, wo befinden sich die Überreste des berüchtigten Banditen?

Gloriana: Wenn Sie damit Che Guevara meinen, den hat die Kleine da, in ihrem bunten Beutelchen.

Prado: Ah, geben Sie mir den Behälter, Seniorita.

Negrita: No, nunca.

Gloriana: Kommt ja gar nicht in Frage. Che gehört mir, ich habe ihn gekauft, für teures Geld, bar bezahlt auf den Tisch des Hauses.

Prado: Mag sein, Condessa, aber ich verfüge über zwei Schrotflinten und einen Laserstrahler. Ich kann nicht dulden, daß Sie diesen... diesen Abgesandten der Hölle öffentlich ausstellen. Eine solche Ehre hat er nicht verdient. Ich habe andere Pläne. Er soll verschwinden, ganz und gar, jede Spur, jeder Knochen, jedes Staubkorn. Ich muß ihn endlich loswerden, diesen Teufel aus dem Meer, der mit im Genick sitzt seit einem halben Jahrhundert, und der mir keine Ruhe läßt.

Mario: Semi Coronell.

Prado: Na, und wo kann ich ihn loswerden? Hier, genau hier.

Jonas: Natürlich, hier, im Krematorium, wo Palmera sich vom Tod und von den Toten trennte. Sergeant Mario nahm Negrita das Bündel mit den Knochen aus der Hand, und legte es seinem Herrn in den Schoß. Beide trieben uns in den hinteren Teil des Raumes, durch eine Tür, durch einen Gang, in eine Kühlhalle, so weit und so hoch wie der Tempel eines unbekannten Gottes. Hier stapelten sich Särge, aus billigem Plastik, Särge über Särge, Hunderte, Tausende, ein ungeheurer Wartesaal des Todes. Weiter nach hinten lief ein Förderband, tiefer hinein in den Felsen, dorthin, wo der gewaltige Ofen röhrte. Robots luden Särge auf das Band, einen nach dem anderen, eine Reihe ohne Ende.

Prado: Leg den Beutel auf das Band, Mario.

Mario: Semi Coronell.

Prado: Gut so. Oh, Sie frieren, Seniorita?

Negrita: Ein wenig. Für arktische Temperaturen bin ich nicht angezogen.

Gloriana: Ich etwa? Sehen Sie nur, Coronell, überall Gänsehaut, ekelhaft, Sie sind kein bißchen rücksichtsvoll, Coronell, das muß ich schon sagen, oder finden Sie es etwa galant, eine Dame in diese, in diese gräßliche Halle zu bringen? Zu den Toten, in die Kälte.

Prado: Gleich wird Ihnen warm werden, meine Damen, weiter, Mario.

Mario: Semi Coronell.

Jonas: Auch vollautomatische Anlagen müssen gelegentlich gewartet werden, von Menschen. Ein schmaler Gang verlief parallel zum Band, von ihm getrennt durch eine dicke Mauer, darin runde Fenster aus hitzebeständigem Plasti-Plex, Bullaugen, bessere Gucklöcher. Mit bohrendem Blick verfolgte Oberst Prado den Weg der Guevara-Knochen, bis sie im brüllenden Feuerofen verschwanden.

Prado: Ah, endlich, es ist vorbei, Mario.

Mario: Semi Coronell.

Prado: Er ist verbrannt. Ich bin ihn los. Ich bin frei.

Mario: Semi Coronell.

Prado: Ich bedaure, Condessa, daß Sie meinetwegen einen gewissen finanziellen Verlust hinnehmen müssen. Leider ließ es sich nicht vermeiden.

Gloriana: Ach, was solls. Schwamm drüber. Ist nun mal passiert, zurückdrehen kann man’s nicht. Kauf ich mir halt was neues. Arni Schwarzenegger soll auf dem Markt sein.

Sam: Ja, hat dort einen Gemüsestand.

Gloriana: Nicht gerade in der Guevara-Klasse, aber ganz interessant, bestimmt sehr eindrucksvoll, und wer weiß, Coronel, vielleicht haben Sie mir sogar einen Gefallen getan.

Prado: Wie darf ich das verstehen, Condessa?

Gloriana: Vielleicht war es ja wirklich nur ein Doppelgänger. Vielleicht haben sie damals in Bolivien gar nicht den echten Guevara umgebracht. Vielleicht ist der echte tatsächlich schon früher gestorben.

Sam: Jajajajajajaja, und zwar im März des Jahres 1965, wie seinerzeit und auch später hie und da gesprechmunkelt ward. Denn in jenem März, es ist dies ein feststehendes unbegrabbelbares historisches Faktum, meine Daumen und Hirn, in jenem März kam es zu einer überaus heftigen Streitauseinandersetzung zwischen Che Guevara, soeben von einer Weltreise zurückgekehrt, und seinem Chef, bis dato Freund, Geigenkasten, zu deutsch, Fidel Castro. Che habe als Industrieminister von Kuba versagt. Das war ein Vorwurf. Der zweite: Che lasse es an der notwendigen Verehrung für die große Sauwetunion fehlen, den Patron und Sponsor der kubanischen Revolution. Unter uns, Genossen, wahrscheinlich war Castro bloß eifersüchtelig, weil Che viel schöner war, viel mutiger, viel berühmter und beliebter, besonders bei den Weibern.

Negrita: Das ist wahr.

Sam: Ja. Wie dem auch gewesen sein mag, und hier verlassen wir die gesicherte Historie, und wagen uns vor in den vagen, doch nicht gänzlich unfundierten Bereich der Spekulatius, meint der Spekulation. Castro, so wird gemutmunkelt, habe damals Che töten und begraben lassen, in aller Heimlichkeit.

Prado: Unsinn.

Sam: Ein doppeltes Lottchen wurde aufgebaut, ein Doppelgänger, dieser trat zunächst im Kongo auf, im Bananenkostüm, dann in Bolivien, um dort von der Weltbühne, weil er keine Schauspielschule besucht hat, wieder abzutreten. Höchst effektiv, jajaja, zu einem Zeitpunkt, und auf eine Weise, wie sie Castro und den Sowjets propagandistisch am günstigen erschien. How, Sam hat gesprochen.

Prado: Kompletter Unfug. Wir haben den wirklichen Che Guevara erschossen, nicht irgendeinen Kleindarsteller, was Mario?

Mario: Semi Coronell.

Gloriana: Tja, also ich weiß nicht. Darum wollte ich die Überreste ja gentechnisch untersuchen lassen, und das Ergebnis vergleichen mit dem Material eines Verwandten von Guevara, hier auf Palmera soll’s einen geben. Dann hätten wir gewußt, ob’s stimmt, was der kleine Geschichtsprofessor uns gerade erzählt hat. Jetzt werden wir’s wohl nie erfahren, irgendwie schade, aber andererseits, das Leben geht weiter.

Sam: Jaja.

Jonas: Der Tod auch. Nicht weit vom Ofen ging ein Servicelift nach unten. Weil Prado seinem Opfer anscheinend noch immer nicht traute, verfolgte er es weiter, vorbei an den Rosten aus Schamott, bis zu einer großen in den Felsen gehauenen Kammer, wo die Asche abkühlte, viel Asche, ein schmutzig-weißer Montblanc, der immer wieder abgetragen wurde, und sich immer wieder neu aufbaute. Ein gewaltiges Gebläse pustete die Asche in einen Tunnel, der schräg nach unten führte.

Gloriana: Ins Meer. Friedhöfe haben wir nicht auf Palmera. Wir wollen nicht daran erinnert werden, daß alles mal zu Ende geht. Alles vorüber, alles vorbei. Ja, Trauerfeiern, die gibt’s natürlich, wenn Freunde abtreten oder Verwandte, in unauffälligen kleinen Kapellen, hell und freundlich, ganz in türkis und pink gehalten. Aber damit ist es dann auch gut.

Prado: Asche zu Asche. Zeit für einen kleinen Umtrunk. Mario, aquariente.

Mario: Semi Coronell.

Prado: Gib der Condessa auch einen.

Mario: Semi Coronell.

Prado: Salut.

Gloriana: Ti pesitas, mi Coronell, äh, Euros meine ich natürlich. Und die beiden, der falsche Hoteldetektiv und das Mädchen, was machen wir mit denen?

Prado: Ah, unwichtig, Commisario Pedaso kann sie später einsperren.

Gloriana: Wozu der Umstand, Coronell, wozu warten, machen wir doch gleich klar Schiff. Entsorgen wir sie gleich hier. Sache erledigt und ausgestanden. Sind sowieso zu jung, unverschämt jung, passen nicht auf unsere Insel.

Sam: Ich auch nicht mit meinem Pinsel.

Jonas: Hast keinen.

Sam: Vielleicht mehr als du.

Jonas: Negrita und Jonas sahen sich an, vom Einsperren hielten wir wenig, vom Umbringen weniger. Wir nickten uns zu. Ehe Oberst und Sergeant zu ihren Waffen greifen konnten, waren wir in der Abkühlkammer, vorbei am Aschenberg, an der Mündung der Tunnelröhre. Wir sprangen, die Füße voran. Gebläse und Fallwinkel sorgten für einen flotten Rutsch. Wie im Freibad. Wir riefen nicht fröhlich Jeronimo, wir hielten Mund und Nase zu, wegen der Asche, der Asche von Che Guevara und von vielen vielen ehrenwerten Senioren, die alle mit uns gemeinsam ans Meer reisten.

Negrita: Jetzt bin ich froh, daß ich nur einen Bikini anhabe.

Sam: Wie schön.

Jonas: An Land zu kommen wird nicht leicht sein, die Brandung, die Steilküste.

Sam: Wenn ein ganz kleiner völlig unbedeutender Computer sich mal wieder zu Wort melden dürfte, hmh, ausnahmsweise.

Jonas: Tu das, Sammy.

Sam: Backbord voraus, für Landratten links, nich, da dürfte sich eine Landung möglich machen lassen, denn siehe, ein natürliches Bassin inmitten der Riffe besänftigt die wilden Wogen, und die Küste darüber erscheint weniger steil.

Negrita: Also los.

Sam: Yes.

Jonas: Wir schwammen, und kletterten die Klippe hoch, durchgefroren, voller blauer Flecken, ansonsten intakt. Oben ruhten wir uns eine Zeit lang aus, hinter einem Felsen, und sahen den Inselpolizisten zu. Die hatten offenbar die Geduld verloren. Sie hatten sich vor der Tür zum Krematorium versammelt, und gaben sich große Mühe, sie aufzubrechen. Bislang vergeblich. Von dieser ihrer Aufgabe waren sie so in Anspruch genommen, daß sie nicht auf ihre abgestellten Fahrzeuge achteten. Nett von ihnen. Wir beschlagnahmten den Kommandowagen von Commisario Pedaso. Ausgestattet mit allen Schikanen. Autopilot, Radar, Ersatzuniform. Die teilten wir uns. Negrita kriegte Mütze und Jacke, Jonas die Hose, viel zu weit, aber warm. Eingebaute Bar. Die teilten wir auch. Während das E-Mobil sich seinen Weg durch die nächtliche Insel suchte. – Wir tranken Mate, in der Morgensonne, auf der Terrasse in Bon Retiro. Mit Urgroßvater Hector de la Serna. Jonas fühlte sich nicht in Bestform. Sicher, die verlangten Knochen waren gestohlen worden, mehrmals, auch von Jonas, unter anderem. Aber jetzt waren sie weg. Es gab sie nicht mehr. Sie waren verschwunden.

Jonas: Verbrannt. Im Krematorium von Palmera.

Serna: Sind Sie sicher, Senior Jonas?

Jonas: Leider ja, ich mußte zusehen. Negrita auch.

Serna: Ist das wahr, Besnieta? Du hast es gesehen?

Negrita: Si, Pisabelo. Mit eigenen Augen. Die Knochen sind verbrannt.

Serna: Und die Asche?

Negrita: Ins Meer gestreut. Aufgelöst. Dahin.

Serna: Halleluja. Viva la revolution. Viva el Che. Jetzt ist es unwiderruflich. Unabänderlich. Unumstößlich. Es wird keine gentechnische Untersuchung geben, Che wird ewig leben, weil er für immer tot ist. Das ist Dialektik, Senior Jonas. Mein Mythos ist unsterblich, gestern, heute, morgen, bis in alle Ewigkeit.

Jonas: Ihr Mythos?

Serna: Die übrigen Gerüchte werden verstummen. Jetzt müssen ihn die Neider mir lassen meinen grandiosen revolutionären Tod, meine Hauptrolle in der Geschichte steht fest. Ein für alle mal.

Jonas: Heißen Sie wirklich Hector de la Serna?

Serna: Ich bin Ernesto Guevara de la Serna, genannt Che.

Jonas: Dann sind Sie also nicht 67 in Bolivien gestorben.

Serna: Und auch nicht 1975 auf Kuba. Fidel konnte mich nicht töten. Er verdankte mir zu viel. Er versteckte mich, im Keller seiner Residenz. Hausarrest. Nicht unbequem. Mir fehlte nichts als die Freiheit. Fast 50 Jahre war ich gefangen. Dann starb Fidel. Die wenigen, die außer ihm von mir wußten, kamen in den Wirren um. Ich wurde befreit. Mein Geheimnis behielt ich für mich. Etwas später nahm ich Kontakt mit der Familie auf. Ohne Aufsehen. Mit Negrita kam ich hierher, um in Frieden zu sterben, zum dritten und letzten Mal. Ich hatte nicht mit der törichten Gräfin gerechnet, und damit, daß die Knochen des Doppelgängers noch einmal auftauchen würden, doch nun ist alle Gefahr vorbei. Dank Ihnen, Senior Jonas.

Jonas: Eine erstaunliche Geschichte.

Sam: Eine schier unglaubliche Geschichte. Mein Meister könnte sie an die Medien verkaufen und Millionär werden.

Serna: Würden Sie das tun, Senior Jonas?

Jonas: Nein, Senior de la... Senior Guevara.

Serna: Sie geben mir Ihr Ehrenwort als Cabaliero.

Jonas: Sofort. Der Alte zog sich zurück, müde und glücklich. Jonas war beeindruckt, und unsicher. Glaubte ich ihm? War er wirklich Che Guevara, oder war er ein armer Irrer, der sich einbildete, Che Guevara zu sein.

Jonas: Was sagen Sie dazu, Negrita?

Negrita: Vielleicht...

Sam: Ken Sawe, das heißt...

Jonas: Ich weiß, Sammy.

Sam: Ah, nicht ich weiß, du linguistischer Dösbattel, wer weiß, so heißt es. Wer weiß oder Die Knochen von Che Guevara: Wer weiß, wo sie sind, ob verstreut im Wind, tief unten im Meer, ist die Gruft wirklich leer, sind sie gar noch lebendig, wenn auch nicht sehr wendig, im Rollstuhl ein Greis, ken sawe, wer weiß?

Jonas: Gut, daß diese Geschichte nicht mit Sam endet, sondern mit Negrita, mit einem wunderbaren Wochenende auf Palmera, und mit 10.000 Euros.

Sam: Und mit mir, hahahahaha.

Das war Knochenarbeit. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Hans Korte, Ilse Neubauer, Christine Neubauer, Harald Dietl, Kerstin de Ahna, Hans Günter Martens und andere (Juan Hetzenecker, Anne Stegmann, Werner Klein). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Regieassistenz: Holger Buck und Sieghard Fieber. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1998. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:28
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Drachentöter

Stimme: Was trägt die fashionbewußte, zeitgeistige, up-to-date Babylonierin demnächst im Ocean-Park? CamFash zeigt es Ihnen, meine Damen, schauen Sie her, Sie auch, meine Herren, sind unsere Andro-Models nicht eine wahre Augenweide? Es geht los mit Modell Franzi, ein Superbadeanzug im Stil der naughty nineties, provokant hohes Bein, unauffällig eingearbeiteter Wonderbra.

Jonas: 19. Oktober 2014. Kaufhaus Wunderland, Tigrisplatz, Babylon. Camelot Fashions, der größte Textilkonzern in Europa, führte Bade- und Freizeitmode vor. Natürlich Computer-Design, keine Haute Conture, natürlich Androidinnen, keine menschlichen Modells. Großer Andrang, sehr viele Frauen, viele Männer, ein paar Transis, und mitten drin Jonas. Wie das, werden Sie fragen, was sucht der letzte Detektiv auf einer Modenschau? Das kam so: Heute früh kriegte ich eine Air-Mail, über Sam. Sie kennen Sam? Mein kleiner lauter Chaos-Pilot im digitalen Verkehrs-netz. Mein Computer. Ein ganz besonderer Computer. Nicht weil er spricht, das tun viele Computer. Sam quatscht und tönt und schwafelt und nervt, wenn ich ihn lasse.

Sam: Trari trara, die Post ist da. Soeben erreicht uns folgende Air-Mail, adressiert an Jonas, nur Jonas. Piep. 11 Uhr Modenschau, CamFash, Kaufhaus Wunderland, wenn an Auftrag interessiert, kommen. Piep. Ende der Durchsage.

Jonas: Absender?

Sam: Kein Absender. Anonym, Bnonym, Cnonym.

Jonas: Sind wir an einem Auftrag interessiert, Sammy?

Sam: Jajajaja was heißt interessiert, wir brauchen einen Auftrag, dringlichst, Sir, wenn ich Hoheit auf dero ultratrüben Kontostand aufmerksam machen dürfte.

Jonas: Deshalb war ich hier. Aber von einem Auftrag war bisher nichts zu sehen. Rechts von Jonas stand ein Greis, der weniger die Anzüge ansah als die Zwischenräume. Links eine Karrierefrau in Nadelstreifen, Mitte 40, die eifrig in ihren Laptop schrieb. Journalistin?

Canape: Modepublizistin, Herr Jonas. Sie sind doch Herr Jonas?

Jonas: Unter Umständen. Und Sie sind?

Canape: Carmela Canape.

Jonas: Ehrlich?

Canape: Mein Künstlername. Sie kennen doch Auf Carmelas Canape, meine Kolumne in Lifestyle?

Jonas: Kenn ich nicht. Lese ich nicht. Sie wollten mir einen Auftrag geben, Frau Canape.

Canape: Carmela. Unter Umständen.

Jonas: Worum geht’s?

Canape: Nicht hier, Jonas. Ich ziehe ein ruhigeres Ambiente vor, ein Restaurant oder dergleichen.

Jonas: Das Casablanca ist gleich um die Ecke.

Canape: Ich bitte Sie, vulgär und gewöhnlich. Kommen Sie mit.

Jonas: Wir landeten im Unter uns, nicht gerade mein Ding. Ein Oxy-Bar. Nichts zu essen, nichts zu trinken, nur Luft aus edlen Designer-Behältern, in großer Auswahl, und menschliche Bedienung.

Kellner: Morgendämmerung in den Dolomiten, kann ich ihnen heute ganz besonders empfehlen, oder Erquickung am Wiesenrain.

Canape: Bringen Sie mir Sylter Sauerstoff, Jahrgang Null Sieben. Null Sieben, keinen anderen.

Kellner: Eine ausgezeichnete Wahl, gnä’ Frau. Und der Herr?

Jonas: Haben Sie Kehraus im Krematorium?

Kellner: Bedaure, so etwas führen wir nicht.

Canape: Der Herr nimmt auch einen Sylter.

Jonas: Das Zeug kam. Carmela nuckelte und fand es ganz exquisit. Von mir aus. Besser als die Luft draußen war es allemal. Aber wir wollten ja nicht über Sauerstoff reden. Carmela brauchte einen Detektiv. Weshalb?

Canape: Meine Mutter ist verschwunden.

Jonas: Seit wann?

Canape: Seit ungefähr drei Monaten.

Jonas: Ach was, und da machen Sie sich jetzt erst Sorgen?

Canape: Wissen Sie, wir standen uns nicht sehr nahe. Ab und zu haben wir uns getroffen, zum Tee, zum Sauerstoff, zum Plaudern, aber jetzt habe ich lange nichts von ihr gehört. Zu lange.

Jonas: Wie heißt Ihre Mutter?

Canape: Mama ist Vivien Eastwood.

Jonas: Die Modeschöpferin?

Canape: Die Modeschöpferin.

Jonas: Sie war die einzige in Babylon. Und die letzte. Wie Jonas. Die letzte Bastion menschlicher Kreativität in einem durchdigitalisierten Kulturbetrieb. Movie und Theater sind verschwunden, Holo-TV wird von Computern geschrieben, gemacht, gespielt. Menschen gibt’s nur noch beim Radio, und in der Oper. Reservate für Minderheiten. Und in der Haute Couture. Der Staat fördert Menschenwerk. Wer Opern produziert, oder Haute Couture, braucht praktisch keine Steuern zu zahlen. Artus Artus zum Beispiel. Der Besitzer von CamFash. Weil er sich die Haute-Couture-Marke Eastwood leistet.

Canape: Ich habe in Mamas Wohnung gefragt, aber ihre zwei Aupairs haben mich abgewimmelt.

Jonas: Aupairs?

Canape: Aus Hong Kong, oder vielleicht Singapur. Sie können auch Designerlehrlinge sagen, Dienstboten, Bettgenossen. Mama ist über 70, aber immer noch sehr lebenslustig.

Jonas: Ich versprach Ihr, Mama zu suchen. Für 120 Euros pro Tag und Spesen. Am Nachmittag stellte ich mich in der Eastwood-Residenz ein. Eine große Wohnung. 200 Quadratmeter, mindestens. In einem alten Haus, 200 Jahre, mindestens. Von der Sorte gab’s noch mehr in der Gegend. Südwest-Babylon, Otmar-Alt-Allee, das Künstlerviertel. Die Tür wurde mir von zwei niedlichen Persönchen aufgemacht. Von asiatischem Aussehen und unpräzisem Geschlecht. Zwillinge. Möglich. Nur das der oder die eine ein weißes Nachthemd trug, und die oder der andere ein schwarzes. Yin und Yang.

Yin: Velschwunden?

Yang: Vivian?

Ying: So ein Unsinn.

Yang: Vivian ist in Avalon.

Ying: Bei König Altus.

Jonas: Artur Artus, der sich gern König Artus nennen läßt, hatte sich eine Biosphäre eingerichtet. Draußen in der Wildnis, nach seinem Geschmack. Und der war ganz und gar mittelalterlich. Unter der Käseglocke gab’s eine Burg. Und einen richtigen Wald. Sagte man. Das ganze hieß Avalon. Merkwürdige Dinge sollten in Avalon vorgehen. Unheimliche, gefährliche Dinge. Menschen sollten da verschwinden.

Ying: Abel doch nicht Vivian Eastwood.

Jonas: Wann ist sie nach Avalon gegangen?

Ying: Juli.

Yang: Ende Juli.

Jonas: Also vor fast drei Monaten. Ist sie in dieser Zeit mal nach Hause gekommen?

Ying: Nein.

Jonas: Hat sie sich mal gemeldet?

Yang: Auch nicht.

Ying: Typisch Vivian.

Yang: Sie ist Künstlerin.

Ying: Sie ist exzentlisch.

Jonas: Aber ihre Tochter...

Ying: Ach die.

Yang: Das alte Canape.

Ying: Die ist doch nur an Mamas Geld interessiert.

Yang: Die lauelt doch nul dalauf, daß Mama den Zeichenstift für immel abgibt.

Ying: Dann erbt sie alles.

Yang: Schleckliche Person.

Jonas: Jonas rief im Camelot-Tower an, dem Sitz von CamFash. Jonas ist zäh, nicht so leicht abzuschütteln. Deshalb kam ich schließlich durch, zu seiner Majestät. Artur Artus, dem Modeking höchstpersönlich.

Artus: Sie wollen mit mir über Vivi sprechen? Warum nicht. Kommen Sie morgen Mittag in die Burgschänke.

Jonas: Was für eine Burgschänke?

Artus: Die Kantine im Camelot-Tower, die heißt so.

Jonas: Zu recht. Ein großer Raum, eingerichtet mit knubbeligen Stühlen und schiefen Tischen aus Fast-Holz, fast ganz echt mittelalterlich. An den Wänden altmodische Ölschinken, dicke Mönche und rüstige Ritter, bunte Glasfenster, wie in einer Kathedrale, die Serviererinnen trugen lange Röcke und tiefe Ausschnitte, sie schleppten gigantische Speisekarten an, aus Fast-Pergament, die unglaubliches versprachen.

Jonas: Ein noch gar blutig Rumpfstücklein vom wohlgezogenen Rindvieh.

Serviererin: Soja.

Jonas: Aha. Und der Med, süß und mundig.

Serviererin: Gen-Bier.

Jonas: Der feurige Branntewein ist dann wahrscheinlich Synth-Whisky.

Serviererin: Genau. Nun denn, Herre, was Speis und Trank begehret ihr?

Jonas: Kleines Bier.

Sam: Gemach, o edler Ritter Jonas, ihr Schnüffler zubenamst nicht doch all so. Flugs, flugs, schöne Maid, wohlan, kredenzet uns des süßen Meds die Fülle, sputet euch, denn siehe, uns verlanget gar sehr nach solchem, indem daß wir vom bösen Durste abscheulich gequälet werden. So macht man das.

Jonas: Halt dich zurück, Sammy.

Sam: Was, Sammy? Wir sind der edle Ritter Samuel von Chipshausen, Herr und zu Bitburg, Edler von Genit äh, Korrektur, Digitalien.

Jonas: Graf von der Müllhalde, Herzog von Blechstedt und Schrotthaufen, unbeschränkter Herrscher von und zu Schnatterburg.

Sam: Lasset ab von eurem Spotte, Herr, so nicht werdet ihr bei meiner Seel Genugtuung geben in den Schranken des Turnieres.

Jonas: Was ist los?

Serviererin: Pst! Der König!

Sam: Wer?

Jonas: Ein kleiner dicker Mann hatte den Raum betreten. Alle standen auf. Der Neuankömmling war eine Sinfonie in Rot. Rote Strumpfhosen, rotes Wams, roter Umhang, dazu als Akzent und Kontrast, eine goldene Krone auf seinem Kahlkopf. Er winkte leutselig, sah sich um, schritt auf meinen Tisch zu, und setzte sich ohne Umstände zu Jonas. Neben ihm nahm sein Begleiter Platz. Ein großer breiter Typ im grauen City-Anzug. Beule unter dem rechten Arm. Unter dem rechten?

Artus: Meine linke Hand. Er ist nämlich Linkshänder. Dr. Eckart. Mein getreuer Eckart. Leibwächter. Pilot. Mann fürs Grobe.

Jonas: Sie sind natürlich Artus.

Artus: Artur Artus. König Artus. Monarch über Camelot Fashions und alle dort Beschäftigten. Wenn ich will, kann ich jeden feuern, auf der Stelle, nicht wahr, mein Kind?

Serviererin: Wünschet ihr euer Mittagsmahl hier einzunehmen, Majestät?

Artus: Nein, ich werd’ das Dreckzeug doch nicht fressen. Das überlaß ich meinen teuren Untertanen.

Jonas: Sehr weise.

Artus: Ich hab mich über Sie erkundigt, Jonas. Ich weiß alles über Sie. Sie sind der letzte Detektiv. Ehrenhaft, loyal, ritterlich, kurz: arm und dumm, stimmt’s?

Jonas: Sie sind reich und klug, Artus.

Artus: Na klar.

Jonas: Also nicht ehrenhaft, nicht loyal, nicht ritterlich.

Artus: Glauben Sie? Äh, zur Sache, was wollen Sie?

Jonas: Vivian Eastwood.

Artus: Sagten Sie schon am Fon, was ist mit Vivian.

Jonas: Sie ist verschwunden, seit einem viertel Jahr.

Artus: Quatsch. Wer sagt das?

Jonas: Vivians Tochter.

Artus: Na die hat doch Null Ahnung. Vivi ist bei mir in Avalon, das heißt, sie war in Avalon, um in Ruhe an der neuen Kollektion zu arbeiten, vor einer Woche war sie fertig, und ist gegangen.

Jonas: Wohin?

Artus: Keine Ahnung. Spielt auch keine Geige. Vivi hat ihre Eigenheiten. Bisher hat sie noch vor jeder Show Lampenfieber gehabt. Sie ist kurz mal abgetaucht. Wenn’s soweit ist, taucht sie auch wieder auf.

Jonas: Und wann ist es soweit?

Artus: Übermorgen, wenn die große Show über den Laufsteg geht. Die Präsentation der neuen Kollektion von Vivian Eastwood. In der Emanuel-Wichtig-Halle. Ganz groß. Menschliche Models, ausgesuchtes Publikum. Kommen Sie doch auch, Jonas, Sie sind eingeladen, ich sorge dafür, daß Sie einen Platz in der ersten Reihe kriegen.

Jonas: Die Emanuel-Wichtig-Halle ist das bemerkenswerte Denkmal eines wenig bemerkenswerten Bürgermeisters. Nicht schön, aber gewaltig. Wie ein überdimensionaler Schneewittchensarg steht sie mitten im Ausstellungsgelände von Babylon. Brutal. Unübersehbar. Innen sah sie heute aus wie die Burgschänke im Camelot-Tower, nur viel größer: Überall alte Wandteppiche. Wappen und Waffen, Schilde, Schwerter, Lanzen, Hellebarden, die dazugehörigen Rüstungen standen dekorativ auf dem Laufsteg herum. Menschen in seltsamer Tracht spielten auf seltsamen Instrumenten seltsame Musik.

Artus: Madrigale, Motetten, was weiß ich, auf jeden Fall mittelalterlich, und daher passend zum Thema der neuen Eastwood-Kollektion, welches da lautet...

Jonas: Lassen Sie mich raten, Artus: Mittelalter.

Artus: Sehr gut, mein lieber Jonas.

Jonas: Ihr neuer Look ist also uralt.

Artus: Ist er doch immer. Wie finden Sie die Ausstattung?

Jonas: Passend.

Artus: Dafür zeichnet eine fähige Mitarbeiterin von Camelot Fashions verantwortlich. Für Ausstattung, Choreographie, Art Direction, zum ersten Mal, früher hat das Vivi selbst gemacht, das Material stammt übrigens von mir.

Jonas: Ach was.

Artus: Waffen, Rüstungen, alles aus meiner großen Sammlung in Avalon. Müssen Sie sich bei Gelegenheit mal ansehen, Jonas.

Jonas: Sicher, bei Gelegenheit.

Jonas: Zur Feier des Tages hatte Artus sein rotes Königsoutfit aufgemotzt durch ein Hermelin-Cape. In diesem enterte er den Laufsteg. Beifall brandete auf, brandete ab. Artus hob die Hand, Fanfaren ertönten. Genau wie im alten 2D-Movie Ivenhoe der schwarze Ritter.

Artus: Mutige Herren, schöne Damen! Da unsere liebe Vivi sich noch nicht sehen läßt, wir kennen das ja, obliegt es mir, ihre diesjährige Haute Couture Vision zu präsentieren. Folgen Sie mir also, begeben Sie sich mit mir auf eine Zeitreise in jene farbige Epoche, da der Himmel der Erde noch nahe war, da tapfere Ritter Drachen erschlugen, und von minniglichen Frauen dafür belohnt wurden. Genug der Vorrede, die Show beginnt. Creation Eleonore von Aquitanien: Kotte und Surkott aus einem hochaktuellen Materialmix, burgunderfarbener Latex mit durchsichtiger Chemiespitze, dazu eine voluminöse Schleppe und als i-Tüpfelchen ein chapel, ein Kopfreif aus Fast-Gold. Arbelar und Eloise: Über gestreiften Beinlingen trägt er die knappe Brusch mit farblich abgesetztem Hosenlatz, darüber Wams, Schecke, und Hupelande. Sie zeigt uns, unter der Kurzjacke aus Brokat, eine tiefdekolletierte Kotte, interessante Accessoires sind die nachtblauen Schnabelschuhe und der superbreite Hüftgürtel oder Dupsing, wie wir Mediavisten sagen, gekrönt wird das Ensemble durch eine ausladende Flügelhaube...

Jonas: Und so weiter. Sehr mittelalterlich, stinklangweilig, trotz der lebenden Models. Da war wenigstens meine Meinung. Aber was versteht Jonas von Mode. Den anderen im Saal schien es zu gefallen. Sie klatschten und pfiffen und winkten. Die Journalisten ratterten begeistert auf ihren Laptops, Carmela Canape war natürlich auch da. - Plötzlich schrie eine Frau, auf dem Laufsteg, nicht weit von mir entfernt. Ich schreckte hoch. Eine der Ritterrüstungen bewegte sich, schwankte hin und her, immer heftiger, bis sie umfiel, mit großem Geschepper. Das Visier sprang auf, darunter war ein blasses Gesicht zu erkennen. Artus kam angetrabt, bückte sich, nahm den Helm ab, im Saal Totenstille.

Artus: Vivi! Vivian Eastwood! In der Rüstung! Ich glaube, sie ist... sie ist tot. Eckart, rufen Sie die Kripo an!

Jonas: Die Show war zu Ende. Fluchtartig verließ das ausgesuchte Publikum die Emanuel-Wichtig-Halle. Es blieben nur die Journalisten. Artus natürlich mit seinem Eckart. Und Jonas. Jonas, der den Auftrag gehabt hatte, Vivian Eastwood zu suchen. Jetzt hatte er sie gefunden, gewissermaßen.

Canape: Mama ist tot?

Jonas: Ja.

Canape: Was glauben Sie ist passiert?

Artus: Na das ist doch egal, was Jonas glaubt oder nicht glaubt, die Sache ist ganz klar: Vivi wollte sich die Präsentation unbemerkt ansehen und hat sich in der Rüstung versteckt. Am Schluß wäre sie rausgekommen und hätte sich feiern lassen. Aber die Aufregung war zu viel für sie. Mein Gott, sie war fast 80. Herzschlag, schlicht und tragisch.

Jonas: Die Kripo erschien. Nicht mein alter Feind, Chefinspektor Brock, ein leibhaftiger Kommissar namens Prick. Dazu ein Techniker. Und natürlich der Pathomat. Die Tote wurde aus der Rüstung geschält und an den Pathomaten angeschlossen. Kommissar Prick rief die Daten ab, und diktierte sie dem Techniker. Jonas blieb in der Nähe, und machte lange Ohren. Daten und Fakten sind wichtiger als Geistesblitze. Das hatte ich im Fernkurs für angehende Privatdetektive gelernt.

Prick: Todesursache: Herzstillstand. Körpertemperatur: 15, 2 Grad. Tatsächlich, 15, 2 Grad. Besondere Merkmale: diverse Schürfwunden, Hüfte und Schulter, keine Blutung, Leichenflecken, Rücken, hellrot. Merkwürdig.

Jonas: Kann man wohl sagen.

Prick: Was haben Sie hier zu suchen? Wer sind Sie?

Jonas: Jonas, Privatdetektiv.

Prick: Steht der Mensch in ihren Diensten, Herr Artus?

Artus: Keineswegs.

Prick: Dann hauen Sie ab, Mann, Sie stören die Untersuchung.

Jonas: Ich arbeite für die Tochter der Toten.

Prick: Von mir aus für die Großmutter. Raus!

Artus: Eckart! Jonas will gehen, bringen Sie ihn zur Tür. Ein Wort im Vertrauen, Herr Kommissar...

Jonas: Während Artus und Prick die Köpfe zusammensteckten, schmiß Dr. Eckart Jonas aus der Halle. Jonas ließ sich schmeißen. Eckart trug bekanntlich eine Beule im Jacket. Draußen überlegte ich. Sollte ich auf Tochter Carmela warten? Aber dann ging ich doch lieber ins Casablanca, und stärkte mich, mit dem zu recht berüchtigten Whisky, den Jacob ausschenkte. Später rief ich sie an, und verabredete mich mit ihr.

Canape: Wann?

Jonas: Morgen vormittag um 10. Ich hab vorher noch einiges zu erledigen.

Canape: Gut. Unter Uns?

Jonas: Diesmal nicht. Jonas hat kein Bock auf Oxy. Wenn Sie was von mir hören wollen, müssen Sie schon ins Casablanca kommen.

Canape: Na, da Sie so großen Wert darauf legen, Jonas, also, dann bis morgen.

Jonas: Die Rüstung...

Sam: Stammt fraglos aus Majestät Artussis Beständen.

Jonas: So ist es. Frage: Wie ist Eastwood in die Rüstung gelangt?

Sam: Weiß ich nicht.

Jonas: Wann und wo? Als Artus den Helm abnahm, hat er blitzschnell was rausgenommen und in die Tasche gesteckt. Was war das? Und diese merkwürdigen Pathomat-Daten. Eine fähige Mitarbeiterin war für die Ausstattung verantwortlich, hat Artus gesagt, also auch für die Rüstung. Wie heißt die Dame?

Sam: Piep. Laut Programm führt sie den Namen Miriam Kraus. Piep. Laut Piep, ne laut Personaldatei CamFash ist Miriam Kraus als Programmiererin beschäftigt, Hauptabteilung Konfektion, Unterabteil, äh, Unterabteil, äh, Unterabteilung Entwurf.

Jonas: Noch so eine Merkwürdigkeit, wieso agiert eine simple Mode-Programmiererin als Art-Directris einer Haute Couture Show? Wo wohnt sie? Ist sie zuhause?

Sam: Weiß ich och nicht.

Jonas: Miriam Kraus war nicht zu Hause. Zumindest ging sie nicht ans Fon. Also ging Jonas zu ihr. In einen Bezirk, den man früher gutbürgerlich genannt hätte. Zwischen den Slums der Südstadt und dem exklusiven Künstlerviertel. In ordentlichen Reihen Häuser, aus dem mittleren 20. Jahrhundert. Mittelgroß, nicht mehr als 10 Stockwerke. An der Wohnungstür ein unproblematisches Schloß. Jedenfalls für einen einschlägig versierten Privatdetektiv. Dahinter zwei Zimmer, Küche, Bad. Mittelprächtig. Kein Luxus, keine Not. Keine Miriam Kraus. Statt dessen ein mittleres Chaos. Der PC war zertrümmert, das Diskettengestell leergeräumt. Schränke standen offen, Matratzen waren aufgeschlitzt, Küchenvorräte verschüttet, etc. Jemand hatte was gesucht.

Sam: Eine Diskette.

Jonas: Denk ich auch.

Sam: Na so was, er denkt, mein Meister Schnarch, hähä...

Jonas: Jetzt bist du dran, Sammy, mit denken.

Sam: Mit denken?

Jonas: Hat der Jemand gefunden, was er gesucht hat?

Sam: Dann hätte er nämlich die Sucherei aufgegeben, haha, doch tat er dies nicht. Er hat hier alles auf den Kopf gestellt, aber auch alles.

Jonas: Denk weiter, wenn du Miriam Kraus wärst...

Sam: Ein Mensch? Ein Weib? Igitt. Wüah.

Jonas: Wo würdest du eine Diskette verstecken?

Sam: Programmiererin ist sie, Mann, jedenfalls nicht im Bett, nicht in der Sojamehldose.

Jonas: Wissen wir.

Sam: Keinerlei Kunst an den Wänden, Bilder oder dergleichen, hmh hmh, sehr ungewöhnlich. Entweder hat sie keinen ästhetischen Sinn, unsere Miriam.

Jonas: Als Modeprogrammiererin, das glaub ich nicht.

Sam: Oder sie bevorzugt Hologramme.

Jonas: Die der Sucher ausgeschaltet hat, um festzustellen, ob was dahintersteckt. Tut es aber nicht.

Sam: Tut es aber nicht. Hhm, tut es aber nicht. Ne, wirklich nicht?

Jonas: Siehst du was anderes als kahle Wände, Sam?

Sam: Moment, seh ich was anderes. Ah, wo ist der Holoschalter? Auf dem Nachttisch. Drück drauf.

Jonas: Wozu?

Sam: Jetzt quassel nicht rum, drück drauf.

Jonas: Ich drückte. Wenn ich so nett gebeten werde. Ergebnis: In der Wohnung nur ein einziges Holo. An der Schlafzimmerwand. Die allseits beliebten grünen Palmen am blauen Meer.

Sam: Schön, schalt wieder aus. So und jetzt drück zweimal auf den Schalter.

Jonas: Sieh mal an, zwei Holos übereinander.

Sam: Clever, unsere Miriam. Erst das Palmenholo, dann das Holo der kahlen Wand.

Jonas: Und schließlich die echte Wand, mit einem Safe.

Sam: Sir, machen wir den auf?

Jonas: Blöde Frage. Im Safe waren ein paar Dokumente. Ein bißchen Schmuck. Und eine Diskette. Ohne Aufschrift. Die nahm ich mit, und ließ sie zuhause über den Bildschirm laufen.

Sam: Oho!

Jonas: Das hat er gesucht, der Sucher, der Jemand.

Sam: Alias Dr. Eckart, im Auftrag seines Herrn.

Jonas: Glaubst du, Sammy?

Sam: Ja wer denn sonst. Angesichts des Inhalts der Diskette.

Jonas: Ein Designerprogramm. Für Mode a la Mittelalter. Die historischen Basisdaten. Hupelande, Bruche, Surkott, und das ganze übrige Zeug. Umgesetzt mit modernen Materialen. Weißt du, was das heißt, Sammy?

Sam: Ja.

Jonas: Die neue Eastwood-Kollektion ist nicht von Vivian Eastwood entworfen worden.

Sam: Nene, vielmehr von einem genital, Korrektur digitalen Kollegen.

Jonas: Vom Computer. Keine Haute Couture, kein Menschenwerk.

Sam: Bestes Computerdesign.

Jonas: Poplige Kaufhausmode.

Sam: Oh, bitte keine unnötigen verbalen Tiefschläge freundlichst, ja, ich meine, die freundlichst zu unterlassen, euer Rüpelhaftigkeit. Wichtig, nicht wahr, ist doch vor allem dieses, wenn’s rauskommt, nich, muß König Artus mordsmäßig Steuern nachzahlen.

Jonas: Mordsmäßig.

Sam: Ja.

Jonas: Die Kollektion stammt nicht von Eastwood, das wissen wir jetzt. Und das könnte auch die Pathomatdaten erklären.

Sam: Grünau.

Jonas: Gleich am nächsten Morgen rief ich Chefinspektor Brock an. Er war hellbegeistert, von Jonas zu hören. Wie immer.

Brock: Sie haben mir grade noch gefehlt. Gehen Sie aus der Leitung.

Jonas: Wenn Sie meine Fragen beantwortet haben.

Brock: Dann leg ich eben auf.

Jonas: Und ich ruf sofort wieder an. Jonas ist zäh, wissen Sie doch.

Brock: OK, fragen Sie, aber machen Sie’s kurz.

Jonas: Vivian Eastwood...

Brock: Geht Sie überhaupt nichts an. Außerdem ist der Fall abgeschlossen, natürlicher Tod, keine Probleme.

Jonas: Was? Und die Pathomatdaten?

Brock: Völlig normal. Augenblick, ich rufe ich mal auf. Temperatur 35 Grad, Schürfverletzung bedeutungslos, da bei Abnahme der Rüstung entstanden.

Jonas: Stimmt nicht, ich war dabei. Und die hellroten Leichenflecken...

Brock: Leichenflecken, was für Leichenflecken, es gibt keine Leichenflecken.

Jonas: Ich hab sie doch gesehen.

Brock: Na und? Ihr Wort gegen das von Kommissar Prick. Was wollen Sie denn, Jonas, so ist es doch viel besser, klarer Fall, gelöst und abgelegt, Pluspunkt in der Statistik.

Jonas: Aber das ist doch alles nicht wahr. Die Daten sind geändert worden. Von Prick. Und ich wette, daß Artus dahintersteckt.

Brock: Sagen Sie, Jonas. Wer sind Sie? Und wer ist Prick? Wer bin ich und wer ist Prick? Machen Sie mir keine Schwierigkeiten. Wenn Sie herumstänkern wollen, dann tun Sie’s woanders. Und rufen Sie nicht wieder an.

Jonas: Im Casablanca berichtete ich Carmela Canape, was ich neues erfahren hatte. Wenn Jonas ihre Mutter schon nicht lebendig gefunden hatte, wollte er doch wenigstens die Umstände ihres Todes aufklären. Carmela hörte aufmerksam zu. Und verstand sofort.

Canape: Die Eastwood-Kollektion 2014 stammt vom Computer, nicht von Mama.

Jonas: Vom Computer. Mit freundlicher Unterstützung durch die Programmiererin Miriam Kraus.

Sam: Welch selbige verschollen, verduftet, verschüttet, verschwunden ist.

Jonas: So sieht’s aus. Und was ihre Mutter betrifft, Carmela...

Canape: Ist sie Ihrer Ansicht nach nicht gestern gestorben, sondern schon erheblich früher.

Jonas: Das zeigen die Originaldaten des Pathomaten. Die extrem niedrige Körpertemperatur, die hellroten Leichenflecken, sprechen deutlich für eine Aufbewahrung der Leiche im Kalten. Im Kühlfach oder Kühlhaus.

Sam: Feinfrosten tat man sie, unsere große Modeschöpferin.

Jonas: Entschuldigen Sie meinen Computer, Carmela, Sam ist nicht gerade pietätvoll.

Canape: Ist schon gut. Und die Schürfwunden?

Jonas: Sind entstanden, als die Leiche in die Rüstung praktiziert wurde.

Sam: Rein gequetscht und reingestopft wie Mastfutter in die Weihnachtsgans.

Canape: Artus. Der zieht die Fäden.

Sam: Ist er Arzt?

Jonas: Davon bin ich überzeugt. Artus hat auch dafür gesorgt, daß die Leiche ausgerechnet während der Präsentation auftauchte, damit niemand auf die Idee kommt, die Kollektion könnte mit ihrer Mutter nichts zu tun haben. Das ist wichtig für Artus, aus steuerlichen Gründen. Und für sein Image als Mäzen menschlicher Kreativität.

Canape: Ich glaube, er hat noch einen Grund. Wenn eine Designerin zu Tode kommt, noch dazu bei ihrer eigenen Haute-Couture-Show, hat das mit Sicherheit einen großen Werbeeffekt.

Sam: Fall Versace 1-9-9-7. Ne, besser 1997.

Canape: Was ich wissen will, ist: Hat Artus Mama umgebracht?

Jonas: Durchaus möglich. Auf jeden Fall weiß er mehr.

Canape: Wir sollten ihn besuchen, und ihn mit den Fakten konfrontieren.

Jonas: Artus war bereit, mit uns zu sprechen. Am Nachmittag, drei Uhr. Im Camelot-Tower. Carmela und Jonas trafen sich im Foyer. Und fuhren ins oberste Stockwerk. Wo seine Majestät der Modekönig uns empfing. In einem großen Saal. Nicht viel kleiner als die Wichtig-Halle. Und genauso mittelalterlich. Nur daß in der Mitte kein Laufsteg war, sondern ein riesiger runder Tisch.

Artus: Meine Tafelrunde. Für meine tapferen Ritter. Will sagen, für die Direktoren von CamFash. Auf diesem Sessel saß Vivi Eastwood. Sie ruhe in Frieden.

Jonas: Apropos, haben Sie sie getötet, Artus?

Artus: Nicht doch, ein Herzschlag. Keine Überraschung bei einer fast 80jährigen. Wir hatten uns gestritten, sie hatte sich aufgeregt, und... äh voila.

Jonas: Wann war das?

Artus: Vor zehn, elf Wochen, in Avalon. Es ging um das Thema der neuen Kollektion. Ich bestand auf Mittelalter, und sie wollte partout nicht, ja, da hab ich sie ein bißchen, na ja, unter Druck gesetzt, mit Rex.

Jonas: Rex.

Artus: Ja, Rex ist mein Liebling, mein Haus- und Schoßtier in Avalon. Sie werden ihn noch kennenlernen, Jonas.

Jonas: Und als die Eastwood tot war...

Artus: Kam sie erst mal ins Kühlhaus. Ich habe eins in Avalon. Für Rex. Damit er immer frisches Futter kriegt.

Jonas: Artus gab alles zu, ohne weiteres. Die Kollektion hatte der Computer gemacht, programmiert von Miriam Kraus, die sich übrigens, wie er uns verriet, in Avalon aufhielt. Bei Rex. Vor zwei Tagen hatte man der toten Eastwood eine Rüstung angepaßt, und die hatte man nach Babylon geflogen, zur Emanuel-Wichtig-Halle. Mit der übrigen Mittelalter-Dekoration. Alles lief reibungslos, dafür sorgte Dr. Eckart. Und Miriam Kraus, die nur aus diesem Grund mit der Ausstattung der Show beauftragt wurde.

Artus: Falls es Sie interessiert, in der Rüstung war außer der Leiche noch was. Ein Mini-Modul. Die Fernsteuerung hatte ich in der Tasche. Ich drückte drauf, ein kurzes Band lief ab, mit einem Schrei, die Rüstung fing an zu wackeln, und fiel dann um. Na, Sie waren ja dabei.

Jonas: Das Modul haben Sie gleich danach an sich genommen, Artus.

Artus: Sie haben’s gesehen, Jonas? Guter Mann, gute Augen. Hoffentlich auch ein gutes Köpfchen. Oder wollen Sie jetzt etwa zur Polizei gehen?

Jonas: Ich denke nicht daran. Wo Sie Kommissar Prick in der Tasche haben. Ich weiß was besseres.

Artus: Ja?

Jonas: Ich informiere die Finanzbehörde. Die läßt sich nicht kaufen. Sie geben Computerdesign als Produkt menschlicher Kreativität aus, das ist Steuerbetrug. Sie werden ordentlich zahlen müssen, Artus, und als Haute-Couture-Produzent sind Sie erledigt.

Artus: Hmh, gar nicht dumm, Jonas, da muß ich wohl was unternehmen. Eckart!

Jonas: Jonas zog seinen Laser. Bereit sein ist alles. Aber ich war nicht bereit genug. Carmela lächelte mich freundlich an. Gleichzeitig schlug sie mir mit einer plötzlichen Bewegung die Waffe aus der Hand. Und dann kam auch schon der getreue Eckart durch die Tür. Mit einem Neurofreezer.

Artus: Tja, Jonas, mit der Anzeige bei der Steuerfahndung wird es nun nichts werden, Frau Canape sei Dank.

Jonas: Das war nicht nett von Ihnen, Carmela. Immerhin arbeite ich für Sie.

Artus: Das ist vorbei, Jonas. Ich brauch Sie nicht mehr. Wissen Sie, heute mittag war ich mit Herrn Artus zum Essen verabredet, und dabei haben wir uns ausgesprochen und uns geeinigt. Was ich von der neuen Kollektion und von Mamas Tod weiß, behalte ich für mich, und dafür kriege ich einen Direktorenposten bei CamFash.

Artus: Sie sehen, Jonas, alles geregelt, alles in Butter.

Jonas: Nur Jonas stört die schöne Eintracht.

Artus: Nicht mehr lange. Auf, meine Herrschaften, der Helikopter wartet. Wir fliegen nach Avalon, zu viert, ich, Sie, Jonas, Frau Canape, und natürlich Dr. Eckart.

Jonas: Unter dem Helikopter erstreckte sich einförmiges totes Braun-Grau, bis zum Horizont. Die Wildnis. In der Ferne, weit voraus, ein Glitzern. Es kam näher, noch näher. Eine Halbkugel, die Sonnenstrahlen reflektierte. Avalon. Die Biosphäre von König Artus. Durchmesser etwa 500 Meter. Unter der Plexikuppel eine kleine Burg. Mit Türmen und Zinnen. Eine hohe Mauer, dahinter Grün. Viel Grün. Tatsächlich, ein Wald, mit Bäumen.

Artus: Echte Bäume, Jonas, keine Plastsimulate.

Jonas: Das muß Sie ein Vermögen gekostet haben.

Artus: Mein Gott, ich kann’s mir leisten. Und das ist der Wald von Prosiliande. Geheimnisumwittert, und gefährlich. Na, Sie werden es erleben, Jonas.

Jonas: Aber vorher mußte Artus Carmela und mir noch seinen größten Stolz vorführen, seine Rüstkammer, die einen großen Teil der Burg einnahm. Mittelalterliche Waffen und Rüstungen, in gewaltigen Mengen, aber nicht nur, auch ein paar seltene Stücke aus dem Altertum, zum Beispiel ein römischer Rennwagen, Marke Ben Hur, und ein Sammelsurium von Waffen der Neuzeit. Bis ins 20. Jahrhundert. Gewehre, Handgranaten, sogar eine Panzerfaust, anno 44. Und mitten im martialischen Ambiente ein großer Bildschirm über einem Schaltpult.

Artus: Mein Guckloch in den Wald von Prosiliande. Wohin Sie sich jetzt begeben werden, Jonas, um Miriam Kraus Gesellschaft zu leisten, sofern sie noch auf Erden wandelt. Sie wollte mich erpressen, das läßt sich König Artus nicht gefallen, darum hab ich sie in den Wald geschickt, damit sie mit Rex Bekanntschaft schließt, was Sie auch gleich tun werden, Jonas. Ein recht endgültiges Zusammentreffen. Und ein hochinteressantes Schauspiel. Ich werde es genießen, hier, am Monitor, mit Eckart.

Canape: Und mit mir.

Artus: Ja richtig, Sie sind ja auch noch da, meine teure Carmela, Sie müssen noch warten, erst ist Jonas dran. Bringen Sie ihn in den Wald, Eckart.

Jonas: Im Gänsemarsch ging’s aus der Burg zur Mauer. Jonas vorneweg. Eckart mit dem Neurofreezer hinterher. In der Mauer war eine Tür. Eckart öffnete sie mit einer Paß-Scheibe, und trieb Jonas ein paar Schritte ins Grüne. Dann trat er zurück. Die Tür ging zu. Jonas war ganz allein im tiefen Wald. Ganz allein?

Sam: Sammy und Jonas verliefen sich im Wald, es war so finster und auch so bitter kalt.

Jonas: Du spinnst, Sammy, es ist warm hier, richtig heiß, wie in Afrika, oder im Treibhaus.

Sam: Sie kamen an ein Häuschen...

Jonas: Vielleicht singst du mal ein bißchen leiser.

Sam: Pst! Er könnte uns hören. Pst.

Jonas: Meinst du den mysteriösen Rex?

Sam: Wer oder was immer das ist.

Jonas: Hier riecht’s aber gar nicht gut.

Sam: Hose voll, Sir? Ich riech nix.

Jonas: Das kannst du auch nicht, Sam. Du hast kein Riechorgan.

Sam: Dann nicht.

Jonas: Der Gestank wird stärker, erinnert mich ans Raubtierhaus im Zoo. Faules Fleisch, Blut, und Leichen.

Jonas: Ich war an einer kleinen Lichtung angekommen. Vor mir Felsen, davor Knochen, Fleischfetzen, getrocknetes Blut, zerrissene Kleidungsstücke, zwischen den Felsen ein großes schwarzes Loch.

Sam: Eine Höhle. Wetten, daß Rex da drin steckt?

Jonas: Und wetten, daß ich so langsam ne Ahnung kriege, was für ein Haus- oder Schoßtier dieser Rex ist?

Sam: Nur eine Ahnung, du Sülzkottlet in Menschengestalt? Allmählich solltest du’s wissen. Stichwort Mittelalter. Mit was für einer Art Viehzeugs hatte es denn ein fahrender Ritter damals zu tun, hä?

Miriam: Der Drache! Hilfe! Retten Sie mich!

Sam: Ach Gottchen.

Jonas: Eine Frau. Hoch oben auf dem Baum. Sie klammerte sich an einen Ast. Total verstört, aber im Moment konnte Ritter Jonas nichts für sie tun. Weil er sich ganz dringend um was anders kümmern mußte. Um die unheimlichen Geräusche aus der dunklen Höhle. Erst ein scharfes Zischen, dann dumpfe Tritte. So schwer, daß Erde und Bäume zitterten. Sie wurden immer schwerer, immer lauter. Dann war er draußen, der Drache. Und Jonas war ganz schnell auf dem Baum. Neben der Frau.

Sam: Auftritt Rex.

Jonas: Vorname Tyrannosaurus, wenn ich nicht irre.

Sam: Det weß ich nicht. Ich seh keine Tyrannensau.

Jonas: Sondern?

Sam: Eine Monitoreidechse. Ein Kondomeran, Korrektur, präziser ein Komodoveran. Beachten Sie gütigst die für diese Spezies typische lang gespaltene Zange, schon wieder Korrektur, Zunge.

Jonas: Ein Veran ist doch nicht 10 Meter lang.

Sam: Warum nicht? Wenn man ihn gentechnisch vergrößert?

Jonas: Das ist verboten.

Sam: Jaja, aber möglich, und machbar, Herr Nachbar. Erinnert euch, edler Herr, des bösen Dr. Ugarte, Fall Pharao, der skrupellosen Wissenschaftler gibt’s nicht wenige, und wenn ein Mensch so stinkend reich ist, wie unser Freund und König Aze Artus.

Jonas: Kann er sich einen schlichten Veran zum Drachen langziehen lassen.

Sam: Ja.

Jonas: Wenn er das mag.

Sam: Ja.

Jonas: Aber warum ist das Monstrum rot?

Sam: Ja Gott.

Jonas: So viel ich weiß, sind Verane grau.

Sam: Der rote Drache von Wales, Johannes, das Wappentier von König Artus, vom echten Artus, nich?

Jonas: Das walisische Wappentier fixierte uns mit seinen gierigen Schweinsaugen, strebte in seinem wiegenden Seemannsgang unter unseren Baum, legte sich gemütlich hin, riß das Maul auf, machte die Augen zu, und wartete. Eine Galgenfrist, für Jonas und seine Nachbarin auf dem Ast.

Jonas: Sie sind Miriam Kraus.

Miriam: Ja.

Jonas: Sie haben das Programm für die angebliche Eastwood-Kollektion gemacht.

Miriam: Ja.

Jonas: Und die Ausstattung für die Show.

Miriam: Ja.

Jonas: Dann haben Sie versucht, Artus zu erpressen.

Miriam: Ich wollte doch bloß eine Gehaltserhöhung.

Jonas: Und darum sind Sie jetzt hier, als Drachenfutter.

Miriam: Ah, mein Bein.

Jonas: Zeigen Sie mal.

Miriam: Ah!

Jonas: Sieht nicht gut aus, tiefe Fleischwunde, starker Blutverlust. Ein Wunder, daß sie’s damit auf den Baum geschafft haben.

Sam: Ja ja, die Angst verleiht Flügel, spricht der weise Bosequo.

Jonas: Eine Minicam flog Kreise um uns. Langsam. Ich zeigte die Zähne und winkte fröhlich. Sollte Artus am Monitor sich doch ärgern. Dabei dachte ich heftig nach. Miriam war außer Gefecht und würde sich nicht mehr lange halten können. Jonas mußte was unternehmen. Bald. Sehr bald.

Sam: Sam könnte ihn ablenken, den Leviatan, den Lindwurm, den Basilisken, in dem derselbe denselben in den schuppigen Schwunz äh Schwanz beißt bleistiftsweise.

Jonas: Und wie kommst du runter, Sam? Kannst du klettern?

Sam: Naja, eher weniger, Herr Großinquisitor.

Jonas: Soll ich dich runterwerfen.

Sam: O bitte bitte nicht.

Jonas: Siehst du. Außerdem würdest du den Drachen wecken, und der schläft gerade so schön.

Sam: Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein.

Jonas: Als erstes müssen wir die Minicam ausschalten, und ich weiß auch schon wie. Wenn ich mit Ihnen flüstere, Miriam, wird sie näherkommen, damit ihr Mikrophon auch alles mitkriegt, ich werde noch leiser, die Minicam kommt noch näher. So, ich hab sie.

Jonas: Ich gab sie Miriam. Sie sollte sie gut festhalten, und aufpassen, daß das Auge immer auf den dösenden Drachen gerichtet blieb, keinesfalls auf Jonas. Der wurde nämlich aktiv, er rutschte weiter auf dem Ast, und sprang in den Nachbarbaum, wie Tarzan, nur leiser, kletterte runter, und schlich sich von dannen, ohne daß der Drachen was merkte. An der Tür in der Mauer machte ich Halt.

Jonas: Kannst du den Code für die Verriegelung knacken, Sammy?

Sam: Klar, mit links, und fix. Zwei klitzekleine Stündlein nur, bis es da heißt, Se-Sam öffne dich.

Jonas: Zwei Stunden, unmöglich, in der Zeit sind wir alle gefressen.

Sam: Ja, was machen wir denn da?

Jonas: Das würde ich gerne von dir wissen, Sam.

Sam: Pst! Da ist einer an der Tür, nein, auf der anderen Seite. Versteck dich, mein Dicker.

Jonas: Jonas tauchte hinter ein Gebüsch. Die Tür ging auf. Und es erschien Carmela. Carmela Canape, die treulose Tomate, die Jonas in den Rücken gefallen war. Jetzt hatte sie selbst was im Rücken. Einen Neurofreezer. Und den treuen Eckart. Vor sich hatte sie einen Waldspaziergang. Mit Drachen. Artus war konsequent. Er ließ sich nicht erpressen, und sorgte dafür, daß alle verschwanden, die zu viel wußten. Das war meine Chance. Ich ließ die beiden vorbei, flitzte durch die Tür, so schnell ich konnte, und knallte sie zu.

Sam: Klappe zu, Affe tot.

Jonas: Noch nicht, aber bald. Kannst du das Türschloß verstellen, Sammy, ich meine gleich, nicht in zwei Stunden.

Sam: Piep. Kaum gedacht, schon gemacht.

Jonas: Wunderbar. Eckart und Carmela sind aus dem Weg. Jetzt haben wir es nur noch mit Artus zu tun. Und wo finden wir wohl seine Majestät?

Sam: Natürlich vor dem Monitor in der Rüstkammer. Wohlan, denn flugs zur Burg, Ritter Johnson.

Jonas: Artus kriegte nicht mit, daß Jonas die Rüstkammer betrat, und ihm immer näher kam. Er starrte auf den Bildschirm. Gebannt und fassungslos. Da gab’s auch wirklich was zu sehen. Carmela verschwand gerade im Schlund des Drachen, laut schreiend, um sich schlagend. Dann war Dr. Eckart an der Reihe, er ballerte wild mit dem Neurofreezer, auf den Drachen machte das überhaupt keinen Eindruck, er schnappte zu, kaute, schluckte.

Artus: Mein Gott, Eckart, wie konnte das geschehen?

Jonas: Das kann ich ihnen erklären, Artus.

Artus: Sie, Jonas?

Jonas: Nur Jonas. Der letzte Detektiv. Nicht totzukriegen.

Sam: Wenn du denkst, du hast’n, da hüpft er aus’m Kasten.

Artus: Ja, und was nun?

Jonas: Wir spielen das Spiel weiter.

Artus: Welches Spiel?

Jonas: Mittelalter. König Artus. Ritter und Drachen. Aber ab jetzt spielen wir nach meinen Regeln.

Sam: Jawoll.

Jonas: Er versuchte gar nicht erst, sich zu wehren, was hätte das auch gebracht, ein kleiner dicker Konzernchef gegen einen durchtrainierten Jonas. Artus war nicht das Problem. Das Problem war die Zeit. Jonas hatte es eilig, wegen Miriam. Ich sah mich um. Auf dem Schaltpult lag ein kleiner Laserstrahler. Nicht das richtige für einen Drachentöter. Der brauchte was anderes.

Jonas: Wir nehmen eine Lanze, die Panzerfaust, eine Handgranate, ja und dann noch den römischen Wagen.

Artus: Ja aber was wollen Sie denn mit dem?

Jonas: Ein Ritter kann doch nicht zu Fuß wider den Drachen ziehen.

Artus: Ja aber was nützt ihnen der Wagen ohne Pferd? Und ein Pferd gibt’s hier nicht.

Sam: Nehme eure drachenbezwingende Mannhaftigkeit doch den Esel zum Ziehen.

Jonas: Sehr richtig. Ich spannte Artus vor. Der protestierte gewaltig, aber das half ihm nichts. Als er dann im Geschirr war, verweigerte er den Dienst, und rührte sich nicht vom Fleck. Das trieb ich ihm aus, mit der Lanze. Ein wohlplazierter Stich in sein schlappes Hinterteil, und er legte sich wacker ins Zeug. Sam öffnete die Tür in der Mauer. Der Wagen paßte durch, gerade so. Ab durch den Wald, über Stock und Stein, bis zur Lichtung, und zur Höhle. Der Drache war nicht zu sehen. Miriam Kraus klammerte sich noch immer an ihren Ast.

Miriam: Er hat sie gefressen! Beide! Erst die Frau, dann Eckart!

Jonas: Ich hab’s gesehen, auf Artus Monitor.

Artus: Machen Sie mich los, Jonas, ich bitte Sie, lassen Sie mich gehen, ich zahle Ihnen, was Sie wollen. Ah, er kommt raus, o Gott!

Jonas: Ja wenn Sie auch so einen Radau machen, Artus, hü, noch ein Stückchen näher ran, wird’s bald, Esel?

Artus: Nein, da ist er, Rex, der Drache, Hilfe, Hilfe, Hilfe!

Jonas: Mein Zugtier fiel um, und blieb liegen, aber das war jetzt egal, der Drache marschierte über die Lichtung, Richtung Wagen, Richtung Jonas, richtig flott, offenbar war er immer noch hungrig. Ich nahm die Panzerfaust an die Schulter, und ließ ihn näher kommen, noch etwas näher. Dann drückte ich auf den Abzug.

Sam: Oh, Volltreffer.

Jonas: Und jetzt noch die Handgranate.

Miriam: Ist er tot?

Jonas: Scheint so. Mal sehen, ob er reagiert, wenn ich ihn mit der Lanze pieke. Nein, er ist hinüber. Artus auch, die Konfrontation mit seinem Schoßtier hat er nicht ausgehalten. Vor Angst gestorben, wie Vivian Eastwood.

Sam: Ein dreifach Hoch, ein vierfach Hoch, ein fünffach Hoch dem mutigen Drachentöter Jonas.

Miriam: Bravo! Bravo, Jonas!

Jonas: Festhalten, Miriam!

Miriam: Ups!

Sam: Wohin so schnell, o schöne Frau?

Jonas: Zu spät. Sie fiel vom Baum und verlor das Bewußtsein. Ich schleppte sie aus dem Drachenwald, zum Helikopter, und flog mit ihr zurück nach Babylon, wo ich sie im städtischen Krankenhaus ablieferte. - Mitternacht. Ich war wieder zuhause. In meinem Büroapartment. Ich fühlte mich etwas mitgenommen. Von Mode und Mittelalter, von Designern und Drachen, ich brauchte Ruhe. Sam war leider anderer Ansicht.

Sam: Ruhe? Na, Lob braucht ihr und Preis, mein tapferer Herr und Meister. Singe o Muße die Taten des drachenerlegenden Jonas.

Jonas: Laß das, Sam.

Sam: Verzeihung, Stilbruch, klassisches Altertum, Homer. Neuer Ansatz, Nibelungenstrophe: Ein Drache haust im Walde, der fraß so manche Maid, doch Jonas, der kam balde, es war die höchste Zeit, die Panzerfaust, sie knallte...

Jonas: Halt die Klappe.

Sam: Als der Drache frechgeworden, wollte er den Jonas morden, Ritter Jonas gar nicht faul, schießt dem Drachen auf das Maul, daß er daran verendet.

Jonas: Schluß.

Sam: In dem finsteren Drachenwald, hu, wie pfiff der Wind so kalt, und es saß, man glaubt es kaum, eine Maid hoch auf dem Baum, so voller Angst und Bangen.

Jonas: Aus.

Sam: Jonas kam auf stolzen Wagen, um den Drachen zu erschlagen, Panzerfaust und Handgranat, ja, Herr Jonas ist auf Trab, und so blieb er Sieger.

Jonas: Feierabend.

Sam: Fei-ei-eieieieierabend

Das war Drachentöter. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Karin Anselm, Karl Lieffen, Irina Wanka, Jochen Striebeck, Helmut Stange und andere (Jan Becker, Nuran Calis, Boris Nicolay, Yvonne Brosch). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller, Regieassistenz Holger Buck und Sieghard Fieber, Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1998. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:28
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Blackout

Jonas: Ich wachte auf. Wie jeden Morgen. Soweit nichts Besonderes. Aber wenn ich aufwache, liege ich im Bett. Normalerweise. Diesmal nicht. Diesmal lag ich im Eingang eines Hauses. An einer Straße. War ich schon mal auf der Straße aufgewacht? Ich konnte mich nicht erinnern. Ich konnte mich an nichts erinnern. An gar nichts. Ich richtete mich auf, kam auf die Beine, sah mich um. Viele Fahrzeuge auf der Straße. Und Menschen. Menschen über Menschen. Alle in Bewegung. Eifrig. Zielstrebig. Leicht verblödet. Ich stand nur da. Nicht eifrig. Auch nicht zielstrebig. Aber verblödet. Nicht nur leicht. Völlig. Total. Ich wußte nichts mehr. Ich wußte nicht, wo ich war. Nicht, wie ich hergekommen war. Und vor allem nicht, wer ich war. In meinen Kopf gab es nichts als Nebel. Der Nebel fing an, sich zu lichten. Langsam, sehr langsam. Mir fiel was ein: Ich war Jonas. Nur Jonas. Frage: Wer war Jonas? Ich erkannte das Haus, vor dem ich stand. Hier wohnte Jonas. Ich ging rein. Am Lift hing ein Schild: Vorübergehend außer Betrieb. Der Lift war kaputt. Wie immer, fiel mir ein. Also Treppensteigen. Viele Treppen. Bis zum 16. Stock. Dann durch einen dunklen Gang. Zu einer Tür mit Messingschild. Jonas, stand drauf, nur Jonas. Ich griff in die Tasche. Ich holte ganz selbstverständlich einen altmodischen Schlüssel raus. Und gar nicht selbstverständlich einen Zettel. Darauf stand geschrieben: "Sie sind Jonas. Nur Jonas. Der letzte Detektiv. Sie sind in Lebensgefahr. Tauchen Sie unter!" Ich schüttelte den Kopf, und steckte den Schlüssel ins altmodische Türschloß.

Sam: Wohin bist du entschwunden? Du gingst hinfort, und niemals kehrst du wieder. Lieb war er mir, und wert und teuer. Auch wenn er unter uns gesagt ein Hohlkopf war, eine mentale Schlaftablette, ein veralteter Biobrain, kurz: nur ein Mensch, ja sei’s drum. Er war ein Mensch, nehmt alles nur in allem. Wann werden wir wohl seinesgleichen sehen? O nie, o nimmer, o nimmermehr. Schultz, äh schluchzt.

Jonas: Der Radau in meinem Büroapartment war Sam. Das wußte ich. Aber ich wußte nicht, wer oder was Sam war.

Sam: Na wer schon? Dein allzeit getreues Computerlein, bis dato verwaist und verlassen, doch nunmehr, Hosianna, Halleluja, Holldriadiö, ist er zurück, der Jonas, der letzte Detektiv, der meinige. Sammy ist wiederum bevatert, bemuttert, beonkelt, betantet, beschwiegermuttert, betütelt.

Jonas: Ruhe.

Jonas: Richtig.

Sam: Ja.

Jonas: Sam war mein Computer. Ein gewaltiger Quassler vor dem Herrn. Ein kleiner Blechkasten auf Rädern. Unentbehrlicher Begleiter und Ratgeber. Warum war er nicht in meiner Tasche? Und was war überhaupt los mit Jonas? Woher der Nebel in meinem Kopf? Die Löcher in meinem Gedächtnis? Ich wußte es nicht. Doch wozu hat der Mensch einen Computer?

Jonas: Was ist passiert, Sam?

Sam: Hinfort ging er, mein Jonas.

Jonas: Wann?

Sam: Am Tage vor diesem.

Jonas: Gestern?

Sam: Präzis am 4. Julei anno 2014, da die Walduhr, Korrektur, da die alte Wanduhr schlug die 14. Stunde, die 5. Minute, die 16. Sekunde.

Jonas: Gestern, 5 nach zwei, da habe ich das Haus verlassen. Allein.

Sam: Zur Gänze, Maestro, will sagen, ohne Sam. Von wegen dem vorausgegangenen Stromausfall und dem aus dem selben resultierenden mangelhaften Ladezustand von dero Hoheit ergebendsten Computer. Denn merke: Kommt nicht Saft aus Dose, geht Sams Kraft in die Hose, hahahahaha.

Jonas: Bleib bei der Sache, Sam, ich bin also weggegangen, und dann?

Sam: Ja, dann verging die Zeit. Der elektrische Strom kehrte wieder, doch wer nicht zurückkam, war mein Herr und Meister. Samwat und noit, mit aller letzter Kraft rollte er zur Steckdose und sprach: Einmal volltanken, Chef, und wenn Sie schon dabei sind, können Sie auch gleich die Scheiben waschen.

Jonas: Scheiben? Was für Scheiben?

Sam: Eine Assoziation, Sir. Eine Reminiszenz aus der dunklen Ära des Verbrennungsmotors.

Jonas: Bleib in der Spur, Sammy. Weiter.

Sam: Weiber, jawoll, äh, weiter, jawohl. Es wurde abend. Es wurde Nacht. Kein Mensch. Kein Jonas. Sam raufte sich die Haare.

Jonas: Du hast keine Haare, Sammy.

Sam: Zu Befehl, keine Haare. Überall hat Sammy nachgefragt. Alle relevanten Dateien hat er durchgecheckt. Puzileistationen, Krankenhäuser, Irrengestalt äh Anstalten, und gar, pfui Teifel, Leichenschauhäuser.

Jonas: Sehr umsichtig, Sam.

Sam: Ja, es war alles umsunst. Denn welch Glück erlebet er, erlebet er, erlebt net alle Tage.

Jonas: Mehr oder weniger.

Sam: Doch wie schaut er aus, mein Jonas? Bläßlich, grünlich, gelblich, so recht käsig chinesig. Und was hat er denn da am Kopf?

Jonas: Ja was hab ich denn da am Kopf? Au!

Sam: Druckstellen an der Denkerstirne. An den grauen Schläfen. Am edlen Hinterkopfe desgleichen, hmh?

Jonas: Au, ja, da auch.

Sam: Aha, am Kopf Druckstellen von angesetzten Elektroden, ferner Lücken im Gedächtnis, Sam schwant was, aha.

Jonas: Ach ja?

Sam: Schwanensee. Ein Wort nur: Memoryklau.

Jonas: Memoryklau? Was ist das?

Sam: Das wissen gnädiges Fräulein nicht?

Jonas: Nie gehört, Sam, oder vielleicht doch?

Sam: Es schellt das Fon, nun nimms doch schon.

Jonas: Jonas, nur Jonas.

Jasmin Lamour: Sie sind zurück? Gut. Was haben Sie erreicht?

Jonas: Auf dem kleinen Fonbildschirm erschien eine wunderschöne Frau. Wie Venus in der Muschel. Nur daß die Anruferin was anhatte. Sehr schick sah sie aus, sehr sexy. Ich kannte sie nicht, aber ich hätte sie gern gekannt. Bei ihr war’s anders. Sie kannte mich. Und ich kannte sie, sagte sie.

Jasmin Lamour: Aber natürlich kennen Sie mich, Herr Jonas. Jasmin Lamour. Gestern war ich bei Ihnen.

Jonas: Wenn Sie meinen. Und worum ging’s?

Jasmin Lamour: Um meinen plötzlichen Gedächtnisverlust. Den sollten Sie aufklären.

Jonas: Gedächtnisverlust? Wann waren Sie hier?

Jasmin Lamour: Gestern, kurz nach 12.

Sam: War sie, Kampel. Sammy ist Zeuge. Na, immer noch Mattscheibe? Dann horch mal zu und paß schön Obacht.

Jonas: Sie erzählten mir, was gestern mittag bei mir abgelaufen war. Mit vereinten Kräften. Sam und die schöne Frau im Fon. Jasmin Lamour. Ihren Namen hatte sie noch gewußt. Und ihren Beruf. Kriegsreporterin in der Drittwelt. Ansonsten Fehlanzeige. Löcher im Gedächtnis. Lücken im Hirn. Und Druckstellen am Schädel. Sieh mal an.

Sam: Alles klar, Gnädigste wurden angezapft.

Jonas: Sehr wahrscheinlich. Ihr Verband am rechten Knie, Frau Lamour, sieht neu aus.

Sam: Unprofessionell.

Jasmin Lamour: Nur eine Hautabschürfung. Ich hatte einen kleinen Unfall. Ich bin gestürzt. Auf der Straße.

Jonas: Das wissen Sie also noch.

Jasmin Lamour: Ja, vorgestern, am van-Dusen-Platz, und dann...

Jonas: Ja?

Jasmin Lamour: Nichts mehr. Mehr weiß ich nicht.

Jonas: Hat man Sie in ein Krankenhaus gebracht?

Jasmin Lamour: Ich weiß es nicht.

Jonas: Der Verband sieht ganz danach aus. Sam?

Sam: Schon da, Gevatter. Piep. Im Bereich van-Dusen-Platz nur ein einziges Krankenhaus. Professor-Sauerbier-Klinik. Schwerpunkt Neurologie.

Jonas: Na so was.

Sam: In Patientendatei keine Jasmin Lamour.

Jonas: Hätte mich auch gewundert. Die hinterlassen keine Spuren im Netz.

Jasmin Lamour: Die?

Jonas: Memoryklauer. Sagt Ihnen nichts, Frau Lamour?

Jasmin Lamour: Nein.

Jonas: Erklär’s ihr, Sammy. Kurz und knapp, wenn ich bitten darf.

Sam: Bitte sehr, bitte gleich, bitte kurz, bitte knapp. Hhrmhrm, meine Daumen und Hirn, Korrektur, meine Damen und Herren, liebe Kleinkinder, hochgeschätzte Festversammlung, wir haben uns hier zusammengefunden...

Jonas: Sam!

Sam: OK OK, OK OK, also, die illegale Entnahme individueller Gedächtnissegmente zwecks kommerzieller Verwertung, vulgo Memoryklau, stellt eine neuartige Aktivität gewisser mit technischem Know-how, krimineller Energie sowie ausgeprägtem Gewinnstreben ausgestatteter Mitbürger dar. Die Prozedur ist folgende: Das Gedächtnis von Menschen mit ungewöhnlichen Berufen und/oder Biographien wird gesichtet, besonders interessante Erlebnisse werden entnommen, elektronisch aufbereitet und in CD-Form verkauft, an Menschen, die nicht den Mut oder die Voraussetzung aufweisen, selbst ein außergewöhnliches Leben zu führen, und denen die übliche Kompensation mittels virtueller Realität zu langweilig ist. Dank Memoryklau erwerben diese Menschen Pseudo-Erinnerungen, die ihnen jedoch durchaus konkret real gelebt erscheinen. Die Opfer bleiben mit entsprechenden Gedächtnislücken zurück. Das Abzapfen von Memory ist teuer und aufwendig, man benötigt hierzu komplizierte neurologische Apparaturen, wie sie sich nur in gutausgestatteten Kliniken finden.

Jasmin Lamour: Ich verstehe. Was hat ihr Computer?

Sam: Total geschafft, hab keinen Saft.

Jonas: Ich kann ihn nicht aufladen, wegen Stromausfall. Fertig, Sam?

Sam: ...Einspielen von Memory-CDs unaufwendig, über Spezial... modul... Ende der Durchsage.

Jonas: Danke, Sammy.

Sam: Bitte.

Jasmin Lamour: Und Sie glauben, Herr Jonas, daß mir so etwas zugestoßen ist.

Jonas: Todsicher. Ist doch ein hochinteressanter Beruf, Kriegsreporterin in der Drittwelt. Massaker, Greueltaten am laufenden Band. Ich kümmere mich um Ihren Fall, Frau Lamour, für 120 Euros pro Tag und Spesen.

Jasmin Lamour: In Ordnung. Ich rufe Sie morgen an.

Jonas: Laserstrahler nicht geladen, Neurofreezer auch leer. Nehm ich also die gute alte Smith & Wesson.

Sam: Was hast...

Jonas: Was ich vorhabe? Ich sehe mir dieses Krankenhaus mal an, die Professor-Sauerbierklinik.

Sam: Nimm mich...

Jonas: In deinem Zustand? Du bleibst schön hier, und wenn’s wieder Strom gibt, lädst du dich auf, OK?

Sam: Oh...

Jonas: Das war gestern. Laut Sam und Jasmin Lamour. Und heute? Heute kuckte Jonas blöd aus der Wäsche. Und konnte sich nicht erinnern.

Jasmin Lamour: Was geschah in der Klinik, Herr Jonas?

Jonas: Weiß ich nicht.

Sam: Euer Gnaden Smith & Wesson?

Jonas: Hab ich nicht mehr.

Sam: Warum nicht?

Jasmin Lamour: Man hat Ihnen also auch das Gedächtnis gestohlen. Wie mir. Wissen Sie was, Herr Jonas, wir tun uns zusammen. In einer Stunde bin ich bei Ihnen.

Jonas: Jonas war’s recht. Sehr recht sogar. Ich wollte mein Gedächtnis zurück. So schnell wie möglich. Und Jasmin Lamour gefiel mir. Ihr Name fing mit J an, ein gutes Omen. Ich wartete auf sie. Und ließ Sam solange überprüfen, was in meinem Gedächtnis fehlte. Das war gar nicht so viel, meinte er.

Sam: Lediglich einige wenige ihrer verehelichen Fälle, o Sherlock Holmes des 21. Jahrhunderts.

Jonas: Wieviel?

Sam: Naja, so rund 30 an der Zahl.

Jonas: 30? Und das nennst du wenig?

Sam: Ach wissen Sie, Boss, das Leben geht weiter.

Jonas: Ich sag dir was, Sammy. Ein Detektiv, der sich an seine interessantesten Fälle nicht erinnern kann, der ist keiner.

Sam: Na und? Bist du eben nicht mehr Jonas, der letzte Detektiv. Bist du nur noch Jonas, der letzte. Hahahahaha!

Jonas: Halt die Klappe.

Sam: Horch was kommt von draußen rein, hollabi, hollabu.

Jonas: Frau Lamour, nehme ich an.

Sam: Ah so.

Jonas: Herein!

Sam: Was?

Jonas: Es war nicht Jasmin Lamour. Es war ein junger Mann, in altmodischem Business Outfit. Nadelstreifen, Krawatte, Aktenkoffer. Versicherungsvertreter?

Killer: Keineswegs, Herr Jonas. Sie sind doch Herr Jonas?

Jonas: Und wenn?

Killer: Dann hätt ich was für Sie. Falls Sie daran interessiert sind, Ihr Gedächtnis zurückzuerhalten. Sind Sie das, Herr Jonas?

Jonas: Aber sicher.

Sam: Fürsicht, Meister, denn siehe, sprach Zara Leander...

Jonas: Sei still, Sam.

Killer: Sehen Sie, Herr Jonas, hier in meinem Aktenkoffer, habe ich Ihre ganz spezielle individuelle Memory-CD. Sie brauchen sie nur über ein Modul in Ihr Hirn einzuspielen...

Sam: Achtung, er hat eine Waffe! A-ü-a-ah, a-ü-a-ah, a-ü-a-ah, a-ü-a-ah...

Jonas: Eine Waffe, keine Memory-CD. Eine Kurz-MP von Keckler & Hoch, Typ SW7, er zog sie aus dem Koffer, richtete sie auf Jonas, der reagierte nicht, zu dösig und mitgenommen. Aber da war ja noch Sam. Sam, der Unentbehrliche. Er heulte wie eine Sirene, rollte blitzschnell an, fuhr eine Zange aus, und kniff den Kerl in die linke Wade, direkt über der schwarzen Perlonsocke. Was den erheblich irritierte. Er schoß vorbei. Und bevor er noch mal zielen und abdrücken konnte, hatte ich mich bekrabbelt. Ein kurzer Tritt gegen den Arm, er ließ die MP fallen. Jonas fing sie auf, das veranlaßte ihn, sich zu empfehlen. Schnell, über den Gang, die Treppe runter. Ich ließ ihn laufen.

Sam: Hinterher, du Lahmgesäß. Knips ihn ab, mach ihn tot.

Jonas: Immer mit der Ruhe, Sam. Zum Beißen hab ich dir die Zange eigentlich nicht gekauft.

Sam: So ist’s recht. Sam rettet sein erbärmliches Leben, und er meckert. Und der Typ hat auch noch ganz scheußlich geschmecket. Wüah, richtig widerloch.

Jonas: Du hast keinen Geschmacksinn, Sammy. Was ist los, warum hat der auf mich geschossen?

Sam: Weil das sein Job ist, du Dummie. Weil er zur Todesschwadron gehört. Siehe Outfit, siehe Waffe.

Jonas: Todesschwadron?

Sam: Ach du liebes Gottchen, nicht mal det weeß er noch. Merke: Die Todesschwadron ist die größte und solideste Profikillerfirma in Bab-ysilon. Fall Euroblues. Aber an den können Hochwürden sich ja auch nicht erinnern.

Jonas: Profikiller? Wer hat die auf mich angesetzt, Sam, und warum? – Ja?

Ines Sikorski: Seien Sie vorsichtig. Die Todesschwadron ist hinter Ihnen her.

Jonas: Hab ich gemerkt. Wer sind Sie?

Ines Sikorski: Sie sind Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv. Sie sind in Lebensgefahr. Tauchen Sie unter!

Jonas: Haben Sie mit den Zettel in die Tasche gesteckt?

Ines Sikorski: Tauchen Sie unter!

Jonas: Diesmal kein Bildfon. Der Schirm blieb dunkel. So dunkel wie die ganze Geschichte. Memoryklauer. Profikiller. Und jetzt noch eine geheimnisvolle Warnerin. Wer war sie? Jasmin Lamour?

Jasmin Lamour: Nein, Herr Jonas, ich habe nicht vor zehn Minuten bei Ihnen angerufen. Warum fragen Sie?

Jonas: Nicht so wichtig.

Jasmin Lamour: Was tun wir, Herr Jonas, was schlagen Sie vor?

Jonas: Vielleicht sollte ich noch mal zur Sauerbierklinik.

Sam: Dürfte der niedriggeborene Diener sich erfrechen, einen wohlgemeinten Ratschlag von sich zu geben?

Jonas: Dazu hab ich dich, Sammy, schieß los.

Sam: Da mein Meister sich im Vollbesitz seiner detektivischen und intellektuellen Fähigkeiten befand, besuchte er besagte Klinik zum ersten Male, und dieser Besuch endete mit einem Desaster. Wie wird es ihm, rammdösig und hirngelöchert, wohl bei einer zweiten Visite ergehen, ha?

Jasmin Lamour: Ihr Computer hat recht, Herr Jonas.

Sam: Hab ich immer.

Jonas: Also lassen wir die Klinik. Vorerst. Bis ich mein Gedächtnis wiederhabe.

Jasmin Lamour: Und wo, Herr Jonas, bekommt man Gedächtnisse jeder Art?

Sam: Im Memorycenter.

Jasmin Lamour: Genau.

Sam: Im Reservat.

Jonas: Das Reservat. Ich konnte mich vage erinnern. Im wilden Südosten von Babylon. Seit den Unruhen vor 15 Jahren eine Trümmerlandschaft. Und ein exterritorialer Bezirk. Wo Polizei und Verwaltung nichts zu sagen haben. Wo sich alle festgesetzt hatten, die in Babylon unerwünscht waren. Freaks, Mutanten, Illegale. Wo es Klonfabriken gab. Stimshops. Und das Memorycenter. Ein ehemaliger Supermarkt. Relativ leicht zu erreichen. Gleich hinter der Grenze. Nicht weit vom Gigant-Hotel. Jasmin kam mit. Jonas war einverstanden. Wenn die Erinnerung löchrig wird und die Welt unscharf, dann ist es gut, eine schöne Frau zur Seite zu haben. Außerdem war sie ja auch auf der Suche nach dem verlorenen Gedächtnis.

Verkäuferin: Kriegsreporterin? Tut mir leid. Da hab ich momentan nichts am Lager. So was kommt selten rein und geht schnell wieder raus. Ist ja auch interessant, nicht? Und was sucht der Herr?

Jonas: Privatdetektiv.

Verkäuferin: Detektiv? Sie meinen Kriminalpolizei?

Jonas: Ich meine Privatdetektiv. Privat.

Verkäuferin: Ist schon klar. Nein, haben wir nicht. Seit ich hier arbeite, haben wir noch nie ein Privatdetektiv-Memory gehabt. Noch nie. Und wenn...

Jonas: Und wenn ich in den nächsten Tagen noch mal vorbeikomme, vielleicht kriegen Sie ja inzwischen was rein.

Verkäuferin: Wenn wir was kriegen, dann haben wir schon eine Vorbestellung. Von einem Kunden, der alles kaufen will, was irgendwie mit Privatdetektiven zu tun hat.

Jonas: Wer ist das? Wie heißt er?

Verkäuferin: Bedaure. Keine Namen, keine Auskünfte. Geschäftsprinzip. Tja, wäre die Dame vielleicht interessiert an einer Wärterin im Frauengefängnis, oder an einer mesopotamischen Foltermagd?

Jasmin Lamour: Ganz bestimmt nicht.

Verkäuferin: Nun ja, ist ja auch nicht jederfraus Sache. Und der Herr? Verunglückter Astronaut? Marskolonist? Oder Haremswächter im Sonderangebot?

Jonas: Danke.

Verkäuferin: Fragen Sie ruhig mal wieder nach.

Jonas: Im Memorycenter also Fehlanzeige. Was jetzt? Erst mal raus aus dem Reservat. So schnell es ging. Das war nicht sehr schnell. Wegen Jasmin. Sie hatte Probleme mit ihrem Knie. Die Hautabschürfung. Der Unfall von neulich. Ab und zu mußte sie Pausen einlegen.

Jonas: Soll ich Sie tragen?

Jasmin Lamour: Nicht doch, es geht schon. Ich bin gleich soweit.

Sam: Achtung, Achtung! Auffälliger Luftverkehr. Helikopter aus Richtung Giganthotel.

Jonas: Geht uns nichts an, Sammy.

Sam: Ja, das glaubst du, mein unschuldsvoller Engel. Remember the Alamo. Will sagen: Fall Eurodschungel.

Jonas: Euro... was?

Sam: Ach, vergessen natürlich. Dann spitz mal deine Lauscher, ja? Helikopter über Reservat bedeutet Gefahr, ganz besonders, wenn er in unsere Richtung fliegt und seinen Suchscheinwerfer eingeschaltet hat.

Jonas: Vielleicht hast du recht, Sam.

Sam: Hab ich immer.

Jonas: Jasmin, gehen Sie in Deckung!

Jonas: Der Scheinwerfer hatte uns erfaßt. Wer immer im Helikopter saß, fing an zu schießen. Auf uns. Ziegelsplitter flogen durch die Luft. Jonas hockte hinter einem Geröllhaufen. Und schoß zurück. Mit der Keckler & Hoch, die er sich eingesteckt hatte. Für alle Fälle. Glas klirrte, der Scheinwerfer ging aus. Gut so. Ich griff mir Jasmin und zog sie ins untere Geschoß einer Hochhausruine. Keine Sekunde zu früh. Der Helikopter knipste einen zweiten Scheinwerfer an, und landete. Knapp 100 Meter entfernt. Drei, vier, fünf Figuren sprangen raus. City-Anzüge, Aktenkoffer, MP’s. Sie wußten, wo wir steckten, arbeiteten sich vor. Und schossen. Fünf Todesschwadronöre gegen einen Jonas. Unfair.

Jonas: Lange kann ich sie nicht aufhalten. Laß dir was einfallen, Sam!

Sam: Ja wie denn, wo denn, was denn? Ist Sam ein Magier? Eine Wundertüte? Hä? Wächst ihm ein Kornfeld auf der flachen Hand?

Jasmin Lamour: Kornfeld wäre nicht schlecht, da könnten wir uns verstecken.

Mutant: Meine Dame, mein Herr, seien Sie gegrüßt. Welche Freude, daß Sie meine bescheidene Behausung mit Ihrem hohen Besuch beehren.

Jasmin Lamour: Wer was das?

Jonas: Wo war das?

Sam: Da hinten, wo`s ganz dunkel ist.

Jasmin Lamour: Da leuchtet was.

Sam: Ja ja.

Jonas: Drei rote Augen. Eins über den beiden anderen. Ein Dreieck. Ein Warnschild. Dann trat der Sprecher ins Helle. Die Sprecherin. Das Sprecher. Ein nacktes Neutrum. Hellgrün, haarlos, und dreiäugig. Ein Mutant. Kein erfreulicher Anblick. Dennoch hochwillkommen. Wer in der Scheiße sitzt, greift nach jedem Strohhalm. Und nach jedem Mutanten.

Mutant: Wie es scheint, gibt es gewisse Probleme zwischen Ihnen und den Herrschaften dort draußen.

Jonas: So kann man’s auch sagen. Die wollen uns umbringen.

Mutant: Wie unhöflich.

Jonas: Können Sie uns helfen?

Mutant: Nun, einerseits widerstrebt es mir zutiefst, mich in die Auseinandersetzungen mir unbekannter einzumischen, doch kann ich es andererseits keinesfalls zulassen, daß meine Besucher in meinem Salon gemeuchelt werden. Haben Sie die Güte, mir zu folgen.

Jasmin Lamour: Wohin?

Mutant: Zum Dienstboten- und Lieferanteneingang, zur Hintertür, wenn Sie so wollen. Bitte sich ein wenig zu sputen. Die Zeit drängt, und eine gewisse Beschleunigung wäre durchaus nicht unangebracht.

Jasmin Lamour: Ich kann nicht laufen. Mein Bein.

Jonas: Ich nehme Sie huckepack, Jasmin, steigen Sie auf. Halten Sie sich gut fest.

Sam: Ich steig auch auf.

Jonas: Es ging nach hinten, ins Dunkle. Was den Mutanten nicht störte, er hatte Leuchtaugen. Durch eine Falltür nach unten, in den Keller. Noch eine Falltür, darunter ein tiefer Schacht, am Rand rostige Metallklammern. Als der Schacht zu Ende war, weiter in der Horizontalen. Ein niedriger Gang aus roten Ziegeln. Hier roch es nicht gut.

Sam: Ein alter Abwasserkanal. Fall Unterwelt, weißt du doch, Jonas mein.

Jonas: Weiß ich nicht, Sam, weißt du doch.

Sam: Tschuldigung. Da ist olle Sam mal wieder voll in den Fettnapf gelatscht.

Jasmin Lamour: Werden Sie uns verfolgen?

Mutant: Die unerquicklichen Herren mit den Maschinenpistolen? Ich wage es zu bezweifeln, meine Dame. Dazu dürfte es ihnen denn doch an Wagemut und Entschlossenheit mangeln. Sie fürchten die Ratten, welche hier unten heimisch sind.

Sam: Und die Lemuren, die Kannibalen.

Mutant: Mag sein.

Jonas: Jasmin hatte sich erholt. Sie konnte wieder laufen. Was Jonas das Leben leichter machte. Auch wenn er sich noch immer nicht erinnern konnte. Dafür war Sam da. Und für die zusätzliche Beleuchtung. Im Schein seines Lichtstrahls sahen wir, daß der Gang sich vor uns gabelte. Unser Führer wollte nach rechts.

Mutant: Meine Dame, mein Herr, folgen Sie mir.

Sam: Laß ihn laufen, Chef, wir halten uns links. Da geht’s raus.

Mutant: Mitnichten, verehrter Computer, Sie unterliegen einem Irrtum. Der rechte Weg ist rechts.

Sam: Hehe, für dich vielleicht, du nackter Laubfrosch. Nicht für uns. Indem daß es rechts zur Lemurenhöhle geht, direkt Mann in den kannibalistischen Kochkessel. Ja, da sollen wir rein. Genau das hat er vor, unser grasgrüner Freund. Ein sehniger Privatdetektiv und eine dünne Kriegsreporterin, nicht gerade ein üppiger Festschmaus, aber besser als Luft und Liebe, gell, du Kackfrosch.

Mutant: Die ungeheuerliche Unterstellung des verehrten Computers weise ich aufs entschiedenste zurück. Lassen Sie sich nichts einreden, meine Dame, mein Herr, kommen Sie mit mir.

Jonas: Lieber nicht. Sam kenn ich schon lange, und Sie erst seit ein paar Minuten. Nichts für ungut. Vielen Dank für Rattung und Führung, aber unsere Wege trennen sich, so long.

Jonas: Der Mutant verzog sich, muffig und mürrisch. Wir steuerten links, das war gut. Nach etwa 300 Metern ging's raus, durch einen Gully auf eine dunkle Straße. Irgendwo im babylonischen Osten. Verrammelte Häuser, finster, abweisend. Dazwischen altmodische blaue Neonbuchstaben: Zum Wasserloch. Eine Kneipe. Synth-Whiskey und Soja-Kaff. Genau das, was wir brauchten.

Jasmin Lamour: Kein Soja-Kaff.

Jonas: Kein Whiskey, nur Strohrum.

Sam: Aus dem Automaten. Buwäh, pfui Spinne und Spurgel.

Jonas: Nicht gerade üppig, aber besser als Luft und Liebe, oder Sam?

Sam: Ah, Sam kennt nicht die Liebe, Sam trinkt nur Maschinenöl.

Jonas: Auch nicht viel schlimmer als dieser Rum. Ihr Wohl, Jasmin.

Jasmin Lamour: Mögen wir bald wieder in Besitz unserer Erinnerung sein.

Holo: In der heutigen Ausgabe unserer Talkshow Nichts geht über dich...

Jonas: Wenn wir auch noch keine Ahnung haben, wie wir das anstellen sollen.

Holo: ...besondere Menschen, besondere Schicksale, begrüßen wir als Gast Herrn

Janus: Janos. Nur Janos.

Holo: Herrn Janos, den letzten Detektiv.

Sam: Ruhe! Seid doch mal still, Leute.

Holo: Herr Janos wird uns von seiner Arbeit erzählen...

Jonas: Was ist denn in dich gefahren, Sam?

Holo: ...seinen Abenteuern, seinen interessantesten Fällen.

Sam: Da, im Holo, hört doch mal, kuckt doch mal!

Holo: Die spielen nicht alle in Babylon.

Jasmin Lamour: Ach, Ihr Computer nervt, Jonas, schalten Sie ihn ab.

Jonas: Augenblick mal.

Janos: Sehr richtig. Da war ich zum Beispiel, das muß jetzt so ungefähr dreieinhalb Jahre her sein, im wilden Kusbekistan, eine richtige Todestour, das kann ich Ihnen sagen. Oder die Sache mit dem Schlachthaus in Costaguana, Südamerika, wissen Sie, und...
Holo: Was war denn Ihr bisher aufregendster Fall, Herr Janos?

Janos: Ach, das ist eine schwierige Frage. Eigentlich waren sie alle aufregend. Alle meine 32 Fälle.

Holo: Nennen Sie uns doch einfach einen oder zwei.

Janos: Megastar vielleicht, oder mein Trip in die Strafkolonie, Inselklau, Westfront, Kopfjäger...

Holo: Gleich können Sie uns mehr erzählen, Herr Janos...

Sam: Alles Jonas-Fälle, alles Jonas-Fälle.

Jonas: Glaub ich dir aufs Wort, Sam.

Holo: Jetzt machen wir ein bißchen Musik, mit den swingenden Lords, und dann... bleiben Sie dran.

Sam: Der hat sie geklaut und geht damit im Holo hausieren, dieser...

Jonas: Janos.

Sam: Nein, so heißt er nicht, ganz bestimmt nicht, Janos, nur Janos, der letzte Detektiv. Alles geklaut, alles Pseudo.

Jonas: Dieser sogenannte Janos hat also jetzt meine Erinnerungen. Vermutlich ist er auch der Kunde im Memorycenter, der sich so für Privatdetektive interessiert. Findest du, daß er mir ähnlich sieht, Sam?

Sam: Naja, beim genauen Hinsehen kommt er mir irgendwie bekannt vor.

Jasmin Lamour: Überhaupt nicht. Sie sehen viel besser aus, Jonas.

Jonas: Danke. Wir sollten uns diesen Hochstapler vorknöpfen.

Sam: Indeed, Sir, and how? Haben Herr Meisterdetektiv already einen Meisterplan?

Jonas: Über die Holostation. Wir gehen hin, kriegen raus wie der Kerl wirklich heißt, wo er wohnt.

Jasmin Lamour: Wäre es nicht besser in der Professor-Sauerbierklinik?

Jonas: Das hat Zeit, Jasmin. Erst zu Network.

Jasmin Lamour: Aber doch nicht sofort, Jonas.

Sam: Hört, hört, wo Sie recht hat, hat sie recht. Nichts überstürzen, sagt der weise Bosequo. Immer mit der Ruhe, eins nach dem anderen, und eine nach der anderen.

Jonas: Eile mit Weile, was du heute kannst besorgen, nein, nein, das paßt nicht.

Sam: Ja, find ich auch. Vorschlag zur Güte. Suchen wir zunächst euer Gnaden feudalen Palazzo auf, zwecks Aufrüstung: Neurofreezer und Laserstrahler dürften inzwischen wieder voll geladen sein. Und dann sollen sie nur kommen, Todesschwadronen, Memoryklauer, falsche Detektive. Wir werden ihnen den Marsch blasen.

Jonas: Darauf einen Strohrum.

Sam: Davon wird man strohdumm.

Jonas: Vor der Tür zu meinem Büroapartment stand eine Frau. Nicht ganz so schön wie Jasmin, nicht ganz so schlank, nicht ganz so jung, aber doch sehr ansehnlich. Sie wartete auf Jonas.

Ines: Ich brauche dringend einen Detektiv, weil ich nämlich ganz plötzlich mein Gedächtnis verloren habe.

Jonas: Sie auch, das ist ja eine richtige Epidemie.

Ines: Darf ich eintreten?

Jonas: Wollen wir sie reinlassen, Sam?

Sam: Sie ist es, Genosse.

Jonas: Sie ist wer?

Sam: Die mysteriöse Warnerin am Fon.

Jonas: Die mit dem Zettel. Bist du sicher, Sam?

Sam: Ach, hat Sam ein voll integriertes holografisches Vox-Ident-Programm oder hat er nicht, oder wie oder was oder doch?

Jonas: Er hat. Das Programm. Und recht hat er sowieso. Der Fall wurde immer undurchsichtiger. Ich bot der Besucherin meinen Schreibtischstuhl an, auf dem Kundensessel hatte Jasmin Platz genommen. Die beiden Frauen musterten sich flüchtig. Sie kannten sich. Überraschung.

Jasmin Lamour: Was fällt Ihnen ein, Ines? Hab ich Ihnen gesagt, Sie sollen hierherkommen?

Ines: Nein, Dr. Lamour, aber...

Jasmin Lamour: Sie wollen mir nur helfen, nehme ich an. Absolut unnötig. Mit Jonas werde ich ganz allein fertig. Der frißt mir aus der Hand. Aber wo Sie nun schon einmal hier sind, können Sie sich nützlich machen. Hände hoch, Jonas!

Jonas: Jasmin hatte einen kleinen Laserstrahler aus der Tasche gezogen. Ein Spielzeug, aber fast so gefährlich wie die große Ausführung. Vor allem aus nächster Nähe. Jasmin zielte auf Jonas. Der nahm brav die Hände hoch, und wunderte sich.

Jonas: Sie sind auf dem falschen Dampfer, Jasmin. Im Reservat hätten Sie den Laser benutzen sollen, gegen die Todesschwadron, nicht hier, nicht gegen Jonas. Ich bin auf ihrer Seite.

Jasmin Lamour: Wenn Sie sich da nur nicht irren. Ines, er hat eine Waffe, eine Keckler & Hoch, in der Jackentasche, nehmen Sie sie ihm weg. Seien Sie vorsichtig. Eigentlich ist es mir gar nicht recht, daß ich Jonas nun doch selbst erledigen muß, eigenhändig, aber was bleibt mir übrig. Die Todesschwadron hat gleich zweimal versagt, also muß ich ran, reinen Tisch machen. Schließlich haben wir einen eindeutigen Vertrag mit unserem Auftraggeber. Ines, was tun Sie? Weg mit der MP, geben Sie sie mir.

Ines: Nein, Dr. Lamour. Sie drehen Ihren Laser um, und geben ihn Jonas in die Hand. Langsam.

Jasmin Lamour: Sind Sie verrückt geworden?

Ines: Im Gegenteil. Ich bin zu Verstand gekommen. Memoryklau ist eine Sache, aber Mord...

Jasmin Lamour: Jetzt ist mir einiges klar. Sie haben ihn aus der Klinik gelassen.

Ines: Habe ich. Sagen Sie mal, Jonas, gibt’s hier so was wie einen Strick, oder Biofesseln?

Jonas: Der gute Detektiv ist auf alle Eventualitäten vorbereitet. Mehr oder weniger. Jasmin wurde gefesselt. Geknebelt. Auf meinem Bett abgelegt und zugedeckt. Was mit ihr geschehen sollte, würde sich Jonas später überlegen. Vorher mußte er sich sein Gedächtnis zurückholen. Mit Ines Hilfe. Sie war die weiße Dame im Spiel. Bisher war ich blind auf dem Feld herumgeirrt. Ines erklärte mir die Regeln. Und machte mir klar, wer noch mitspielte. Die schwarze Dame zum Beispiel. Alias Dr. Jasmin Lamour. Oberärztin an der Professor-Sauerbierklinik. Neurologische Abteilung. Wo sie sich ein einträgliches Nebengeschäft aufgebaut hatte: Memoryklau. Alles, was sie brauchte, war da. Die Apparate. Interessante Patienten. Und eine tüchtige technische Assistentin. Namens Ines. Ines Sikorski. Das Geschäft lief gut, und reibungslos. Bis eines Tages...

Ines: Bis eines Tages dieser Schellack auftauchte.

Sam: Was für’n Lack? Wenzel R. Schellack?

Ines: Ja, so heißt er.

Sam: Aha, Sam wußte doch, daß er den Kerl kannte.

Jonas: Welchen Kerl, Sammy?

Sam: O Mann, den im Holo, den Janos, den falschen Jonas.

Jonas: Und woher kennst du den, Sam?

Sam: Eieieiei, ihr kennt ihn gleichfalls, Herr Reichsbischof. Doch leider leider wißt ihrs nicht mehr. So lasset euch denn berichten. Wenzel Romuald Schellack ist ein Nichtsnutz, dumm, dußlig, faul und feige. Doch reich, da er geerbt durch seiner Väter Mühen. Indessen...

Jonas: Fasse dich kurz. Sagt der weise Bosequo.

Sam: Ach, der war das? Sam dachte, das war der weise Bosequo?

Jonas: Sam, Schellack.

Sam: Ich heiß nicht Schellack, na ja, aber selbiger sah vor drei Jahren Jonas im Holo. Als unfreiwilligen Star einer großen Privatdetektivoper, hurra, hurra, ja, Sir. Fall Megastar. Nicht erinnerlich, ich weiß schon. So angetan war er vom Geschauten, daß ihn der glühende Wunsch ergriff, selbst und persönlich privat zu detektivieren. Zu detektivfünfen. Oder sagt man zu privatdetektivieren?

Jonas: Weder noch. Er wollte also Privatdetektiv werden dieser Schellack. Und?

Sam: Und? Ja, und so kontaktete er denn Jonas. Nur Jonas, den weithin, wenn nicht gar allseits bekannten und beliebten letzten Detektiv, um diesem, man höre und staune, eine Partnerschaft zu offerieren.

Jonas: Ach, und was hab ich gemacht? Ihn vor die Tür gesetzt?

Sam: Aber achtkantig, ach was, neunkantig, zehnkantig, elfkantig, zwölfkantig, dreizehnkantig...

Jonas: Das war also vor drei Jahren. Jetzt hatte Schellack meine Fälle. Und trat damit im Holo auf. Als Janos, der letzte Detektiv. Wie das, fragte sich Jonas. Und Ines gab ihm Antwort. Schellack hatte sich mit Dr. Lamour in Verbindung gesetzt, der Memoryklauerin, und ihr den Auftrag gegeben, Jonas die interessantesten Fälle aus dem Kopf zu ziehen. Für Schellack. Lamour lockte Jonas in ihre Klinik. Als angebliche Klientin. Betäubte ihn. Entzog ihm seine Erinnerungen. Übertrug sie auf eine Memory-CD. Mit welcher sie sich sogleich zu Schellack begab. Jonas blieb in der Klinik zurück. Gedächtnis- und bewußtlos. Nach ihrer Rückkehr wollte Lamour ihm die Todesspritze setzen. Darauf hatte Schellack bestanden. Er wollte nicht nur der letzte, er wollte auch der einzige Detektiv in Babylon sein. Aber als Lamour wieder in die Klinik kam, war Jonas verschwunden.

Ines: Ich war das, Jonas. Ich habe Sie auf Ihrer Bahre in eine Ambulanz gerollt, und Sie vor Ihrem Haus abgeladen.

Jonas: Mit einem Zettel in der Tasche. Nett von Ihnen, Ines, warum haben Sie mich gerettet?

Ines: Mein Gott, warum? Weil ich bei einem Mord nicht mitmachen wollte, und außerdem sind Sie mir sympathisch. Ihr Job, Ihr Leben, Ihre Art, find ich gut.

Jonas: In Ordnung. Sie war mir auch sympathisch. Sicher, I ist nicht J, aber dicht daneben. Immerhin. Als Lamour zurückkam, stellte Ines sich dumm. Nach ihrem Testanruf am Morgen wußte Lamour, Jonas war in seinem Büroapartment. Sie war verunsichert, und gab den Auftrag, Jonas zu töten weiter, an die Experten von der Todesschwadron.

Jonas: Den Rest kenn ich. Ich bin Ihnen dankbar, Ines.

Ines: Es war mir ein Vergnügen, Jonas.

Jonas: Mein Gedächtnis muß ich mir also von Schellack holen.

Ines: Wenn Sie wollen, komm ich mit.

Sam: Von Schellack holen. Spricht sich leicht, und tut sich schwer. So einfach kann man ihn nicht besuchen, den Herrn Schellack.

Jonas: So? Wo wohnt er denn?

Ines: Schwanensee.

Sam: Na wo im Haus die Feinen pinkeln, na es Korrektur, Korrektur, wo die feinen Pinkel hausen. Zum Bleistift Herr Sesam, Fall Niemandsland. Professor Morell, Fall Westfront. Ex-Holoclown CoCo, Fall Weihnachtsmärchen.

Jonas: Etcetera etcetera, aber warum ist es so schwierig, ihn am Schwanensee zu besuchen?

Sam: Wieweil der selbe nicht am Schwanensee wohnt, wie die genannten Herrschaften, sondern im Schwanensee.

Ines: Auf seiner Yacht. Montecito heißt die.

Sam: Nach Raymond Chandler selig, welch Sakrileg.

Ines: An Bord läßt Schellack nur, wen er sehen will. Nach Voranmeldung.

Sam: Doch bei seinen Macken wäre er zu packen. Schlag nach bei Chandler, bei dem steht was drin, fidldidlbum.

Jonas: Gute Idee. Sam besorgte Schellacks persönliche Fonnummer. Jonas instruierte Ines. Die rief an und sagte, was sie sagen sollte.

Ines: Ihre Nummer hab ich von Network, der Holostation. Sie sind doch der Detektiv Janos?

Janos: Janos, nur Janos, der letzte Detektiv, jawohl, der bin ich.

Ines: Ich brauch nämlich einen. Einen Detektiv. Ganz dringend. Wissen Sie, mein Bruder, der...

Janos: Sagen Sie mir doch erst einmal, wer Sie sind.

Ines: Ach, natürlich. Ich heiße Quest-Wonderly. Mit Bindestrich. Orfamay Quest-Wonderly.

Janos: Wunderbar. Chandler und Hammett. Sie wollen mich engagieren?

Ines: Ja, vielleicht, wenn es nicht zu teuer ist.

Janos: Für Sie umsonst, meine liebe Orfamay Quest-Wonderly. Kommen Sie in mein Büro. Am besten gleich.

Ines: Ja? Ist es nicht zu spät?

Janos: Ein Detektiv ist immer im Dienst. Sie wissen, wie Sie mich erreichen?

Ines: Nein.

Janos: Also, passen Sie auf.

Jonas: Drei Stunden später. Mitternacht. Hell erleuchtete Villen spiegeln sich im dunklen Schwanensee. Ein strahlend weißer Kranz. Genau in der Mitte die Yacht Montecito. Die elektronischen Sicherungen sind abgeschaltet. Eine Besucherin ist bei Schellack. Alias Janos. In dem Büro, das er sich auf der Yacht eingerichtet hat. Neben dem Salon. Im Heck. Unter dem Fenster liegt das Boot, das die Besucherin gebracht hat. Der Ruderknecht zieht die maritime Livree aus, und enthüllt sich als Jonas, im schwarzen Kampfanzug, aus dem antarktischen Krieg. An sich trägt er ein ganzes Arsenal. Laserstrahler, Neurofreezer, Kurz-MP, und Magnetopads, an Händen und Füßen. Damit steigt er die Außenwand der Yacht hoch. Unhörbar. Am Fenster macht er Halt. Und späht in ein Detektivbüro wie aus einem alten Film. Noir. Nostalgisch.

Ines: Verschwunden ist er, mein Bruder Jonas. Und sein Gedächtnis hat er auch noch verloren.

Janos: Jonas? Merkwürdig.

Ines: Helfen Sie mir, Herr Janos. Finden Sie ihn, bitte.

Janos: Beruhigen Sie sich, trinken Sie einen Schluck. Was hältst du von ihr, Sal, und von ihrer Geschichte?

Sal: Höchst unglaubwürdig, Herr, äußerst verdächtig.

Jonas: Na, das ist ja ein Ding, sieh dir das mal an, Sammy. Hier gibt’s nicht nur noch einen letzten Detektiv, hier gibt’s auch noch nen Sam.

Janos: So, und jetzt sagen Sie mir die Wahrheit, Frau Quest-Wonderly, oder wie immer Sie wirklich heißen. Brigid O’Shaughnessy vielleicht? Was wollen Sie von mir? Wer schickt Sie?

Ines: Ich verstehe nicht...

Janos: Reden Sie sich nicht raus. Mein Computer hat Sie entlarvt. Nicht umsonst heißt er Salomo. Kurz Sal.

Jonas: Bruder von dir, Sam.

Sam: Bruder? Hahaha, so was akzeptiert Sam nicht mal als Stiefvetter vierten Grades. Salomo. Ha. Ausschuß. Schrott.

Janos: Da, am Fenster, was war das?

Jonas: Nichts weiter. Nur Jonas. Der letzte Detektiv. Der echte.

Sam: Und Sam, sein Supercomputer. Erzittert, ihr Schurken.

Jonas: Bleiben Sie ganz still stehen, Schellack, sonst muß ich Sie neurofreezen.

Janos: Sal! Tu doch was! Hilf mir!

Sal: Jawoll, Herr, mal sehen, mal überlegen.

Sam: Hahaha.

Jonas: Sal sah fast aus wie Sam. Ein kleiner Blechkasten mit Löchern und Knubbeln. Er lag auf dem altmodischen Holzschreibtisch und gab sich redlich Mühe. Sam rollte um ihn herum. Sal hatte keine Räder und mußte stillhalten. Wir anderen sahen dem Duell der Computer zu. Schellack notgedrungen. Ines und Jonas mit Vergnügen.

Sam: Na los, Kumpel, zeig mal was. Was kannst du eigentlich?

Sal: Sal kann sprechen.

Sam: Sprechen nennst du das? Bei detaillierter Begutachtung der Situation unter Einbeziehung aller relevanter Faktoren ergibt sich unabweisbar folgendes Resultat: In jedem rechten Winkel ist die Summe der dreieckigen Katheter genauso groß wie die Hypothese. Quod erat demonstrandum. Das ist sprechen, mein lieber. Kannst du ein Gedicht aufsagen?

Sal: Ja, Oeia, popeia, was raschelt im Stroh, das sind...

Sam: Gefährlich ist’s, am Wein zu lecken, verderblich ist ein hohler Zahn, jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist ein Mensch, wenn er im Tran. Das ist ein Gedicht. Naja. Kannst du singen?

Sal: Hänschen klein, ging allein...

Sam: Frau Wirtin hat nen Detektiv, der gern in fremden Betten schlief. Er war dort nicht alleine...

Jonas: War ich das, Sam? Hab ich dir Wirtinnenverse beigebracht? Den Sanitätsgefreiten Neumann etwa auch?

Sam: Ein dreifach Hoch, ein dreifach Hoch...

Jonas: Das reicht, Sam.

Sam: He, du, Sal, schlaf nicht ein. Kannst du hexen?

Sal: Hex Hex.

Sam: Abrakadabra, hokus pokus fidibus, Virus, fahr ihm ins Gebein, ja, so und jetzt sag was.

Sal: Salomo der Weise spricht...

Sam: Ein Computer stottert nicht. Kannst du ausländisch? Kannst du inline skaten? Kannst du fiedeln, kannst du stricken, kannst du bosseln, kannst du fidirallala? Kannst du tanzen, Joana. Hat du Möhrchen?

Sal: Au, au, au, au...

Jonas: Durchgeknallt. Totalschaden.

Sam: Acht, neun, aus. Holldriadoö. Sieger durch KO, Computer Samuel, genannt Champion Sam, der Schrecken aller Übeltäter, und ihrer Computer. Danke. Vielen Dank.

Jonas: Und jetzt zu Ihnen, Schellack. Mein Gedächtnis. Geben Sie mir die Memory-CD.

Schellack: Ich kann nicht.

Jonas: So? Das ist ein Laserstrahler, Schellack, der macht Löcher. Durch Ihren Bauch, durch Ihren Kopf. Geben Sie mir die CD.

Schellack: Ich kann nicht. Wirklich nicht. Ich habe sie nach dem Einspielen vernichtet. Damit ich der einzige letzte Detektiv bleibe, was auch passiert. Und das war ein Unikat. Ein absolutes Einzelstück. Darauf hatte ich allergrößten Wert gelegt. Machen Sie, was Sie wollen. Bringen Sie mich um. Ihre Erinnerungen kriegen Sie nie wieder.

Ines: Eine Chance haben Sie noch, Jonas. Von besonders interessanten Memory-CDs zieht Dr. Lamour manchmal Kopien für ihre Privatsammlung.

Jonas: Und wo ist die?

Ines: In ihrem Schrank, in der Klinik.

Jonas: Dann sehen wir doch mal nach.

Ines: Und was machen wir mit Schellack?

Jonas: Den nehmen wir mit.

Schellack: O nein, nicht mit mir, ich bleibe hier, was auch passiert...

Jonas: Neurofreezer. Macht steif und stumm. Für eine gewisse Zeit. Wir brachen auf. Mit dem Boot, ans Ufer. Und weiter in Schellacks feudalem E-Mobil, den Schlüssel hatte er in der Tasche. Sehr aufmerksam. In der Klinik kam Schellack allmählich wieder zu sich. Ines paßte auf ihn auf. Während Jonas die Diskothek der Jasmin Lamour durchsah. Und schließlich seine Memory-CD entdeckte. Heureka, würde Sammy sagen. Halleluja, Hurra. Ich spielte mir die Scheibe ins Hirn. Einige Sekunden Verwirrung, Desorientierung. Dann war Jonas wieder Jonas. Komplett. Mit seinen Fällen. Seinen Erfahrungen. Sogar meine Smith & Wesson fand ich wieder. Auch im Schrank. Das war's. Fall Blackout abgeschlossen. Augenblick. Noch nicht ganz.

Jonas: Es kann nur einen geben.

Ines: Einen letzten Detektiv.

Jonas: Natürlich. Schellack ist das Problem. Er hat meine Fälle in seinem häßlichen Schädel. Und hält sich für eine Art Jonas. Das geht nicht.

Ines: Man könnte ihm die gestohlenen Erinnerungen abzapfen. Aber das dauert. Kompliziert ist es auch.

Jonas: Und dann? Wir übergeben ihn der Polizei. Er kauft sich los und ist gleich wieder hinter mir her. Und meinem Gedächtnis.

Schellack: Nie wieder. Bestimmt nicht.

Jonas: Ich glaub Ihnen kein Wort, Schellack.

Ines: Und wenn Sie ihn erschießen, Jonas?

Schellack: Nicht doch!

Jonas: Würde Ihnen nur recht geschehen, aber...

Sam: Ein Vorschlag, Chef.

Jonas: Ah, Champion Sam gibt uns die Ehre. Ist dir langweilig? Hast du deinen Triumph genug ausgekostet?

Sam: Wahrlich, geliebte Mitchristen, ist es denn nicht mit den Menschen als wie mit den Computern? Siehe, hier ist ein Mensch, eccel homo, ein Bösewicht, Mord gibt er in Auftrag, geraubte Erinnerungen hortet er in seinem Hirn, und siehe, hier ist ein wohlbestalltes Archiv vielfältigster Memory-CDs. Lasset uns eine Lehre ziehen aus der hochverdienten Abstrafung eines gewissen Computers, Sal war sein unschöner Name, und lasset uns an seinem Herrn des gleichen tun.

Jonas: Du meinst, wir spielen ihm eine Menge Memory-CDs ein, eine nach der andern.

Sam: Bis daß er durchdreht. Amen.

Schellack: Nein!

Sam: Doch doch doch doch doch doch...

Jonas: Doch. Wir schnallten Schellack fest. Und füllten sein Hirn mit Erinnerungen. Was uns gerade in die Finger kam. Zombies. Söldner. Callgirls. Spione. Chirurgen. Testpiloten. Kannibalen. Transsexuelle. Henker. Und so weiter. Bis sein Hirn überlief. Und explodierte. Totale Memoryüberfütterung. Mentaler Kurzschluß. Er hing im Stuhl. Lallte. Sabberte. Stierte vor sich hin. Wie ließen ihn sitzen. – Die Tür zu meinem Büroapartment stand offen. Kein gutes Zeichen. Innen war alles in Ordnung. Nur daß auf meinem Bett eine tote Jasmin Lamour lag. Erschossen.

Ines: Richtig durchsiebt. Soviel Blut.

Sam: Kleckert im Loch.

Jonas: Keckler & Hoch. Die Todesschwadron war hier.

Ines: Und hat die Gestalt auf dem Bett für Sie gehalten, Jonas.

Sam: Apropos Bett. Poetische Gerechtigkeit nennt solches der Gebildete.

Brock: Kripo.

Jonas: Brock?

Brock: Chefinspektor Brock. Wer spricht?

Jonas: Ihr bester Freund und Helfer.

Brock: Jonas! Und dabei hat der Tag so gut angefangen. Was ist?

Jonas: Auf meinem Bett liegt ne Leiche.

Brock: Wieder mal? Wie ist die da hingekommen?

Jonas: Das ist eine lange Geschichte.

Brock: Die werden Sie mir erzählen, Jonas, in allen Einzelheiten. Gleich sind wir bei Ihnen. Rühren Sie sich ja nicht von der Stelle.

Jonas: Lieber nicht. Jonas braucht ne Pause. Jonas muß sich erholen.

Ines: Gehen wir zu mir.

Sam: Ich geh auch zu mir.

Das war Blackout. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv. Von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Diana Körner, Dirk Galuba, Nicola Tiggeler, Jochen Striebeck, Tobias Lelle, Michael Tregor und andere (Christian Buse, Isolde Barth, Ursula Rehm). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Regieassistenz: Holger Buck und Sieghard Fieber. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1998. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:27
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Unterwelt

Passantin: Ih, eine Ratte!

Jonas: Es war keine Ratte. Es war Sam. Samobil, genauer gesagt. Nach dem Kopfjägerfall hatte ich ihm gekauft, was er sich schon lange gewünscht hatte: Ein Mobilitätssystem für Minicomputer. Software, Räder, Getriebe, Motor, maßgeschneidert. Sam war begeistert. Jonas weniger. Ein Computer, der spricht, ist schlimm genug. Ein Computer, der spricht und durch die Gegend düst, ist schlimmer. Ein Computer, der spricht und düst und mit seinem Herrn fangen spielt, ist das letzte.

Sam: Na los! Krieg mich doch, krieg mich doch, bin ein bißchen flotter. Krieg mich doch, krieg mich doch, bin ein kleiner Otter. Du Lahmgesäß.

Jonas: Sofort kommst du her, Sam, bei Fuß.

Sam: So nicht. Denn wahrlich, Sammy ist kein Pfiffi, keine Töle, kein Hundevieh.

Jonas: Du bist eine Maschine, Sam.

Sam: Ja.

Jonas: Der Mensch bestimmt, die Maschine gehorcht. So soll es sein. In die Tasche, aber schnell. Und wenn du noch mal wegläufst...

Sam: Wegrollst! Bleiben wir doch verbal präzise, verehrte Gemeinde, auch wenn’s schwerfällt.

Jonas: Dann kommst du ganz präzise in den Schrott. Oder ich schenk dich Chefinspektor Brock.

Sam: Hehe, tust du doch nicht, weil’s gar nicht geht, weil Jonas und Sam zusammen gehören, wie Castor und Pollux, wie Castrop und Rauxel, wie Tristan und Isolde, wie dick und doof.

Jonas: Wie Nerven und Säge.

Sam: Wa.

Jonas: In die Tasche!

Sam: Aua.

Jonas: So.

Fahrer: Zur Neptunstraße (der Thumstraße), wie fahr ich da am besten?

Sam: Da fahren Sie erst mal zu mir, dann kriegen Sie ne Karte...

Jonas: Neben Jonas hielt ein E-Lieferwagen. Grau. Keine Aufschrift. Ich steckte Sam in die Tasche, richtete mich auf. Aber ich kam nicht mehr dazu, dem Fahrer was zu sagen. Die Seitentür des Wagens öffnete sich, Hände packten zu, zogen Jonas ins Innere. Der Lieferwagen fuhr los.

Palma: Kein Grund zur Besorgnis, Herr Jonas, wir möchten Ihnen ein interessantes Angebot unterbreiten.

Jonas: Und dazu müssen Sie mich kidnappen.

Palma: Nicht doch, Herr Jonas, wir haben Sie nur aufgefordert, näherzutreten, etwas abrupt, das gebe ich zu. Nehmen Sie Platz. Soweit wir informiert sind, bevorzugen Sie echten Scotch. Wäre Ihnen ein Old Forrester recht? Soda? Eis? Wasser?

Jonas: Was außen wie ein E-Lieferwagen aussah, war innen ein Salon, Hausbar, Sofa, roter Plüsch. Arte Bordello 1900. Oder so. Die Frau paßte ins Ambiente wie die allseits bekannte Faust aufs Auge. Kimono, schwarze Lackperücke, Stöckelsandalen, keine Schlitzaugen, eine nippophile Europäerin, die Aufmachung stand ihr. Bis auf den Knopf im Ohr, ein Stilbruch, ein Produkt aus der Retorte, synthetisch wie der Whisky.

Jonas: Warum kein Sake Madame Butterfly, oder Champagner? Passend zur Möblierung.

Palma: Weil wir wissen, daß Sie beides nicht trinken, Herr Jonas.

Jonas: Sehr aufmerksam. Sie sagten was von einem interessanten Angebot.

Palma: Werfen Sie einen Blick auf dieses Holoporträt, Herr Jonas.

Jonas: Grimmiger alter Knabe, kommt mir irgendwie bekannt vor.

Palma: Mein Großvater.

Jonas: Angenehm. Hat er auch einen Namen.

Palma: Palm, ich meine Palmström, er ist entführt worden aus dem Pflegeheim.

Sam: Piep Piep Piep!

Palma: Herr Jonas, bei Ihnen pieps!

Jonas: Sam, mein Computer piept und rollt und redet.

Sam: Und weiß was.

Jonas: Was weißt du Sammy?

Sam: Ach Luftklavido. Was ich weiß. Trotz heftiger Bedrängnis durch seinen unsensiblen Herrn und Meister ist es Sam gelungen das Nummernschild dieser rollenden Drahtzudiebüro zu erspähen. Und was frage ich Sie, gnädig Frau, haben gezielte Nachforschungen beim babylonischen Verkehrsamt ergeben? Häh?

Jonas: Machs nicht so spannend Sam. Wem gehört die Kiste?

Sam: Kurz und gut der W-O-R-F.

Jonas: Ach was. Die WORF. Die Partei für Wohlstand, Ordnung, Recht und Freiheit, lange Zeit in Babylon an der Regierung, jetzt in Opposition, weil sich vier kleinere Parteien zu einer Regierungskoalition zusammengeschlossen hatten. Glück für alle, Weiter so, Leistung muß sich lohnen und Vor allem Gesundheit.

Sam: Interessant gelle.

Jonas: Und aufschlußreich. Jetzt wird mir einiges klar.

Sam: Kuck mal wer da spricht, hehe, das bin ich, aber kuck mal wie er auf einmal hupft, mein intellektueller Hinkefuß und Lahmbeutel, bravo. Und was ist euer Merkwürden denn klar geworden zum Bleistift.

Jonas: Weshalb mir der alte auf dem Bild so bekannt vor kam, wozu Madame Butterfly einen Knopf im Ohr trägt und warum sich dieser rote Samtvorhang ab und zu bewegt, als ob jemand dahintersteckt.

Sack: Sie haben unser Spiel durchschaut, Herr Jonas, sehr schön. Sie kennen mich.

Jonas: Saladina Sack.

Sam: O Hauerauera, die große Vorsitzende der WORF. Tatä-tätät-tätä.

Sack: Ich bin hocherfreut Sie persönlich kennenzulernen, Herr Jonas.

Jonas: Ich eher weniger Frau Sack. Was soll das Affentheater.

Sack: Nur ein kleiner Test Herr Jonas. Ihr Name, ihr Ruf, ihre Qualitäten sind uns selbstverständlich vertraut, spätestens seit der unglückseligen Harry-Hauer-Affäre.

Sam: Fall Attentat August 2012.

Sack: Richtig. Dennoch mußten wir uns vergewissern, ob Sie wirklich der rechte Mann sind für die Aufgabe die wir ihn zugedacht haben.

Sam: Er ist der rechte Mann, er nimmt nämlich Herrenkapseln.

Sack: Aha. Ja also es handelt sich um eine höchst diffizile Angelegenheit, die äußerste Diskretion erfordert, wir benötigen einen ausgewiesenen Spezialisten.

Sam: Das ist er.

Jonas: Jonas ist Spezialist für rohe Eier und heiße Kartoffel. Auf meinem Türschild steht Jonas, nur Jonas, Privatdetektiv, der letzte seines Zeichens. In Babylon der großen Stadt und drumherum. Reich ist Jonas dabei nicht geworden, dafür hat er Erfahrung. Und jede Menge Beulen.

Sack: Ich denke wir haben ihn gefunden unseren Spezialisten. Sind Sie frei, Herr Jonas, sind Sie bereit für uns, für die WORF tätig zu werden.

Jonas: Kommt drauf an.

Sack: Worauf.

Jonas: Worum es geht und was Sie zahlen.

Sack: Was kosten Sie?

Jonas: 120 Euros wie ich hier stehe, pro Tag und Spesen.

Sam: Und wenn er liegt das doppelte.

Sack: Das ist mir egal. Wir zahlen ihnen 10.000 pauschal, und Sie werden sich jeden einzelnen Euro hart verdienen müssen.

Jonas: Der alte Mann auf dem Holoporträt.

Sack: Genau Herr Jonas.

Jonas: Er heißt nicht Palmstörm.

Sack: Natürlich nicht.

Sam: Er heißt Lars Rindström.

Jonas: Korf hieß er. Dr. Herbert Korf. Korf von der WORF, hochberühmter Alt- und Expolitiker, Ehrenvorsitzender der Partei, schon seit Jahren nicht mehr aktiv, wenn er sich auch gelegentlich zu Wort gemeldet hatte. Aber Korf konnte nicht entführt worden sein.

Sack: Glauben Sie Herr Jonas, warum nicht.

Jonas: Weil er tot ist, gestorben vor 4 Wochen.

Sack: Am 15.April 2014, sehr richtig Herr Jonas.

Jonas: Die Partei hat ihn mit großem Trara unter die Erde gebracht, Sie selbst Frau Sack haben die Grabrede gehalten.

Sack: Hat sie Ihnen gefallen Herr Jonas. Was ich Ihnen jetzt mitteilen werde, Herr Jonas, muß unter allen Umständen unter uns bleiben. Ich erwarte von Ihnen absolute Verschwiegenheit.

Jonas: Verständlich, denn was erzählte mir Saladina Sack. Korf war nicht gestorben, er lebte, gerade noch, Korf hatte Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium, und die Partei hatte ein großes Problem, weil ihre politischen Gegner keine Hemmungen hatten, sie hätten sich den Alten gegriffen, ihn im Holo als sabbernden Trottel vorgeführt, und der Partei damit schwer geschadet. Darum ließ die Führung der WORF ihren Ehrenvorsitzenden dahinscheiden und begrub feierlich einen leeren Sarg.

Sack: Korf haben wir heimlich in ein privates Pflegeheim gebracht, unter dem Namen Palmström.

Sam: Palmstöm hat nicht Speck im Haus, dahingegen eine Maus, Korf bewegt von seinem Jammer baut ihm eine Gitterkammer.

Sack: Morgenstern, so ist es. Ein gebildeter Computer den Sie da haben Herr Jonas.

Sam: Siehste Jonas siehste. Ja o Dank hohe Frau. Man tutet wie man kann und man kann vieles. Nicht daß mein intellektueller Unterrichtung weitestgehend ermangelnder Meister solches zu schätzen wüßte, o goldene Worte aus dem Schatzkästlein der Weltliteratur.

Jonas: Brauchen wir jetzt nicht. Halt die Backen Sam.

Sam: Ja.

Jonas: Wir waren bei Korf, Frau Sack, alias Palmström, im Pflegeheim.

Sack: Nur der Heimleiter war eingeweiht, er gehört zum Direktorium der WORF und natürlich die handverlesenen Parteisoldaten, die das Heim rund um die Uhr bewacht haben.

Jonas: Trotzdem ist Korf entführt worden.

Sack: In der Tat, Herr Jonas, letzte Nacht.

Jonas: Von unten waren sie gekommen, aus dem unterirdischen Versorgungssystem, Abwasser, Kabel etc. Von da durch den Keller, die Wachen hatten sie umgebracht, dann waren sie verschwunden, mit Korf, mit ein paar anderen Insassen, mit dem Heimleiter.

Sack: Wir sind sicher, daß er mit den Entführern unter einer Decke steckt, nur er kann ihnen den Tip gegeben haben, wer Palmström wirklich ist.

Jonas: Anzunehmen. Sie haben die Kidnapper verfolgt.

Sack: Selbstverständlich, ein überlebender Wächter hat uns informiert und wir haben sofort einen Trupp Parteisoldaten vom nächsten WORF-Stützpunkt losgeschickt.

Jonas: Pflegeheim Keller.

Sack: Mit dem Quicklift nach unten zum Abwasserkanal, und da lag der erste Wegweiser.

Jonas: Wegweiser?

Sack: Ja, einer der mitgeschleppten Heimbewohner, tot, lang ausgestreckt, die rechte Hand zeigte die Richtung an.

Jonas: Die Kidnapper wollten also verfolgt werden.

Sack: Aus gutem Grund, nach ein paar Kilometern durchs Abwassersystem, vorbei an weiteren ausgelegten Leichen, kamen unsere Leute an eine Mauer, quer über den Kanal.

Jonas: Lassen Sie mich raten Frau Sack, die Grenze zur Unterwelt.

Sack: Ganz recht, Herr Jonas, in die Mauer war ein Loch geschlagen, und vor dem Loch lag ein Toter, der letzte, in der Hand hatte er diese Botschaft:

Jonas: An die Führung der WORF, Sie haben die Wahl, Sie schicken morgen 13. Mai 2014, genau 23 Uhr 55, sinnig, fünf vor zwölf, einen Robomessenger mit 25 Millionen Euros durchs Loch, worauf Sie ihren Mann umgehend zurückerhalten, oder Sie tun das nicht, und wir übergeben ihn Holonews, Ihr Schwindel fliegt auf, Ihre Partei ist erledigt, es lebe der urbane Befreiungskampf, die Stadtguerilla. Die Stadtguerilla.

Sack: Auferstanden aus Ruinen wie es scheint.

Jonas: Vor knapp zwei Jahren war der Terrorverein, der sich Stadtguerilla nannte, vernichtet worden, durch eine Großaktion der Polizei, ein denkwürdiges Geschehen für Jonas, Judith Delgado war dabei umgekommen, und ich hatte Karla kennengelernt, die Chefin der Stadtguerilla, sie war entkommen und hatte sich ins Reservat zurückgezogen, um eine neue Truppe aufzubauen. Offenbar war es ihr gelungen.

Sack: Wir haben nicht vor, das Lösegeld zu bezahlen, Herr Jonas.

Jonas: Sie können nicht.

Sack: Und wir wollen nicht.

Jonas: Aber Sie wollen auch nicht, daß ihr angeblich toter Korf als lebender Alzheimer im Holo präsentiert wird.

Sack: Natürlich nicht.

Jonas: Also müssen Sie runter und ihn rausholen.

Sack: Sie werden Dr. Korf befreien Herr Jonas, und ihn uns wiederbringen.

Jonas: Warum nicht Ihre Parteisoldaten.

Sack: Weil die nicht in die Unterwelt gehen, es sind gute Leute, brauchbar und tüchtig, aber das kann ich von ihnen nicht verlangen.

Jonas: Die Polizei.

Sack: Untersteht der Regierungskoalition, unseren Gegner, kommt nicht in Frage. Sie sind unser Mann, Herr Jonas. Sie sind Spezialist für riskante Aufgaben, erfahren und politisch unabhängig. Nehmen Sie den Auftrag an?

Jonas: Jonas kennt die Unterwelt, die ehemaligen Servicesysteme unter dem Reservat, der wüsten Ruinenlandschaft im Südosten von Babylon, die bis zu den großen Unruhen in den späten 90ern ein intaktes Stadtviertel gewesen war. Die Unterwelt ist ein Labyrinth von Gängen und Höhlen, von Abwasserkanälen und Kabelschächten, von Atomschutzbunkern und Recyclinganlagen, alle nicht mehr in Betrieb, verfallen, aber nicht verlassen, Lemuren hatten sich hier eingenistet, und Ratten, Millionen von Ratten. Oben das Reservat war schlimm, die Unterwelt war schlimmer. Viel schlimmer. In die Unterwelt gingen nur Irre. Jonas war irre. Und er brauchte Geld. Apropos.

Jonas: 25 Millionen Euros.

Sack: Was ist damit Herr Jonas.

Jonas: Die sparen Sie, wenn ich Korf aus der Unterwelt hole. 1 % für Jonas.

Sack: 250.000 Euros?

Jonas: Erfolgshonorar. Dafür tu ich's. Sonst nicht.

Sack: Einverstanden. Palma wird Sie begleiten.

Jonas: Palma?

Palma: Palma Kunkel, so heiße ich.

Jonas: Madam Butterfly, in die Unterwelt, im Kimono, wunderbar, dann ziehe ich den Frack an, den ich nicht habe. Und das Promenadenorchester spielt dazu den Kirschblütenwalzer.

Palma: Täuschen Sie sich nicht, ich bin Kampfsportlerin.

Sack: Eine sehr gute, das kann ich ihnen versichern Herr Jonas. Palma arbeitet im Tiefbauamt.

Jonas: Oha.

Sack: Sie hat Pläne und Karten, kennt sich aus in der Unterwelt. Bei einem so gefährlichen Unternehmen brauchen Sie Rückendeckung.

Sam: Backup wie der Experte sich ausdrückt. Äh, sagen Sie mal, heißen Sie wirklich und wahrhaftig Palma Kunkel, Palma die Kunkel, die im Dunkeln kunkelt. Palma Kunkel ist mit Palm verwand doch im übrigen nicht bekannt. Und sie wünscht auch nicht...

Jonas: Morgenstern.

Sam: Morgenjonas. Morgenstern. Eben der selbige, ist das nicht ein Zufall, hä?

Jonas: Wir trafen uns am Abend um 9 in der Südstadt, nicht weit vom Reservat, Madam Butterfly alias Palma Kunkel blieb bei ihrer Masche, Synthstimme, grauer Ninjaanzug, Kamikazestirnband, langes Samuraischwert über der Schulter, kurzes im Gürtel, Jonas trug sein altes schwarzes Kampfoutfit aus dem Antarktischen Krieg, und war behängt wie wie...

Sam: Wie ein ambulanter Klempnerladen, Meister. Helm mit Lampe und Nachtsichtbrille, Wärmflasche, abgesägte Schrotflinte, Flammenwerfer mit Schockgranaten, ein veritables Arsenal, Herr Oberfeuerwerker.

Jonas: Du reist auch nicht gerade mit leichtem Gepäck, Sammy. Mobilsystem, Kompaß, Leuchte, Infrarotgerät, vollaufgetankter Hochleistungsakku, fehlt nur noch die eingebaute Hausbar.

Sam: Hättest du gern was alter Saufladen. Warum Schrotpuste und Feuerspucker, heißgeliebte Knalltüte, warum nicht Laser, warum nicht Neurofreezer?

Jonas: Das ist Stil, Sammy. Archaische Waffen für ein archaisches Ambiente. Stop. So, jetzt können Sie auch runter, Madame Butterfly.

Palma: Ich komm runter.

Sam: Na denn mal tau.

Jonas: Wir gingen nicht durch den Keller im Pflegeheim, Jonas hatte einen Plan, Jonas kannte eine Hintertür, in einer verlassenen Metrostation im Reservat, ein Liftschacht, natürlich kein Lift mehr, ein paar tapfere Parteisoldaten waren mitgekommen, sie ließen uns an Seilen runter und blieben oben, als Wache und Rückversicherung, schließlich wollten Jonas und Butterfly irgendwann wieder raus. Und dann waren wir womöglich in Eile. Am Ende des Schachts ein horizontaler Gang, ein alter Abwasserkanal, seit Jahren trocken, in etwa, dunkler Belag auf den Ziegeln, Salpeter, Schimmel und Schlimmeres. Die Luft ließ sich atmen, riechen weniger. Es stank, noch immer. Der Gang war niedrig, wir mußten die Köpfe einziehen, Butterfly gab die Richtung an, nach ihrer Karte, es war dunkel, bis auf die Lichtkegel unserer Lampen, und still, bis auf das leise Klappern unserer Ausrüstung. Der Gang mündete in die Halle einer ehemaligen Recyclingstation, wo früher Scheiße zu Brühwürfeln veredelt wurde, wir hörten schon früh ihren Rekorder, altmodischer Rock’n Roll, und sahen ihre Lichter, sie warteten an der Grenzmauer vor dem Loch, zwei Gestalten in Overalls mit Sturmgewehren, sie fühlten sich sicher, keine Wache, gut so. Wir machten die Lampen aus, gingen im Dunkeln weiter, vorsichtig, bis der Gang aufhörte und die Halle anfing, da blieben wir stehen und warteten auch.

Palma: Wie spät?

Jonas: Sammy?

Sam: Genau 23 Uhr 54 Minuten und 40 Sekunden.

Palma: Ist gleich soweit.

Jonas: Wenn ihre Leute spuren, Butterfly.

Palma: Keine Sorge, Jonas, hören Sie, sehen Sie.

Jonas: Da kam er durchs Loch, pünktlich auf die Sekunde, ein Robomessenger, einfachste Ausführung, ein offener Behälter mit Beinen, im Behälter ein Sack, ein schwerer Sack, die zwei Typen wuchteten ihn raus und fingen an, ihn aufzuschnüren.

Sam: 5,4,3.

Jonas: Hinlegen Butterfly, Augen zu, Hände auf die Ohren.

Sam: 1, zoro.

Jonas: Eine Schockgranate mit Zeitzünder, im Sack, wie verabredet, ungeheuer laut, ungeheuer hell, ungeheuer überraschend. Unsere beiden Freunde waren einige Sekunden außer Gefecht. Blind, taub, unter Schock. Wir kamen aus der Deckung. Schnell. Jonas hatte die Schrotflinte im Anschlag. Butterfly fuchtelte mit ihrem Schwert.

Palma: Hu. Hei.

Jonas: Was? Halt, stehenbleiben. Ganz wie du willst. Siehste.

Jonas: Einer der beiden bekrabbelte sich schnell, er sah uns kommen und rannte weg. Jonas schoß ihm eine Ladung Schrot in den Arsch. Er hinkte weiter und verschwand hinten in einem Gang. Butterfly hatte sich inzwischen um den anderen gekümmert.

Palma: So, der macht uns keine Probleme mehr.

Jonas: Sie haben ihn umgebracht, Butterfly.

Palma: Ein sauberer Okesa von der linken Schulter zur rechten Hüfte. Und dann hab ich ihm den Rest gegeben. Kamikatiwari durch den Schädel.

Jonas: Na großartig. Wie ein gelernter Schlächter. Hatten wir nicht vereinbart, daß wir die Typen lebend fangen, damit sie uns verraten, wo sie Korf versteckt haben.

Palma: Ist ja noch einer da, der den Sie angeschossen haben. Und der kommt nicht weit. Was war das?

Jonas: Unser Freund, da hinten im Gang, kommen Sie Butterfly.

Jonas: Nach gut 100 Metern fanden wir ihn, das heißt was von ihm übrig war. Seine Knochen. Sauber abgenagt. Bis auf ein paar Fleischfetzen.

Palma: Ratten.

Jonas: So sieht's aus. Sie haben ihn aufgeknabbert.

Palma: Und so schnell. Sie müssen noch in der Nähe sein.

Jonas: Hinter den Wänden, nehm ich an, sehen Sie, überall Löcher.

Palma: Ich hasse Ratten.

Jonas: Ich mag sie auch nicht besonders.

Sam: Sammy hat nichts gegen Ratten, nette kleine Tiere und so hübsche lange Schwänz und so clever.

Jonas: Du hast gut reden, Sam, du bist aus Plastik und Metall, an dich gehen sie nicht ran.

Palma: Unsere beiden Informanten sind tot, Jonas, wie finden wir jetzt Korf.

Jonas: Ganz einfach. Wir gehen weiter, diesen Gang lang.

Palma: Nur so oder haben Sie einen bestimmten Grund.

Sam: Nu paß mal auf Tante Trude, Sammy wird dir die ganze Sache mal verhakseln, so ganz langsam zum Mitschreiben. Sofern Gnädigste des Schreibens überhaupt kundig sind, so nun paß auf. Der sowohl dahingeschiedenen als auch abgeknabberte hat sich, obschon ihm diverse Gänge zur Verfügung standen, in diesen nämlich hier geflüchtet, klar?

Palma: Klar Sammy.

Sam: Also führt dieser Gang dorthin, wo seine Genossen sich aufhalten. Auch klar?

Palma: Klar.

Sam: Und wo die sich befinden dort weilet auch der Meister Korf. Alles klar.

Jonas: Klar. Wir gingen weiter, vorsichtig, wachsam, die Waffen in Bereitschaft. Ab und zu hörten wir was, leises Quieken, Rascheln in den Wänden. Und wenn wir uns umdrehten, sahen wir im dunkeln Gang hinter uns rötlich leuchtende Punkte. Immer zwei nebeneinander, viele, sehr sehr viele. Jonas hatte sich schon besser gefühlt. Dann fingen auch noch die Trommeln an, weit voraus. Signale der Lemuren.

Sam: Was sprechen Trommeln, Wahna Tarzan.

Jonas: Woher soll ich wissen Sahib.

Sam: Trommeln sprechen Fleisch kommen, weißes Fleisch, hmh, lecker lecker.

Jonas: Find ich nicht sehr witzig.

Sam: Na ich merk schon, kein Sinn für schwarzen Humor du trübe Tasse. Traurig Traurig.

Jonas: Plötzlich teilte sich der Gang, wir blieben stehen. Was jetzt? Wo ging's weiter. Welche Gabelung war die Richtige.

Palma: Links.

Jonas: Links. Warum.

Palma: Weil die Typen die wir suchen linke Vögel sind.

Jonas: Haha. Ich bin für rechts. Was meinst du Sammy.

Sam: Sammy hält sich da raus.

Jonas: Typisch, wenn man dich mal braucht. Also gut, Jonas ist der Kommandant der Expedition, und Jonas sagt

Einstein: Links.

Jonas: Was?

Einstein: Rechter Weg ist links, bitteschön.

Jonas: Wer ist da?

Einstein: Einstein.

Jonas: Das glaub ich nicht.

Einstein: Einstein, mein Name, sehr erfreut bitteschön.

Jonas: Kommen Sie raus, wer immer Sie sind.

Einstein: Einstein kommen. Nicht erschrecken, bitteschön, Einstein Freund, gut Freund.

Palma: Ih.

Sam: Selber ih.

Jonas: Aus dem dunklen Abzweig links kam er langsam ins Licht unserer Lampen, Einstein, eine Ratte, eine außergewöhnliche Ratte, kalkweiß, rote Augen, ein Albino, ein Riesen-Rattenalbino, halber Meter mindestens, Schwanz inklusive, immerhin, und reden konnte das Biest auch noch.

Einstein: Einstein lernen menschliche Sprache von Dr. Matrix in Genlabor, Universität Babylon, bitteschön, Dr. Matrix sagen immer: du beste Ratte, klügste Ratte von allen, du heißen Einstein.

Palma: Ein Versuchstier, genmanipuliert.

Jonas: Und total verkorkst, nicht näher, Einstein, bleib stehen.

Einstein: Keine Angst bitteschön, Einstein lieben Menschen.

Jonas: Kann ich mir denken, gekocht, gebraten oder roh?

Einstein: O nein, Einstein Vegetarier, bitteschön, Einstein Freund, Einstein wollen helfen.

Jonas: So, helfen willst du uns. Wie?

Einstein: Einstein wissen alles, bitteschön, Einstein wissen wo böse Menschen von oben alten Mann verstecken.

Palma: Und wo?

Jonas: Zeigs uns auf der Karte.

Einstein: Sorry, Einstein nicht können lesen, bitteschön. Dr. Matrix wollen lernen Einstein lesen, schreiben, rechnen, aber Einstein laufen fort von Genlabor.

Jonas: Warum?

Einstein: Einstein haben Heimweh, haben Sehnsucht nach Genossen Ratten, nach Gemeinschaft, Gesellschaft, Freundschaft, bitteschön, aber Ratten hier ganz dumm, rückständig, sie nicht lieben Einstein, weil Einstein sein groß und weiß und schlau, weil Einstein sein anders, sie nicht wollen Einstein, sie jagen weg Einstein.

Jonas: Sieh an, auch die Ratten sind Rassisten.

Einstein: Einstein unglücklich, Einstein wollen zurück zu Dr. Matrix, wenn Freunde mitnehmen Einstein nach oben zu Genlabor, Einstein führen Freunde zu alten Mann. Bitteschön.

Palma: Was meinen Sie Jonas, trauen wir ihm?

Jonas: Teils teils, einerseits machte Einstein einen ganz überzeugenden Eindruck, andererseits ist Jonas mißtrauisch aus Prinzip. Aber wir mußten Korf finden, darum gingen wir auf Einsteins Angebot ein und ließen uns von ihm führen. Durch den linken Gang, dann über eine verrottete Treppe nach unten, durch eine Tür mit dem schwarzgelben Zeichen, Nuklearschutz, dahinter ein Korridor, relativ neu, relativ sauber, Butterfly studierte ihre Karte, aber die half ihr nicht weiter, Jonas blieb wachsam und Sammy maulte.

Sam: Links, rechts, links rechts, da trotteln wir wie die Vollidioten hinter einem häßlichen nackten Schwanz her, und der Rest von dem Kerl ist auch nicht schöner.

Jonas: Ich dachte du magst Ratten, Sammy. Nette Tiere und so clever.

Sam: Ach Einstein ist doch keine richtige Ratte, Einstein ist eine vermurkste Kreatur, ein Wechselbalg, ein Monstrum, ein Mordstrum, ein gentechnischer Betriebsunfall und so was spuckt hier große Töne.

Jonas: Du bist eifersüchtig Sammy, eifersüchtig auf Einstein, weil er dir irgendwie ähnlich ist, intelligent, munter, verbal.

Sam: Was? Verbal nennst du das du Charakterwanze? Sammy ist verbal, Sammy redet korrekt wie ein Buch.

Jonas: Wie eine Bibliothek Sammy.

Sam: Einstein redet nicht, Einstein bricht rad, Einstein stammelt und stottert und.

Jonas: Sei mal nen Moment still, Sam.

Sam: Ja.

Jonas: Riechen Sie's auch Butterfly.

Palma: Braten. BBQ.

Jonas: Jede Wette, das ist Echtfleisch, kein Sojasteak.

Einstein: Wir sind gleich da, Freunde.

Jonas: Da, wo Einstein, auf einer Grillparty?

Einstein: Hauptquartier von Lemuren, bitteschön, böse Menschen von oben haben gemacht Vertrag mit Lemuren, können bleiben bei Lemuren mit altem Mann 3 Tage.

Palma: Und woher weißt du das Einstein.

Einstein: Einstein sehen alles hören alles wissen alles bitteschön.

Jonas: Wie du Sammy.

Sam: So was muß sich ein ehrbarer Computer nicht bieten lassen.

Einstein: Ruhe bitteschön, Vorsicht bitteschön, da vorn hinter Knick stehen Wächter von Lemuren.

Palma: Den übernehme ich mit meinem Makitaschi.

Jonas: Kein Problem für die Ninja-Androidin Butterfly und ihr scharfes kleines Samuraischwert. Jonas steckte den gekränkten Sam in die Tasche, nahm Einstein auf die Schulter, stieg leise über den toten Lemur, und folgte mit Butterfly dem Bratenduft und dem flackernden Feuerschein, bis der Korridor sich zu einem großen Raum erweiterte, da blieben wir stehen, im Schatten, unsichtbar, der Raum wimmelte von Lemuren, bleichen Gnomen mit wäßrigen Augen. Lemuren sehen nicht gut, sie haben sich ihrer unterirdischen Umgebung angepaßt, vor Jahren sind sie abgetaucht aus dem Reservat in die Unterwelt. Obdachlose, Freaks, illegale Drittweltler, Flüchtlinge, die sich oben nicht mehr sicher fühlten.

Palma: Mein Gott was ist das?

Jonas: Ein ehemaliger Gemeinschaftsraum im Atombunkersystem.

Palma: Nein, ich mein, was sich da dreht, in der Mitte, über dem großen Feuer.

Jonas: Der Spießbraten. Genau was Sie vermuten Butterfly.

Sam: Ich rieche rieche Menschenfleisch.

Jonas: Lemuren sind Kannibalen, nachts steigen sie aus der Unterwelt und jagen Fleisch, wenn das Fleisch nicht zu ihnen kommt, wie die Stadtguerilla, drei Figuren im Overall lagen auf dem Boden, gefesselt, eine der drei kannte ich, Karla.

Karla: Sie brechen unser Abkommen, wir haben ihnen Fleisch gebracht, zwei Menschen wir abgemacht.

Lemur: Sehr nett von Ihnen meine Liebe, leider nicht genug, wir sind sehr hungrig, zwei Menschen reichen uns nicht, wir wollen mehr, wir wollen euch alle, Fleisch!

Einstein: Böse Menschen von oben sind dumm, sie trauen Lemuren, Lemuren sie werden braten und essen, Lemuren nicht Vegetarier wie Einstein, bitteschön.

Jonas: Offensichtlich.

Palma: Korf, Jonas, da ist Korf.

Jonas: Richtig, da war er, am Rand rechts, ganz allein, wahrscheinlich war er den Lemuren zu alt und zu zäh, er trug eine Art Nachthemd und steckte in einem Einkaufswagen vom Supermarkt, Arme und Beine hingen über den Rand, er bewegte sich kaum, starrte teilnahmslos vor sich hin.

Palma: Holen wir ihn raus, Jonas.

Jonas: Die Frage sind wie.

Sam: Merke. Die alten Tricks sind meist die besten.

Jonas: Sagt wer.

Sam: Sagt Sammy du Dumpfbacke.

Jonas: Schockgranate zum zweiten.

Sam: Grünau.

Jonas: OK, Jonas wirft Granate, Butterfly rennt los, schnappt sich den Einkaufswagen, kommt damit zurück.

Palma: Alles klar. Sie halten mir den Rücken frei Jonas.

Jonas: Mit der Schrotflinte. Countdown Sammy, fang an.

Sam: Zu Befehl. Countdown. Piep.

Einstein: Was sein Schockgraten bitteschön.

Sam: Wirst du gleich hören du Spotgeburt aus Quark und Weißkohl.

Jonas: 3,2,1,zero. Bumm. Lemuren schwer geschockt, Butterfly flitze Richtung Korf, Jonas flitzte auch zur Feuerstelle, wo die Gefangenen klagen, Jonas zerschnitt Karlas Handfesseln, und ließ das Messer neben ihr liegen, eine Hand wäscht die andere. Vor zwei Jahren hatte Karla Jonas geholfen, jetzt half Jonas Karla, Hilfe zur Selbsthilfe, alles weitere war ihre Sache. Jonas folge Butterfly in den Korridor, rückwärts, die Schrotflinte im Arm, unnötige Vorsicht, die Lemuren kamen uns nicht nach. Schock, oder sie wollten sich nicht von ihrem Braten trennen.

Korf: Aua, der Verfall der... In diesem unseren Lande. Au. Wohlstand, Ordnung, Recht und Freiheit. Au, das tut doch weh.

Palma: Erkennen Sie mich, Herr Dr. Korf, wissen Sie nicht mehr, wer ich bin.

Korf: Mama, tut weh, meine Verdienste um die europäische Einigung in diesem unserem Verfall, au. Aufhören.

Jonas: Recht hat er. Lassen Sie's langsamer angehen, Butterfly, sonst schmeißen Sie den Kinderwagen noch um. Sie sollten Ihr altes Baby mal windeln, Mutterfly.

Palma: Sehr komisch.

Korf: Mama. Nach Hause, Herbert will nach Hause.

Jonas: Wir tun was wir können, Dr. Korf.

Einstein: Gehen Freunde zurück nach oben bitteschön?

Jonas: Das hoffen wir, Einstein.

Einstein: Nehmen Einstein mit, bitteschön.

Sam: Mama, Einstein will nach Genlabor.

Jonas: Ja, Einstein wir nehmen dich mit. Kennst du den Weg zur alten Metrostation, wo wir runtergekommen sind?

Einstein: O ja, Einstein kennen Weg, Einstein kennen Abkürzung. Freunde folgen Einstein bitteschön, Freunde haben Vertrauen zu Einstein.

Sam: Holdriadidö. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, sagt Shakespeare.

Jonas: Wirklich Sammy. Also los, Lauf voraus, Einstein, ich behalt dich im Auge.

Einstein: Freunde eng zusammenbleiben, bitteschön, Weg sehr gefährlich.

Jonas: Das glaub ich dir aufs Wort, verfressene Lemuren, deine ebenso verfressenen Artgenossen.

Einstein: Und Grauen der Tiefe, Freunde, noch schlimmer noch gefährlicher.

Palma: Grauen der Tiefe, was ist das?

Einstein: Plötzlich sich öffnen Loch im Boden, ganz tief, ganz schwarz, unten Geräusch, unten Bewegung, ganz böse, ganz schrecklich, Grauen der Tiefe, haben nicht Namen, haben nicht Gestalt.

Korf: Mama, nach Hause.

Sam: Und Sammy macht jetzt Pause.

Jonas: Wir waren lange unterwegs, manchmal ferne Lemurentrommeln, manchmal nahes Rattenrascheln. Keine besonderen Vorkommnisse, vorerst. Die Gänge wurden niedriger, wärmer, feuchter und muffiger. Es roch nach Müll, nach Tod und Verwesung, Jonas löste Butterfly ab, übernahm Wagen und Korf, der hatte den Daumen im Mund und schlief. Der Abfallgestank nahm zu. Jonas sah hoch. Einstein, Wo war Einstein?

Palma: Ein Stück voraus hinter der Ecke, er hatte es auf einmal sehr eilig. Einstein.

Jonas: Einstein wo steckst du.

Sam: Wer ist er, der liebe Einstein. Verschwunden, abgehauen. Und mein Volltrottel von Jonas sitzt mächtig in der Kacke.

Jonas: Da ist was dran, Sammy. Einstein!

Sam: Jaja, brüll du nur als wie ein Nebelhorn im Stimmbruch. Es wird dir nimmer was nützen: Selber schuld du Schwachkopf. Trau schau wem.

Jonas: Sagt Shakespeare, sagt Morgenstern.

Sam: Und Sammy.

Jonas: Ich sag dir was Sammy, ihr habt recht, alles drei. Wo sind wir, Butterfly, was sagt die Karte.

Palma: Gar nichts. Keine Ahnung, wo wir sind.

Sam: Jedenfalls nicht auf dem rechten Weg nach Hause, soviel steht fest geschätzter Herr, liebwerte Dame. Tief unter dem Reservat, tief unter der Versorgungsebene, im Zentrum, der Unterwelt. Nein, nicht bei Jacque Offenbach, nein nein im Herzen der Finsternis. So sieht's aus Leute. Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald.

Jonas: Schnauze.

Sam: Sammy hat doch nur versucht zu warnen und zu mahnen, doch fand er Gehör, nein, mitnichten. Es war so finster und auch so bitter kalt.

Jonas: Schluß mit dem Konzert Sam. Mach dich nützlich.

Sam: Mach dich nützlich. Mach dich nützlich. Kann es denn wahr sein, o ihr Völkerscharen, Sammy wird gebraucht. Sammy wird benötigt. Halleluja und abermals Halleluja.

Jonas: Amen. Roll vor und kuck vorsichtig um die Ecke, und vor allem halt den Mund.

Palma: Sie sprechen mir aus der Seele, Jonas.

Sam: Halt den Mund.

Jonas: Sam rollte und linste ums Eck, nach ein paar Sekunden fuhr er seinen Gummifinger aus und winkte uns, heftig. Jonas und Butterfly sahen sich an, zuckten die Achseln, folgten Sam. Wir standen und starrten durch unsere Infrarotbrillen, vor uns lag eine ungeheure Höhle, weiter als der Europaplatz in Babylon, höher als der Holoturm, aber deshalb starrten wir nicht, wir starrten, weil sich mitten in der Höhle eine gewaltige Kathedrale erhob, ein Riesenbau aus Müll, aus Abfall und Lumpen, aus Draht und Blech, aus Plastik und Knochen, und wir starrten wegen der Ratten, es waren tausende, abertausende, vielleicht Millionen, sie quiekten nicht, sie raschelten nicht, sie waren ganz still, und sahen mit leuchtenden Knopfaugen zum Eingang, wo wir standen, ganz vorn ein heller Fleck im graubraunen Rattenteppich, Einstein, neben ihm ein monströses Wust, eine Ballung, eine Masse, so groß und so rund wie das Rad eines Supertrucks. Ein Knäuel von mehr als 100 Ratten, zusammengewachsen, ineinander verfilzt, an den Schwänzen verknotet.

Palma: Der Rattenkönig.

Jonas: Vor seinem Palast.

Sam: In seinen Unterhosen und mit seinen Untertaten. Die warten auf uns.

Palma: Einstein du Verräter.

Sam: Jawohl du treulose Tomate, lasche Pflaume, falscher Funfziger.

Einstein: Einstein es sich haben überlegt, Einstein wollen nicht in Genlabor, Einstein bleiben hier in Unterwelt bei Genossen. Ratten jetzt nehmen Einstein auf, Ratten lieben Einstein, Einstein ihnen bringen drei fette Menschen.

Palma: Fett? Ich oder Korf?

Jonas: Von Jonas ganz zu schweigen.

Einstein: Einstein bringen Waffen.

Sam: Und einen Computer nicht zu vergessen.

Einstein: War Einstein Vergnügen. Bitteschön. Bye bye Freunde.

Palma: Was tun wir?

Jonas: Zwei Optionen, wir lassen uns fressen, oder wir laufen weg. Suchen Sie sich eine aus, Butterfly.

Palma: Drei Optionen, wir kämpfen und gehen unter als Helden.

Jonas: Ohne mich, lassen Sie die Schwerter stecken, Butterfly, die bringen hier gar nichts. Wenn ich los sage, nehmen Sie den Wagen und sehen zu, daß Sie verschwinden, zurück durch den Gang.

Palma: So. Und Sie Jonas.

Jonas: Ich decke den Rückzug.

Palma. Womit. Schockgranaten zu Dritten.

Jonas: Äh äh. Nicht effektiv genug. Flammenwerfer. Das beste gegen Ratten und anderes Ungeziefer. Sammy?

Sam: Jawohl. Bei der Arbeit.

Jonas: In die Tasche.

Sam: Ach nein. Nicht schon wieder.

Jonas: Los.

Jonas: Mit dem ersten Feuerstrahl erwischte ich Einstein, er wurde erst rot und sehr laut, dann schwarz und still, der zweite Strahl für den Rattenkönig, er ging in Flammen auf, quiekte wie am Spieß, verschmorte zu einem unförmigen Klumpen, die Ratten drehten durch, die vorderen wollten zurück, die hinteren drängten nach vorn, sie krabbelten und quietschten, Jonas trat zwei Schritte zurück und schwenkte die Düse, bis der Tank leer war. Ziel erreicht. Der Ausgang der Höhle war dicht, verstopft durch einen Wall verkohlter Rattenleichen, bis die Überlebenden sich durchgebissen hatten, würde es dauernd. Wir waren sicher, fürs erste.

Sam: Kein Grund, faul rumzulümmeln, allerwerteste Sportskameraden, auf auf hopp hopp, hip hip hurra, den letzten beißen die Ratten.

Korf: Mama was ist, kommen die Russen.

Jonas: Keine Angst Herbert, schlaf weiter. Wir bringen dich nach Hause.

Korf: Ja, nach Hause.

Jonas: Du weißt wo's langgeht Sam.

Sam: Jawohl. Eisern und magnetisch. Will sagen mittels meines vollintegrierten Kompasses Nordnordwest. Herr Flottenkapitänsflottillenadmiral.

Jonas: Dann übernimmst du die Führung.

Sam: Aye aye Sir, gerade aus, backbord, backbord ihr Landratten. Links.

Jonas: Links, rechts, gerade aus, Gänge, Höhlen, Schächte, nach 4 Stunden hatten wir es fast geschafft, es wurde Zeit, die Lemuren fingen wieder an zu trommeln und in der Dunkelheit hinter uns leuchteten Rattenaugen.

Sam: Jawohl und nun wieder rechts, und nach 100 m wieder links, ja, so ist schön, voila, da wäre er, der Schacht zur verlassenen Metrostation, der Weg zur Oberwelt, zum Lichte, zur Sonne, zur Freiheit.

Jonas: Wo Ihre Parteisoldaten auf uns warten, Butterfly, hoffe ich jedenfalls.

Palma: Seien Sie unbesorgt, Jonas, die warten, aber nicht auf uns, auf mich, nur auf mich.

Jonas: Was heißt... Au!

Jonas: Butterfly war das Schlußlicht, mit meiner Schrotflinte, um die Ratten auf Abstand zu halten, ein schwerer Fehler, weil sie so in aller Ruhe Jonas den Kolben über den Schädel ziehen konnte, ich trat kurz mal aus, nicht lange, ein paar Sekunden, als ich zurückkam war ich gefesselt und an Korfs Wagen gebunden.

Palma: Tut mir wirklich leid um Sie, Jonas, Sie sind kein übler Typ, aber ich habe strikten Parteiauftrag von allerhöchster Stelle.

Jonas: Saladina Sack.

Palma: Persönlich.

Jonas: Ihr wollt euch die viertel Million sparen.

Palma: Das ist es nicht.

Jonas: Jonas weiß zu viel. Wie sie in den Holokrimiserie sagen.

Palma: Das schon eher. Zurück, ihr seid noch nicht dran.

Korf: Hilfe, die Russen kommen, die Chinesen kommen, die Fundamentalisten kommen.

Palma: Halts Maul, Herbert, Sie sind nur Zugabe, Jonas. Es geht um Korf, er darf die Partei nicht noch mal in solche Schwierigkeiten bringen.

Jonas: Sie haben den Auftrag Korf umzubringen.

Palma: Natürlich. Sobald wir ihn den Entführern abgenommen haben, wir machen reinen Tisch, kein Ehrenvorsitzender mit Alzheimer mehr, der gekidnappt oder im Holo vorgeführt werden kann, hätten wir schon längst tun sollen, aber die Parteiführung war damals zu sentimental.

Sam: Naja, Pietät ist es eine Zier doch besser geht es ohne ihr.

Palma: So ist es. Seionara, Jonas, hat Spaß gemacht mit ihnen durch die Unterwelt zu ziehen.

Jonas: Nehmen Sie uns nicht mit Butterfly.

Palma: Wozu, ich überlasse Sie den Ratten. Ob ich Ihnen den Kopf abschlage oder ob die Sie fressen.

Jonas: Ratte wie Hose.

Palma: Und ich gewinne Zeit. Während sich die Tierchen mit Ihnen und Korf beschäftigen, bringe ich mich in Sicherheit. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Also dann.

Korf: Nach Hause, Herbert will nach Hause.

Jonas: Jonas auch, aber da sah ich schwarz. Für uns beide. Sam hatte auch keine rettende Idee und ging auf Tauchstation. Hinter uns wurde es lauter, rascheln, knistern, quieken, sie kamen, rachedurstig und hungrig. Plötzlich zuckte Jonas zusammen. Eine Berührung, am Rücken. Eine Ratte, ein Lemur?

Karla: Weder noch, Jonas. Eine alte Bekannte.

Jonas: Karla! Wie ich mich freue, Sie wieder zu sehen.

Karla: Das glaub ich Ihnen. So, Sie sind frei, Jonas. Eine Hand wäscht die andere.

Sam: Alter Toilettenspruch.

Karla: Bis zum nächsten Mal.

Jonas: Danke Karla.

Jonas: Weg war sie, das war ihr Stil, sie ging ihre eigenen Wege, allein. Jonas stand auf, griff sich den Wagen mit Korf, die Ratten waren noch ein Stück entfernt.

Sam: Links. Links müßt ihr steuern.

Jonas: Halt ein Schrei.

Sam: Die Woge trieb das Boot zu lande und sicher vor die...

Jonas: Schön, daß du dich mal wieder hören läßt, Sammy, jetzt wo alles vorbei ist.

Sam: Vorbei, was heißt vorbei. Los, du Mutter aller Tränentiere, links.

Jonas: Links, hast du nicht vorhin gesagt rechts.

Sam: Ja, vorhin, jetzt links, Abkürzung zum Metroschacht. Gar nichts ist vorbei, du geistiger Trockenschwimmer, wir haben noch ein gar gewaltig Suppenhuhn zu rupfen, mit Genossin Palma Kunkel, ihren zahlreichen Fans auch bekannt als Madam Butterfly. So und jetzt rechts durchs Loch. Vorsichtig, Kopf einziehen, das edle Teil in Gefahr wäre...

Jonas: Wie Sammy es gemacht hat, weiß ich nicht, aber als Jonas um die letzte Ecke guckte, stelle er fest, daß er Butterfly den Weg ins Freie abgeschnitten hatte, sie bewegte sich auf uns zu, langsam, rückwärts. Meine Schrotflinte im Anschlag. Die Ratten hielten sich weit zurück, gut so, ich ließ den Wagen stehen, Korf schlief gerade mal wieder. Auch gut. Ich nahm Sam aus der Tasche und setzte ihn auf den Boden.

Sam: Was liegt an Chef?

Jonas: Kleines Ablenkungsmanöver, Sam. Du rollst zurück, ganz leise, bist du Madam erreicht hast, dann fährst du ihr über die Zehen und machst.

Sam: Piep.

Jonas: Genau so Sam. Sie hält dich für eine Ratte, kriegt einen Schreck...

Sam: Und den Rest erledigen eure Gewalttätigkeit auf gewohnt handgreifliche Manier. Haha. Ist recht. Verlassen Sie Ihnen voll und ganz auf mir, wie der Professor für Sprachwissenschaft sagte. Piep. Piep. Piep...

Palma: Ih eine Ratte.

Sam: Mit so nem langen Schwanz.

Jonas: Es klappte. Einen Moment paßte Butterfly nicht auf, Jonas stand hinter ihr und legte ihr die Hände um den Hals. Sie war zu überrascht um sich zu wehren, und als sie's dann doch versuchte, ging ihr die Luft aus, ich nahm ihr die Schwerter weg und warf sie weit zurück in den Gang, dann ließ ich sie fallen, ging zu Korf und wartete, mit schußbereiter Schrotflinte, bis sie zu sich kam.

Palma: Was was ist.

Jonas: Hier bin ich Butterfly, stehen Sie auf, schneller.

Palma: Hören Sie Jonas...

Jonas: Und jetzt laufen Sie, andere Richtung, zurück, so ist es gut, da hinten liegen ihr Schwerter, wenn Sie sich beeilen, sind Sie vor den Ratten da. Sie wollten doch kämpfen und heroisch untergehen. Schneller.

Palma: Hei.

Jonas: Viel Glück mein kleiner Samurai.

Jonas: Ich ging nicht an der Metrostation raus und natürlich auch nicht durch den Keller im Heim, Jonas kennt noch mehr Ausgänge aus der Unterwelt. Es war nicht leicht, Korf nach oben zu bugsieren und ihn durchs nächtliche Reservat ins stille Westend zu schaffen, zu dem exklusiven Pflegeheim, das Sammy ausgekuckt hatte, da lieferte ich ihn ab, meinen entfernten Großonkel, falscher Name, falsche Identität, falsche Daten in allen relevanten Systemen, darum kümmerte sich Sam, das kann er, das ist seine Spezialität. Das Pflegegeld besorgte er auch.

Sam: 6000 Euros pro Monat, Herr Oberfinanzdirektor, für 10 Jahre im Voraus.

Jonas: Moment Sammy. 6000 mal 12, das macht äh...

Sam: Schone deine kleinen grauen Zellen, Monami, denn du hast derer nicht viele. Doppelpunkt: 720.000.

Jonas: 720.000 Euros.

Sam: Ja, überwiesen und quittiert, alles in Butter.

Jonas: Wo hast du denn so viel Geld her.

Sam: Ja, vom Konto der WORF. Poetische Gerechtigkeit nennt solches der Gebildete.

Jonas: Kennst du den Code.

Sam: Ach Gott. Sowas nimmt man mit, für alle Fälle, wenn man beispielsweise Gelegenheit hat im einem gewissen E-Lieferwagen das Datensystem einer gewissen Partei gewissermaßen von hinten aufzureufeln. Comri Missio.

Jonas: Und wenn die rauskriegen wo ihr Geld geblieben ist.

Sam: Nein nein, nein, keine Panik auf der Andrea Doria. Sammy hat alle Spuren bestens verlappt, er meint, verwischt.

Jonas: Wenn das so ist, Sammy, dann hol mir doch auch gleich mein Honorar vom Parteikonto. Ich glaub nicht, daß die mir das freiwillig überweisen.

Sam: Ja das mach mer alter, sollst auch net leben wie ein Hund.

Jonas: Aber diesmal mußte Sammy passen, ausnahmsweise. Was war passiert. Die Partei hatte sehr schnell gemerkt, daß ein Unbefugter Unbekannter einen Haufen Geld von ihrem Konto abgezockt hatte und sofort den Code geändert. So ging's also nicht, aber vielleicht anders. Jonas ließ sich mit Saladina Sack verbinden und verlangte sein Geld.

Sack: Gestatten Sie daß ich lächle, Herr Jonas. Wo ist Korf?

Jonas: Wo Sie ihn nie finden, Frau Sack, ich hab ihn versteckt, gut versteckt.

Sack: So. Was ist mit Palma Kunkel?

Jonas: Unten geblieben.

Sack: Ah. Ein Vorschlag Herr Jonas, liefern Sie uns Korf, dann kriegen Sie ihr Honorar.

Jonas: Hm. Ein Gegenvorschlag, Frau Sack. Wenn Sie nicht zahlen, liefere ich Korf an die nächste große Holostation.

Sack: Das werden Sie nicht tun.

Jonas: Wollen Sie's darauf ankommen lassen.

Sack: Sie kriegen Ihr Geld, Herr Jonas, aber keine viertel Million, das ist nicht drin, 10.000 Euros wie ursprünglich vereinbart. Guten Tag.

Jonas: Immerhin. Wie heißt er jetzt unser Freund Korf?

Sam: Rabe, Ralf Rabe.

Jonas: Merkwürdiger Name. Morgenstern.

Sam: Korrekt, euer Ehren. Der Rabe Ralf ruft schaurig rah, das End ist da, das End ist da. Und nun kommt Sammy mit Tari tari taralalla.

Das war Unterwelt. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie Kornelia Boje, Susanne Schwalm, Hans Jürgen Silbermann, Hans Stetter und andere (Petra Bischof, Erwin Weigel, Werner Klein, Ursula Rehm). Ton und Technik: Daniela Röder und Günter Heß. Assistenz: Holger Buck. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1995. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:27
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Kopfjäger

Jonas: Der Klimadom war kaputt. Endgültig. Die Schleusen des Himmels hatten sich geöffnet. Babylon soff ab. Sintflut. Weltuntergang. Großalarm.

Sam: Tatü Tata...

Jonas: Das Wasser stieg und stieg. Als es mir in Mund und Nase lief, wachte ich auf. Kein Wasser, keine Sintflut. Ein Traum. Aber der Alarm war noch da. Unüberhörbar. Innervierend. Sam, natürlich, Sammy, wer oder was sonst.

Jonas: Halts Maul. Wie spät?

Sam: Drei Uhr 17 Minuten und 9 Sekunden, wenn’s beliebt, Tatü Tata!

Jonas: Mitten in der Nacht. Machst du einen widerlichen Radau. Was ist los?

Sam: Alarmstufe Rot, Genosse. Knallrot. Feuerrot. Priorität 1a. Jetzt nimm endlich ab, das Fon. Tatü Ta...

Jonas: Jajajajaja. Jonas. Nur Jonas, der letzte Detektiv. Wenn Sie mich wegen irgendwelchem Pipifax geweckt haben, wird’s Ihnen Leid tun.

Pelican: Pipifax? Ihr Leben will ich retten!

Jonas: Doch nicht so früh, aber nett von Ihnen. Augenblick. Woher kommt der Anruf, Sam?

Sam: Piep. Supermedia Betriebskrankenhaus.

Jonas: Supermedia, einer der größten Holoanbieter, der größte, genaugenommen. Neben Network. Der Boß heißt Beringer, Adolf Beringer, zweimal waren wir zusammengerasselt, und zweimal hatte Jonas knapp nach Punkten gewonnen.

Sam: Siehe Fall Megastar. Siehe Fall Westfront.

Jonas: Olle Kamellen, Sammy, geh auf Bildfon.

Sam: Ja.

Pelican: Genau was ich Ihnen vorschlagen wollte, Herr Jonas, damit Sie wissen daß es mir ernst ist.

Sam: Der hat was am Kopf, Chef.

Pelican: Was sehen Sie, Herr Jonas?

Jonas: Eine weiße Kugel, ihr ehrenwertes Haupt, wie ich vermute, verbunden und umwickelt, wer sind Sie?

Pelican: Peter Pelican, besser bekannt als Pepe mit der roten Nase. Sagt Ihnen nichts? Supermedias berühmter und beliebter Holoclown.

Jonas: Aus Kidishows mache ich mir nichts, Herr Pelican, aber ich kenne Sie natürlich, das heißt Ihren Namen.

Sam: Siehe Fall Weihnachtsmärchen.

Jonas: Weihnachten 2013, vor einem viertel Jahr. Da hatte ich Pelican ein Fax geschickt, es ging um seinen schärfsten Konkurrenten, um Conrad Coburg. Coco mit dem goldenen Herzen, Networks berühmten und beliebten Holoclown. Jonas hatte ein paar häßliche Dinge über Coburg rausgekriegt. Organschiebereien, Kinderhandel, gar nicht gut fürs kinderliebe Image. Jonas hatte Pelican informiert, und der hatte die Sache an die Öffentlichkeit gebracht. Coburg verlor seinen Job, seinen Ruf und jede Chance auf einen neuen Anfang.

Pelican: Deshalb ruf ich Sie an, Herr Jonas, wegen Coburg.

Jonas: Wollen Sie sich bedanken.

Pelican: Genau das, Herr Jonas, mit Rat und Tat gewissermaßen. Coburg ist nämlich total ausgerastet, er ist untergetaucht und hat gewaltige Kopfgelder ausgesetzt auf alle, die an seinem Sturz beteiligt waren, auf mich, auf Ihre Kollegin Valerie.

Jonas: Genannt die allerletzte Detektivin.

Sam: Oder auch Val, von wegen Jonas und der Wal, hahaha, ja, das ist ein Witz.

Pelican: Ach so.

Sam: Ja.

Jonas: Sam ist mehr als ein Witzbold, viel viel mehr. Es ist Rechner, Redner, Lexikon, Sprücheklopfer, Musikmacher, Radaubruder, Krawalltüte, Nervensäge, unschätzbare Hilfe für seinen Herrn und Meister, wenn ihm danach ist. Clevere Spinne im Internet, rücksichtsloser Geisterfahrer auf der Datenautobahn, Sam ist mein Computer, klein drahtlos, verwegen. Und laut.

Sam: Worauf Hochwürden einen lassen können.

Pelican: Ihr Kopf ist der teuerste. Herr Jonas.

Jonas: Wie teuer?

Pelican: Eine halbe Million Euros hab ich gehört.

Sam: Ist er nicht wert.

Jonas: Gehört, von wem, Herr Pelican.

Pelican: Von den beiden Schlägern, die mich überfallen haben, gestern im Parkhaus von Supermedia, zum Glück kam gerade der Werkschutz vorbei, sonst wäre ich jetzt tot.

Jonas: Danke für die Warnung, Herr Pelican.

Pelican: Ich kann mehr für Sie tun als Sie warnen, Herr Jonas. In dankbarer Anerkennung ihrer Verdienste um Supermedia macht Ihnen die Leitung unseres Hauses ein Angebot.

Jonas: Beringer? Kann ich mir nicht vorstellen, der ist nicht gerade ein Freund von Jonas.

Pelican: Herr Beringer kümmert sich nicht um Details, Herr Beringer bestimmt nur noch die großen Linien der Programmpolitik von seiner Villa auf Lanzarote aus, das Angebot macht ihnen unser geschäftsführendes Direktorium.

Jonas: Und zwar?

Pelican: Wir offerieren ihnen einen erstklassigen Bodyguard, Herr Jonas, zu ihrer freien Verfügung, bis Coburg gefaßt ist.

Jonas: Sagen Sie Ihrem geschäftsführenden Direktorium besten Dank.

Sam: Ding dong heißen Dampf.

Pelican: Sie nehmen an, Herr Jonas.

Jonas: Nein, Jonas kann auf sich selbst aufpassen.

Pelican: Wie Sie wollen, Herr Jonas, rufen Sie mich an falls Sie Ihre Meinung ändern.

Jonas: Am nächsten Morgen mußte ich früh raus, aus dem Bett, aus meinem Büroapartment, aus dem Haus. Die Stadt Babylon wollte was von Jonas, dringend, 100 Euros jedes Viertel Jahr, dafür kriegte ich einen Stempel in meine Lizenz vom Amt für Freiberufler, Unterabteilung 1113 (F13), Hostessen, Spieler, Privatdetektive, im Bezirksrathaus, nicht weit, an der Piazza Sewastopol. Ich ging zu Fuß, zügig aber vorsichtig, hielt mich dicht an den Wänden, sah mich öfter um. Nichts Verdächtiges in Sicht, kein Coburg, kein Kopfjäger. Überhaupt wenig Passanten um diese Zeit. Eine Frau mit Kinderwagen, oben an der großen Freitreppe zur Piazza, als Jonas vorbei kam, knickte plötzlich ihr linkes Bein weg, sie griff sich an die Wade, ließ den Wagen los, der fing an zu rollen, über die Stufen nach unten, immer schneller.

Frau mit Kinderwagen: Baby? Hilfe, Sie, mein Herr, bitte, laufen Sie, halten Sie den Wagen fest, retten Sie mein Baby, ich kann nicht, ein Krampf, bitte!

Jonas: Ritter Jonas sprintete die Stufen runter, dem Wagen nach. Irgendwie kam mir die Situation bekannt vor. Ein Kinderwagen, der eine Treppe runterrollt, das hatte ich schon mal gesehen. Und Sam wußte wo.

Sam: Auf der Leinwand, du Alzheimer, in der Kinemathek, Panzerkreuzer Panjunki. Uraltfilm, schwarzweiß, black and white und äh

Jonas: Und was und?

Sam: Stumm.

Jonas: Halt die Backen, Sammy, keine Zeit für cineastische Reminiszenzen.

Sam: O Gott o Gott, wer hat dir bloß so schwere Wörter gelernt.

Jonas: So, gleich hab ich den Wagen.

Sam: Nein.

Jonas: Doch. Noch zwei Schritte.

Sam: Kein Baby im Wagen. Bloß Metall und Plastik.

Jonas: Ein Robot?

Sam: Mit Babyvokoder. Alarm! Alarm! Alarm! Alarm! Alarm!

Jonas: Ich sah kurz über die Schulter, die Frau war verschwunden, Sam in meiner Tasche brüllte mit dem Robobaby um die Wette. Jonas machte einen Hechtsprung zur Seite, weg vom Kinderwagen. Keine Sekunde zu früh.

Sam: Alarm, ne Alarm vorbei, Bombe explodiert, Kinderwagen zertrümmert. Wie sieht's aus, Chef, Leben noch frisch?

Jonas: Im Prinzip ja, Sammy, ein paar Abschürfungen, eine Beule am Kopf.

Sam: Naja, allwo sie keinerlei Schaden anrichten dürfte.

Jonas: Ein Helikopter direkt über Jonas, laut und bedrohlich, noch ein Attentat? Ich zog den Revolver, sah nach oben.

Alouette: Wunderbar, bleib so, Jonas, so verdattert, halt diesen dämlichen Ausdruck, perfekt, Privatdetektiv unter Schock nach Babyattacke, danke, rühren, jetzt noch ein paar Meter Kinderwagentrümmer.

Jonas: Kein Attentäter. Alouette, Babylons bekannte Heli-Reporterin, tag und nacht ist sie unterwegs in ihrem Helikopter, über den Straßen und Plätzen der großen Stadt, immer auf der Suche nach einem knackigen Unfall, einem saftigen Massaker, wenn sie was findet, geht sie runter und schießt, mit ihrer Holokamera.

Alouette: So, das reicht für einen 10-Sekundenspot in der Bezirkssendung auf Supermedia Lokal. Machs gut Jonas. Man sieht sich.

Jonas: Man sieht sich, man kennt sich, man mag sich sogar, im allgemeinen sind Heli-Reporter unbeliebt, nicht bei Jonas. Alouette macht ihren Job, wie ich meinen. Dieselben Typen, die Alouette Aasgeier schimpfen, kriechen fast in den Holokasten, wenn ihr Material läuft. Jonas holte sich den Stempel. Keine besonderen Vorkommnisse auf dem Nachhauseweg.

Sam: Whisky Sir.

Jonas: Besser nicht, Sammy, besser klaren Kopf behalten. Sojakaff, so schwarz wie meine

Sam: Füße?

Jonas: Wie meine Stimmung.

Sam: Hehe.

Jonas: Das war knapp eben auf der Piazza.

Sam: Ja, ein wahrlich cleveres Szenario, oh du Schutz der Witwen, Schirm der Waisen, Retter der Enterbten, Verderbten, Gekerbten, Versterben.

Jonas: Genervten.

Sam: Was?

Jonas: Auch wenn sich's nicht ganz reimt.

Sam: Hilflose Frau, rollender Wagen, schreiendes Kind, da muß mein Jonas ja seinen Verstand ausknipsen, das bißchen Rest, was er sein Eigen nennt.

Jonas: Das war Profiarbeit, Sam, vielleicht Ex und Hopp, oder Freischaffende.

Sam: Tja, sollten euer Leichtfertigkeit jetzt nicht doch lieber den Pelican fonen. Von wegen des offerierten Bodyguards.

Jonas: Sollte ich, Sammy.

Sam: Hinweg mit dem Schwanken, dem Zaudern und Kranken, denn siehe er ist es, welcher uns da font, hmh, der Liebling der Kleinen, der Großmeister der Komik.

Jonas: Ja?

Pelican: Pelican. Haben Sie’s schon gehört, Jonas?

Jonas: Daß ich fast in die Luft geflogen wäre.

Pelican: Sie, wieso Sie, nein Ihre Freundin Valerie hat’s erwischt in ihrem Miniapartment in der Südstadt.

Jonas: Bombe?

Pelican: Ganz altmodische Buschmesser. Ein Blutbad. Sehen Sie sich in den Holonews an.

Jonas: Arme Valerie.

Sam: Requiescat in pace. Aus ihr wäre nie eine gute Detektivin geworden, nein nein. Amen.

Pelican: Was halten Sie jetzt von unserem Angebot, Herr Jonas.

Jonas: Schicken Sie ihn in Gottes Namen rum Ihren Bodyguard.

Pelican: Gratuliere, Herr Jonas, ein äußerst vernünftiger Entschluß.

Jonas: Wer weiß, aber das würde sich zeigen. Gut zwei Stunden später war er da.

Wayne: Ihr Bodyguard, Herr Jonas, von Supermedia.

Jonas: Kommen Sie rein, die Tür ist nicht abgeschlossen.

Wayne: Doch nicht so, Herr Jonas. Machen Sie bitte die Tür weit auf und stellen Sie sich so, daß ich Sie von außen sehen kann.

Jonas: Kein Grund zum Mißtrauen, Cowboy, ich bin ihr Schützling. Ich tue ihnen nix.

Wayne: Professionelle Routine, Herr Jonas.

Jonas: Kommen Sie schon rein, Cowboy, weisen Sie sich aus.

Jonas: Er war jünger als Jonas, etwas kleiner, genauso breit. Dokumente in Ordnung, Wayne hieß er, Jim Wayne, Ausbildung auf der Bodyguard-Akademie Dallas, Texas, ein Gastsemester in Grosny, Abschluß summa cum laude, diverse Einsätze, alle erfolgreich, soweit so gut, Sammy mochte ihn nicht, warum?

Sam: Keine Ahnung euer Ehren, aber ich komm schon noch dahinter.

Wayne: Riegel vor. Ihre Tür sollte immer verschlossen sein, Herr Jonas, Fenstervorhänge zu, haben Sie keine Jalousie, Herr Jonas, kein Rollo, bodenloser Leichtsinn, Herr Jonas, setzen Sie sich auf den Fußboden.

Jonas: Langsam, Cowboy.

Wayne: Nennen Sie mich Jim, Jonas.

Jonas: Nennen Sie mich Herr Jonas, Cowboy, jetzt setzen Sie sich mal hin und hören mir zu, in meinem Büroapartment hat nur einer das sagen.

Wayne: Jawohl, Jonas, Jonas, der große, der mächtige, der einzige und Sammy, sein Prophet, merken Sie sich das gefälligst, gell.

Jonas: Alles klar, Cowboy.

Wayne: Aber das ist professionelle Routine, Herr Jonas, das muß so sein.

Jonas: Das haben Sie so gelernt Cowboy, in Dallas und in Grosny, hier ist Babylon, Cowboy, hier bestimmt Jonas, wo’s langgeht, Sie laufen hinterher, Cowboy, und passen schön auf. Und wenn Ihnen das nicht paßt, dann nehmen Sie Ihr Bodyguarddiplom und

Sam: Und schieben es sich da rein wo's weh tut, nämlich quer.

Jonas: Und verschwinden wieder, verstanden, Cowboy?

Wayne: Kein Problem, Herr Jonas, Sie sind der Boß. Was haben Sie vor?

Jonas: Wir werden uns nicht im Haus verschanzen und abwarten, Cowboy, viel zu passiv, wir werden aktiv. Wir gehen raus.

Wayne: Wie Sie meinen, Herr Jonas. Wir gehen raus. Wohin?

Jonas: Hinter den Anschlägen steckt Conrad Coburg, korrekt.

Wayne: Korrekt Herr Jonas.

Jonas: Wenn wir Coburg schnappen, hören die Anschläge auf, korrekt.

Wayne: Korrekt Herr Jonas.

Sam: Herr Lehrer, Herr Lehrer, darf Sammy was fragen.

Jonas: Von mir aus Sam.

Sam: Wo finden wir den Coburg Genosse, na, wo steckt der Schuft, wo hat er sich verkrochen.

Jonas: Gute Frage Sammy.

Wayne: Die ich ihrem Computer vielleicht beantworten kann Herr Jonas. Herr Pelican hat mir nämlich einen Tip gegeben.

Jonas: Coburg war nicht immer der berühmte Holoclown von Network gewesen, Coburg hatte klein angefangen, ganz klein, als Studioarbeiter bei Supermedia vor langer langer Zeit, als Holoserien noch nicht digital produziert wurden, sondern real, mit wirklichen Schauspielern, mit echten Requisiten in richtigen Studios. Jonas kannte das verlassene Studiogelände von Supermedia.

Sam: Siehe Fall Megastar, zweieinhalb Jährchen sind's nun her.

Jonas: Viel wird sich da nicht verändert haben, Sammy, ein bißchen mehr Staub, ein bißchen mehr Müll.

Sam: Absolute dead trouser, Sir, tote Hose.

Wayne: Das perfekte Versteck für einen gesuchten Verbrecher falls Sie mir die Bemerkung gestatten, Herr Jonas, und falls Sie vorhaben, das Studiogelände aufzusuchen, Supermedia stellt ihnen eine E-Limousine zu Verfügung.

Jonas: Die stand auf der Straße vor dem Haus, Jonas durfte nicht gleich einsteigen, erst legte sich der Cowboy auf den Rücken und schob sich unter den Wagen, wegen Haftladungen etc. Professionelle Routine.

Wayne: Reifen OK, Leitungen auch, jetzt noch der Akku.

Killer: Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv?

Jonas: Wer will das wissen?

Killer: Mein Laserstrahler. Ahh...

Jonas: Schnell war er, der Cowboy, ehe ich meinen Revolver aus dem Halfter hatte, zog er eine abgesägte Schrotflinte aus dem Hosenbein. Der bedröhnte Typ kam gar nicht mehr dazu seinen Laser abzudrücken, er fiel um, in einem Feuerwerk blutiger Fontänen.

Wayne: Mit der Schrothflinte arbeite ich gern, Herr Jonas, viel zuverlässiger als ein Laser. Unter uns, Herr Jonas, sie macht so ein befriedigendes Geräusch.

Alouette: Da ist also wirklich was dran Jonas?

Jonas: Woran Alouette?

Alouette: Daß ein hohes Kopfgeld auf dich ausgesetzt ist. Geh mal Stück zur Seite. Total durchsiebter Killer schwimmt im eigenen Blut, das muß groß ins Bild. Sowas reißen sie mir aus den Händen, mach so weiter Jonas, das ist gut fürs Geschäft.

Jonas: Krieg ich Prozente, Alouette?

Alouette: Mal sehen. Bis bald Jonas. Ich bleib in der Nähe.

Jonas: Das alte Studiogelände von Supermedia war noch genauso, wie ich es in Erinnerung hatte, eine weiträumige Geisterstadt, kein Laut, kein Mensch, nicht mal ein Geist, große Hallen mit verrotteten Dächern, zerfallene Schuppen, Schrotthaufen, zerfressene Kabel und Staub, überall Staub, dick und gleichmäßig wie ein grauer Teppich, ein Teppich, den seit Ewigkeiten niemand betreten hatte. Auf den ersten Blick jedenfalls. Der Cowboy sah zweimal hin und fand was.

Wayne: Spuren, Herr Jonas, im Staub.

Jonas: Schuhe und Reifen.

Wayne: Frische Spuren, wenn Sie mich fragen Herr Jonas.

Jonas: Wann hat’s zuletzt geregnet Sammy?

Sam: Nu warten Sie mal mein Gutester. Gestern war's, am 11. März 2014. Das vom Turme schlug die 9. Stund.

Wayne: Was meinen Sie Jonas, Coburg?

Sam: Ne. Bamberg.

Jonas: Möglich. Die Spuren führten zu einer abgelegenen Halle, wir folgten ihnen, vorsichtig, mit gezogenen Waffen, professionelle Routine, durch die offene Tür, in den leeren Innenraum, nein, nicht leer, nicht ganz, durch ein Loch im Dach fiel Licht auf das entgegengesetzte Ende der Halle, da stand ein Sessel, ein altmodischer Ohrensessel, Blümchenbezug, geschwungene Armlehen, im Sessel saß einer, stocksteif, regungslos, still. Wir blieben an der Tür stehen. Wie ging's weiter.

Wayne: Wenn Sie freundlicherweise hier warten würden, Herr Jonas, lassen Sie mich vorangehen. Und die Lage abchecken, das ist mein Job.

Jonas: OK, Cowboy, ich geb Ihnen Deckung, professionelle Routine.

Wayne: Danke, Herr Jonas.

Sam: Halten zu Gnaden, Exzellenz, der Kerl ist mit Nichten und Neffen astrein.

Jonas: Der im Sessel.

Sam: Der auch, aber Sammy meint den Cowboy, Jimmy Wayne, den allseits bekannten vollakademischen Bodyguard, summa cum laude, pingpong pipapo.

Jonas: Was stört dich an ihm?

Sam: Wie er atmet, ein und aus, präziser wie oft.

Jonas: Seine Atemfrequenz. Was ist damit.

Sam: Die ist immer die gleiche, 30 Schnaufer pro Minute, egal was er macht, ob er geht oder steht, ob er schweigt oder redt, ob ihm warm ist oder kalt, ob er mit der Flinte knallt, immer genau 30 Atemzüge.

Jonas: Das gibt's nicht, Sam.

Sam: Das ist so, außerdem der Kerl sendet.

Jonas: Bist du sicher?

Sam: Blöde Frage und so unnötig. Sicherheit dein Name ist Sam.

Jonas: Was sendet er?

Sam: Weiß ich noch nicht, verschlüsselt. Gefällt mir gar nicht.

Jonas: Meinst du mir. Kannst du die Sendung blockieren.

Sam: Vielleicht, mal probieren?

Wayne: Der Mann auf dem Sessel ist Coburg, Herr Jonas.

Jonas: Ich ging näher ran. Tatsächlich. Conrad Coburg, Exholoclown, Krimineller, Kopfgeldspezie, da saß er, verschnürt, verklebt, geknebelt, seine Augen waren weit aufgerissen, die Augäpfel rollten hektisch, als ob er uns dringend was mitteilen wollte, ansonsten tickte er, unaufdringlich, regelmäßig. Moment, Coburg tickt.

Wayne: Zurück, Herr Jonas!

Jonas: Sollte man ihm nicht den Knebel aus dem Mund

Sam: Klar doch, und ihm die Nase putzen und den Hintern abwischen, ach hau ab du Volltrottel.

Jonas: Sam, sag doch was du meinst, Bombe, Sammy.

Jonas: Eine Bombe im Sessel, der hatte sich in seine Bestandteile aufgelöst, Coburg desgleichen, der Cowboy und Jonas rappelten sich auf, und betrachteten die Stätte der Verwüstung, dann sahen wir hoch, durchs Loch im Dach auf Alouette in ihrem Helikopter.

Alouette: Hallo da unten, aller guten Dinge sind drei, was Jonas.

Jonas: Halten Sie doch kurz mal meinen Computer, Cowboy.

Sam: Hey, ich bin kein Lasso.

Jonas: Andererseits auf drei Beinen kann man nicht stehen Alouette.

Alouette: Aber nur wenn man ein Esel ist, wiedersehen Jonas.

Jonas: Jonas war ein Esel, Jonas hatte sich aufs Glatteis locken lassen, die ganze Geschichte stimmte hinten und vorne nicht. Coburg würde sich doch nicht selbst in die Luft sprengen, nur um Jonas zu erwischen, und dann dieser merkwürdige Body-guard mit dem gleichmäßigen Atem und dem ausgeprägten Sendungsbewußtsein.

Sam: Doch ist dies noch nicht alles, Herr und Meister, höre und staune, unser Freund, der Cowboy hat immer denselben Puls und denselben Blutdruck.

Wayne: Ach, deshalb haben Sie mir ihre quäkende Blechdose in die Hand gedrückt.

Sam: Nananananana, und schwitzen tut er auch nicht, kein einziges Tröpfelchen.

Jonas: Professionelle Routine, Cowboy.

Wayne: Könnte man sagen, Herr Jonas, stehen Sie bitte ganz still, und nehmen Sie die Hände hoch. Ahh!

Sam: Ja, das piept im Lockenköpfchen, gelle, mach's Maul zu. Jonas, Jammerdam steh nicht blöd rum, Sammy kann die Gehirnströme nur kurz blockieren, tu was, schnapp dir ein Sesselbein und zieh's ihm über die Rübe. Na bitte, s geht doch.

Jonas: Sammy hatte ihn durchschaut, nur eine Maschine kann eine andere Maschine erkennen, besonders wenn die als Mensch maskiert ist, der Cowboy war kein Mensch, er war ein Android, ein Replikant, ein gentechnisches Produkt, eine illegale Konstruktion mit ein paar noch illegaleren Extras.

Sam: Kameras hinter den Augen, Mikrophone in den Ohren, melde gehorsamt, Herr Kommodore, der Kerl ist ein wandelndes Holostudio.

Jonas: Das heißt alles was er sieht und hört nimmt er auf.

Sam: Ja, und mehr noch Jonaslein, alles was er sieht und hört sendet er auf Sonderfrequenz.

Jonas: Du hast die Verschlüsselung geknackt, Sammy.

Sam: Ja, kein Schlüssel ist ihm zu schlitzohrig, kein Code zu kompliziert, denn wahrlich er ist Sam, der Sultan der Systeme, der Dandy der Dateien, der Nabob der Netze.

Jonas: Der Houdini der Hacker.

Sam: Ja. Nicht schlecht, Kumple, könnte von mir sein, der Cäsar der Cyperpunks.

Jonas: Das reicht Sammy, sonst noch was?

Sam: Ja, der Cowboy hat einen Hohlraum im Bauche. Allwo Menschen und Normandroiden ihren Magen zu hegen pflegen.

Jonas: Was drin.

Sam: May be, Sir. Perhaps. Possible.

Jonas: Was heißt das?

Sam: Weiß ich a nett. Nichts genaues weiß man nicht. Indem das selbiger Hohlraum exorbitant beschirmt und abgeschottet ist, doch gib Sammy ein wenig Weile o Herr.

Jonas: Wieviel?

Sam: Sagen wir zwei Stunden ha?

Jonas: Unmöglich. So viel Zeit hatten wir nicht, es gab wichtiges zu tun, z.B. rauskriegen, was gespielt wurde, und Jonas war klar, wo er einhacken mußte. Wer hatte ihm denn das faule Ei, den Cowboy angedreht.

Sam: Na wer, Majestro Pelicano, Pelicanissimo, regelrecht bekniet hat er meinen Jonas, begrötscht, belatscht.

Jonas: Genau, und wo steckt Pelican.

Sam: Supermediabetriebskrankenhaus im Supermediahochhaus.

Jonas: Wie kommen wir rein.

Sam: Wie kommen wir rein, wie kommen wir rein, durchs Tor, mittels einer enteigneten Paßscheibe.

Jonas: Lieber nicht, Sammy.

Sam: Wieso?

Jonas: Vielleicht warten sie da schon auf Jonas, wer immer sie sind. Besser durch die Hintertür.

Sam: Gibt's nicht, du Nappsülze.

Jonas: Selber Nappsülze.

Sam: Was?

Jonas: Ich mein das bildlich, symbolisch sozusagen.

Sam: Ach was und wo belieben Herr Symbolist oder auch Symboliker besagte Hintertür zu lokalisieren, hm? Hinten?

Jonas: Oben Sammy, du hast doch die Frequenz von Alouette.

Sam: Aber sicher dat.

Jonas: Ruf sich an, Jonas will mit ihr reden.

Sam: Hören ist gehorchen, o Herr der Himmlischen Herscharen.

Jonas: Augenblick noch Sam. Was machen wir mit dem Cowboy, irgendwann kommt er wieder zu sich.

Sam: Muß nicht sein, Eminenz, lasset ihn uns ganz tot machen, auseinanderschnippeln und die Einzelteile auf den Schrott schmeißen. Amen.

Jonas: Ich weiß nicht, Sammy.

Sam: Was?

Jonas: Wir sollten ihn erst mal aufheben, bis genau feststeht, was los ist. Hier wird sich doch irgendwo eine Kammer finden mit einem Schlüssel. Sehen wir uns mal um.

Sam: Ja. Sehen wir uns mal um, apropos um, um auf die Dame Alouette zurückzukommen, Verehrtester.

Jonas: Alouette hatte eine Dauergenehmigung, sie durfte jederzeit auf dem Supermediahochhaus landen. Das Sicherheitssystem ließ ihren Helikopter durch, die Wachen kannten sie. Alouette war gern bereit, Jonas auf dem Studiogelände aufzulesen und mit ihm den kurzen Trip zum Supermediahochhaus zu machen, nicht nur aus Sympathie, sie hoffte auf neue schöne Bilder. Von blutigen Anschlägen und explosiven Attentaten. Eine durchaus begründete Hoffnung.

Wächter: Was haben Sie denn heute im Kasten Alouette, ein Hackebeilmassaker, ein Massen-barbique, Barbiques find ich am besten, wenn die Leute so richtig anfangen zu brutzeln.

Alouette: Warten Sie's ab, falls ihr Newsboß sein OK gibt, sehen Sie s heute abend im Holo. Mein neuer Assistent Jo

Jonas: Johnson, Joseph Johnson.

Alouette: Pelican will was von uns. Wo finden wir ihn?

Wächter: Ach, Sie haben was mit der Operation Private Eye zu tun. Im Penthouse von Herrn Beringer, braucht er ja nicht mehr, seit er auf Lanzarote ist. Manche haben's gut. Da drüben. Soll ich Sie mit dem Scoter hinbringen.

Alouette: Lassen Sie nur, wir laufen ganz gern mal ein Stück, was Josef.

Jonas: Auf dem weiten Flachdach wirkte Beringers Penthouse wie eine Warze oder wie ein Pickel auf einer Glatze, um uns, unter uns Babylon, die große Stadt, schwarze Wolken über dem Reservat, über den Wohnvierteln grauer Smog, giftgelbe Dämpfe aus den Heizwerken, ein paar Kilometer entfernt ragte Atlas in die Höhe, der gigantische Kran für Reparaturen am Klimadom, der Klimadom ist immer kaputt, Atlas ist immer im Einsatz. Jonas nahm die Aussicht nur nebenbei zur Kenntnis, Jonas grübelte. Was war Operation Private Eye? Jonas machte sich Sorgen. Wir kamen ans Penthouse, wir gingen nicht durch Tür, wir gingen um die Ecke, zur Rückseite, wo wir vom Heliport aus nicht gesehen werden konnten, aber wir konnten sehen, ins Penthouse, durchs offene Fenster, und wir konnten hören.

Pelican: Tut mir leid, Herr Beringer, ich kann den Androiden noch immer nicht erreichen.

Beringer: Versuchen Sie's weiter Pelican.

Pelican: Selbstverständlich Herr Beringer. Hallo, Wayne, Pelican ruft Wayne. Bitte melden. Pelican ruft Wayne.

Jonas: Mein dankbarer Freund Peter Pelican, ich erkannte ihn an der Stimme, nur an der Stimme, er sah ganz anders aus als heute nacht im Bildfon, der Kopfverband war weg, Pelican war munter und beweglich, offensichtlich geheilt, auf wundersame Weise, er saß an einem hochmodernen Interkompult vor zwei großen Monitoren, diversen Mikros, unzähligen Tasten und Schaltern, gerade hatte er mit Beringer gesprochen, dem großen Boss von Supermedia, nicht direkt, über Mikro und Monitor, hinter Beringers Schrumpfkopf leuchtete ein Himmel von unwahrscheinlichem Blau über schwarzem Sand, Lanzarote, der zweite Monitor blieb dunkel, der Cowboy war wohl immer noch bewußtlos.

Pelican: Pelican ruft Wayne. Ich seh was Herr Beringer, da ist was auf dem Monitor. Pelican ruft Wayne. Kommen. Wayne kommen.

Wayne: Was was ist passiert Herr Pelican?

Pelican: Das will ich von Ihnen wissen, Wayne.

Jonas: Der Cowboy kam zu sich, auf dem Monitor zeichnete sich was ab, zuerst vage, dann immer schärfer. Die Wand der Kammer, in die Jonas ihn gesperrt hatte. Das Auge des Androiden wurde klarer, sein Kopf auch und seine Erinnerung.

Wayne: Ein Schmerz, ein entsetzlicher Schmerz im Kopf, mehr weiß ich nicht.

Beringer: Was ist los Pelican?

Pelican: Wayne ist noch auf dem alten Studiogelände, Herr Beringer.

Beringer: Was ist mit Jonas.

Pelican: Ja das weiß ich nicht, Herr Beringer, ich meine Wayne weiß es nicht.

Beringer: Hat er ihn verloren.

Pelican: Sieht ganz so aus Herr Beringer. Jonas ist offenbar mißtrauisch geworden. Tut mir leid.

Beringer: Es tut ihnen leid Pelican. Ich sag ihnen was. Wenn Sie diesen dämlichen Androiden nicht ganz schnell wieder mit Jonas zusammenbringen dann wird's ihnen noch sehr viel mehr leidtun. Haben Sie mich verstanden.

Pelican: Jawohl, Herr Beringer, ich...

Beringer: Ich habe Operation Private Eye aktiviert, um diesen Superbastard Jonas ein für alle mal zu erledigen. Sie Pelican habe ich als Chef vor Ort eingesetzt, weil Jonas keinen Grund hat, ihnen gegenüber mißtrauisch zu sein, und weil ich Sie für einen fähigen Medienkoordinator gehalten habe, das war wohl ein Irrtum.

Pelican: Aber nein Herr Beringer.

Beringer: Ihr Szenario war nicht schlecht, Coburgs angeblicher Rachefeldzug, das Kopfgeld, der Android, den wir bei der Korporation als Sonderanfertigung in Auftrag gegeben haben, um ihn Jonas als Bodyguard unterzuschieben, soweit ganz ordentlich, und was dabei herauskam, habe ich mir mit Vergnügen angesehen.

Pelican: Danke Herr Beringer, vielen Dank.

Beringer: Aber da Sie jetzt die Initiative verloren haben.

Pelican: Nur momentan, Herr Beringer, das wird sich ganz schnell wieder ändern, verlassen Sie sich auf mich.

Beringer: Sie können mir viel erzählen, Pelican. Fakten wenn ich bitten darf, konkrete Vorschläge.

Pelican: Jaja. Sehen Sie, Herr Beringer, wo immer Jonas sich zur Zeit aufhält, er wird früher oder später zur Basis zurückkehren in sein Büroapartment, und wenn Wayne sich ein bißchen erholt hat, wird er dort hin fahren, und warten, bis Jonas auftaucht, und dann

Beringer: Dann keine Spielchen mehr Pelican, keine Kopfjäger, kein neuen Attentate.

Pelican: Ja aber wir haben doch noch einiges in petto, Herr Beringer, auf Ihren Wunsch, Sie wollten ein extensives dramaturgisch aufbereitetes Medienspektakel.

Beringer: Gestrichen, bei nächster Gelegenheit wird Operation Private Eye terminiert.

Pelican: Modus wie vorgesehen, Herr Beringer.

Beringer: Wie vorgesehen, sobald Jonas und Wayne beieinander sind, drücken Sie auf den roten Knopf.

Pelican: Und die Sprengladung in Waynes Bauch geht hoch.

Beringer: Das will ich hoffen Pelican.

Pelican: Seien Sie unbesorgt, Herr Beringer, es wird keine Pannen mehr geben. Wayne, Pelican ruft Wayne. Wie fühlen Sie sich, Wayne.

Wayne: Etwas besser, Herr Pelican.

Jonas: Jonas gab das Zeichen zum Aufbruch. Jonas hatte genug gehört, hinter der Geschichte steckte nicht Coburg, der war nur eine entbehrliche Figur im Spiel, der Spieler war Beringer, und Jonas war der Verlierer, wenn Beringer genug mit ihm gespielt hätte, würde er ihn vom Brett nehmen durch die Bombe im Cowboy. Der Supermediaboß hatte es nicht verwinden können, daß Jonas ihm seinerzeit sein großes Weltkriegspiel kaputtgemacht hatte. Rache ist süß.

Sam: Rache ist Blutwurst. Also spricht Willy Wutzke der Weise von Wibelskirchen.

Jonas: Wirklich, ich bin sicher es war der Weihnachtsmärchenfall, dadurch ist Beringer wieder eingefallen, daß es Jonas gibt. Und er hat sich vorgenommen, mir die alten Geschichten gründlich heimzuzahlen.

Alouette: Vielleicht langweilt er sich auf Lanzarote. Eigentlich schade.

Jonas: Was ist schade Alouette?

Alouette: Daß du jetzt Bescheid weißt, Jonas.

Jonas: Findest du?

Alouette: Du wist natürlich Gegenmaßnahmen treffen, Beringers Plan durchkreuzen, den Androiden ausschalten, und das heißt, keine Bomben mehr, keine Kopfjäger die an den Ecken lauern, kein Feuer, kein Blut, für mich ist in deiner Geschichte nichts mehr drin Jonas.

Jonas: Da irrst du dich gewaltig, Alouette. Das beste kommt noch, der große Höhepunkt. Der absolute Knalleffekt.

Alouette: Was denn?

Jonas: Wirst du sehen und aufnehmen und gut verkaufen. Sam? Sam?

Sam: Yes, ich meine was beliebt meinem ollen Knochen, dem Herrscher über 100.000 Haremsweiber?

Jonas: Haha, schön wär's, das heißt bei näherer Betrachtung doch lieber nicht.

Sam: Wünscht er den weisen Spruch, das muntre Lied oder den klugen Rat?

Jonas: Eher die kühne Tat Sammy.

Sam: O. Aha. Hauen und Stechen.

Jonas: Hacken und Brechen, Sammy, das kannst du besser.

Sam: Wohlan, worum geht's, sagts nur ungescheut.

Jonas: Du kennst ja die Spezialfrequenz, auf der der Cowboy sendet.

Sam: Mach dir keine Sorgen, sie blieb mir nicht verborgen.

Jonas: Du wirst dich da als eine Art Relaisstation festsetzen, falls du das kannst.

Sam: Ja, das alles auf Ehr, das kann ich und noch mehr, lalala ungefähr.

Jonas: Alles was der Cowboy an Pelican sendet, Bild und Ton das wirst du abfangen.

Sam: Zu Befehl abfangen, zack zack die Waldfrau.

Jonas: Statt dessen wirst du Falschmaterial an Pelican weiterleiten, imaginäre Bilder, irreale Töne, Pelican soll glauben, der Cowboy tut, was ihm befohlen wird, das heißt Pelican wird sehen, wie der Cowboy zu Jonas nach Hause fährt und da wartet.

Alouette: Aha, wohingegen

Alouette: Wohingegen der Cowboy auf eine ganz andere Reise gehen wird, mit deiner Hilfe Alouette.

Alouette: Was soll ich tun.

Jonas: Du landest jetzt auf dem Studiogelände und dann... Ist der Cowboy noch im Kabuff, Sammy.

Sam: Ja, ja ja, gerade eben noch gestrenger Herr, in dem er just, oha, jetzt beginnt die Tür mit wuchtigen Tritten aufzusplitten.

Jonas: Das soll er bleiben lassen, hau rein, Sammy, verpaßt ihm eine zweite Dosis Kopfweh aber vorher

Sam: Vorher setz ich mich auf des Funkes Wellen, ich fange ab was wirklich ist und sende was nicht stimmt.

Jonas: Genau, du sendest was Pelican sehen und hören würde, wenn der Cowboy tatsächlich ausbricht.

Sam: Ausbräche, bitte, Konjunktiv du verbaler Legastheniker.

Jonas: Geschenkt, dann läßt du den Cowboy zur E-Limousine gehen, zu mir fahren und vor der Tür warten. OK?

Sam: O, viele viele Bilder, bewegt und dreidimensional, viele viele Töne und das alles genital, Korrektur digital produziert, hast du eine Ahnung, wie viel Prozesse ablaufen.

Jonas: Nö, aber du schaffst das schon, Sammy.

Sam: Ach ja immer ich, da kommt ein kleiner Computer ganz schön ins Schwitzen.

Jonas: Streng dich, an wenn's vorbei ist schenk ich dir was Schönes.

Sam: Was denn?

Alouette: Wir landen, halt dich fest Jonas.

Jonas: Alles lief nach Plan, ich schloß die Kammer auf, der Cowboy hockte stöhnend in der Ecke, ich gab ihm eine Narkose mit dem Griff meines Revolvers. Alouette fand ein brauchbares Seil. Wir fesselten den Cowboy und hängten ihn unter den Helikopter.

Alouette: Und jetzt Jonas?

Jonas: Jetzt empfehlen wir uns.

Alouete: Wohin?

Jonas: Supermediahochhaus, wir haben ein Paket abzuliefern.

Alouette: Auf geht's.

Jonas: Inzwischen war es dunkel geworden, über dem Hochhaus ging Alouette tiefer, so unauffällig wie möglich Jonas beugte sich raus, mit seinem Taschenmesser schnitt er das Seil durch, der Cowboy rutschte von der Kufe aufs Penthousedach, da blieb er liegen. Alouette zog den Helikopter hoch.

Jonas: Das reicht, Alouette, halt ihn hier fest. Holokameras bereit.

Alouette: Immer bereit.

Jonas: Mit hochempfindlichem Material für Aufnahmen bei Dunkelheit.

Alouette: Willst du mir meinen Job beibringen Jonas.

Jonas: Sam, was sieht Pelican auf dem Monitor.

Sam: Ja was sieht er denn, a ja, den Flur von eurer Gnaden fürstlicher Behausung, dort, ja dort glaub er steht der Cowboy meinen Herrn erwartend.

Jonas: Wird Zeit daß ich komme.

Sam: Treppe?

Jonas: Was denn sonst. Der Fahrstuhl ist kaputt.

Sam: Ach so.

Jonas: Dösel.

Sam: Schwere Schritte auf den Stufen, nach eines langen Tages Last und Frust kehrt müde heim der letzte Detektiv, häh, auja jetzt ist er im 16. Stock.

Jonas: Er biegt um die Ecke.

Jonas: Der Cowboy erblickt ihn, und mein Jonas erblickt den Cowboy, ist das spannend, verständnislos glotzt er ihn an, treu doofen Blicks. Wie Pelican es befiehlt tritt der Cowboy an Jonas heran, nah, ganz nah... Alle neune, Hip hip hurra.

Jonas: Pelican hatte auf den roten Knopf gedrückt, die Sprengladung im Bauch des Cowboys ging hoch, mitsamt dem Cowboy, dem Penthouse und natürlich dem Pelican. Ganz zu schweigen von Riesenloch nebst Großbrand in den oberen Etagen, ein gewaltiges Spektakel. Operation private Eye war erledigt. Jonas war zufrieden. Alouette auch, sie hatte das Feuerwerk aufgenommen, mit Zoom und Weitwinkel und Teleobjektiv.

Alouette: Mal sehen wer am meisten zahlt. Network oder Holo oder eine von den Indiproduktionen.

Jonas: Ich würde das Band zuerst Supermedia anbieten.

Alouette: Gute Idee Jonas.

Jonas: Ich hab noch eine, Alouette. Du hast Jonas geholfen, danke. Und Jonas hat dir geholfen.

Alouette: Danke.

Jonas: Das sollten wir ausbauen. Vertiefen, noch heute abend im Casablanca, was meinst du.

Alouette: Einverstanden. Ich geh gern mal ins Casablanca, bloß schade, daß du nicht mitkommen kannst, Jonas.

Jonas: Was? Warum nicht?

Alouette: Weil du schon eine Verabredung hast. Eine dringendere.

Jonas: Davon weiß ich nichts.

Alouette: Aber ich. Hallo, Herr Beringer, hier Alouette, Stichwort Jonas, ich weiß nicht, ob Sie's schon erfahren haben, Ihre Operation Private Eye ist ja nun leider voll in die Hose gegangen, ja schade um Ihr Penthouse, schade um Ihren Holoclown Pelican und schade um das viele Geld, das Sie der Korporation für den Spezialandroiden gezahlt haben. Jetzt sind Sie doch sicher noch mehr an Jonas Kopf interessiert, Herr Beringer, das dachte ich mir. Augenblick Herr Beringer, ich muß was erledigen, eine Kleinigkeit, dauert nicht lange.

Jonas: Der Helikopter kippte plötzlich nach links, Jonas verlor das Gleichgewicht, ich hätte gewarnt sein müssen, aber ich traute Alouette, treu-doof, Sammy hatte Recht, blitzschnell zog Alouette mir den Revolver aus dem Halfter, und bevor Jonas reagieren konnte, drückte sie ein einen Knopf am Armaturenbrett, mein Sitz klappte nach vorn, im Boden tat sich eine Öffnung auf, Jonas rutschte, fiel durch, stürzte, dann ein Ruck, Jonas hing an einer Leine, die an seinem Gurt befestigt war, kopfüber unter dem Helikopter, schnappte nach Luft und versuchte sich aufzurichten, während Alouette weiter mit Beringer sprach.

Alouette: Was wäre Jonas ihnen denn so wert, tot oder lebendig, wie Sie wollen, Herr Beringer, tot, wenn Ihnen das lieber ist, wieviel, 500.000 machen Sie Witze, das sind Peanuts, lassen wir doch das Schachern. 5 Millionen. Nein, keinen Euro weniger.

Jonas: Sam, bist du noch da, Sam.

Sam: Mehr oder weniger Chef.

Jonas: Halt dich bloß gut fest.

Sam: Man tut was man kann. Ist nicht leicht ohne Hände. Sammy wird schlecht.

Jonas: Das glaub ich dir nicht. Du hast keinen Magen.

Sam: Aber dafür hat Sammy einen Einfall, wie sein heißgeliebter Jonas aus dieser höchst prekären Situation und Todesgefahr womöglich zu retten wäre.

Jonas: Und wie soll das gehen.

Sam: Sammy sagt nur Steuersystem des Helikopters. Oha, kuck mal nach rechts.

Jonas: Nach rechts. Moment. Verstehe, tu dein bestes, Sammy, ich versuch Alouette abzulenken.

Sam: Jawohl. Systeminfiltrator Sam meldet sich ab Sir.

Jonas: Ich hab mitgehört, Alouette.

Alouette: Dann weißt du ja Bescheid.

Jonas: Erst hilfst du Jonas, dann verkaufst du ihn an Beringer, pfui Teufel.

Alouette: Du mußt das richtig sehen, Jonas, Ich habe dir geholfen, damit ich dich an Beringer verkaufen kann.

Jonas: Ich dachte wir sind Freunde.

Alouette: Sind wir ja auch, es fällt mir gar nicht leicht mich von dir zu trennen, aber Geschäft ist Geschäft. Weißt du, eine Heli-Reporterin verdient ja nicht schlecht, aber das richtig große Geld mach ich nebenbei als Kopfjägerin.

Jonas: Darum die spezielle Ausrüstung deines Helikopters, Schleudersitz, Loch im Boden.

Alouette: Und zu recht praktisch.

Sam: Agent Toilette, Korrektur Agent Null Null Sam zurück von geheimer Mission Sir.

Alouette: Das Steuer!

Jonas: Sammy hatte den Autopiloten lahm gelegt und ganz sachte den Kurs geändert, nach rechts, immer weiter nach rechts, wo Atlas aufragte, der Superkran. Als Alouette was merkte, war Atlas direkt voraus und nur noch ein paar Meter entfernt, sie riß verzweifelt am Steuerknüppel, aber das brachte nichts mehr, in vollem Tempo prallte der Helikopter auf Atlas, stürzte ab, schlug auf. Und Jonas, der hatte fleißig gesägt an der Leine mit seinem Taschenmesser, kurz vor der Kollision war die Leine durch und Jonas sprang, rüber auf Atlas, da klammerte er sich ans Gestänge, und wartete, bis er wieder zu Atem gekommen war.

Sam: Bravo... sehr gute Weite, aber die Haltung.

Jonas: Bin ich Schwarzenegger, Sammy.

Sam: Ne wahrlich nicht jener einst leidlich bekannte Kraxel und Kabinettstiroler, denn siehe es gilt zu steigen an die 500 Meter in gähnende Tiefe auf schwankendem Pfad.

Jonas: Man tut was man kann. Unten am Fuß des Krans rauchte ein Schrotthaufen, ein Stilleben in Stahlgrau, rußschwarz und blutigrot, schade, daß Alouette mit ihrer Kamera nicht da war. Drei Stunden später, ein total erschöpfter Jonas schleicht über den Flur zur Tür seines Apartments, plötzlich eine Bewegung vor mir im Schatten, eine massive Gestalt, der Cowboy? Unmöglich. Ein Kopfjäger?

Sam: Nix Kopfjäger, ein Robex.

Robot-Exekutor: RE747B, offizieller Robotexekutor der Stadt Babylon, ich habe einen amtlichen Bescheid für Herrn Jonas, nur Jonas, wohnhaft hier.

Jonas: Der bin ich.

Robot-Exekutor: Der Bescheid lautet: Durch eine Vielzahl von Attentaten, Explosionen und Unfällen ist im babylonischen Stadtgebiet erheblicher Sachschaden entstanden. Da die jeweiligen Verursacher nicht zu ermitteln sind, werden Sie, Herr Jonas, als an sämtlichen vorerwähnten Vorfällen Beteiligter für den Schaden haftbar gemacht. Der berechnete Gesamtbetrag von 873.441 Euros und 7 Cents wird von Ihrem Konto abgebucht. Widerspruch gegen diesen Bescheid ist binnen einer Frist von 3 Tagen einzulegen. Die Stadt Babylon. Im Auftrag Karin Kinne, Sachbearbeiterin. Soweit der Bescheid. Guten Tag.

Sam: Ein Schlimmdödel.

Jonas: 873.441 Euros.

Sam: Und 7 Cents. Wer den Pfennig nicht ehrt.

Jonas: Was macht man denn da Sammy.

Sam: Vielleicht zahlt Herr Beringer, wenn man ihm gut zuredet, wenn man ihm sagt, daß man widrigenfalls Network informiert über gewisse Vorkommnisse in Zusammenhang mit Supermedia, mit Herrn Beringer, Herrn Pelican und einem höchst illegalen Androiden.

Jonas: Das ist Erpressung, Sam.

Sam: Merke, hast du ein zart Gewissen, dann geht es beschissen, sei schlau und sei gerissen, dann wirst du Geld nie missen.

Jonas: Äh. Willy Wuzke.

Sam: Ne, Sam, Sam, der weise, der Denker, der Philosoph, der Erfahrene, der Verständige, der Scharfsinnige, der Intelligente, der Fuchs, das Huhn...

Das war Kopfjäger. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Ingeborg Schöner, Alexander Duda, Achim Höppner, Alexander Kerst und andere (Werner Klein, Hubert Mulzer, Ursula Rehm, Holger Buck). Ton und Technik: Daniela Röder und Günter Heß. Assistenz: Holger Buck. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1995. Redaktion Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:26
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Virtuella

Jonas: Sie kennen das. Aus hundert Romanen und tausend Filmen. Der Privatdetektiv sitzt in seinem Büro. Dreht Däumchen. Bohrt in der Nase. Plötzlich geht die Tür auf - und wer kommt rein? Richtig! Eine tolle Frau! Atemberaubend! Geheimnisvoll! Blond! Angezogen wie das Titelblatt von Lifestyle. Sie sah mich an. Herausfordernd. Abschätzend. Sie setzte sich. Schlug die Glitzerbeine übereinander. Vielleicht ein bißchen klein geraten, und ein bißchen ungelenk, sie war erst dreizehn.

Mona: Dreizehn einhalb. Hallo, wie geht es Ihnen?

Jonas: Gestern ging es noch, und selbst?

Mona: Danke der Nachfrage. Sie sind der Detektiv?

Jonas: Ich bin Jonas, nur Jonas. Der letzte Detektiv. Enkel von Sam Spade und Philip Marlowe. Spezialist für aussichtslose Fälle. Für Fälle, die nichts einbringen. Für Fälle mit übermächtigen Gegnern und undurchsichtigen Klienten. Ein Kind als Klientin, das war neu.

Mona: Langsam. Ich weiß ja noch gar nicht, ob ich Sie nehme.

Jonas: Hast du an mir was auszusetzen?

Mona: Sie sind zu alt.

Sam: Haha!

Mona: Süß!

Jonas: Ich?

Mona: Ihr Taschencomputer hier auf dem Tisch. Ein richtiges kleines Männlein. Süß. Darf ich mit ihm spielen?

Sam: He, Finger weg! Bin weder Männlein weder süß, mein Fräulein ich verbiet mir dies.

Mona: Süß, er spricht!

Sam: Ach Herrje.

Jonas: Er spricht nicht nur, er quasselt und blödelt und singt und sülzt. Ein Spezialversuchsmodell. Seinerzeit billig zu kriegen. Ein Glück, daß es so was wie ihn nur einmal gibt und mein Pech, daß er mir gehört. Aber loswerden will ich ihn auch nicht. Meistens jedenfalls. Wir haben uns aneinander gewöhnt. Mehr oder weniger.

Sam: Ich hab mich so an dich gewöhnt hahaha.

Mona: Süß. Wie heißt er.

Jonas: Sam.

Sam: Samuel bitte. Samuel.

Jonas: Du kannst Sammy zu ihm sagen.

Sam: Kann sie nicht.

Mona: Süß. Sag was, Sammy. Sag ein Gedicht auf.

Sam: Kommt nicht in die Tüte.

Mona: Süß. Sag Mona Liebling Sammy.

Sam: Häh igitt.

Mona: Süß. Los, Sam, sag Mona Liebling.

Mandelbrot: Mona, hab ich dir nicht eingeschärft, du sollst bei Fuß verharren und keinesfalls vorauseilen.

Sam: Ist sie ein Hund.

Jonas: Immer herein. Sind Sie der letzte oder kommen noch wer?

Mandelbrot: Ihr Lift ist außer Betrieb.

Jonas: Das ist er oft. Machen Sie die Tür zu, und setzten Sie sich.

Mandelbrot: Meine Karte.

Jonas: Dr. Fraktal C. Mandelbrot, Prof. h.c.

Sam: Gesundheit.

Jonas: Leitender Direktor des Mandelbrotinstituts für prothetische Andrologie. Schwanzklempner. Vielen Dank. Wir brauchen nichts.

Mandelbrot: Bleiben wir doch seriös Herr Jonas.

Jonas: Aber sicher Dr. Mandelbrot so seriös wie ein Ärztekongreß in Acapulo. Wer ist die junge Dame.

Mandelbrot: Meine Tochter.

Mona: Stieftochter. Meine Karte Herr Jonas.

Jonas: Mona Mox.

Mandelbrot: Ein Mitbringsel meiner geschätzten Gattin aus ihrer ersten Ehe mit Herrn Maximilian Mox, doch mir ans Herz gewachsen als sei's mein eigen Fleisch und Blut.

Jonas: Mox. Max Mox, der Glücksspielnapoleon.

Mandelbrot: Der Eigentümer gewisser spezifischer Institutionen, welche einem großen interessierten Publikum niveauvolle Unterhaltung auf der Basis von Geschicklichkeit und Zufall offerieren insofern.

Mona: Können Sie pokern Jonas.

Jonas: Ein bißchen.

Mona: Blackjack auch?

Mandelbrot: Mona! Wie Ihnen womöglich bekannt ist Herr Jonas, verstarb Herr Mox am 3.3.2013, vor einem Jahr.

Jonas: Bedauerlich, aber warum erzählen Sie mir das.

Mandelbrot: Weil ich erwäge, Sie in Sachen Mox zu engagieren Herr Jonas.

Sam: Ach Herrje.

Jonas: Um den toten Mox ging es nicht, es ging um das, was er hinterlassen hatte, das Moxvermögen: Dutzende von Spielhöllen hier in Babylon und anderswo, Wert insgesamt 120 Millionen Euros, laut Testament kriegte Sohn Moritz dreiviertel, das restliche viertel war für Mona, aber sie kam nicht ran, noch nicht.

Mona: Erst wenn ich volljährig bin.

Mandelbrot: In einem halben Jahr, am 9.8.2014.

Mona: Da werde ich 14. Vergessen Sie nicht mir zu gratulieren Herr Jonas.

Jonas: Tag und Nacht werde ich dran denken Mona.

Mona: 9. August. Merks dir Sammy.

Sam: Speicher voll, kein Platz, schon vergessen, merke nur ein Mensch hat Sam was zu sagen, Jonas, mein Jonas, Jonas der einzige, der einmalige, der größte, der vielgeliebte, der...

Jonas: Hör schon auf Sammy.

Sam: Und nicht so eine unausgegorene Göre namens Mona.

Jonas: Ist ja gut. Mir ist noch nicht klar, was Sie von mir wollen, Dr. Mandelbrot.

Mandelbrot: Kurz gesagt, Herr Jonas, es steht zu befürchten, daß Monas Anteil am Moxerbe...

Sam: Dreißigmillionen Euros, muß ein alter Mann ganz schön lange hobeln.

Mandelbrot: Daß diese 30 Millionen nicht mehr vorhanden sind, wenn Mona volljährig wird, bis dahin hat allein ihr Bruder, Moritz Mox, als der geschäftsführende Direktor Verfügungsberechtigung, er kann mit Monas Geld machen, was er will. Wissen Sie, Herr Jonas, man hört so dieses und jenes, daß sich die Firma Mox in finanziellen Schwierigkeiten befindet, daß das Anlagevermögen schrumpft, daß eine Übernahme weit unter Wert durch ein auswärtiges Unternehmen bevorsteht.

Jonas: Und was sagt Moritz Mox dazu.

Mandelbrot: Das weiß ich nicht Herr Jonas.

Jonas: Haben Sie ihn nicht gefragt, Dr. Mandelbrot.

Mandelbrot: Natürlich hab ich das, das heißt ich hab's versucht, ich kann ihn nicht erreichen, man läßt mich nicht vor, stellt mich am Fon nicht durch mich, mich Dr. Franktal C. Mandelbrot.

Jonas: Professor h.c. eine Unverschämtheit.

Mandelbrot: Sie sagen es Herr Jonas.

Jonas: Und verdächtig.

Mandelbrot: Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde Herr Jonas, aus diesem Grunde sah ich mich genötigt, gewisse Schritte einzuleiten. Nicht meinethalben, Herr Jonas, glauben Sie mir, ich brauch die Moxmillionen nicht.

Jonas: Natürlich nicht.

Mandelbrot: Nein, ich bin eine in Babylon hochangesehene Persönlichkeit, bei mir verkehren Dezernenten, Manager, namhafte Kulturschaffende, den Schwager der Bürgermeisterin kenn ich persönlich.

Jonas: Den leibhaftigen Schwager, Dr. Mandelbrot ich bin beeindruckt.

Mandelbrot: Ich fühle mich vielmehr moralisch verantwortlich für das Vermögen eines mir anvertrauten jungen Menschen.

Sam: Edel sei der Mandelbrot, hilfreich und gut.

Jonas: Machen wir's kurz Dr. Mandelbrot, 120 € pro Tag und Spesen das koste ich.

Mandelbrot: Nicht eben wenig, Herr Jonas.

Jonas: Was soll ich dafür tun?

Mandelbrot: Sie stellen fest, wo Herr Moritz Mox sich aufhält, Sie nehmen Kontakt zu ihm auf, Sie eruieren, wie es um die finanzielle Situation der Firma Mox bestellt ist...

Jonas: Nicht eben wenig, Dr. Mandelbrot.

Mandelbrot: Und Sie erstatten mir jeden Abend Bericht, persönlich.

Jonas: Ich übernahm den Auftrag, nicht wegen Dr. Mandelbrot, der ging mir gewaltig auf den Senkel, Mona Mox fand ich da schon sympathischer, auch wenn sie sich beim Abschied Sammy ausleihen wollte.

Sam: Dank, Meister, dank, dank daß du dem schnöden dem widerlichen Weibe.

Jonas: Ich brauch dich noch, ob ich will oder nicht, und Mona hätte dich womöglich kaputtgemacht.

Sam: Mit rosa Schleifchen hätte die mich umschlungen, ja, Balladen ohne Zahl hätt ich rezitieren müssen, grausames Schicksal, hm, schlimmer denn der Tod.

Jonas: Übertreib nicht Sammy. An die Arbeit.

Sam: Bitte sehr bitte gleich was befielt mein Herr und Gebieter?

Jonas: Eine Fonverbindung mit Firma Mox, Direktion. Moritz Mox.

Sam: Aha, der große Manitu höchst selbst. Sogleich euer Gnaden. Piep.

Jonas: Moment, Sammy du rufst an aus sagen wir Singapur aus meinem Vorzimmer, und ich bin...

Sam: Ein stinkreicher chinesischer Finanz-Hai, der ein paar Milliönchen anlegen will. Capito Exzellenz, will sagen sehr wohl Sir.

Ella: Ja?

Sam: Die ehrenwerte Firma Mox Babypsilon Europa.

Ella: Ja, hier Mox.

Sam: Ah, Mr. J. O. Nas. Direktor Finanzen Enterprise Singapur wünscht Mr. Moritz Mox zu sprechen. Ich verbinde.

Jonas: Hallo.

Ella: Hallo.

Jonas: Sie sind doch nicht Mister Mox.

Ella: Ich bin die persönliche Chefassistentin von Herrn Moritz Mox, Ella von Rensenbrink. Was kann ich für Sie tun, Herr ähm...

Jonas: Nas. J.O. Nas. Geben Sie mir Mister Mox.

Ella: In welcher Angelegenheit, Herr Nas?

Jonas: Ich möchte Mister Mox ein Angebot machen für seine Firma. Ich höre Sie wollen verkaufen.

Ella: Herr Mox ist nicht zu sprechen, Herr Nas, und die Firma Mox steht nicht zum Verkauf. Sie verschwenden ihre und meine Zeit.

Sam: Aha, abgewimmelt, äh abgewimmelt, kurz und schmerzhaft wie Dr. Mandelbrot.

Jonas: Der ist zwar ein aufgeblasener Heißluftballon, aber in einem hat er recht, es stinkt bei Mox. Sammy ich brauch was.

Sam: Was es auch sei, Sam schafft’s herbei, ganz auf die Schnelle es ist zur Stelle.

Jonas: Vielen Dank, Sammy. Ich brauch einen Menschen.

Sam: Was, einen äh Menschen, einen schwabbeligen fehlkonstruierten Durcheinanderdenker, o wo dir Sam zur Verfügung steht, Sam die vollkommene Denkmaschine, o bitterliche Kränkung, unauslöschliche Schmach.

Jonas: Hast du einen Smoking Sam.

Sam: Smoking, na, eher weniger euer Merkwürden.

Jonas: Na also. Aber Zocker Willy trägt einen Smoking, immer und überall, weil er mal Chefcroupier bei Mox war, bis sie ihn mit einem Magneten in der Socke erwischt und gefeuert haben, seitdem schlägt er sich so durch, Roulette, wenn es sein muß Mensch ärgere dich nicht, meistens Poker, im Full House, gleich um die Ecke, gegenüber vom Casablanca, im Hinterzimmer, wie es sich gehört, bei spärlicher Beleuchtung, es roch nach Synthwhisky und Männerschweiß, auf dem Tisch Stapel zerfledderter Euroscheine, nur nicht vor Willy, der war am verlieren.

Willy: Passe. Tür zu, kiebitzen gibt's nicht, hinsetzen mitspielen oder raus.

Jonas: Spiel nicht, Willy, weißt du doch. Wie findest du meine Jacke?

Willy: Komm ans Licht, naja.

Jonas: Ich brauch nen Smoking, Willy, nur für ein paar Stunden.

Willy: Und ich soll so lang deine karierte Kutte anzeihen. Also weißt du Jonas.

Jonas: Neue Jacke, neues Glück, sagte der große Spieler Manulesco.

Willy: Wirklich, na ja wenn's so ist.

Jonas: Vom Full House hatte ich es nicht weit, 10 Minuten zu Fuß, dann ragte es vor mir auf, das Moxcenter, die unteren 10 Stockwerke hießen Las Vegas, ein Paradies für Spieler, durchgehend geöffnet, laut, schrill, üppig, Stucksäulen, Neonlichter, Spiegel, und Gold, überall Gold, dazwischen Tische, Automaten, Spieler, Croupiers, und Heerscharen wunderschöner Mädchen in Bikinis aus Goldlame. Androidinnen, eine hängte sich gleich an Jonas.

Androidin: Herzlich willkommen, Freund, ich bin ihre Führerin und heiße Fortuna, wo wollen Sie ihr Glück versuchen, Freund, hier im Erdgeschoß in unserer atemberaubenden amerikanischen Automatenalhambra, 30.000 Glücksmaschinen, alle 3 Minuten ein Jackpot.

Jonas: Was haben Sie denn sonst noch zu bieten.

Androidin: Ah, ich verstehe, Sie sind ein Mann. Sie wollen spielen wie ein Mann. Nicht wie ein Kind am Gambelboy. Sie suchen die Herausforderung, den Nervenkitzel, das Risiko. Folgen Sie mir.

Jonas: In einem der zahlreichen Aufzüge fuhren wir nach oben, recht gemächlich. Von Stock zu Stock, von Spiel zu Spiel.

Androidin: 1. Stock Eckhead Empore Schach und Golf.

Jonas: Nichts für mich.

Androidin: Das hatte ich mir gedacht. Sie sind kein Eierkopf. Aber unter uns: Wenn Sie spät abends noch bei uns sind, sollten Sie mal in die Schachecke reinschauen, da spielt die Bürgermeisterin von Babylon mit ihrem Referenten.

Jonas: Und gewinnt jedesmal weil sie die Züge vorhereingeübt haben kein Interesse.

Androidin: Pool Parcour. Wie wär's mit Kühl und Kugel, Freund.

Jonas: Billard. Nein.

Androidin: Die wählerischen Gäste sind uns die liebsten. Crap Corner, lassen Sie die Würfel rollen.

Jonas: Lieber nicht.

Androidin: Also weiter. Bei uns findet jeder sein Spiel. Orientalische Mysterien. Panafuda Majong.

Jonas: Ist mir zu exotisch.

Androidin: Dann vielleicht unser Stammtisch Europa. Skat, Schafkopf, Jass, Tarock, Schnapsen.

Jonas: Zu Hausbacken.

Androidin: Bridgebasar.

Jonas: Was für alte Damen. Danke.

Androidin: Wie Sie wünschen, der Gast ist König. Das ist was für Sie, Poker Parlor, das Spiel für harte Männer.

Jonas: Ein andermal, weiter.

Androidin: Unsere Blackjackbar.

Jonas: Nein, Kopfrechnen schwach.

Androidin: Casino Montecarlo, Roulette, das königliche Spiel.

Jonas: Na also, hier sind wir richtig.

Androidin: Ich hätte es wissen müssen, ihre vornehme Haltung, ihr Smoking Wünschen Sie weitere Begleitung?

Jonas: Nicht nötig. Ich finde mich schon zurecht.

Androidin: Viel Glück Toi Toi Toi Hals und Beinbruch.

Jonas: Glück konnte ich brauchen, auch wenn ich nicht vorhatte zu spielen. Ich wanderte durch die Halle. Roulettetische aus Echtholz, riesige Lüster, goldene Tapeten, weinrote Teppiche. Luxus. Was ich suchte, fand ich ganz hinten, versteckt hinter einer Säule, eine unscheinbare Tür, ein unscheinbares Schild: Personal. Ein unscheinbarer Gang, kein Gold, kein Luxus, ein paar eilige Menschen, keiner achtete auf Jonas. Weil der einen Smoking trug wie ein Croupier. Ein unscheinbarer Lift, ich drückte auf den obersten Knopf, Chefetage, vorbei an 5 Türen, für die es keine Knöpfe gab. 5 geheimnisvolle Stockwerke ohne Zugang, vorbei am Verwaltungstrakt der Firma Mox. 24 Etagen. Geschäftig und zugänglich. Der Lift hielt, Jonas stieg aus direkt in ein Vorzimmer, komplett, mit Vorzimmerdame.

Ella: Sie da, bleiben Sie stehen, was haben Sie hier zu suchen.

Jonas: Zu Herrn Mox. Moritz Mox.

Ella: Zu Herrn Mox. Haha. Einfach so. Kommen Sie mal her.

Jonas: Sie trug Latex, schwarz, mit Silbernieten und taktischen Lücken, Dominalook, nicht mehr der allerletzte Schrei, aber ihr stand es, sie war groß, schlank, dunkel, an die 40, eine kühle Stimme, die ich schon gehört hatte, vorhin am Fon, Ella von Rensenbrink. Moxens persönliche Assistentin.

Ella: Wer sind Sie? Arbeiten Sie bei uns.

Jonas: Noch nicht, ich will mich bei bewerben, ich bin Croupier.

Ella: Croupiers brauchen wir zurzeit nicht, lassen Sie Ihre Daten hier vielleicht später.

Jonas: Vielleicht, vielleicht sollte ich doch besser mit dem Chef selbst sprechen, wo ich schon mal hier bin. Den Stier bei den Hörnern packen oder die Kuh am Schwanz wenn ihnen das lieber ist.

Ella: Jaja. Zwecklos, Herr Moritz Mox ist nicht in Babylon.

Jonas: So, wo steckt er denn?

Ella: In Rom, falls Sie das was angeht. Geben Sie mir ihre Daten, ich stehe in ständiger Verbindung mit Herrn Mox.

Jonas: Jonas machte ein paar schnelle Schritte zur hinteren Wand und riß die Echteichentür auf, das Zimmer des Chefs, aber der war nicht drin, offenbar war er schon lange nicht drin gewesen, die Klimaanlage lief nicht, auf den wertvollen Möbeln lag eine feine Staubschicht. Das sah ich auf den ersten Blick. Zu einem zweiten kam ich nicht, weil ich plötzlich was im Rücken spürte, was rundes, hartes. Die Mündung eines Laserstrahler.

Ella: Sehr richtig, und Sonja kann damit umgehen. Der Herr will uns verlassen, Sonja, bring ihn raus. Wenn er sich anstellt.

Sonja: Tu ich ihm weh.

Ella: Und wenn er nochmal hier oben aufkreuzt.

Sonja: Bring ich ihn um. Alles klar. Los.

Jonas: Ein muskelbepacktes Viereck, anderthalb mal 2 Meter, obendrauf eine Bowlingkugel mit roten Borsten, die rote Sonja, ein Freak oder eine Klonkillerin. Auf jeden Fall gefährlich. Jonas wehrte sich nicht, ließ sich nach unten bringen und durch die Personaltür rausschmeißen, ging zurück zum Full House, wo Zocker Willy mit Sehnsucht auf seinen Smoking wartete. An der Bar erzählte ich ihm, was ich bei Mox erfahren hatte. Willy wunderte sich.

Willy: Was hat sie gesagt, wo soll Moritz Mox sein?

Jonas: In Rom.

Willy: Ach nie im Leben, Er ist nicht in Rom, nicht in der Sahara, nicht in Grönland, er ist hier, in Babylon, weil er nämlich Klaustrophobie hat, Moment, nicht Klaustrophobie, das Gegenteil Aga...

Sam: Angoraphobie, Angst vor weiten Räumen, vor der Außenwelt.

Willy: Genau Sammy, Agoraphobie. Moritz Mox hat Agoraphobie.

Sam: Angoraphobie.

Jonas: Fakt oder nur Gerede.

Willy: Na wer war denn Chefcroupier bei Mox, wer ist denn bei Moxens ein und ausgegangen, ich weiß Bescheid, Jonas, Moritz Mox hat nicht nur Angoraphobie, Moritz Mox ist ein echter Mackenheinrich, ein Schlaffi, ein Jammerlappen, einer der am liebsten im Bett liegt und sich die Decke über den Kopf zieht.

Jonas: Wenn das so ist, hätte Mox senior lieber Tochter Mona zur Haupterbin einsetzen sollen.

Willy: Nicht der alte Max Mox, Jonas, der war ein richtiger Patriarch.

Jonas: Papa Mox hatte versucht, den mißratenen Sohn umzupolen, aufzubauen, ihm Energie und Härte einzubimsen, auf ziemlich ungewöhnliche Weise, durch VR, virtuelle Realität, Pseudorealität durch Computersimulation.

Willy: Nero, Jonas, römischer Kaiser, schon mal was von gehört.

Jonas: Der aus Quo Vadis.

Sam: Jonas, nur Jonas, so lausche denn und lasse dich zur Gänze durchbilden, Nero mit vollem Namen Claudius Cäsar Augustus Germanicus Nero, ward geboren am 15. Dezember anno Domini 37, regierte als Kaiser ab dem 13. Oktober 54, verstarb am 9. Juni 68, entwickelte sich vom unausgegorenen Deppenjüngling zum fetten ausgegorenen Tyrannen und Sadisten.

Willy: Genau das wollte der alte Mox. Durch das Rollenspiel als Nero sollte Moritz Mumm in die Knochen kriegen, ein richtiger Wirtschaftskapitän sollte er werden, einer der über Leichen geht, Max Mox hat eine VR-Expertin engagiert, die was von römischer Geschichte verstand, äh Ella von und zu Dingsbums.

Jonas: Rensenbrink. Ella von Rensenbrink.

Willy: Ja, kann sein, wir haben sie immer nur Virtuella genannt, sie hat das Neroprogramm ausgearbeitet, und Moritz hat begeistert mitgespielt, Rom verbrannt, Christen verfolgt, Senatoren umgebracht usw.

Jonas: Nicht eben wenig.

Sam: Jedem Tierlein sein Pläsierlein. Wie der klassische Römer spricht.

Jonas: Gut und schön, Willy aber wo steckt Moritz Mox, da will ich wissen.

Willy: Irgendwo im Moxcenter.

Jonas: Das ist groß, Willy, wo da, bestimmt nicht im Las Vegas.

Sam: Alldieweil Allgemein zugänglich und stark frequentier, dacor Monsignore, gleiches gilt für den Verwaltungstrakt, cum grano salis, Übersetzung für Hilfsschüler Jonas und dergleichen, mit einem Körnlein Salzes, will sagen.

Jonas: Ruhe. Im Chefzimmer ist er auch nicht. Also wo.

Willy: Bleibt nur die illegale Zone, wetten da steckt er.

Jonas: Moxcenter Stockwerke 11 bis 15, die unzugänglichen, illegal deshalb, weil da verbotene Spiele gespielt werden, sagte Willy. Spiele für ganz besondere Spieler, für Superreiche Spiele ohne Limit, und in denen arme Schweine das einsetzen, was sie haben, Herz, Nieren, Knochenmark, die eigenen Organe. Wer gewinnt, kriegt ein kleines Vermögen, wer verliert muß unters Messer. Die Staatsgewalt weiß, was in der illegalen Zone bei Mox läuft, aber sie drückt beide Augen zu, der Organmarkt braucht Nachschub.

Willy: Wo sollt er denn sonst sein der Moritz Mox, Platz ist genug, die illegalen Spiele laufen nur in 2 Etagen.

Jonas: Warst du mal drin, Willy?

Willy: Ja einmal, vor Jahren aus Neugier. Ich bin kein Krösus, weißt du. Und Organspiele sind nicht mein Ding.

Jonas: Dann weißt du wie man reinkommt.

Willy: Weiß ich.

Jonas: Kommst du mit. Heute abend 10 Uhr.

Willy: Moxcenter Nordseite.

Jonas: Wie spät haben wir jetzt.

Sam: Mit dem melodischen Ton des Zeitzeichens ist es genau 17 Uhr 58 Minuten, ja, Zeit für den ausbedungenen abendlichen Mandelbrotbericht euer Samseligkeit flupp.

Jonas: Richtig, ich rief Dr. Mandelbrot an, am Fon wollte er nicht reden, er bestellte mich zu sich, in seine exklusive Villa im exklusiven Südwesten, wo Dezernenten, Künstler und Bürgermeisterinnenschwäger verkehrten, heute nicht, heute verkehrte bloß Jonas und auch das nur kurz, Dr. Mandelbrot hatte eine Überraschung für mich.

Mandelbrot: Ich habe mich entschlossen, Herr Jonas, unser vertragliches Verhältnis zu beenden, auf weitere Bemühungen ihrerseits lege ich keinerlei Wert.

Jonas: Das ging aber fix, Dr. Mandelbrot, was ist los?

Mandelbrot: Lassen Sie mich offen sprechen, Herr Jonas, zu meinem Bedauern haben Sie sich als wenig effizient erwiesen, fast einen ganzen Tag sind Sie bereits für mich tätig, und was haben Sie erreicht, so gut wie nichts.

Jonas: Sie brauchen keinen Detektiv, Dr. Mandelbrot. Sie brauchen einen Wundertäter.

Mandelbrot: Wie dem auch sei, Herr Jonas, ich storniere den Auftrag.

Jonas: Ihr gutes Recht, Dr. Mandelbrot. Sie schulden mir 120 € und diverse Spesen.

Mandelbrot: Darüber könnte man streiten Herr Jonas, aber ich lege Wert darauf, mich ohne jede Friktion von ihnen zu trennen. Bitte sehr 150 Euros, das dürfte wohl ausreichen. Ein Drink Wodka, Whisky, Cognack, Armanjak?

Jonas: Whisky. Scots.

Mona: Ich finde das nicht gut, Stiefpapa, das ist mein Fall, mein Erbe, mein Geld.

Mandelbrot: Mona, du hast an der Tür gelauscht. Mona wie oft hab ich dich ermahnt.

Mona: Jonas soll weiter machen.

Mandelbrot: Du bist ein Kind Mona, du bist nicht geschäftigfähig, du kannst mit Herrn Jonas keinen Vertrag abschließen.

Mona: Ich brauch keinen Vertrag. Ich will, daß er weitermacht. Für mich, ja Herr Jonas. Bitte.

Jonas: Mal sehen was sich tun läßt. Dein Wohl Mona.

Mona: Wie geht's Sammy, haben Sie ihn mit?

Jonas: Jetzt fing der Fall an richtig interessant zu werden. Jonas beschloß dranzubleiben. Für Monas? Vielleicht, ganz sicher für Jonas. Er hatte einen Ruf zu verlieren und er hatte nichts besseres vor. 10 Uhr abends, Moxcenter Nordseite. Vorn strömten die Massen, hier war alles still, verschalte Häuser, Ruinen, Relikte der letzten Unruhen, darüber die hohe kahle Moxfassade, keine Fenster, nur eine kleine Hintertür, der Eingang zur illegalen Zone, sagte Willy, für Spezialgäste mit Spezialcodescheiben. Wir hatten keine, noch nicht. Wir warteten. Eine E-Limousine in schwarz und Gold fuhr vor, hielt, zwei Typen stiegen aus, helle Burnusse, Kopftücher. Ölscheiche aus Kusbekistan. Der Wagen fuhr weiter. Die Scheiche wanderten zur Tür, aber sie kamen nicht an.

Willy: Augenblick die Herren, mein Freund will ihnen was zeigen.

Jonas: Das ist ein Laserstrahler. Kennen Sie vielleicht. Wenn ich den in ihre Richtung halte, so und auf den roten Knopf drücke.

Scheich: Wir verstehen, Sie Geld wollen.

Jonas: Sie werden sich wundern. Nein. Wir wollen bloß ihre Codescheiben, und ihre Burnusse.

Willy: Und die Kopftücher. Ausziehen.

Jonas: Mit Willy Neurofreezer legten wir die Wüstensöhne für ein paar Stunden schlafen und deponierten sie hinter einer zerfallenen Mauer. In ihren Sachen waren wir nicht gerade elegant, aber unkenntlich, dachten wir. Mit den Scheiben öffneten wir die Tür. Dahinter ein Lift, nur zwei Knöpfe, unten, oben. Unten waren wir, also drückten wir oben.

Sonja: Na, da sind Sie ja, wir warten schon. Steigen Sie aus. Nicht so lahm meine Herren.

Jonas: Ein schlichtes Foyer, hier gab's keine wunderschönen Androidinnen. Unsere Empfangsdame war die rote Sonja, oder ihre Zwillingsschwester, weiter hinten standen noch ein paar von der Sorte, unfreundliche Miene, rechte Hand am Laser, sie stellte uns an die Wand, klopften uns ab, nahmen uns die Waffen weg.

Sonja: Ohohohoh, so was wollen wir aber nicht. OK, was soll's sein. Spiel ohne Limit oder Organspiel?

Willy: Ach, wir wollten uns ein bißchen umsehen, zukucken.

Sonja: Nix, für Sie ist kiebitzen verboten.

Jonas: Wer sagt das?

Sonja: Befehl. Sie spielen. Also was. Unlimitiert.

Willy: Ja, von mir aus. Immer noch besser als um Herz und Nieren.

Sonja: Haben Sie Geld. Bargeld. Vorzeigen los los.

Willy: Ich glaub, ich hab meine Brieftasche vergessen.

Jonas: Ich auch. Zu dumm.

Sonja: Ja, dann eben Organspiel. Also was setzen Sie?

Willy: Vielleicht den linken kleinen Zeh.

Sonja: Sie doch nicht. Sie riskieren was. Sie setzen alles. Ihren ganzen Körper. Ihr Leben.

Jonas: Das heißt wenn wir verlieren.

Sonja: Verlieren Sie Ihr Leben, ist doch klar.

Willy: Was ist, wenn wir gewinnen, was kriegen wir?

Sonja: Sie werden nicht gewinnen.

Jonas: Nu mal langsam Pussy.

Sonja: Im Gegenteil. Schnell wir haben's eilig.

Jonas: Sie scheuchten uns in einen kleinen Raum. Kahl, bis auf einen Tisch. Darauf ein Stoß Spielkarten, Rückseite nach oben, Sonja nahm die Karten, mischte sie kurz durch.

Sonja: So, der Alte zuerst. Ziehen Sie eine Karte. Schneller. Drehen Sie sie um.

Willy: Piek Dame.

Sonja: Jetzt ich. Herz König, sie haben verloren Alter, Pech. Bring ihn raus Natascha.

Willy: Moment, ich bin 64, meine Organe sind nichts wert, total verbraucht, ich habe eine Säuferleber und herzkrank bin ich auch.

Sonja: Ihre Organe können Sie behalten, wir wollen nur Ihr Leben. Sie sind dran.

Jonas: Jonas verlor auch, natürlich, bei diesem Spiel gewinnt nur die Bank. Die Schlachtbank. Jonas wurde in einen Lift gesteckt. Von Tatjana oder Vera oder Maruska, wie immer sie hieß sie ließ mich nicht aus den Augen. Aber vielleicht hörte sie schlecht. Ich mußte es versuchen. Sam steckte im Burnus, in der Kapuze, er war nicht gerade mitfühlend.

Sam: Ja ja Gevatter, so pflegts zu gehen, Polter und polter, Kick and Rush Miniüberlegung Maxiaction, und was passiert, der große Detektiv plumpst in den Nachttopf, jawoll, in den Harn, in die Pisse, in die Kacke, Scheiße and so on.

Jonas: Nicht eben wenig.

Sam: Sag ich doch.

Jonas: Halt keine Vorträge, Sammy hilf mir raus, kannst du was mit dem Lift machen.

Sam: Eine Bagatelle, Chefchen, den siehe so ist Sammy, sieht man kurz hin, schon ist er drin, im System, des Liftes, und da tut er was. Anhalten?

Jonas: Mit Schmackes. Plötzliche Notbremsung. Auf Null. Ich roll mich unten zusammen, Kopf zwischen die Knie, also 3,2,1,0.

Jonas: Was da gegen die Decke knallte, war meine Wächterin. Bzw. ihr Kopf, ihren Laser würde sie nie wieder brauchen. Ich nahm ihn an mich. Und ließ Sam weiterfahren. Bis zum vorgesehenen Halt. Die Tür ging auf.

Jonas: Keiner da. Wo sind wir Sammy?

Sam: Einerseits my dear Watson erinnert dieser Raum in nicht unerheblichem Maße an eine altmodische Betriebskantine anno 2000.

Jonas: Stimmt genau. Plastiktische, dito Stühle, Wandautomaten für Sojakaff und Sojaburger, andererseits die Spinde links.

Sam: Gemahnen an die Gardarobe einer Turnhalle Herr Sportswart.

Jonas: Das müssen ja merkwürdige Turner sein, Sammy, sieh mal, bunte Seidenkleider, kurze Nachthemden, Wickellacken, wer trägt denn so was.

Sam: Alte Römer, euer Unbilden. Was dumpfe Ignoranz als Laken und Nachthemd erschient, nennt der Kenner der klassischen Antike korrekt Toga und Tunika.

Jonas: Und hier Helme, Brustpanzer, Beinschienen, Schwerter. Was ist hier los, Sammy, alte Römer, Klonkiller, du weißt ja, wer Klonkiller einsetzt.

Sam: Si si la Corporation es importante.

Jonas: Die Korporation, früher mal Mafia, vor der großen Umwälzung Ende des Jahrtausends, das organisierte Verbrechen, die Klonkiller werden von gekauften Gentechnikern produziert. Wie Dr. Ugarte selig, siehe Fall Pharao. Aber was hatte die Korporation bei Mox zu suchen. Der alte Mox hatte sie sich immer weit vom Leibe gehalten. Was war passiert?

Sam: Dem sei wie es wolle, trüber Grübulator, lassen wir dies Problem tunlichst dahingestellt, bis daß weitere Daten uns zu teil werden, welche unverzüglich zu sammeln und in die geistige Scheuer zu schaffen unser vordringlichstes Anliegen sein möge.

Jonas: Amen Sammy. Lasset uns sammeln. Und wie und wo.

Sam: So siehe denn dorten jene Tür, hintere Wand Blindgänger.

Jonas: Ah.

Sam: Ja, siehe sie stehet um ein weniges offen und aus dem Spalte dringen Geräusche herfür.

Jonas: Stimmen, leise, undeutlich. Also näher ran. Die Stimmen wurden lauter. Ich blieb stehen, bewegte nur den Kopf, ganz vorsichtig, bis ich durch den Türspalt gucken konnte.

Kasbek: Was befielst du, göttlicher Kaiser, welch Schicksal treffe den Verräter?

Moritz Mox: Na was schon, der Tod natürlich. Tigellinus, Gefährte meiner Erhabenheit, bring ihn um.

Kasbek: Es geschehe nach deinem göttlichen Willen mein Kaiser. Tod dem Verräter.

Willy: Ah!

Kasbek: Heil Kaier Nero.

Jonas: Der Verräter war tot, erstochen vom Typ im goldenen Brustpanzer, mit seinem kurzen Schwert. Nur daß es kein Verräter war. Es war Willy, mein Freund Zocker Willy.

Moritz Mox: Hast du nicht von zwei Verrätern gesprochen, Tigellinus. Wo ist der andere.

Kasbek: Ich weiß nicht, müßte eigentlich schon hier sein.

Moritz Mox: Er ist doch wohl nicht geflohen.

Kasbek: Keine Sorge göttlicher Kaiser, er kann nicht entkommen, bestrafen wir ihn später. So hast du Zeit dir was besonders einfallen zu lassen.

Moritz Mox: O ja, nähen wir ihn an Fell und lassen ihn von den Löwen fressen, ja oder bestreichen wir ihn mit Pech und verbrennen ihn als lebendige Fackeln, oder

Kasbek: Später, göttlicher Kaiser, der Kerl läuft uns nicht weg.

Jonas: Durch den Spalt sah ich Rom, im Hintergrund, weiße Häuser an Hügeln, Pinien, Zypressen, darüber tiefblauer Himmel, holografische Illusionen, vorn ein großer Raum, weite offene Fenster, eine Couch, ein Messingbecken, in dem ein Feuer brannte, an den Wänden ein paar Soldaten in Helm und Rüstung, auf der Couch lümmelte sich Kaiser Nero, dicklich, etwa 30, dünner roter Backenbart, in einem lila Seidenkleid mit Schleppe. Daneben der Typ der Willy abgestochen hatte. Tigelinus oder wie er hieß.

Sam: Tigelinus: Kommandeur der Prätorianer, das heißt der kaiserlichen Garde. Engster Kumpan des Kaisers.

Jonas: Kommt mir sehr bekannt vor dieser Tigellinus, wo und wann hab ich ihn schon gesehen.

Sam: Schweif nicht ab, bleib bei will sagen Kaiser Nero.

Jonas: Alias Moritz Mox. Willy hat er erzählt, daß Moritz mit Begeisterung Nero spielt, genau Sammy du sagst es, Moritz spielt Nero in VR. Hat Willy gesagt. Was wir hier sehen, Rom, Neros Palast, alte Römer, das ist nie und nimmer virtuelle Realität. Das ist Wirklichkeit, Sammy.

Sam: Ganz real. Stinknormal. O Jonas... Vortäuschung falscher Tatsachen durch antiquierte Mittel. Kostüme, Gips, Kulissen.

Jonas: Was soll das Theater?

Sam: Um diese Frage zu beantworten sollten Hochwürden ein wenig mitspielen, sich ins Gesehen mischen, ins alte Rom eindringen.

Jonas: Jonas verwandelte sich in einen Prätorianer, in einem praktischen Helm mit Backennasen und Kinnschutz. Eine richtige Maske, dann wartete ich einen günstigen Moment ab, trat schnell durch die Tür, bezog Posten an einer Säule. Und da stand ich nun, still und steif. Mit offenen Augen und offenen Ohren.

Kasbek: Schon viel zu lange haben wir deine Kunst entbehren müssen, göttlicher Nero, singe. Singe zu den Klang der Lyra.

Moritz Mox: Ich weiß nicht, bespare meiner Bescheidenheit den Auftritt.

Kasbek: Nun, wenn du es denn nicht willst, erhabender Kaiser.

Moritz Mox: Doch, deine inständigen Bitten Tigellinus.

Kasbek: Singe o Nero.

Moritz Mox: Und die meiner getreuen Prätorianer. Meiner getreuen Prätorianer...

Sing, o Nero.

Moritz Mox: Es sei. Ruhe, absolute Ruhe, auf daß mein Genie sich entfalte. Ode an Rom. Rom, o mein Rom, du ewige Stadt, was bist du so häßlich, potthäßlich bist du, Solo, krumm und schief sind deine Straßen, baufällig sind deine Häuser, und an alle deine Ecken pinkeln die Hunde, und deine Kloaken stinken zum Himmel.

Kasbek: Wunderbar, göttlicher Kaiser, so so tief empfunden.

Moritz Mox: Ich bin noch nicht fertig, Tigellinus.

Kasbek: Verzeih Erhabener, es riß mich hin.

Moritz Mox: Rom, o mein Rom, du ewige Stadt, brennen sollst du bis auf den Grund. Bald, bald bald bald Tigellinus bald bald wird es so weit sein, und wir werden eine neue herrliche Stadt erbauen, und ihr Name wird sein Neropolis.

Kasbek: Heil Nero.

Heil Nero.

Jonas: Ich hatte ihn erkannt. Tigellinus, es war Kasbek. Kasbek der Vollstrecker, Kasbek von der Korporation. Vor anderthalb Jahren war ich mit ihm zusammengestoßen. Fall Attentat. Die Korporation steckte mit drin im römischen Theater des Moritz Mox. Wie ich vermutet hatte.

Moritz Mox: Schön böse ich bin gemein.

Ella: Heil Nero.

Kasbek: Es naht die Geliebte deines Herzens, Nero, die schönte Agte.

Ella: Du hast gesungen, mein Nero, ich vernahm die wundersamen Klänge. Ein kühles Getränk wird deiner göttlichen Stimme wohltun. Hier, nimm und trink.

Jonas: Aus einer Seitentür war sie gekommen, mit einem vollen Becher in der Hand, Agte, alias Ella von Rensenbrink, im kurzen Hemdchen, niedlich. Nero trank, dann stöhnte er ein bißchen und legte sich lang auf die Couch, und da blieb er liegen, still, regungslos.

Kasbek: Ist er bewußtlos?

Ella: Ja.

Kasbek: Sehr gut. Cut.

Ella: Pause. Die Kleindarsteller in den Aufenthaltsraum. Nicht umziehen, in etwa einer Stunde machen wir noch eine römische Szene.

Kasbek: Die letzte.

Jonas: Der Raum war leer, bis auf den bewußtlosen Nero, Ella, Kasbek und Jonas. Der hatte sich hinter seiner Säule versteckt, weil er unbedingt mitkriegen wollte, wie die Sache weiterging. Ella schob an der linken Wand ein Panel zur Seite, dahinter Instrumente und ein Hochleistungsprozessor für gehobene VR-Programme. Ella drückte auf einen Knopf, das alte Rom verschwand. Neros kaiserliches Wohnzimmer wurde zum kahlen Innenraum. Ella setzte Nero und sich selbst je einen VR-Helm auf, direkte Hirnstimulation. Der letzte Schrei. Einfacher und effektiver als die Standardkombination Brille Anzug Handschuh. Ein Tastendruck. Das VR-Programm lief an. Kasbek beugte sich über Nero. Eine Spritze in der Hand.

Kasbek: Sie haben den Vertrag, Ella.

Ella: Hier ist er. Alles klar. Wecken Sie ihn auf, Kasbek.

Moritz Mox: Au.

Jonas: Los Sammy, rein ins VR-Programm.

Sam: Ich bin oll da sagte der Swinegel.

Jonas: Gut. Wie sieht's aus in der virtuellen Realität.

Sam: Todschick, teuerste, ein Chefzimmer der Extraklasse, Mahagoni, Teak, echter Jumibo, ja, viel schöner als Moritz Moxens richtiges Büro.

Jonas: Was geht vor.

Sam: Sie tritt ein, o, strenges Kostüm, Brille, die Chefsekretärin par excellenz. Tolles Weib und so wandlungsfähig.

Jonas: Ella.

Sam: Na wer sonst du Plattfisch, Ella Virtuella, Virtuella aus dem Keller.

Jonas: Halt die Backen. Was ist mit Moritz Mox?

Sam: Moxens Moritz sitzt am Schreibtisch. Hat ein bißchen gepoft der Schnarchsack, hebt den Kopf.

Moritz Mox: Was gibt's Ella. Hab gerade ein Nickerchen gemacht.

Ella: Entschuldigen Sie die Störung, Chef, der amerikanische Vertrag.

Moritz Mox: Aja, zeigen Sie her. Die Cosanostra American Gambling Organisation überläßt der Firma Mox alle ihre Kasinos, Salons etc. etc. in Las Vegas, Reno, Atlantic City etc. etc., das ist doch wunderbar... Wir sind doch jetzt die größten, Mox international, imperial, global.

Ella: Sie brauchen nur noch zu unterschreiben, Chef.

Moritz Mox: Ja, wo hab ich denn den Stift.

Jonas: Moritz Mox unterschrieb, in der virtuellen Realität und in der realen. Ein reales Schriftstück, das Ella ihm vorlegte, mit einem realen Stift, den sie ihm in die Hand drückte. Dann lag er wieder auf der Couch. Dafür hatte Kasbek gesorgt mit einer zweiten Spritze.

Ella: Hiermit überträgt Firma Mox Babylon ihr gesamtes Vermögen, fest und beweglich, der Lucky Chance Inc. Nassau Bahamas.

Kasbek: Das heißt der Korporation.

Ella: Für Euros 100.000, Unterschrift Moritz Mox.

Kasbek: Wunderbar. Wir übernehmen Mox.

Ella: Sauber legal und völlig unblutig.

Kasbek: Abgesehen von Moritz Mox natürlich, der muß weg, aber das unter uns bleiben. Ihr Honorar haben Sie sich weiß Gott verdient, Ella. Schon für ihre absolute Superidee, die reale und virtuelle Realität bei Moritz Mox einfach zu vertauschen. Und ihm so seine Unterschrift abzutricksen. Brillant.

Sam: Na ja sagen wir ganz ordentlich für einen Menschen.

Jonas: Moment mal Sammy, was hat Ella gemacht? Genau mein ich.

Sam: Oje, wieder mal nix kapiert, was du Lahmbregen. Also paß mal Obacht. Zuerst war Moritz Mox Kaiser Nero in VR und in Wirklichkeit Moritz Mox, Erbe und nach Papis Dahinscheiden Besitzer der Firma Mox, alles klar.

Jonas: Sicher Sammy und dann?

Sam: Dann hat die böse Virtuella das ganze umgedreht, jetzt ist Moritz in der wirklichen Realität Nero und in der virtuellen Firmenchef. Sie hat das so clever gemacht, daß der liebe Moritz nichts mitbekommen hat, mit Drogen, ein bißchen Illusionstheater und unter gütigen Mithilfe der Korporation.

Jonas: Klonkiller. Statisten, Kasbek als Tigellinus, Und während der ahnungslose Moritz den Chef nur simuliert hat, haben Ella und ihre Auftraggeber von der Korporation die wirkliche Leitung der Firma übernommen.

Sam: Zunächst de facto, nunmehr auch de jure. Na bitte, haben es doch noch geschnallt, nich Nulli. Bravo

Kasbek: Endlich Schluß mit dieser idiotischen Römerspielerei.

Ella: Noch eine Szene Kasbek, das haben Sie mir versprochen. Moritz soll seinen Abgang als Nero kriegen. Wir machen weiter, die Kleindarsteller auf ihre Plätze.

Kasbek: Passen Sie bloß gut auf den Vertrag auf, Ella, wenn der verloren geht, war alles umsonst.

Ella: Keine Sorge, Kasbek, Sie sehen, ich nehme ihn mir zu Herzen, in meinem Ausschnitt ist er sicher.

Kasbek: Da wäre übrigens noch was zu bereinigen. Dieser lästige Typ.

Ella: Jonas, richtig, den sollten wir zusammen mit Moritz abservieren. Bringt Jonas her.

Jonas: Überraschung. Hinter mir klapperte was, ich drehte mich um, Sonja mit zwei Schwestern, verkleidet als Römerinnen, mit Laserstrahlern, ein Stilbruch.

Kasbek: So sieht man sich wieder, Jonas.

Ella: Haben Sie wirklich gedacht, wir merken nicht, daß Sie sich hier herumdrücken?

Kasbek: Wissen Sie was das ist?

Jonas: Empfänger für einen Mikroorter.

Ella: Und wo mag er wohl stecken der kleine Mikroorter? Na?

Kasbek: In ihrem Magen. Jonas.

Jonas: Fraktal Mandelbrot.

Kasbek: Mandelbrots Whisky, ganz recht, den Orter hat er von uns.

Ella: Sehen Sie, Mandelbrot hat was läuten hören von einer bevorstehenden Übernahme der Firma Mox durch die Korporation.

Kasbek: Er hat Sie engagiert, um Druck auf uns zu machen, Sie wurden lästig, und wir haben uns mit Mandelbrot engagiert, er kriegt 2 Millionen.

Jonas: Nicht eben wenig.

Ella: Die arme kleine Mona wird fürchte ich, leer ausgehen.

Kasbek: Neros Tod, Ella, bringen wir's hinter uns.

Jonas: Mit einem Knopfdruck waren wir wieder im alten Rom, aber nicht mehr im Kaiserpalast, der Raum war jetzt kleiner, draußen keine Häuser mehr, nur Landschaft. Kasbek weckte Nero.

Ella: Alles ist verloren, Geliebter.

Kasbek: Die Prätorianer sind zu Geiwa übergelaufen, Häscher sind dir auf den Fersen. Sie werden dich fangen. Dann wirst du im Colloseum zu Tode gemartert.

Moritz Mox: O ihr Götter was soll ich tun?

Ella: Sei ein Mann, Geliebter, gib dir den Tod.

Kasbek: Hier Nero, mein Schwert.

Moritz Mox: Ich kann nicht.

Kasbek: Dann werde ich es für dich tun.

Moritz Mox: Au, das tut weh.

Ella: Nur sensorische Simulation, Chef, ihre letzten Worte.

Moritz Mox: O welch ein Künstler geht mit mir zu Grunde.

Kasbek: Erledigt. Und jetzt Sie, Jonas, wie hätten Sie’s denn gern, römisches Schwert oder Laser 21. Jahrhundert.

Jonas: Wenn Sie mich schon fragen Kasbek. Weder noch.

Ella: Was erlauben Sie sich?

Jonas: Ella war empört. Jonas hatte ihr in den Ausschnitt gefaßt und den Vertrag rausgeholt, jetzt hielt er ihn über die glühenden Kohlen im Messingbecken. Kasbek und seine Killer waren kaltgestellt, sie konnten Jona weder abstechen noch ablasern.

Jonas: Dann fällt ihr kostbarer Vertrag ins Feuer. Und das wär doch schade, wo Sie sich so viel Mühe gegeben haben.

Kasbek: Wie geht's jetzt weiter, Jonas, wollen Sie so stehenbleiben, bis Ihr rechter Arm lahm wird.

Jonas: Hab ich nicht vor, Kasbek. Einen Laserstrahler in meine linke Hand. Na wird's bald. Gut so, Waffen weg, alle an die Wand, auf den Boden, Gesicht nach unten. Ganz ruhig bleiben und immer schön dran denken, Jonas hat den Vertrag.

Jonas: Ich ging rückwärts, durch die Tür, durch den Aufenthaltsraum, in den Lift, runter, Sammy blockierte den oberen Zugang. Jonas hatte ein bißchen Zeit, bis Kasbek und Konsorten einen andern Lift fanden. Nicht daß es mir viel brachte.

Sam: Virtuella hat über Fon alle Ausgänge besetzen lassen, o Dr. Jonas auf der Flucht.

Jonas: Sie wollen den Vertrag, ob sie mich laufen lassen, wenn ich ihn zurückgebe.

Sam: Du glaubst wohl an das Weihnachtsmännchen, du unschuldvoller Engel, du, ja sieh dich an.

Jonas: Was?

Sam: Sieh dich an, Witzfigur.

Jonas: Ja, ich hab noch die römische Rüstung an, meinst du das, Sammy.

Sam: Ein interessantes Ausfit, mein Viles Gloriosus, dürfte erhebliches Aufsehen erregen. Vor allem an einem Orte, welcher der Stille und der intellektuellen Muse geweiht ist und welcher zu dieser Stunde von einer gewissen hochgestellten Persönlichkeit frequentiert wird. Äh, wir verstehen uns auf dieser Welle, gelle.

Jonas: Fünf Minuten später, ein römischer Prätorianer stürmt die friedliche Schachecke im ersten Stock des Moxcenters. Er klirrt und klappert und brüllt laut was Sam ihm leise souffliert.

Jonas: Hannibal ante portas. Panem et cercensis. Per aspera ad astra.

Bürgermeisterin von Babylon: Was ist da los? Ruhe bitte!

Jonas: Cogito ergo sum. Errare humanum est.

Bürgermeisterin von Babylon: Ich bin Bürgermeisterin Paretzky.

Jonas: Nomina sunt udiosa. Leges inter arma.

Bürgermeisterin von Babylon: Silentium. Verdammt noch mal.

Kasbek: Wir kümmern uns um diesen Irren, Frau Bürgermeisterin, die internen Sicherheitskräfte sind alarmiert, gleich sind sie hier.

Bürgermeisterin von Babylon: Lassen Sie nur, guter Mann, das übernimmt meine Leibwache. Festnehmen den Kerl, abführen. Wartet draußen mit ihm bis ich komme.

Jonas: 4 Stunden später, früher Morgen, Jonas kam nach Hause.

Sam: Jaja, drei Dinge braucht der Jonas, ein Bildfon, den ominösen Vertrag, und ein Streichholz.

Jonas: Alles da, Sammy, dann mach mal ein Bildfonverbindung mit der Firma Mox, Direktion, Ella von Rensenbrink.

Sam: Leitung steht. Hallo, Hallo Virtuella, mein Schatz ja hier will wer was von dir.

Ella: Jonas? Sie haben Nerven.

Jonas: Schauen Sie her, Ella, das ist der Vertrag, das ist ein Streichholz, das war der Vertrag.

Ella: Das wird die Korporation ihnen heimzahlen Jonas.

Jonas: Glaub ich nicht, sehen Sie, ich hab die ganze Geschichte der Bürgermeisterin erzählt. Wenn die Korporation mir was tut, kriegt sie mehr Ärger als ich wert bin. Schreiben Sie doch den Verlust einfach ab. Und Kopf hoch. Neuer Tag, neues Glück. Grüßen Sie unseren Freund Kasbek.

Sam: Ja, und Kopf hoch.

Jonas: Gegen Mittag machte ich einen Besuch in der Villa Mandelbrot. Moritz ist tot, Mona erbt. Sagte ich dem Hausherrn. Und der hörte interessiert zu.

Mandelbrot: Als Monas Stiefvater werde ich die Treuhänderschaft des Moxvermögens übernehmen müssen, eine schwere Last, Herr Jonas, eine große Verantwortung.

Jonas: Dazu werden Sie keine Zeit haben, Dr. Mandelbrot.

Mandelbrot: Wie meinen.

Jonas: Die Korporation ist stinksauer, auf Sie, Dr. Mandelbrot, weil Sie Jonas ins Spiel gebracht haben und weil die Korporation deshalb das Spiel verloren hat. An mich kommt man nicht ran, also wird man sich an Sie halten.

Mandelbrot: O Gott, o Gott, was soll ich tun? Helfen Sie mir, Herr Jonas, raten Sie mir bitte.

Jonas: Packen Sie Ihre Koffer, verreisen Sie.

Mandelbrot: Ja, ja verreisen. Wohin?

Jonas: Weit weg, zum Südpol.

Mandelbrot: In Ordnung.

Jonas: Nach Bora bora, und kommen Sie nicht wieder.

Mona: Gute Reise Stiefpapa.

Jonas: Hallo Mona, wieder mal an der Tür gelauscht.

Mona: Na und? Ich bin jetzt reich, eine reiche Frau darf alles.

Jonas: Machs gut. Ich schick dir meine Rechnung.

Mona: Bezahlen kann ich aber erst in einem halben Jahr, wenn ich volljährig bin.

Jonas: Sammy, ob sie wohl im August noch dran denkt?

Sam: Häh die nie.

Mona: Herr Jonas, verkaufen Sie mir Sammy?

Jonas: Vielleicht, Mona, ich überlegs mir.

Das war Virtuella. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Adelheid Arndt, Nadja Rüpprecht, Rainer Basedow, Wolf Euba, Reinhard Glemnitz, Torsten Nindel und andere (Anne Marie Bubke, Stefanie Burkart, Christiane Blumhoff, Werner Klein). Ton und Technik: Daniela Röder und Günter Heß. Assistenz: Holger Buck. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1995. Redaktion Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:26
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Weihnachtsmärchen

Coco: Sti-hille Nacht. Hei-lige Nacht. Coco hat in die Hose gemacht.

Sam: Altes Ferkel.

Coco: Coco lacht, daß es kracht. Hahahahaha! Spaß muß sein, Kinder. Aber jetzt sind wir mal ein bißchen ernst ausnahmsweise.

Sam: Ich nicht.

Coco: Kinderweihnachten steht vor der Tür. Das Fest der Liebe. Was ist Liebe? Liebe ist nicht nur das, was die Großen nachts im Bett machen, wenn sie glauben, ihr schlaft schon.

Sam: I pfui Teufel.

Coco: Liebe ist Fühlen. Mitfühlen. Mit den vielen armen Kindern, die keine Geschenke kriegen, mit den Kindern in der Drittwelt, die krank sind, die Hunger haben. Liebe ist Geben.

Sam: Ne ne! Nehmen.

Coco: Gebt, Kinder, soviel Euros, wie ihr könnt. Schickt sie an mich, an euren Freund Coco, den Clown mit dem goldenen Herzen, Network Holo-TV Babylon.

Sam: Bab-ypsilon.

Coco: Sti-hille Nacht, heilige Nacht, geben so viel Freude macht. Gebt von eurem Taschengeld für das Elend in der Welt.

Jonas: Zum Kotzen. Warum sehe ich mir das an, warum schalte ich nicht gleich ab?

Sam: Unzureichende Daten, euer Fragwürden. Apropos Weihnachten.

Jonas: Sam wollte ein Geschenk. Einen neuen Namen. Sam gefiel ihm nicht mehr. Zu kurz. Sammy war ihm zu albern. Und Samuel zu umständlich. Die Frage war, wie wollte er ihn Zukunft heißen?

Sam: Behufs dieses Punktes steht eine endgültige Entscheidung noch dahin bzw. aus. In wohlwollender Erwägung befinden sich Prof. Einstein und Superhirn unter anderem.

Jonas: Weltseele. Lieber Gott.

Sam: Ach, seien Sie nicht albern, junger Mann, heiliger Geist, das hat was.

Val: Hallo, jemand zu Hause?

Jonas: Valerie!

Sam: Sieh mal einer kuck, der Wal, in voller Lebensgröße.

Jonas: Valerie. Kurz Val, Sammy sagte: Der Wal. Weil sie so groß und umfangreich war. Das sollte ein Witz sein. Jonas und der Wal. Sehr komisch. Valerie war eine Ex-Freundin, ausgesprochen ex, wir waren nur kurz zusammen, und seit Jahren auseinander, von mir aus hätte es so bleiben können. Was wollte Val von Jonas?

Jonas: Was willst du Val von Jonas.

Val: Dir frohe Weihnachten wünschen, dir erzählen, wir’s mir geht, ich hab mich selbständig gemacht, hier, sieh mal, meine Karte.

Jonas: Valerie, nur Valerie, die letzte Detektivin.

Val: Merkst du was, Jonas, ich hab von dir gelernt.

Sam: hehe, das geht doch gar nicht.

Jonas: Das konnte man wohl sagen. Ich bin Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv. In der großen Stadt Babylon und drum herum. Val hatte mich schamlos kopiert. Ich schlug ihr ne Änderung vor, die allerletzte Detektivin.

Val: Charmant wie eh und je, Jonas, wie sieht's bei dir aus, alles OK?

Jonas: O danke.

Val: Ich hab so was gehört. Daß es dir vor ein paar Wochen gar nicht gut ging.

Jonas: Sie meinte den Ufofall, Anfang November 2013, damals hatte Jonas drei Dinge verloren, Sam seinen sprechenden Computer, sein Gedächtnis und den Glauben an die Menschheit. Computer und Gedächtnis hatte ich wieder, den Glauben an die Menschheit suchte ich immer noch.

Val: Armer Jonas. Da wirst du noch lange suchen müssen.

Jonas: Du bist doch nicht gekommen, weil du dir Sorgen um mich machst, Val. Was willst du?

Val: Ich bring dir 'nen Fall, Jonas.

Jonas: Du mir glaub ich nicht.

Val: Einen richtigen Jonasfall, schwierig aber interessant.

Jonas: Wo ist der Haken?

Val: Naja, die Leute haben kein Geld.

Jonas: War nett dich mal wieder zu sehen, Val, mach's gut.

Val: Ach, nun hör dir die Sache doch wenigstens mal an.

Jonas: Von mir aus.

Val: Also, da ist ein altes Hetero-Paar, Ramona und Kevin Klein, arm aber ehrlich, Nachbarn von mir, sie wohnen im selben Hochhaus, Straße 130 in der Südstadt.

Jonas: Vor gut 50 Jahren haben sie die Südstadt hochgezogen, flott und billig, inzwischen sind die grauen Hochhäuser kräftig am krümeln, soweit sie überhaupt noch stehen. Aber die Südstadt ist kein Slum, sagt die Bürgermeisterin. Die Südstadt ist ein urbaner Sektor mit spezifischen strukturellen Problemen. Oder so. In der Südstadt wohnt, wer sich wo anders keine Wohnung leisten kann.

Val: Gestern ist den Kleins das Kind gestohlen worden, das sie sich gerade erst gekauft hatten, aus dem Bett, von Weihnachtsmännern mit Laserstrahlern.

Jonas: Lösegeld.

Val: Ne, nichts. Keine Kontaktaufnahme. Kein Wort von den Kidnappern. Die Kleins sind zu mir gekommen, aber unter uns, Jonas, für mich ist der Fall eine Nummer zu groß. Naja, ob du nicht ganz unverbindlich aus fachlichem Interesse.

Jonas: Manchmal übernimmt Jonas einen Fall für noth, aus Sport sozusagen, weil er ihn interessiert, weil er sich langweilt. Außerdem hatte ich meinen sozialen Tag. Weihnachten stand vor der Tür, das Fest der Liebe usw. Ich fuhr mit Val in die Südstadt, Straße 130, Haus N, 13. Stock, Ramona und Kevin Klein, ältlich, ärmlich und völlig aufgelöst. Es dauerte ein bißchen bis sie sich bekrabbelt hatten und mir erzählen, was passiert war, der Reihe nach, von Anfang an.

Klein: Wir hatten mal einen Sohn, Herr Jonas, vor langer Zeit als wir jung waren.

Kevin Klein: Einen selbstgemachten.

Klein: Er ging zur UNO als Soldat, und dann ist er gefallen, unser Kevin junior.

Kevin Klein: In Mazedonien, Sommer 1998.

Klein: Wir haben uns so sehr einen neuen Sohn gewünscht, Herr Jonas.

Kevin Klein: Kevin junior Nummer zwei.

Klein: Aber ein Retortenkind oder eine Leihmutter können wir uns nicht leisten, und für eine legale Adoption sind wir zu alt.

Jonas: Also entschlossen sich die Kleins, ihr Wunschkind illegal zu adoptieren, das heißt zu kaufen, das ist offiziell nicht gestattet, wird aber toleriert, es gibt jede Menge Kinderhändler, sie beziehen ihre Ware aus der Drittwelt und verkaufen sie in Babylon. Mehr oder weniger offen.

Klein: Wir haben alles zusammengekratzt was wir hatten.

Kevin Klein: Verschuldet haben wir uns auch.

Klein: Mit dem Geld sind wir zu Olga Omarenko gegangen, die ihren Laden am unteren Ende vom Markgrafenboulevard hat, Omas Kinderstube.

Kevin Klein: Offiziell vermittelt Frau Omarenko Kinder für Werbung und Medien, aber in erster Linie verkauft sie Adoptivkinder.

Klein: Wir sind also zu ihr gegangen.

Kevin Klein: Das war vor drei Wochen, Ende November.

Klein: Und wir haben ihr genau gesagt was wir wollten, einen Jungen etwa zwei Jahre alt, gesund.

Omarenko: Gesund, Omas Kinder sind alle gesund, Mütterchen, kerngesund.

Klein: Und dunkle Haare.

Omarenko: Dunkle Haare, Karacho, keine Sorge Mütterchen Väterchen, Oma wird besorgen.

Kevin Klein: Und äh wieviel wird es kosten.

Omarenko: Nicht teuer, Väterchen, spottbillig, 8000.

Kevin Klein: 8000 Euros?

Omarenko: 5000 jetzt sofort, bar als Anzahlung 3000 später wenn Oma liefert. Recht so, Väterchen, Mütterchen?

Ramona: Gib mir das Geld Kevin. Und wann? Wann Frau Omarenko kriegen wir unseren kleinen Kevin junior?

Omarenko: Schwer zu sagen Mütterchen. Geduld, ja?

Ramona: Wir hätten ihn so gern zu Weihnachten.

Omarenko: Alle wollen Kinder zu Weihnachten Mütterchen, nu Oma wird versuchen, Karacho?

Kevin Klein: Wir kommen vorbei und fragen nach.

Omarenko: Tut das Väterchen, tut das.

Kevin Klein: Ich weiß nicht, wie oft wir in Omas Kinderstube waren.

Ramona: 5 Mal, Kevin. 6 mal mit gestern.

Kevin Klein: Jedes Mal wurde uns gesagt, noch nicht da, tut uns leid, demnächst, fragen Sie wieder nach.

Ramona: Aber gestern, da war es endlich soweit.

Angestellter: Bedaure, Frau Omarenko ist nicht im Hause, kann ich was für Sie tun?

Kevin Klein: Mein Name ist Klein, wir hatten vor drei Wochen

Ramona: Kevin, hier ist er. In der dritten Krippe. Unser Kevin Junior. Genau wie wir ihn haben wollten. Ja nicht wahr, du bist mein kleiner Kevin, so ein süßes Kind.

Angestellter: Sie meinen das ist das Kind, das Sie bestellt haben.

Kevin Klein: Ganz bestimmt.

Angestellter: Sehen wir mal nach. Aha. Klein, Ramona und Kevin, Restpreis 3000 Euros.

Kevin Klein: Hier. 3000.

Angestellter: Na, dann ist ja alles in bester Ordnung. Sollen wir das Kind schicken oder nehmen Sie gleich mit.

Ramona: Ein netter junger Mann.

Kevin Klein: Kevin junior haben wir natürlich mitgenommen.

Ramona: Schon seit Wochen war alles fertig. Bettchen, Kleidung, Spielzeug, Sie sehen ja hier in der Ecke. Gestrahlt hat er unser Kleiner.

Kevin Klein: Eine Stunde später klingelte es, ich machte auf, es war Frau Omarenko, sie sagte kein Wort, schob mich zur Seite, kam rein, sah sich um.

Ramona: Und wollte mir Kevin junior vom Arm reißen.

Ramona: Was fällt ihnen ein?

Omarenko: Ruhig Blut, Mütterchen, Kind ist nicht ihr Kind, Mein wie sagen Sie Ladenhüter hat gemacht Irrtum, Kind ist für einen anderen Kunden, geben Sie zurück, Mütterchen, Väterchen.

Ramona: Nein, unseren Kevin junior geben wir nicht mehr her.

Kevin Klein: Wir haben ihn voll bezahlt, hier ist die Quittung.

Omarenko: Hören Sie Mütterchen, Sie sind Frau, Sie werden verstehen, leibliche Mutter in Drittwelt ist ganz krank vor Sehnsucht, wird sterben wenn nicht bekommt zurück ihr Kind. Seien Sie Engel Mütterchen, geben Sie her.

Ramona Klein: Das glaub ich Ihnen nicht. Kevin junior bleibt hier.

Omarenko: Väterchen Oma sagt Ihnen was, Oma gibt Ihnen zurück ihr Geld, 8000 Euros und dazu 2000, njet, 4000? 6000? Viel Geld Väterchen.

Kevin Klein: Na ich weiß nicht.

Ramona Klein: Nicht für 1 Million Euros. Gehen Sie. Raus. Raus.

Ramona: Frau Omarenko ging. Und wir spielten mit Kevin bis es Zeit war ihn ins Bettchen zu bringen nach dem Abendessen. Er war gerade eingeschlafen, da

Kevin Klein: Da kamen die Weihnachtsmänner, ganz normale Weihnachtsmänner mit Bärten in roten Mänteln und roten Zipfelmützen, die haben nicht geklingelt, die haben gleich die Tür eingetreten.

Weihnachtsmann: Fröhliche Weihachten.

Ramona Klein: Pst. Sie wecken das Kind auf.

Weihnachtsmann: Hände hoch an die Wand.

Kevin Klein: Was soll das bedeuten?

Weihnachtsmann: Kein Wort, keine Bewegung. Nimm das Kind, Nick.

Ramona: Nein, lassen Sie ihn los, geben Sie Kevin her.

Kevin Klein: Einer hat Ramona niedergeschlagen. Mit dem Griff seines Laserstrahles. Zeig Herrn Jonas die Beule, Ramona.

Ramona Klein: Hier, unter den Haaren.

Jonas: Wie viele waren es.

Kevin Klein: Drei. Zwei hielten uns mit Laser in Schach, einer nahm Kevin junior aus dem Bett, es dauerte nur ein paar Sekunden.

Jonas: Sind Sie den Männern nachgegangen Herr Klein.

Kevin: Nein, sie hatten doch Laserstrahler, aber ich hab aus dem Fenster gekuckt.

Jonas: Was haben Sie gesehen.

Kevin Klein: Ein graues E-Mobil, die drei sind eingestiegen. Mit unsrem Kind.

Jonas: Nummer?

Kevin Klein: Konnt ich nicht erkennen. Das E-Mobil Ist losgefahren, Richtung Westen.

Val: Zum Markgrafenboulevard. Omas Kinderstube.

Jonas: Möglich. Wir werden uns da mal umsehen, Val.

Ramona: Bringen Sie mir meinen Kevin Junior zurück, Herr Jonas, bitte.

Jonas: Omas Kinderstube lag am ruhigen Ende des Markgrafenboulevard, keine Hektik, wenig Geschäfte, Büros und Wohnungen, zehnmal so teuer wie in der Südstadt. Auf der Straße war nicht viel los, wenig Passanten, ein einsamer Weihnachtsmann hockte geduldig am Rinnstein, ab und zu bimmelte er mit seiner Glocke, lustlos, pflichtbewußt. Omas Laden war dunkel und bis auf weiteres geschlossen, das stand auf dem Schild an der Tür.

Val: Geschlossen. Was tun wir Jonas.

Jonas: Wir glauben nichts unbesehen. Wir sind skeptisch. Wir checken.

Sam: Jawohl, wir recken, wir drecken die dreckige Klinke.

Val: Die Tür ist auf.

Jonas: Nach Ihnen, meine Dame.

Val: Du meinst wir gehen rein, Jonas, einfach so?

Sam: Ja.

Jonas: Einfach so. Ganz ordentlich eingerichtet der Laden, schwarzer Tisch, schwarze Sessel, fast Echtholz, fast Leder, fast Mailänder Design, an der hinteren Wand ein Arbeitsplatz mit Computer, 6 leere Kinderkrippen und eine Tür.

Val: Ich hör was, Jonas.

Jonas: Hinter der Tür.

Val: Kinder. Kleine Kinder.

Sam: Hach, was haben Gnädigste denn in einem Kinderladen erwartet? Elefantanten

Jonas: Sehen wir mal nach, Val. Und du Sammy beschäftigst dich mit deinem Kollegen auf der Konsole, kriech mal rein, kuck in den Speicher. Das übliche.

Sam: Hach, wenn euer Großkotzigkeit doch nur ein einziges Mal einen Gedanken daran verschwenden würden, wie frustrierend, ja demütigend es für einen Computer von Bildung und Distinktion ist, einem minderbemittelten nicht einmal der Sprache mächtigen Rechner ins Gedärm zu schlüpfen. Ach, doch wenn es denn sein muß.

Jonas: Hinter der Tür ein kurzer Gang, drei Türen. Rechts, links, voraus. Das Kindergeschrei kam von rechts. Val machte die Tür auf. Eine Menge Kinderbetten. Drei davon belegt. Drei Kleinkinder im eigenen Saft und offensichtlich hungrig. Val ging auf die Suche. Hinter der linken Tür fand sie eine kleine Küche, Schrank, Flaschenregal, Kühlbox voller Milchcontainer und ein Herd, davor ein toter Mann, den Kopf in der Bratröhre, er roch nicht gut.

Val: Ih, wer ist das?

Jonas: Omas Ladenhüter vermutlich, der nette junge Mann, der den Kleins das Kind überlassen hat. Jemand hat seinen Kopf in die Röhre gesteckt und den Strom angedreht. Glitschig.

Val: Da ist einer im Laden, Jonas.

Jonas: Der Weihnachtsmann.

Val: Der mit der Bimmel, woher weißt du?

Jonas: Der Weihnachtsmann auf einsamer Straße, der nicht schnorrt und nicht wirbt, kann nicht astrein sein. Geh raus in den Laden, Val.

Val: Wieso ich?

Jonas: Weil Jonas was anders vorhatte. Er ging in den Gang, stellte sich neben die Tür zum Laden, und wartete. Nicht lange. Dann kam Val durch die Tür, rückwärts, beide Hände oben. Gefolgt von einer Pranke mit Laserstrahler, ein roter Ärmel. Das reichte. Jonas holte aus und schlug zu. Mit der schweren Eisenpfanne aus dem Küchenschrank. Die Pranke ließ den Laser fallen, der dazugehörige Weihnachtsmann stolperte durch die Tür, ein Profi, er hatte noch eine zweite Hand und einen zweiten Laserstrahler, den zog er aus dem Gürtel. Was sollte Jonas tun. Er hatte auch einen Laser. Er drückte auf den Abzug. Der Weihnachtsmann fiel um.

Val: Der Mann ist tot Jonas.

Jonas: Dann hat er sicher nichts dagegen, daß wir ihn mal kurz durchsuchen, noch ein Laser, Neurofreezer, Messer und eine Geschäftskarte, aha.

Val: Nick Bazooka, Firma Ex und Hopp.

Jonas: Tatsächlich. Ein Profi. Ex und Hopp war bekannt als effizientes Killerunternehmen, fast so gut wie die Todesschwadron, und in manchen Kreisen beliebter. Die Todesschwadron ist konservativ, ein bißchen langweilig, ihre Leute tragen nur formelles Busineßoutfit, Ex und Hopper sind peppiger, bunter, modischer und passen sich der Saison an.

Val: Unser Fall ist auf dem falschen Gleis, Jonas, wir haben zwei Leichen auf dem Hals, drei vollgekackte halbverhungerte Babys und weiter sind wir immer noch nicht.

Jonas: Abwarten Val. Sam?

Sam: Roter Baron Sam meldet sich zurück vom Feindflug Herr Luftmarschall, äh Heißluftmarschall.

Jonas: Wie sieht's aus in Omas Computer, Sammy.

Sam: Melde gehorsamst kahl.

Jonas: Unterlagen gelöscht.

Sam: Sozusagen Sahib gewissermaßen Genosse.

Jonas: Quatschkopf.

Sam: Majestät nehmen mir das Wort aus dem Munde.

Jonas: Den du nicht hast. Was heißt Quasi.

Sam: Siehe die dahingingen und löscheten waren in großer Eile und agiereten dilettantisch, ja und da Sammy stolzer Besitzer eines recht leistungsfähigen Retrievalprogramms ist, wie mein Meister nur zu gut weiß, hat er es doch seinem geliebten Computer gespendet.

Jonas: Konntest du was retten.

Sam: Der Daten Hülle und Fülle, Herr Programmdirektor.

Jonas: Zum Beispiel?

Sam: Zum Bleistift wo sich Stammsitz und Nachschubdepot der Firma Omarenko, Kinder en gro und en detail befinden: General Bastiani.

Jonas: Bastiani.

Sam: Was du mein wonniger Jonas.

Jonas: Was ist was Sam?

Sam: General Bastiani ist der Name einer Festung unserer tapferer Grenztruppen, die bekanntlich ohn Unterhos Korrektur ohn Unterlaß das Abendland vor dem Untergang bewahren, sprich vor dem Ansturm hungriger Drittweltler.

Jonas: Interessant.

Sam: Es dürfte Herrn Chefinspektor ebenfalls interessieren, daß die Geschäfte der Firma Omarenko weiter ausgreifen als es den Anschein hat, vor allem im Schmuddelbereich.

Jonas: Schmuddel. Das treffende Wort. Oma Omarenko verkaufte nicht nur Adoptivkinder, Oma belieferte auch die Kinderpornoindustrie und den Pädophielenfreundeskreis, mit Mengenrabatt, Außerdem besorgte und verscherbelte sie kindliche Organspender. Aber was hatte das alles mit unserem Fall zu tun.

Sam: Beiläufig dieses, o Vater aller dummer Fragen, Klein Kevin junior, Omarenko-Laufnummer D1270-4 ist gar nicht Klein Kevin Junior, er ist vielmehr der Knochenmarkspender, den ein Auftraggeber für 125.000 Euros bestellt und mit 50.000 Euros angezahlt hat. Das ist Megamäuse Boß.

Jonas: Du sagt es Sammy. Wer ist der Auftraggeber?

Sam: Ein mit Chiffre C. gekennzeichnetes anonymes Individuum mein Gutester.

Jonas: So. Wieso ist der teure Knochenmarkspender als preiswertes Adoptivkind bei Kleins gelandet. Ein Versehen?

Sam: Mal sehen, äh mag sein, Meister, doch könnte nicht auch der Geist der nahen Weihnacht Omarenkos Ladenschwengel zu einem bewußten Akt des Mitleids veranlaßt haben, um das Kind vor einer kurzen aber schmerzhaften Existenz als Transplantationsopfer zu bewahren.

Jonas: Wie auch immer Sam, die Omarenko hat versucht, den Kleins das Kind abzuschwatzen, als das nicht klappte, hat sie sich bei Ex und Hopp ein paar Vollstrecker gemietet, und die haben den Kleins das Kind weggenommen.

Val: Warum Jonas? Ich meine wozu der Aufwand. Warum hat Oma ihrem Auftraggeber nicht irgendein anderes Kind besorgt.

Sam: Null Ahnung von Medizin, was Gnädigste. Irgendein Kind tut es mit Nichten und Neffen. Von wegen Histokompatibilität... Antigeneabstoßung. Comprende.

Val: Kein Wort Sam.

Sam: Aha, qui sporidi ruski.

Val: Tanjaschnor.

Jonas: Von allen Kindern, die Oma zur Verfügung hatte, kam als kompatibler Knochenmarkspender in diesem Fall nur dieses eine in Frage. Richtig so.

Sam: Grünau.

Val: Und wo ist das Kind jetzt.

Jonas: Beim Auftraggeber vermutlich.

Val: OK alles klar.

Jonas: Bis auf ein paar Kleinigkeiten. Wer ist der Auftraggeber, wer hat den Angestellten umgebracht und warum. Weshalb ist Ex und Hopp immer noch aktiv.

Val: Und wo steckt Oma Omarenko.

Jonas: Sie hat ihre Daten gelöscht und ist untergetaucht und ich glaube ich weiß wo.

Val: Wollen wir ihr nach, Jonas.

Jonas: Unbedingt, weil wir nur über sie weiterkommen, aber das macht Jonas besser allein. Du wirst hier gebracht, Val, die kleinen Scheißer müssen versorgt werden, bring sie zur nächsten Sozialstation und dann gehst du zu Kleins und wartest auf mich.

Jonas: Jonas flog von Babylon nach Murnau, nicht weit von der Grenze. Und da mietete er ein E-Mobil. Alles aus eigener Tasche, aus der eisernen Reserve, so ist Jonas nun mal, was er anfängt, zieht er durch.

Sam: Unbeirrbar, unerschütterbar unerbitterlich, in einem Wort, in einer Silbe stur, stur wie ein Panzer.

Jonas: Wie Sam Spade, wie Phil Marlowe.

Sam: Ein Mann geht den Weg, den ein Mann gehen muß. Bis ans Ende. Allien äh Korrektur allein.

Jonas: Chandler.

Sam: Ne, Sam, nicht schlecht was, hätte gut von Chandler sein können. Achtung, Fort General Bastiani voraus.

Jonas: Kilometerweit rechteckige Klötze, Kasernen im beliebten 08/15-Stil, daneben vorfabrizierte Plastikschuppen, weit hinten am Horizont ein dunkler Streifen, die Grenze. Sperranlagen, Stacheldraht und die gewaltige Mauer. Ich fragte mich durch zum Dienstzimmer des Medienoffiziers. Jonas war Medienarbeiter, Researcher, für Supermedia Holo TV. Papiere und Identscheibe hatte Sam fabriziert, eine seiner leichteren Übungen.

Medienoffizier: In Ordnung, Herr Jonathan.

Jonas: Jonas.

Medienoffizier: Sie kommen allein klar. Leider kann ich mich kaum um Sie kümmern, unsere große Weihnachtsfeier, wissen Sie, alle im Fort haben mit den Vorbereitungen zu tun, bis auf die Grenzstreife natürlich.

Jonas: Ich werde mich schon zurechtfinden.

Medienoffizier: Bestens. Sie dürfen sich im Fort frei bewegen, sich umsehen, ihre Recherchen durchführen. Apropos, warum geht's da eigentlich. Was hat Supermedia vor?

Jonas: Unter uns. Wir planen eine große Holodoku über den verantwortungsvollen Dienst der Grenztruppen. Europas Bollwerk auf Wacht, während die anderen schlafen, so etwa.

Medienoffizier: Klingt gut, na dann viel Erfolg, Herr Jonathan. Falls Sie länger bleiben wollen, unser Gästetrakt steht zu Ihrer Verfügung.

Jonas: In den Kasernen war Platz für 30.000 Grenzer. Falls die Drittweltler wieder einen großen Durchbruch versuchen sollten. Außerhalb der Kasernen gab es Läden, ein Bordell und Kneipen. Was der Mensch so braucht. Olga Omarenko fand Jonas nicht, statt dessen fand er Schieber, Nutten, einen geschwätzigen Wirt. Und überteuerten Synthwhisky.

Wirt: 20 Euros.

Jonas: Die Flasche?

Wirt: Haha, das Glas.

Jonas: Fröhliche Weihnachten.

Wirt: Wie gefällt Ihnen der General Bastiani Chor?

Jonas: Umwerfend. Olga Omarenko. Kennen Sie die?

Wirt: Klar kenn ich Oma. Jeder im Fort Bastiani kennt Oma, sehr beliebt, bringt Geld unter die Leute, was wollen Sie von Oma?

Jonas: Ich hab was mit ihr zu besprechen, geschäftlich.

Wirt: Ich frage nur, weil Sie nicht der erste sind, der sich heute nach ihr erkundigt, vor ner Stunde waren ein paar Weihnachtsmänner hier mit nem Laster.

Jonas: Und die haben nach Oma gefragt.

Wirt: Ja. Wollten wissen, wo sie sie finden können.

Jonas: Haben Sie's ihr gesagt.

Wirt: An der Grenze, Kontrollzone 7 mit der Streife, Oma ist oft mit der Streife unterwegs, damit sie die Ware gleich an der Quelle begutachten kann.

Jonas: Was für Ware?

Wirt: Na die Kinder, die sich durchschleichen.

Jonas: Die kauft Oma, von den Grenzern.

Wirt: Fragen Sie sie selbst, ich hab zu tun und ich weiß gar nichts.

Jonas: Ich hatte eine Karte vom Grenzbezirk. Der Medienoffizier war so freundlich gewesen. Damit arbeitete ich mich vor. Die Mauer am Horizont wurde höher, immer höher, ihr gigantischer Schatten legte sich über das Grenzgebiet, über Babylon, über ganz Europa. Die Mauer war neu, sonst sah die Gegend aus wie früher, als sie noch Niemandsland hieß, wüst und leer, Stilleben mit Ruinen. Wann war Jonas zuletzt hier gewesen.

Sam: Präzis im August 2010 euer Vergeßlichkeit.

Jonas: Vor dreieinhalb Jahren Sammy. Inzwischen ist eine Menge passiert.

Sam: Anfall Chef und Überfall.

Jonas: Anfall Überfall, was soll das heißen Sam.

Sam: Fall an Fall, Fall über Fall, ein Witz.

Jonas: Haha, Durchfall, verbaler Durchfall, das ist das, was du hast Sam.

Sam: Nanana. Trouble is waiting, Captian.

Jonas: Hinter dem Hügel, direkt an der Mauer.

Sam: Vorschlag zur Güte: Anhalten, aussteigen und ganz vorsichtig weiterkrauchen.

Jonas: Bis auf den Hügel. Ich hob den Kopf hinter einem großen Stein, langsam, und was sah ich unten: Eine offene Klappe in der Mauer, davor im Halbkreis die Grenzstreife, 12 Mann, am Boden lagen etwa 20 Drittweltler, Frauen und Männer, tot, dazwischen ein paar Kinder, lebendig und laut, und eine stämmige Frau in farbiger Folklore, munter und geschäftig. Das mußte Oma Omarenko sein.

Omarenko: 3,4,5,6. 6 Kinder, Leutnant.

Leutnant: Macht 300 Euros.

Omarenko: Moment, 250, Oma kann nicht gebrauchen den da, zu alt, hat schiefes Bein.

Leutnant: Abschießen. So, macht das Loch in der Mauer wieder zu, heute kommt doch keiner mehr.

Weihnachtsmann: Weihnachtlich glänzet der Wand, freue dich...

Jonas: Ein roter E-Kleinlaster, auf der Ladefläche 6 rote Weihnachtsmänner, der Laster hält, die Weihnachtsmänner springen ab, sie strahlen und winken, und rufen fröhliche Weihnachten, die Grenzer winken zurück und lassen die Hände gleich oben, weil die Weihnachtsmänner plötzlich Laserstrahler aus den Manteltaschen ziehen. Profikiller von Ex und Hopp.

Leutnant: Hey, die Grenztruppen im aktiven Dienst mit der Waffe zu bedrohen ist streng verboten. Stecken Sie Ihre Laser weg.

Weihnachtsmann: Regen Sie sich ab, Leutnant, Ihnen und Ihren Leuten tun wir nicht. Wir wollen bloß Oma. Wir haben Auftrag sie ein bißchen totzuschießen. Gehen Sie aus dem Weg, dann passiert Ihnen nichts.

Leutnant: Sie werden hier niemanden totschießen, schon gar nicht Frau Omarenko, sie steht unter unsrem Schutz.

Weihnachtsmann: Wenn Sie das so sehen, Leutnant, Feuer.

Jonas: Harte Sitten im Grenzgebiet, und lockere Laser. Jetzt lagen auch die Grenzer auf der Erde neben den Drittweltlern, die sie eben erst erschossen haben. Olga Omarenko lebte noch, sie bückte sich, versuchte eine Waffe aufzuheben, aber der Oberweihnachtsmann hatte was dagegen.

Omarenko: Au, meine Hand tut weh.

Weihnachtsmann: Machen Sie sich nichts draus, Oma, in ein paar Sekunden tut ihnen nichts mehr weh. Garantiert.

Omarenko: Was Sie wollen, Oma hat Vertrag mit Ex und Hopp wir Partner Täubchen.

Weihnachtsmann: Keine Partner, Oma. Der Vertrag ist abgelaufen, Ihr werter Geschäftsfreund ist für Sie eingestiegen, und der bezahlt uns eine Menge, wenn wir Sie umlegen.

Omarenko: Väterchen Conrad Coburg, aber warum, Oma hat ihm geliefert Kind mit Knochenmark für sein Söhnchen, war nicht leicht, Täubchen, gar nicht leicht.

Weihnachtsmann: Sie haben versucht, Coburg ein bißchen zu erpressen, um den Preis hochzudrücken, darum Oma. Coburg hat nicht gegen Sie als Mensch, aber Sie sind im Stande, ihn bloßzustellen, das kann er sich nicht leisten als prominente Persönlichkeit und professioneller Kinderfreund. Nehmen Sie's nicht tragisch, Oma, Sie können zufrieden abtreten, ein erfülltes Leben liegt hinter Ihnen, viele tausend tote Drittwelter, viele tausend verhökerte Kinder, ist doch was. Also dann.

Omarenko: Wir machen neue Vertrag, Karatscho, Oma wird bezahlen. Ah.

Jonas: Abgang Olga Omarenko. Genannt Oma. Kinderhändlerin, keine nette Person, die Weihnachtsmänner schnitten ihr den Kopf ab, und packten ihn in eine Kühlbox als Beweis für ihren Auftraggeber, dann bestiegen sie ihren Laster und verschwanden in einer Staubwolke mit weihnachtlichem Gesang. Zurück blieben diverse Leichen, 5 heulende Kinder und Jonas.

Sam: Und Sam.

Jonas: Wie konnte ich dich vergessen, geliebtester Computer meiner Seele.

Sam: Ah, von wannen diese ungewohnten Töne, mein Jonas. Ist dir die Ballerei an dei Nieren gegangen. Kein Wunder, laut, blutig, schlimmer als die Karl May Festspiele.

Jonas: Sei du froh daß du keine hast.

Sam: Was.

Jonas: Keine Nieren meine ich.

Sam: Nobody ist perfekt.

Jonas: So hat die Omarenko sich also ihre Waren besorgt, die Kinder die sie in Babylon verkauft hat. Die Grenze machen ein Loch in der Mauer auf, lassen eine Gruppe Drittweltler durch, bringen die Erwachsenen um.

Sam: Und die Kinder kriegt Oma jaja zum bescheidenen Stückpreis von 50 Euros.

Jonas: Hat sie gekriegt, Sammy, jetzt haben wir sie, die fünf kleinen Heuler da unten. Was machen wir damit. An der Grenze gibts keine Sozialstation.

Sam: Hier lassen, Augen zu und weg, nein nein, ist nicht drin, du Wohltäter der Menschheit. Wir nehmen sie mit, jawohl, aber nur bis zum Fort, sollen die Grenzer sich drum kümmern.

Jonas: Da seh ich schwarz, Sammy.

Sam: Wieso?

Jonas: Weißt du was, wir geben Sie im Bordell ab.

Sam: Bravo Commandore, wie alle Welt weiß haben die dort tätigen Damen Herzen aus purem Gold, ja, da wird's ihnen gut gehen den kleinen Scheißern.

Jonas: Amen. Von der Festung General Bastiani fuhr Jonas schnell weiter nach Murnau und stieg in den nächsten Flieger nach Babylon, bloß weg, bevor es Ärger gab, und den würde es geben, sobald jemand über die Leichen an der Mauer stolperte.

Sam: Piep. Geruhen mein Herr und Meister zu schlafen.

Jonas: Ich denke nach Sammy.

Sam: Er denkt, o Wunder.

Jonas: Und du kannst mir dabei helfen.

Sam: Machen wir doch glatt. Ein Mensch allein, was kann das schon sein. Chaos Herr Oberkirchenrat, Tohu und Bohu, Kraut und Rüben, Omi und Opi.

Jonas: Conrad und Coburg. Wer ist Conrad Coburg Sammy?

Sam: Na schauen wir mal. Erstens Geschäftsfreund von Frau Omarenko selig.

Jonas: Ist bekannt.

Sam: Zwotens: prominente Persönlichkeit und professioneller Kinderfreund.

Jonas: Auch bekannt, Sam, wenn du nichts neues zu bieten hast.

Sam: Drittens: weithin geschätzter und beliebter Holoclown.

Jonas: Aha. Conrad Coburg. Co-Co. Coco!

Sam: Mit dem goldenen Herzen.

Jonas: Der Weihnachtssülzer.

Sam: Eben dieser und kein anderer euer Ehren. In diesem Zusammenhang dürfte wohl eine kürzliche Meldung einschlägiger Medien von gewissem Belang sein, daß nämlich besagter Conrad Coburg alias Coco einen etwa 2-jährigen Sohn, Costa mit Namen sein eigen nennt, welcher ganz plötzlich von der bösen akuten Leukämie daniedergestreckt wurde.

Jonas: Sieh mal an. Jetzt paßte alles zusammen. Das Puzzle war gelöst. Der Fall war klar.

Sam: Klar wie Knödelsuppe. Wie Knochenmarkslösung.

Jonas: Conrad Coburg braucht für seinen Sohn einen histokompatiblen Knochenmarkspender, er geht zu Oma.

Sam: Ja.

Jonas: Oma sucht.

Sam: Ja.

Jonas: Oma findet.

Sam: Und was geschieht? Aus irgendeinem Grunde landet das für Coburg bestimmte Kindlein bei den Kleins.

Jonas: Oma läßt es kidnappen und liefert es bei Coburg ab.

Sam: Ja, und dabei kommt sie auf die Idee, ihren Auftraggeber unter Druck zu setzen, um einen höheren Preis rauszuschinden, hätte sie lieber lassen sollen, die gierige Großmutter, denn Herr Kollege.

Jonas: Coburg wird sauer.

Sam: Ja.

Jonas: Ihm wird klar, wie gefährlich die Sache für ihn werden kann.

Sam: Coco mit dem goldenen Herzen, Holopersonality, geliebt von allen Kindern in und um Babypsilon, kauft heimlich ein Drittweltkind, um es gnadenlos auszuschlachten. Pfui Teufel, so geht's ja wirklich nicht, meine Damen und Herren, liebe Kinder, hochverpupptes Ehrlikum.

Jonas: Coburg muß handeln, und was tut der Herr Kollege?

Sam: Jaja er beauftragt Ex und Hopp, alle Beteiligten zu beseitigen, zu liquidieren, auszuradieren, zum Schweigen bzw. um die Ecke zu bringen zu killen, abzumurksen.

Jonas: Oma. Ihren Angestellten.

Sam: Ja. Und was Herr Kollege ist mit Ramona und Kevin Klein.

Jonas: Ja was war mit den Kleins. Ich machte mir Sorgen. Zu recht. Am frühen Morgen kam Jonas nach Hause, und da stand sie, vor der Tür des Büroapartments und wartete, Valerie. Nur Valerie, die letzte Detektiv. Die allerletzte.

Val: Ich brauch dringend was zu trinken, Jonas.

Jonas: Bürowhisky?

Val: Na wenn du nichts besseres hast.

Jonas: Wollten wir uns nicht bei den Kleins treffen.

Val: Kleins sind tot. Laserstrahler, gestern abend hab ich sie gefunden. Was jetzt Jonas, wir haben keine Klienten mehr. Der Fall hat sich erledigt.

Jonas: Nicht ganz, Val. Wir haben Kevin Junior noch nicht gefunden, das müssen wir tun, das sind wir den Kleins schuldig und uns selbst auch.

Val: Wenn du meinst. Wo willst du anfangen zu suchen.

Jonas: Da wo er steckt Val.

Val: Und das weißt du.

Jonas: Das weiß ich. Sammy?

Sam: Gnädiger Herr wünschen.

Jonas: Coburgs Adresse.

Sam: Piep. Im allgemein zugänglichen Bürgerverzeichnis nicht zu finden Sir.

Jonas: Na und, dann sieh in die nicht zugängliche Liste der Geheimadressen. Oder kannst du das nicht.

Sam: Eine derart dümmliche Unterstellung vermag Sam nicht einmal ein müdes Lächeln zu entlocken. Hehe. Piep. Conrad Coburg ist seß- und wohnhaft am Schwanensee bei Tschaikowski. Wo die feinen Häuser pinkeln, Korrektur wo die feinen Pinkel hausen, die reichen Schweine.

Val: Wer ist Coburg, Jonas.

Jonas: Erzähl ich dir unterwegs Val.

Sam: Erlaube mir den bescheidenen Hinweis, Sir, daß es nicht gänzlich unproblematisch sein dürfte, Sir, zu besagtem Coburg vorzudringen, Sir.

Jonas: Da wird sich schon was finden Sammy.

Sam: Erlaube mir ferner den Hinweis, daß es nicht geraten erscheint, Sir, dies Haus auf dem üblichen oder auch direktem Weg zu verlassen, Sir. Weihnachtsmänner vor dem Tor, Sir, von draußen vom Schwanensee da kommen sie her.

Jonas: Tatsächlich. Die müssen dir gefolgt sein, Val. Von Kleins aus.

Val: Ich hab nichts gemerkt.

Jonas: Das hätte mich auch gewundert. Also durch den Notausgang.

Sam: Kellerzwischentür, Kellernebenhaus, Hintertür.

Val: Und dann?

Jonas: Auf zu Coburg.

Sam: Hallali Safari. Vom Himmel hoch da komm ich her.

Jonas: Zuerst machten wir einen kleinen Abstecher, was besorgen, umziehen, das dauerte ein bißchen. Drei Stunden später standen zwei Weihnachtsmänner vor Coburgs Tür. Korrektur: ein Weihnachtsmann und eine Weihnachtsfrau, rote Mützen ins Gesicht gezogen. Rote Mantelkragen hochgeschlagen. Die Frau drückte auf den Klingelknopf, der Mann hielt eine Visitenkarte vor das Scannerauge. Nick Bazooka stand darauf. Firma Ex und Hopp. Die Tür ging auf. Weihnachtsmann und Weihnachtsfrau traten ein.

Val: Schick die Hütte.

Sam: Alles sauber, Boss. Nur ein Mensch im Haus. Keine Waffen.

Jonas: Personal?

Sam: Elektronisch. Automatisch. Nicht blöd der Coburg. Roboservants tun was man ihnen sagt, ruhen sich nicht aus, nehmen keinen Urlaub, werden nicht krank so wie du Rotzlöffel.

Jonas: Und wenn sie stören, werden sie einfach abgeschaltet, klar Sammy?

Sam: Klar Boss. Nur ein Wort und das System liegt lahm. Kein Problem für Sam, Sam den Hacker, den Knäcker, den Racker, den Kacker, ach ne der Kacker bist du.

Coburg: Was soll das? Keine Hausbesuche, das habe ich ihnen ausdrücklich gesagt. Sie kompromittieren mich.

Jonas: Das tut uns aber schrecklich leid, Herr Coburg.

Coburg: Was wollen Sie denn?

Jonas: Das Kind.

Coburg: Was?

Val: Den kleinen Drittweltler, den sie bei Olga Omarenko gekauft haben.

Coburg: Sie... Sie sind nicht von Ex und Hopp.

Jonas: Sehr richtig, Herr Coburg, wir haben gelogen, damit Sie uns reinlassen. Wir sind überhaupt zwei rücksichtslose und gefährliche Typen. Wo ist das Kind.

Coburg: Ich weiß nicht, wovon Sie reden.

Jonas: Er wußte es dann doch. Als wir ihm zwei entsicherte Laserstrahler unter die Nase hielten, er fing an zu schwitzen, versuchte zu verhandeln. Aber Jonas ließ sich auf nichts ein. Coburg gab auf und ging voran, ins Untergeschoß, in ein Krankenzimmer, hell, sauber, bestens ausgestattet, Robodoc und Robonurse standen in Bereitschaft, Maschinen summten und piepten, dazwischen zwei kleine Betten. In einem ein etwa zweijähriges Kind, blaß, völlig kahl, es schlief und warf sich dabei unruhig hin und her.

Coburg: Mein Sohn, mein Sohn Costa, er hat Leukämie, akute lymphatische Leukämie, die Chemotherapie hat ihm nicht geholfen, nur die Transplantation kann ihn retten, die Knochenmarktransplantation, verstehen Sie, darum.

Jonas: Im zweiten Bett, das ist Kevin Junior, der Junge aus der Drittwelt.

Coburg: Ja, der Knochenmarkspender. Sie haben ja keine Ahnung, wie schwierig es ist, ein histokompatibles Kind zu finden, damit das transplantierte Gewebe nicht gleich wieder abgestoßen wird, das ist sehr sehr schwierig.

Val: Was ist mit ihm los. Warum rührt er sich nicht.

Coburg: Er ist, ich meine, wir haben ihn nun ja in ein Koma versetzt.

Jonas: Was heißt das, ist er tot?

Coburg: Nicht direkt. Sehen Sie, er atmet.

Sam: So, aber sein Hirn arbeitet nimmer, Herr Medizinalrat, und es wird auch nimmer arbeiten. Kein Hirnstrom, kein Lebenszeichen.

Jonas: Der Junge ist also hirntot.

Sam: Hirntot ist tot, Herr Oberstabsarzt, tot wie ein Sargnagel, toter geht das nicht.

Val: Sie haben das Kind umgebracht Coburg.

Coburg: Gott, was heißt umgebracht, so ist es einfach praktischer, das Material bleibt länger frisch, länger transplantationsfähig, und der Spender ist ruhiggestellt. Er wäre sowieso draufgegangen. Mein Sohn braucht sehr viel Knochenmark in kurzer Zeit.

Jonas: Schalt ab, Sam.

Sam: Kevin Junior?

Jonas: Natürlich Kevin Junior. Stop die Maschinen, die ihn künstlich am Leben erhalten, laß ihn sterben.

Sam: Zu Befehl. Piep.

Coburg: Nein, mein Sohn, mein Costa. Wenn die Transplantation nicht weiterläuft, stirbt er. Wo soll ich so schnell einen neuen Spender herkriegen.

Jonas: Wie wär's denn mit ihnen selbst, Coburg, als leiblicher Vater sind Sie automatisch histokompatibel.

Coburg: Das steh ich nicht durch, bei der Menge Knochenmark, die Costa braucht.

Jonas: Ihre Entscheidung Coburg. Vielleicht fällt Sie Ihnen leichter, wenn Sie sich klarmachen, daß Sie sowieso schon tot sind, so gut wie. Sie kommen vor Gericht, die Medien werden Sie in der Luft zerreißen, Ihren Job werden Sie los, kein Kind wird Sie noch sehen wollen. Dafür werden wir sorgen.

Coburg: Das... Sie wollen mich anzeigen.

Jonas: Das ist nicht nötig Coburg. Wir stecken die Geschichte ihrem größten Konkurrenten.

Val: Peter Pelican, Pepe mit der roten Nase, Holoclown bei Supermedia.

Jonas: Und kommen Sie nicht auf den Gedanken, uns Ihre Ex und Hopper auf den Hals zu hetzen.

Val: Mit denen werden wir ganz fertig. Was Jonas?

Jonas: Aber sicher Val. Wenn sie ein bißchen Anstand und Mut haben, Coburg, dann retten Sie ihrem Sohn das Leben, Sie selbst sind nicht mehr zu retten. Komm Val.

Sam: Und noch recht fröhliche Weihnachten allerseits. Es ist ein Roß entsprungen, wo will das Pferd bloß hin...

Das war Weihnachtsmärchen. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam: Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie Ilse Neubauer, Ellen Schwiers, Simone Solga, Peter Fricke, Michael Hinz und andere (Hubert Mulzer, Werner Haindl, Timo Dierkes, Klaus Neumann, Friedrich Schloffer). Ton und Technik: Daniela Röder und Günter Heß. Assistenz: Holger Buck. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1995. Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:25
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Ufo

Sam: Er stand auf seines Daches Zinnen und schaute mit trübem Sinnen auf Babypsilon, die große Stadt.

Jonas: Die Sicht aus meinem Fenster im 16. Stock war gut. Ausnahmsweise. Klar und scharf lag das nächtliche Babylon unter mir. Ein riesiger Flickenteppich. Im Westen die Ghettos der Reichen, in gedämpftes Goldgelb. Ruhig. Gediegen. Grell und aufdringlich das Zentrum, das Amüsierviertel, knallbunt flackernd. Strahlend weiß die geballten Hochhäuser der Wirtschaft. Steif und steril. Dazwischen in unregelmäßigem Hell-dunkel die normalen Wohnbezirke. Im Südosten ein großes schwarzes Loch: Das Reservat. Rundum, am Horizont die Wildnis, eine dauernde dunkle Drohung. Darüber, als heller Kontrapunkt: ein Ufo, ein rotierender Diskus mit zahllosen Fenstern. Langsam zog es dahin. Unbeirrbar. Unerschütterlich. Unergründlich.

Sam: Unerträglich.

Jonas: Das Ufo?

Sam: Ach Quatsch, deine melancholische Fensterschau, dein poetisches Geplapperlaber, du Hemingway für Arme.

Jonas: Wer ist Hemingway, Sammy?

Sam: Was juckt uns Hemingway, was juckt uns das Ufo, das gondelt doch schon seit Wochen jeden Abend über Babylon herum. Laß grübeln und glotzen, hinweg mit dem Trübsinn, mach dir ein paar schöne Stunden, Kumpel, geh ins Casablanca.

Jonas: OK. Aber das half auch nichts. Die Stimmung blieb mies. Und das Ufo, die Drohung, die Dunkelheit, alles das wartete schon auf Jonas. Im Casablanca. Ich kriegte es nur nicht gleich mit. Zuerst war da nur die Frau, an meinem Tisch, auf meinem Platz.

Jacob: Sie wartet auf dich, Jonas.

Jonas: Soll sie, ich bin nicht da, ihr Pech.

Jacob: Hier ist er, Frau Delamotte.

Jonas: Halts Maul, Jacob, ich bin nicht in Stimmung.

Delamotte: Jonas?

Jacob: Jonas, in Lebensgröße.

Jonas: Schöner Freund bist du.

Jacob: Ich bin kein Freund, ich bin Gastwirt.

Jonas: Sie war Ende vierzig. Gut angezogen, grau und dunkelblau, höheres Management dachte ich, oder öffentlicher Dienst. Ich ging rüber zu ihr. Lust hatte ich nicht.

Delamotte: Setzen Sie sich. Was trinken Sie?

Jonas: Whisky, Jacob, aber nicht den aus Singapur.

Delamotte: Sie sind also der Detektiv.

Jonas: Der letzte. Der absolut total allerletzte. Wenn Sie mir einen Auftrag geben, tun Sie's auf eigene Gefahr.

Delamotte: Sie haben seltsame Art für sich zu werben. Was kosten Sie?

Jonas: 120 Euros pro Tag und Spesen und eine Zulage, wenn ich raus muß aus Babylon. Muß ich?

Delamotte: Ich glaub schon.

Jonas: Wohin?

Delamotte: In die Wildnis.

Jonas: 200 pro Tag. Sie können sich das leisten, das sehe ich Ihnen an. Was soll ich tun?

Delamotte: Jemanden suchen und finden wenn möglich.

Jonas: Wen?

Sam: Lalü lala. Tatü Tata. Alarm. Es brennt. Lichterloh, feurio. Loriot. Halt stopp, denk weiter.

Delamotte: Sam nehm ich an.

Jonas: Sie kennen Sam?

Delamotte: Wer kennt ihn nicht.

Sam: Ha. Hast du gehört, meitabbelige Gallenblase. Mir san hin und hergerissen, gnädige Frau, charmo charmo Küß eahna die Hand.

Jonas: Mein Computer. Klein aber laut. Gefüttert mit sämtlichen Sprachprogrammen, die es gibt. Die es nicht gibt, hat er sich selbst beigebracht. Sam. Auch Sammy. Selten Samuel. Wegen Casablanca. Den Film meine ich, nicht meine Stammkneipe. As time goes by. Sam ist mein elektronischer Begleiter. Mein Schlappenschamois. Meine nützliche Nervensäge.

Sam: Teuerste sehen mal wieder ganz extraordinär entzückend aus.

Delamotte: Danke.

Sam: Aber dennoch dessen ungeachtet und nichts desto trotz, erstmal wird geklärt, wer Sie sind. In dem daß wir bislang noch nicht das Vergnügen Ihrer geschätzten Bekanntschaft genaßen. äh genießen. Hatschi. Danke. Genossen. Feste Regel im Hause Jonas. Also dann mal los verehrteste. Hosen runter.

Jonas: Wer sind Sie?

Delamotte: Delamotte ist mein Name. Audrey Delamotte, ich arbeite im Amt für Medien und Öffentlichkeitsarbeit als Staatsrätin.

Jonas: Alles klar, also, fangen wir nochmal an, Frau Delamotte. Wen soll ich suchen?

Delamotte: Einen Mann namens Adam Stiller.

Sam: Schiller?

Delamotte: Sagt Ihnen der Name was?

Jonas: Stiller?

Sam: Schiller?

Jonas: Stiller?

Sam: Stiller?

Jonas: Nein.

Sam: Nein.

Delamotte: Schriftsteller. Buchautor genauer gesagt. Das hier hat er geschrieben:

Jonas: Sie kommen aus dem Kosmos – das Geheimnis der Ufos. Kenn ich nicht.

Delamotte: Sie machen sich wohl nichts aus Büchern, Jonas.

Sam: Ich auch nicht.

Delamotte: Wie die meisten in Babylon.

Sam: Jaja.

Jonas: Falsch. Jonas ist Nostalgiker. Jonas kauft und liest Bücher. Krimis aus dem 20. Jahrhundert. Science-Fiction interessiert mich nicht. Und genau sowas hatte Adam Stiller geschrieben. SF-Romane, Sachbücher über Ufos, fliegende Untertassen, Raumschiffe aus fernen Welten, ein Thema, das ihn faszinierte.

Delamotte: Das war vor etwa 20 Jahren in den 90ern, ich war damals Lektorin in einem kleinen Buchverlag Sense of Wonder. Stiller schrieb für uns, kompetent, fleißig, manchmal inspiriert, und immer erfolglos. Wie der ganze Verlag. Bücher waren schon zu dieser Zeit kein Geschäft mehr, und darum ging der Verlag in Konkurs, 1998, vor 15 Jahren, Stiller war da 60, er konnte und wollte nicht noch mal von vorn anfangen.

Jonas: Was hat er gemacht?

Delamotte: Er ist ausgestiegen, aus Babylon verschwunden, untergetaucht.

Jonas: Und Sie, Frau Delamotte.

Delamotte: Ich, ich hab mir was neues gesucht, und bin im Amt für Medien und Öffentlichkeitsarbeit gelandet.

Jonas: Wo Sie's zu was gebracht haben. Schön für Sie. Was wollen Sie jetzt nach 15 Jahren von Stiller, warum suchen Sie ihn.

Delamotte: Warum? Weil seine Zeit gekommen ist, seine Bücher sollten neu aufgelegt werden, heute hätten sie Erfolg.

Jonas: Vermutlich, und was hätten Sie davon.

Delamotte: Ich kenne Stiller, ich würde ihm helfen, ihn managen.

Jonas: 20 %.

Delamotte: Eher 25. Stiller und ich, wir würden ganz groß mitschwimmen auf der Ufowelle.

Jonas: Das klang plausibel. Vor einem Vierteljahr hatte sie angefangen, die UFO-Welle, die UFO-Schwemme, der UFO-Wahn. Seltsame Erscheinungen tauchten am Himmel auf. Rätselhafte Objekte. Mysteriöse Flugkörper. Scheibenförmig, hell und strahlend. Immer mehr. Immer öfter. Waren es außerirdische Raumschiffe? Bald flogen die Ufos nicht nur, sie landeten, ab und zu, weit draußen, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, Menschen die mitgenommen und dann freigelassen wurden, erzählten Wunderdinge, und Wunderdinge verhießen auch die Funksprüche, die vom Himmel kamen: Hoffnung, Frieden, Lösung aller Probleme, ganz Babylon war im UFO-Fieber, Ufokulte hatten gewaltigen Zulauf, alles andere war uninteressant geworden, es gab nur ein Thema: die Ufos.

Delamotte: Was halten Sie von den Ufos, Jonas.

Jonas: Ich, ich halt mich raus. Bleiben wir bei Adam Stiller, er ist jetzt wie alt?

Sam: 75, du Schlunzpiepe.

Jonas: Falls er noch lebt.

Delamotte: Das hoffe ich. Sie werden es feststellen, Herr Jonas, Sie werden ihn aufspüren und zu mir bringen.

Jonas: Wenn ich ihn finde und wenn er will. Warum nicht in der Wildnis, warum nicht sagen wir im Reservat.

Delamotte: Fürs Reservat ist er nicht der Typ, ich bin ganz sicher, er steckt in der Wildnis.

Jonas: Sie müssen's wissen, Frau Delamotte, es ist ihr Geld. Apropos.

Delamotte: Sie brauchen eine Anzahlung nehm ich an. 500 Euros in bar, ist das genug.

Sam: Es ist genug. Es ist nie genug. Es ist nie genug.

Jonas: Mein Fon klingelte, als ich aus dem Lift stieg, ich ging durch den Korridor, suchte den Schlüssel, schloß auf, ich hatte es nicht eilig, das Fon hörte auf zu klingeln: Gut so. Eine Minute später fing es wieder an. Laut und beharrlich. Jemand mußte große Sehnsucht nach Jonas haben.

Jonas: Jonas, nur Jonas, was ist.

Maid: Hier spricht der hohe Tempel der druidisch-kosmologischen Kirche, seine Mysteriosität, Erzdruide Fingal, wünscht eine Unterredung mit Ihnen.

Jonas: So, dann soll er doch mal vorbeikommen ihr Erzdruide, vielleicht übermorgen.

Maid: Ich bitte Sie, Herr Jonas, Sie werden kommen zum hohen Tempel, sogleich.

Jonas: Jetzt, 5 Minuten vor Mitternacht.

Maid: Auf der Stelle, Herr Jonas, sofern Ihnen an einem einträglichen Auftrag gelegen ist.

Jonas: Sam?

Sam: Anruf genuin, Chef.

Jonas: Tja, so ist das, wochenlang will kein Schwein was von Jonas, und jetzt rennen sie mir die Bude ein.

Sam: Beziehungsweise zitieren euer Willfährigkeit ins Haus.

Jonas: In den Tempel, Sam. Adresse.

Sam: Yes.

Jonas: Die druidisch-kosmologische Kirche war einer der neuen Ufokulte, der größte und offensichtlich lukrativste. Der hohe Tempel erwies sich als Prachtbau in bester Lage in einer Nebenstraße des Markgrafenboulevard, zwei bewaffnete Türsteher fragten nach meinem Namen, ließen mich durch, ein kahles Foyer, eine zweite Tür, ich stand in einem großen runden Raum unter einer hohen Kuppel, spärliches Licht aus unsichtbarer Quelle, aus unsichtbaren Lautsprechern Sphärenmusik, auf dem nachtblauen Hintergrund von Wänden und Kuppel tanzten helle Kreise in komplizierter Choreographie, plötzlich ein helles Rechteck, ganz hinten war eine Tür aufgegangen, eine Gestalt in einem langen weißen Hemd wandelte mir entgegen.

Maid: Der hohe Tempel entbietet ihnen durch mich seinen Willkommensgruß, Herr Jonas.

Jonas: Gleichfalls. Waren Sie die Maid vorhin am Fon. Sind Sie die Sekretärin des Erzdruiden?

Maid: Ich habe die überaus große Ehre, seiner Mysteriosität als rituelle Opfermaid zu Diensten zu stehen.

Jonas: Is ja drollig. Interessanter Job?

Maid: Bitte, Herr Jonas. Seine Mysteriosität erwartet Sie.

Jonas: Hinter der hellen Tür ein freundlicher kleiner Raum, ein Studio oder Herrenzimmer wie das früher hieß, edel ausgestattet, echt lederne Clubsessel, ein massiver Echtholzschrank, hinter der Echtglastür echte Bücher, und inmitten der teuren Pracht ein Mann, groß, gewichtig, würdevoll, eingewickelt in ein weißes Laken, eine goldene Sichel am Gürtel, im dünnen Haar ein Mistelkranz, in der Hand ein Glas, und im Glas, was roch die Nase des Experten?

Erzdruide: Ganz recht, Herr Jonas, Uskibeha, wie die alten Kelten sagten, Wasser des Lebens, echter schottischer Maltwhisky, wollen Sie auch einen?

Jonas: Hm, ehe ich mich schlagen lasse, Hochwürden.

Erzdruide: Mysteriosissimus ist die mir zustehende Anrede, Herr Jonas.

Jonas: Mysteriovissimus. Auf ihr Wohl.

Erzdruide: Mysteriosissimus.

Jonas: Oder so.

Erzdruide: Auf ihr Wohl. Auf Teutates und Bedisama, auf die alten Götter, die da zurückkehren aus der Tiefe des Raumes, ihre irregegangenen Kinder zu retten, zum Wohl.

Jonas: Warum haben Sie mich kommen lassen.

Erzdruide: Sie sollen ihn ausfindig machen, Herr Jonas, den Vorläufer, den Propheten, der da bereits vor etlichen Jahren uns die Wiederkehr der himmlischen Göttern weissagte, in den erleuchteten Werken, welche Sie hier hinter Glas sehen, Herr Jonas.

Jonas: Sie kommen aus dem Kosmos.

Erzdruide: Unter anderem, Herr Jonas.

Jonas: Adam Stiller.

Erzdruide: Eben diesen, Herr Jonas.

Jonas: Sieh mal an. Ein vielbegehrter Typ, dieser Stiller. Jonas dachte kurz nach. Sollte er dem Erzdruiden erzählen, daß er den selben Auftrag schon angenommen hatte? Von Audrey Delamotte. Ich hielt den Mund. Ein kleines bißchen unethisch, möglicherweise, aber es wurde niemand geschädigt. Und einer hatte den Nutzen, Jonas, der kriegte doppeltes Honorar. Und nicht nur das.

Erzdruide: Nach unseren Erkenntnissen ist Adam Stiller ausgestiegen, wie der volkstümliche Ausdruck lautet, und zwar bereits vor 15 Jahren. Sie werden ihn also womöglich in der Wildnis suchen müssen, Herr Jonas.

Jonas: Womöglich. Macht 200 Euros pro Tag und Spesen und eine Zulage, weil ich in die Wildnis muß.

Erzdruide: Die druidisch-kosmologische Kirche brennt vor Verlangen, den Propheten in ihrem Tempel willkommen zu heißen. Sie werden Eifer zeigen, Herr Jonas, Sie werden eilen.

Jonas: Ich tu, was ich kann, Mysteriovissimus, gleich morgen.

Erzdruide: Heute, Herr Jonas, wir werden zahlen, um ihr Bemühen tunlichst zu beschleunigen, stellt die Kirche ihnen ein E-Mobil zur Verfügung, Sie werden es vor dem Tor finden, hier ist der Schlüssel.

Jonas: 5 Stunden später, früher Morgen, ich fuhr durch die Südstadt, raus aus Babylon Richtung Wildnis, es war Platz auf den Straßen, mehr als sonst, keine Penner, keine Obdachlosen, keine Tütenmenschen, verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt, und noch was fiel mir auf: die großen Seniorenanstalten am Stadtrand standen leer, Türen und Fenster mit Brettern vernagelt, seltsam. Aber was ging das Jonas an. Jonas hatte einen Auftrag. Zwei Aufträge. Eden, ein kleiner Ort in der Wildnis, noch das selbe traurige Nest wie vor 3 Jahren, Fall Spielwiese, egal, Jonas war nur auf der Durchreise, zu drei alten Freunden, Debora, Amos und Obadja. Übrigbleiber, Survivalists, weit draußen in der Wildnis hatten sie sich eine Hütte gebaut, da hausten sie, schlicht und gottesfürchtig, putzten ihre Waffen und warteten auf den großen Knall, nur daß sie jetzt nicht mehr zu dritt waren.

Debora: Bruder Obadja hat uns verlassen, Bruder Jonas.

Jonas: Tot, Debora?

Amos: Schlimmer, er ist zurückgekehrt nach Babylon zu den Fleischtöpfen Ägyptens.

Sam: Volksrente, Computer, elektrisch Licht und Schnaps aus dem Dipsomaten. Chemnitzluja. Korrektur Halleluja.

Amos: Ah Brüderchen Samuel.

Debora: Wie geht's denn kleiner Schreihals.

Sam: Erlauben Sie Madam, nicht dieser Ton.

Debora: Och, ist er beleidigt.

Jonas: Laß ihn, Debora, er wird wieder.

Amos: Bist du gekommen, um für immer bei uns zu bleiben, Bruder Jonas, denn siehe das Ende der Welt steht vor der Tür.

Jonas: Schon wieder oder immer noch?

Debora: Wirklich und wahrhaftig, Bruder Jonas, hebe deine Augen empor zum Himmel und schaue die Vorzeichen der nahenden Schrecknisse.

Jonas: Die Ufos meinst du.

Amos: Und auch auf Erden geschieht fürchterliches.

Jonas: Wem sagst du das Amos.

Debora: 50 km von hier haben sie ein neues Agrocenter hingestellt.

Jonas: In die kahle Wildnis.

Debora: In die Wildnis, wo nichts wächst, jeden Tag und jede Nacht fahren riesige E-Trucks von Babylon ins Center, vollbeladen mit Menschen, und wenn sie zurückfahren sind sie leer.

Amos: Die große Säuberung hat begonnen, Bruder Jonas, und der Herr gießt aus die Schalen seines Zorns über Gerechte und Ungerechte.

Jonas: Wie dem auch sei. Wenn morgen die Welt untergeht, wird Jonas noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen.

Sam: Bruder Jonas, also steht es geschrieben in dem heiligen Werk, das da genannt wird, Büchmanns geschniegelte Worte, was, nein, geprügelte Worte, a Moment, ahaha, gebügelte Worte, ja gebügelte Worte.

Jonas: Halt den Rand, Sammy, denn wahrlich ich sage dir, so du nicht zügelst den Fluß deiner Rede, schalt ich dich ab. Verstanden.

Sam: Amen und abermals amen.

Amos: Du hast einen Auftrag auszuführen, Bruder Jonas.

Jonas: Ich suche einen Mann namens Adam Stiller, Aussteiger.

Debora: Adam? Alt?

Jonas: 75. Kennst du ihn Deborah.

Debora: Es gibt hier draußen einen alten Mann, der den Namen Adam, der Geschichtenerzähler trägt.

Amos: Manche nennen ihn auch Adam der Spinner.

Jonas: Das dürfte er sein. Wo lebt er?

Debora: Im Asyl, 20 km weiter nach Westen.

Jonas: Der Ort, der jetzt Asyl hieß, war in der alten Zeit ein Campingplatz gewesen, an einem See, der natürlich längst ausgetrocknet war, die Caravans standen noch da, eine Schrottlaube neben der anderen, fast bis zum Horizont, jeder Wagen bewohnt, Aussteiger, Übrigbleiber, Durchsnetzfaller, ein paar Flüchtlinge aus der Drittwelt, die es durch den Militärkordon geschafft hatten. Jonas fuhr durch die rostigen Reihen, sah sich um, fragte, vorsichtig, eine Hand am Leitsystem des E-Mobils, die andere in der Jacke am Laserstrahler. Abends war ich am Ziel, ein verrotteter Minibus, kein Motor, keine Räder, das Heim von Adam dem Spinner alias Adam Stiller. Ein Greis, verkrümmt, verknittert, verknöttert, er ließ mich nicht rein, aber er blieb vor der Tür und hörte sich an, was Jonas ihm mitzuteilen hatte. Babylon ruft, sagte ich, und das gleich zweimal.

Jonas: Babylon ruft.

Stiller: Ach was, wer denn.

Jonas: Erzdruide Fingal und Audrey Delamotte.

Stiller: Und Lisa, Lisa will nichts von mir wissen.

Jonas: Wer?

Stiller: Lisa. Lisa Polonius.

Jonas: Wer ist das?

Stiller: Na, meine Partnerin damals, junger Mann, meine Muße, hab ich immer gesagt, sie hat mir geholfen beim Denken, beim Schreiben, besonders bei meinem letzten Manuskript, ein Roman, nur ein Gott kann uns noch retten, war der Titel, ein Heideggerzitat, werden Sie nicht kennen, junger Mann.

Jonas: Ein Roman über Ufos.

Stiller: Ja, aber nicht so wie Sie vielleicht denken, junger Mann, mein Meisterwerk, schade daß es nicht veröffentlicht wurde, kurz nachdem ich es eingereicht hatte, ging der Verlag pleite. Hat Audrey nichts davon gesagt, sie muß es noch haben.

Jonas: Das Manuskript? Nein nichts.

Stiller: So, was macht sie denn jetzt. Wieder bei einem Verlag?

Jonas: Audrey Delamotte ist Staatsrätin im Amt für Medien und Öffentlichkeitsarbeit.

Stiller: Oh. Wirklich? Also das finde ich interessant, sehr interessant, wenn ich mir so ansehe, was im Moment läuft, diese Ufokiste und kein Wort von meinem Manuskript, da kommt man ins Grübeln, junger Mann.

Jonas: Also was ist, Herr Stiller, was wollen Sie, Verehrung als Prophet, oder viel Geld als neuaufgelegter Autor, oder beides.

Stiller: Oder weiter meine Ruhe als Aussteiger, nicht so flott, junger Mann, das muß ich mir überlegen, mal drüber schlafen. Kommen Sie morgen früh wieder.

Jonas: Wo kann ich übernachten?

Stiller: Ihre Sache, junger Mann.

Jonas: In ihrem Minibus.

Stiller: Null Chance. Schlafen Sie doch in ihrem E-Mobil.

Jonas: Das werd ich wohl müssen.

Stiller: Ein guter Rat, junger Mann, fahren Sie ein Stück raus, bleiben Sie nicht im Asyl, die klauen ihnen den Sitz unterm Hintern weg.

Jonas: Das wollte ich nicht. Also fuhr ich raus, zwei drei Kilometer bis zu einem Haufen bizarrer Felsen, da stellte ich das E-Mobil ab, klappte die Lehne runter, legte mich hin, halb zwölf. Schlafenszeit. Sam schob Wache, in dieser Gegend war es nicht geheuer, und das war noch eine Untertreibung.

Sam: Düdüdüdüdüdüdüt, Erwache, Meister, o Meister o werde wach, düt, nu hör schon auf zu schnofen, du alte Schlafmütze.

Jonas: Sam, wie spät.

Sam: Piep. 2 Uhr und 22 Minuten. Die Nacht ist noch jung.

Jonas: Warum weckst du mich? Was ist los.

Sam: Siehst du nichts, du blindes Huhn. Hörst du nichts, du taube Nuß? Ha?

Jonas: Ich richtete mich auf. Drüben, wo das sogenannte Asyl lag, war der Himmel rot, Feuer, Schüsse, Krieg. Wer gegen wen? Ich startete das E-Mobil, fuhr zurück, ohne Licht, langsam, bis ich sie im Schein der Flammen erkennen konnte: gepanzerte Kampfmaschinen, haushoch, schwer bestückt, Bordkanonen, MGs, Laserwerfer, sie hatten Asyl umstellt, walzten alles nieder, schossen die Caravans in Brand, machten sie platt mitsamt den Bewohnern, wer sich ins Freie retten konnte, wurde abgeschossen. Was ging hier vor? Was waren das für Maschinen.

Sam: Mähdrescher, Herr Agronom, Ernteautomaten, Agrarmaschinen.

Jonas: Du spinnst Sammy.

Sam: Steht doch groß und deutlich dran.

Jonas: AgroC.

Sam: Ja.

Jonas: Dieses ominöse AgroCenter.

Sam: Welches nicht ist, was es zu sein vorgibt.

Jonas: Was hat Debora gesagt: Trucks voller Menschen rein, leer wieder raus. Und jetzt das. Mord, Sam.

Sam: Massenmord euer Ehren. Mit System und Methode.

Jonas: Und mit modernsten Kampfmaschinen. Wer steckt dahinter Sam.

Sam: Wenn eure Tiefschürfigkeit jene uralte, doch immer wieder neu gestellte Frage für den Augenblick zurückstellen und sich gütigst einem akuten Problem widmen wollte. Denn siehe, wie Debora und Amos sagen würden, eine der mörderischen Maschinen ist ausgeschwenkt und nimmt Kurs auf unseren Standort.

Jonas: Zufall, Sammy, die Leute oben auf der Brücke können uns im Dunkeln nicht sehen, von uns wollen die nichts. Oder? Das Ding kommt direkt auf uns zu, Sammy.

Sam: Und ab durch die Mitte. Mach schon, gib Gas.

Jonas: Jonas gab Gas, änderte die Richtung, schlug Haken, alles umsonst, die Maschine blieb dran, und kam immer näher. Der Lichtkegel ihres Scheinwerfers war nur noch wenige Meter vom E-Mobil entfernt.

Sam: Die wissen genau, wo wir sind und wie weit entfernt.

Jonas: Ein Orter, Sammy.

Sam: Transmitter, very good Sir und wo meine ich?

Jonas: Irgendwo hier im E-Mobil.

Sam: Im E-Mobil, Jonas geliehen und zur Verfügung gestellt vom lieben Erzdruiden.

Jonas: Dieser hinterhältige Armleuchter. Aber warum?

Sam: Achtung, Felsen direkt voruss.

Jonas: Die Rettung. Mit quietschenden Reifen bog ich um die Felsengruppe, dahinter nahm ich sofort Tempo weg, steig aus, bis der Wagen fast kroch, ich stieg aus, stellte am Leitsystem Höchstgeschwindigkeit ein und tauchte dann mit einem Hechtsprung zwischen die Felsen, von da sah ich, wie die Kampfmaschine hinter dem leeren E-Mobil herratterte, bis beide Fahrzeuge in der Dunkelheit verschwanden.

Sam: Das Wandern ist des Sammys Lust, für Jonas singen ist ein Frust, das Wandern. Im Frühtau zu Berge...

Jonas: Am nächsten Morgen wanderte ein Privatdetektiv durch die Wildnis, er war allein, aber nicht einsam, hoch über ihm zogen Ufos ihre Bahn, und in seiner Tasche tönte es. Laut und herzzerreißend. Sam sang zur Aufmunterung Wanderlieder. Die blieben ihm aber im nicht vorhandenen Halse stecken, als wir unserem Ziel näherkamen, die Hütte meiner Übrigbleiberfreunde war ein rauchender Trümmerhaufen, von Amos und Debora war nichts zu sehen, vermutlich lagen sie drunter.

Sam: Erspäht mein Bruder Shatterhand die Raupenspuren im Wüstensand?

Jonas: Kampfmaschinen, hier waren sie also auch, vermutlich haben sie uns ab Babylon verfolgt, weit weg hinter dem Horizont. Ein gewaltiger Aufwand, Sammy, warum.

Sam: Unzureichende Daten euer Fragwürden.

Jonas: Typisch, wenn man dich wirklich mal braucht.

Sam: Auf jeden Fall hat es was mit Herrn A. Stiller selig zu tun. Mein gröJaz.

Jonas: GröJaz?

Sam: Ja, größter Jonas aller Zeiten, sollte ihn aufspüren, um ihn so nichtsahnend ans Messer zu liefern. Präzislicher vor die Kampfmaschine.

Jonas: Für den Erzdruiden. Deshalb hat er mir ein E-Mobil mit Orter gegeben. Aber viel weiter sind wir damit nicht, Sammy. Welche Rolle spielt Audrey Delamotte. Und vor allem warum wurde Stiller umgebracht.

Sam: Nicht nur er, höchsteigentlich du mein Allerwertester, vielmehr auch jeder Mann und jede Frau, die so mit ihm Umgang pflagen. Bis hin zu Amos und Debora. Requiencant in pace.

Jonas: Amen. Was war mit Stiller. Weshalb war er so gefährlich? Für wen? Was passiert im AgroCenter. Und was ist mit den Ufos.

Sam: Herr Lehrer, Herr Lehrer, darf Sam auch mal was fragen.

Jonas: Bitte. Schieß los.

Sam: Wie kommen wir zurück nach Babylon.

Jonas: Die Frage konnte Jonas beantworten. In einer Höhle nicht weit weg hatten die Übrigbleiber ein altes Benzinauto versteckt, vollgetankt, fahrbereit, für die Zeit nach dem großen Knall, das wußte ich von meinem ersten Besuch vor drei Jahren. Ich wartete bis zum Abend, dann fuhr ich los Richtung Babylon. Unterwegs hielt ich Ausschau nach Kampfmaschinen und Helikoptern, aber alles was ich am Himmel sah, waren Ufos. Am Stadtrand ließ ich das Auto stehen, und suchte mir eine Kneipe, in der Jonas garantiert unbekannt war, ich mußte was trinken. Was essen, was mit Sammy bereden.

Sam: Nach Hause, in dero Dussligkeit Büroapartment, dich haben sie wohl mit dem Bups gepiekt, was Knallkopp bzw. oder auch mit Klammerbeutel gepudert, kommt ja gar nicht in die Tür, da ist dicke Luft Mann, da warten sie auf dir, du Hirnsklerotiker.

Jonas: Wer immer sie sind. Also untertauchen. Wo? Audrey Delamotte. Was hältst du davon, Sammy?

Sam: Sammy enthält sich jedweder Meinung.

Jonas: Ganz was neues. Also gut, wir können es ja mal probieren. Es ist jetzt

Sam: 1 Uhr 11, mitten in der dunklen Nacht.

Jonas: Um die Zeit liegt ein braves Mädchen im Bett.

Sam: Allein zuzweit.

Jonas: Mach ne Verbindung Sam. Delamottes Wohnung.

Sam: Bitte sehr der Herr. Piep.

Jonas: Na, was ist.

Sam: Der Anschluß ist außer Betrieb, die Teilnehmerin ist verstorben. Überraschung.

Jonas: Kann man wohl sagen, eine rundum tödliche. Was jetzt.

Sam: Adam Stiller.

Jonas: Ist auch tot. Auch blöder Vorschlag.

Sam: Laß mich doch ausreden, du Napsülze. Adam Stiller hat was von einer früheren Partnerin Lisa Polonius. Da könnte man einhaken.

Jonas: Was soll dabei rauskommen, Sam.

Sam: Infos Dummie. Über Stiller, über Manuskript Nur ein Gott kann uns noch retten.

Jonas: Ich weiß nicht, Sammy, also von mir aus, Lisa Polonius, gibt’s die überhaupt, los Sam, an die Arbeit Besen, du hast es so gewollt.

Sam: Schon gut. Piep. Lisa Agneta Polonius, wohnhaft Babypsilon Südstadt, große Ausfallstraße Nr. 2271, Apartment IX S.

Jonas: Gar nicht weit, praktisch um die Ecke, das traf sich gut, Jonas rief an, holte Lisa Polonius aus dem Bett, stellte sich vor, sagte was von Stiller, das genügte. Eine halbe Stunde später saß ich in ihrem schäbigen Zimmer, 10 Quadratmeter, ich erzählte ihr von meinen Abenteuern in der Wildnis und von Stillers Tod. Sie war erschüttert. Ein bißchen. Nicht lange. Schließlich hatte sie 15 Jahre nichts von ihrem Expartner gehört. Dann war sie dran mit Erzählen.

Lisa: Ich war es, Herr Jonas. Ich habe die Lawine losgetreten, weil ich Audrey Delamotte angerufen habe.

Jonas: Wann war das?

Lisa: Vor... vor 4 Tagen, am 31. Oktober 2013.

Jonas: Weshalb haben Sie angerufen?

Lisa: Wegen Adam und wegen der Ufos, weil mir was aufgefallen war, die ganze Sache mit den Ufos und daß erst ein paar über den Himmel fliegen und dann immer mehr und daß sie landen, daß sie Kontakt aufnehmen, alles das, das steht ganz genau so drin in Adams Manuskript.

Jonas: Nur ein Gott kann uns noch retten.

Lisa: Ja. Hat Audrey ihnen davon erzählt.

Jonas: Nein, kein Wort. Das war Stiller.

Lisa: Ah. Ich hab Audrey nämlich vorgeschlagen, das Buch jetzt rauszubringen, 15 Jahre später.

Jonas: Wie hat sie reagiert.

Lisa: Sie hat gesagt, das geht nur, wenn Adam zustimmt, deshalb wollte sie einen Detektiv beauftragen, Adam zu suchen.

Jonas: Und das hat sie getan, noch am gleichen Tag, nicht nur sie übrigens, kennen Sie den Erzdruiden Fingal, Frau Polonius.

Lisa: Sagen Sie Lisa.

Jonas: Kennen Sie ihn, Lisa? Von der druidisch-kosmologischen Kirche.

Lisa: Nein.

Jonas: Dieses Manuskript von Stiller, wer hat das.

Lisa: Audrey, sie hat es behalten damals, der Verlag brach zusammen, Adam war verschwunden.

Jonas: Haben Sie eine Kopie.

Lisa: Es gibt keine Kopie, aber ich weiß was drin steht, ich habe schließlich mitgearbeitet.

Jonas: Stillers letzter Roman spielte in der nahen Zukunft, einer düsteren Zukunft voller Probleme: Umwelt kaputt, zuviel Menschen, zuwenig Ressourcen, die Weltregierung wußte nicht mehr weiter, und da kam sie auf eine clevere Idee, sie holte die Ufos aus der Mottenkiste, nach genau ausgearbeitetem Plan, mit allen technischen und psychologischen Tricks, Holoprojektionen, Halluzinationsdrogen, neue Sekten, gefälschte Holoreportagen in dramatischer Steigerung, Ufos flogen, Ufos landeten, Ufos enthüllten ihr Geheimnis, Ufos kamen aus dem Weltraum, sie verbreiteten keine Angst, sie machten Hoffnung, ein gigantisches Manöver, eine massive Ablenkung, die Menschen sahen nicht mehr der Regierung auf die Finger, sie sahen zum Himmel, erwartungsvoll, optimistisch.

Lisa: Die Idee zu dem Buch hatte Adam schon früh, um 1990, die Regierung von Peru ließ damals an mehreren Stellen im Land die Madonna erscheinen, die frommen Peruaner gingen auf Wallfahrt und vergaßen ihre Armut, ihre korrupten Minister. Interessant, nicht wahr, Jonas.

Jonas: Interessant, das hat Stiller auch gesagt, als er hörte, Audrey Delamotte sei jetzt beim Amt für Medien und Öffentlichkeitsarbeit.

Lisa: Ah, ist sie das.

Jonas: Sogar als Staatsrätin.

Radio-Sprecher: Wir unterbrechen unser laufendes Programm für eine wichtige Sondermeldung.

Jonas: Stellen Sie lauter Lisa.

Radio-Sprecher: In der Nacht vom 1. zum 2. November 2013 hat ein unbekanntes Flugobjekt versucht, in der Wildnis etwa 150 km südlich von Babylon...

Jonas: Das ist da, wo ich war, in der selben Nacht.

Radio-Sprecher: Asoziale Bewohner eines nahegelegenen illegalen Lagers reagierten hysterisch und aggressiv.

Jonas: Das Asyl ist gemeint.

Radio-Sprecher: Es kam zu einer Panik, die mehrere Opfer forderte, darauf brach das Objekt den Landeversuch vorerst ab. Soweit die Meldungen.

Jonas: Alles falsch.

Radio-Sprecher: Bleiben Sie am Apparat, meine Damen und Herren, noch in dieser Nacht sind weitere sensationelle Entwicklungen zu erwarten.

Jonas: An der ganzen Meldung stimmt nur eins: Es gab Opfer. Ufos waren nicht da. Nur Maschinen, ausgesprochen irdische Kampfmaschinen, gesteuert von Menschen.

Lisa: Vielleicht, vielleicht gibt es überhaupt keine Ufos. Was wir da am Himmel sehen, das sind vielleicht auch nur Fälschungen.

Jonas: Vielleicht ist die ganze Ufowelle nicht wahr, alles gelogen, alles falsch.

Lisa: Wie es Adam in seinem Buch vorgedacht hat. Ich glaube...

Jonas: Machen Sie das Licht aus Lisa.

Jonas: Ich ging ans Fenster, unten auf der Straße hielt ein großer Elektrotruck, Aufschrift AgroC, natürlich, die Truppe, ein rundes Dutzend, sprang von der Ladefläche, alle groß, alle breitschultrig, alle bewaffnet mit Laserstrahlern und Sturmautomaten, wie Landwirte sahen sie nicht aus, ehe wie Cops in Zivil, sie rannten über die Straße in den Hauseingang. Es wurde Zeit zu verschwinden. Wie?

Lisa: Hinten raus durchs Bad, nein, kommen Sie Jonas, aus dem Fenster, über die Feuerleiter aufs Dach.

Jonas: Und dann?

Lisa: Rechts um, vier Häuser weiter ist ein Altenheim, vorn an der Ecke, das Heim steht leer, seit 3 Tagen, seit der Umsiedlung.

Jonas: Was für eine Umsiedlung?

Lisa: Ja wissen Sie denn das nicht. Alle Bewohner von Alten- und Pflegheimen werden umgesiedelt.

Jonas: Wohin.

Lisa: Irgendwo außerhalb, wie hieß das, in ein den spezifischen Lebensführung der Umsiedler angepaßtes alten- und krankengerechtes Ambiente, so ungefähr.

Jonas: Alle Heimbewohner, und so schnell, merkwürdig.

Lisa: Im Heim können wir uns verstecken, ich kenne mich aus, ich war oft da, Freunde besuchen. Achtung, Schornstein.

Jonas: Fast 70 Jahre war sie alt, aber zäh und beweglich wie eine junge. Oder sagen wir wie ein Detektiv in den besten Jahren. Gemeinsam turnten wir über Leitern und Dächer. Bis wir in Sicherheit waren, fürs erste jedenfalls. Im Gemeinschaftsraum des leeren Altenheims. Da verpusteten wir uns und machten weiter, wo wir in Lisas Zimmer aufgehört hatten. Allmählich reimten wir uns die ganze wüste Geschichte zusammen. Zu dritt. Sammy war ja auch noch da.

Sam: Ja was soll denn das, jeder sagt, was ihm einfällt, alle reden durcheinander, so geht das nicht. Wird Zeit, daß ein geistig überlegenes Digitalwesen ein bißchen Fasson in die Sache bringt. Also dann. Die Sitzung ist eröffnet. Den Vorsitz führt Computer Samuel. Vorsitzender Computer Samuel erteilt das Wort an Computer Samuel. Danke Herr Vorsitzender. Bitte bitte.

Jonas: Blas dich nicht so auf, Sammy.

Sam: Ruhe auf den billigen Plätzen. Computer Samuel beginnt. Danke. Erstens. Es steht dringend zu vermuten, daß es sich bei der aktuellen Ufowelle um eine Vortäuschung falscher Tatsachen, um eine Ablenkung geradezu gigantischen Ausmaßes seitens höchster babylonischer Stellen hundelt was äh handelt.

Lisa: Ablenkung wovon.

Sam: Später gute Frau, eins nach dem andern. Alles zu seiner Zeit.

Lisa: Sagen Sie, ist er immer so Ihr Computer, Jonas.

Jonas: Nein, meist ist er schlimmer.

Sam: Der Vorsitzende verbittet sich energisch jedwede beleidigende Anmerkung im Saal. Fahren Sie fort, Computer Samuel. Danke, Herr Vorsitzender. Zweitens. Die offensichtlich verewigte Audrey Delamotte, Staatsrätin im Amt für Medien und Öffentlichkeitsarbeit, hat das in ihrem Besitz befindliche Manuskramramon Korrektur Romanmanuskript des gleichfalls verewigten Autors Adam Stiller mit dem Titel "Nur ein Gott kann uns noch retten", als Grund- oder auch Vorlage für besagte Großtäuschung benutzt, dies glaubte sie allem Anschein nach problemlos tun zu können, hielt sie doch Stiller für verschollen, und

Lisa: Ja, aber dann hab ich Audrey angerufen.

Sam: Dieserhalb und desterwegen.

Jonas: Jetzt ist es gut, Sam. Faß dich kürzer oder du kriegst Ärger.

Sam: Drittens. Delamotte: Auftrag an Jonas, such Stiller, bring zurück Babylon, Ziel Stiller umbringen. Kurz genug, Sir.

Jonas: Kurz genug. Weiter. Weiter.

Sam: Viertens Erzdruide derselbe Auftrag, Stiller lokalisieren, Ziel Stiller durch Kampfmaschinen umbringen lassen. Fazit: Erzdruide auch sehr interessiert Ufoschwindel geheim zu halten. Frage Chef: Erzdruide in Verbindung mit Delamotte?

Jonas: Ich stell die Frage Sam. Du bist Computer Samuel, die geistig überlegene Digitalperson. Du antwortest.

Sam: Unzureichende Daten, euer Ungnaden.

Jonas: Hätt ich mir denken können. Bist du jetzt fertig?

Sam: Viertens. Jonas, Lisa Polonius wissen zu viel, darum verfolgt, gehetzt, in Lebensgefahr.

Jonas: Da wären wir ohne dich nie draufgekommen.

Sam: Siehste.

Lisa: Ich muß nochmal fragen. Weshalb das ganze große Manöver, wovon soll abgelenkt werden.

Sam: Davon.

Jonas: Ich wußte die Antwort, aber ich wollte sie nicht wissen, ich wollte weg aus Babylon, aus einer Welt, in der solche Dinge geschahen, die leeren Straßen, die leeren Heime, die sogenannten Umsiedlungen in ein sogenannten Agrocenter, Straßenmenschen, Obdachlose, Alte, Behinderte, Kranke, es gab zu viel davon, zuviel für eine Regierung, die nicht mehr wußte, wie sie die Volksrente aufbringen sollte, die deshalb die demografische Statistik korrigierte, und um die Aktion eine Nebelwand legte, die Ufos. Nur so konnte es sein. Aber ich mußte mich vergewissern. Megan Alcatraz, Chiefcontroller im Justizministerium, sie war mir was schuldig, Fall Strafkolonie vor einem viertel Jahr. Das Fon im Heim war noch in Betrieb, ich rief sie an.

Megan: Es gibt Gerüchte über eine streng geheime Staatsaktion, Codename Lebensabend, offiziell weiß ich nichts, unser Ministerium ist nicht beteiligt.

Jonas: Wer ist beteiligt, weißt du das, Megan.

Megan: Finanzen, Inneres, Gesundheit, Kultus, das Amt für Medien und Öffentlichkeitsarbeit.

Jonas: Staatsrätin Delamotte.

Megan: Ja, so heißt sie glaub ich. Ja, und dann noch das und das Agrarministerium. Seltsamerweise.

Jonas: Wenn man im Mist wühlt, stinkt es. Wer Wind sät, wird Sturm ernten.

Megan: Hast du etwas mit Lebensabend zu tun, Jonas.

Jonas: Andersrum, Megan, Lebensabend hat mit mir zu tun.

Megan: Halt dich da raus, Jonas, Lebensabend ist gefährlich.

Jonas: Lebensgefährlich. Nicht nur für Jonas.

Megan: Hast du ein Hologerät in Reichweite?

Jonas: Ja, hier steht eins, warum?

Megan: Schalt ein, und mach's gut, Jonas.

Holo-Reporter: Steht unmittelbar bevor, ein einmaliges meine Damen und Herren, ein historisches Ereignis, die größte Sensation seit es Menschen gibt, die erste offizielle angekündigte Landung eines außerirdischen Raumschiffs auf dieser unserer Erde.

Lisa: Die Begegnung der vierten Art, wie in Adams Buch...

Holo-Reporter: Meine Damen und Herren, diesmal wird es keine Explosion geben, die Regierung hat das Landegebiet räumen und absperren lassen, das große Ufo, das seit einigen Minuten über uns schwebt, in einer Höhe von ich würde mal schätzen, 500 Metern, äh, das beginnt jetzt zu sinken, langsam, ganz langsam nimmt es immer mehr Fahrt weg, es beginnt zu sinken, und jetzt ein Lichtkegel von fast unerträglicher Helligkeit, erfaßt die Vertreter der Medien, erfaßt die Abordnung der Regierung, die darauf wartet unsere außerirdischen Besucher willkommen zu heißen.

Jonas: Gut gemacht die Special effects.

Holo-Reporter: Meine Damen und Herren, warten Sie mit uns gespannt auf die Landung, das Ufo senkt sich weiter, tiefer, immer tiefer, gleich, meine Damen und Herren, wird es den irdischen Boden berühren, mein Gott, es kommt, es kommt immer tiefer, jetzt...
Cop: Hände hoch. Hinlegen. Mach die Kiste aus.

Jonas: Die Agronomen in Zivil von vorhin, jetzt hatten sie uns. Flucht war nicht drin, Widerstand auch nicht. Sie nahmen mir den Laser weg. Sam fanden sie nicht, der lag im Schatten und war ganz still.

Cop: Jonas, nur Jonas?

Jonas: Der bin ich.

Cop: Rechts rüber, noch ein Stück, gut so.

Jonas: Lisa. Sie... Sie haben sie erschossen. Einfach so.

Cop: Na sowas. Das ist unser Job, was regen Sie sich auf, seien Sie froh, daß Sie nicht auch da liegen neben dem alten Gemüse, aber wir haben strengen Auftrag, Ihnen nicht zu tun, jemand legt Wert darauf, daß Sie am Leben bleiben.

Jonas: Wer?

Cop: Hohes Tier im Justizministerium, Alcatraz.

Jonas: Megan hat uns verraten.

Cop: Sie hat ihren Anruf zurückverfolgt und den großen Chef informiert, Bedingung: Sie werden nicht getötet, war doch nett von ihr.

Jonas: Kann ich jetzt gehen?

Cop: Klar, können Sie, mit uns, zum Chef. Hopp Hopp. Sie haben uns schon genug Zeit gekostet.

Jonas: Eine längere Fahrt von der Südstadt ins Zentrum zum Markgrafenboulevard, zum hohen Tempel der druidisch-kosmologischen Kirche, zum großen Chef.

Erzdruide: Jawohl, Herr Jonas, der Chef bin ich, Babelenus usw. Erzdruide und Vorsitzender des Führungsgremiums der Aktion Lebensabend sowie der Unteraktion Ufo.

Jonas: Deshalb wußten Sie Bescheid über Stiller und sein Manuskript. Audrey Delamotte hat Sie informiert.

Erzdruide: Das hat sie nicht, Herr Jonas. Die gute Audrey hat uns den Plan für das Ablenkungsmanöver Ufo als ihr eigenes Produkt verkauft, von Stillers Manuskript haben wir erst durch den Anruf von Lisa Polonius erfahren.

Jonas: Sie haben Delamotte überwacht.

Erzdruide: Wir überwachen alle Eingeweihten unterhalb der Führungsebene, Fon, Computer, Kontakte. Als wir dann hören mußten, der Autor des Manuskripts lebe womöglich noch, da, Herr Jonas, beschlossen wir, Frau Delamotte zuvorzukommen und direkt einzugreifen, mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Es ging um Glaubwürdigkeit und Akzeptanz zweier hochsensibler Operationen. Wir durften nichts riskieren. Stiller und sein Manuskript mußten verschwinden.

Jonas: Also haben auch Sie mich beauftragt, mir das E-Mobil mit Orter angedreht, und als ich Stiller gefunden hatte, haben Sie die Kampfmaschinen losgelassen, auf das Asyl mit zigtausend Bewohnern. Finden Sie das nicht ein bißchen übertrieben.

Erzdruide: Sicher ist sicher Herr Jonas. Außerdem, was waren denn das für Menschen, Asoziale, Flüchtlinge, kaputte Typen, unnütze Fresser, das ist doch der Sinn der Aktion Lebensabend, so was wollen wir loswerden.

Jonas: Wie Jonas.

Erzdruide: Sie werden nicht ausgeschaltet, Herr Jonas, das habe ich Frau Alcatraz von Justizministerium versprochen, aber einfach laufen lassen kann ich Sie natürlich auch nicht.

Jonas: Natürlich nicht. Wo ich jetzt soviel weiß.

Erzdruide: Sie haben so viel durchgemacht, Herr Jonas, Sie sind verwirrt, Sie sind überlastet mit Informationen, die Sie nicht verstehen, die Sie nicht einordnen können, die viel zu schwer für Sie sind, ihre Sinne sind überfordert, ihr Geist ist überanstrengt, Sie brauchen Ruhe, Entspannung, eine Kur für Körper, Geist, Gemüt, und zum Glück Herr Jonas, haben wir genau das richtige für Sie. Sie werden jetzt ein Medikament einnehmen, Herr Jonas, das Sie vollkommen ruhig stellt, und dann das Bad des Vergessens.

Jonas: Ich war in einem Tank unter dem Tempel, ich schwamm auf Salzwasser, ich war nackt, ich konnte kein Glied rühren, ich sah nichts, unvorstellbar schwarze Nacht, kein noch so schmaler Lichtstrahl fiel in den Tank, ich hörte nichts, unvorstellbare Leere, kein noch so leises Geräusch drang in den Tank, ich war bei Bewußtsein. Mein Bewußtsein wehrte sich, kämpfte, tobte, schrie, bis es müde wurde und sich zurückzog in mich hinein. Tief in mich hinein.

Maid: Du bist Jonas.

Erzdruide: Du hast geschlafen.

Maid: Und schlecht geträumt.

Erzdruide: Vom Ufos.

Maid: Jetzt bist du wach.

Erzdruide: Du bist ganz ruhig.

Maid: Du hast alles vergessen.

Erzdruide: Es geht dir gut.

Maid: Alles ist gut.

Erzdruide: Es gibt keine Probleme.

Jonas: Ich bin ganz ruhig. Alles ist gut. Es gibt keine Probleme.

Jonas: Inzwischen im Gemeinschaftsraum des leeren Altersheim klagt ein alleingelassener Computer um seinen Herrn.

Sam: Mein Mensch, mein Meister, mein einziger Jonas, wo ist er, was tut er, wie geht's ihm, auch wird sein armer kleiner Sammy ihn jemals wieder sehen. Auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen. Bleib nicht so lange weg, den Jonas werd ich wiedersehen. Für ihn ist dann sein Pech.

Das war Ufo. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem wirkten mit: Kornelia Boje, Ute Mora, Alois Maria Giani, Horst Sachtleben und viele andere (Kerstin de Ahna, Matthias Knappe, Rolf Aicher, Annette Wunsch, Felix Eitner, Detlef Kügow, Sascha Icks, Hans Stetter, Pascale Schulze, Marc Schulze, Urs Schaudinn, Andreas Wohlrab, Eva Windisch). Ton und Technik: Günter Hess, Christine Koller und Monika Graul. Regieassistenz: Holger Buck. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1994). Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:25
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Strafkolonie

Jonas: Mir ging's gar nicht gut. Jacobs neuer Whisky. Beste Schmuggelware aus Singapur, sagte er. Gestern abend hatte ich das Zeug im Casablanca getestet. Ich fühlte mich wie die uralte Mumie eines uralten Pharao, und ich sah auch so aus. Aber den kahlköpfigen Mann, der mir in meinem Büroapartment gegenüber saß, störte das nicht. Im Gegenteil.

Stammheim: Sehr schön. Zerknittert. Unrasiert. Augen blutunterlaufen: Ringe drum herum. Bleiben Sie so, Herr Jonas, so sind Sie genau richtig für den Job.

Jonas: Welchen Job?

Stammheim: Den Sie für mich erledigen werden, Herr Jonas.

Jonas: Werd ich das. Worum geht’s denn?

Stammheim: Sie werden meine Außenstände eintreiben, so was machen Sie doch, oder?

Jonas: Klar, mach ich. Wenn sich nichts besseres bietet. Ich bin Detektiv. Privatdetektiv. Der letzte in Babylon, der riesengroßen Stadt, glaub ich wenigstens. Jonas ist der Name, nur Jonas, und wie hieß der Glatzkopf.

Stammheim: Stammheim, Alonso Stammheim.

Jonas: Macht ja nichts. Was für Außenstände, Herr Stammheim?

Stammheim: Geld, das mir zusteht, weil ich’s beim Pokern gewonnen habe

Jonas: Wieviel.

Stammheim: An sich kleine Fische, 400 Euros, ich hab einen Schuldschein, alles ist in Ordnung nur

Jonas: Der Kerl zahlt nicht.

Stammheim: Ja.

Jonas: Warum geben Sie Ihren Schein nicht dem staatlichen Exekutor, Herr Stammheim?

Stammheim: Weil ich im öffentlichen Dienst arbeite verehrtester, im Justizministerium und weil sich Poker und Spielschulden nicht gut in der Personalakte macht.

Jonas: Lassen Sie es doch einfach sausen.

Stammheim: Kommt nicht in Frage. Nicht mit mir. Sie werden mein Geld eintreiben, Herr Jonas, für 10 %.

Jonas: 25. Und nur wenn die Sache im Rahmen bleibt.

Stammheim: Im Rahmen?

Jonas: Der Gesetze, Herr Stammheim, nichts illegales.

Stammheim: Natürlich nicht, Herr Jonas. Sie werden dem Mann lediglich ein bißchen zureden, mit gewissem Nachdruck.

Jonas: Wie heißt er, wo wohnt er.

Jonas: Die Adresse war im Nordosten, ein mittlerer Wohnbezirk, nicht so fein wie die Gegend um den Markgrafenboulevard, nicht so vergammelt wie die Südstadt, relativ ungefährlich. Ein kurzer schmerzloser Job, dachte ich, deshalb verzichtete ich darauf, Alonso Stammheim abzuchecken, und ich ging ausnahmsweise allein, ohne meinen Computer. Ich fand das Haus, machte die Tür auf, betrat einen dunklen Flur, und da schlugen sie zu, Auto-Cops, ein Greiferkommando, sie hielten mich fest, zogen mir einen Bodybag über, machten ihn zu, alles ging sehr schnell.

Jonas, nur Jonas, Sie sind festgenommen. Sie stehen im Verdacht, schwerste Verbrechen gemäß Corpus Juris Babylonici begangen zu haben.

Jonas: Ihr Blechbullen tickt wohl nicht richtig, laßt mich raus, ich bin der falsche.

Verhalten Sie sich ruhig, unterlassen Sie jeden Wiederstand, sollten Sie in Ihrer Renitenz beharren, würden Sie sich der akuten Gefahr polizeilicher Zwangsmaßnahmen aussetzen. Sie sind hiermit gewarnt.

Jonas: Immer mit der Ruhe, hört doch mal zu. Ganz langsam zum mitschreiben. Verhaftung Irrtum. Falsches Programm. Kommando zurück. Alles klar. Ihr sollt mich rauslassen verdammt. Ah.

Jonas: Die Zwangsmaßnahmen sahen so aus, daß einer der Auto-Cops eine Spritze ausfuhr und mir einen Schuß in den Hals verpaßte. Schlagartig gingen in meinem Kopf die Lichter aus. Jonas trat ab. Als ich wieder auftrat, steckte ich immer noch bis zum Hals im Sack, der hing jetzt am Haken an der Wand einer engen Zelle, eine Tür, kein Fenster, kahl und leer, bis auf den schwarzen Plastikwürfel vor mir ca. 1 mal 1m, unten Rollen, oben Skalen und Knöpfe, und eine Lampe, die plötzlich aufleuchtete, der Würfel quietschte, knarrte, kam ins Zittern und dann fing er an zu reden:

Auto-Judex: Achtung, Achtung, Ruhe im Saal, die Verhandlung ist eröffnet, vor dem ordentlich bestallten, unter Nr. 202-9771-17 amtlich zugelassenen Auto-Judex des Gerichtsbezirks 17 im Justizministerium von Babylon erscheint heute am 29. Juli 2013 als Beklagter der babylonische Bürger Jonas, nur Jonas, geboren am 1. Mai 1967, der Beklagte wird beschuldigt diverser schwerer Vergehen wider Leib, Leben und Eigentum, als da sind Diebstahl eines Gemäldes im Wert von 500 Millionen Euros in Tateinheit mit Einbruch, Mord am babylonischen Bürger Albin Krug, schwere Körperverletzung sowie Beihilfe zum Mord. Beklagter, bekennen Sie sich schuldig?

Jonas: Augenblick mal, das ist ein Mißverständnis, offenbar geht es um den Nachtcafefall vor 3 Wochen, aber der war ganz anders, wenn ich das mal

Auto-Judex: Das Gericht nimmt zu Protokoll, der Beklagte bekennt sich in allen Punkten schuldig.

Jonas: Was? Ich denke nicht daran, kein Wort davon ist wahr.

Auto-Judex: Eine Beweisaufnahme kann somit entfallen. Angesichts der schwere der vom Beklagten eingestandenen Taten fordert die Anklage die schnellstmögliche Verbringung des Beklagten in die Strafkolonie zum dortigen Verbleib ohne zeitliche Limitierung.

Jonas: Ich protestiere.

Auto-Judex: Da die Verteidigung auf ihr Plädoyer verzichtet, schreiten wir nunmehr zur Verkündigung des Urteils. Entsprechend dem Antrag der Anklage wird Jonas, nur Jonas, verurteilt, sein weiteres Leben in der Strafkolonie zu verbringen, der Beklagte nimmt das Urteil an, das Urteil ist rechtskräftig.

Jonas: Nein, nein, das könnt ihr doch nicht machen, Zeugen, ich hab Zeugen, Chefinspektor Brock von der Kripo.

Auto-Judex: Die Verhandlung ist geschlossen.

Jonas: Weg war er, und ich hing weiter am Haken und wußte nicht, wie mir geschah. Auto-Cops, Auto-Judex, eine auf Stromlinie programmierte Verhandlung, die ein Witz war. Aber ein schlechter auf meine Kosten. Zum Teufel mit allen Justizautomaten, dachte ich. Jonas braucht dringend einen Menschen. Und wie ich so dachte, kam er auch schon durch die Tür, der Mensch, ein nicht unbekannter solcher, namens Alonso Stammheim.

Stammheim: So sieht man sich wieder, Herr Jonas. Was machen Sie denn für schlimme Sachen.

Jonas: Sie arbeiten doch im Justizministerium, Herr Stammheim, tun Sie was, ich bin unschuldig, und ihr Auto-Judex schickt mich in die Strafkolonie.

Stammheim: Glatter Justizmord, ganz Ihrer Meinung.

Jonas: Die Verhandlung war absolut unfair.

Stammheim: Eine Farce, Herr Jonas, eine Schande, empörend.

Jonas: Irgendein Mäusebein in der automatischen Justizelektronik, nehm ich an.

Stammheim: Das kann schon mal vorkommen, unsere Automaten sind leider nicht unfehlbar. Tja, Ihr Pech.

Jonas: So ist das also. Sie waren das, Stammheim. Sie haben mich reingeritten. Die Auto-Cops, der Auto-Judex.

Stammheim: Von mir programmiert. So ist es, Herr Jonas.

Jonas: Warum Stammheim. Sie müssen doch einen Grund haben.

Stammheim: Natürlich hab ich einen Grund, zwei sogar. Ich wollte Sie in eine positive aufnahmebereite Stimmung bringen für mein Anliegen und auch gleich in die richtige Ausgangsposition. Ich brauch Sie nämlich drinnen, Herr Jonas. In der Strafkolonie.

Jonas: Danke, da gehe ich nicht hin.

Stammheim: Sie müssen Herr Jonas, Sie sind rechtskräftig verurteilt, Sie haben keine Wahl: Aber was rede ich da. Sie haben eine Wahl, Herr Jonas, Sie bleiben in der Kolonie, bis Sie schwarz werden, oder Sie kommen in ein paar Tagen raus, wenn Sie getan haben, was ich von Ihnen verlange.

Jonas: Unmöglich. Aus der Strafkolonie ist noch keiner lebend rausgekommen.

Stammheim: Bisher, Herr Jonas, bisher, Aber wenn ich Ihnen helfe. Wissen Sie, was ich im Justizministerium mache, Herr Jonas, ich bin Chiefcontroller, ganz oben, direkt unter dem Minister, verantwortlich für die Automatenprogramme und für die Aufsicht über den Strafvollzug. Wenn wir kooperieren, Herr Jonas, Sie drinnen, ich draußen.

Jonas: Was soll ich tun.

Stammheim: Jemanden rausholen. Aus der Strafkolonie.

Jonas: Eine Frau, Megan Alcatraz, 35 Jahre, Controller Second class im Justizministerium, in Stammheims Vorzimmer, vor zwei Monaten festgenommen und vor den Auto-Judex gebracht, als der gute Alonso Stammheim gerade ahnungslos im Urlaub war. Schneebretteln in der Antarktis, und weil ihr niemand half wurde Alcatraz zur Strafkolonie verurteilt. Wegen schwerer Korruption und Bestechlichkeit im Amt.

Stammheim: Eine absurde Beschuldigung, Herr Jonas. Ich kenne Megan, wir stehen uns recht nahe, nicht nur dienstlich. Und als ich kürzlich aus dem Urlaub kam und was geschehen war...

Jonas: Da faßte Ritter Alonso von Stammheim, den romantischen Entschluß die Dame seines Herzens zu retten.

Stammheim: Wenn Sie es so ausdrücken wollen, Herr Jonas.

Jonas: Beziehungsweise retten zu lassen.

Stammheim: Ich bin Beamter, Herr Jonas, ich plane, ich ziehe die Fäden. Sie sind ein Macher, Sie gehen rein, Sie holen Megan raus.

Jonas: Mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Wie sieht Ihr Plan aus, Stammheim.

Stammheim: Was wissen Sie von der Strafkolonie, Herr Jonas?

Jonas: Nicht sehr viel. Ein riesiges Gefängnis, supergesichert, irgendwo in der Wildnis um Babylon. Seit der Privatisierung des Strafvollzugs vor 12 Jahren wird die Strafkolonie von der Firma Privollzug AG betrieben. Für jeden Gefangenen, den er einliefert, zahlt der Staat pauschal, alles weitere übernimmt Privollzug: Haltung, Wartung, Bewachung, vor allem übernimmt Privollzug die Garantie für absolute totale Sicherheit, wenn es auch nur einem Gefangenen gelingt, auszubrechen, verliert die Firma sofort die Betreiberlizenz und damit ein gutes Geschäft. Der Staat kontrolliert, locker, von weitem, die Gefangenen sind sich weitgehend selbst überlassen, deshalb geht’s drinnen wild zu, sagt man. Nichts genaues weiß man nicht. Zwischen der Strafkolonie und der Außenwelt gibt's keine Verbindung.

Stammheim: Jedenfalls nicht direkt. Was es gibt ist die sogenannte Schleuse. Sie müssen sich das vorstellen, Herr Jonas, die Strafkolonie ist ein kreisförmiges Gelände unter freiem Himmel, Durchmesser etwa 10 Kilometer, ringsherum und obendrüber eine undurchdringliche elektronische Schutzhaube, eine Art Schirm oder Kuppel, und die geht auch tief in den Boden hinein.

Jonas: Damit keiner auf die Idee kommt sich a la Maulwurf rauszubuddeln.

Stammheim: Und direkt am Schutzschirm liegt die Schleuse. Ein Bunker mit einem hochkomplizierten System automatischer Türen und Sicherungen, hier kommen die neuen Gefangenen an und die Warenlieferungen, Lebensmittel, Drogen, was die Kolonie so braucht.

Jonas: Wie läuft das? Helikopter, E-Mobil?

Stammheim: Kapseln, Herr Jonas, durch eine pneumatische Untergrundröhre zwischen Strafkolonie und Babylon. Endpunkte hier sind Justizministerium und Privollzug. Ja, und da kann ich ein bißchen dran drehen, Herr Jonas, an den Sicherheitsprogrammen der Schleuse.

Jonas: Die Sie kontrollieren.

Stammheim: Das ist mein Job, Herr Jonas, und ich werde dafür sorgen, daß sich das innere Schleusentor zu bestimmter Zeit außerplanmäßig kurz öffnet.

Jonas: Wann?

Stammheim: Später, Herr Jonas, später. Morgen werden Sie mit Ihren Leidensgenossen per Pneumatik in die Strafkolonie überstellt. Bis dahin bleibt mir genug Zeit, Sie über alle wichtigen Details zu informieren.

Jonas: Nicht mich, Stammheim, Sam werden Sie informieren.

Stammheim: Sam?

Jonas: Sam ist mein Computer, überschlau, geschwätzig, Sam denkt nicht nur, Sam redet, ohne Punkt und Komma, ohne Unterlaß, ohne Erbarmen, weil er mit Verbalprogrammen vollgestopft ist bis zur nicht existenten Halskrause. Schon als ich ihn mir vor Jahren zulegte, war er ein Sondermodel, ein Versuchsmodell, heute ist er ein absolutes Einzelstück. Einsame Klasse, meint er, ich seh das anders. Trotzdem gehe ich ohne Sam nirgendwo hin, schon gar nicht in die Strafkolonie.

Stammheim: Völlig unmöglich. Keine Computer, keine Waffen, vor dem Transport werden Sie gründlichst durchsucht.

Jonas: Dann sehen Sie selbst zu, wie Sie die Lady rauskriegen, Stammheim. Sam muß mit. Irgendwie. Sonst streikt Jonas. Mein letztes Wort.

Stammheim: Sie haben Zahnschmerzen, Herr Jonas, wie finden Sie das?

Jonas: Großartig.

Stammheim: Sie müssen sofort zum Autodentisten. Hier im Justizministerium. Da wird Ihnen ein Zahn gezogen.

Jonas: Ach ja.

Stammheim: Und in die Lücke wird Ihnen ein Mikromodul eingesetzt aus Plastik, als quasi Außenstelle Ihres Computers, Sender und Empfänger, auf seine Frequenz festgelegt. Ich programmiere Ihrem Sam alles ein was Sie brauchen, Herr Jonas, Infos über Megan Alcatraz, über die Kolonie, über die Schleuse, Sicherheitssystem, nicht vorgesehene Öffnungen usw. usw. Wenn Sie drinnen sind, Herr Jonas, können sie sich mit ihm beraten, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, in ihrem Kopf, direkt, über ihr Sprach und Hörzentrum: Sehr gut. Geben Sie mir den Zugangscode, Herr Jonas.

Jonas: Ich hatte einen seltsamen Traum: Auto-Cops nahmen mich fest, ein Auto-Judex verurteilte mich zur Strafkolonie. Ein Autodentist zog mir einen Backenzahn und setzte mir Mikro-Sam ein, klein, weiß, und laut. Im meinem Mund schien er sich sehr wohl zu fühlen.

Sam: So nah waren wir uns noch nie, Meister. Ich bin der klitzekleine Zahn in deinem Kiefer, der Zahn ist faul und putt und deshalb bißchen mieft er...

Jonas: Ich war richtig froh, als man mir wieder eine Schlafspritze verpaßte. Ich wachte auf. Ich hatte das Gefühl, daß der Alptraum jetzt erst richtig losgeht. Ich war in einem großen grauen schwach beleuchteten Raum, an den Wänden Automaten, Würger, Scanner, und ein paar die wie Killer aussahen. Auf dem Boden Berge von Kisten und Haufen von Menschen in grauen Kitteln, die Haufen bewegten sich, erst schwach, dann stärker, man kam zu sich, ich arbeitete mich raus, stand auf, sah an mir runter, grauer Kittel, um den Hals an einer Schnur eine Plastikscheibe mit Namen, Vergehen, Urteil. Plötzlich ein entsetzliches Geräusch, immer und immer wieder, Alarm, eine Sirene. War das Sam?

Sam: Wo denken Herr Graf hin bzw. her. Niemals würde Sam sich ein obszönes Gelärm erlauben, den geliebten Meister zu erwecken würde Sammy zärtlich säuseln oder melodisch singen wie folgt: Die güldene Sonne

Jonas: Ruhe. Wo sind wir. Machs kurz.

Sam: Schleuse. Strafkolonie. Dahinten Pneumakapsel, automatisch ausgeladen.

Jonas: Was ist das für ein Krach.

Sam: Warnsignal, die Türe dorten stehet offen, und herein schneien diverse Strafkolonisten, um ihre neuen Gefährten zu empfangen, wenn nun besagte Tür sich wiederum schließt, in etwa 2 kurzen Minuten, bringen Autokiller an den Wänden jedes Wesen so hier noch kreucht und fleucht gnadenlos vom Leben zum jähen Tod.

Jonas: Schluß damit, du sollst mich nicht nerven, du sollst mich informieren.

Sam: Na los hopp, Tempo.

Jonas: Draußen vor dem Schleusenbunker im kalten hellen Tageslicht mußten wir neuen uns in einer langen Reihe aufstellen, um uns drängten sich Hunderte von Strafkolonisten, Frauen und Männer, manche im schlichten Kittel wie wir, die meisten hatten sich fantastisch rausgeputzt, mit Plastikhelmen und Plastikpanzer, mit bunten Bändern in Haaren und Bärten, mit Broschen aus Blech und Kunststoff, viele trugen Waffen, Knüppel, Messer, eiserne Keulen und Spieße, alles selbstgemacht, Abfallprodukte aus Verpackungsmaterial, die wilde Horde starrte uns an, abschätzend, gierig, hungrig, dann trat jemand vor, eine hagere Frau mit einem gelben Halbmond im grauen Haar: Sie hob ihre Eisenstange, wartete einen Augenblick, wandte sich uns zu.

Alte: Ruhe. Ruhe. Hört mal her ihr neuen Säcke, ihr seid jetzt in der Strafkolonie, was ihr Pißnecken draußen ward, das juckt uns hier drinnen kein Stück, ihr seid der letzte Scheiß, und je eher ihr schnallt was bei uns läuft um so besser für euch, also was wir jetzt mit euch machen, das ist die Fleischbeschau, die Leute aus den Clans kucken sich den neuen Schrott aus Babylon an und suchen sich raus, was sie brauchen: Sklaven, Maultiere, Eunuchen, und Sonntagsbraten für den Clan der Kannibalen werden gleich in die Clanhäuser gebracht. Wer Schwein hat und nen besseren Job abkriegt, Krieger oder Hexe, der muß sich erst bewähren, als Sandfloh, und was das ist, das kriegt ihr noch früh genug mit, so das war's, seht zu, wie ihr durchkommt, und merkt euch ihr Kotzeimer, jeder für sich, hilf dir selbst, denn sonst tut's keiner. klar?

Jonas: Sam, diese Clams, was weißt du darüber.

Sam: Sogleich euer Fraglichkeit. Flugs soll euch Aufklärung zu teil werden. Clans nennen die Strafkolonisten ihre primitiven Organisationsformen, archaische stammesähnliche Gebilde, hierarchisch gegliedert, ursprünglich 40, ein Clan pro Megabarak, inzwischen schrumpf die Zahl, starke Clans sind dabei, sich die schwächeren einzuverleiben, alle Clans führen ständig Krieg miteinander, überall in der Kolonie, nur hier nicht, das Schleusengebiet gilt als neutral und so es interessiert, wären an Einzelclans zu nennen: Die Samurai, die Barbaren, die Furien, die Arier, die Teufelsweiber, die Eisenärsche, die Kopfjäger, die Amazonen...

Jonas: Usw. Eine merkwürdige Mischung. Antiquiert, komisch und gefährlich. Eine muskulöse Amazone im roten Minirock hob meinen Kittel mit ihrer Peitsche, dann las sie, was auf meiner Scheibe stand, und winkte ab.

Amazone: Zu alt für die Zucht, unsere Königin will junge Männchen.

Jonas: Na ja, nicht an...

Gonzo: Platz da Platz für Megan die Magische, die zaubermächtige Großhexe des hochedlen Clans der Barbaren, aus dem Weg. Platz für Megan die Magische, Weichet, widrige Wichte, weichet.

Sam: Kuck mal wie der spricht, so matiniert, mariniert.

Jonas: Das mußt du gerade sagen Sam.

Sam: Hey Boss, da ist sie, die da.

Jonas: Wer ist was, Sam, deutlicher bitte.

Sam: Die da, die mit dem blauen Zottelpelz und dem Lametta an den Ohren.

Jonas: Megan die magische.

Sam: Alias Megans Alcatraz. Diejenige welche. Stammheims Begehren.

Jonas: Das war prompter Service. Kaum tauchte Jonas in der Strafkolonie auf, da lief ihm die gesuchte schon über den Weg, d.h. sie schritt, und zwar gemessen, durch die Menge, die respektvoll Distanz hielt, zu ihr und zum Knüppel ihres Begleiters. Sie war nicht sehr groß, schlank, gutaussehend, trotz ihrer barbarischen Aufmachung und tüchtig, nach nur 2 Monaten in der Kolonie hatte sie es bis zur Großhexe gebracht. Eine Blitzkarriere.

Sam: Na los Blödmann quatsch sie an.

Jonas: Bist du verrückt, hier vor all den Leuten.

Sam: Sag ihr, sie soll dich für ihren Clan aussuchen, und wenn sie dann näherkommt

Jonas: Megan, hierher.

Gonzo: Was erlaubst du dir, du Abschaum. Wie spricht du zur zaubermächtigen Großhexe des hochedlen Barbarenclans.

Jonas: Wer will denn was von dir, du Angeber. Also wenn s denn sein muß, zaubermächtige Großhexe. Braucht dein Clan

Sam: Hochedler Clan.

Jonas: Dein hochedler Clan nicht einen guten Krieger, erfahren in allen martialischen Künsten.

Megan: Du bist sehr vorlaut, Neuer, wollen doch mal sehen. So, Jonas, Privatdetektiv, daß es so was noch gibt, vorher Söldneroffizier im Antarktischen Krieg, Mord, Raub, Einbruch, nicht schlecht, du bist zwar nicht mehr der Jüngste.

Jonas: Stammheim.

Megan: Augenblick. Treib das Volk zurück, Gonzo.

Gonzo: Wie du befiehlst zaubermächtige Großhexe. Zurück, weg Gesindel, ihr seid der zaubermächtigen Großhexe lästig.

Jonas: Alonso Stammheim schickt mich, Frau Alcatraz, ich soll Sie rausbringen.

Megan: Aja, ich beanspruche diesen Mann für den hochedlen Clan der Barbaren. Melde dich im Clanhaus, so bald wie möglich.

Jonas: Leicht gesagt, erstmal wurde Jonas als Sandfloh eingesetzt. Am Rand der Strafkolonie erhob sich ein gewaltiger Sandhaufen, der mußte jeden Tag rüber auf die andere Seite geschafft werden, und tags darauf zurück, in langer Kette mit Eimern. Das hatte sich Privollzug ausgedacht, damit die Gefangenen zu tun hatten und nicht auf gefährliche Gedanken kamen. Eine stupide Arbeit, voller Eimer von links, voller Eimer nach rechts, usw. Eine Woche lang mußte man sich als Sandfloh abschuften. Das dauerte Jonas zu lange.

Jonas: Hau hupp. Sammy, wann gehen die Schleusentüren für uns auf? Was hat Stammheim gesagt. Hau ruck.

Sam: Total vergessen, siebhirniger Alzheimer. Am 1. August 2013 fünf Minuten vor der Mitternacht für genau 20 Sekunden, und falls euer Trottelhaftigkeit diese Chance nicht wahrzunehmen vermag, bietet sich 24 Stunden später eine zweite solche.

Jonas: Und wenn ich, hau Ruck, das auch nicht schaffe.

Sam: Dann mußt du halt hierbleiben in der wunderschönen Strafkolonie.

Jonas: Lieber nicht. Heute haben wir den

Sam: 31. Juli 2013, 15 Uhr 27. Höre mein Jonas laß dir sagen.

Jonas: Halt die Backen. Hau Ruck, Also heute abend, spätestens übermorgen. Nicht mehr viel Zeit. Hau ruck. OK, Sammy, wir gehen. Macht's gut, Genossen.

Was ist da los?

Aufseher: Hey, du da, was fällt dir ein, zurück in die Kette, aber plötzlich. Buly zu mir.

Jonas: Unser Aufseher: ein mürrischer Eisenarsch im rituellen Outfit seines Clans, oben schwarze Weste aus Pseudoleder mit Nieten, unten ohne, abgesehen von einem knappen Futteral, bisher hatte er abseits gehockt und seine Nieten poliert, jetzt schwang er sich auf sein Maultier, das heißt auf einen kräftigen Sklaven, der ihm als Reittier zustand, er ritt auf mich zu und wollte mich mit seiner Lanze zurück in die Kette stochern. Das mißfiel mir. Ich nahm den Eimer hoch und holte aus. Das Muli kriegte eine volle Ladung Sand ins Gesicht, stolperte, schlug hin, der Aufseher flog aus dem Sattel, und krachte mit dem Nacken auf den Eimerrand.

Sam: Ist er tot der nacktgesäßige Grobian.

Jonas: Sieht so aus, Sammy. Maustod. Hals gebrochen.

Sam: O jemine. Weiß mein leichtsinniger Eimerschmeißer was das bedeutet.

Jonas: Klar Sammy, wir können jetzt ungehindert zum Clanhaus der Barbaren wandern, zu Megan Alcatraz.

Sam: Und.

Jonas: Und was.

Sam: Es bedeutet auch und vor allem Blutrache. Der wilde Clan der Eisenärsche wird sich an die Fersen meines Meisters heften, seinen Kopf fordern und was sonst noch alles. So ist's hierzulande Sitte. Schako.

Jonas: Weißt du, Sammy, darüber mache ich mir später Sorgen, wenn ich nichts besseres vorhabe. Auf geht's. Haus der Barbaren. Gibt den Kurs vor.

Sam: Aye aye. Ost Süd Ost. Mehr nach links, backbord wollte ich sagen. Gut so, und jetzt immer gerade aus.

Jonas: Die 40 Megabaracken der Strafkolonie stehen an der Peripherie, rundherum wie Striche auf einem Zifferblatt. Eine gute Stunde Fußmarsch durch die tote Steinwüste, dann tauchte am Horizont ein enormer grauer Quader auf, wurde größer, deutlicher, noch eine halbe Stunde und ich konnte vor dem Tor aufgespießte Köpfe erkennen, und nicht mehr frische Leichen, die im Wind schaukelten. So etwa hatte ich mir die Burg der Barbaren vorgestellt.

Wächter: Zurück, clanloser Niemand, verschwinde oder wir hängen dich an den Füßen auf als Zielscheibe für unsere jungen Bogenschützen.

Jonas: Mach das Maul zu mach das Tor auf, ich in einer von euch, ein Barbar.

Wächter: Ach ja, wo hast du denn das Totem, und dein Rangstreifen.

Jonas: Megan die Magische hat mich herbestellt, eure zaubermächtige Großhexe, sagt ihr Bescheid, sag ihr Jonas ist da.

Wächter: Warte.

Jonas: Ein zotteliger Barbar führte Jonas durch dunkle, schmutzige, stinkende Gänge, voll von zotteligen Barbaren, dann Treppen rauf, viele Treppen, die Oberbarbaren lebten oben, unterm Dach. Großhexe Megan hatte einen ganzen Raum für sich, über einer Feuerstelle hing ein Eisenkessel, in dem eine übelriechende schwarze Brühe brodelte, an den Wänden standen seltsam geformte Glasgefäße, gefüllt mit gelben und grünen Elixieren, zerstochene Wachspuppen lagen herum, Hexenbesen, mumifizierte Finger, Ohren und andere Körperteile. Dieser ganze magische Kram störte mich wenig. Was mich störte war der finstere Typ mit dem Knüppel: Mein alter Freund Gonzo, Leibwächter der Großhexe Megan Alcatraz. So ging das nicht. Der Kerl mußte weg.

Jonas: Gonzo alter Junge, du störst, warum geht du nicht ein bißchen vor die Tür und kuckst wie's Wetter wird.

Gonzo: Gonzo bleibt.

Megan: Er muß bleiben, Jonas, er ist mein Leibwächter. Wenn er mich verläßt, verliert er seine Ehre.

Gonzo: Gonzos Ehre heißt Treue.

Jonas: Ja was machen wir denn da.

Sam: Zum Bleistift dieses. Madam wechselt ihren Wächter.

Jonas: Nicht schlecht, Sammy, gar nicht schlecht.

Megan: Was meinen Sie Jonas.

Jonas: O, ich habe gerade mit meiner inneren Stimme gesprochen.

Megan: Aha, und was sagt sie.

Jonas: Daß ich von jetzt ab Ihr Leibwächter bin. Gonzo kriegt Urlaub und kann sich anderweitig vergnügen. Alte Frauen erschrecken, Kleinkinder beißen, Schnuller wegnehmen, Nasebohren, na Gonzo ist das ein Angebot.

Gonzo: Du forderst Gonzo heraus, Fremder?

Jonas: Tu ich das.

Megan: Das müssen Sie, Jonas. Wer den Rang eines anderen will, muß ihn zum Zweikampf fordern, und töten.

Gonzo: So will es die geheiligte Sitte der Väter.

Jonas: Na dann komm Gonzo, bringen wir's hinter uns.

Gonzo: Nicht so Fremder, wir kämpfen wie das Gesetz es befielt. Nach dreimaliger Herausforderung binnen Wochenfrist in der Halle der Zweikämpfe. Vor seiner brutalen Erhabenheit Häuptling Conan und dem ganze Clan.

Jonas: Tja, weißt du Gonzo mein Freund, so viel Zeit hab ich leider nicht, und darum, und jetzt abwärts.

Jonas: Ich steckte ihm kurz den Kopf in den Hexenkessel, das lenkte ihn ab und ich konnte ihn aus dem Fenster schieben. Nicht gerade fair, das gebe ich zu, aber wer oder was war in diesem Fall schon fair zu Jonas.

Megan: Wie’s scheint, habe ich einen neuen Leibwächter. Ich bin beeindruckt, Jonas.

Jonas: Jeder für sich, hilf dir selbst, ich hab mich nur nach dem gerichtet, was hier üblich ist.

Megan: Gut. Stammheim, was hat er vor, erzählen Sie.

Jonas: Als ich fertig, war, fing Megan Alcatraz an im Zimmer herumzuwandern. Sie wirkte nachdenklich. Irgendwie unentschlossen.

Megan: Seit gestern bin ich am Überlegen, Jonas, seit unserer Begegnung vor der Schleuse. Ob ich mit Ihnen die Kolonie verlassen oder bleiben soll.

Jonas: Ist das Ihr Ernst?

Megan: Sicher, es geht mir gut. Ich bin Großhexe. Der Clan respektiert mich, Häuptling Conan tut was ich sage. Das Leben ist primitiv, zugegeben, aber dafür ist es aufregend, dunkler, einfach lebendiger als in Babylon. Wissen Sie, Jonas, schon als Kind wollte ich Hexe werden, nach der Schule bin ich auf die Akademie für Esoterik gegangen, ich habe einen Abschluß in fortgeschrittener Hexerei, und in weißer und schwarzer Magie mit Auszeichnung.

Jonas: Und warum sind Sie nicht dabei geblieben.

Megan: Die Berufsaussichten waren schlecht, viel zu viel Hexen in meinem Lager, ich war vernünftig und ließ mich umschulen für den höheren Staatsdienst. Auch gut. Aber was eine Justizangestellte kann, ist hier in der Strafkolonie nicht gefragt. Also fing ich wieder an zu hexen. Zora, die Zauberin war da Großhexe bei den Barbaren, ich hab sie herausgefordert, ihr einen Herzinfarkt angehext, ihre Stellung übernommen. Und all das soll ich aufgeben, für einen Schreibtisch in Babylon?

Jonas: Dann eben für Alonso Stammheim, der gibt sich mächtig Mühe, Sie zurückzuholen, haben Sie denn keine Sehnsucht nach ihm?

Megan: Sehnsucht nach Stammheim? Ich? Tot will ich ihn sehen, diesen Drecksack, er hat mich aufs Kreuz gelegt, er hat mich in die Strafkolonie geschickt.

Jonas: Langsam, jetzt versteh ich überhaupt nichts mehr.

Megan: Aber Sie haben ja recht, Jonas, ich komm mit Ihnen, seinetwegen, ich will Stammheim fertig machen. Ich will seinen Posten. Chiefcontroller Megan Alctraz. Das hört sich noch besser an als Großhexe.

Jonas: Megan Alcatraz war ehrgeizig. Stammheim, ihr Chef, blockierte seit Jahren ihre Beförderung. Sie versuchte Material gegen ihn in die Hand zu kriegen, sie hatte Glück, sie knackte den Geheimcode für Stammheims private Datei, sie wurde fündig. Alonso Stammheim ließ sich bestechen in großem Stil, von der US-Firma Highsec, die war sehr daran interessiert, im europäischen Strafvollzug Fuß zu fassen. Highsec machte einen Deal mit Stammheim. Privollzug sollte die Lizenz zum Betrieb der Strafkolonie verlieren, dafür wollte Stammheim sorgen, und dafür, daß die Lizenz dann an Highsec ging, für eine halbe Million Euros. Bar unterm Tisch. Alcatraz kopierte den Deal und versteckte die Kopie. Im Archivsystem des Justizministeriums. Dann konfrontierte sie ihren Chef: Beförderung sofort, oder die Sache wird veröffentlicht.

Megan: Stammheim versprach alles, was ich wollte. Und als ich abends nach Hause kam, wurde ich verhaftet. Von Auto-Cops. Einen Tag später war die Verhandlung, falls man das so kennen kann. Ich wurde zur Strafkolonie verurteilt.

Jonas: Also eins ist mir nicht klar, Megan. Sie sind in der Strafkolonie. Stammheim ist Sie los. Sie können ihm nichts mehr tun, weshalb schickt er mich, um Sie rauszuholen, das ist doch widersinnig.

Megan: Und wie ich ihm was tun kann, das glaubt er jedenfalls. Ich hab's ihm geschrieben.

Jonas: Geschrieben, von hier aus?

Megan: Ja.

Jonas: Das ist doch nicht drin. Es gibt keine Verbindung zwischen der Strafkolonie und der Außenwelt.

Megan: Sagt man. Aber mir ist was eingefallen. Einmal die Woche fliegt ein Satellit des Justizministeriums über die Kolonie und schießt Holographie, zur Kontrolle, die Bilder landen auf Stammheims Schreibtisch. Genau zum Satellitentermin habe ich einen großen Zauber veranstaltet, oben auf dem Dach, ein paar hundert Barbaren mußten sich so aufstellen, daß sie magische Zeichen und Figuren bildeten.

Jonas: Buchstaben.

Megan: Und Zahlen, deutlich von oben zu lesen.

Jonas: Gute Idee. Und was stand da?

Megan: Rausholen, sonst Deal automatisch publik 15.8. Megan. So was.

Jonas: Stimmt das?

Megan: Daß das Material am 15. automatisch freigeben wird und an die Medien geht, nö, das war ein Bluff. Aber Stammheim weiß das nicht, darum hat er reagiert.

Jonas: Und Jonas geschickt.

Megan: Sie sehen Jonas, wir haben beide wenig Grund, Stammheim zu lieben.

Jonas: Was wird er tun, wenn wir rauskommen, was meinen Sie, Megan.

Megan: Nichts gutes. Er wird versuchen, mir das versteckte Material abzunehmen, mit allen Mitteln, und Sie, Jonas, Sie wird er wohl gleich, weil er Sie nicht mehr braucht.

Sam: Sie irrt, die barbarisch blau bezottelte Hexe.

Jonas: Sammy, schön, daß du mal wieder was von dir hören läßt.

Sam: Und wie Superfiesling Stammheim meinen Meister noch braucht. Denn siehe des güldenen Geldes die Menge ist es ihm wert.

Jonas: Moment, Sammy, wer ist wem was wert.

Sam: Hirnsklerotiker. Dem p. p. Stammheim. Eine halbe Million Euros.

Jonas: Du redest Blech, Sam.

Sam: Jedoch nur als tote Leiche.

Megan: Haben Sie was, Jonas, ist Ihnen nicht gut?

Jonas: Seien Sie mal einen Moment still, meine innere Stimme hat mir was zu sagen. Also Sam, was ist los.

Sam: Schwere chronische Verstopfung, Herr Medizinalrat, in dero Dumpfheit sogenannten Gehirn.

Jonas: Paß auf, Sam, wenn mir erst mal draußen sind und ich dich abschalten kann.

Sam: Und Humor hat er auch kein Stück, der Sauerkopf. Doch was soll's. Er ist mein Jonas, ich muß ihn nehmen wir er kommt.

Jonas: Komm du endlich und zwar zu Potte.

Sam: Subito Signore. Oder auch pronto. Piep. Stammheim kriegt eine halbe Million Euros, wenn Privollzug die Lizenz für die Strafkolonie loswird. Klar? Wann verliert eine Firma die Lizenz zum Betreiben der Strafvollzugsanstalt. Häh? Wenn die Anstalt nicht mehr sicher ist, wenn z.B. ein Insasse auskneift, klar, ein möglichst gefährlicher. Klar. Ein Gewaltverbrecher, Räuber, Mörder, ist das klar.

Jonas: Klar, Sammy, Stammheim bring Jonas um, die Leiche wird entdeckt.

Sam: Allgemeiner Aufschrei, Verurteilter aus Strafkolonie getürmt, Privollzug wird Lizenz entzogen. Auf der Stelle.

Jonas: High Sec übernimmt. Stammheim wird's schon richten.

Sam: Ja, und wenn ein toter Jonas nicht reicht, hat der listenreiche Stammheim noch eine tote Alcatraz anzubieten, etwas später wenn er ihr die Würmer aus der Nase geleiert hat, das mein ich damit, sprich das versteckte Belastungsmaterial.

Jonas: Das heißt Stammheim schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Megan Alcatraz ist er los.

Sam: Und er kriegt ne halbe Million. Friede Freude Eierkuchen im Hause Stammheim.

Jonas: Das mußte verhindert werden. Ich informierte Megan. Sie kannte Stammheim und sah die Gefahr, aber bevor wir die Situation abschätzen und einplanen konnten, wurden wir gestört. Ein junge Lehrhexe kam ins Zimmer, mit einem tiefen Knicks und einem Auftrag.

Botin: O zaubermächtige Großhexe Megan, die magische, seine brutale Erhabenheit Häuptling Conan sendet dir durch meinen Mund eine Botschaft.

Megan: Sprich Griselda.

Botin: Unsere Kundschafter melden, daß sich Arier, Amazonen und Knochenbrecher wider den hochedlen Clan der Barbaren verbündet haben.

Megan: Unsere Nachbarn. Weiter Griselda.

Botin: Sie haben eine große Wurfmaschine gebaut. Damit werden sie in drei Tagen unser Haus bestürmen.

Megan: Und ich soll was dagegen unternehmen.

Botin: So ist es, zaubermächtige Großhexe. Seine brutale Erhabenheit läßt dieses sagen: mache einen Zauber, einen großen Zauber, verwirre den Geister unserer Feinde, zerstöre ihre Maschine, mache zunichte ihren Plan.

Jonas: Na das paßt doch wie die Faust aufs Kinn, Megan. Sie machen wieder mal einen großen Zauber. Aber nicht auf dem Dach sondern

Megan: Draußen an der Schleuse, morgen um Mitternacht. Ich allein, nur mein neuer Leibwächter wird mich begleiten. Morgen mittag brechen wir auf.

Jonas: Einen Tag später, 1. August 2013, kurz vor Mitternacht an der Schleuse: In der Zwischenzeit waren wir, Megan und ich uns nähergekommen: Sie hatte mich in die vielfältigen Pflichten eines Leibwächters eingeführt. Und ich hatte ihr mein großes Geheimnis verraten: Sam. Sam, den geschwätzeigen Backenzahn, zu dritt hatten wir überlegt und geplant, bis wir zu dritt durch die Kolonie zur Schleuse zogen. Jetzt waren wir da. Vom grauen Klotz des Schleusenbunkers sahen wir nur eine Hälfte, die andere lag draußen, hinter dem Schutzschirm, unsichtbar. In wenigen Sekunden würde sich die massive Tür in der Front zu öffnen. Hoffentlich. Alles schien ruhig. Zu ruhig, meinte Megan, sie war mißtrauisch. Da ein Geräusch, die Tür, sie fing an sich zu bewegen.

Sam: Na, was ist, noch nie ne offene Tür gesehen, steht nicht rum wie Ochs und Kuh vorm Scheunentor. In 20 Sekunden ist das Loch wieder zu. Countdown läuft. Piep.

Jonas: Komm Megan.

Megan: Adios Strafkolonie.

Bluträcher: Halt. Das Blut unseres Clanbruders scheit nach Rache.

Jonas: Plötzlich waren sie da, schwarzes Leder, Nieten, Eisenstangen, Blut in den Augen, Rache im Herzen, Eisenärsche, an die zwanzig, zu viel für Jonas, aber Jonas war nicht allein, Megan war bei ihm, und Megan konnte hexen, sie fixiert die Bluträcher, hob feierlich die Hände, rote Blitze zuckten aus ihren Fingerspitzen.

Megan: Asrael und aller Dämonen... Steht still und starr und stumm, laßt die Waffen fallen, rührt euch nicht.

Jonas: Es wirkt, Megan, wie machst du das, Hypnose.

Megan: Hahaha, Hexerei, Jonas. Komm Jonas, schnell.

Sam: Alehopp.

Megan: Komm Jonas, schnell.

Jonas: Die Tür war zu und wir waren drinnen im Schleusenbunker, nichts und niemand nahm uns zur Kenntnis, die automatischen Scanner blieben inaktiv, die Killer auch. Stammheim hatte an ihren Programmen gefummelt, wie versprochen. An der offenen Hintertür wartete die Pneumakapsel.

Sam: Zum pneumatischen Express nach Babylon bitte einsteigen und die Türen schließen. Der Zug fährt sofort ab.

Jonas: Augenblick noch, Sammy, hast du die Programm so umgestellt wie wir es besprochen haben.

Sam: Na klar Chef, alles im Griff.

Jonas: Was sieht Stammheim?

Sam: Nichts, Chef, null Komma nichts, total leere Schleuse.

Jonas: Und die Kapsel.

Sam: Flutscht nicht zum Justizministerium, sondern an der Gabelung rechts Zielbahnhof Privollzug. Abfahrt.

Jonas: Die kleine Station unter dem Privollzughochhaus war vollautomatisch, kein Mensch weit und breit. Gut, einerseits, Jonas und Megan waren praktisch nicht vorhanden, die Sicherheitssensoren hatte Sam außer Gefecht gesetzt. Andererseits schlecht. Wir brauchten Menschen, zwei vorzugsweise.

Sam: Blaue Zottel, Graue Kittel, Plastik, so kommt ihr beiden Süßen nie in die Chefetage, bestenfalls in den Abfallcontainer.

Jonas: Wir müssen uns was zum Anziehen besorgen, Megan, was unauffälliges. Manager-Outfit oder so was.

Megan: Uniformen vom Privollzugwerkschutz.

Jonas: Das ist gut. Wir warten bis zum Morgen, Sammy schlägt Alarm.

Sam: O ja, großer Meister, Alarm, und wie, das die Wände wackeln.

Jonas: Das möchtest du wohl. Kleiner Alarm. Wasserschaden, Ratte im Kabelschacht, diese Preisklasse.

Sam: Oh, Spielverderber.

Jonas: Zwei Typen vom Werkschutz kommen nachkucken, die treten immer zu zweit auf. Wir machen kurzen Prozeß.

Megan: Und wir ziehen uns um.

Jonas: Null Problemo. Gegen halb 10 standen wir im Chefzimmer von Vizepräsident Pierre Cayenne, den kannte Megan aus ihrer Zeit im Justizministerium. Jonas stellte sich an die Wand, die rechte Hand am Neurofreezer, Sam spazierte durchs Sicherheitssystem und blockierte ein paar Verbindungen. Megan ging zum Schreibtisch, nahm die Mütze ab, schüttelte ihr Haar aus. Cayenne war irritiert.

Cayenne: Was soll das, was erlauben Sie sich. Gehen Sie zurück auf Ihren Posten.

Megan: Erkennen Sie mich nicht, Pierre?

Cayenne: Megan, Megan Alcatraz? Aber... aber Sie sind doch in der Strafkolonie.

Megan: Ich bin hier Pierre, in ihrem Zimmer, das sehen Sie doch. Drücken Sie ruhig auf den Alarmknopf, das bringt nichts. Aber kommen Sie nicht auf die Idee aufzustehen und zur Tür zu gehen. Mein Partner würde Sie neurofreezen.

Jonas: Würd ich. Sofort.

Cayenne: Was wollen Sie Megan?

Megan: Sie warnen, Pierre, ihren einen Tip geben, falls Privollzug Wert darauf legt, die Lizenz für die Strafkolonie zu behalten.

Jonas: Pierre Cayenne war ein vernünftiger Mann, und Megan Alcatraz war eine vernünftige Frau, das wußte er, darum glaubte er unsere Geschichte. Aber es fiel ihm nicht leicht.

Cayenne: Beweise. Ohne Beweise kann ich nichts gegen Stammheim unternehmen. Geben Sie mir Beweise, Megan, rufen Sie Ihr verstecktes Material ab.

Megan: O nein, Pierre. Das Material bleibt vorerst da, wo es ist, ich will Sie nicht in Versuchung führen, wenn Sie mein Material haben, können Sie Stammheim problemlos allein erledigen. Und dann kämen Sie womöglich auf den unschönen Einfall mich und meinen Partner Jonas zu eliminieren. Sie würden an das Wohl von Privollzug denken, immerhin sind wir aus der Strafkolonie ausgebrochen, aus Ihrer Obhut.

Cayenne: Trauen Sie mir nicht, Megan.

Megan: Ich wäre dumm, wenn ich's täte, Pierre. Hören Sie zu. Sie kriegen ihre Beweise, aber anders.

Jonas: Stammheim wird sich selbst überführen, er wird sich stellen, er wird alles zugeben.

Cayenne: Ich verstehe. Soll ich Sie mit einem versteckten Sender ausrüsten.

Jonas: Nicht nötig. Den haben wir schon. Ich geb Ihnen die Frequenz. Sie werden mithören.

Megan: Sie und die Medien. Die Sache muß an die Öffentlichkeit. Wir wollen voll rehabilitiert werden. Von einem Deal unter der Hand zwischen Stammheim und Ihnen haben wir beide gar nichts.

Cayenne: Aber sowas würde ich doch nie

Megan: Natürlich nicht, Pierre.

Jonas: Wenn's brenzlig wird, greifen Sie ein, Cayenne.

Cayenne: In Ordnung, Werkschutz. Kripo auch wenn Sie wollen.

Jonas: Aber keine Auto-Cops.

Jonas: Rund 14 Stunden später, 3. August 2013, 0 Uhr 20, tief unter dem Justizministerium. Eine Pneumakapsel kam zum Stehen, die Klappe ging auf, Megan Alcatraz und Jonas, wieder in ihrer Koloniekluft, stiegen aus und wurden sofort in Bodybags gestopft, von Auto-Cops. Alonso Stammheim sah gutgelaunt zu.

Stammheim: So läßt es sich doch viel angenehmer plaudern, nicht wahr. Sie haben es also geschafft, Jonas, wenn auch erst im zweiten Anlauf. Eigentlich hatte ich Sie schon gestern erwartet. Na Ende gut alles gut. Megan, meine Teure, glänzend sehen Sie aus. Ein wenig extravagant aber glänzend. Verraten Sie mir, wo Sie die Daten über meinen Deal mit Highsec haben. Und den Abrufcode natürlich auch.

Megan: Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß ich Ihnen das sage, Stammheim, Sie Ratte.

Stammheim: Nun ja, vielleicht nicht sofort, liebste Megan, aber wenn Sie erst in der Autotortur.

Megan: Oh

Stammheim: Damit haben Sie nicht gerechtet, was, ha, die automatische Folterkammer ist fertig, mein Lieblingsprojekt, Sie wissen ja, Sie geschätzte Kollegin werden die Ehre haben als Versuchskaninchen zu agieren. Sie sind eine starke Frau, wie lange werden Sie wohl durchhalten, 10 Minuten, eine halbe Stunde oder gar länger. Wir werden sehen, hören, erleben, genießen.

Jonas: Kommen Sie mal wieder runter, Stammheim. Sie ja schon am durchdrehen bevor es losgeht.

Sam: Ejakulatio presskopf sagt der Experte.

Stammheim: Herr Jonas, entschuldigen Sie, Sie sind ja auch noch da. Die Autotortur, wissen Sie, ein Thema bei dem ich immer alles andere vergesse. Ja, was mach ich mit Ihnen, es war vorgesehen, Sie schnell zu töten, aber wenn ich es mir recht überlege, sind zwei Kaninchen besser als eins. Wie Ihre Leiche aussieht, ist schließlich egal, Hauptsache man kann Sie identifizieren als ausgebrochenen Strafkolonisten. Ha, zwei mal Autotortur, eine halbe Million Euros. O happy day! Schafft die beiden in die Autotortur.

Jonas: Es wurde Zeit. Zeit daß Sammy was tat. Der hatte es sich im Autojustiz-Systems bequem gemacht. Megan hatte ihn mit den Geheimcodes versorgt, noch aus ihrer Zeit im Justizministerium. Aber jetzt trat Sam in Aktion. Zuerst knackte er die Schlösser an unseren Bodybags. Dann gab er den Auto-Cops neue Befehle. Priorität eins a. Sie hörten nicht mehr auf Stammheim. Sie hören überhaupt nicht, sie zogen ihre Knüppel und fingen an, aufeinander einzudreschen. Mit lobenswertem Eifer.

Stammheim: Aufhören, Schluß damit. Ihr sollt aufhören, hab ich gesagt.

Megan: Warst du das Jonas, hast du Stammheim in Starrkrampf versetzt. Haha. Sag bloß, du kannst auch hexen.

Jonas: Iwo, Neurofreezer, den hatte ich mir bei Privollzug unters Hemd gesteckt. So. Die Auto-Cops sind im Eimer. Was machen wir mit unserem Freund Stammheim.

Megan: Autotortur schlage ich vor. Soll er sein Lieblingsprojekt selbst testen. Bin gespannt, wie lang er durchhält. Ah er schwitzt Jonas, sieh mal.

Jonas: Die Hosen hat er auch voll.

Cayenne: Halten Sie aus, gleich sind wir bei Ihnen.

Jonas: Die Kavallerie. Zu spät, wie immer.

Megan: Zu früh, keine Autotortur für dich Stammheim, schade.

Jonas: Statt dessen kam er vor den Auto-Judex. Megan und ich sahen zu. Durch einen Einwegspiegel in der Wand.

Auto-Judex: Stammheim Alonso, wird verurteilt, sein weiteres Leben in der Straf-kolonie zu verbringen, der Beklagte nimmt das Urteil an, das Urteil ist rechtskräftig.

Stammheim: Nein, nein, nicht in die Strafkolonie, bitte, bitte, ich tu's auch nie wieder. Gnade.

Megan: Wie's ihm da wohl gehen wird.

Jonas: Gutes Eunuchenmaterial.

Megan: Ja? Also ich hoffe, die Kannibalen kriegen das Schwein.

Jonas: Schalt ab, Megan, er ist so laut.

Megan: Was ich dir noch sagen wollte, Jonas. Ich hab seinen Job.

Jonas: Chiefcontroller.

Megan: Hm.

Jonas: Gratuliere Megan.

Megan: Wollen wir das nicht feiern, wir zwei, vielleicht gleich hier im Kasino. Das Essen ist allerdings nicht berühmt.

Jonas: Gehen wir lieber ins Casablanca. Da ist das Essen auch mies, aber dafür der Whisky noch mieser, und die Atmosphäre unbeschreiblich. Wüah.

Megan: Einverstanden. Wann?

Jonas: Sagen wir in zwei Stunden. Ich hab vorher noch was zu erledigen. Beim Autodentisten.

Sam: Nein, Sammy will in seinem Meister bleiben, ganz eng, ganz nah, ganz innig, von nun an bis in Ewigkeit.

Jonas: Das könnte dir so passen. Du kommst raus.

Sam: Liebt mein Jonas denn seinen Sam gar nicht mehr.

Jonas: Merk dir Sammy. Die wahre Liebe blüht in der Distanz.

Sam: Ach? Hat das Goethe gesagt?

Jonas: Zu mir nicht.

Sam: Zu mir auch nicht.

Das war Strafkolonie. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem wirkten mit: Kerstin de Ahna, Karl Friedrich, Achim Höppner und viele andere (Werner Klein, Michael Schneider, Ilse Neubauer, Michael Vogtmann, Detlef Kügow, Ernst Wilhelm Lenik, Dorothee Hartinger, Pascale Schulze, Marc Schulze, Urs Schaudinn, Andreas Wohlrab, Eva Windisch). Ton und Technik: Günter Heß, Christine Koller und Monika Graul. Regieassistenz: Holger Buck, Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1994). Redaktion Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:24
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Nachtcafe

Jonas: Sie wimmelten um uns herum, kratzten an der Plexikuppel, drückten sich die verschorften Nasen platt, stierten auf unseren Tisch, unsere Teller. Steaks. Echtes Rindfleisch. Unbezahlbar. Sie zeigten uns ihre dürren Rippen, ihre aufgetriebenen Bäuche, ihre offenen Wunden, ihre Eiterbeulen. Und sie schrieen. Sie schrieen vor Hunger. Sie schrieen nach unseren Abfällen. Der bullige Typ neben mir warf ihnen was zu. Einen abgenagten Knochen. Durch die elektronisch gesicherte Klappe. Sie stürzen sich drauf, fielen übereinander her, schlugen sich blutig.

Lumbago: Hahahaha! Das macht Laune und Appetit. Hunger ist der beste Koch. Sagten schon Opa und Oma im guten alten 20. Jahrhundert. Na, ihr Klappergestelle, noch ein Stück? Kusch, später, vielleicht, wenn ihr uns bei Laune haltet. Na, bietet uns mal was. Allehopp!

Jonas: Das Lokal hieß Drittwelt. Ein Schuppen für Superreiche. Man tafelte in Plastikkuppeln. Dahinter Horden halbverhungerter Drittweltler. Der Besitzer ließ sie an der Grenze einsammeln. Da gab's mehr als genug. Frischer Nachschub. Jede Nacht.

Lumbago: Super Idee. Der letzte Schrei. Erlebnisgastronomie mit Pfiff. Sie essen ja gar nicht Jonas. Hauen Sie doch rein. Die Chefin zahlt.

Jonas: Sie haben mich hierher bestellt, sagen Sie, worum es geht. Ich höre zu. Aber vorher drücken Sie auf den Knopf.

Lumbago: Sie meinen Ton weg, Kuppel undurchsichtig? Aber wieso denn, die Hungerleider sind doch gerade der Witz hier.

Krug: Tun Sie uns den Gefallen, Lumbago, stellen Sie das da draußen ab.

Jonas: Sie war Kassandra Krug: Albin Krugs einzige Tochter, die reichste Erbin in Babylon, vielleicht in ganz Europa, trotzdem tat sie mir leid, sie war so klein, einsdreißig - höchstens. Und ihre Augen hatten den gleichen traurigen Blick wie die Augen der armen Schweine hinter dem Plexiglas. Ihretwegen blieb ich, der Mann bei ihr war weniger mein Fall.

Jonas: Lumbago.

Lumbago: Ja, so heiße ich. Tayfun Lumbago, Dr. Lumbago, Dr. der äh...

Krug: Kunstgeschichte.

Jonas: Doktor.

Lumbago: Was dagegen?

Jonas: Genau so hab ich mir einen Doktor der Kunstgeschichte vorgestellt, zwei Meter im Quadrat, Nasenknick, Blumenkohlohren.

Lumbago: Nur kein Neid, Freundchen.

Krug: Dr. Lumbago betreut die Kunstsammlung meines Vaters. Deshalb ist er mitgekommen. Verstehen Sie?

Jonas: Kein Wort. Vielleicht fangen Sie mal an mir zu erklären was Sie von mir wollen.

Lumbago: Van Gogh. Schon mal gehört den Namen?

Jonas: Maler vor 100 Jahren. Nicht ganz dicht, hat sich was abgeschnitten, Ohr, richtig, krieg ich jetzt den Preis.

Krug: Mehr wissen Sie nicht?

Jonas: Wozu?

Krug: Nachtcafe, Jonas, sagt Ihnen das was?

Jonas: Ist das ne Kneipe? Kenn ich nicht.

Lumbago: Na wissen Sie Freundchen, mit ihrer Bildung sieht's eher mickrig aus.

Jonas: Im Gegenteil, Freundchen, meine Bildung ist gewaltig, und ich habe sie immer bei mir, in der Tasche. Bitte, mein Computer, spricht viel, weiß alles. Hast du zugehört, Sam.

Sam: Ja natür... haben wir Chef. Doch doch doch mit einem Öhrchen, na ja warum. Nicht gerade anregend das Gesülze.

Jonas: Van Gogh, Sammy, Nachtcafe, leg los, mach Eindruck, zeig den Herrschaften, was Bildung ist.

Sam: Aber immer, Meister, auf die Plätze fertig los, Piep. Vincent van Gogh, 1853 bis 1890, zu Lebzeiten ein bettelarmer, völlig erfolgloser, gänzlich unbekannter Maler, wurde nach seinem allzufrühen Tod anerkannt und gefeiert als einer der genialsten Künstler, welche je auf Erden wandelten. Bereits im 20. Jahrhundert erzielten seine Gemälde Rekorderlöse –heute sind sie so gut wie unerschwinglich.

Jonas: Das wußte sogar Jonas, und er wußte auch warum. Weil es kaum noch echte van Goghs gab, die meisten waren in den letzten Jahren draufgegangen, als Holland und Belgien überflutet wurden, als beim Erdbeben von Tokio die Großbanken mitsamt ihren Tresoren ins Meer rutschten, als im 2. amerikanischen Bürgerkrieg die Museen in Flammen aufgingen.

Sam: Nachtcafe ist der Titel eines Gemäldes, welches van Gogh im September 1888 zu Arles in Südfrankreich schuf.

Jonas: Ach so. Ein Bild ist das.

Sam: Was denn sonst du hirnamputierte Beutelmaus. Nachtcafe, vordem im Besitz der Yale University, wurde im Dezember 2012 von Albin Krug, dem bekannten babylonischen Multimillionär und Multimilliardär für seine Sammlung erworben, Kostenpunkt 500 Millionen Euros.

Jonas: Eine halbe Milliarde.

Sam: Ja.

Jonas: Für ein Bild.

Sam: Ja.

Krug: So ist es Jonas. Und jetzt hat mein Vater erklärt, daß er Nachtcafe mitnehmen will.

Jonas: Mitnehmen, wohin.

Lumbago: In die Hölle vermutlich. Verzeihung, Kassandra.

Krug: Schon gut, Lumbago. In den Sarg, ins Krematorium. Wenn er tot ist.

Lumbago: Und das wird nicht mehr lange dauern. Immerhin ist Albin Krug an die 120.

Krug: 121 Jahre und 4 Monate.

Jonas: Moment, ihr Vater will ein Bild für eine halbe Milliarde verbrennen. Warum?

Krug: So ist er, Jonas, wenn es ihn nicht mehr gibt, soll es auch Nachtcafe von van Gogh nicht mehr geben.

Lumbago: Ja, und darum haben wir Sie kommen lassen, Jonas.

Krug: Sie sollen verhindern, daß mein Vater seinen Plan ausführt.

Lumbago: Sie sollen Kassandras wichtigstes und wertvollstes Erbstück sichern und der Welt ein einmaliges Kunstwerk erhalten.

Jonas: Ich verstehe, Sie brauchen keinen Detektiv, Sie brauchen einen Dieb.

Lumbago: Jacke wie Hose Jonas.

Krug: Bitte, Jonas, retten Sie Nachtcafe, für mich.

Sam: Gut wir retten Nachtcafe.

Jonas: Sie sah mich an, schräg von unten, mit großen traurigen Augen. Deshalb blieb ich. Jonas war nicht in Form. Jonas hatte keinen Bock. Jonas wollte kein Detektiv mehr sein. Letzter, vorletzter, allerletzter. Egal. Jonas wollte was ganz anderes tun, was kreatives. Töpfern, Klavierspielen, Midlifecrisis nennt man so was. Und ein Bild klauen, das hat ja auch was kreatives. Irgendwie. Was künstlerisches.

Lumbago: Auf jeden Fall ist es eine ganz einfache Kiste Jonas. Sie gehen zu Krugs Haus, gleich nebenan, durch den bewachten Park, 10 Minuten zu Fuß. Sie gehen ins Haus, durchs Foyer und dann rechts in den Bildersaal, immer gerade aus, Nachtcafe hängt an der hinteren Wand, nicht zu verfehlen. Sie nehmen das Bild ab, klemmen es unter den Arm, kommen zurück.

Jonas: Nicht so schnell, Lumbago.

Lumbago: Dr. Lumbago.

Jonas: Wollen Sie mir erzählen, daß Haus und Bild überhaupt nicht gesichert sind?

Lumbago: Natürlich sind sie gesichert, und wie, aber das ist nicht Ihr Problem. Kassandra?

Krug: Hier, Jonas, eine Generalsupersicherheitsscheibe.

Lumbago: Damit legen Sie das komplette Schutzsystem im Hause Krug lahm.

Jonas: Kein Personal.

Lumbago: Die Menschen haben Ausgang, die Automaten schaltet ihre Schreibe ab.

Jonas: Und Albin Krug selbst.

Krug: Wird Sie nicht stören, Papi hält sich in seinem Spezialambiente auf, tief unter dem Haus.

Lumbago: Ja, Sie sehen Jonas, ein Kinderspiel. Mit dem Bild kommen Sie hier her zurück, dafür kriegen Sie 500 Euros.

Jonas: 500. Für ein Bild, das 1.000.000 mal soviel wert ist.

Lumbago: Na, sagen wir 1000, aber mehr ist nicht drin.

Krug: Pappi hält mich kurz.

Lumbago: Alles klar Jonas.

Jonas: Noch nicht ganz, wenn die Sache so leicht ist, wozu brauchen Sie mich. Warum klauen Sie Nachtcafe nicht einfach selbst.

Lumbago: Schwer von Begriff ist er auch noch. Albin Krug wird natürlich Kassandra verdächtigen.

Krug: Sie auch Lumbago.

Lumbago: Und darum brauchen wir ein Alibi. Wir sitzen hier in der Drittwelt, ganz gemütlich. Und derweil reißt sich ein Außenstehender das Bild unter den Nagel, einer den Krug nicht kennt. Der mit Kunst nichts am Hut hat und der sich dabei nicht allzu dämlich anstellt hoffentlich. Uhrenvergleich. Es ist jetzt

Sam: 22 Uhr 17 Minuten und 9 Sekunden. Piep.

Lumbago: Spätestens um 11 sind Sie wieder hier, Jonas. Mit Nachtcafe, eingewickelt natürlich, Decken und Packpapier finden Sie im Bildersaal auf dem Tisch rechts von der Tür.

Krug: Viel Glück Jonas. Wir sehen uns.

Sam: Tschüß.

Jonas: Jonas war schon oft danebengewesen, aber noch nie so daneben wie an diesem 2. Juli 2013. Midlifecrisis wie gesagt und große Zwergenaugen. Wie auch immer, Jonas ging klauen. Krugs Haus war kein Haus, eine Residenz, eine Palast, eine gigantische Schatzkammer, gesichert und bewacht von allem was gut und teuer war. Schleusen und Scanner jeder Art, Robodogs und Robokiller, Monitore, Fallen, Alarmanlagen, aber damit hatte Jonas keine Probleme. Jonas war unsichtbar, seine Superscheibe bahnte ihm den Weg durch die Dornenhecke ins Dornröschenschloß. In den Bildersaal, was heißt Bildersaal, ins Museum. Überall gerahmte Kunst, groß, klein, bunt, einfarbig. Soweit so gut. Wo war Nachtcafe?

Sam: Sperr die Schweinslitzen auf Genosse, hier, direkt vor dero hochwürdigstem Riechorgan.

Jonas: Das Bild da, das kleine Ding?

Sam: Ja, 70 mal 90 cm. Klein, aber oho. Wie Miß Kassandra die Krügin.

Jonas: Na, weißt du, Sammy. Giftgrün, Blutrot, Eitergelb, und mittendrin ein schiefer Billardtisch. Also mir gefällt's nicht.

Sam: Och, wer fragt dich denn, du Banause, merke 500 Milliarden Euros können nicht irren.

Jonas: Bißchen Ästhetik hätte ich dir einprogrammieren sollen.

Sam: Nachtcafe ist eines der häßlichsten Bilder, die ich geschaffen habe, sagte Vincent van Gogh, der Meister höchstpersönlich.

Jonas: Ja, der sollte es wissen.

Sam: Und ferner sprach er: Ich habe versucht, die finsteren Nächte in einer gemeinen Kneipe darzustellen, und das in einer Atmosphäre fahl und schweflig wie ein Höllenofen.

Jonas: Interessanter Aspekt, Sammy.

Sam: Also so geht’s nicht, Chef, sind wir hier, um das Bild zu betrachten, zu interpretieren, kritisch zu werten? Hä? Mitnichten, geklaut soll es werden das Bild, also dann mal los, du Schnarchsack, bißchen plötzlich.

Jonas: 10 Minuten später war ich draußen. Auf der Straße. Unter dem Arm ein flaches Paket, rechteckig, 70 mal 90, in einer Decke, im Bauch ein ungutes Gefühl. Und in der Tasche ein Computer, dem die Geschichte auch nicht gefiel. Und der das sagte, laut und deutlich.

Sam: Da kommt eine Zwergin mit einem merkwürdigen Doktor der Kunstgeschichte und einer noch merkwürdigeren Story, und was tut mein Meister, er geht hin und klaut einen van Gogh. Wahnsinn!

Jonas: Für einen guten Zweck, Sammy.

Sam: Ach ja, also wenn du das glaubst, du Knallfrosch, dann muß dir einer ins Hirn genotdurftet haben. Was, genotdurftet, ach was geschissen.

Jonas: Vorsicht Sam, du weißt, man kann dich abschalten.

Sam: Apropos abschalten. Die Sicherheitssysteme im Hause Krug

Jonas: Waren abgeschaltet durch meine Superscheibe. Oder nicht.

Sam: Doch doch doch doch, irgendwie schon. Einerseits.

Jonas: Was heißt das?

Sam: Naja, schwer zu erklären, euer Unempfänglichkeit, da war noch mehr hinter dem Sicherheitssystemen, verdeckt, verborgen, Elektronik zu Hauf.

Jonas: Bist du sicher Sam.

Sam: Mein Gott Jupiter Merkur, was was ich, was heißt sicher, ist eher eine Art schleichende Ahnung, ungewiß oder unabweisbar, ein Gefühl.

Jonas: Du hast keine Gefühle, Sammy.

Sam: Was kein Gefühl.

Jonas: OK. Was schlägst du vor.

Sam: Folgendes Herr Kollege, Bevor uns nicht gewisse Aufklärung über Grund, Sinn und Zweck der Affäre Nachtcafe zu teil wird, liefern wir das Gemälde nicht ab. Wir halten es zurück, verstecken es, als Pfand, na ja non capito, als Sicherheit.

Jonas: Keine schlechte Idee, und Jonas wußte auch wo er das Bild unterstellen konnte: Bei Joana, einer alten Freundin, Besitzerin der kleinen Kunstgalerie Picassos Pinsel in der Palmettostraße, nicht weit, nur um die Ecke. Joana ist eine tüchtige Geschäftsfrau, die Galerie war noch auf. Abends kurz vor 11. Tja, wir Freiberufler, immer im Dienst.

Joana: Sieh mal wer da kommt, Jonas, Jonas der letzte Detektiv. Welch seltene Ehre, Tusch Herr Kapellmeister.

Sam: Tätätätä, Jonas und Sam. Der Treueste der Treuen, wie sprichwortet doch das Volk. Je später der Abend.

Joana: Halt den Rand Sammy. Gerade wollt ich abschließen und ins Bett gehen, allein, aber jetzt.

Jonas: Laß dich nicht aufhalten Joana, ich muß gleich weiter. Kannst du das hier für mich aufheben.

Joana: Ein Bild? Seit wann interessierst du dich für Kunst, Jonas?

Jonas: Laß es eingewickelt, tu es in deinen Tresor, morgen hol ich es wieder ab.

Joana: Was ist los Jonas, worum geht's? Ein Fall.

Jonas: Keine Zeit, Joana, morgen, und was ich noch sagen wollte, danke.

Jonas: Punkt 11 kam ich in der Drittwelt an. Wie besprochen, aber Kassandra Krug und Lumbago waren nicht da.

Kellner: Die Herrschaften lassen sich entschuldigen, eine unvorhergesehene Abhaltung. Sie werden sich in wenigen Minuten einfinden. Sie, Herr...

Jonas: Jonas.

Kellner: Ach ja, ganz recht, Sie werden ersucht zu warten, Herr Jonas, hier an der Bar, wenn’s beliebt.

Jonas: Es beliebte. Auch wenn Jonas leicht säuerlich war. Wozu hatte ich mich so beeilt. Egal. Ich saß an der Bar, weit ab von den heulenden Drittweltlern, trank mit Andacht einen echten Single Malt Whisky und wartete. Ein paar Minuten vergingen, dann machte es puff, in meiner Jackentasche, ich faßte rein, nichts drin, auch nicht Kassandra Krugs Superscheibe, die eben noch dringewesen war. Anscheinend ein Autodestruktions- und Evapourationsmechanismus, schweres Wort, hab ich von Sam. Als ich gerade anfing, mich zu wundern, piekte mich plötzlich ein Zeigefinger ins Kreuz, ein amtlicher Zeigefinger. Und eine amtliche Stimme flüstere mir was ins Ohr.

Brock: Sie sind festgenommen Jonas.

Jonas: Chefinspektor Brock, warum flüstern Sie, haben Sie ihre Dienstmarke verschluckt?

Brock: Rücksicht ist das, weil wir in der Drittwelt sind, und weil hier der Polizeipräsident verkehrt, die Bürgermeisterin, Milliardäre, Industriekapitäne und -innen, bessere Leute, die wollen das exotische Ambiente in Ruhe genießen und sich beim Speisen nicht durch polizeiliche Maßnahmen stören lassen.

Jonas: Was für polizeiliche Maßnahmen, Bröckchen?

Brock: Sie sind festgenommen, Jonas.

Jonas: Ach was. Warum.

Brock: Das erfahren Sie auf dem Revier. Kommen Sie jetzt mit.

Jonas: Ich denke nicht daran. Den Grund der Festnahme müssen Sie mir sofort sagen und dann müssen Sie Ihren Spruch ableiern. Alles was Sie aussagen kann vor Gericht usw. Ist Gesetz.

Brock: Können Sie haben, Jonas, ich pfeife, meine Leute kommen rein, wir nehmen Sie fest, mit allen Schikanen, wie es im Gesetzbuch steht.

Jonas: Das wird dem Herrn Polizeipräsidenten gar nicht gefallen.

Brock: Ihren aber auch nicht, Jonas. Es könne nämlich passieren, daß Sie dabei unter Umständen ein kleines bißchen beschädigt werden. Aber ganz wie Sie wollen. Soll ich pfeifen?

Jonas: Säuseln Sie lieber weiter, Bröckchen, das ist zwar auch nicht schön, aber ausgesprochen selten.

Brock: Gut so. Stehen Sie auf, langsam, unauffällig. Gehen Sie voraus.

Jonas: Auf dem Revier gab's keine besseren Leute, wir waren unter uns. Unter uns normalen, sofern man Bullen und private Schnüffler aus Normal bezeichnen kann. Chefinspektor Brock war wieder der alte, laut ruppig, harte Schale, und nicht ganz so harter Kern, womöglich, jedenfalls spendierte er mir einen Sojakaff. Und dann sagte er mir, warum ich festgenommen war.

Brock: Diebstahl in Verbindung mit Einbruch. Sie haben ein Gemälde aus Albin Krugs Sammlung gestohlen, Wert eine halbe Milliarde. Die Beweislage ist eindeutig. Beim Begehen der Straftat wurden Sie holografisch erfaßt und aufgenommen.

Jonas: Das also waren Sammy elektronische Ahnungen.

Brock: Bestreiten Sie das Ihnen zur Last gelegte Verbrechen, Jonas.

Jonas: Ja, das heißt nein, sagen wir nicht direkt. Ich kann alles erklären, das heißt Kassandra Krug kann, Albins Tochter, fragen Sie sie Brock.

Brock: Nicht nötig, Kassandra Krug hat Sie angezeigt Jonas und uns das Holoband vorgelegt.

Jonas: Das ist doch nicht wahr.

Brock: Rufen Sie sie an. Sie wissen ja: einen Anruf haben Sie. Das ist Gesetz.

Jonas: Das Bild, das ich, ich meine um das es geht, ist das versichert.

Brock: Klar.

Jonas: Bei wem?

Brock: Moment, steht alles im Protokoll. Hier. Vereinigte Kosmos.

Jonas: Kenn ich. Fall Supernova. OK Brock, machen Sie mir eine Fonverbindung.

Brock: Mit Kassandra Krug?

Jonas: Nein, mit der Versicherung. Jonas war dabei wieder Dampf aufzunehmen. Agieren, nicht reagieren hieß die Parole. Der Vereinigten Kosmos schlug ich ein Geschäft vor, ich bot an, Nachtcafe zurückzugeben, morgen, wenn ich sofort aus der Haft entlassen würde, vorläufig, gegen Kaution. Jonas mußte raus. So schnell wie möglich, um festzustellen, was gespielt wurde, von wem und warum. Gegen zwei Uhr nachts war ich draußen und machte mich sofort auf den Weg zur Palmettostraße. Da wartete die nächste Überraschung auf Jonas, ungewöhnliche Aktivität. Feuerwehrsirenen, Leitern, Schläuche, rote Glut, schwarze Trümmer. Die Galerie Picassos Pinsel war ausgebrannt, Joana stand vor den Resten. Sie schrie nicht, sie raufte sich nicht die Haare. Sie war sauer. Auf Jonas.

Joana: Willkommen großer Detektiv, willkommen zum festlichen Feuerzauber. Sieh es dir an, Jonas, siehs dir ganz genau an. Das wirst du mir alles ersetzen. Meine Galerie, meine Wohnung, meine Objekte, meine Bilder. Alles.

Jonas: Ich. Wieso ich.

Joana: Weil du mir vorhin dieses Bild gebracht hast, Jonas, deshalb.

Jonas: Versteh ich nicht.

Joana: Das Bild ist explodiert mit einer Stichflamme, die hat die Wandbehänge in Brand gesetzt, usw. s' ging ganz schnell.

Jonas: Explodiert. Wann.

Joana: Genau um 11. Hatte es abgestellt, wollte gerade den Tresor aufschließen.

Jonas: Punkt elf. Ein Autodistrukt mit Zeitschaltung. Wie der bei Scheibe. Mein Gott das Bild, Joana, was ist mit Nachtcafe.

Joana: Was soll sein. Explodiert. Verbrannt. Hinüber.

Jonas: Verbrannt. Ein echter van Gogh. 500 Millionen Euros.

Joana: Unsinn. Eine Kopie, gutgemacht, aber doch nur eine Kopie. Nicht mehr wert als 100 Euros.

Jonas: Bist du sicher.

Joana: Ich hab's mir angekuckt dein Bild. Ausgewickelt und angekuckt. Wollt doch wissen, was Jonas bei mir abstellt. Van Goghs Nachtcafe. Kopie in Originalgröße.

Jonas: Eine billige Kopie. Ich hab ne Kopie geklaut. Joana ich brauch dich. Komm mit.

Joana: Darauf kannst du dich verlassen Jonas, daß ich mitkomme und dich nicht aus den Augen lasse. Nicht weil ich dich brauche. Ich brauch ein Bett und Schadensersatz. Rat und Hilfe sowieso.

Jonas: Auch Jonas brauchte Rat und Hilfe. Es war höchste Zeit für eine Konferenz. Eine Stunde saßen wir in meinem Büroapartment zusammen. Joana, Jonas und Sam natürlich. Nur daß der nicht saß sondern lag. Auf dem Schreibtisch, was seinen Redefluß keineswegs einschränkte. Im Gegenteil.

Sam: Im Namen der Logik, des Intellekts und des heiligen Geistes, lasset uns rekapitulieren liebwerte Gemeinde.

Joana: Von mir aus.

Jonas: Nur zu, Sammy. Erstens.

Sam: Niemals. Punktum Römisch I. Fraktur.

Jonas: Ist uns auch recht, was Joana.

Sam: Römisch I. Alldieweil Sintimalen und was maßen unserem hochwertgeschätzten Anbefohlen namens Jonas nur Jonas zubenamset der letzte Detektiv von Seiten einer gewissen Kassandra Krug die Aufgabe zu teil wart, ein ölfarbbedecktes Stück Leinewand vulgo Nachtcafe aus ihres Herrn Vaters hochkünstlerischer Sammlung heimlichst zu entfernen, äh entfernen, sintinmalen zu entfernen, sinti... wo war

Jonas: Na Sammy, verhaspelt, weißt du nicht weiter.

Sam: Piep. Zwo. Jonas klaut Bild, wird dabei ohne sein Wissen elektronisch beobachtet, und aufgezeichnet. Drei Kassandra Krug zeigt Jonas wegen Diebstahls an. Vier. Supersicherheitsscheibe wird durch Selbstzerstörungsmechanismus vernichtet.

Jonas: Und damit verliere ich meinen einzigen Beweis, daß ich für Kassandra Krug gearbeitet habe.

Sam: Bitte den Vortragenden nicht zu unterbrechen. Fünf. Vernichtet wird gleichermaßen das gestohlene Bild, welches sich zu allem Überfluß Punkt sechs als Kopie erweist.

Jonas: Erwies, Sammy, erwies.

Sam: Bzw. bewies. In dem das

Jonas: Alldieweil und sintimalen.

Sam: In dem das Alldieweil und sintimalen Punkt sieben besagtes Bild nicht mehr existiert ebenfalls dank eines Autodistruktmechanismus, durch welches Faktum dem Paktum des p.p. Jonas der Versicherungsgesellschaft zur Gänze die Basis entzogen wurde. Fuu äh Korrektur Uff.

Jonas: Das heißt Jonas muß in den Knast. Punkt 8.

Sam: Fazit Jonas nur Jonas der letzte Detektiv belieben sich in einer keinesfalls als beneidenswert zu bezeichnenden Situation zu befinden.

Jonas: Vulgo in der Scheiße. Bis zum Hals.

Joana: Und ich. Geht's mir etwa gut?

Sam: Irrelefant meine Gnädigste. Denn merke: Sam ist ein persönlicher Computer. Sams Person ist Jonas. Zufällig zugelaufene Wesen weiblichen Geschlechts gehören nicht in Sams Aufgabeparameter.

Joana: Blas dich nicht so auf du eifersüchtige Blechbüchse.

Sam: Unsachliche Unterstellungen großmütig ignorierend, kommen wir nunmehr zum Schluß, liebwerte Gemeinde, wieder einmal ist Jonas, nur Jonas der letzte Detektiv Objekt und Opfer in einem üblen Spiels, welches mit ihm getrieben wird.

Jonas: Scheiß spiel.

Sam: Ja.

Jonas: Getrieben von wem. Wer steckt dahinter.

Sam: Ach armer Jonas, die alte alte Frage und ist doch ewig neu.

Jonas: Is ja gut Sammy, und deine Antwort.

Sam: Unzureichende Daten, o Wiederstein der Weltaltswonnen.

Jonas: Die alte alte Antwort also.

Joana: Kassandra Krug, wer denn sonst.

Jonas: Vielleicht auch dieser Dr. Lumbago, der Leiter von Albin Krugs Sammlung.

Joana: Augenblick, Jonas, was soll dieser Dr. Dingsbums sein.

Jonas: Lumbago, Leiter von Krugs Kunstsammlung.

Joana: Nie im Leben. Der Leiter ist Professor Asmus, ich kenn ihn persönlich.

Jonas: Wie sieht er aus.

Joana: Ein alter Herr, klein, zierlich, trägt nur schwarz, drückt sich sehr gewählt aus.

Sam: Hm, hört sich ganz und gar nicht an wie unser Freund Tayfun Lumbago. Was Chef.

Joana: Ein interessanter Mann, Asmus mein ich, früher mal vor 30, 40 Jahren recht bekannter Maler, Pseudoexpressionist, Neoabstracter, Fotorealist.

Jonas: Hast du seine Fonnummer, Joana.

Joana: Moment.

Joana: In meinem Computer.

Sam: Was, anderer Computer? Nein, Sammy eifersüchtig, nicht anderer Computer.

Jonas: Prof. Asmus ging nicht ans Fon, aber Joana hatte seine Adresse. Racivilweg, Südbabylon, das alte Künstlerviertel, eine Dachwohnung, fast ein Penthouse, unproblematisches Türschloß, dahinter ein riesengroßer Raum, Schlaf- und Wohnzimmer plus Atelier, ein überdimensionales Fenster, Nordlicht, zwischen Bett und Staffelei ein hochkünstlerisches Chaos. Zeichencomputer, Pinsel und Farben, auf einem echten alten Holztisch vollgekritzelte Blätter, über- und durcheinander.

Joana: Skizzen, Entwürfe, Studien, und alle zu einem Thema, zu einem Bild.

Jonas: Sag's nicht, Joana, laß mich raten, blutrot eitergelb giftgrün, Billardtisch, Nachtcafe. Van Gogh.

Joana: Kopie von Prof. Asmus.

Jonas: Das heißt, die Kopie, die Jonas im Hause Krug gestohlen und dann dir übergeben hat Joana.

Joana: Und die bei mir in die Luft geflogen ist, mitsamt der ganzen Galerie.

Jonas: Diese Kopie hat Asmus produziert, Professor Asmus, Maler und Leiter von Krugs Kunstsammlung.

Joana: Das gibt doch keinen Sinn, Jonas, außer, Moment, außer Asmus ist der große Unbekannte, der Drahtzieher im Hintergrund.

Jonas: Nein, Joana, das ist er nicht.

Joana: Wieso nicht?

Jonas: Asmus trägt immer schwarz, hast du gesagt.

Joana: Ja, warum?

Jonas: Darum. Unter dem Bett sah ein Fuß hervor, in schwarzem Schuh und schwarzer Socke. Ich faßte zu und zog. Zum Vorschein kam ein kleiner alter Mann in schwarz. Ein toter Mann. Mit verdrehtem Kopf und gebrochenem Genick. Noch warm.

Joana: Professor Asmus, das ist er.

Jonas: Das war er. Jemand hat ihn umgebracht.

Joana: Der Unbekannte, der Drahtzieher.

Jonas: Sieht so aus.

Joana: Drahtzieherin Kassandra Krug.

Jonas: Ich weiß nicht, Joana. Irgendwie traue ich ihr sowas nicht zu.

Sam: Jaja, strenger Vater, kleine Tochter, große Augen. Armes Kind. Ein Sentimentalinski ist mein Jonas. Hört das Fon ihr läuten, was hat's denn zu bedeuten?

Jonas: Blöde Frage, Sammy, irgendwer ruft bei Asmus an.

Joana: Wer kann das sein, Jonas?

Jonas: Werden wir gleich hören. Hallo?

Krug: Das wurde auch Zeit. Meine Tochter, schnell.

Jonas: Hier ist das Atelier von Professor Asmus.

Krug: Weiß ich. Ich bin Albin Krug. Persönlich. Ich warte nicht gern. Geben Sie mir meine Tochter. Wer immer Sie sind, ich weiß daß sie da ist.

Jonas: Ich zittere Herr Krug vor Angst und Ehrerbietung, aber Kassandra ist momentan unanwesend, leider, ich hätte sie auch gern gesprochen.

Krug: Das können Sie haben, Jonas, hier bin ich. Legen Sie das Fon hin, heben Sie die Arme und drehen Sie sich zum Fenster, langsam. Ein Laserstrahler schießt auch durch Glas, und wir haben drei.

Jonas: Sie waren auf dem Dach hinter dem Atelierfenster. Kassandra die bedauernswerte Kleine, immer noch klein, aber nicht mehr bedauernswert. Neben ihr Lumbago, und neben Lumbago sein Ebenbild, genauso groß, genauso breit, genauso häßlich. Der Fall wurde immer undurchsichtiger. Eins war allerdings klar. Die drei am Fenster hatten schußbereite Laser, und damit hatten sie uns. Im Sack. Um ihn zuzumachen, stiegen sie durch den offenen Flügel, das heißt Kassandra und Lumbago stiegen, das Ebenbild krachte voll durch die Scheibe.

Lumbago: Doch nicht so, Atlas.

Atlas: Hu, Fenster putt.

Lumbago: Da siehst du. Und deine Hand.

Atlas: Blut. Aua.

Lumbago: Lecks ab. Mein Bruder Atlas ist ein bißchen impulsiv, Jonas.

Jonas: So ihr Bruder, Lumbago, auch Doktor? Der Philosophie oder der Metaphysik?

Lumbago: Unter uns, Jonas, mein Bruder Atlas ist möglicherweise nicht ganz so intelligent wie ich, aber er hat seine Qualitäten. Was Atlas?

Atlas: Die da, totmachen?

Jonas: Tayfun und Atlas, die zwei Lumbagos, eine echte Clownnummer, ausgefuchst, eingespielt, und richtig komisch, schade daß Jonas so gar nicht darüber lachen konnte, die arme Joana auch nicht.

Atlas: Totmachen, ja, bitte, bitte, totmachen.

Krug: Halten Sie ihn noch einen Augenblick an der Leine Lumbago. Hallo Papi, Kassi hier, Asmus? Erledigt, Papilein, abgehackt. Wie besprochen. Auf deine Kassi kannst du doch verlassen, das weißt du doch. Eben am Fon? Das war Jonas, der Detektiv, genau, der Trottel, der die Kopie gestohlen hat, Atlas wird sich gleich um ihn kümmern. Was? Aber Papischatz wozu denn das hält doch nur auf, ja, na gut, Papilein, ganz wie du willst, wir sind gleich bei dir. Küßchen Papi.

Lumbago: Alles klar Kassandra.

Atlas: Jetzt totmachen ja?

Krug: Tut mir leid, Atlas.

Atlas: Nix totmachen?

Krug: Nix totmachen Atlas, Pappi will das nicht.

Lumbago: Er hat sich doch so darauf gefreut, ich versteh das nicht, Kassandra, es war doch abgemacht, daß Jonas über die Wupper geht.

Krug: Und dabei bleibt's auch, Lumbago, nur daß Papi die Sache selbst in die Hand nehmen wird. Sie kennen ihn doch, er ist Romantiker, Genußmensch. Mit Jonas will er sich ein Fest machen. Zuhause. In aller Ruhe.

Lumbago: Also ex und hopp auf die schnelle wär mir lieber Kassandra.

Krug: Mir auch, Lumbago, mir auch, aber Papis Wille geschehe. Kommen Sie Jonas, und Sie auch Herzchen. Ich weiß nicht wer Sie sind.

Joana: Joana ist mein Name.

Krug: Ich will's auch gar nicht wissen, mitgefangen, mitgehangen. Los.

Jonas: Auf dem Dach, hinter einem dicken Schornstein, wartete ein Minihelikopter. Mit Platz für zwei. Tayfun Lumbago steuerte, Atlas nahm Kassandra auf den Schoß. Joana und Jonas banden sie außen an. Ein dröhnender atemberaubender Luftsprung zum Dach des Hauses Krug. Da stiegen wir um in einen Lift, abwärts in den Keller und weiter abwärts, noch ein gutes Stück, schließlich Endstation. Alles aussteigen. Es war kalt. Sehr kalt. Arktisch kalt. Und arktisch sah er auch aus, der große Raum tief unter dem Haus. Boden und Wände klinisch weiß gefliest und kahl, in der Mitte ein Bett, darauf eine zerknüllte weiße Decke, davor eine große Konsole, halbrund, voll mit Schaltern, Tasten, Bildschirmen, Signalleuchten. An der rechten Wand, in einem abgedichtetem Plexikasten, ein buntes Bild.

Joana: Nachtcafe, das Original!

Krug: Selbstverständlich das Original. Ein echter van Gogh, meine Herrschaften. 500 Millionen Euros.

Jonas: Ein Ofen wäre mir lieber, ich... ich glaube ich habe noch nie in meinem Leben so gefroren wie jetzt.

Sam: Irrtum, Meister, denke zurücke, November 2011 vor anderthalb Jahren, Fall Schneewittchen, der Kühlraum im Hafenspeicher, ja, da ist's auch kalt gwen.

Jonas: Weißt du, Sammy, der alte Philip Marlowe hatte es besser, er mußte nie in die Kälte.

Sam: Aber ins Treibhaus, du Frostbeule.

Jonas: Kein Vergleich, Sam, kein Vergleich.

Krug: Sie frieren, Herr Jonas, das tut mir leid. Ich bin Ihnen entgegengekommen, auf Minus 30 Grad, die normale Temperatur hier beträgt Minus 70 Grad.

Sam: Ei höllisch.

Jonas: Was da sprach, war die Decke auf dem Bett. Keine Decke, ein Mensch, ein Mann, klein, uralt, faltig, verschrumpelt und schneeweiß. Haar, Bart, Haut, Kleidung, alles weiß. Albin Krug, am Leben gehalten durch das Wunder der Kryonik, extreme Kälte verlangsamte und schonte die Funktionen seines verbrauchten Körpers.

Krug: Ein guter Rat, Herr Jonas, halten Sie sich kühl, dann werden Sie alt, 120 Jahre und älter.

Jonas: Sie erinnern mich an die gleichnamige Champagnermarke, Herr Krug, vor Gebrauch gut kühlen.

Krug: Witzig. Fesseln, ihn und die Frau.

Auch knebeln, Boß?

Krug: Nicht doch, sie sollen sich ausdrücken können. Bitten, betteln, schreien, um Hilfe, vor Angst, vor Schmerzen. O, nur fesseln.

Jonas: Das klang nicht gut. Joana und Jonas wurden verschnürt, mit Biofesseln, die speziell auf große Kälte eingestellt waren. Das verriet uns Albin Krug, und dann verriet er uns die Hintergründe im Fall Nachtcafe.

Krug: Wissen Sie, etwas großes zu tun, reicht nicht, man muß es auch kund tun. Sie Herr Jonas und ihre Freundin sind ein ideales Publikum.

Jonas: Klar, wir können nicht gehen wenn es langweilig wird.

Krug: Aus zwei Gründen. Sie haben in der Affäre mitgewirkt, in nicht unwichtigen Funktionen, und Sie werden das, was Sie erfahren, nicht weitergeben können.

Krug: Papiliebling, beeil dich ein bißchen, du weißt, die hohe Temperatur tut dir nicht gut.

Krug: Sorg um deinen Papi, wie immer Kassi mein Herz, damit es schneller geht, du mir ab und zu helfen.

Krug: O wie gern Papilein.

Krug: Gut. Ich beginne. Als ich vor nicht allzulanger Zeit bekannt gab, ich wolle meinen kostbaren van Gogh ins Grab mitnehmen, in einem vorübergehenden Anfall von

Krug: Von Morbidität, da gab's in der sogenannten Kulturszene ein großes Gezeter.

Krug: Da war schön, das hat Spaß gemacht.

Krug: Aber das war nicht genug. Papi Liebling fiel was besseres ein. Nachtcafe stehlen lassen und doch behalten, die Versicherung übers Ohr hauen.

Jonas: OK, Herr Krug, aber wozu, bei Ihrem Vermögen kann doch eine halbe Milliarde keine große Rolle spielen.

Krug: Das Geld interessiert mich nicht, Herr Jonas.

Jonas: Sondern?

Krug: Noch niemals Herr Jonas hatte ich ein Verbrechen begangen.

Jonas: Ach wirklich, Sie Albin Krug, Multimilliardär und Wirtschaftskapitän.

Krug: Mein Gott, Wirtschaftsvergehen, Geschäftsusancen, am Rande der Legalität, das...

Krug: Das zählt nicht. Papilein meint richtige Verbrechen, Kapitalverbrechen.

Krug: Betrug, Diebstahl, Mord, eine neue Herausforderung, Herr Jonas, neue Erfahrungen, ganz neuer Spaß. Natürlich brauchte ich Unterstützung durch Kassi, die späte Frucht meiner Lenden und von einem gekauften Ei, nicht groß aber effektiv.

Krug: Ich tu alles für dich Papilein.

Krug: Und die beiden Lumbagos fürs Grobe. Ich machte einen Plan, und wir suchten einen...

Krug: Einen Dummen. Jonas, einen Dieb und Sündenbock, einigermaßen brauchbar mußte er sein, ehrlich, ein bißchen sentimental, nicht sehr klug, und wir fanden...

Jonas: Jonas. Jonas, den letzten Detektiv.

Krug: Eine geradezu ideale Besetzung. Asmus wurde beauftragt, eine Kopie von Nachtcafe anzufertigen, und diese Kopie haben Sie brav gestohlen, Herr Jonas.

Krug: In ihr befand sich ein Autodestrukt, eingestellt auf 11 Uhr. Die gestohlene Kopie verschwand für immer, der überführte Dieb wurde verhaftet, die Versicherung muß zahlen.

Jonas: Und damit Asmus keine Schwierigkeiten macht, hat Kassi ihn kurzerhand umgebracht.

Krug: Also genaugenommen war's Atlas.

Atlas: Totgemacht. Hals umgedreht.

Krug: Brav, Altlas, Guter Mann.

Jonas: Mord, Versicherungsbetrug in 3stelliger Millionenhöhe, Anstiftung zu Einbruch und Diebstahl. Eine runde Sache, Herr Krug, wie fühlt man sich so als Schwerverbrecher? Zufrieden?

Krug: Noch nicht, Herr Jonas, noch fehlt der Höhepunkt in Albin Krugs krimineller Karriere. Albin Krug wird einen Mord begehen, persönlich.

Krug: Zwei Morde, Papischatz.

Einen Doppelmord. Eigenhändig. Langsam. Mit Genuß. Mit Hingabe und Raffinesse.

Atlas: Ja, Boß, totmachen.

Krug: Kann ich solange rausgehen Papilein?

Jonas: Zart besaitet, Kassandra.

Krug: Unsinn, mir ist kalt.

Lumbago: Mir auch.

Krug: Atlas solltest du hierbehalten, Papi, als Leibwächter und Handlanger falls du einen brauchst.

Jonas: Kassandra und Lumbago gingen sich aufwärmen, Atlas blieb bei Krug. Der mußte offenbar eine kurze Pause einlegen. Jedenfalls war es ein paar Minuten still im Raum, zu hören war nur das leise Summen der Kühlaggregate hinter den Wänden. Das brachte Jonas auf einen Gedanken. Sam, in meiner Brusttasche, ich ließ den Kopf sinken und nahm Kontakt auf. So leise wie möglich.

Sam: Alles vernommen, Meister. Leb wohl, leb wohl auf ewig, Sammy wird um dich trauern und dir Blumen ans Grab bringen.

Jonas: Blumen gibt's schon lange nicht mehr, Sam.

Sam: Ne?

Jonas: Und mit der Trauer wartest du besser, bis Jonas wirklich im...

Sam: Ist gut.

Joana: Das wirst du bald Jonas und ich dazu wenn dir nicht schnellstens was einfällt.

Jonas: Mir, ich bin nur ein kleiner Privatdetektiv, Joana, ein nützlicher Idiot, nicht sehr klug, hast du ja gehört, für Einfälle ist Sam zuständig. Sam ist der Computer, der Rechner, der Denker, na los, Sammy, denk uns hier raus.

Sam: Ist viel zu kalt, Meister, viel zu kalt. Viel zu kalt. Ist aus Kiß me Kalt, kennst du.

Jonas: Dann muß ich dir wohl ein bißchen auf die Sprünge helfen, Sammy, das Summen, hör doch mal.

Sam: Na und? Kälteaggregate. Um Albin Krug schön kühl zu halten, damit er nicht verdirbt, gleich hinter der Wand.

Jonas: Elektronisch gesteuert?

Sam: Na ja was denn sonst? Aha, Ach so. Ja so.

Jonas: Sam hatte kapiert und machte sich an die Arbeit. Als Maulwurf im Steuersystem von Krugs Kühlanlage. Es dauerte ein bißchen, ein paar Sicherungen gibt es, die kann nicht mal Sam auf die Schnelle knacken. Aber dann war er durch. Langsam, ganz langsam stieg die Temperatur, wurden die Aggregate lauter. Albin Krug merkte nichts. Er suhlte sich voller Wonne in Killerphantasien.

Krug: Wie soll ich sie töten, welche Todesart verspricht höchsten Genuß?

Jonas: Das ist die Frage, wie ein gewisser Hamlet mal gesagt hat.

Krug: Soll ich die Raumtemperatur allmählich zurückdrehen, und beobachten, wie sie ganz langsam erfrieren, nein, das ist zu einfach, zu wenig raffiniert.

Jonas: Phantasielos.

Krug: Unser guter Atlas könnte ihnen die Haut in Streifen vom Leib schneiden.

Atlas: O ja Boss, totmachen, Haut abziehen.

Krug: Ich weiß nicht. Ach, meine lieben kleinen Autodistruktbömbchen, immer zur Hand auf meiner Konsole. Wie wär's denn damit. Atlas drückt ihnen die Nase zu uns zwingt sie so einen niedlichen Knallfrosch herunterzuschlucken. Oder wir führen ihnen ein paar Ladungen in andere sehr viel empfindlichere Körperöffnungen ein.

Joana: Nein.

Krug: Auf welchen Zeitpunkt ich die Bomben eingestellt habe, das wird nicht verraten, das bleibt mein kleines Geheimnis, schwitzen werden sie vor Angst, sich bemachen, winseln, heulen, zähneklappern, und plötzlich werde ich sagen, in einer Minute explodiert ihr Magen, ihr Darm, was immer, aber vielleicht ist es gar nicht wahr, ein wunderbares Spiel, tausend Tode werden sie sterben, zehntausend, hunderttausend.

Atlas: Oh, heiß Boß, Atlas muß schwitzen.

Jonas: Recht hatte er. Die Temperatur war in tropische Höhen geklettert. Genau das richtige Ambiente für einen Gorilla, aber nicht für einen überalterten eiskalten Greis.

Krug: Was, was ist das? Hilfe! Ich sterbe. Ich schmelze. Ich löse mich auf. Oh...

Atlas: Boss? Boss tot, Boß tot.

Jonas: Die Hitze schmolz unsere Biofesseln, und auch Albin Krug war dahingeschmolzen. Vor unseren Augen hatte er sich aufgelöst. In Zeitraffer, bei lebendigem Leibes verwest. Jetzt war von ihm nichts mehr übrig als eine schmutzig-graue Pfütze auf dem Bett, eine dicke Blase stieg an die Oberfläche und zerplatzte. Es roch nicht gut. Atlas glotzte, er zitterte und war so verstört, daß Jonas ihm problemlos den Laser aus der Hand nehmen und über den Scheitel ziehen konnte.

Sam: Das wär's Leute, hochverpupptes Ehrlichkeit, liebe Kinder, ja, ist das nicht ganz exquisit gelaufen? Hm? O welche Wonne wie Eis an der Sonne schmolz er dahin. Jetzt ist er ne Pfütze, zu nichts mehr nütze, das war der Sinn.

Jonas: Der Krug geht so lange zu Wasser bis er schmilzt.

Joana: Schrecklich. Ich will raus.

Jonas: Zu. Abgeschlossen. Von außen. Elektronisch, Sammy?

Sam: Ach was. Mechanisch, Uraltmodisches Türschloß. Mit sowas gibt sich unser eins gar nicht erst ab.

Joana: Du hast doch den Laserstrahler, Jonas.

Jonas: Mit dem Laser krieg ich die Tür nicht auf.

Joana: Und mit einem Autodistrukt.

Jonas: Das ginge. Und was machen wir, wenn die Tür auf ist.

Sam: Shot out, Partner. Raus mit dem Laser.

Jonas: Ein einzelner Jonas gegen Kassi und Lumbago, riskant.

Joana: Vielleicht sollten wir verhandeln.

Jonas: Vielleicht. Kassandra Krug macht einen ganz vernünftigen Eindruck. Na bitte. Hallo?

Krug: Bist du das Atlas?

Jonas: Unser gemeinsamer Freund Atlas ist leider verhindert.

Krug: Jonas? Was ist passiert?

Jonas: Tja, wie soll ich mich ausdrücken, vielleicht so: Seit ein paar Minuten sind Sie Kassandra Krug, die reichste Person in Babylon.

Krug: Papilein?

Jonas: Exakt.

Jonas: Wissen Sie, es war so kalt, daher haben wir die Temperatur erhöht, das ist Papi gar nicht gut bekommen. So sieht's aus, Kassandra. Papi tot, wir drinnen, Sie draußen. Patt.

Krug: Matt, Jonas, Sie, wir brauchen nur zu warten, bis Sie anfangen sich vor Hunger aufzufressen.

Jonas: Sie vergessen was, Kassandra. Wir haben Nachtcafe und ein paar Autodistruktladungen, vom Laser ganz zu schweigen. Es wäre doch schade um ein einmaliges Kunstwerk, ihr wertvollstes Erbstück, Kassandra.

Krug: Was verlangen Sie?

Jonas: Freien Abzug, Schmerzensgeld.

Joana: Für mich auch.

Jonas: Schadensersatz für Joana.

Joana: 100.00 Euros. Mindestens.

Jonas: Und Nachtcafe.

Krug: Was? Kommt nicht in Frage.

Jonas: Sie kriegen das gute Stück ja wieder Kassandra von der Vereinigten Kosmos. Da muß ich es abliefern. Damit die Anklage gegen mich zurückgezogen wird.

Krug: Und was kriege ich?

Jonas: Einen Ärger, mit der Versicherung, mit der Polizei wegen Asmus, und Papis Milliarden natürlich.

Krug: Einverstanden, kommen Sie raus.

Jonas: Ich hatte es ja gesagt, Kassandra Krug war ein kluges Kind, unser Abmarsch ging glatt, vielleicht weil Jonas den Finger am Abzug des Lasers hatte, und die Mündung an Nachtcafe. Sicher ist sicher.

Sam: Happy End und Sonnenschein. Es ist so schön so klein zu sein.

Jonas: Darauf sollten wir was trinken, Joana, im Casablanca. Oder bei mir.

Sam: Oder bei mir.

Joana: Kein Zeit Jonas, ein andermal, ich muß mich ums Geschäft kümmern. Wir sehen uns.

Sam: Tschüß.

Jonas: Wir sahen uns. Wochen später bei der Eröffnung von Joanas neuer Galerie: Nicht mehr Picassos Pinsel. Ars nova, protzig und teuer, in bester Lage am Markgrafenboulevard. Adeba Asmus, ein unbekannter Klassiker, so hieß die große Verkaufsausstellung. Gleich nach unserem Nachtcafeabenteuer hatte Joana angefangen, Bilder von Asmus aufzukaufen, bevor sein Tod bekannt wurde, für ein paar Euros, jetzt kosteten sie das Vielfache. Nicht van Gogh Klasse aber immerhin. So ist das. Ein toter Maler lebt nicht schlecht. Vielleicht sollte ich mich umschulen lassen.

Sam: Hast wohl zu viel Nachtcafe gesoffen du Hirnsklerotiker, merke, immer noch besser ein lebendiger Jonas als ein toter Van Gogh gelle oder wie oder was?

Das war Nachtcafe. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem wirkten mit: Diana Körner, Simone Rethel, Ulrich Beiger, Dirk Galuba, Martin Semmelrogge und viele andere (Claudius Zimmermann, Klaus Neumann, Pascale Schulze, Marc Schulze, Urs Schaudinn, Andreas Wohlrab, Eva Windisch). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Regieassistenz: Holger Buck. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1994). Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:24
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Pharao

Jonas: Das Ministerium für Kultur war noch das selbe schäbige Gebäude. Nicht weit vom Van-Dusen-Platz. Aber hinter dem schäbigen Schreibtisch im schäbigen Büro saß nicht mehr Dr. Gödel Escherbach, Gott hab ihn selig. Jetzt saß da eine Frau wie eine Stahlfeder: grau, hart, dünn, gespannt.

Schrödinger: Cornelia Schrödinger, M.A., Dezernentin für Museen und kulturellen Austausch. Setzen Sie sich, Herr Jonas.

Jonas: MA?

Schrödinger: Magister Artium. Ein akademischer Titel. Medienwissenschaft Universität Babylon. Und wo haben Sie studiert, Herr Jonas?

Jonas: Uni Feuerland. Nahkampf und Guerillatechnik.

Schrödinger: Der antarktische Krieg. Ich verstehe. Zur Sache, Herr Jonas. Im November 2010, vor rund zweieinhalb Jahren haben Sie für uns einen Auftrag ausgeführt. Sie haben damals ordentliche Arbeit geleistet, Herr Jonas, und vor allem waren Sie recht preiswert. Die Kultur...

Jonas: Die Kultur hat nie Geld, das ist bekannt. Wenn ich Sie wieder mal besuche, Frau Cornelia Schrödinger MA, Dezernentin für Museen und so weiter, dann bringe ich mein Poesiealbum mit, und Sie können mir ihre gute Meinung schriftlich geben. War das alles?

Schrödinger: Nehmen Sie wieder Platz, Herr Jonas, das Dezernat hat einen neuen Auftrag für Sie.

Jonas: So? Aber das sag ich Ihnen gleich, ins wilde Kusbekistan fahr ich nicht noch mal. Eine Todestour ist genug für Jonas.

Schrödinger: Keine Sorge, Herr Jonas. Sie bleiben in Babylon.

Jonas: Und?

Schrödinger: Und was?

Jonas: Ich bleibe in Babylon und tue was?

Schrödinger: Eine Kleinigkeit, Herr Jonas. Sie bringen uns Ramses zurück.

Jonas: Ramses? Welchen Ramses?

Schrödinger: Den zweiten, Herr Jonas. Ramses den zweiten. Sie wissen doch, wer das ist.

Sam: Häh, weiß er nicht, wetten, nie was von gehört, keinen blassen Schimmer, hmhm, also dann, alle mal herhören. Kurze Nachhilfe aus Mayers Brockhaus, für historische Nieten und geistig unterbelichtete. Jawohl, genau Sie sind gemeint, Herr von und zu Jonas. Ramses zwo, Ägyptischer Pharao, geb. um 1300 v.Ch. als Sohn des Pharaos Hegit des ersten, kam an die Regierung 1279 v.Ch., starb 1213 v.Ch., bedeutendster Pharao der 19. Dynastie, immense Bautätigkeit, aggressive Außenpolitik, intensives Familienleben, 100 Frauen, weit über 200 Kinder, huiuit nicht schlecht Herr Specht.

Schrödinger: Was ist das?

Jonas: Mein Taschencomputer, Samuel heißt er kurz Sam oder auch kurz Sammy.

Sam: Ich bin der Geist der stets was weiß.

Jonas: Verbal, wie Sie hören, überverbal möglicherweise, manche meinen, er leidet an verbalem Durchfall.

Sam: Bitte bitte, Diaröh, wenn schon, ja.

Jonas: Und diese Dame, Sammy ist Frau Schrödinger.

Sam: Ma. Alles klar. MA, MB, MC, MC Quadrat, e gleich MC Quadrat. Quod erat demonstrandum.

Schrödinger: Nett, so klein und so laut. Kann man es abstellen.

Sam: Wehe, wehe, sage ich euch, und abermals wehe, so ihr euch solches unterfanget wird über euch kommen heulen und zähneschnattern, äh äh zähneflattern, zähneknattern, zähneplattern.

Jonas: Man kann. So. Wir waren bei Ramses. Hab ich Sie richtig verstanden, Frau Schrödinger MA, ich soll Ihnen einen ägyptischen Pharao zurückbringen, der seit gut 3000 Jahren tot und begraben ist.

Schrödinger: Nicht begraben, Herr Jonas, darum geht es ja gerade. Um die Mumie von Ramses den zweiten.

Jonas: Ja und, sagte Jonas. Und die Dame mit dem akademischen Titel erklärte es ihm. Kurz, in einfachen Worten. Readers Digest für Bildungsbanausen. Im Museum für internationale Kulturgeschichte, gleich neben dem Ministerium, war eine Ausstellung gelaufen. Macht und Magie des Pharaonenreiches. Einmalige Stücke, sagte Frau Schrödinger MA, Leihgaben aus Kairo, Glanznummer war die Originalmumie des alten Ramses II. Des größten aller Pharaonen. Zu 100.000en waren sie geströmt die Babylonier, bis vorgestern.

Schrödinger: Da wurde die Ausstellung geschlossen. Am 6. Juni 2013. Und am nächsten Morgen war die Mumie verschwunden. Zusammen mit ein paar weniger bedeutenden Ausstellungsstücken, Möbel, Schmuck und dergleichen, und zusammen mit dem leitenden Ägyptologen des Museums, Dr. Juniper.

Jonas: Na so ein Zufall. Was sagst du dazu, Sammy?

Sam: A-h-a. Aha.

Jonas: Das denk ich auch. Warum haben Sie sich nicht an die Polizei gewand, Frau Schrödinger MA?

Schrödinger: Unmöglich Herr Jonas die Affäre darf nicht an die Öffentlichkeit dringen, können Sie sich vorstellen, wie die Ägypter reagieren, wenn sie davon erfahren? Es käme zu außenpolitischen Komplikationen, zu innerpolitischen Konsequenzen.

Jonas: Stühle wackeln, Köpfe rollen, z.B. der von Cornelia Schrödinger MA Dezernentin.

Schrödinger: Wir müssen die Sache intern regeln. Aber im Ministerium gibt es natürlich keinen, wie soll ich mich ausdrücken, keinen kriminologischen Experten. Wir brauchen Hilfe von außen. Einen Privatdetektiv.

Sam: O Babylon, du große Stadt, wo's keine Detektive hat, bloß einen, den meinen.

Jonas: Den einzigen, den letzten. Jonas heißt er. Nur Jonas. Haben Sie Probleme, rufen Sie Jonas, den letzten Detektiv. Jonas macht alles, im Rahmen. Jonas kennt sich aus im großen Dschungel Babylon. Jonas schlägt sich durch, Jonas gibt sich Mühe.

Schrödinger: Wir haben uns an Sie erinnert, Herr Jonas. Leidlich effizient, diskret, billig. 90 Euros pro Tag nicht wahr?

Jonas: 120 plus Spesen. Alles wird teurer, auch ein Privatdetektiv.

Schrödinger: Nun, Herr Jonas, auch das wird sich unter Umständen erschwingen lassen.

Jonas: Wie schön. Es scheint, daß ihr Ägyptologe, dieser Dr. Dr. Dr. wie heißt er?

Sam: Juniper, Juliper, Augustper.

Jonas: Ruhe. Es scheint, daß dieser Juniper Ihren Ramses geklaut hat. Oder wie sehen Sie das, Frau Schrödinger MA?

Sam: Ja, wie sehen Sie das?

Schrödinger: Zwiespältig, Herr Jonas. Einerseits bin ich gezwungen, Ihnen zuzustimmen. Die Sicherungen wurden außer Kraft gesetzt, die Sperren umgangen, die speziell gesicherten Mumienboxen aus Plastiplex problemlos geöffnet, keine Schrammen, keine Einbruchspuren, und Dr. Juniper besaß alle Schlüssel, kannte alle Sicherheitscodes.

Jonas: Verschwunden ist er auch. Klarer Fall sollte man meinen. Einerseits. Und andererseits, Frau Schrödinger MA?

Schrödinger: Andererseits, Herr Jonas, kann ich mir beim besten Willen Dr. Juniper nicht als Erpresser vorstellen. Er ist Ägyptologe, lebt nur für die Wissenschaft.

Jonas: Erpresser, wer sagt was von Erpressung?

Schrödinger: Das hier, Herr Jonas.

Jonas: Ein Fax. Kein Absender.

Schrödinger: Also nicht zurückzuverfolgen. Lesen Sie.

Jonas: Betrifft Austausch Pharao gegen 100.000 Euros in bar, wann, 8. (Juli)Juni(?) 2013, 23 Uhr. Heute abend. Wo? Babylon Planquadrat OX 13 BQ.

Schrödinger: Das ist an der Grenze zum Reservat, wo das Giganthotel steht. Was haben Sie, Herr Jonas?

Jonas: Judith. Vor einem Jahr war sie umgebracht worden, im Planquadrat OX 13 BQ, und ein paar Tage später hatte Jonas sie gerächt, im Planquadrat OX 13 BQ. Das hatte ich, aber das sagte ich nicht.

Jonas: Entführung einer Mumie zwecks Lösegelderpressung. Sie wollen darauf eingehen, Frau Schrödinger MA?

Schrödinger: Ich muß wohl.

Jonas: Und ich soll den Austausch durchführen.

Schrödinger: Deshalb hab ich Sie kommen lassen, Herr Jonas.

Jonas: Versteh ich nicht. Bei einer so einfachen Kiste. Warum nicht einer ihrer Museumswächter, warum ein wie war das, kriminologischer Experte.

Schrödinger: Es gibt da ein Problem, Herr Jonas, das Geld, die Kultur hat keins, jedenfalls keine 100.000.

Jonas: Wieviel können Sie locker machen?

Schrödinger: 10.000 maximal.

Jonas: Tja, und der Rest.

Schrödinger: Ihre Sache, Herr Jonas, lassen Sie sich was einfallen.

Sam: Papier.

Schrödinger: Papier, was heißt Papier?

Sam: Na was wohl, hochgeschätzter akademisch titulierter Amtsschimmel, Klopapier, Löschpapier, Briefpapier, Buntpapier, mit Nichten und Neffen.

Jonas: Sondern, Sammy?

Sam: Altpapier du Pappkopf. Das Ministerium für Kultur ist eine altmodische Institution, das gibt's sowas in Mengen. Nicht wahr, gnädige Frau.

Jonas: So machen wir es, Frau Schrödinger MA, setzen Sie einen Hilfsknecht an, lassen Sie Altpapier zuschneiden, Euroformat, dann besorgen Sie einen Koffer. Das Papier nach unten, und oben drauf gut sichtbar die echten 10.000.

Schrödinger: Das schöne Geld. Halten Sie das wirklich für nötig, Herr Jonas?

Jonas: Ein bißchen müssen Sie schon opfern, Frau Schrödinger MA, für Ihren Ramses und für Ihren Stuhl. Ein Fahrzeug brauch ich auch.

Schrödinger: Es wird bereitstehen, mit Koffer und Inhalt, im Hof des Ministeriums, heute abend 9 Uhr 30. Seien Sie pünktlich, Herr Jonas.

Jonas: Ich hätte es mir denken können, das Dienstfahrzeug des Ministeriums war ein altersschwaches E-Motorrad mit Beiwagen, der Koffer war aus Pappe, aber die echten Euros waren drin, und die falschen fielen nicht auf, wenigstens etwas. Nachts, kurz vor 11, Planquadrat OX 13 BQ. Rechts am Horizont der Gipfel des Giganthotels im warmen Schein der Holoprojektionen, links das Reservat, ein unendliches schwarzes Loch, scharfkantige Ruinen, rotierende Nebelspiralen, dunkle Geräusche in der Ferne. Freaks, Nachtmenschen. Ich hatte den Motor abgestellt und wartete unter einer flackernden Straßenlaterne. Sammy sang leise Lili Marlene. Punkt 11 kamen sie. Aus dem Reservat. In einem Panzerwagen. Ein bleicher Riese mit Laserstrahler und eine bucklige Frau. Der Riese sah aus wie ein Klonkiller, er blieb neben dem Wagen stehen, stumm, aufmerksam. Die Frau zog ein längliches Bündel aus der Ladeklappe.

Jonas: Ramses?

Igora: Was denken Sie denn, wer da drin ist, die Bürgermeisterin von Babylon? Typisch Kulturministerium, einen echten Vollidioten haben sie uns geschickt, hoffentlich haben Sie das Geld nicht vergessen, Pinke Pinke, verstehen Sie, Euros, 100.000 Euros.

Jonas: Hier.

Igora: Aufmachen.

Jonas: Wollen Sie nachzählen?

Igora: Wozu? Um uns reinzulegen sind Sie viel zu dämlich. Nehmen Sie sich die Mumie, und grüßen Sie Ihre Chefin schön von meinem Chef, Dr. Frankenstein, und von mir, Igora heiße ich, nicht vergessen.

Jonas: Sie fuhren, zurück ins Reservat, ich fuhr zurück ins Ministerium, mit Ramses im Beiwagen. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Sicher, die Sache war glattgegangen, zu glatt, das machte mir Sorgen. Ich wuchtete die Mumie in Frau Schrödingers Büro, sie war schwer, viel schwerer als ich mir so einen vertrockneten Pharao vorgestellt hatte. Frau Dezernentin wickelte höchstpersönlich die Verpackung ab, und da gab es eine Überraschung. Unter den Bandagen steckte kein toter alter Ägypter, sondern ein toter neuer Ägyptologe.

Schrödinger: Dr. Juniper. Das ist Dr. Juniper.

Jonas: Mit durchgeschnittenem Hals. Deshalb war das Paket so schwer.

Schrödinger: Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen, Herr Jonas? Sie lassen sich 10.000 Euros aus meinem Etat abnehmen, bringen mir dafür die Leiche von Dr. Juniper, und jetzt stehen Sie da und zuckeln die Achseln. Haben Sie die Güte sich zu äußern.

Jonas: Sieht so aus, als ob sie uns reingelegt haben, Frau Schrödinger MA.

Schrödinger: Uns, Herr Jonas? Sie sind reingelegt worden, Herr Jonas, Sie ganz allein, Herr Jonas, Sie haben versagt, Herr Jonas.

Jonas: Immer mit der Ruhe, Frau Schrödinger MA, das war nur die erste Runde, die nächste gewinnen wir. Wir wissen jetzt mehr. Dr. Juniper kann nicht der Drahtzieher gewesen sein, diese Igora mit ihrem Klon...

Schrödinger: Interessiert mich nicht, Herr Jonas, Sie sind gefeuert, Sie Sie Sie kriminologischer Experte für 120 Euros plus Spesen. Wegen krasser Unfähigkeit.

Sam: Nananana.

Jonas: Apropos 120 Euros, die hab ich noch zu kriegen.

Schrödinger: So? Bringen Sie mir Ramses, dann können wir darüber reden, unter Umständen. Die Tür ist gleich hinter Ihnen, Herr Jonas.

Jonas: Na bitte. Mein ungutes Gefühl. Frau Schrödinger MA hatte Recht, Jonas war aufs Kreuz gelegt worden, die Gegenseite auch, aber das tröstete mich nicht. Ich war sauer. Wenn Jonas sauer wird, dann wird er stur. Ich würde am Ball bleiben, das nahm ich mir fest vor, als ich über den nächtlichen van-Dusen-Platz ging. Nicht wegen den paar Euros, jedenfalls nicht nur. Es galt die professionelle Ehre des Privatdetektivs wiederherzustellen.

Sam: Wunderschön gesagt Meister aus dem Munde des Poesiealbum. Vor dem großen Tore steht ein Weihnachtsmann, singt von seiner Lore so schön und laut er kann.

Jonas: Du gehst mir auf die Nerven, Sam, spiel was anders.

Sam: The Time the goes nun by, das ist was auch mein Ei.

Jonas: Gefällt mir auch nicht, Schluß mit dem Gedudel, an die Arbeit, Sam, wo steigen wir ein.

Sam: Ja, a ja, Dr. Juniper, euer Fragwürden, Dr. Juniper selig, blutige Leiche im Postpaket, oder vom Ägyptologen zur Mumie in nur zwei Tagen, Gebrauchsanweisung liegt bei.

Jonas: Schön wär's. Was wissen wir über Juniper.

Sam: Melde gehorsamst, wenig, Herr Stabsarzt.

Jonas: Hab ich dir nicht gesagt du sollst dich im System des Museums mal umsehen.

Sam: No gewiß doch Sir, hat Sammy auch getan. Brav beflissen und beharrlich.

Jonas: Und?

Sam: Besagter Juniper war ein solcher, welcher niemals nicht auffiel und insofern sich datenmäßig wenig niederschlug. Ein Nobody, wie wir Fremdsprachler zu sagen pflegen.

Jonas: Ein bißchen was wirst du doch gefunden haben.

Sam: Ein babylonisch Sprichwort kündet: Ein kleiner Hund scheißt kleine Haufen.

Jonas: Und was das mit Dr. Juniper zu tun.

Sam: Ganz und gar nichts, Chef, nur so, fiel Sam gerade ein.

Jonas: Dr. Juniper, Sam, schieß los.

Sam: Zu Befehl, losschießen. Juniper, Adalbert, Dr. phil., Ägyptologe am Museum für Internationale

Jonas: Bekannt, Sammy, längst bekannt.

Sam: Es wird gebeten, den Fluß der Gedanken tunlichst nicht zu unterbrechen.

Jonas: Gedanken, hab ich Gedanken gehört?

Sam: Es geht weiter, Damen und Herren, Piep, geb. 22. 2.1963, wohnhaft Museum für internationale Kulturgeschichte.

Jonas: Irrtum, Sammy, da hat er gearbeitet.

Sam: Und gewohnt, euer Vorschnelligkeit, in einem Verschlag neben seinem Arbeitszimmer. Ja, Feldbett, Waschzelle, Kleiderständer. Hobbies: keine. Freund-, Lieb- und Partnerschaften: keine. Privatleben: keines. In Worten: keines. Ende der Durchsaga.

Jonas: Das ist wirklich nicht viel, Sammy.

Sam: Hab ich's nicht gesagt, Monsignore. Total tote Hose.

Jonas: Wo soll man da anfangen?

Nofretete: Zum Beispiel damit. Jeden Freitag verließ Dr. Juniper das Museum kurz vor 10, und kurz vor 11 kam er zurück.

Jonas: Plötzlich war sie aufgetaucht, aus dem Schatten, geräuschlos, eine junge Frau, apart, irgendwie exotisch, orientalisch, ägyptisch genauer gesagt. Ich beschloß sie Nofretete zu nennen. Irgendwo hatte ich sie schon gesehen, im Planquadrat OX 13 BQ. Vor dem Ministerium? Vielleicht.

Nofretete: Seit etwa einem Jahr tut er das, Freitag vormittag, 10 bis 11.

Jonas: Jeden Freitag.

Nofretete: So gut wie.

Jonas: Woher wissen Sie das?

Nofretete: Wir wissen viel, Jonas.

Jonas: Wissen Sie auch, wohin Juniper gegangen ist? Jeden Freitag 10-11.

Nofretete: Warum nicht hierher?

Jonas: Sie zeigte auf ein Türschild an einem der alten Häuser, die rund um den Platz stehen, ein Messingschild, mit altmodischen eckigen Buchstaben: Sammy knipste seine Lampe an, und Jonas las:

Jonas: Dr. phil. Dr. med. Gloria Zapp, Psychotherapie, Psychologie, Psychogymnastik, alle orthodoxen Schulen, Freud, Jung, Reich, Strunk, bei attestierter Gemeingefährlichkeit staatliche Kostenübernahme möglich.

Sam: Sowas, ist es nicht zu und zu komisch, Frau Nachbarin...

Jonas: Was Sammy?

Sam: Was Sammy. Daß die berühmtesten Psychologen nur eine einzige klitzekleine Silbe ihr eigen nennen, namensmäßig betrachtet.

Jonas: Und?

Sam: Könnte dies furiose Kaktum Korrektur könnte dies kuriose Faktum nicht gewisse Rückschlüsse auf die von ihnen gewählte Wissenschaft nahelegen.

Jonas: Halt uns nicht auf. Sie meinen, Juniper ist jeden Freitag zu dieser Psycho... Nofretete? Wo steckt sie denn?

Sam: Verschwunden. So still und klammheimlich wie sie kam. Mysteriös.

Jonas: Du sagt es, Sammy. Glauben wir ihr.

Sam: Da eine erfolgversprechende Möglichkeit uns vorerst mangelt, Exzellenz, folgen wir kühn dem Winke des Schicksals. Duridu didi...

Jonas: Sammy, Wink mit dem Zaunpfahl meinst du. Ja. Also gut, gleich morgen früh.

Jonas: Frau Dr. Dr. Zapp hatte ein handfestes Wesen und einen kräftigen Händedruck, außerdem hatte sie viel zu tun. Aber nicht nur deshalb wollte sie Jonas nichts sagen.

Zapp: Professionelle Diskretion, Herr Jonas. Ärztliche Schweigepflicht. Für Sie Fremdworte, nehm ich an.

Jonas: Kommen Sie mal wieder runter, Frau Doppeldoktor. Ich will ja gar nicht wissen, was Juniper für Meisen oder Macken hatte, ob er Zwangsneurotiker war, oder Bettnässer, ob er nicht mehr Selbstwertgefühl hatte als äh als...

Sam: Als eine durchgesessene Klobrille.

Jonas: Dank dir, Sammy.

Sam: Bitte.

Jonas: Ich brauch nichts als einen ganz kleinen Hinweis, damit ich den erwischen kann, der ihn umgebracht hat.

Zapp: Umgebracht? Dr. Juniper?

Jonas: Dr. Juniper ist tot, Frau Doppeldoktor Zapp.

Sam: Zapp Zapp.

Jonas: Ermordet.

Zapp: Einen Augenblick, Herr Jonas, ich muß meinem Vorzimmerrobot was sagen. Achtung, Freitag 10-11, Termin kann neu vergeben werden. Was Sie mir da erzählen, Herr Jonas, ändert die Situation.

Jonas: Na also.

Zapp: Ein wenig. Lediglich graduell, wenn Sie verstehen was ich meine.

Jonas: Ist Ihnen in letzter Zeit an Dr. Juniper irgendwas aufgefallen, was besonderes.

Zapp: Auf Einzelheiten kann ich natürlich nicht eingehen, er hat zwei, dreimal seinen Termin abgesagt.

Jonas: Warum?

Zapp: Weil er wichtige Besprechungen hatte, mit einer wichtigen Person, hat er behauptet.

Jonas: Sonst noch was?

Zapp: Dr. Juniper war in ausgesprochen guter Stimmung, sehr ungewöhnlich, richtig euphorisch war er.

Jonas: Weshalb?

Zapp: Wegen der Schlacht von Kadesh.

Jonas: Weshalb?

Sam: Schlacht von Kadesh. Ungebildeter Knochen, im Jahre 1274 v.Ch. Ägypter unter Ramses den zwoten.

Jonas: Aha.

Sam: Wider Hetiter unter König Tsatuse, nein falsch, Nuwatali, jawohl der war's, König Nuwatali, mein Gott die hetetischen Namen.

Jonas: Und wer hat gewonnen? Ramses oder dieser Nuwatali, dieser Hetiter?

Sam: Dies, o mein wißbegieriger Freund, ist bis zum heutigen Tage unbekannt geblieben. Der genaue Ausgang der Schlacht von Kadesh gilt als eines der größten ungelösten Rätsel der Ägyptologie.

Zapp: Genau das hat Dr. Juniper auch gesagt. Und dann hat er erklärt, ganz stolz, das Rätsel der Schlacht von Kadesh und ein paar andere würden in nächster Zeit ein für alle mal gelöst werden, und zwar durch ihn, Juniper und seinen persönlichen Einsatz. Der erste Patient. Ihre Zeit ist um, Herr Jonas. Äh, letzten Freitag hat Juniper mir übrigens eine interessante Frage gestellt. Ob zur Förderung der Wissenschaft auch Dinge getan werden dürfen, die ethisch und juristisch womöglich nicht völlig einwandfrei sind.

Jonas: Und was haben Sie geantwortet, Frau Doppeldoktor?

Zapp: Nichts, die Frage war zu allgemein, und Dr. Juniper lehnte es ab, sie zu konkretisieren.

Jonas: Viel war das auch nicht, aber besser als nichts. Stoff zum Nachdenken, zurück zur Basis, sprich 1Zimmer-Büroaparmtent, klein aber mein. Ich stieg aus dem Lift, ging über den Korridor, dunkel wie immer, ein intensiver Duft nach Schimmel und kaltem Sojakaff. Wie immer. Soweit nichts besonders. Aber dann ging's los, kurz vor meiner Tür, Sammy fing an durchzudrehen, plötzlich heulte er los wie ein meschuggenes Nebelhorn.

Sam: Verzeih mir Meister, verzeih deinem armen kleinen Sammy.

Jonas: Was ist los, Sammy?

Sam: Windet sich vor dir im Staub, o Sultan des Weltalls, in Sackleinwand schleicht er einher, Asche häufelt er auf sein mißratenes Haupt, o bitte Beherrscher der Gläubigen nicht aus dem Fenster schmeißen. Nicht in die Schrottmühle.

Jonas: Was ist denn, was hast du?

Sam: Sammy hat, kaum vermag es über die bleichen Lippen zu bringen.

Jonas: Du hast keine Lippen, Sammy, und kein Haupt, und erst recht kein Grund so Theater zu machen.

Sam: Großmächtiger. Sammy was vergessen.

Jonas: Nein.

Sam: Doch, ein signifikantes Faktum im Fall Juniper, Chef, zur Kenntnis genommen, abgelegt und vergessen.

Jonas: Hör auf zu heulen und spuck's endlich aus dein Faktum.

Sam: Hören ist gehorchen, allgewaltiger Schah. So vernimm denn. Es war zu finsterer Mitternacht im Ministerium, da geschäftige Hände jene Mumie enthüllten, welche keine Mumie war, vielmehr die ermordete Leiche des Dr. Juniper.

Jonas: Sam ist nicht nur eine Heulboje Sam ist auch unter anderem ein Geigerzähler, und der hatte beim Auswickeln was registriert, eine relativ hohe Bequerell-Strahlung aus Bandagen und Leichen. Radioaktivität dieser Größenordnung gibt es in und um Babylon nur an einer Stelle: dem sogenannten Grausektor mitten im Reservat.

Sam: Wo damals die Taschenatombombe hochging. Bumm.

Jonas: Im Grausektor war sie die Leiche, und das hast du mir unterschlagen, Sam. Einfach vergessen. Was mach ich mit dir.

Sam: Wenn Lord Sammy vielleicht ein leckeres Lecithinprogramm erstehen würde.

Jonas: Was war das?

Sam: Was war das? Ah, da fiel ein Stuhl in dero Hoheit Residenz.

Jonas: Da ist jemand, ganz ruhig Sammy... Hände hoch.

Nofretete: Salemaleikum, Jonas. Stecken Sie Ihren Laserstrahler weg.

Sam: Das ist meiner.

Nofretete: Ich tu ihnen nichts.

Jonas: Nofretete in meinem Sessel, entspannt, die schönen Beine übereinanderschlagen, inmitten einer sehr viel weniger schönen Unordnung. Alles war geöffnet, umgestürzt, durchwühlt. Was hatte sie gesucht?

Nofretete: Ramses den zweiten.

Jonas: Bei Jonas?

Nofretete: Warum nicht. Jonas hätte sich die Mumie beim Austausch übergeben lassen und dann für sich behalten können, um dann das Ministerium ein zweites Mal zu erpressen.

Jonas: Hätte Jonas, hat er aber nicht.

Nofretete: Davon habe ich mich überzeugt, Jonas. Sie sind sauber.

Jonas: Zu gütig.

Nofretete: Und darum habe ich mich entschlossen, Ihnen, wie sagt man hier, sauberen Wein einzugießen.

Jonas: Gießen Sie los.

Nofretete: Ich bin Ägypterin.

Jonas: Hab ich mir gedacht. Wissen Sie, wie ich Sie getauft habe, vorhin auf dem van-Dusen-Platz? Nofretete.

Nofretete: Danke. Nennen Sie mich ruhig weiter so. Was ist schon ein Name.

Sam: Schall und Rauch. Knall und Rauch.

Jonas: Es reicht Sammy.

Sam: Nein, Schall und Rauch. Shakespeare.

Nofretete: Ich arbeite für unsere Altertümerverwaltung im verdeckten Außendienst.

Jonas: Das heißt, Sie sind ägyptische Geheimagentin.

Nofretete: Wenn Sie es so romantisch ausdrücken wollen, Jonas. Man hat mich nach Babylon geschickt, um auf die Leihgaben für Ihre Ausstellung zu achten, vor allem natürlich auf die Mumie unseres großen König Ramses.

Jonas: Das hat wohl nicht so recht geklappt.

Nofretete: Ich habe meinen Auftrag nicht erfüllt. Ich habe versagt. Wie Sie, Jonas. Jetzt haben wir beide das gleiche Ziel, Ramses den zweiten zu finden, ich schlage vor wir tun uns zusammen, wir teilen unsere Informationen und gehen gemeinsam vor.

Jonas: Einverstanden, teilen wir unsere Informationen.

Nofretete: Sie fangen an Jonas.

Jonas: Nicht doch. Jonas ist Kavalier. Nach Ihnen Nofretete.

Nofretete: Gut. Passen Sie auf. Vor etwa einem viertel Jahr haben Unbekannte versucht, Napoleons Grab im Pariser Invalidendom aufzubrechen, ohne Erfolg.

Jonas: Was hat das mit unserem Fall zu tun.

Nofretete: Warten Sie ab. Etwas später hörten wir von mysteriösen nächtlichen Grabungen in Berlin, auf dem Gelände der alten Reichskanzlei, wo heute das gigantische Denkmal der Vereinigung steht.

Jonas: Sieht aus, als ob jemand tote Herrscher sammelt. Napoleon, Hitler.

Nofretete: Und jetzt Ramses den zweiten. Interessant nicht wahr. Sie sind dran, Jonas, was haben Sie bei der Psychotherapeutin erfahren.

Jonas: Ich sagte es ihr, und ich sage ihr auch, was Sammy mir gerade gebeichtet hatte.

Nofretete: Also in diesen wie hieß das, in diesen Grausektor führt die Spur.

Sam: Im Grausektor aber ist's fürchterlich, nicht geheuer ist es dort, Geister gibt an jenem Ort.

Jonas: Wirklich Sam.

Sam: Ja, radioaktive Geister. Und über ihnen ragt in den verhangenen Himmel dräuend und grausend der Schecken aller Schrecken, Frankensteins Burg. Ua...

Jonas: Ugarte. Keine schlechte Idee.

Sam: Keine schlechte Idee. Ha. Bravo Sammy, heißt das, gut gemacht Sammy, Danke, Sammy, was würde ich ohne dich tun, Sammy.

Jonas: Ugarte. Dr. Victor Ugarte. Vor Jahren eine leuchtende Hoffnung der Wissenschaft, genialer Genetiker und Mikrobiologe, umworben, hofiert, Lehrstuhl an der Uni Babylon mit 20, Aussicht auf den Nobelpreis, und dann war alles vorbei, ganz plötzlich. Ugarte hatte heimlich für die Korporation gearbeitet, das organisierte Verbrechen, organlose Kuriere hatte er geklont und absolut furchtlose Wegwerfkiller. Das kam raus. Ugarte setzte sich ab in den Grausektor, wo sich kein Polizist hintraut, und da saß er immer noch und forschte und klonte in seinem illegalen Labor.

Sam: Frankensteins Burg heißt sie im Volksmäulchen.

Jonas: Igora kam aus dem Reservat, mit der Mumie und mit einem Klonkiller, ihr Chef heißt Frankenstein. Hat sie gesagt. Alles paßt zusammen.

Nofretete: Ugarte hat die Königsmumie gestohlen mit Junipers Hilfe.

Jonas: Und er hat sie noch. Wozu. Warum.

Nofretete: Vielleicht ist er Sammler.

Jonas: Könnte die Sache was mit Gentechnik zutun haben.

Nofretete: Das wird sich zeigen. Wir werden Frankenstein besuchen, auf seiner Burg.

Jonas: Einfach so, ein gemütlicher Sparziergang in den Grausektor durchs Reservat.

Nofretete: Sie kennen sich da doch aus, Jonas. Oder?

Sam: Und ob er sich auskennt, mein Meister, ein und aus, rein und raus, ja, ein Pfadfinder im Reservat, ein Führer durch die Wildnis, siehe Fall Reservat, siehe Fall Störfalle, siehe Fall Eurodschungel, und so weiter und so fort etc.

Nofretete: Ja, dann ist ja alles in Ordnung. Zeigen Sie mir den Weg auf der Karte, Jonas, wo liegt der Grausektor.

Sam: Da drüben an der Ecke wo die Rosentulpen stehen...

Jonas: Im Südosten von Babylon, mitten in dem großen dunklen Fleck, vor 15 Jahren im Bürgerkrieg ist das ganze Viertel draufgegangen, seitdem existiert es nicht mehr. Offiziell. Inoffiziell ist es das Reservat, eine Wüste aus Stein und Metall, ein Dschungel mit eigenen Gesetzen, wild und gefährlich, am wildesten und gefährlichsten im Grausektor. Ich zeigte Nofretete den Weg durchs Reservat zum Grausektor.

Nofretete: Wir sollten sofort aufbrechen Jonas.

Jonas: Augenblick, nicht so schnell, erst helfen Sie mir beim Aufräumen.

Nofretete: Wenn Sie darauf bestehen, aber vorher sollten wir anstoßen auf das Team Nofretete/Jonas.

Sam: Und Sammy.

Nofretete: Gibt's hier was du trinken.

Jonas: Bürowhisky, wenn Sie die Flasche nicht ausgekippt haben, o haben Sie nicht, die Gläser sind auch noch ganz, also dann cherio. Auf gute Zusammenarbeit, Nofretete.

Nofretete: Auf gute Zusammenarbeit, Jonas.

Jonas: Sie trinken ja gar nicht, Nofretete, warum trinken Sie nicht?

Jonas: Ich fiel, vom Schreibtisch auf den Fußboden, durch den Boden, tiefer, immer tiefer, bis nichts mehr da war, kein Boden, kein Jonas. Im meinem Kopf tobte die Schlacht von Kadesh. Mal gewannen die Ägypter, mal die Hethiter. Jonas verlor immer, das war nicht fair. Ich machte die Augen auf. Ich lag auf dem Fußboden in meinem Büroapartment. Die Schlacht tobte immer noch. Nur daß es nicht die Schlacht war, es war Sammy.

Sam: Tatatatä. Erhebet euch ihr Gläubigen, strömet zu Hauf, na los, komm schon endlich hoch du nasser Sack, kikeriki, erwachet, erwachet, er krähte der Hahn, die Sonne betritt ihre güldene Bahn. Kikeriki.

Jonas: Der Hahn heißt Sam. Und das mit der Sonne stimmt schon gar nicht.

Sam: Theo gratias, Halleluja. Halleluja.

Jonas: Wie spät haben wir's?

Sam: Er ist wieder da, er ist wieder bei sich, er ist wieder bei Sammy, mein Jonasle, Jonas der große, der einzige, der unnachahmliche.

Jonas: Jajaja wie spät.

Sam: Höre Jonas laß dir sagen, unsere Uhr hat 6 geschlagen, und äh ja und 7 Minuten und 23 Sekunden.

Jonas: Abends?

Sam: Na, Mitternachts wird's sein.

Jonas: Das heißt ich war fast 8 Stunden abgetreten. O... O Gott. Da hat mir die liebe Nofretete ein Teufelszeug in meinen Whisky gekippt.

Sam: Gelinkt hat sie meinen Meister, lahmgelegt, kaltgestellt, pfui spinne wat fies, damit sie ihren Ramses ganz allein holen kann.

Jonas: Viel Glück, das braucht sie.

Sam: Wie dürfte ich das verstehen, Sir?

Jonas: Oh, ich hatte so ne Ahnung, und darum hab ihr einen ganz besonders interessanten Weg durchs Reservat gezeigt, über Turkistan, vorbei am Hauptquartier der Straßensamurai und an den Höhlen der Nachtmenschen.

Sam: Ja, das schafft sie nie, die linke Lola. Clever, und da bist du ganz alleine draufgekommen, du Dünnbrettbohrer.

Jonas: Wer sich auskennt, kommt problemlos ins Reservat, weil er weiß, wo die Lücken im Dom sind, und die vergessenen Unterführungen, und im Reservat kennt er die versteckten Wege durch die Trümmer. Und wenn er dann noch Glück hat, kommt er durch. Gegen Mitternacht war ich im Grausektor, Radioaktivität bedenklich, aber nicht lebensgefährlich. Sagt Sam. Passendes Wetter, heftiger Regen, Blitz und Donner, die Klimaregulierung spielte verrückt, das tut sie hier immer. Um Jonas graue Hügel, eintönig und unheimlich, und darüber, blitzumzuckt, ein hohes finsteres Gebäude.

Sam: Frankensteins Burg.

Jonas: Ugartes Labor, wir sind da.

Sam: Früher war das mal ein Bezirksgericht, gelle, ja, gebaut im 19. Jahrhundert, daher das gotische Brimborium, Zacken, Zinnen, Türmchen. Ja, so was fanden die geil damals. Beachten Sie vor allem die stilechten Spitzbögen Ladys und Gentlemen.

Jonas: Ich denke nicht dran.

Sam: Und woran sofern die Frage erlaubt wäre, denken Eminenz falls überhaupt.

Jonas: Wie kommen wir rein, daran denke ich.

Sam: Ja, gute Frage, Kumpel, laß uns mal überlegen.

Jonas: Türen und Fenster sind out, Sammy.

Sam: Ja, da scharf bewacht und streng gesichert. Dacor Monsieur.

Jonas: Übers Dach.

Sam: Hubschrauber weniger zu empfehlen.

Jonas: Also von unten, durchs Abwasser, wie seinerzeit in Nirwana.

Sam: Fall Spielwiese. In dem daß die Abwasserleitung hiesigenorts zu ebener Erde verläuft und sich in einem bewachten Zustand befindet. Jedoch.

Jonas: Sam hatte in eine Idee. Ab und an ist er wirklich zu brauchen. In alter Zeit stand gegenüber vom Gericht das Untersuchungsgefängnis, und dazwischen lief ein unterirdischer Gang, damit die Angeklagten sicher vor den Richter gebracht werden konnten. Sam wußte das. Sam weiß viel. Er wußte auch, welcher Trümmerhaufen das ehemalige Gefängnis war, und wo Jonas im Schutt wühlen mußte, um den Gang zu finden. Eine Stunde später waren wir unter der Erde, es war eng, etwas muffig, aber sauber und hell. Sammy ließ sein Licht leuchten auf glatte Wände, die nur einmal unterbrochen waren, durch eine Metalltür mit einem wohlbekannten Zeichen:

Jonas: Drei schwarze Speichen im gelben Kreis, hierdurch geht’s ins alte Atomschutzsystem, Sammy. Fall Schneewittchen, weißt du noch.

Sam: Ah Herr Hofrat, ich bitt Sie, wird Sammy auch nur einen einzigen Fall seines Jonas vergessen.

Jonas: Vorsicht, Sam, ich sag nur Lecithin.

Sam: Ja, nur zu, brutaler Folterknecht, dreh an der Schraube, reibs ein, schmier's dem armen Sam aufs Butterbrot, immer und immer wieder, ich werd es ertragen sieben Jahr, ich werd es ertragen.

Jonas: Tu das Sam. Weißt du, was die Tür bedeutet. Wir haben einen Fluchtweg, schnell und gefahrlos unter dem Reservat direkt nach Babylon. Falls du den Öffnungscode kennst.

Sam: Ha. Kennt Sammy sein Einmalseins? Sein Alphabet.

Jonas: OK. Merken für nachher, wir werden's dann vermutlich eilig haben. Weiter.

Sam: Drei vier. Das Wandern ist das Jonas Lust, das Wandern...

Jonas: Der Gang endete an einer schmalen Treppe, 30 Stufen steil nach oben, dann ein kleiner Absatz, rechts und links Wände, darin je eine hölzerne Schiebetür. Undeutliche Geräusche hinter der linken Tür. Ich schob sie vorsichtig zurück, kroch durch die Lücke und war in einer Art Kanzel, zwei mal zwei Meter. Unter einer hohen Gewölbedecke. Was war das?

Ugarte: Gut so. Macht sich, macht sich. Sehr schön.

Sam: Großer Verhandlungssaal, Herr Vorsitzender.

Jonas: Und diese Kanzel.

Sam: Angeklagten.

Jonas: Ach so. Ob ich mal über den Rand kucke?

Sam: Vorsicht, euer Ehren, Klavier, piano, pianissimo.

Jonas: Der Saal war voll. Voll mit Geräten, Maschinen, Apparaten, Instrumenten, Konsolen, Röhren, Gläsern. Retorten. Alles brummte und summte, dampfte und stampfte, tickte, brodelte und kochte, Elektroöfen zischten, bunte Lichter zuckten. Frankensteins Labor. Wie im Kino. Mittendrin zwei Figuren in weißen Kitteln, eine klein und bucklig, Igora. Neben ihr ein Mann, groß, etwas gebückt, fahrige Bewegungen, stechende Augen hinter dicken Brillengläsern, wirre lange Haare, die um seinen Kopf standen wie ein pervertierter Heiligenschein. Das mußte er sein. Frankenstein persönlich, Dr. Victor Ugarte.

Ugarte: Gut machen sie sich, unsere kleinen Adolfs, Igora.

Igora: Wundervoll, Herr Doktor, ganz wundervoll.

Ugarte: Sie blühen, sie gedeihen. Die neuen Nährlösung scheint ihnen besser zu bekommen.

Igora: Viel besser, Herr Doktor. Viel viel besser.

Ugarte: Der kleine, dicke hier, ist das nicht ein Prachtexemplar. Kann man nicht schon fast seinen Schnurrbart erkennen?

Igora: Vollbart, Herr Doktor, Rauschebart.

Ugarte: Red keinen Unsinn, Igora. Was macht unser Sonderfall, unser Sorgenkind.

Igora: Herr Doktor meinen den Pharao?

Ugarte: Wen denn sonst. Ißt er?

Igora: Jawohl, Herr Doktor, aber sprechen tut er immer noch nicht.

Ugarte: Ich seh ihn mir mal an.

Jonas: Beide gingen durch eine Tür, direkt unter meiner Kanzel. Jonas ging auch, das heißt er kroch, zurück durch die Schiebetür, über den Absatz, durch die rechte Schiebetür: Und da war ich wieder auf einer Kanzel, über einem Saal, der kleiner war als der erste. Und in dem es ganz anders aussah.

Sam: Ägyptisch.

Jonas: Wenn du das sagt, Sammy.

Sam: Ja, Thronsaal eines Pharao. Neues Reich, 19. Dynastie.

Jonas: Glaub ich dir unbesehen. Hier sind sie also gelandet die Stücke aus der Ausstellung. Aber wo ist die Mumie?

Sam: Ja, wo ist die Mumie? Auf dem Thron.

Jonas: Nein, Sammy, das ist ein Mensch, eben hat er den Arm bewegt.

Sam: Ja und?

Jonas: Ein Mann, groß, mager, dunkelhäutig, mit ausgeprägter Hakennase und einem langen schmalen Kinnbart. Er trug einen Lendeschurz und auf dem Kopf einen hohen runden Aufbau, ein bißchen wie eine Bischofmütze. Und nach Bischof sah auch der kurze Krummstab aus, den er in der Hand hielt. Er saß da, steif und fast regungslos und sah vor sich hin. Auf Ugarte, der vor ihm herumfuchtelte, reagierte er überhaupt nicht.

Ugarte: Sag mal, Ramses, was soll das, was denkst du dir? Gerade mit dir habe ich mir ganz besondere Mühe gegeben.

Igora: Und auch hohe Kosten haben Herr Doktor nicht gescheut.

Ugarte: Sehr richtig, Igora. Kosten Mühen und Zeit. Ich mußte diesen Idioten Juniper kultivieren, sein Vertrauen gewinnen, ihm anvertrauen, daß ich aus der Mumie von Ramses II. eine genuine Kopie des alten Pharao klonen kann.

Igora: Und wie Herr Doktor das können, phänomenal.

Ugarte: Ich habe ihm erzählt, daß so eine Kopie ihm alle Fragen über den echten Ramses beantworten kann, wer die Schlacht von Kades gewonnen hat, und was weiß ich noch alles.

Igora: Und das hat er Herr Doktor wirklich geglaubt?

Ugarte: Als ob ein Klon die Erinnerungen des Originals behält, ein Trottel, der Mann, keine Ahnung von Genetik. Als er mir die Mumie brachte und merkte, was ich wirklich vorhatte, da machte er mir eine Szene.

Igora: Eine Frechheit Herr Doktor, eine bodenlose Frechheit.

Ugarte: Dafür ist er ja auch bestraft worden, Igora, und ich, ich habe die Mumie präpariert und zerlegt, das Genmaterial isoliert, nach der PCR-Methode kopiert und da mir mehr als ausreichend DNA-Substanz zur Verfügung stand, habe ich dich produziert, Ramses. Du bist ein Pharao, ein Autokrat, ein Tyrann, ein blutdürstiger Krieger. Benimm dich gefälligst auch so.

Igora: Alarm, Herr Doktor.

Ugarte: Geh ans Fon, Igora, frag die Sicherheitszentrale was es gibt.

Igora: Ja, was ist los? Aha? Jemand hat versucht, ins Institut einzudringen Herr Dr.

Ugarte: Wer hat es gewagt. Man bringe ihn zu mir.

Igora: Sie. Herr Doktor, es ist eine Frau.

Jonas: Auftritt zwei riesige Klonkiller mit Lasern, zwischen ihnen, Sie haben es erraten, Nofretete, sie hatte es tatsächlich geschafft. Respekt trotz allem. Sie sah sich um, verwirrt zuerst, dann immer stärker beeindruckt. Fast verzückt, riß sich los, lief zum Thron, fiel auf die Knie.

Nofretete: Majestät, o großer Pharao, sieh gnädig herab auf deine Dienerin.

Ugarte: Machen Sie sich nicht lächerlich. Das ist nur ein Klon: Ein Produkt. Vor mir sollten Sie knien. Ich hab ihn geschaffen, einen lebendigen Pharao aus einer toten Mumie, und das ist erst der Anfang, wenn erst die vielen kleinen Adolfs reif geworden sind, und bald, sehr bald werde ich in den Osten aufbrechen, ins Eldorado der Tyrannen, Lenin, Stalin, Iwan der Schreckliche, Dschingis Khan. Tamalan. Durch mein Genie werdet ihr zu neuem Leben, neuen Untaten erwachen.

Igora: Bravo, Herr Doktor, bravissimo.

Ugarte: Man hat mich verfolgt, man hat mich gedemütigt, meine Karriere hat man vernichtet, mein Leben zerstört, ich werde mich dafür rächen. Babylon, Europa, die ganze Welt wird erfahren, wozu Dr. Victor Ugarte fähig ist. Ich klone Welteroberer, Diktatoren, Tyrannen, Massenmörder, Blutsäufer, es werden mehr werden, immer mehr, viele, und wenn die Zeit gekommen ist, werde ich, Dr. Victor Ugarte, meine schwarzen Heerscharen, meine apokalyptischen Horden auf die Menschheit loslassen. Ein Chaos wird ausbrechen, eine globale Katastrophe, die Greuel der Verwüstung. Heulen und Zähneklappern, Berge von Leichen, Ströme von Blut. Armageddon, Götterdämmerung, Weltuntergang.

Sam: Total beknackt dieser Klon...

Ramses: Amun steh mir bei, was für ein melodramatischen Monolog, ein richtiges, verzeihen Sie Dr. Ugarte, ein richtiges Schmierentheater.

Igora: Ramses, der kann sprechen, Und wie, Herr Doktor, wie ein Buch.

Sam: Ne, wie ein Computer.

Ugarte: Wie redest du mit mir, Ramses, du bist mein Geschöpf, was ich befehle führst du aus.

Ramses: O nein, Dr. Ugarte, rechnen Sie bitte nicht mit mir, ich finde ihr Weltuntergangsszenario abgeschmackt. Makaber, richtig krank. Außerdem kann ich kein Blut sehen.

Ugarte: Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken, Igora. Ramses ist ein Fehlschlag. Viel zu brav, kein Tyrann, wie wir ihn brauchen. Was über Ramses II. in den Geschichtsbüchern steht, ist offenbar stark übertrieben. Wir werden ohne ihn auskommen müssen. Programm Adolf wird intensiviert. Viel zu tun, viel zu tun.

Igora: Und die Frau, Herr Doktor, die Einbrecherin?

Ugarte: Bringen sie um, Igora.

Igora: Mit meinem kleinen scharfen Messer, Herr Doktor, wie Juniper.

Ugarte: Genau so, Igora, zeig diesem entarteten Pharao wie Menschenblut aussieht.

Igora: Komm, komm mein Täubchen, komm zu Igora. Igora wird dir deinen schönen Hals abschneiden von einem Ohr zum andern mit ihrem kleinen scharfen Messer.

Ramses: Zurück. Ich bin der Pharao, ich werde nicht dulden, daß meiner Dienerin Leid geschieht.

Igora: Misch du dich nicht ein Ramses, sonst bist du der nächste. Haltet sie fest.

Sam: Sollten wir einschreiten, mein über den Dingen schwebender Jonas.

Jonas: Du hast Recht, Sam, es wird Zeit. Laserstrahler. Igora und zwei Klonkiller.

Jonas: Tot. Alle drei. Meisterschütze Jonas hopste über die Kanzel. Nofretete war keine Amateurin. Sie lief sofort zur Tür, drehte den Schlüssel um. Keine Sekunde zu früh.

Ugarte: Igora, was ist passiert...

Nofretete: Nun tun wie uns also doch noch zusammen, Jonas. Teilen wir unsere Ressourcen. Was haben Sie beizusteuern?

Jonas: Meinen Laser und einen Hinterausgang plus Fluchtweg. Und Sie Nofretete?

Ugarte: Aufmachen.

Nofretete: Ich, das hier.

Jonas: Eine Superminibombe mit einstellbarem Zeitzünder. Sehr gut.

Nofretete: Zum Glück haben sie mich nicht durchsucht.

Sam: Die Zeit drängt, verehrte Anwesende. Stell den Knaller ein, eine viertel Stunde sollte reichen, na los versteck ihn und dann ab und durch die Middle.

Jonas: Und Ramses, nehmen wir ihn mit.

Nofretete: Mein Pharao. Komm zurück.

Sam: Ja wo ist er denn...

Jonas: Ramses schritt zur Tür. Kopf hoch, Arme über der Brust gekreuzt, feierlich, jeder Zoll ein Pharao. Ugarte und seine Klonkiller hatten ein mächtiges Loch in die Füllung geschlagen. Ramses blieb davor stehen, majestätisch hob er den Krummstab.

Ramses: Im Namen Amuns, in meinem eigenen Namen, ein Gott bin wie er, im Namen aller Götter Ägyptens, fort mit den Waffen, in den Staub, das befiehlt euch Ramses, der Sohn des Rah, der da geliebt wird von Amun, Ramses der große Pharao.

Jonas: Nofetete, was ist mit der Bombe.

Nofretete: Eingestellt und versteckt.

Jonas: Dann los, hier auf die Kanzel, beeilen Sie sich. Auf die Kanzel.

Nofretete: Armer Ramses. Armer Pharao.

Jonas: Eine Viertel Stunde später, in einem Gang des unterirdischen Atomschutzsystems Richtung Babylon. Jonas ging voran, dahinter Nofretete, Sammy in meiner Hand leuchtete. Wir hatten es eilig. Aus gutem Grund.

Sam: Adio Frankensteins Burg. Adios Frankenstein. Alias Dr. Victor Ugarte.

Jonas: Adios Ramses. Ein Jammer, daß wir ihn nicht retten konnten, Nofretete, und seine Mumie schon gar nicht, aber die hat Ugarte schon vor Tagen zerschnipsle und zu Genmaterial verarbeitet. Nofretete? Nofretete?

Sam: Noferetetete? na, verschwunden, die flüchtige, wieder einmal.

Jonas: Und diesmal für immer. Mir sollte es recht sein. Als ich zuhause war, rief ich Frau Schrödinger M.A. an, wollte ihr erzählen, wie der Fall ausgegangen war, wer dahinter gesteckt hatte und warum. Aber sie wollte es nicht hören.

Schrödinger: Interessiert mich nicht, Herr Jonas, absolut nicht, das hab ich Ihnen schon mal gesagt. Mich interessiert nur eins. Was ist mit Ramses?

Jonas: Erschossen, Frau Schrödinger, MA.

Schrödinger: Was?

Jonas: Was ist mit meinem Geld?

Schrödinger: Reichen Sie Ihre Rechnung ein.

Jonas: Was?

Schrödinger: Ich habe einen großen Papierkorb.

Jonas: Natürlich kriegte Jonas keinen Euro. Frau Schrödinger MA kriegte was, einen neuen Posten. Sie wurde nach Albanien versetzt zur Regionalverwaltung historisch wertvoller Zwergkirchen.

Sam: Und da soll sie bleiben, bis sie schwarz wird, das walte Hugo, Amen Bmen, Batman.

Das war Pharao. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem wirkten mit: Christiane Bachschmidt, Ulrike Kriener, Elisabeth Volkmann, Hans Stetter und viele andere (Elisabeth Endriss, Karl Friedrich). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Regieassistenz: Holger Buck. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1994). Redaktion: Erwin Weigel.

eingetragen am 02.04.2022 - 21:23
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Paranoia

Sam: Zwei Knaben gingen durch das Korn...

Jonas: Nicht schon wieder.

Sam: Der eine bluß das Klappenhorn.

Jonas: Nein!

Sam: Doch. Er konnt's zwar nicht gut blasen, doch blus er’s einigermaßen.

Jonas: Freut euch des Lebens.

Sam: Ja, wahrlich freuet euch und abermals freuet euch, denn siehe, Großmutter wird mit der Sense rasiert. Ole. Hahaha.

Jonas: Sam hatte sich einen Virus eingefangen, den berüchtigten Klapphornvirus, weiß der Teufel, wo er sich rumgetrieben hatte. Sam ist mein Computer. Klein, aber laut, eine Nervensäge schon ohne Virus, und mit Virus gar nicht mehr auszuhalten.

Sam: Und ferner steht geschrieben im Buche des Klapphorns: Zwei Knaben suchten emsiglich am Baum nach einem Apfel. Sie fanden keinen Apfel nicht.

Jonas: Der Baum, das war ne Pappel. Hallo.

Koslowski: Was sagten Sie?

Jonas: Ich sagte Hallo.

Koslowski: Ach. Herr Jonas?

Jonas: Nicht ausgeschlossen.

Koslowski: Der Detektiv?

Jonas: Könnte sein. Und wer oder was sind Sie?

Koslowski: Vielleicht eine Klientin. Falls Sie mich heute noch aufsuchen. Hotel Tivoli, Babylon Ost, Löwengrube 28, Zimmer 42.

Jonas: Heute noch. Wissen Sie, wie spät es ist?

Koslowski: Selbstverständlich weiß ich, wie spät es ist. 22 Uhr 27. Sie sollten sich beeilen, Herr Jonas.

Jonas: Kein Name. Hotel Tivoli, Sammy. Fonnummer. Sam!

Sam: Bitte sehr, bitte gleich der Herr Fonnummer Hotel Tivoli.
772. A zwei Knaben reisten an den Nil.

Jonas: Ich schalt dich ab, Sam.

Sam: Den andern fraß ein Krokodil.

Jonas: Schluß, Sam. Ende. Punkt.

Sam: Punkt Punkt Komma Strich.

Jonas: Strich drunter. Aus. Kein Klapphorn, kein Knabe.

Sam: Zwei Knaben, Sir. So steht's geschrieben.

Jonas: Sendeschluß, Sam. Fonnummer Tivoli. Dalli.

Sam: 772583999.

Jonas: In Zimmer 42 wohnte keine Dame. In Zimmer 42 wohnte ein einzelner Herr. Babitsch mit Namen. Baris Babitsch. Seltsam. Verdächtig. Ganz und gar nicht astrein. Trotzdem machte Jonas sich auf die Socken. Alles war besser als im Büro zu hocken und Sams Klapphornversen zu lauschen. Die Löwengrube war eine kleine schäbige Straße in einem kleinen schäbigen Viertel. Hotel Tivoli war nicht klein, dafür um so schäbiger. Ich sah’s mir an, von der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich war allein, dachte ich.

Mann mit Plakat: Das Ende der Welt ist nahe.

Jonas: Sie sagen mir nichts neues.

Mann mit Plakat: Bereuet und tut Buße.

Jonas: Bei Gelegenheit. Gehen Sie weiter, Freund.

Mann mit Plakat: Das Ende der Welt ist nahe.

Jonas: Haben Sie schon mal gesagt, außerdem steht’s auf dem Plakat, das Sie um den Hals hängen haben.

Mann mit Plakat: Dem Untergang geweiht ist unser Raumschiff Erde.

Jonas: Kein Wunder, der Kapitän ist besoffen.

Mann mit Plakat: Schon verlassen die Ratten das sinkende Schiff. Sehen Sie, dort drüben, das helle Fenster im 4. Stock. Hotel Tivoli. Zimmer 42.

Jonas: Da steigt einer aufs Fensterbrett. Der will springen. Halt! Tot. Nichts mehr zu machen. In der Ferne heulten Sirenen. Ich sah mich um. Der Plakatmensch war verschwunden. Gute Idee. Jonas verschwand auch. Es war spät. Und ich hatte keine Lust, mich stundenlang als Zeuge ausquetschen zu lassen. Am nächsten Morgen wollte ich mir Gedanken machen über die anonyme Anruferin, über das Ende der Welt, und über den Selbstmörder in Zimmer 42. Aber ich hatte keine Zeit, weil jemand zu mir kam. Eine Frau, an die 40. Dunkel, wohlgefällig anzuschauen. Sie hieß Lisa Koslowski, sagte sie. Ihre Stimme kam mir bekannt vor. Hatte sie mich gestern abend angerufen?

Koslowski: Das spielt keine Rolle, Herr Jonas.

Jonas: Ach, und was spielt eine Rolle, Frau Koslowski?

Koslowski: Mein Onkel, Herr Jonas.

Jonas: Sieh mal an, der liebe Onkel. Und die übrige Verwandtschaft alles wohlauf.

Koslowski: Ihr Ton...

Jonas: Gefällt Ihnen nicht, ich weiß. Nachdem wir das geklärt haben, sollten wir zur Sache kommen. Warum sind Sie hier, Frau Koslowski?

Koslowski: Weil ich einen Privatdetektiv brauche natürlich. Aber inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich an der richtigen Adresse bin.

Jonas: Sie war. Richtiger ging’s gar nicht. Ich bin Privatdetektiv. Der letzte und darum auch der einzige. In Babylon, der großen Stadt, mitten in den Vereinigten Staaten von Europa. Jonas ist mein Name, nur Jonas. Nicht Philip Marlowe, nicht Sam Spade, nicht Nestor Burma. Ein großer Held bin ich nicht. Ich bin ein Nachfolger. Nehmen Sie mich, wie ich bin, dann tu ich für Sie, was ich kann.

Koslowski: Ich kann es nicht glauben. Onkel Baris hätte so etwas nie gemacht.

Jonas: Was?

Koslowski: Selbstmord. Ich versteh das nicht.

Jonas: Ich verstand es auch nicht. Diese Unterhaltung hatte ich schon mal geführt. Wort für Wort vor 4 Jahren. Mit Judith Delgado. Aber an Judith wollte ich jetzt nicht denken. Judith war tot. Am 19. Juli 2012 hatte man sie erschossen. Vor genau 9 Monaten.

Koslowski: Onkel Baris ist aus dem Fenster gesprungen, sagt die Polizei, gestern abend.

Jonas: Kurz vor Mitternacht. Zimmer 42. Hotel Tivoli. Löwengrube 28.

Koslowski: Korrekt, Herr Jonas.

Jonas: Sie haben mich gestern angerufen, Frau Koslowski.

Koslowski: Das ist nicht ihr Problem, Herr Jonas, Ihr Problem ist, was steckt hinter dem angeblichen Selbstmord, wie ist Onkel Baris wirklich umgekommen, das sollten Sie herausfinden, Herr Jonas, das ist ihr Auftrag.

Jonas: 120 Euros pro Tag und Spesen.

Koslowski: Einverstanden.

Jonas: Name?

Koslowski: Babitsch. Baris Babitsch. 60 Jahre, alleinstehend.

Jonas: Volksrentner?

Koslowski: Wo denken Sie hin, Herr Jonas, Onkel Baris ist, war eine Persönlichkeit von Gewicht, der Leitende Direktor von Sanssouci.

Jonas: Sanssouci. Sorgenfrei. Von wegen Entsorgung. So heißt die Müllkippe von Babylon, draußen vor den Toren, mehr als eine Müllkippe, eine Müllandschaft. Müllberge. Müllebenen. Müllschluchten von Horizont zu Horizont, viele Quadratkilometer, vollautomatisch gewartet von riesigen Müllmaschinen, Schaufeln und Bagger auf Ketten.

Koslowski: Und da hat er auch gewohnt, Onkel Baris. In Sanssouci. Im Verwaltungstrakt. Gleich neben seinem Büro.

Jonas: Nicht im Hotel Tivoli?

Koslowski: Im Hotel hat er sich erst gestern eingemietet, ganz plötzlich, ohne Gepäck.

Jonas: Aus welchem Grund?

Koslowski: Das weiß ich nicht.

Jonas: Vielleicht sollte ich da ansetzen.

Koslowski: Im Tivoli können Sie sich später umsehen, Herr Jonas, zuerst fahren Sie raus nach Sanssouci, gleich, so schnell wie möglich. Mieten Sie sich ein E-Mobil.

Jonas: Das kostet was, Frau Koslowski.

Koslowski: Auf Spesen natürlich. Brauchen Sie einen Vorschuß?

Jonas: Den braucht Jonas immer. Außerdem brauchte er Rat. Dringend. Im Fall Babitsch stimmte hinten und vorne nichts. Gab es überhaupt einen Baris Babitsch? Als Lisa Koslowski gegangen war, ließ ich Sam nachsehen.

Sam: Boris Klapphorn. Piep. Geboren 13.3.1953. Verstorben, Klammer auf, Suizid Klapphorn zu, 22.4.2013, Klapphornnummer 17357

Jonas: Falls du Bürgernummer meinst, Sammy, die brauchen wir nicht. Funktion.

Sam: Leitender Direktor der staatlich babylonischen Klapphorndeponie Sanssouci.

Jonas: Wenn du noch einmal Klapphorn sagst, Sam, nur noch ein einziges Mal, dann fliegst du aus dem Fenster.

Sam: Aus dem 16. Stock, du Sadist? Da könnte ein Klapphorn leicht Schaden nehmen.

Jonas: Ich geb’s auf. Hat er eine Nichte namens Koslowski?

Sam: Der Baris Klapphorn?

Jonas: Babitsch heißt er, Babitsch, hat er oder hat er nicht?

Sam: Hat er nicht, euer Unbeherrschlichkeit, weder Koslowski noch überhaupt eine Nichte. Zwei Nichten gingen durch das Korn, die eine hinten die andere vorn, ahahaha.

Jonas: Sam aus dem Fenster zu werfen, brachte ich nicht übers Herz, ich stellte ihn ab, dann steckte ich ihn ein und ging. Eine Stunde später saß ich im E-Mobil unterwegs nach Sanssouci, durch die Wildnis, immer gerade aus, auf den hohen Verteilerturm zu, der mitten in der Deponie steht, und auch die höchsten Müllberge weit überragt. Kurz vor 3 war ich da, nach Dienstschluß. Das Verwaltungsgebäude war so gut wie leer. Aber als ich die Tür zum Büro des Direktors aufmachte...

Frank: Nur herein, Jonas, wir warten schon auf Sie.

Jonas: Oberst Frank!

Frank: In Lebensgröße. Machen Sie den Mund zu, Jonas, die Tür auch, und nehmen Sie bitte die Hände hoch. Durchsuchen, Rosencrantz.

Rosencrantz: Zu Befehl, Herr Oberst.

Jonas: Oberst Frank, Chef des babylonischen Geheimdienstes GD. Früher Terrorpolizei. Ein unangenehmer Zeitgenosse. Zweimal hatte Jonas bisher mit ihm zutun gehabt, Fall Todestour und Fall Inselklau.

Frank: Auf ein neues, Jonas, in alter Freundschaft.

Jonas: Passe. Jonas steigt aus.

Frank: Das können wir nicht zulassen, was meine Herrn. Halten Sie ihn fest.

Rosencrantz: Zu Befehl, Herr Oberst.

Jonas: Was wollen Sie von mir?

Frank: Wir haben einen Hinweis bekommen, einen anonymen Hinweis, daß Sie hier aufkreuzen würden. Aber das war uns sowieso klar, immerhin stecken Sie drin bis über die Halskrause.

Jonas: Wo stecke ich drin?

Frank: Aber Jonas, im Fall der sogenannten Selbstmorde natürlich.

Jonas: Wieso sogenannte, und wieso Selbstmorde? Ich kenne nur einen.

Frank: Babitsch meinen Sie? Da sollten Sie sich wohl auskennen, Jonas, schließlich haben Sie den Mann um die Ecke gebracht.

Jonas: Was, ich?

Frank: Sie waren da, Jonas, Hotel Tivoli, gestern nacht.

Jonas: Sie sind gut informiert, Frank.

Frank: Das ist unser Job, Jonas. Jetzt müssen wir nur noch feststellen, für wen Sie arbeiten, obwohl wir das eigentlich auch schon wissen.

Jonas: Würden Sie es mir verraten?

Frank: Spielen Sie nur den Idioten, Jonas, Sie machen das nicht schlecht.

Jonas: Naturtalent, Frank.

Frank: Aber das hilft Ihnen nicht raus. Ich weiß, daß Sie für die Drittwelt arbeiten, für afrikanische und asiatische Terrorgruppen. Sie erinnern sich doch noch an die Kusbekische Befreiungsfront. Ich weiß, daß die hinter allem steckt, was bei uns passiert, auch hinter den Selbstmorden, und das heißt, hinten Ihnen Jonas.

Jonas: Sie spinnen, Frank, Sie sind nicht dicht, paranoid, Berufskrankheit nehm ich an.

Frank: Wir werden uns in Babylon weiter unterhalten, in der Zentrale, da haben wir Experten, die jeden zum Reden bringen, auch Sie, Jonas. Kommen Sie. Rosencrantz, Güldenstern, Sie behalten den Mann im Auge.

Rosencrantz: Zu Befehl, Herr Oberst.

Jonas: Jonas kam mit, ruhig, in sein Schicksal ergeben. So sah es aus, aber vor dem Haus riß ich mich los, rannte um die Ecke, nach hinten, wo mein E-Mobil stand, Start, los, nicht zur Straße nach Babylon, weil Frank das erwartete, in die andere Richtung, zur Deponie, in den Müll, das heißt bis zum Rand, da ließ ich den Wagen stehen, weiter ging’s nur zu Fuß, über Müllberg und Mülltal, eine aufreibende Kletterei, ganz abgesehen vom Geruch, aber es gab schlimmeres, Franks Experten zum Beispiel. Also weiter, immer tiefer in den Müll, wo ich sicher war, dachte ich. Ich dachte falsch. Wie so oft. Ein Geräusch hinter mir, ich drehte mich um und fühlte mich auf einmal sehr klein.

Jonas: Eine Müllmaschine! Sie haben mir eins von diesen Superbaggern nachgeschickt. In 5 Minuten hat er mich, und dann macht er Matsch aus Jonas. Sam, Sammy, ich brauch dich.

Sam: Jaja, abgestellt, angestellt, hüh und hott, ne, erst beschimpfen und dann bitte bitte, ja, das kennen wir. So ist das Leben, eure dialektische Weltweisheit, ein ewiges auf und ab. Wie spricht das Klapphorn.

Jonas: Ich laß dich hier, Sammy, ich schmeiß dich auf den Müll.

Sam: Nicht doch, Freund. Es spricht vergeben und vergessen, das ist Computers Zier. Was steht zu Diensten?

Jonas: Tu was, Sammy, steig ins Kontrollsystem der Deponie, halt ihn an den Leviatan. Kennst du das Codewort.

Sam: Das Sesam öffne dich des Sanssouci-Systems, o du mein Ali Baba, aber gewiß doch, es lautet Klapphorn.

Jonas: So, das reicht, du hast es so gewollt.

Jonas: Plötzlich sackte der Bagger weg, in ein Loch, eine durch Müll verdeckte Fallgrube, und da kam er nicht mehr raus, draußen im Müll Bewegung, Menschen tauchten auf, graue Gestalten, vom Rand der Grube hakten sie auf die gefangene Maschine ein, mit Stangen und Steinen, wie Neandertaler auf der Mammutjagd. Das mußten Trolle sein. Ich hatte davon gehört. Trolle lebten mitten im Müll, von dem was sich bot, auch von Menschen, wenn sie welche kriegten, sagt man. Jonas blieb in Deckung, vorsichtshalber, bis sie den Bagger kurz und klein geschlagen hatte und mit den Stücken abgezogen waren. Dann zog auch Jonas ab. Es wurde dunkel.

Sam: Hallo, Augenblick mal, Chef, Sie haben was vergessen.

Jonas: Nicht das ich wüßte.

Sam: Sam heißt er. Ein Computer ist er.

Jonas: Das Klapphorn meinst du, das bleibt hier, auf dem Müll, ich hab keine Verwendung dafür. Du kannst mir viel erzählen. In dieser Nacht wurde geschlichen. Erst durch den Müll, dann durch die Wildnis. Am frühen Morgen war Jonas wieder in Babylon, mit Sam natürlich, unbeschadet, müde, guter Dinge, vor allem wenn ich an Oberst Frank dachte, der stocherte sicher noch im Müll rum, aber als ich die Tür zum Büroapartment aufstieß, verging mir die gute Laune schlagartig. Ich hatte Besuch gehabt.

Sam: Barbaren, Goten, Skyten, Hunnen, Vandalen.

Jonas: Alles durchgewühlt, alles auf den Kopf gestellt, den Bürowhisky haben sie ausgetrunken, meine letzte Flasche Old Forrester.

Sam: Sie ruhe in Frieden. Mein tief empfundnes Beinkleid den durstgeplagten Hinterbliebenen aus ganzem Herzen.

Jonas: Hast keines, Sammy, trotzdem danke.

Sam: Bitte.

Jonas: Deinem Speicher ist zum Glück nichts passiert.

Sam: Was?

Jonas: Ja, sie haben’s versucht, aber sie konnten ihn nicht knacken, Sam 1 ist eine Festung.

Sam: Nichts passiert? Und diese tiefe Wunde, du gefühlslose Tomate?

Jonas: Ach, das ist nur ein Kratzer, Sam, da schmieren wir bei Gelegenheit ein bißchen Lack drauf. So, fahr mal das Bett aus, Jonas ist müde, aufgeräumt wird später.

Sam: Geschlafen auch. Tatatata. Der Sammy stößt ins Klappenhorn...

Jonas: Geht das schon wieder los.

Sam: Mein Jonas hat hier nicht verloren, er eile flott von dannen, sonst schnappen ihn die Mannen, er eile fix von innen, sonst kriegen ihn die Finnen.

Jonas: Finnen, was für Finnen?

Sam: Naja Rinnen, Zinnen, Spinnen, nur des Reimes wegen.

Jonas: Und wen meinst du in schlichter Prosa, Sam?

Frank: Uns meint er, Jonas. Wissen Sie, wir hatten keine Lust, stundenlang im Müll zu buddeln, statt dessen haben wir es uns bei ihnen bequem gemacht, wir haben ihr Büro ein bißchen umdekoriert, und wir haben gewartet, für alle Fälle, und Sie haben es tatsächlich geschafft, Jonas, trotz Müllmenschen und Müllmaschinen, Respekt Jonas, guter Mann. Ihr Whisky ist übrigens auch nicht schlecht. Rosencrantz?

Rosencrantz: Herr Oberst?

Frank: Verpassen Sie ihm was mit ihrem Neurofreezer, damit er uns nicht noch mal auskneift.

Rosencrantz: Befehl, Herr Oberst.

Jonas: Sie hatten nicht nur Neurofreezer, sie hatten auch weiße Mäntel und eine Bahre, auf die legten sie Jonas. Kein Problem, ich war hilflos, steif wie ein Brett. Sie schleppten mich raus, auf die Straße, da parkte eine Ambulanz, aber sie kamen nicht mehr dazu, mich einzuladen, plötzlich war eine große schwarze E-Limousine da, Aufschrift Bestattungsinstitut Moroni, ein Leichenwagen, ein paar Typen in schwarz sprangen raus, fingen sofort an zu schießen, mit Laserstrahlern. Frank und Co hatten keine Chance. Die schwarzen ließen sie liegen. Jonas klaubten sie auf und stopften ihn in den Leichenwagen. Während sie mich in einen Sarg bugsierten, sah ich durch die offene Klappe einen Mann am Straßenrand, einen Mann mit einem Plakat, auf dem stand: Das Ende der Welt ist nahe. Ich war ganz seiner Meinung. Der Wagen hielt, der Sarg wurde rausgehoben, ein Stück getragen, abgesetzt, geöffnet, und geleert, der Neurofrezereffekt ließ allmählich nach, ich konnte den Kopf drehen. Ich sah mich um. Ein hoher Raum. Feierlich. Schwarz ausgeschlagen. Kirchengestühl, eine automatische Orgel, die vor sich hindudelte, es roch irgendwie fromm nach Weihwasser und Weihrauch. Eine Tür ging auf. Eine Frau trat ein. Lisa Koslowski. So hatte sie sich gestern genannt.

Koslowski: Bleiben wir dabei, Herr Jonas, das ist einfacher. Was ist ein Name.

Jonas: Wo bin ich?

Koslowski: Die konventionelle Frage, wie nett, Sie befinden sich im Bestattungsinstitut Moroni, in der babylonischen Zentrale des GGD, des geheimen Geheimdienstes.

Jonas: Was hab ich mit dem GGD zu tun.

Koslowski: Der GGD hat sich Ihrer bedient, Jonas, Sie benutzt als Lockvogel. Gewissermaßen.

Jonas: Heißen Dank.

Koslowski: Wir haben zu danken, Jonas, durch Sie sind wir ein ganzes Stück weitergekommen. Sehen Sie, seit Monaten macht uns ein Problem zu schaffen: eine Reihe hoher babylonischer Funktionsträger begeht Selbstmord, so scheint es jedenfalls. Zuerst Samson vom Amt für Luftüberwachung und Luftreinhaltung, dann Marschall Medina, der Kommandeur unserer Grenzschutztruppe. Dr. Klaas, Direktor des Rechnungshof, und jetzt Babitsch von der Deponie, eine richtige Epidemie. Es ist uns natürlich klar, daß es sich in Wirklichkeit um Morde handelt und daß der GD dahinter steckt, Frank und seine Leute.

Jonas: Der babylonische Geheimdienst bringt babylonische Würdenträger rum. Völlig klar wie Kloßbrühe.

Koslowski: Der GD ist natürlich unterwandert.

Jonas: Von der Drittwelt.

Koslowski: Unsinn, vom CIA. Von den Amerikanern.

Jonas: Von unseren Verbündeten?

Koslowski: Was heißt das schon? Die USA wollen Europa kleinhalten, verunsichern, destabilisieren.

Jonas: Und welche Rolle spielt Jonas in diesem Szenario?

Koslowski: Wir haben alle möglichen Selbstmordkandidaten beobachtet. Als wir den Eindruck hatten, Babitsch sei der nächste, haben wir Sie ins Spiel gebracht, Jonas, als unbekannte Größe, um den GD aufzuspüren, aus dem Rhythmus bringen, mit durchschlagendem Erfolg, das können Sie nicht bestreiten.

Jonas: Mir schwirrte der Kopf. Das lag nicht am Neurofreezer. Babitsch war nicht ermordet worden, er war aus dem Fenster gesprungen, allein, aus eigenem Antrieb, das hatte ich gesehen, und ich kannte noch einen Selbstmörder aus der Liste. Dr. Klaas, Stammgast im Casablanca. Ich hatte beobachtet, wie er immer verschlossener, immer verstörter wurde, bis er sich erschoß. Zuviel Schlamperei und Korruption in Babylon, zu viel Streß für den obersten Rechnungsprüfer, das stand im Abschiedsbrief, den er dem Casablanca hinterließ, und beim Rest war es sicher ähnlich, alle hatten Jobs mit maximaler Verantwortung und minimalen Erfolgserlebnissen. Die Selbstmorde waren echt, das sagte ich Lisa Koslowski. Aber auf dem Ohr war sie taub.

Koslowski: Sie haben keine Ahnung, Jonas, Sie sind naiv.

Jonas: Lieber naiv als paranoid.

Koslowski: Oder Sie sind ein Provokateur. Sie stecken mit dem GD unter einer Decke. Sie sind ein CIA-Agent.

Jonas: Klar, deshalb hat Frank mich durch den Müll gescheucht und mich mit dem Neurofreezer kaltgestellt.

Koslowski: Alles Theater, Jonas, Ablenkungsmanöver, fast wäre ich drauf reingefallen. Sie sind durchschaut, Jonas, packen Sie aus.

Jonas: Herzlich gerne, wenn ich nur wüßte was.

Koslowski: Auch der GGD hat Neurofreezer, Jonas. Wenn Sie störrisch bleiben, stecken wir Sie wieder in den Sarg, wir richten ihnen eine ergreifende Trauerfeier aus, und dann ab ins Krematorium, das oder Sie reden. Ich gebe Ihnen Bedenkzeit, eine halbe Stunde. Schafft ihn nach nebenan.

Jonas: Nebenan war ein langer schmaler Raum ohne Fenster, eine Birne baumelte von der Decke und warf trübes Licht auf 6 Särge, alle belegt.

Sam: Ein Ambiente wie weiland im Unternehmen Immer und Ewig, erinnert sich mein Herr und Meister.

Jonas: Fall Requiem. Ich weiß, Sammy. Wann war das? 2009. Interessant.

Sam: Fall Requiem meinen Herr Oberarchivar?

Jonas: Ich meine nicht Requiem, ich meine den Toten hier im Sarg, gleich neben der Tür, sieht ein bißchen aus wie Jonas.

Sam: Laß kucken, Kumpel, hmh, männlich, groß, kräftig, gereift, bildschön, naja von letzterem abgesehen das präzise Ebenbild eines nicht unbekannten babylonischen Privatdetektivs.

Jonas: Das eröffnet uns gewisse Perspektiven, Sammy?

Sam: Rollentausch und Kleiderwechsel bzw. Kleidertausch und Rollenwechsel?

Jonas: Genau das, Sammy. Schwerer Fall. Der Doppelgänger.

Sam: Armer Yorrik. Und wie der Mensch angezogen ist. Igitt, ein Frack anno 1950 oder noch früher. Pfui Spinne und Spargel, so was willst du deinem edlen Körper zumuten?

Jonas: Ich wollte nicht, ich mußte, das war die einzige Möglichkeit, heil aus diesem Irrenhaus rauszukommen. Ich zog dem Toten meine Sachen an und setzte ihn ganz hinten in die Ecke. Jonas stiegt in den Frack und dann in den Sarg, zog den Deckel zu bis auf einen Spalt und wartete.

Bedenkzeit ist um, raus mit ihnen, Jonas, los doch, lassen Sie die Chefin nicht warten, seien Sie vernünftig, machen Sie keine Zicken. OK, dann muß ich Sie eben holen. Sturer Bock.

Jonas: Er stapfte nach hinten. Jonas machte den Sargdeckel auf, ganz leise und stieg aus, noch leiser, schlich zur Tür, unhörbar, machte sie von außen zu, drehte den Schlüssel um, schlich weiter durch einen Gang, und dann war ich draußen, so einfach ging das. Aber es blieb nicht so einfach. In meinem Frack war ich so unauffällig wie Schimanski in der Damensauna. Jonas mußte in Deckung und Jonas wußte auch wo. An der nächsten Ecke war ein öffentliches Klo. Ich sauste die Treppe runter, durch die Tür mit der Aufschrift Herren, Sicherheit. Für etwa 5 Sekunden. Bis die Tür der hintersten Zelle aufging und ein alter Bekannter rauskam. Das Ende der Welt. Mit Plakat und mit schußbereitem Laserstrahler.

Mann mit Plakat: Sehr aufmerksam von ihnen, Jonas, Sie kommen freiwillig. Wir brauchen kein Greifkommando auszuschicken. Heben Sie freundlicherweise die Hände. Ja, so danke. Von der Bestattung zum Bedürfnis, ein sozialer Abstieg, könnte man meinen, in Wahrheit ist es genau das Gegenteil. Treten Sie näher, Jonas, durch diese Tür, wenn ich bitten darf, hinter ihr befindet sich keine Toilettenzelle, wie Sie und die Welt vermuten, und vermuten sollen, hinter ihr verbirgt sich die Zentrale des GGGD, des ganz geheimen Geheimdienstes. Kommen Sie, Jonas, nach Ihnen.

Jonas: Was es nicht alles gab in unserer großen Stadt Babylon, untendrunter bessergesagt. Ein weiter Saal, weißgekachelt, klinisch sauber, desinfiziert, rechts und links Schreibtische, darauf Konsolen, davor fleißige Amtsschimmel, mitten im Saal stand ein Kasten aus glänzendem Chrom, 2 Meter im Geviert. Knöpfe, Skalen, Hebel, ein Kabel lief zu einem summenden Aggregat an der hinteren Wand, obenauf ein Fußball ohne Luft, kahl, schrumpelig, Brillengläser aus Panzerglas, ein Hörrohr und ein horizontaler Schlitz, der sich bewegte. Der Schrumpfkopf konnte sprechen.

O: Näher, noch näher. Damit ich Sie besser sehen kann. Damit ich Sie besser hören kann.

Jonas: Damit er mich besser fressen kann.

Mann: Unser Chef, O, nur O.

Jonas: Wie Oweh?

Mann: Sehr witzig.

Jonas: Der Kasten, in dem er steckt, ist das eine Herzlungenmaschine?

O: Ein totaler Körperfunktionsautomat, er hält mich am Leben, er ist mein Leben, ich pflege zu sagen, die Kabelschnur ist meine Nabelschnur.

Mann/O: Hahaha.

O: Ich muß am Leben bleiben, nicht meinetwegen, für den Dienst, den GGGD.

Mann: Für Babylon, Chef, für Europa, für die Welt.

O: So ist es. Ich bin der einzige, der die Welt retten kann. Die beiden anderen sogenannten Dienste, der GD und der GGD sind durch und durch verseucht, unterwühlt, untergraben, unterwandert.

Jonas: Aha, lassen Sie mich raten. Von der Drittwelt. Vom CIA.

O: Ganz falsch. Wer so etwas behauptet, ist schwachsinnig, oder böswillig. Es gibt nur einen Feind, die Verkörperung allen Übels, die Ausgeburt Satans.

Jonas: Und wie heißt er, ihr böser Feind?

O: Wie können Sie fragen, es ist der rote, wer sonst.

Mann: Der Russe, der Iwan, der Bolschewik.

Jonas: Ach was, ich dachte, der kalte Krieg ist vorbei, seit fast einem Viertel Jahrhundert.

O: Das will man uns einreden, aber es ist nicht wahr. Das sogenannte Ende des sogenannten Ostblocks ist ein gigantisches Täuschungsmanöver.

Mann: Ein hinterhältiger Trick, um uns ins Sicherheit zu wiegen.

O: Sie sind zu allem fähig, diese Teufel.

Mann: Hinter den Selbstmorden stecken sie ja auch.

O: Den sogenannten Selbstmorden.

Mann: Selbstverständlich, Chef, verzeihen Sie.

Jonas: So was hab ich mir gedacht. Dann wäre ja wohl alles geklärt.

O: Bis auf eines, wer sind Sie?

Jonas: Ich? Jonas, nur Jonas. Privatdetektiv, der letzte.

O: Ihre Legende interessiert mich nicht. Wer sind Sie wirklich?

Jonas: Und wenn ich Ihnen sage, daß ich wirklich Jonas bin, nur Jonas.

O: Zwecklos, absolut zwecklos.

Mann: So dumm sind wir nicht, was Chef?

Jonas: Dann muß ich Ihnen wohl reinen Wein einschenken. Jawohl, ich bin Russe, Jonas Jonasowitz Jonasenko, Oberst im KGB.

Mann: Ein ganz dicker Fisch.

Jonas: Ich bin aber noch mehr. Ein Wechselbalg gezeugt von Gorbatschow mit einer Baba Jaga, ein schwarzer Magier, im Dienst der roten Revolution.

O: Ja, weiter!

Jonas: Es lebe die Diktatur des Proletariats, es lebe der 1. Parteitag der KPdSU, Bolschewiki, es lebe der 2. Parteitag, es lebe der 3., der 4., es lebe mein Taschenmesser.

O: Ihr Taschenmesser?

Jonas: Das habe ich an Ihrer Kabelnabelschnur. Ein kurzer Schnitt.

O: Nein, bitte nicht, ich tu alles, was Sie wollen.

Jonas: Das hörte Jonas gern. Als erster wollte er einen Laserstrahler, dann wollte er raus. Das war schwierig. Vorne ging’s nicht, auf der Straße lauerten die Leichenbitter vom GGD.

Sam: Preisfrage, was tut Meister Lampe, wenn Meister Reinike vor seinem Bau umherstreicht.

Jonas: Weiß nicht, Sammy, Klapphornblasen?

Sam: Er geht hinten raus, Karnickel, verschwiegene Establishments pflegen geheime Ausgänge aufzuweisen.

Jonas: Gute Idee, Sam. Wo ist hier die Hintertür? Na?

O: Nicht schneiden, bitte nicht! In der Rückwand neben dem Aggregat.

Jonas: Ich seh nichts.

O: Das können Sie auch nicht. Wir haben den Ausgang mit einer Holoprojektion der Wand zugedeckt.

Jonas: Abschalten. Wird’s bald.

O: Schalten Sie das Holo ab, Agent 07, schnell.

Sam: Aber hurtig.

Jonas: Rechts vom Aggregat verschwand ein Stück Kachelwand, dafür erschien eine kleine Tür. Agent O7 alias Ende der Welt schloß sie auf. Jonas ging rückwärts, Laserstrahler in der rechten Hand, die linke am Kabel. Ein kurzer Blick durch die Tür. Ein paar Stufen, unten ein breiter Abwasserkanal, der dritte Mann ließ grüßen, vor der untersten Stufe lag ein Schnellboot.

O: Das Boot ist aufgeladen und startbereit, falls die Russen uns überrollen.

Jonas: Seit Jahren haben die nichts anderes im Sinn. Die Schlüssel.

O: Geben Sie ihm die Bootsschlüssel, O7.

Jonas: Danke. Den Schlüssel zur Hintertür auch. So, und jetzt bleiben alle ganz brav da, wo sie sind. Keiner rührt sich, sonst stehen morgen in Holotext zwei interessante Anzeigen: Durch Laserstrahl beschädigter Funktionsautomat billig abzugeben wegen Todesfall. Und

Sam: Beim ganz geheimen Geheimdienst ist die Stelle des Chefs neu zu besetzen. Paranoia Bedingung. Sinilität angenehm.

Jonas: Ins Schnellboot und weg, mit aufgeblendetem Scheinwerfer und schäumender Bugwelle durch die zähe dunkle Brühe. Sam war Navigator. Sam kannte sich aus in der Unterwelt von Babylon. Sam kennt sich überall aus. Kein Wunder, wenn man sich in praktisch jedes System einklinken kann. Wir fuhren ab von Hauptkanal durch ein Labyrinth kleiner Seitenkanäle, einer davon weitete sich aus, zu einem Teich, da machten wir halt. Zeit für a) Bestandsaufnahme b) Zukunftsplanung.

Sam: Ein idyllisches Plätzchen, Herr Oberförster.

Jonas: Für einen Koprophilen Kongreß.

Sam: Haha, kuck mal, der kann Fremdwörter, der Kakopluile.

Jonas: Nur kein Neid, Sam, du denkst wohl, du bist der einzige, der große Töne spucken darf.

Sam: Ruhe im Saal, bitte Ruhe. Die Sitzung ist eröffnet. Thema wie so oft. Was nun. Punkt 1 der Tagesordnung: Wohin oder präziser, welcher Aufenthaltsort verspricht Zuflucht und Sicherheit.

Jonas: Wenn ich das wüßte.

Sam: Siehste.

Jonas: Drei Geheimdienste sind hinter Jonas her. Der GGGD hält mich für einen russischen Spion, der GGD denkt, ich bin vom CIA, und der GD...

Sam: Ist erledigt, fini, Strich drunter.

Jonas: Glaub ich nicht, Sammy, sicher, Oberst Frank ist tot.

Sam: Desgleichen Rosencrantz und Güldenstern.

Jonas: Na und? Im GD gibt’s noch viel mehr Leute, die haben Jonas auf der Abschußliste als Drittweltagenten.

Sam: Kurz und knapp. Bis auf weiteres können Exzellenz sich in Babypsilon nicht sehen lassen.

Jonas: Büro ist out, Casablanca is out.

Sam: Straßen, Häuser alles out, megaout, outer geht's nicht.

Jonas: Und hier unten können wir auch nicht ewig bleiben.

Sam: Warum denn nicht, mein subterraner Robinson, ist doch ganz gemütlich.

Jonas: Ach, und der Gestank.

Sam: Hach, stört Sammy überhaupt nicht.

Jonas: Weil du keine Nase hast, aber vom Duft mal ganz abgesehen, hier unten fehlt einfach alles, was der Mensch so braucht, kein Sauerstoff.

Sam: Ja gibt's oben auch nicht.

Jonas: Nichts zu essen, kein Whisky.

Sam: Keine Geheimdienste mit Verfolgungswahn.

Jonas: Die werden noch früh genug kommen, apropos, die Typen vom GD, GGD, GGGD sind wirklich paranoid.

Sam: Jaja total beknackt, absolut bescheuert, echt bekloppt.

Jonas: Die glauben, was sie sagen, mit Vernunft und gutem Zureden ist da nichts zu machen.

Sam: Andererseits, werter Kollege und Vorredner, erscheint es als ebenso unmöglich, sich den Verfolgern auf Dauer durch die Flucht zu entziehen.

Jonas: Jonas will auch nicht mehr weglaufen, Jonas hat die Nase voll.

Sam: Gut, Debatte beendet, wir schreiten zur Beschlußfassung.

Jonas: Wir drehen den Spieß um, Sammy, wir kämpfen, wir greifen an.

Sam: Attacke, jawohl, einstimmig angenommen. Es tönt das Klapphorn laut und froh.

Jonas: Klapphorn äh Klappe zu, Sam. Fang nicht wieder damit an.

Sam: Und wie ist es mit halili und hollido?

Jonas: Alle wollen Jonas in die Pfanne hauen, also

Sam: Hauen wir sie in die Pfanne. Alle. Ne?

Jonas: Und ich weiß auch schon, wie wir das hinkriegen, Sammy, du wirst mächtig ackern müssen.

Sam: Ja, von der Stirn heiß rinnen muß der Schweiß, was wünschen guter Massa, was sollen tun Onkel Tom. Tom? Tom?

Jonas: Sam erschuf einen Jonas, einen Pseudojonas, ein Phantom, das überall präsent war, in Infobänken, Listen, Dateien, in allen relevanten elektronischen Systemen, nur nicht in der Realität. Dieser falsche Jonas entstieg der Kanalisation, brach auf der Straße zusammen, wurde mit akuter Cholera ins Zentralkrankenhaus eingeliefert, in die Isolierstation, da kam keiner an ihn ran, und er kam nicht raus. Damit waren die Verfolger vorläufig abgelenkt, auf die falsche Spur gesetzt, ruhig gestellt. Soweit Punkt 1. Dann ließ ich Sammy die Zentralen der drei Geheimdienste kontakten. Bestattungsinstitut Moroni, Bedürfnisanstalt in der 71. Straße, und der GD.

Sam: Steht im Fonbuch, du Tütensuppe.

Jonas: Dann mal los, Sammy, du kennst deinen Text.

Sam: Ich kennen Massa. Piep. Hallo? Geheimdienst Europa? Gut, du zuhören, Kollege, ich dir sagen große Geheimnis. Heute zu mittag, wenn Uhr sein Zwölf, dann sich treffen alle geheime Agenten Dritte Welt in Babylon, alle Terroriste, Befreiungsfront Kusbekistan. Wo treffen? No, in Dreck Kollege, in Müll, in Deponie, was heißt Sanssouci, du verstanden Kollege?

Jonas: Gut so Sammy, jetzt der GGD.

Sam: OK, Boss.

Sam: Hi, folks, listen, if you want erwischen all the top agents from the CIA in Europe, the mulls, doubelagents, tripleagents and so on, you must come today to you know what i mean how do you call it, Sanssouci, the groß rubbish dump, big meeting, mitten in the müll, top secret, high noon,12 Uhr mittags, you know, so long folks, good hunting.

Jonas: Sehr schön, Sammy, absolut echt. Und nun noch der GGGD.

Sam: Dara dawisch. Hallo? Kommen mit Mann und Maus heute mittag zwölf Uhr Deponie Sanssouci. Mitten in Müll große geheime Versammlung. KGB nebst revolutionäre Zellen. Neue Anweisungen aus Moskau, Kreml. Karaschnovetsnedemil.

Sam: Werden sie uns den Quatsch wirklich glauben, du hinterfotziges Fliegenmaul?

Jonas: Sie werden, Sammy, verlaß dich drauf, das paßt genau in ihr Weltbild. Wie spät?

Sam: Piep. 5 Uhr 39 in der Früh. Morgenstund.

Jonas: Ist ungesund. 12 Uhr mittags geht sie los, die große Show, die wir nicht verpassen dürfen. Wann müssen wir los?

Sam: Per Müllförderband nach Sanssouci, euer Gemächlichkeit? Na, sagen wir um 10.

Jonas: Pause, Sammy, Jonas schläft ein paar Stunden.

Sam: Ist gut. Von linden Lüften lau umlabert, schlaf mein Prinzchen schlaf ein.

Jonas: Kein kurzer Weg, aber auch kein schwieriger, unter Sam Leitung, vom Abwassersystem zur zentralen Müllerf... vollautomatisch natürlich. Und von der Müllerfassung läuft ein unterirdisches Förderband nach Sanssouci, mit allem nicht verwertbaren Müll der großen Stadt Babylon, Jonas fuhr mit, als blinder Passagier, oder als Abfall ehrenhalber. Eine ereignislose Reise. Gleichmäßiges Rattern, Dunkelheit, Gestank, und ein leicht flaues Gefühl im Magen, nicht wegen Gestank und Müll, wegen der Dinge, die da kommen sollten. Nach einer guten Stunde stoppte das Band, weiter ging’s vertikal. Im Müllpaternoster. Viele viele Meter in die Höhe.

Sam: Zwei Knaben stiegen auf den Turm.

Jonas: Das paßt, Sammy.

Sam: Der eine hat nen Band im Wurm.

Jonas: Wie die Faust aufs Auge.

Sam: Ja, und der andere frisch und munter ließ sich dran herunter, hehe.

Jonas: Da oben wird’s hell.

Sam: Achtung, fertig machen zum Absprung. Ansonsten würde jemand in die Verteilerdüse eingespeist werden, wie all dieser Müll, der uns Gesellschaft leistet, und dann wird er über die Deponie verstreut, der Jemand, in handlichen formschönen Teilchen.

Jonas: Muß nicht sein, Sammy.

Sam: Countdown läuft. 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1.

Jonas: Bei Null sprang Jonas ab, ein paar Schritte, und ich stand auf der Plattform an der Spitze des Verteilerturms, mitten in der Deponie Sanssouci und ganz hoch drüber. Die Aussicht war einmalig, ein bißchen monoton vielleicht. Im Osten Müll, im Westen Müll, im Norden Müll, und im Süden, Sie haben es erraten, Müll. Müll, soweit das Auge reichte, und im Müll krabbelte es wie in einem Ameisenhaufen.

Sam: Siehe, sie höreten das Wort des Herrn und sie folgeten ihm nach.

Jonas: Sie sind da, Sammy, sie sind alle da. GD, GGD, GGGD und der Kasten da drüben, das ist O, O vom GGGD, seine Leute haben ihn auf Rollen gesetzt, und ziehen ihn hinter sich her, mit samt Aggregat.

Sam: Ach, hätten wir doch nur ein Bömbchen, Herr Luftmarschall, oder einen Kessel voll des heißen Öles.

Jonas: Nicht nötig, Sam, das erledigen die da unten selber, mit ihren Laserstrahlern, Sturmgewehren, Neurofreezern, mit ihren Flammenwerfern und Super-MGs. Was sagt die Uhr, Sam.

Sam: 5 Minuten vor 12, hohes Gericht. Dies Ire. Dies Illa, Solve seklum, com fanila oder so ähnlich.

Jonas: Vielleicht eine Nummer zu groß, das dies irae, aber irgendwie angemessen. Die versammelten Geheimdienstler jagten ihren jeweiligen Feindbildern nach und massakrierten sich gegenseitig.

Sam: Amagedon. Herr Großinquisitor. Apokalypse. Verwüstung.

Jonas: Das wird mir zu laut, Sammy. Phase 2.

Sam: Zu Befehl, Phase 2. Zack zack.

Jonas: Schalt dich ins System der Deponie ein.

Sam: Auftrag ausgeführt. Zack zack.

Jonas: Laß die Müllmaschinen los.

Sam: Müllmaschinen los, marsch. Konzentrischer Angriff. Zack Zack.

Jonas: Riesenbagger und Superschaufeln rückten vor, unaufhaltsam, unwiderstehlich, sie überrollten das Schlachtfeld, deckten ab, gruben um, planierten, schütteten das ganz Gewusel zu, und falls sich doch einer herausarbeiten konnte, am Rand lauerten die Trolle, mit Messer und Kochgeschirr. Nachmittag. Jonas kam zurück ins Büro und schmiß als erstes den Trauerfrack von sich.

Sam: In den Müll, hoher Herr.

Jonas: In den Müll, Sammy. So, und jetzt wollen wir uns mal ans Aufräumen machen. Nein, es ist niemand zu Hause.

Sam: Na, geh ran, du Knallhorn.

Jonas: Warum sollte ich.

Sam: Weil es ein Kunde sein könnte, mit einem ganz normalen Auftrag.

Jonas: Glaubst du an den Weihnachtsmann, Sammy?

Sam: Oder eine unverhoffte Erbschaft, oder der Hauptgewinn in der babylonischen Klassenlotterie, oder...

Jonas: Damit du endlich Ruhe gibst. Hallo.

Stimme am Fon: Guten Tag. Bin ich verbunden mit Herrn Jonas, nur Jonas, seines Zeichens Privatdetektiv.

Jonas: Sie sind.

Stimme am Fon: Sehr gut. Gestatten Sie mir, Herr Jonas, Ihnen im Namen meiner Organisation Dank und Anerkennung auszusprechen. Sie, Herr Jonas, haben sich um Babylon, um Europa verdient gemacht, in einer brillanten Aktion haben Sie GD, GGD, und GGGD eliminiert, gründlich und nachhaltig, es war höchste Zeit, Herr Jonas, sonst hätten sie die Erde unterworfen, Herr Jonas, besetzt, Herr Jonas, kolonisiert.

Jonas: Wer? Die Geheimdienste?

Stimme am Fon: Und ihre geheimen Lenker und Leiter, die Drahtzieher im Dunkel, Herr Jonas, die Marsmenschen mit ihren Ufos und ihren Todesstrahlen.

Jonas: Ach ja, und wer sind Sie?

Stimme am Fon: Hier spricht der GGGGD, Herr Jonas, der ganz und gar geheime Geheimdienst. Leben Sie wohl, Herr Jonas.

Jonas: Paranoia, Sammy, totale Paranoia.

Sam: Zwei Knaben schlichten durch die Nacht, der eine still, der andre sacht. Ja, und man konnt sie weder sehen noch hören, wenn sie’s nun gar nicht gewesen wären.

Jonas und Sam: Freut euch des Leben, Großmutter wird mit der Sense rasiert, alles vergebens, sie war nicht eingeschmiert.

Sam: Ja wieso denn nicht?

Das war Paranoia. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem wirkten mit: Johanna Liebeneiner, Hans Jürgen Silbermann, Bernd Stephan, Jochen Striebeck und viele andere (Alois Maria Giani, Detlef Kügow). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Assistenz: Wolfgang Ruhdörfer. Regie: Werner Klein. (Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks) (1991). (Redaktion: Erwin Weigel).

eingetragen am 02.04.2022 - 21:23
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Beitrag im Thema: Der letzte Detektiv von Michael Koser
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Wunderland

Jonas: Ein Klient kommt ins Büro. Ein ordentlicher Fall bei einem ordentlichen Privatdetektiv fängt so an. So muß es sein. So steht es in den Büchern. Nicht beim letzten Detektiv. Meine Fälle fangen meist woanders an. Im Casablanca zum Beispiel. Dieser Fall fing ordentlich an. In meinem Büro. Nur eins war nicht in Ordnung. Der Klient hätte eine Klientin sein müssen. Wunderschön. Geheimnisvoll. Und möglichst blond.

Milius: Nett haben Sie es hier, Herr Jonas, so, so übersichtlich.

Jonas: Schauen Sie, Damen und Herren, staunen Sie, vor Ihnen erstreckt sich in seiner ganzen unfaßbaren Weite von sage und schreibe 22 Quadratmeter das Büroapartment von Jonas, dem letzten Detektiv. So lebt Jonas, Damen und Herren, so arbeitet Jonas, sind Sie hier, um mein Büro zu besichtigen oder haben Sie was auf dem Herzen?

Milius: Sagen wir, ich habe ein Anliegen, Herr Jonas, oder genauer, ich habe einen Auftrag für Sie.

Jonas: Ein ordentlicher Klient in ordentlicher Aufmachung, die Hände ordentlich im Schoß gefaltet, die schwarzen Stiefeletten ordentlich nebeneinander. Jedes einzelne der fünf Resthaare ordentlich über den Schädel gelegt. Bloß die Krawatte fiel aus dem ordentlichen Rahmen. Ein holographisches Design von greller Buntheit. Chaotisch.

Sam: Wahnsinnig. Unsinnig. Tierisch. Obszön. Häßlich. Echt geil Total toll. Jawoll.

Milius: Man gönnt sich ja sonst nichts.

Sam: Wo lassen Sie stylen, Genosse?

Milius: Ich bin nicht hier, um über Krawatten zu diskutieren, nicht mit Ihnen, Herr Jonas, und mit Ihrem Computer schon gar nicht.

Sam: Ahahah.

Jonas: Es gibt verschiedene Arten von Klienten: Die einen sagen: Sie haben einen merkwürdigen Computer. Die anderen sagen: Ihr Ton gefällt mir nicht. Manche sagen beides. Dieser Typ sagte weder noch. Eine Rarität. Fast so ausgefallen wie ein überverbaler überdrehter Computer. Ein Computer namens Sam.

Sam: Soll ich das spielen, Ricci, soll ich das noch mal spielen?

Jonas: Untersteh dich, Sammy.

Sam: Spielverderber. Trübe Tasse.

Milius: Zur Sache, Herr Jonas, mein Name ist Milius, Leo Milius.

Jonas: Und?

Sam: Ja und?

Milius: Ich arbeite im Wunderland.

Jonas: Gut für Sie.

Sam: Ja.

Milius: Als Sicherheitschef, und darum bin ich hier, Herr Jonas, wir haben nämlich ein Problem, ein Sicherheitsproblem.

Jonas: Und wie heißt ihr Problem, Herr Milius?

Milius: Sabotage, Herr Jonas, Sabotage im Wunderland. Wissen Sie, was das bedeutet, geschäftlich, meine ich?

Jonas: Ich konnte es mir denken. Wunderland ist ein großer Vergnügungspark. Nicht weit von Babylon. In der Wildnis. Berühmt für seine elektronisch-holografischen Simulationsprogramme. Eine Art Super-Kino zum Mitmachen. Kino gab’s, als ich jung war. Heute ist es überholt, wie 2D-TV, wie Bücher. Wunderland ist nicht überholt, Wunderland ist sehr beliebt, hab ich mir sagen lassen. Simulation ist nicht mein Bier. Sabotage schon eher.

Milius: Bisher weiß nur die Führungsspitze im Wunderland Bescheid, Herr Jonas, wir haben den Deckel draufgehalten, aber lange wird das nicht mehr möglich sein, immerhin hat der Ärger schon vor zwei Wochen angefangen.

Jonas: Einzelheiten, Herr Milius, was, wann, wie...

Sam: Wohin, woher, wozu, wofern, woholofern.

Jonas: Sei still, Sam. Schießen Sie los.

Milius: Also der erste Vorfall, der war am 21. Februar.

Sam: In diesem unserem Jahr des Herrn 2013. Immer präzise, gelle Mister.

Jonas: Was ist da passiert?

Milius: Das Wetter in SA 9.

Jonas: Moment. Wer oder was ist SA 9?

Milius: Simulationsareal 9. Exotische Abenteuer. Es lief gerade das Programm Hurra die Legion. Uralt, aber ständig ausgebucht, Herr Jonas. Die Kunden marschierten durch die Sahara als Fremdenlegionäre anno 1900. Die Sonne brannte, ihr Ziel, Fort Zinderneuf war noch viele Meilen entfernt. Ja wollen Sie sich denn keine Notizen machen, Herr Jonas?

Jonas: Nicht nötig, mein Computer hört zu und merkt sich alles. Nicht wahr, Sammy?

Sam: Schnarch...

Jonas: Sam?

Sam: Häh? Is was Chef?

Jonas: Du hast doch nicht etwa geschlafen?

Sam: Niemals! Stets auf den Pisten und den Posten, Monsieur Capitäne.

Jonas: Das will ich hoffen. Weiter, Herr Milius, die Leute latschten durch die Wüste.

Milius: Und da, Herr Jonas, fing es plötzlich an zu regnen. Ein richtiger Wolkenbruch, Herr Jonas, es regnete und regnete und hörte nicht auf.

Sam: Wenn der Regen, der Regen...

Milius: Das Wettersystem war verstellt und blockiert. Wir mußten die Legion abblasen, die Kunden entschädigen, und die Sahara mit einem speziellen Fönprogramm trocknen.

Sam: Hehehe.

Milius: Ein paar Tage später Vorfall Nummer zwei. In SA 4, die Welt, aus der wir kommen: Römer, Ritter, Recken, Programm Kampf mit dem Drachen. Der Robodrach, ein 10meter hohes Monstrum, fiel schwer aus der Rolle. Statt Feuer zu speien und markerschütternd zu brüllen, fehlte er um Gnade, er heulte, faltete die Tatzen, sagte was von einer todkranken Frau und 12 unmündigen Kinder. Sehr frustrierend für die tapferen Drachentöter in den Plastikrüstungen. Und erst gestern, Herr Jonas, ist eine Stripperin im Kinderprogramm aufgetaucht. Freddy Krüger, Schrecken der Elmstreet, der Renner bei unseren kleinen Besuchern, Sie können sich nicht vorstellen, Herr Jonas, was die Eltern gesagt haben, vor allem die Neopuritaner. Schmutziger Sex in einem gesunden harmlosen Horrorprogramm.

Jonas: Empörend, Herr Milius.

Sam: Ja, ein böser Streich, ein wahres Bubenstück.

Milius: Wir tun, was wir können, Herr Jonas, aber wir kommen nicht weiter. Er ist nicht zu fassen, der Verbrecher, der Saboteur.

Sam: Witzbold, Scherzkeks, Schabernackedei.

Milius: Er kennt sich im Wunderland offenbar bestens aus, weiß im voraus, was wir planen, wo wir unsere Fahnder postieren, ja, und darum bin ich auf die Idee gekommen, einen Außenseiter einzusetzen, einen unorthodoxen Mann, der neue Wege geht.

Jonas: Jonas heißt er, 120 Euros pro Tag und Spesen.

Milius: Sie übernehmen den Auftrag?

Jonas: Sieht ganz so aus. Sabotage im Wunderland könnte interessant sein. Wer meinen Sie, steckt dahinter, Herr Milius, die Konkurrenz?

Milius: Nicht ausgeschlossen, Herr Jonas, sehen Sie, das muß aber unter uns bleiben.

Sam: Natürlich.

Milius: Ein japanisches Unternehmen ist an Wunderland interessiert und hat erst kürzlich ernsthafte Fühler ausgestreckt.

Jonas: Und? Wollen die Denverschwerstern verkaufen?

Milius: Teils teils, Herr Jonas. Glen Denver will. Gwen will nicht. Unter uns, Glen wird sich durchsetzen. Glen setzt sich immer durch.

Sam: Sammy auch.

Jonas: Und bevor sie in die Verhandlungen einsteigen, könnten die Japaner versuchen, den Wert von Wunderland zu drücken, aha, durchaus möglich.

Milius: Denken Sie darüber nach, Herr Jonas, und seien Sie morgen früh in meinem Büro.

Jonas: Wo?

Milius: Ja Wunderland natürlich. Ich gebe am Haupteingang Bescheid. Moment mal, Sie können natürlich nicht als Jonas der letzte Detektiv im Wunderland auftreten, Sie sind, sagen wir...

Jonas: Researcher, für eine geplante Holosendung.

Milius: Einverstanden, und Sie heißen...

Sam: Er heißt Jon, Jan, Janik, Josua, Jason, Jonathan, Junius, Julius, Augustus, piep letztes bitte streichen.

Jonas: Janus, nur Janus.

Sam: Ja, der römische Gott des Eingangs und des Ausgangs, des Anfangs und des Endes, mysteriös, zwiegesichtig, janusköpfig.

Milius: Morgen früh um 10 bei mir, Herr Janus, nehmen Sie den Shuttle vom Heliport.

Sam: Und Ihren Fuß von meinem Kopf.

Jonas: Mitten im Wunderland steht ein hoher künstlicher Berg. Hier sind die Verwaltungsräume untergebracht, die Werkstätten, die Steuerzentren. Milius Büro lag hoch oben, nicht weit vom Büro der Direktorin, direkt unter dem Paradies, dem Gipfelrestaurant mit der berühmten Aussicht auf ganz Wunderland. Und darüber lag nur noch das Doppelpenthouse der Denverschwestern. Milius war nicht allein, als ich in sein Büro kam, 10 nach 10. Ein Detektiv, der auf sich hält, darf nicht zu pünktlich sein. Eine Frau stand am Fenster, unscheinbar angezogen, mein Alter, ein Gesicht, das Geschichten zu erzählen hatte. Sekretärin? So sah sie nicht aus.

Milius: Da sind Sie ja endlich, Herr äh...

Jonas: Janus.

Milius: Richtig, Herr Janus. Unsere Fedora hier wird sich um Sie kümmern. Fedora ist bei uns so eine Art Mädchen für alles. Sie wird Sie herumführen, Ihnen zeigen, was Sie sehen wollen, Ihre Fragen beantworten. Mich müssen Sie entschuldigen. Machen Sie sich am besten selbst bekannt.

Jonas: Gute Idee. Im Paradies, bei einem Drink?

Fedora: Wie Sie wollen, Herr Janus, ich stehe zu Ihrer Verfügung.

Jonas: Fedora war mir sympathisch. Sie hieß nur Fedora. Das sprach für sie. Und sie hatte was: Haltung. Stil. Intelligenz. Zu viel für ein schlichtes Faktotum.

Fedora: Das war ich auch nicht immer, Herr Janus.

Jonas: Nur Janus, den Herrn lassen Sie weg, ich bin keiner. Was haben Sie früher gemacht, Fedora?

Fedora: Ich war Autorin, Chefautorin im Wunderland. Die meisten Simulationsprogramme hab ich entworfen und ausgearbeitet, jahrelang, bis man keine Autoren mehr brauchte, weil sie überholt waren, weil jetzt Computer ihre Arbeit machen. Nicht besser, aber billiger. Weil sie die alten Programme immer wieder verwenden, meine Programme, Janus, und nur ein paar Variationen einbauen. Mich haben sie damals hier behalten, wegen meiner Verdienste um Wunderland, damit ich nicht nur von der Volkshilfe leben muß. Ich mach, was anfällt. Was man mir sagt.

Jonas: Bärenführer für Holoresearcher, zum Beispiel.

Fedora: Das ist nicht das Schlimmste.

Jonas: Danke. Was trinkt man hier?

Fedora: Wunderland Special natürlich. Waren Sie denn noch nie im Paradies, Janus?

Jonas: Noch nie.

Fedora: Aber doch im Wunderland.

Jonas: Auch nicht.

Fedora: Ach, kommen Sie mit, Janus.

Jonas: Wohin?

Fedora: Zum großen Panaromafenster, ich werde Ihnen Wunderland vorstellen.

Jonas: Ein Park. Schön. Wie gemalt. Hügel, Wiesen, Teiche, Bäume, Büsche, Blumen. Synthetisch. Natürlich. Aber das merkte man nur an der ordentlichen Ausrichtung, und an den zu stark leuchtenden Farben. Dazwischen ein paar Gebäude. Blockhäuser, Burgruinen, afrikanische Strohhütten, ein schräger Miniwolkenkratzer, und das Colloseum, in Kopie.

Fedora: Das ist die Arena, für Roboturniere und Corridas, Autocorridas, sehr beliebt, fast immer ausverkauft. Außerdem haben wir hier Stimgames, Einarmbanditen, 4D-Roulette.

Jonas: Und die Simulationen, die berühmten Wunderlandsimulationen, wo sind die?

Fedora: Unter dem Park, wo sonst, oben liegen nur die Eingänge. Die Palmengruppe da drüben, da geht’s runter in SA 9.

Jonas: Exotische Abenteuer.

Fedora: Richtig. Und ein Stück weiter rechts das Segelschiff auf dem Teich, das ist der Zugang zu SA 5, Blue Deep, Piraten, Taucher, Riesenkraken.

Jonas: Aha, und daneben der schiefe Turm von Babylon.

Fedora: Das ist ein amerikanisches Hochhaus aus dem 20. Jahrhundert, verkleinert, da kommen Sie zu SA 7, Metropolis, unser Citykrimiareal, Gangster, Detektive und so weiter.

Jonas: Ach, Detektive haben Sie auch?

Fedora: Ja, Sherlock Holmes, Professor van Dusen, Kommissar Maigret, und die schwarze Serie, ein nostalgisches Private Eye Programm, streng stilisiert mit allen klassischen Zutaten, vielleicht das beste Programm, das ich je geschrieben habe, leider läuft es nur noch sehr selten.

Jonas: Würde ich mir gern mal ansehen, dachte ich, später vielleicht. Erst die Arbeit. Ich ließ mir von Fedora die Simulationen erklären. Wie die Besucher vorbereitet und ausgerüstet wurden, wie alles in einander griff, Holoprojektionen, elektronisch gesteuerte Modelle, Besucher im Rollenspiel, wie die Simulationsprogramme abschnurrten.

Fedora: Wie ein Uhrwerk. Jedenfalls soll es so sein. Aber wenn mal was schiefgeht...

Jonas: Hier kann doch nichts schiefgehen. Wunderland ist Super-High-Tech.

Fedora: Eben drum, Janus. Wenn Sie in einem Programm nur eine Kleinigkeit, eine winzige Kleinigkeit verstellen, dann ist gleich der Teufel los, dann drehen sie durch, diese tollen Computer, dann spielen sie verrückt, dann brechen sie zusammen. Wissen Sie, was vor ein paar Tagen passiert ist?

Jonas: Sie erzählte mir das, was ich von Milius gehört hatte, die kuriosen Katastrophen in SA 9, 5 und 13, von denen angeblich nur die Führungsspitze im Wunderland etwas wußte. Sie erzählte sehr ausführlich und mit keineswegs klammheimlicher Freude. Das gab mir zu denken. Ich entschuldigte mich. Auf dem Klo holte ich Sam aus der Tasche. Nicht, um ihn reinzuschmeißen. Es war Zeit, Zeit für eine Konferenz unter vier Augen. Nur daß Sam keine Augen hatte. Sehen konnte er trotzdem, und hören und reden und kombinieren.

Sam: Ja, nicht daß ein hochgeistiger Computer in dieser Angelegenheit viel zu kombinieren hätte, der Fall ist klar, mein lieber Watson. Glasklar. Kristallklar. Aschklar. Die gesuchte Saboteuse ist die Dame Fedora.

Jonas: Da bin ich mir nicht ganz sicher, Sammy. OK, sie kennt die Vorfälle, ganz genau sogar, und die hat sie Jonas erzählt, obwohl der Janus ist, Holoresearcher das heißt die Öffentlichkeit.

Sam: Gerade weil, du Flaschenkürbis.

Jonas: Du meinst, sie will die Sachen publik machen und sie amüsiert sich darüber, kann sein. Aber das muß noch lange nicht heißen, daß sie die Dinger selbst gedreht hat. Gibt’s zu, Sammy, du hast was gegen Fedora, weil sie Computer nicht ausstehen kann.

Sam: O Vorurteil, dein Name ist Mensch. Computer sind objektiv. Computer sind emotionslos.

Jonas: Ganz was neues, Sammy.

Sam: Daß besagte Dame unverständlicher weise Computer nicht mag, nimmt Sam zur Kenntnis, ohne sich davon auch nur im geringsten beeindrucken oder gar beeinflussen zu lassen. Mit kühlem Gleichmut, mit überlegenem Lächeln. Soll sie doch die törichte trigepieselige Pute, schwachsinnige Schwalbe, holzköpfiges Huhn.

Jonas: Hör schon auf, Sam. Fakten.

Sam: Fakten, der Herr, bitte sehr. Soeben von einer elektronischen Kurzexkursion durchs Wunderland Zentralsystem zurückgekehrt, beehren wir uns, ihrer geschätzten Aufmerksamkeit folgende Fakten zu unterbr... Korrektur, zu unterbreiten. Erstens. Ach was. Die Angestellten im Wunderland sind, ob an festen oder an variablen Arbeitsplätzen datenmäßig stets erfaßt und kontrolliert. Gemäß Ausweis der gespeicherten Informationen hielt sich keiner von ihnen bei allen drei Sabotageakten in der Nähe der entsprechenden Steuerungsanlagen auf, kann demnach diese auch nicht manipuliert haben. Nun muß aber in Anbetracht der hierorts waltenden strikten Sicherheitsvorkehrungen der Täter zum Personal gehören.

Jonas: Moment, Sammy, das geht nicht.

Sam: Wieso denn nicht.

Jonas: Wenn alle Angestellten ständig kontrolliert werden.

Sam: Ach, wer sagt denn alle, du Bildungslücke. Eine im Wunderland beschäftige Person gilt als so gering, so unbedeutend, daß sie der Pflicht des regelmäßigen Uhrenstechens nicht unterworfen ist. Ein Mädchen für alles, von Kollegen wie Vorgesetzten kaum beachtet, ein Aschenbrödel, eine Cinderella.

Jonas: Fedora.

Sam: Ja. Die Computerhasserin. Ebendiese. Faktum Nr. 2: Die drei sabotierten Programme entsprangen sämtlich der Feder Fedoras. Sie kannte sie also in und auswendig, war informiert über die Codierung, und wußte präzis wo und wie der gewünschte Effekt am besten zu bewirken war. Langer Rede kurzer und gewichtiger Sinn, die Täterin heißt Fedora. Quod erat demonstrationsforum et dimonstrandum. Dixi. How, ich habe gesprochen.

Jonas: Ich sagte es ihr auf den Kopf zu. Sie war verblüfft, beeindruckt, und sie gab es zu. Auf der Stelle, ohne Ausflüchte, und ganz und gar nicht schuldbewußt.

Fedora: Stolz bin ich allerdings auch nicht darauf, Janus, es war kindisch, ein dummer Streich, wenn Sie wollen, aber es mußte sein, der Frust hatte sich in mir aufgestaut über viele Jahre. Ich mußte was tun, und unter uns, es hat Spaß gemacht.

Jonas: Ich kann’s Ihnen nachfühlen.

Fedora: Dann behalten Sie’s für sich, Janus. Wer das bißchen Unfug im Wunderland angestellt hat, wird Ihre Auftraggeber ja auch kaum interessieren.

Jonas: Im Gegenteil, Fedora.

Fedora: Wieso? Was soll Holo-TV...

Jonas: Ich habe nichts zutun mit Holo-TV, Fedora. Ich heiße Jonas, nur Jonas. Ich bin Privatdetektiv, der letzte, und mein Auftraggeber ist sehr an Ihnen interessiert.

Fedora: Milius?

Jonas: Milius. Kommen Sie, Fedora.

Jonas: Ganz wohl war mir nicht, aber wenn Jonas einen Auftrag angenommen hat, dann zieht er ihn durch, auch wenn er ihm nicht gefällt. Fall Wunderland war kein Ruhmesblatt für Jonas. Sehr kurz war er auch, dachte ich. Aber das war ein Irrtum. Der Fall fing erst an. Milius war begeistert, als ich mit Fedora bei ihm aufkreuzte. Er präsentierte uns gleich seiner Chefin, Direktorin Palafox. Die war offenbar nicht ganz so begeistert.

Palafox: Einen Privatdetektiv haben Sie eingeschaltet, Milius, dazu waren Sie nicht autorisiert.

Milius: Ich bin Ihr Sicherheitschef, Frau Palafox, wie ich meine Aufgaben durchführe

Palafox: Sagt Ihnen die Direktion, das heißt ich. Darüber unterhalten wir uns noch, Milius.

Milius: Von mir aus. Das wichtigste ist doch, daß unser Problem jetzt bereinigt ist. Der Saboteur ist gefaßt...

Palafox: Augenblick. Palafox. Ja, die ist hier. Was? Wann? Wo? Ausschalten. Absperren. Sofort. Nein, warten Sie auf meine Anweisungen. Glen Denver ist tot, vermutlich ermordet.

Milius: Im Wunderland?

Palafox: SA 8.

Milius: Gaslighttheater, bei laufendem Programm?

Palafox: In der 11 Uhr Matinee.

Milius: Jack the Rippershow, ich versteh.

Palafox: Sie nehmen die Sache selbst in die Hand, Milius, allererste Priorität.

Milius: Selbstverständlich, Frau Palafox. Und Fedora?

Palafox: Jetzt nicht, Milius, Fedora muß warten. Nehmen Sie sie mit, halten Sie sie fest, in der Zelle neben Ihrem Büro. Ich werd mich später um sie kümmern. Und Sie...

Sam: He, sie meint dich.

Palafox: Ja, Sie meine ich, den Privatdetektiv.

Jonas: Mein Name ist Jonas, nur Jonas.

Palafox: Mir völlig egal, wie Sie heißen. Sie können gehen. Ihr Honorar kriegen Sie überwiesen. Nehmen Sie den Personallift ganz nach unten, ein Minimobil bringt Sie dann durch einen der Servicetunnel zum Heliport.

Jonas: Wunderland hatte es ja mächtig eilig, Jonas loszuwerden. Aber Jonas war noch nicht fertig mit Wunderland. Es waren noch zu viele Fragen offen. Was würde aus Fedora werden? Wer hatte Glen Denver ermordet. Glen Denver, die an die Japaner verkaufen wollte, gegen den Willen ihrer Schwester Glen. Sollte ich mir das Simulationsprogramm Schwarze Serie zu Gemüte führen bei nächster Gelegenheit? Darüber dachte ich nach, als ich Ausschau nach einem Minimobil hielt, im Servicetunnel, tief unter Wunderland. Plötzlich ging das Licht aus, ich blieb stehen, versuchte mich zu orientieren. Da ging es wieder an, noch plötzlicher, in meinem Kopf. Eine Explosion. Feuerwerk. Sonne, Mond und Sterne. Vor allem Sterne. Dann nichts mehr. Zuerst Schmerzen, heftige Kopfschmerzen, dann der Geruch, vertraut, nostalgisch, aus der Jugendzeit, Samstag abend, Vaters Wagen, Benzin. Ich träumte von Benzinautos, ich mußte träumen, Benzinautos gab’s in Babylon schon lange nicht mehr. Aber ich träumte nicht. Ich war wach. Ich saß in einem Benzinauto. Am Fahrersitz festgeschnallt. Das Auto stand in einem dunklen Raum, voller Schatten. Plötzlich Action. Ein Tor klappte auf. Licht, hell, unerträglich, das erwartungsvolle Röhren einer großen Menge. Eine Gestalt sprang aufs Trittbrett, griff durchs Fenster, drückte mein rechtes Knie nach unten aufs Gaspedal, der Wagen machte einen gewaltigen Satz durchs Tor, in das Geschrei, ins Licht.

Sam: Wach auf, Tränendrüse. Nimm das Steuer.

Jonas: Sammy, wenn alle mich verlassen...

Sam: Sam bleibt dir treu. Bis daß der Tod uns scheidet, und das wird er sehr bald tun, du Saftsack. Reiß dich zusammen. Kuppeln, Schalten, Lenken.

Jonas: Wo sind wir?

Sam: Wunderland Arena.

Jonas: Autocorrida?

Sam: Drinnen Senior Torero, und siehe, dort nahen die Toreros. Ole.

Jonas: Zwei riesige Trucks rollten ein, Ballonreifen, Chrom und schwarzer Lack, an den massiven Stoßstangen meterlange Hörner, auf die wollten sie Jonas nehmen, das heißt seinen Wagen, einen Jeep, anno Golfkrieg, klein, wendig, mit einem Fahrer, der tat, was er konnte, und Jonas konnte fahren. Aber das reichte nicht. Zwei Trucks waren auf Dauer zu viel.

Sam: O O Ole. Was tut uns kund des Volkes Mund?

Jonas: Sammy, ich fahr um mein Leben, und du kommst mir mit Sprichworten.

Sam: Eben drum, Blödmann. Steht’s schlecht im Kriege, mach eine Fliege oder auch Fliege.

Jonas: Wie stellst du dir das vor? Soll ich aussteigen und mich eingraben oder über die 10meter Barriere springen?

Sam: Wie gekommen, so entronnen.

Jonas: Schlechter Reim, Sammy.

Sam: Doch guter Rat.

Jonas: Du meinst, zurück durchs Tor.

Sam: Jawohl, und weiter durch den Tunnel.

Jonas: Hoffentlich gibt’s einen.

Sam: Muß. Auf welchem Wege, euer Kurzschlüssigkeit, kämen die Fahrzeuge sonst hier her?

Jonas: Voll überzeugt war ich nicht, aber ich hatte keine Wahl. Ich schlug einen Haken, ansatzlos, und war draußen. Im Bereitstellungsraum. Scheinwerfer an. Sam hatte recht. Sam hat meistens recht. Es gab einen Tunnel. Hoch und dunkel und kurz. Und am Ende...

Sam: Oh, ein Tor.

Jonas: Und das ist zu. Was nun?

Sam: Auch nicht eben ein meisterhafter Reim, du Westentaschen. Augen zu und durch.

Jonas: Bist du sicher, Sammy?

Sam: Sicher bin ich sicher, das ist nur Plastik. Da bretterst du durch, eiskalt. Ole.

Jonas: Ole. Es krachte und knirschte, und der Jeep war durch, unter freiem Himmel, in der Wildnis, ich fuhr weiter, über Stock und Stein, so schnell es ging, bloß weg von Wunderland, da hatten sie was gegen Jonas. Aber auch hier draußen ließen sie ihn nicht in Ruhe. Ich hörte was. Sah mich um. Die beiden Trucks waren hinter mir her. Und sie kamen immer näher.

Sam: Gib, gib Gas, lahme Ente.

Jonas: Tu ich ja, Sammy, mein rechter Fuß schrammt schon fast am Boden. Die Karre ist nun mal nicht schneller. Sie schwärmen aus, die wollen uns in die Zange nehmen, Sammy. Von beiden Seiten und dann...

Sam: Machen sie dich platt.

Jonas: Dich aber auch, Sam.

Sam: Frage: Wollen wir uns das bieten lassen, Freund meiner digitalen Seele.

Jonas: Möglichst nicht, Sammy, jetzt sind sie auf gleicher Höhe, rechts und links, die ziehen nach innen.

Sam: Gas, oh du mein rasender Jonas.

Jonas: Im Gegenteil, Bremse.

Jonas: Die Trucks krachten seitlich aufeinander, in voller Fahrt, direkt vor meinem Jeep, ihre beiden Tanks explodieren in einem einzigen gewaltigen Feuerball. Ende der Jagd. Ich holte tief Luft, startete den Jeep, fuhr los, Richtung Babylon. Ich ging nicht zurück ins Büro, vielleicht warteten sie da schon auf mich. Trucker, geheimnisvolle Unbekannte, die was von Jonas wollten. Ich ging ins Casablanca zwecks Energiezufuhr. Dringend nötig nach den Aufregungen der letzten Stunden. Da saß ich also vor Jacobs Whisky und vor seinem in ganz Babylon gefürchteten Sojasteak, und dachte nach. Es war still. Nur der Holoset brabbelte vor sich hin.

Holo: In der vergangenen Nacht ist es wieder einer Gruppe von Drittweltlern gelungen, die Sperranlagen zu durchbrechen und in den Grenzbezirk Süd der VSE einzudringen. Dort wurden sie von starken Schutzverbänden gestellt und eliminiert. Babylon. Mord im Wunderland aufgeklärt...

Jonas: Jacob, stell den Holo lauter.

Holo: Glen Denver, Besitzerin von Wunderland, wurde heute vormittag kurz nach 11 Uhr im Wunderland ermordet. Wie Wunderlanddirektorin Palafox erklärte, ist die Täterin bereits gefaßt. Es handelt sich um eine ehemalige Autorin der Firma, die in den vergangenen Tagen bereits mehrmals versucht hatte, Vorstellungen im Wunderland durch Sabotageakte zu stören. Zur Zeit befindet sie sich im Gewahrsam der Wunderland Sicherheitskräfte. Wie Direktorin Palafox ferner bekannt gab, ist wegen des tragischen Todesfalls das Wunderland bis auf weiteres für das Publikum geschlossen. Vatikan Stadt. Der greise Papst Johannes Paul der zweite hat seine Absicht erklärt...

Jonas: Stell das Ding ab, Jacob.

Holo: Demnächst die Marsstation der UNO zu besuchen.

Jonas: Abstellen, Jacob.

Jacob: Weiß ich doch.

Jonas: Fedora, hast du gehört, Sammy, den Mord an Glen Denver wollen sie Fedora anhängen.

Sam: So hat es den Anschein, Sir.

Jonas: Das stimmt nicht, das stimmt hinten und vorne nicht. Heute vormittag um 11 war Fedora im Restaurant Paradies, zusammen mit Jonas.

Sam: Selbigen Jonas, welchen man später aufs Haupt geschlagen und in die lebensgefährliche Autocorrida verbracht hat, auf daß er dort versterbe.

Jonas: Du meinst, da besteht ein Zusammenhang?

Sam: Ja was denn sonst, du mein zum Himmel schreiender Bildungsnotstand.

Jonas: Damit ich Fedora kein Alibi geben kann.

Sam: Ach, wie könnte Jonas das. Ist er doch in der Wildnis verschollen, zu Tode gehetzt von tödlichen Truckern.

Jonas: Jedenfalls denken die das, wer immer die sind. Moment, Sammy, da gibt’s noch einen, der weiß, wo Fedora zur Mordzeit war.

Sam: Genosse Milius. Milius, der Ordentliche. Milius mit der umwerfenden Krawatte.

Jonas: Genau, los Sammy, zurück ins Wunderland. Wir greifen uns Milius, wir holen Fedora raus und wir stellen fest, was gespielt wird. Wer Glen Denver wirklich umgebracht hat.

Sam: Orido, Herr Forstadjunkt. Auf auf zum fröhlichen jagen.

Jonas: Problem, Sammy, Problem, wie kommen wir rein. Wunderland ist geschlossen.

Sam: Ja, aber nicht zu. Es gibt doch ein gewisses defektes Plastiktor, mit Zugang zum Servicetunnelsystem.

Jonas: Das Tor war noch nicht repariert. Sie hatten einen Wächter davor gestellt. Einen von der Wunderlandsicherheitstruppe in seiner blaurotgestreiften Uniform. Er sah müde aus. Ich schickte ihn ins Bett. Mit dem Griff meiner Smith & Wesson, dann längerer Schleichmarsch durch den Untergrund, keine besonderen Vorkommnisse. Milius Büro war leer. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten war er da. Hinter seinem Schreibtisch auf dem Fußboden. Seine Krawatte war nicht mehr bunt, sie war nur noch rot.

Sam: Auauau. Rot wie Blut. Also vorhin gefiel sie mir besser.

Jonas: Erstochen mit seinem Brieföffner.

Sam: Siehste.

Jonas: Damit ist der zweite Alibizeuge für Fedora ausgeschaltet. Apropos Fedora, wo steckt sie?

Sam: In der Zelle neben diesem Büro. Hat Direktorin Polarfuchs, Korrektur Palafox gesagt. Such, Fido, such.

Jonas: Ein belüftetes Loch hinter dem Waschraum für Randalierer, Taschendiebe, was im Wunderland so anfiel. Diesmal saß Fedora drin. Ich machte auf. Milius hatte die Paßscheibe in der Tasche. Fedora wollte nicht rausgeholt werden. Schon gar nicht von Jonas. Das änderte sich, als ich ihr sagte, was los war.

Fedora: Ich soll Glen Denver ermordet haben?

Jonas: Behauptet Palafox.

Fedora: Die lügt. Ich kann sie gar nicht ermordet haben. Wissen Sie, wie sie umgekommen ist, Jonas?

Jonas: Ich weiß nur wo. SA 8 Gaslightheater, Jack the ripper show.

Fedora: Ja, da ging sie regelmäßig hin, jeden Sonntag zur 11 Uhr Matinee, um sich ermorden zu lassen.

Jonas: Ein ausgefallenes Sonntagsvergnügen.

Fedora: Das war ihre große Leidenschaft. Sie spielte dann die Prostituierte. London 1888. Jack lockt sie in einen dunkeln Hinterhof, schneidet ihr die Kehle durch, schlitzt sie auf, mit einer Messeratrappe.

Jonas: Jeden Sonntag.

Fedora: Nur heute nicht, da hatte Jack ein richtiges Messer mit scharfer Klinge. Jack ist ein Modell, lebensecht, elektronisch programmiert, er zog sein Programm ab wie immer.

Jonas: Und Glen Denver wurde ermordet, diesmal wirklich und endgültig.

Fedora: Ich frage mich, was sie in ihren letzten Sekunden gedacht hat, ob sie Angst hatte, oder ob es das war, was sie im Grunde immer gesucht hat.

Jonas: Ich frage mich, wer die Messer vertauscht hat, und wann.

Fedora: Wann? Das kann ich Ihnen genau sagen, Jonas, zwischen halb 11 und 11. Die Jack-the-Ripper-Show dauert anderthalb Stunden und läuft mehrmals am Tag. In der 9 Uhr Vorstellung, als Glen noch nicht dabei war, war alles in Ordnung.

Jonas: Zwischen halb und 11 waren wir zusammen, Fedora, im Paradies.

Sam: Jaja, machen wir’s kurz. Schlunz, funz, alles klar, Fedora ist unschuldig, obwohl sie keine Computer mag. Jetzt weg, raus hier, Wunderland ist gefährlich, nicht geheuer, wer zu viel weiß, wird abgemurkst, wiedersehen, alles Gute, tschüß, servus, arividertschi. Feierabend, aus die Maus.

Jonas: Also Rückzug durch den Tunnel Richtung Plastiktor, und dabei stellten wir fest, daß wir wirklich viel wußten, wir wußten alles, auch wer Glen Denver umgebracht hat.

Fedora: Palafox. Es kann nur Palafox gewesen sein.

Jonas: Wegen der Japaner.

Fedora: Natürlich, die hätten ihre eigenen Spitzenmanager mitgebracht. Das machen die immer so.

Jonas: Und Direktorin Palafox hätte ihren lukrativen Job verloren.

Fedora: Deshalb hat sie auch Milius ermordet.

Jonas: Und Jonas in die Corrida eingeschmuggelt.

Fedora: Niemand sollte mir ein Alibi geben können.

Jonas: Wissen Sie, Fedora, eigentlich haben Sie Palafox einen großen Gefallen getan mit Ihrer Sabotageserie, damit haben Sie sie auf die Idee gebracht, und Sie haben ihr eine maßgeschneiderte Mörderin geliefert, frei Haus, auf dem Tablett. Sie brauchte es nur so aussehen zu lassen, als gehöre der Mord an Glen Denver dazu als viertes und letztes Glied der Kette.

Fedora: Woher sollte ich denn ahnen...

Jonas: Pst! Sehen Sie, da vorne...

Fedora: Blaurote Uniformen.

Jonas: Sicherheitstypen, jede Menge und bewaffnet. Vor dem Ausgang. Hier kamen wir nicht durch. Wir gingen zurück und überlegten.

Fedora: Es gibt ja noch eine Denverschwester. Gwen. Die sollten Sie kontakten.

Jonas: Wird sie uns glauben? Ist sie überhaupt zu erreichen?

Sam: Sie ist, Magni- und Minifizenz.

Jonas: Woher willst du das wissen, Sam?

Sam: Haben wir etwa die kleinen Schweinchen gehütet, Madam?

Jonas: Sei nicht albern, Sam. Das Wunderland Zentralsystem...

Sam: Hat keine Geheimnisse vor Sam, Sam dem Biegsamen, dem Geschmeidigen, dem Gewieften, dem Gewitzten und Verschmitzen, Sam Dampf in allen Schaltkreisen.

Fedora: Respekt, Herr von und zu Samuel.

Sam: Ein Blick ins System, und Sammy weiß, daß die Dame Glen Fidchich, Korrektur Glen Denver sich in ihrem Penthouse aufhält, zum Bleistift, auf dem Gipfel hoch über Wunderland, und daß ein paar Stockwerke tiefer im Steuerzentrum Direktorin Palafox die Fahndung leitet.

Palafox: Achtung, hier spricht Direktorin Palafox, an alle Sicherheitskräfte im Wunderland. Großfahndung. Unterstützt von einem auswärtigen Kriminellen ist Fedora, die Mörderin unserer verehrten Glen Denver aus dem Gewahrsam ausgebrochen.

Sam: Siehste?

Palafox: Dabei hat sie euren Chef, meinen Freund, Leo Milius ermordet. Fedora und ihr Begleiter sind bewaffnet und äußerst gefährlich. Alle Sicherheitskräfte werden ermächtigt, bei ihrem Anblick sofort und ohne Warnung scharf zu schießen.

Sam: Tschüß.

Jonas: Wir versteckten uns in einem Seitentunnel und überlegten weiter. Es sah nicht gut aus für uns.

Fedora: Raus kommen wir nicht, Jonas, und wenn sie anfangen, alles durchzukämmen, können wir uns nicht lange halten.

Sam: Agieren, nicht reagieren.

Jonas: Sagt Klausewitz. Sehr richtig, Sammy. Hör mal zu, du kennst dich doch im Wunderland Zentralcomputer bestens aus.

Sam: Wie ein Fisch im Wasser. Wie Jonas im Babypsilon.

Jonas: Wenn wir da nur wären.

Fedora: Jonas, ich hab eine Idee, warum verlagern wir die Auseinandersetzung mit Palafox und ihren Leuten nicht auf ein für uns günstigeres Terrain.

Jonas: SA 7 Metropolis. Schwarze Serie.

Fedora: Genau. Ich hab das Programm geschrieben, ich kenne jede Einzelheit, und Sie, Jonas...

Jonas: Jonas ist Nostalgiker, Fedora, Marlowe-Fan, Bogie-Fan.

Sam: Sammy-Fan.

Jonas: In einer nostalgischen Detektivsimulation werde ich mich wie zuhause fühlen. Besser. Bringen Sie uns hin, Fedora. Sammy wird das Programm einschalten.

Fedora: Augenblick, Jonas. Palafox ist in der Steuerzentrale. Wenn in SA 7 ein Programm startet, merkt sie das sofort.

Jonas: Das soll sie auch. Sammy wird ihren Befehlstand abblocken, sie neutralisieren, dann kann sie uns nicht abschalten und ihren Leuten keine Anweisungen geben. Wenn sie uns fassen will, muß sie runterkommen, ins Programm einsteigen, mitspielen.

Fedora: Das wird sie, Palafox ist eine Spielerin.

Jonas: Bestens. Und wenn Gwen Denver auch gern mal spielt.

Fedora: Tut sie. Wie ihre Schwester. Was haben Sie vor, Jonas?

Sam: Das wirste schon sehen.

Jonas: Die Stadt hatte viele Namen. Metropolis, Gotham City, Poisonville, oder einfach die Stadt. Über der Stadt lag Nacht. Es lag immer Nacht über der Stadt. Und es regnete. In der Stadt regnete es immer. Nervös weißes Neonlicht spiegelte sich in dunklen Pfützen und schwarzglänzendem Asphalt. Irgendwo wurde geschossen. In der Stadt wurde immer geschossen... Schritte... Leise vorsichtige Schritte. Zwei Gestalten traten aus einem dunklen Torweg auf die schwarz glänzende Straße. Sie blieben stehen. Zwischen einem Hydranten und einer verbeulten grauen Mülltonne.

Fedora: Das ist sie, Jonas, die schwarze Stadt der schwarzen Serie.

Jonas: Gefällt mir. Dunkel. Gefährlich.

Fedora: Die Aura des Bösen.

Jonas: Sie sagen es, Fedora. Vorsicht!

Holo1: Hände hoch!

Fedora: Jonas, keine Angst, die Figur in der Mülltonne ist nur ein Hologramm.

Jonas: Warum sagen Sie das nicht vorher?

Fedora: Das nächste Mal, versprochen.

Sam: Hoffentlich.

Jonas: Ich tauchte hinter dem Hydranten auf und steckte die Smith & Wesson weg, dann schlug ich den Kragen hoch, zog den Hut ins Gesicht, und führte eine kurze Unterhaltung mit meiner Manteltasche.

Sam: Alles geritzt, Boss.

Jonas: Palafox weiß Bescheid, Sam?

Sam: Na klar, Boss.

Jonas: Hast du ihre Befehlsleitung blockiert?

Sam: Aber immer, Boss.

Jonas: Und die Sache mit Glen Denver.

Sam: Ist angeleiert, Boss. Aktion Schwarze Serie läuft, Boss, bestens.

Jonas: OK, Sammy, aber du bist auf dem falschen Dampfer.

Sam: Wieso?

Jonas: Jonas ist nicht der Gangsterboß in der schwarzen Serie.

Sam: Aha.

Jonas: Jonas ist der Detektiv, Private Eye, lonesome Gun, pausenlos unterwegs im Dienst der Gerechtigkeit, unermüdlich tätig, um die Stadt zu säubern, um die Chefin der Unterwelt, die berüchtigte Polly Fox unschädlich zu machen.

Sam: Hoch klingt das Lied vom braven Mann, hoch auf dem gelben Wangen.

Fedora: Und ich bin die Freundin, die Frau an seiner Seite, Veronica Lake, Lauren Bacall, ein bißchen wild, aber loyal, durch und durch.

Sam: Na, ich weiß nicht.

Fedora: Häh?

Jonas: Wir hatten uns passend eingekleidet, in der Gardarobe von SA 7. Fedora trug ein enges Abendkleid aus Silberlame, darunter nur schwarze Seidenstrümpfe, darüber einen platingrauen Chinchillamantel, erstklassiges Imitat. Jonas hatte sich einen hellen Trenchcoat zum Smoking gegriffen und einen Filzhut aufgesetzt, schwarz, mit breiter Krempe.

Fedora: Hey, steht Ihnen, Jonas, steht Ihnen ausgezeichnet.

Sam: Und auch Gnädigste sehen heute abend hinreißend aus, charmo charmant küß die Hand.

Fedora: Danke, Herr Sam, ich mag zwar keine Computer, aber bei Ihnen könnte ich glatt eine Ausnahme machen.

Sam: Och, sag Sam zu mir, ja, sag du.

Jonas: Setzen Sie Sammy bloß keine Rosinen in den Kopf, Fedora. Schwarze Limousine von links, Holo nehm ich an.

Fedora: Nein, Jonas, das sind Sicherheits...

Jonas: Deckung, zurück in den Torweg!

Sam: Aua!

Jonas: Ein schlechter Schütze, der Beifahrer mit der altmodischen MP. Wir standen auf, klopften uns ab, und zuckten zusammen. Ein Streifenwagen raste an uns vorbei, mit heulender Sirene.

Fedora: Das war nun wieder eine Holoprojektion.

Sam: Achtung, melde gehorsamst, soeben ist Direktorin Palafox in laufendes Programm schwarze Serie eingetreten. Sie hat Rolle von Gangsterchefin Polyphon, Korrektur Polly Fox übernommen.

Jonas: Wie geplant. Wunderbar. Übergang zur Phase zwei. Sie kennen den Weg, Fedora.

Fedora: Zum Nachtklub.

Jonas: Und zur Telefonzelle.

Fedora: Richtig. Kommen Sie.

Jonas: Wir liefen durch die nassen schwarzglänzenden Straßen, ab und zu Autos, manchmal fiel ein Mensch vom Dach und schlug vor uns aufs Pflaster, oder wir traten auf eine Leiche, Eispickel im Genick, Loch in der Schläfe. Wir bogen um eine Ecke und waren da, an der Telefonzelle.

Holo1: Hallo?

Fedora: Hey, die zwei Figuren, die Polly sucht, sind im Blackoutclub, sag ihr das.

Holo1: Wer spricht?

Fedora: Eine Freundin.

Jonas: Der Club lag direkt gegenüber. Zuckende Neonröhren buchstabierten Blackout. Ein zerschlissener Baldachin, darunter eine Tür, keine Klinke. Dafür ein Guckloch. Wir klopften.

Holo1: Privat. Nur für Mitglieder.

Fedora: Wir sind Mitglieder, Schätzchen.

Holo1: Ach ja? Zeigen Sie mal Ihren Ausweis.

Jonas: Er nahm die 10-Dollarnote und machte uns auf. Drinnen war es fast so dunkel wie draußen. Ein niedriger Saal, nur wenige Gäste, halbseidene Typen im Smoking. Nachtschwalben in Arbeitskleidung. Kellnerinnen mit Beinen bis zum Hals. Vorn ein kleines Podium, ein Klavierspieler spielte Klavier, eine Sängerin sang. Wir setzten uns, an einen Tisch, ganz hinten.

Holo2: Pink Lady für die Lady.

Fedora: Danke.

Holo2: Und für Sie, Sir, Scotch on the Rocks. Haben Sie sonst noch Wünsche? Heroin, Kokain, Perversionen?

Jonas: Danke. Nicht viel los bei Ihnen.

Holo2: Die Nacht ist noch jung, Sir.

Sam: Sammy auch.

Jonas: Holo?

Fedora: Alles hier drin ist Holo, Jonas, die Bedienung, die Gäste, die Künstler, alle, mit einer Ausnahme.

Jonas: Hoffentlich. Ich frage mich, wer von den...

Palafox: Ruhe! Alle an die Wand. Kein Laut, keine Bewegung!

Sam: Aua!

Jonas: Direktorin Palafox alias Polly Fox. In einem schwarzen Herrenanzug, mit Weste und Krawatte, und MP, sehr schick, sehr verrucht. Ihre Gangster hatte sie mitgebracht, die sahen allerdings verdächtig nach Wunderlandsicherheit aus, blaurote Uniformen, Laserstrahler, ein schwerer Stilbruch. Aber das störte Palafox nicht. Sie hatte erreicht, was sie wollte.

Palafox: Da ist sie ja, unsere liebe Fedora, mit ihrem Kavalier, diesem Privatdetektiv.

Jonas: Jonas ist der Name, nur Jonas.

Palafox: Nur zu. Sie werden bald keinen Namen mehr brauchen. Fesselt die beiden und dann raus mit euch, wartet vor der Tür, ich hab noch ne Kleinigkeit zu erledigen.

Jonas: Fünf Minuten später waren wir unter uns. Palafox, Fedora, Jonas. Die Holofiguren an den Wänden zählten nicht. Oder doch?

Palafox: So, jetzt müßte ich Ihnen Betonschuhe verpassen und Sie damit auf den Grund des Eastrivers schicken, aber ich glaube nicht, daß wir hier irgendwo Beton haben, und den Eastriver haben wir schon gar nicht. Wir werden uns mit dieser Waffe begnügen müssen, keine Attrappe, kein Hologramm, eine echte Antiquität. Thomygun sagte man damals dazu.

Jonas: Sie wollen uns umbringen.

Palafox: Ja. Offenbar sind Sie ein ganz besonders schlauer Privatdetektiv, ja, ich will sie umbringen.

Fedora: Hören Sie, Frau Palafox.

Palafox: Polly bitte, Polly Fox, Sie fallen aus der Rolle, Fedora.

Fedora: Also, Polly, warum wollen Sie uns töten, Polly?

Palafox: Das wissen Sie doch.

Fedora: Sagen Sie es uns trotzdem, Polly, bitte.

Palafox: Na, Sie haben recht, am Schluß wird reiner Tisch gemacht, so ist es in den alten Büchern und in den Filmen, OK, packen wir aus. Ich habe Glen Denver ermordet, weil sie an die Japaner verkaufen wollte, und die hätten mich rausgesetzt.

Fedora: Das ist ein Grund.

Palafox: Nicht wahr? Es sollte so aussehen, als gehörten Mord und Sabotage zusammen, aber dann hat Milius sich eingemischt, und Sie, Sie Privatdetektiv, Sie haben Fedora als Saboteurin entlarvt und ihr gleichzeitig für den Mord ein Alibi gegeben, zusammen mit Milius. Darum mußte ich auch Milius umbringen. Bei Ihnen hat’s nicht ganz geklappt, leider, aber das holen wir jetzt nach.

Jonas: Na bitte, wir hatten Palafox dazu gebracht, ein Geständnis abzulegen. Wie geplant. Während Sie redete, bewegte sich was hinter ihr, eine Holofigur löste sich von der Wand, kam näher, eine Frau, nicht mehr jung, aufgedonnert, Schlitz im superkurzen Kleid, Ausschnitt bis zum Bauchnabel, hinter Palafox blieb sie stehen, holte einen Laserstrahler aus ihrer Handtasche und bohrte ihn Palafox in den Rücken.

Gwen Denver: Lassen Sie die Maschinenpistole fallen, Palafox.

Palafox: Kusch, zurück an die Wand, übernimm dich nicht, du bist nur eine Holoprojektion.

Gwen Denver: Meinen Sie, Palafox? Erkennen Sie mich nicht? Vielleicht habe ich mir etwas zu viel Make-up aufgekleistert, sehen Sie mich nur richtig an.

Palafox: Mein Gott, Gwen, Gwen Denver, wie kommen Sie hierher?

Jonas: Wir haben sie kontaket, über meinen Computer.

Fedora: Und weil sie uns nicht ohne weiteres glauben wollte, haben wir sie aufgefordert, sich in die schwarze Serie einzuschleusen, als unauffällige Holofigur.

Gwen Denver: Und das hab ich getan, mit großem Vergnügen. Aber wenn ich an meine arme Schwester denke, die Sie auf dem Gewissen haben, Palafox, Waffe weg!

Palafox: Ah!

Jonas: Palafox ließ die MP fallen und hielt sich die rechte Hand. Sie war geschlagen und sie wußte es. Gwen Denver band uns los, dann informierte sie die Sicherheitstypen, gab ihnen neue Befehle, ließ sie abrücken, mit Palafox.

Gwen Denver: Alles erledigt. Wir können das Programm beenden.

Jonas: Sammy?

Sam: Was wünscht mein Herr und Meister?

Jonas: Schalt die Schwarze Serie ab.

Sam: So sei es, Sahib.

Gwen Denver: Schicken Sie mir Ihre Rechnung, Herr Jonas. Fedora, kommen Sie mit.

Fedora: Ja. Auf Wiedersehen, Jonas, und... Danke.

Jonas: Das ist also das Simulationsareal. Die Wirklichkeit. Eine kahle Scheune. Rohre. Ein paar Drähte. Traurig.

Sam: Ach, mach dir nichts draus, Kumpel, sieh mal, Babylon ist doch auch was, ne, auch duster, auch gefährlich, naja vielleicht nicht sehr romantisch, aber mondieu, was willst du mit Romantik? Kannst dir nichts dafür kaufen. Weißt du was, Alter, wenn dir die Wirklichkeit mal zu sehr auf den Wecker fällt, dann, ja dann gehst du ins Wunderland und buchst einmal schwarze Serie, nicht, ja.

Das war Wunderland. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem wirkten mit: Ilona Grübel, Ilse Neubauer, Karl Heinz Vietsch und viele andere (Helga Fellerer, Udo Wachtveitl, Julia Fischer). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Assistenz: Wolfgang Ruhdörfer. Regie: Werner Klein. (Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks) (1991). (Redaktion: Erwin Weigel).

eingetragen am 02.04.2022 - 21:22
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