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Forenübersicht » Pfadfinder - Forum » Allgemeines Off-Topic » Der letzte Detektiv von Michael Koser

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42 Beiträge in diesem Thema (offen) Seiten (3): (1) 2 3 weiter >
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Jonas1 ist offline Jonas1  
Der letzte Detektiv von Michael Koser
42 Beiträge
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Testmarkt

Jonas: Sie war ein paar Jahre jünger als ich. Um die 35. Dunkles Haar, dunkle Augen, eine wohlgefällige Figur. In einem von diesen weißen Overalls, die nach gar nichts aussehen, und mehr kosten, als ein Detektiv im Monat verdient. In der 40-Quadratmeterklasse, schätzte ich. Auf dem Klientenstuhl in meinem Büro plus Apartment, 22 Quadratmeter und ein paar Zerquetschte, wirkte sie... wie ein aufgeblühter Kirschzweig in einer alten Bierflasche. Ich bin sentimental. Ich mag Kirschblüten.

Judith: Mein Name ist Delgado. Judith Delgado.

Jonas: Judith. Das gefällt mir. Ein Mensch, dessen Name mit J anfängt, kann nicht ganz schlecht sein.

Jonas: Ich heiße Jonas. Nur Jonas. Wie der Typ mit dem Walfisch in der Bibel. Viele Leute wundern sich darüber, daß ich nur einen Namen habe. Ich weiß nicht, warum. Ich meine, besser ein guter Name als drei miese.

Judith: Ich kann es nicht glauben. Onkel Adrian hätte so was nie gemacht.

Jonas: Was?

Judith: Selbstmord. Ich versteh das nicht.

Jonas: Sagen Sie alle.

Judith: Bitte?

Jonas: Sagen Sie alle, wenn der liebwerte Anverwandte endlich freiwillig die Kurve kratzt, weil sich kein Aas um ihn gekümmert hat.

Judith: Ihr Ton gefällt mir nicht.

Jonas: Sam?

Sam: 243, o Herr und Meister.

Judith: 243?

Jonas: Sam führt `ne Liste. Von Leuten, die mir sagen, ihr Ton gefällt mir nicht. Sie sind Nummer 243.

Judith: Ich habe mich um Onkel Adrian gekümmert. Und ich bin ganz sicher, er hat sich nicht umgebracht.

Jonas: Das sagen Sie. Und was steht auf dem Totenschein? Name?

Judith: Judith Delgado.

Jonas: Nicht Ihrer. Onkel Adrian. Name, Nummer, Adresse und so weiter.

Judith: Adrian Delgado. Südstadt, 33. Straße, Nummer 170, Aufgang G, Apartment 93. Bürgernummer 15 B 27 09 1939. Aber das ist unnötig. Ich habe schon...

Jonas: Lassen Sie das mich auf meine Weise machen. Sam?

Sam: Magnifizenz?

Jonas: Todesdatum. Todesursache.

Sam: Hören ist gehorchen, euer Lordschaft. Piep. Herr Adrian Delgado verließ dieses unser irdisches Tal der Tränen aus freien Stücken am 13. März im Jahre des Herrn 2009...

Jonas: Also gestern.

Sam: Indem er das Fenster seines im 9. Stockwerk gelegenen Apartments öffnete und sich, den Kopf voran, durch dasselbe in die Tiefe stürzte. Beim Aufschlag erlitt er folgende, in ihrer Gesamtheit tödliche Verletzungen...

Jonas: Brauchen wir nicht. Ist gut, Sammy.

Sam: Wie Durchlaucht befehlen.

Jonas: Sie haben’s gehört, Judith. Selbstmord. Ganz offiziell. Kein Fall für Jonas.

Judith: Ich kenne den Totenschein. Er lügt.

Jonas: Lassen Sie mich raten. Lebensversicherung?

Judith: Ja, das auch, aber...

Jonas: Zu Ihren Gunsten abgeschlossen. Und bei Selbstmord zahlt die Versicherung nicht. Wie hoch?

Judith: 100.000 Euros. Aber das ist es nicht. Ich hatte Onkel Adrian gern.

Jonas: Rührend. Und was soll ich jetzt tun?

Judith: Nachforschen natürlich. Rauskriegen was wirklich passiert ist.

Jonas: Ich bin der letzte. Der letzte Privatdetektiv. Der letzte freie Beruf. Seit Ärzte und Anwälte Staatsdiener sind. Und Künstler Medienbeamte mit Pensionsberechtigung. Wahrscheinlich bin ich auch der einzige Privatdetektiv. Wenigstens in unserer unschönen, aber großen Stadt Babylon. Ohne Konkurrenz. Nicht, daß es mir viel nützt, aber wer braucht heutzutage schon einen Detektiv? Menschen, die `nen Knacks haben oder eine fixe Idee. Wie Judith.

Jonas: Ich kriege 80 Euros pro Tag und Spesen. Aber ich sag Ihnen gleich: Sie werfen ihr Geld zum Fenster raus.

Judith: Das lassen Sie meine Sorge sein. Ich habe gute Gründe.

Jonas: Klar. Warum sollte sich Onkel Adrian schon umgebracht haben? Warum bringen sich Jahr für Jahr Millionen Menschen um? Sam, die letzten Selbstmordzahlen für Europa.

Sam: Bitte sehr, bitte gleich, o Sahib. Piep. Januar bis Dezember 2008: 4 532 728 Suizide, gleich 0, 37258 % der Bevölkerung. Im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 3, 6661 %. Januar bis Februar 2009...

Jonas: Das reicht, Sam. Sehen Sie, Judith, jeder kann sich umbringen, Sie. Ich.

Judith: Ein außergewöhnlicher Computer, den Sie da haben.

Jonas: Sam. Der ist nicht außergewöhnlich. Der ist verrückt. Was, Sammy?

Sam: Wenn du meinst, Mac, du bist der Chef.

Jonas: Außer Walzertanzen und Kinderkriegen kann Sam praktisch alles. Hören, Sehen, sich in zugängliche und auch ein paar unzugängliche Datenbänke einschalten, deduzieren, und reden, vor allem reden. Die Hersteller haben ihn versuchsweise mit allen möglichen ausgefallenen Sprachprogrammen vollgestopft. Und jetzt redet der gute Sam nicht nur wie ein Buch, er tönt wie eine ganze Bibliothek. Deswegen habe ich ihn auch verhältnismäßig billig gekriegt, als ich mit meiner Abfindung aus dem Antarktischen Krieg zurückkam und beschloß, Detektiv zu werden. Wer will sich schon ständig mit einem elektronischen Oberlehrer unterhalten. Ich habe ihm dann noch ein paar neue Sprachprogramme eingegeben, als Gegengewicht sozusagen, und das alles ist ihm ein bißchen durcheinander geraten. Nicht zu reparieren. Man muß sich dran gewöhnen.

Jonas: Darf ich vorstellen: McCoy Incorporated, Typreihe Doktor, Versuchsmodell Chrysostomus, Baujahr 2005. Ich nenne ihn kurz Sam. Sie werden kaum wissen, warum.

Judith: Hallo, Sam.

Sam: Küß die Hand, gnädige Frau.

Judith: Play it again, Sam. Spiel As Time goes by.

Sam: Klaro, Schwester. Auf geht's.

Jonas: Sie kennen Casablanca?

Judith: Aber ja, und ich mag Bogie, und Phil Marlowe, und Sam Spade, und Lew Archer, und Albert Samson, und...

Jonas: Und ich dachte, ich bin der einzige in ganz Babylon. Das muß gefeiert werden. Ein Drink, Bürowhiskey. Original Old Forester. Die letzte Flasche für den letzten Detektiv. Ich darf leider nicht. Mein Magen.

Judith: Cheers, Jonas. Sie spielen Ihre Rolle gut. Aber jetzt könnten Sie eigentlich einen Gang zurückschalten. Ich glaube Ihnen ja, daß Sie genau so ausgekocht sind wie ihre Vorbilder.

Sam: Groß, schnell, hart und voller Stacheln. Raymond Chandler.

Judith: Und deshalb werden Sie auch feststellen, was mit Onkel Adrian passiert ist.

Jonas: Warum lassen Sie den armen Onkel nicht in Frieden ruhen, in seiner Urne oder wo er immer steckt. Ich habe Ihnen doch gesagt...

Judith: Ich habe Ihnen gesagt, Jonas, daß ich gute Gründe habe für meinen Verdacht. Zwei gute Gründe, um genau zu sein.

Jonas: OK, ich höre. Erstens.

Judith: Onkel Adrian war einigermaßen gesund, vergnügt, lebenslustig, überhaupt kein Selbstmordtyp.

Jonas: Und zweitens.

Judith: Lassen Sie Ihren verdrehten Computer feststellen, wie viel Menschen gestern in der Südstadt Selbstmord begangen haben.

Jonas: Von mir aus. Na, was ist denn, Sammy?

Sam: Sie hat mir gar keine Befehle zu geben. Und Sie hat verdrehter Computer zu mir gesagt.

Jonas: Ach was, zier dich nicht. Komm rüber mit den Zahlen.

Sam: Aye Aye, Sir. Piep. Piep. Ich bedaure unendlich. Aber die gewünschte Information ist mir nicht zugänglich. Sie ist klassifiziert und codiert. Dritte Geheimstufe.

Jonas: Nanu. Seit wann?

Sam: Seit dem 12. März 2009, großer Meister.

Jonas: Moment. Die Selbstmordzahlen der Südstadt für gestern sind seit vorgestern klassifiziert?

Sam: Soll ich es dir auch noch buchstabieren, Kumpel?

Jonas: Merkwürdig. Und Sie wußten das, Judith?

Judith: Ich arbeite im Ministerium für Statistik und Soziographie.

Jonas: Aha. Können Sie den Code beschaffen?

Judith: Ich will’s versuchen. Ich ruf Sie an. Das heißt, wenn Sie den Fall übernehmen und für mich arbeiten wollen.

Jonas: Weil Sie Bogie und Konsorten kennen, Judith. Weil an der Sache was faul ist. Weil ich momentan nichts Besseres vorhabe. Abgemacht.

Judith: Auf Ihren neuen Fall, Jonas.

Jonas: Und weil ich Kirschblüten mag.

Jonas: Die Südstadt, vor einem knappen halben Jahrhundert gebaut, ist schon vier-mal saniert worden. Diverse Wohnungsgesellschaften haben sich gesundgestoßen, aber sonst hat sich nicht viel geändert. Immer noch dieselben Hochhäuser, die aussehen wie riesige angegraute Käsestücke. Voller Löcher und Schimmel. Und Maden, dicht an dicht. Irgendwo müssen sie ja wohnen. Aber die Südstadt ist kein Slum, Gott bewahre, sie ist ein Wohngebiet mit spezifischen strukturellen Problemen. Das sagt die Bürgermeisterin jede Woche in ihrer Fernsehshow. Und die muß es wissen. In Onkel Adrians Haus war der Fahrstuhl kaputt. Die Fahrstühle in der Südstadt sind immer kaputt. Um wieder zu Atem zu kommen, studierte ich im 9. Stock die Graffiti. Das übliche. Die Tür zu Apartment 93 war versiegelt. Ich klopfte. Im Spion der Tür von Apartment 95 hatte ich was gesehen. Ein blutunterlaufenes Falkenauge. Das Übliche.

Nachbarin: Keiner da, junger Mann. Was wollen Sie denn?

Jonas: Telegramm für Herrn Delgado.

Nachbarin: Delgado. Der wohnt nicht mehr hier.

Jonas: Ausgezogen?

Nachbarin: Nicht direkt.

Jonas: Wissen Sie, wo ich ihn erreichen kann?

Nachbarin: Da müssen Sie sich schon Flügel anschaffen, junger Mann.

Jonas: Eine Kipperin. Das übliche. Die Südstadt ist voll von Kippern. Und nicht nur die Südstadt. Die Dame war in Alkohol eingelegt worden und seit Jahren gut durchgezogen. Nicht mehr weit zum Delirium. Ich frage mich, was sie heute sehen, wo’s keine Elefanten mehr gibt, und keine weißen Mäuse. Vielleicht karierte Computer.

Nachbarin: Wo haben Sie denn das Telegramm?

Jonas: In der Tasche.

Nachbarin: Und Ihre Uniform?

Jonas: In der Reinigung. Delgado ist tot?

Nachbarin: Toter geht’s gar nicht. Gestern Abend haben sie ihn im Lichthof abgekratzt. Aus dem Fenster gesprungen. Was man hier so Fenster nennt.

Jonas: Selbstmord?

Nachbarin: Muß wohl.

Jonas: Probleme?

Nachbarin: Haben Sie keine, junger Mann? Aber wo Sie so fragen. Delgado ist der letzte, der so was macht, hab ich immer gedacht. Kam ab und zu rüber und trank einen Schluck mit. Wollen Sie auch einen?

Jonas: Danke, mein Magen. Aber lassen Sie sich nicht stören.

Jonas: Sie war eine reinliche Person und trank gleich aus der Flasche. Ein Glas weniger zum Abwaschen.

Nachbarin: Vorgestern war er noch hier. Ganz munter. Am Wochenende wollte er eine Tour machen, zu einem von diesen Vergnügungssatelliten. Er hat mir die Prospekte gezeigt. Und dann springt er vorher in den Lichthof. Ist schon komisch.

Jonas: Vielleicht war’s ein Unfall.

Nachbarin: Klar, junger Mann. Delgado ist auf einen Stuhl gestiegen und hat sich dann durchgezwängt. Das müssen Sie nämlich tun, wenn Sie hier aus Versehen aus dem Fenster fallen wollen.

Jonas: Es könnte ihn ja auch jemand gestoßen haben.

Nachbarin: Wer denn, junger Mann? War ja keiner bei ihm, als es passiert ist. Ich seh alles. Ich weiß Bescheid. Er war ganz allein. Ganz allein mit sich selbst. Wollen Sie nicht doch was trinken?

Jonas: Immer noch nicht. Hat er im Lauf des Tages Besuch gehabt?

Nachbarin: Besuch? Wer?

Jonas: Der Staatspräsident, wer denn sonst?

Nachbarin: Sie nehmen mich hoch, junger Mann. Manchmal kam seine Nichte. Nette Person. War aber schon `ne Woche nicht mehr hier.

Jonas: Und gestern?

Nachbarin: Kein Mensch. Bloß irgend so ein Mädchen mit 'ner Warenprobe.

Jonas: Warenprobe? Was für eine Warenprobe?

Nachbarin: Keine Ahnung. Bei mir hat sie nicht geklingelt. Kosmetik oder so was. Weißen Kittel hatte sie an. Tja, und der Postroboter natürlich. Mit der Reklame.

Jonas: Fünf Häuser weiter war ein Laden. Im Schaufenster künstliches Immergrün und auf einem lila Podest eine angestaubte Designer-Urne, daneben ein Schild: Für die letzte Wohnung ihrer Lieben ist das Beste gerade gut genug. Das gab mir zu denken.

Bestattungsunternehmer: Sie haben einen schmerzlichen Verlust erlitten, mein Herr.

Jonas: Eine Tante.

Bestattungsunternehmer: Oh. Mein tief empfundenes Beileid. Mitten im Leben...

Jonas: Heute rot, morgen tot.

Bestattungsunternehmer: Wie wahr, wie wahr, mein Herr. Rasch tritt der Tod den Menschen an.

Jonas: Rasch ist das treffende Wort. Sie ist aus dem Fenster gesprungen.

Bestattungsunternehmer: Ist ja nicht zu glauben.

Jonas: Wieso? Das kommt vor.

Bestattungsunternehmer: Und wie das vorkommt. Hinten hab ich 11 Fensterstürze liegen, 11, mein Herr, alle von gestern, alle aus dieser Straße.

Jonas: Wie das Leben so spielt.

Bestattungsunternehmer: Sie meinen, der Tod. Tja. Scherz beiseite. Woran dachten Sie? Super Luxus, 1a deluxe?

Jonas: Wissen Sie, ich habe sie ja kaum gekannt, wie das so ist.

Bestattungsunternehmer: Ich verstehe, mein Herr, schlicht und gediegen. Raum ist in der kleinsten Hütte, nicht wahr? Wenn ich Ihnen unsere beliebte Grundausstattung zeigen darf.

Jonas: Ein ander Mal. Geben Sie mir Ihre Preisliste. Ich melde mich.

Jonas: Die Telefonzelle an der Ecke war kaputt. Die Telefonzellen in der Südstadt sind immer kaputt. Schließlich fand ich eine, die funktionierte. Die Kaputtmacher mußten sie vergessen haben. Ich rief die Polizeidirektion Südstadt an.

PoPo1: Ja?

Jonas: Ich brauch ne Auskunft. Über `nen Selbstmord.

PoPo1: Was Sie nicht sagen. In der Südstadt. Fenstersturz.

Jonas: Ja.

PoPo1: Ich geb Sie weiter.

PoPo2: PoPo. Sie wünschen.

Jonas: Wie war das?

PoPo2: Wie war was?

Jonas: Wie haben Sie sich gemeldet?

PoPo2: PoPo. Populationspolizei.

Jonas: Oh, falsch verbunden.

PoPo2: Glaub ich nicht, Freundchen. Was wollen Sie?

Jonas: Ein angeblicher Selbstmordfall. Sind Sie dafür zuständig?

PoPo2: Wir sind immer zuständig, Freundchen.

Jonas: Wenn Sie meinen. Also, Adrian Delgado, Nummer 15 B 27 09 1939.

PoPo2: Ja und?

Jonas: Eindeutiger Selbstmord? Oder...

PoPo2: Oder was? Natürlich Selbstmord. Ganz klar. Wer sind Sie?

Jonas: Kein Zweifel? Keine Verdachtsmomente?

PoPo2: Wer sind Sie? Von wo sprechen Sie?

Jonas: Was meinst du, Sam?

Sam: Die Affäre, der Hochwürden zur Zeit ihre Energie widmen, gibt ein Odeur ab, welches als wenig erfreulicher als unangenehm zu bezeichnen ich mich nicht enthalten kann.

Jonas: Noch mal, Sam.

Sam: Genosse, die Sache stinkt zum Himmel.

Jonas: Du sagst es, Sammy.

Jonas: Sam hatte ich natürlich bei mir. Das heißt, nicht den großen Terminal, der steht fest im Büro, sondern Sam zwo. Sam zwo ist eine drahtlose Extension, ein Kästchen, das bequem in jede Tasche paßt und seine Energie aus Batterien bezieht. Ansonsten ist der Sam zwo derselbe Sam wie die große Nummer eins. Bißchen verrückt, eine mächtige Klappe, und viel dahinter.

Sam: Wenn Sie mir den Vorschlag gestatten, Sir, es wäre ratsam, diesen Ort auf schnellstem Wege zu verlassen. Ohne Zweifel dürfte man bei der Populationspolizei bereits fieberhaft damit beschäftigt sein, das Telefonat zurückzuverfolgen.

Jonas: Eigentlich wollte ich noch schnell Judith anrufen.

Sam: Kannst du zuhause machen. Hau endlich ab, Mensch, sonst kriegen sie uns am... am... am Kragen, o Herr, o Meister.

Jonas: Hast ja recht, Sammy. Rikscha!

Jonas: Daß ich mir `ne Rikscha leistete, brachte nicht viel ein. Ich mußte trotzdem fast den ganzen Weg nach Hause laufen. Ein Pechtag. Die Kusbekische Befreiungsfront hatte in meinem Viertel was in die Luft gesprengt, ein Konsulat oder Kulturzentrum, und die Terrorpolizei sperrte weiträumig ab, wie sie das nennt. Eine interessante Technik. Bombenleger fängt man dadurch nicht, aber das Publikum merkt wenigstens, daß die Freunde und Helfer sich Mühe geben. Als ich nach Hause kam, war es schon dunkel.

Judith: Ich hab den ganzen Nachmittag versucht, Sie anzurufen, Jonas.

Jonas: Ich war unterwegs. In Ihrer Angelegenheit.

Judith: Haben Sie was erreicht?

Jonas: Ein bißchen. Besuchen Sie mich, dann erzähle ich es Ihnen.

Judith: Später, Jonas, wenn Sie den Fall abgeschlossen haben.

Jonas: Was ist mit dem Code?

Judith: Es war nicht ganz leicht, aber ich habe ihn. Schreiben Sie mit.

Jonas: Mit der Codezahl kam Sam ohne Probleme in die geheime Selbstmordstatistik der Südstadt. Und was er da entdeckte, war schon seltsam. Wenn auch nicht gerade eine Überraschung, nach allem, was ich heute mitgekriegt hatte.

Sam: Die Selbstmordrate der Südstadt für den 13. März liegt allgemein um 217 % über dem Durchschnitt. Selbstmord durch Sturz aus dem Fenster bzw. von einem hochgelegenen Standort: 489 % über Durchschnitt.

Jonas: Zufall?

Sam: Zufälliges Ergebnis, Wahna, seien gänzlich undenkbar. Wahrscheinlichkeit dafür liegen bei 0,00.

Jonas: OK. Sammy, OK OK, sei mal `nen Moment still. Ich muß nachdenken.

Sam: Zum Nachdenken dürfte bei aller Bescheidenheit meine geringe Person weitaus geeigneter sein als ihro Durchlaucht.

Jonas: Du sollst still sein, habe ich gesagt.

Sam: Durchlaucht schaden sich selbst, aber wie Durchlaucht wünschen. Ein Computer gehorcht und schweigt. Wie das Grab. Nichts sagen, nicht fragen, und nur nicht verzagen. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Nur in der Stille reift ein großer Geist.

Jonas: Ich hab’s.

Sam: Wird schon was rechtes sein.

Jonas: Hör auf zu Mosern, Sam, tu lieber was.

Sam: Und was befehlen Eminenz?

Jonas: Gib mir die durchschnittliche Persönlichkeitsstruktur von allen, die gestern in der Südstadt aus dem Fenster gesprungen sind.

Sam: Bitte sehr. Piep. Männlich und weiblich. Über 55 Jahre. Allein lebend. Keine feste Beziehung. Keine zeitweilige Partnerschaft. Keine Gruppe. Keine Kinder. Wohnraumklasse zwischen 15 und 25 qm.

Jonas: Eben Südstadt. Millionäre wohnen da nicht.

Sam: Wünschen Monsignore Einzelheiten? Hobbys, bevorzugte Videos, Biorhythmen und so weiter?

Jonas: Nicht nötig, Sammy.

Sam: Wie Sie wollen. Sie sind der Boss. Sag ich also nichts zum persönlichen Hygienefaktor.

Jonas: Hygienefaktor? Na klar! Was ist mit dem Hygienefaktor?

Sam: Um 67, 74 % über dem Durchschnitt. Interessant, Sahib?

Jonas: Aber ja. Und jetzt suchst du mir...

Sam: Derrick Kracau, 29. Straße, Nummer 5, Aufgang C, Apartment 142.

Jonas: Wer ist das?

Sam: Na wer schon, Meister? Ein Mensch, welcher sich jeglicher Merkmale vorbenannter Persönlichkeitsstruktur erfreut, jedoch, und das ist, wenn Sie mir den Kalauer verzeihen, der springende Punkt, nicht durch einen Sprung aus dem Fenster seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Das war es ja wohl, was Eminenz wollten.

Jonas: Ja aber ich hab doch noch gar nichts gesagt!

Sam: Sam nur armer kleiner Computer, Massa, aber Sam denken unheimlich schnell.

Jonas: Wundere dich nicht, wenn du eines schönen Tages in der Schrottmühle landest.

Sam: Zu Befehl. Nicht wundern. Fahren wir in die Südstadt, Majestät?

Jonas: Morgen früh, Sam. Klapp das Bett raus.

Sam: Gesegnete Ruhe, eure Heiligkeit. Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen beda-hacht...

Jonas: Derrick Kracau trug einen Nostalgie-Haarschnitt a la Punk, das neueste an Körperfarben und ansonsten nicht viel, abgesehen von zahllosen Kettchen an Hals, Armen, Beinen und um seine unübersehbar 60jährige Taille. Er duftete nach allen Estern des Orients, und verströmte soviel Charme wie ein gesprungenes Bidet.

Kracau: O, je früher der Morgen, desto schöner die Gäste. Sagen Sie nichts. Lassen Sie mich raten. Sie sammeln für die St. John-Lennon-Kapelle. Nein? Sie verkaufen illegale Holos? Auch nicht? Dann sind Sie vielleicht ein böser böser Räuber, hmh, und wollen mir unaussprechlich gräßliche Dinge antun, hmh?

Jonas: Seh ich so aus?

Kracau: Nicht? Schade.

Jonas: Wenn ich richtig informiert bin, Herr Kracau, sind Sie vorgestern von einer unserer Vertreterinnen aufgesucht worden.

Kracau: Vorgestern? Ach Sie meinen dieses schnippische Weibstück mit der kostenlosen Probetube Zahncreme. Dentomed oder wie das Zeug heißt.

Jonas: Ganz recht, Herr Kracau, haben Sie die Zahnpasta inzwischen benutzt?

Kracau: Ich bitte Sie. Meine Beißerchen scheuere ich mich Diospecial. Nur mit Diospecial. Seit Jahren. Da werd ich doch nicht von heute auf morgen mir nichts dir nichts auf irgendeine neue vulgäre Marke umsteigen.

Jonas: Ihr Glück. Haben Sie die Probe noch?

Kracau: Moment. Muß hier irgendwo sein. Hat sich versteckt das freche Ding. Ja, hier haben wir’s. Hier.

Jonas: Danke. Ich muß die Tube einziehen, Herr Kracau.

Kracau: Aber aber. Geschenkt ist geschenkt. Wiederholen ist gestohlen.

Jonas: Unsere Marketing-Group hat einen kleinen Fehler gemacht. Das Produkt ist noch nicht endgültig freigegeben. Nebenwirkungen, Sie verstehen, Kontraindikationen. Wir müssen noch eine Testreihe durchführen.

Kracau: O Gott O Gott, da wären mir womöglich die Beißerchen ausgefallen, wenn ich das Zeug genommen hätte.

Jonas: Womöglich, aber es ist ja nichts passiert. Putzen Sie sich weiter die Zähne mit Diospecial, Herr Kracau, kaufen Sie sich ein paar neue Kettchen, und vergessen Sie ab und zu Ihren Geburtstag, das hält frisch.

Kracau: Oh!

Jonas: Dentomed, Sam.

Sam: Piep. Eine Firma beziehungsweise eine Warenmarke dieses Namens ist weder im Handelsregister noch in einer anderen in Frage kommenden Datei eingetragen, Milord.

Jonas: Dachte ich mir.

Jonas: Jetzt brauchte ich einen Wissenschaftler. Nebenwirkungen, Kontraindikationen, Testreihen, das sagt sich leicht. Die praktische Anwendung war schon schwieriger. Zu schwierig für einen einfachen Privatdetektiv. Auch Sam war da überfragt. Ausnahmsweise. Dr. Prosper war ein Star an der Uni gewesen, bis sie ihn gefeuert hatten, um den Nobelpreis zu kriegen soll er Forschungsergebnisse gefälscht haben. Er selbst behauptet, ein Konkurrent habe ihn reingelegt. Früher hatte Dr. Prosper am Markgrafenboulevard gewohnt, jetzt hauste er draußen im Osten, in einer Gegend, die sogar die Bürgermeisterin als Slum bezeichnen konnte, ohne rot zu werden. Er hatte sich ein kleines Labor eingerichtet, und tat für Geld alles. Fast alles.

Dr. Prosper: Erst... erst mal das Wichtigste. 2... 200 Euros. In bar. Und im Voraus.

Jonas: 100. 50 jetzt, 50 wenn Sie fertig sind.

Dr. Prosper: Geben... Geben Sie her. Was... was soll ich tun?

Jonas: Sehen Sie sich das hier mal ein bißchen näher an.

Dr. Prosper: Zahnpasta. Warum... warum gehen Sie nicht zu Warentest oder zum... zum Konsumentenbund?

Jonas: Wollen Sie sich 100 Euros verdienen oder nicht?

Jonas: Er wirkte nervös. Seine wasserblauen Augen schwammen ängstlich hinter dicken Brillengläsern. Wie Picassofische im Aquarium. Vielleicht hatte er eine Vorahnung. Vielleicht hatte er auch bloß nicht ausgeschlafen. Aber Jonas ist ein harter Bursche. Ohne mit der Wimper zu zucken, nimmt er Babys den Schnuller weg. Einen vergammelten Doktor bei der Stange zu halten, ist für ihn ein Kinderspiel.

Dr. Prosper: Irgendwas... irgendwas krumm an der Sache?

Jonas: Und noch 20 drauf, weil Sie’s sind.

Dr. Prosper: OK. Gift?

Jonas: So was ähnliches. Kennen Sie ein Psychopharmakon, das zu Selbstmord führt?

Dr. Prosper: Eine... eine Suiziddroge?

Jonas: Eine Droge, die Menschen dazu bringt, aus dem Fenster zu springen.

Dr. Prosper: Möglicherweise ein...ein Salzsäurederivat. Und so was soll da drin sein?

Jonas: Würde mich nicht überraschen. Stellen Sie’s fest. Morgen früh um 9 komm ich wieder.

Dr. Prosper: Viel zu kurz.

Jonas: 120 Euros.

Dr. Prosper: Unmöglich.

Jonas: Und seien Sie vorsichtig. Lassen Sie die Tube nicht offen rumliegen.

Dr. Prosper: Wo versteckt der weise Mann ein Blatt?

Jonas: Keine Ahnung. Also bis morgen, Dr. Prosper. Es war mir ein Vergnügen.

Dr. Prosper: Sie mich auch, Jonas.

Jonas: Am nächsten Morgen pünktlich um 9 stand ich wieder vor der Tür. Ich klingelte. Ich klopfte. Nichts rührte sich. Ich gab der Tür einen kleinen Tritt. Sie ging auf. Dahinter lag ein Chaos, das gestern noch ein Labor gewesen war. Splitter, Scherben, zerschlagene Käfige, tote Ratten. Und ein toter Mann, der gestern noch Dr. Prosper gewesen war.

Jonas: Erstochen. Mit seinem eigenen Skalpell. Und dann haben die Mörder Kleinholz gemacht.

Sam: Dreimal dürfen Hoheit raten, was sie gesucht haben. Die Frage ist: Konnte Dr. Prosper die Tube Zahnpasta so geschickt verbergen, daß es den Mördern nicht gelang, sie zu finden?

Jonas: Das ist die Frage, Sammy. Du sagst es. Ich seh sie nicht.

Sam: Wo versteckt der weise Mann ein Blatt?

Jonas: Du bist auf dem falschen Dampfer, Sam. Wir suchen kein Blatt, wir suchen Zahnpasta.

Sam: Schon des Öfteren hatte euer bescheidener Diener Gelegenheit, festzustellen, daß die literarische Bildung euer Durchlaucht sich als recht lückenhaft erweist, sofern es sich nicht um Autoren wie Hammett, Chandler, Macdonald etc. handelt. Was ich soeben sagte, wobei ich lediglich wiederholte, was Dr. Prosper gestern Ihnen gegenüber äußerte, ist ein Zitat. Ein Zitat aus einer Kurzgeschichte des antiken Detektivschriftstellers Gilbert Keith Chesterton.

Jonas: Kenn ich nicht.

Sam: Wo versteckt der weise Mann ein Blatt, fragt eine Figur, und die Antwort lautet: Im Walde.

Jonas: Ja und?

Sam: Wo versteckt der weise Mann eine Tube Zahnpasta?

Jonas: In der Waschnische.

Sam: Na bitte, es geht doch, wenn euer Wohlgeboren Ihr Hirn ein wenig strapazieren.

Jonas: Und hier... hier ist sie, die Tube. Ein bißchen zerdrückt, in einem schmutzigen Glas, neben einer zerfaserten Zahnbürste.

Sam: Durchlaucht werden mir darin zustimmen, daß es Dr. Prosper vor seinem unzeitigen Tod nicht vergönnt war, die von Durchlaucht gewünschte Untersuchung vorzunehmen.

Jonas: Sieht nicht so aus. Und was machen wir jetzt?

Jonas: Ich sah aus dem offenen Fenster. Es hatte angefangen zu regnen. Ein grau-gelber Himmel hing über der Stadt, wie das Fell einer ertrunkenen Siamkatze. Schöner Satz, nicht? Direkt aus dem Poesiealbum des Privatdetektivs.

Jonas: Also eins steht fest: Wir können das Zeug nicht testen.

Sam: Einerseits sehe ich mich gezwungen, euer Gnaden darin rechtzugeben. Andererseits jedoch...

Jonas: Sammy, du hast ne Idee?

Sam: Schallt nicht, o großer Vorsitzender, aus jener Ecke ein gewisses Quieken an mein elektronisch Ohr?

Jonas: Eine von Prospers Ratten. Im Käfig. Unter dem Bett. Die Kerle haben sie übersehen.

Sam: Zweifellos, Milord. Besagtes Übersehen eröffnet uns die Möglichkeit, wenn auch nicht zu einem Test im streng wissenschaftlichen Sinne, so doch zu einer gewissen informellen Überprüfung und, wie zu vermuten, Bestätigung unseres Verdachts.

Jonas: Moment mal, Sammy. Du meinst, ich soll der Ratte die Zähne putzen?

Sam: In aller Bescheidenheit, Sahib, es wäre ausreichend, dem Tier die verdächtige Zahncreme durch Maul und Speiseröhre in den Verdauungstrakt zu praktizieren.

Jonas: Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja. Ich... ich will dir was verraten, Sammy, ich... ich ekle mich vor Ratten.

Sam: 1984.

Jonas: 1984? Da war ich 16, und hab mich auch schon vor Ratten geekelt.

Sam: Eine literarische Reminiszenz, o großer Bruder.

Jonas: Denk an die Schrottmühle, Sammy.

Sam: Alles klar, Käpt'n, also los.

Jonas: Wenn es unbedingt sein muß. Na, komm, Tierchen, komm. Komm, sieh mal, leckere Zahnpasta.

Jonas: Einer Ratte Zahnpasta eintrichtern, das macht Jonas mit der linken Hand. Die rechte braucht er nämlich, um dem Vieh das Maul aufzuhalten. Wie gesagt, Jonas ist ein harter Bursche. Wenden Sie sich vertrauensvoll an ihn, wenn Sie ausgefallene zoologische Probleme haben. Kamel durchs Nadelöhr? Kleinigkeit.

Jonas: Uaäh, das wär’s.

Sam: Der näheren physiologischen und, wenn man so sagen darf, psychosomatischen Verwandtschaft mit homo sapiens wegen, wäre ein Hausschwein ohne Frage ein weit geeigneteres Versuchstier, o Herr und Meister. Da uns ein solches jedoch nicht zur Verfügung steht...

Jonas: Ein Schwein? Warum nicht? 100.000 Euros auf dem schwarzen Markt, oder wir klauen eins aus dem Zoo.

Sam: Das, großer Lehrmeister und Steuermann, dürfte unnötig sein. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Verhalten unserer Ratte richten wollten...

Jonas: Das Vieh dreht durch. Rennt hin und her wie angestochen. Schmeißt sich gegen das Gitter.

Sam: Steh nicht rum, Mensch, stell den Käfig aufs Fensterbrett. Mach die Schiebetür auf. Sofern meine demütigen Anregungen euer Majestät genehm sind.

Jonas: Sie ist aus dem Fenster gesprungen!

Sam: Quod erat demonstrandum, domine.

Jonas: Also wirklich eine Selbstmorddroge. Verschwinden wir, Sammy.

Sam: Im Prinzip ja, Chef. Mein juristisches Programm unter besonderer Berücksichtigung legaler Probleme im privatdetektivischen Bereich weist jedoch darauf hin, euer Ehren, daß am Schauplatz eines Verbrechens, in Sonderheit eines Kapitalverbrechens, gewisse gesetzlich vorgeschriebene Pflichten nicht umgangen werden sollten.

Jonas: Die Polizei? Meinst du wirklich, wir sollten sie rufen?

PoPo2: Nicht mehr nötig, Freundchen.

PoPo1: Wir sind schon da.

PoPo 2: Sagte der Hase zum Schwinegel.

Jonas: Zwei Kleiderschränke in den geschmackvollen schwarz-roten Uniformen der PoPo marschierten ins Zimmer, und fingen an, Pingpong zu spielen, mit mir als Ball. Und das meine ich nicht nur bildlich.

PoPo1: Hände übern Kopf.

PoPo2: Sie sollten sich schämen. So eine Unordnung. Wie sieht denn das aus?

PoPo1: Da liegt `ne Leiche, Chef.

PoPo2: Aber aber das geht nun wirklich zu weit.

Jonas: Lassen Sie mich erklären.

PoPo2: Lassen wir ihn, Bo?

PoPo1: Ich weiß nicht, warum eigentlich?

Jonas: Hören Sie...

PoPo2: Schnauze. Sieh mal nach, was er in der Tasche hat, Bo.

PoPo1: Keine Waffe, Chef. Bloß `ne Computerextension. Und ne Brieftasche. 180 Euros.

PoPo2: Besser als gar nichts. Her damit.

PoPo1: Rentenkarte, Ausweis.

PoPo2: Willst du den Herrn nicht vorstellen, Bo?

PoPo1: Jonas heißt er.

PoPo2: Und?

PoPo1: Nichts und. Nur Jonas.

PoPo2: Ach, schlicht und sparsam.

PoPo1: Ja, und von Beruf ist er... na so was, Privatdetektiv.

PoPo2: Privatdetektiv. So so. Was machen Sie hier?

Jonas: Ich warte. Auf Godot.

PoPo2: Auf wen?

Jonas: Godot.

PoPo2: Nie gehört. Bo, kennst du einen Typ, der Godot heißt?

PoPo1: Kenn ich nicht, Chef.

PoPo2: OK, stell den Fernseher an, Bo.

Sportreporter: Und jetzt, meine Damen und Herren, geht er vorbei, der Großgewachsene...

PoPo2: Lauter Bo.

Sportreporter: ...in der roten Ecke, löst sich aus dieser...

PoPo2: Halt ihn fest, Bo. So mein Freund, Jonas, Privatdetektiv. Schnüffler.

Sportreporter: ...durch die Deckung hindurch... ein ungeheurer Haken, auf die Kinnspitze, taumelt zurück, in die blaue Ecke, ist schon fast am Boden, da setzt er noch einmal nach, schon wieder und noch einmal, und das ist das Ende, Pluto liegt nur noch in den Seilen, jetzt rutscht er ab, ein gezielter Tritt in den Unterleib, da liegt Musik drin, liebe Sportsfreunde, und der Gong: der Kampf ist aus.

Jonas: Ich war Tarzan, und hüpfte im Urwald von Ast zu Ast. Ich brüllte den Kriegsschrei der großen Menschenaffen, und zertrat alle Bullen der Welt unter meinen Spreizfüßen. Ich war der Größte, und Judith sah bewundernd zu mir auf. Wenn mir nur der Kopf nicht so wehgetan hätte.

Wärter: Er kommt zu sich, Frau Professor.

Frau Prof. Caligari: Gut so. Gehen Sie vor die Tür.

Jonas: Es ist eine dumme Frage, ich weiß. Jeder stellt sie, wenn er was auf die Birne gekriegt hat. Und wenn die kleinen grauen Zellen wieder anfangen, sich zu drehen. Aber ich will’s wirklich wissen: Wo bin ich?

Frau Prof. Caligari: Im Zentralkrankenhaus. In der geschlossenen Abteilung.

Jonas: In der Klapsmühle.

Frau Prof. Caligari: Wenn Sie sich so ausdrücken wollen.

Jonas: Warum bin ich ans Bett gefesselt?

Frau Prof. Caligari: Zu Ihrem eigenen Besten. Sie sind krank. Sie könnten sich etwas antun.

Jonas: Aus dem Fenster springen, zum Beispiel.

Frau Prof. Caligari: Zum Beispiel.

Jonas: Sie trug einen weißen Kittel und die Aura selbstverständlicher Autorität. Ihre Augen waren klar und kalt wie zwei Eiszapfen am Nordpol. Sie musterten mich, als ob ich eine mäßig interessante Leiche auf dem Seziertisch sei. Und das war ich ja wohl auch. Oder so gut wie.

Jonas: Wer sind Sie?

Frau Prof. Caligari: Professor Caligari.

Jonas: Sind Sie Chefärztin oder so was?

Frau Prof. Caligari: Man hat mich geholt. Sie sind ein besonderer Fall, Jonas. Mein Fall. Sie leiden unter gefährlichen Halluzinationen.

Jonas: Was Sie nicht sagen.

Frau Prof. Caligari: Sie bilden sich ein, daß vor drei Tagen in der Südstadt einer Anzahl von Personen ohne ihr Wissen eine Droge zugespielt wurde, die sie gegen ihren Willen zum Selbstmord veranlaßte.

Jonas: Verrückte Idee, nicht wahr?

Frau Prof. Caligari: Wir mußten Sie stoppen, ehe Sie im Verlauf ihrer Nachforschungen weitere, noch gefährlichere Wahnvorstellungen entwickelten.

Jonas: Zum Beispiel?

Frau Prof. Caligari: Daß es sich beim Geschehen in der Südstadt um einen groß angelegten Feldversuch gehandelt habe, geplant und durchgeführt von einer streng geheimen Organisation, die wir ZIP nennen könnten: Zentralinstitut für Populationsforschung. Daß ZIP unterstützt und finanziert von der Wirtschaft und von der hohen Politik nur zu dem einen Zweck etabliert worden sei, das große Problem unserer Zeit, die Überbevölkerung, in den Griff zu bekommen. Daß ZIP als eine mögliche Lösung des Problems eine Selbstmorddroge entwickelt und auf einem leicht zugänglichen, nach allen Regeln der Marketing-Analyse präparierten Testmarkt erprobt habe. Die notwendige Vorstufe zu einer weit umfassenderen, womöglich globalen Anwendung des Produkts.

Jonas: Was haben Sie mit mir vor?

Frau Prof. Caligari: Allem Anschein nach ist Ihre Krankheit unheilbar. Aber ich bin überzeugt, daß ich eine, wie soll ich sagen, angemessene Therapie gefunden habe. Wir müssen verhindern, daß Sie mit Ihren fixen Ideen Unruhe in die Öffentlichkeit tragen und die hypothetische Arbeit des hypothetischen Instituts stören. Das werden Sie einsehen. Leben Sie wohl, Jonas. Verzeihen Sie, ich wollte nicht zynisch sein.

Jonas: Ich kam mir vor, als habe man mich zum zweiten Mal zusammengeschlagen. Selbstmorddroge. Feldversuch. Testmarkt. ZIP. Frau Professor Caligari. Das war ein bißchen viel auf einmal. Der Wärter kam und brachte mir ein Tablett mit Essen. Er band mich los, vorsichtig, mit einer Hand. In der anderen hielt er eine entsicherte Pistole.

Wärter: Keine krummen Touren. Ich steh direkt vor der Tür. Mit meiner Kanone.

Jonas: Und das Fenster?

Wärter: Sehr komisch. Guten Appetit.

Jonas: Sam? Sammy?

Sam: Hier bin ich, o Herr und Meister.

Jonas: Wo, Sam, wo bist du?

Sam: Im Schrank, Chef. Mit ihren übrigen Sachen. Es wäre angebracht, daß Durchlaucht Ihren Diener baldmöglichst befreiten. Zwecks gemeinsamer Delibration.

Jonas: Moment. Wuah. Noch 'n bißchen groggy. So. Sammy, Sammy, wie kommen wir hier raus?

Sam: Würden Magnifizenz die Güte haben, aus dem Fenster zu blicken?

Jonas: Wenn du meinst. Unmöglich, Sam. Wir sind im 20. Stock. Mindestens. Da kann keiner runter klettern.

Sam: Ich dachte auch weniger an Klettern, o Sahib, eher an Springen.

Jonas: Bist du verrückt?

Sam: Das wissen Hoheit doch. In diesem Falle allerdings...

Jonas: Das Essen!

Sam: Ohne jeden Zweifel. Wissen wir nicht, spätestens seit dem zugegeben kruden Test an Dr. Prospers Ratte, daß die Selbstmorddroge oral zugeführt wird?

Jonas: Eine angemessene Therapie, hat sie gesagt.

Sam: Exzellenz sollten die Erwartungen der Dame nicht enttäuschen.

Jonas: Meinst du im Ernst, ich soll aus dem Fenster springen, Sam?

Sam: Gewissermaßen indirekt, erhabener Monarch. Wenn ich meine Vorstellungen erläutern dürfte...

Jonas: Sam sagte mir genau, was ich tun sollte. Und ich tat es. Aaaah!

Wärter: Na bitte. Oh!

Sam: Eine ausgezeichnete Performance, euer Lordschaft.

Jonas: Natürlich war ich nicht aus dem Fenster gesprungen. Ich stand auf dem Außensims, klammerte mich mit den Zehen fest. Und als der Wärter seinen häßlich-en Ballon raussteckte, kriegte er was ins Genick. Mit meinem eisenbeschlagenen Schuh. Er schlug lang hin und blieb liegen. Für längere Zeit außer Gefecht, vielleicht für immer. Von mir aus, ich würde deshalb nicht schlechter schlafen. Ich zog seine weiße Uniform an. In der Tasche fand ich seinen Identi-Disk. Kein Problem, damit durch die gesicherten Türen ins Freie zu kommen. Zuhause goß ich mir als erstes einen großen Whiskey ein, Magen hin, Magen her. Ich traf bestimmte Vorkehrungen, zusammen mit Sam, und ich wartete. Der Anruf kam am Abend, 5 Minuten vor 8.

Jonas: Ja?

Frau Prof. Caligari: Ich spreche Ihnen meinen Glückwunsch aus, Jonas. Sie haben sich mit Geschick und Entschlossenheit Ihrer Therapie entzogen. Sie sind ein Mann von erheblichen Fähigkeiten. Könnten Sie sich vorstellen, in einer Organisation wie ZIP, falls es sie gäbe, einen Posten zu übernehmen?

Jonas: Reden Sie Klartext, Frau Professor. ZIP existiert, und ZIP arbeitet mit Methoden, die mir nicht gefallen.

Frau Prof. Caligari: Bitte, Jonas, lassen Sie kleinkarierte Moralbegriffe aus dem Spiel. Bleiben Sie nüchtern. Betrachten Sie unsere Organisation mit wissenschaftlicher Objektivität. Sie kennen das Problem. Jeder kennt es. Spätestens seit dem Einsetzen der permanenten Krise vor gut 30 Jahren. Fortschritt in der Biologie führt zu mehr Nahrungsmitteln, Fortschritt in der Medizin führt zur Verlängerung des Lebens, Fortschritt in der Technik führt zur Automatisierung. Die Folgen: immer weniger Arbeit, immer mehr Menschen, immer weniger Raum. Wie gesagt, das Problem ist seit langem bekannt. Aber wir haben erst jetzt gewagt, die Lösung ins Auge zu fassen. Die einzig mögliche Lösung.

Jonas: Und die wäre?

Frau Prof. Caligari: Ganz einfach: Die quantitative Verminderung des menschlichen Faktors.

Jonas: Also Mord. Massenmord. Danke, nichts für Jonas.

Frau Prof. Caligari: Schade. In diesem Fall sehen wir uns gezwungen, Ihre Behandlung bis zum ursprünglich vorgesehenen Ende fortzusetzen.

Jonas: Das habe ich erwartet. Ich habe Gegenmaßnahmen eingeleitet.

Frau Prof. Caligari: Was wollen Sie denn tun? Zur Polizei gehen, zu den Medien, zum Staatspräsidenten? Versuchen Sie’s.

Jonas: Alle Informationen über ZIP und ihren sogenannten Feldversuch sind gespeichert. Wenn mir was passiert, oder wenn es eine neue Selbstmordepidemie geben sollte, in Babylon oder woanders, dann werden diese Informationen in sämtliche Dateien der Erde eingegeben. In öffentliche und in private. 90 Prozent davon werden Sie abwürgen können, mit Ihren Hilfsmitteln, und durch die hohen Herrschaften, die hinter Ihnen stehen, vielleicht auch 99 Prozent, aber 1 Prozent kommt durch. Und das, hochverehrte Frau Professor Caligari, wird Ihnen das Genick brechen.

Frau Prof. Caligari: Erpressung, wie ich sehe.

Jonas: Lassen Sie doch kleinkarierte Moralbegriffe aus dem Spiel.

Frau Prof. Caligari: Was verlangen Sie?

Jonas: Am liebsten würde ich sagen: lösen Sie ZIP auf und springen Sie aus dem Fenster.

Frau Prof. Caligari: So gut ist Ihre Verhandlungsposition nun auch wieder nicht, mein lieber Jonas.

Jonas: Ich weiß. Bleiben wir auf dem Teppich. Sie stellen alle Versuche mit der Selbstmorddroge ein.

Frau Prof. Caligari: Schon geschehen. Die Methode hat sich als zu riskant und vor allem als zu spektakulär erwiesen. Wenn uns schon ein kleiner Privatdetektiv auf die Schliche kommt.

Jonas: Ein mieser Schnüffler, sagen Sie’s ruhig.

Frau Prof. Caligari: Ist das alles?

Jonas: Noch eine Kleinigkeit. Der Tod von Adrian Delgado wird offiziell als Unfall deklariert. Ein Privatdetektiv ist seinen Klienten verpflichtet. Vor allem, wenn sie Judith heißen.

Frau Prof. Caligari: Einverstanden.

Jonas: Das wär’s. Jetzt müßten Sie sagen: Kommen Sie uns nicht noch mal in die Quere.

Frau Prof. Caligari: Bis zum nächsten Mal, Jonas.

Jonas: Ich fühlte mich nicht besonders. Klar, die Sache war soweit abgeschlossen, aber es fehlte was Wichtiges: Die gerechte Strafe für die Schuldigen. Früher soll’s anders gewesen sein. Aber was kann man schon erwarten von unserem verrückten 21. Jahrhundert. Ich fing an, mir leid zu tun, das gefiel mir nicht. Ich rief Judith an.

Judith: Hallo, Jonas.

Jonas: Sie sind `ne reiche Frau, Judith. 100.000 Euros. Von Onkel Adrians Lebensversicherung.

Judith: Sie haben den Fall gelöst?

Jonas: Sieht so aus. Haben Sie was vor heute Abend?

Judith: Nein.

Jonas: Kommen Sie zu mir. Ich erzähle Ihnen dann, wie es abgelaufen ist.

Judith: Wir könnten uns über Marlowe unterhalten, und über Bogie und Hammett und Casablanca.

Jonas: Und antike Videos sehen. In einer halben Stunde?

Judith: In einer halben Stunde, Jonas.

Jonas: Judith, ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Sam: Hrm. Wenn ich euer Herrlichkeit ein anderes Zitat zu bedenken geben dürfte: Der Detektiv ist ein Katalysator, kein Casanova. Raymond Chandler.

Jonas: Aber Sammy, ich glaube, du bist eifersüchtig.

Sam: Quatsch.

Jonas: Klapp das Bett raus. Und spiel, Sam. Spiel As Time goes by.

Jonas: Ich bin die letzte Instanz. Wenn Sie ein Problem haben, und nicht weiterkommen, mit der Polizei und so, dann wenden Sie sich an mich. Ich kann Ihnen wahrscheinlich auch nicht helfen, aber Sie haben ein besseres Gefühl. Vielleicht springen sogar 100.000 Euros für Sie raus. Und das ist doch was, oder?

Das war Testmarkt.
Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser.
Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus.
Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann.
Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Renate Grosser, Jenny Thelen, Paul Bürks, Gernot Duda, Dieter Eppler, Wolfried Lier und andere (Franjo Marincic, Gerd Rubenbauer, Wolf Goldan).
Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller.
Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt.
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984).
Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.



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Beitrag vom 02.04.2022 - 21:06
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Safari

Jonas: Der Löwe war kein echter Löwe. Natürlich nicht. Seit Jahren gab es keine Löwen mehr auf der Erde. Und in einer Raumstation schon gar nicht. Aber echt oder nicht, der Löwe war da. Und er sah gefährlich aus. So gefährlich, daß Jonas vorsichtshalber erst mal rannte und sich einen hohen Baum suchte. Kokospalme oder Bandiang, was weiß ich. Auf Bäumen haben Löwen nichts zu suchen. Das wußte ich. Und das wußte auch der Löwe, zu meinem Glück. Ich wartete, bis mein Puls wieder unter Schallgeschwindigkeit war, und dann versuchte ich Sam über Funk zu erreichen.

Jonas: Sam! Sammy! Wo steckt der verrückte Blechkanister? Sam!

Sam: Hat mein Herr und Meister gerufen?

Jonas: Gerufen? Gebrüllt habe ich. Hör zu, du Spottgeburt von Chips und Eisen.

Sam: Om mani padme hum. Om mani padme hum. Om mani padme hum.

Jonas: Was?

Sam: Om mani. O fleischgewordener Buddha. Das heißt.

Jonas: Ist mir völlig wurscht, was das heißt. Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich auf der Notfrequenz bereithalten, rund um die Uhr.

Sam: So ist es, o Ozean aller Weisheiten. Doch hat nicht auch ein Computer gewisse, sagen wir es frei heraus, gewisse seelische Bedürfnisse. Ein wenig Meditation.

Jonas: Meditation?

Sam: Yoga, o du Kleinod im Lotus. Tantra. Fernöstliche Mystik.

Jonas: Sam, wenn du nicht auf der Erde wärst, gut 4000 km weit weg, würde ich dir einen Tritt verpassen, daß deine Modulen jodeln.

Sam: Wie spricht Buddha? Innere Ruhe, Frieden, Abgeklärtheit. Dies alles ist weit wertvoller denn das kostbarste Juwel. Und ferner sagt er...

Jonas: Schluß damit, Sam. Paß mal auf: Hier sind die Algen am kochen.

Sam: OK, Chef. Werden wir abgehört?

Jonas: Nehm ich an.

Sam: Also Frequenzwechsel. Plan 17.

Jonas: Alles klar. – Sam? Bist du noch da, Sam?

Sam: Dieses, o Freude meiner Schaltkreise, ist die große Frage. Denn ist nicht, was hier ist, auch da, und was da ist, hier?

Jonas: Soll sein, Sammy, aber die Riesenschlage ist leider hier und nicht da.

Sam: Welche Riesenschlange, o Licht des Karma?

Jonas: Die hier angeringelt kommt. Python. Boa constrictor. In dieser Preisklasse.

Sam: Es gibt keine boa constrictor mehr, o Meister magischer Mysterien. Und auch keine Python.

Jonas: Weiß ich selber, du kannst gern raufkommen und dir das Vieh ankucken. Ich muß los, Sam. Bleib dran.

Sam: Alle Erscheinungen des Lebens lassen sich vergleichen mit einem Traum, einem Gebilde der Fantasie, einer Phase, einem Schatten...

Jonas: Amen. Schön wär’s. Aber die Löwen und Schlangen ließen sich beim besten Willen nicht wegmeditieren. Und alle diese interessanten Bestien hatten nur ein Ziel: Sie wollten Jonas. Und wenn sie ihn hatten, dann wollten sie ihn bestimmt nicht bloß streicheln. Da hatte ich mich wieder mal voll reingesetzt. Genauer gesagt, ich war reingesetzt worden. Als das Telefon klingelte, gestern, am 5. Juni 2009, kurz nach Mitternacht, schlief ich noch sorglos den Schlaf des Gerechten. Hätte ich geahnt, was auf mich zukam, wäre ich unters Bett gekrochen. Oder ausgewandert.

Jonas: Huah-Ah! Crembell goodwell. Ja?

Jonas: Das Telefon klingelte. Laut und unfreundlich. Ich griff mir den Hörer und meldete mich. Das Telefon klingelte immer noch. Ich machte die Augen auf. Was ich mir mit der Hand ans Ohr hielt, war mein Wecker.

Jonas: Shit. Jonas. Was ist los?

Quartz: Jonas? Nur Jonas.

Jonas: Jonas, nur Jonas. Und Jonas, nur Jonas, hat gerade geschlafen. Es ist jetzt, Sammy...

Sam: Mit dem letzten Ton ist es genau 0 Uhr, 13 Minuten und 5 Sekunden. Piep.

Jonas: Sie hören es. Rufen Sie am Morgen wieder an, wer immer Sie sind.

Quartz: Ich bin Oleander Quartz.

Jonas: Morgen, Herr Quartz.

Quartz: Sie kennen mich nicht.

Jonas: Ich bin viel zu müde, um Sie zu kennen. Morgen.

Quartz: Ich habe einen Auftrag für Sie.

Jonas: Und wenn Sie mich mit Gold überziehen und mir den Koh-i-Noor in den Nabel setzen wollen. Morgen.

Quartz: Die Koh-i-Noor. Das wäre ein wenig zu viel des Guten. Aber eine nicht unerhebliche Summe hatte ich Ihnen in der Tat zugedacht.

Jonas: Also gut, ich bin sowieso schon fast wach. In ein paar Minuten rufe ich zurück.

Quartz: Nein, ich rufe Sie wieder an. In genau einer viertel Stunde.

Jonas: Quartz, Sammy, Oleander Quartz.

Sam: Was ist ein Name, ehrwürdiger Guru.

Jonas: Sam ist mein Computer. Er kann viel, fast alles. Sprechen auch, leider. Sam ist ein Versuchsmodell. Der intellektuelle Computer für den Intellektuellen. Ich habe ihn trotzdem gekauft. Seinerzeit 2005. Weil er billig war. McCoy-Computers haben ihn damals verramscht. Der gute Sam war kein Erfolg. Er geht den Leuten auf die Nerven, außerdem ist er nicht normal. Seine Sprachprogramme haben sich verdreht und durcheinander geschoben. Ich komm im Allgemeinen klar mit ihm, aber manchmal tut’s mir doch leid, daß ich ihn am Hals habe, bzw. in meinem Büro oder als drahtlose Extension in der Hosentasche. Vor allem, wenn er auf irgendeinem esoterischen Trip ist. Wie jetzt.

Sam: O Bhagwan, was ist ein Name.

Jonas: Ich sage nur Schrottmühle, Sammy. Laß den Quatsch und sag mir, wer Oleander Quartz ist.

Sam: Hören ist gehorchen, großmächtiger Sultan. Piep. Oleander Quartz, geboren 24. 4. 1900.

Jonas: 109 Jahre alt, Respekt.

Sam: Oleander Quartz ist Begründer und erster Direktor von Orbis International, Raumstationen und Satelliten en gros.

Jonas: Der Kringelkönig. War mich doch gleich so, als ob ich den Namen kenne.

Sam: Oleander Quartz ist mehrfacher Milliardär, er lebt äußerst zurückgezogen an unbekanntem Wohnsitz. Sein Vorbild ist der historische Industrielle Howard Hughes, Mitte des vorigen Jahrhunderts.

Jonas: Kenn ich, Sam.

Sam: Falls Exzellenz weitere Daten wünschen. Oleander Quartz ist zumindest nominell Mitglied im Club der Milliardäre und im interkontinentalen Jagdclub Halali. Ferner...

Jonas: Nicht nötig, Sammy. – Jonas.

Quartz: Oleander Quartz. Ich spreche ungern mit unsichtbaren Partnern. Gehen Sie auf Bildfon.

Jonas: Ich drückte den Knopf, der den Bildfonkanal freigibt. Was Quartz jetzt sah, wußte ich. Einen unausgeschlafenen Mann in den 40ern. Kräftig und altmodisch. Ich mach mir nämlich nichts aus Körpermalerei. Um den Mann herum ein Büroapartment, Kategorie mittel-unten, 22 Quadratmeter. Nicht aufgeräumt natürlich. Auf meinem Bildschirm war nur ein Gesicht. Uralt, mehrfach geliftet und trotzdem faltig, die dünnen weißen Haare waren echt, auch wenn sie ihrem Besitzer auf höchst merkwürdige Weise zu Berge standen. Die grauen Augen wirkten weder echt noch alt. Offensichtlich Neuerwerbungen, gerade erst transplantiert.

Quartz: Sehen Sie mich?

Jonas: Ich sehe Sie, Herr Quartz, Sie sehen mich. Was soll ich für Sie tun?

Quartz: Nicht so schnell, junger Mann. Zuerst ein paar Fragen. Sie haben als Söldneroffizier am antarktischen Krieg teilgenommen?

Jonas: Auf der Verliererseite.

Quartz: Das interessiert mich nicht. Sie sind also militärisch ausgebildet?

Jonas: Ja, aber...

Quartz: Wo?

Jonas: Wollen wir nicht zur Sache kommen?

Quartz: Ich bin bei der Sache. Wo sind Sie ausgebildet worden?

Jonas: Wenn’s denn sein muß. Grundkurs hier in Babylon, und dann zwei Lehrgänge an der Universität von Managua, Kommandotechnik und Taktik der Guerilla. Sonst noch was?

Quartz: Demnach kann man Sie als Experten in allen martialischen Künsten bezeichnen.

Jonas: Wenn Sie es so ausdrücken wollen.

Quartz: Und Sie sind Detektiv. Der letzte Detektiv. So nennen Sie sich. Warum?

Jonas: Warum was?

Quartz: Warum der letzte?

Jonas: Weil`s stimmt. Natürlich gibt’s noch ein paar Leute, die sich Detektiv schimpfen, aber die sind bloß Wächter, Leibwächter, Nachtwächter, Heinzelmännchens Wachtparade. Nichts für Jonas. Ich bin der letzte wirkliche Detektiv. Wenigstens in den Vereinigten Staaten von Europa. Ganz bestimmt in Babylon.

Quartz: Was für ein Stilbruch. Jonas, vielleicht wissen Sie es, Jonas gehört nicht nach Babylon. Jonas gehört nach Ninive.

Jonas: Ha-ha. Hören Sie zu, Herr Quartz, nichts gegen einen kleinen Plausch um Mitternacht, aber vielleicht sagen Sie mir jetzt doch, was Sie von mir wollen.

Quartz: Meine Sekretärin, meine Privatsekretärin, Linda Lorant.

Jonas: Ich höre.

Quartz: Sie ist seit zwei Tagen verschwunden.

Jonas: Ach was.

Quartz: Sie hat sich nicht bei mir gemeldet, und in ihrem Apartment ist sie auch nicht.

Jonas: Die klassische Frage, Herr Quartz, warum gehen Sie nicht zur Polizei?

Quartz: Die klassische Antwort: Es handelt sich um einen besonderen Fall.

Jonas: Was Sie nicht sagen.

Quartz: Mit Linda sind Daten verschwunden. Daten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Vertrauliches Material für meine Memoiren.

Jonas: Erpressung?

Quartz: Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Auf jeden Fall will ich die Daten zurück haben. Sie, Jonas, werden sie suchen und finden, natürlich.

Jonas: Im Prinzip ja, Herr Quartz. Aber vorläufig sind Sie für mich nur ein Gesicht auf dem Bildfon.

Quartz: Rufen Sie Ihr Konto ab. Nummer 27 27 41 B, Bank von Babylon.

Jonas: Sie sind gut informiert, Herr Quartz. Sam?

Sam: Der Kontostand euer Hoheit beträgt zur Zeit genau 1240 Euros und 13 Cents.

Quartz: Vor einer halben Stunde hatten Sie nur 240 Euros, 13 Cents. Die 1000 sind von mir. Vorschuß.

Jonas: Ich kriege 80 Euros pro Tag, und Spesen.

Quartz: Ich zahle das Doppelte. Dafür erwarte ich, daß Sie unauffällig vorgehen. Und Ihr Bestes geben, versteht sich. Die Informationen, die sich brauchen, Bild, Bürgernummer, Wohnung etc, lasse ich Ihrem Computer einspielen. Ihren ersten Bericht erstatten Sie heute Abend.

Jonas: Wie kann ich Sie erreichen?

Quartz: Ich rufe Sie an.

Jonas: 1000 Euros. Nicht schlecht. Ein warmer Regen auf den heißen Stein. Aber wieso man zum Sekretärinnen-Suchen martialische Künste brauchte, war mir nicht so recht klar. Egal. Am nächsten Morgen rief ich Judith an. Judith ist meine z.B., meine zeitweilige Beziehung. Vielleicht wird mal eine D.P. daraus, eine Dauerpartnerschaft. Sie sehen, Jonas ist zurückgeblieben. Der älteste Hut: Eine Frau und ein Mann. Kein Dreieck, keine Gruppe oder so was. Judith ist nicht nur meine z.B., sie hat auch eine höhere Position im Ministerium für Statistik und Soziographie. Insofern kann ich ganz zwanglos das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.

Jonas: Ich seh dir in die Augen, Kleines.

Judith: Diese verrückte Welt. Was wird noch alles passieren. Sehen wir uns heute Abend?

Jonas: Ich plane nie soweit voraus.

Jonas: Wir sind beide Nostalgiker. Unsere Zeit ist die Mitte des 20. Jahrhunderts. Eine wilde, eine aufregende Zeit. Die Zeit von Philip Marlowe und Humphrey Bogart, und von Ingrid Bergman, nicht zu vergessen. Bißchen Casablanca-Turtel muß sein. Aber dann kam ich zur Sache, und sagte Judith, was ich von ihr wollte. Ein Persönlichkeitsprofil von Linda Lorant.

Judith: Wer ist das?

Jonas: Ein Fall. Ich brauch die Daten für einen Fall.

Judith: Natürlich. Nur für einen Fall?

Jonas: Ach, das... das würde ich nicht sagen.

Judith: Jonas...

Jonas: Doppeltes Honorar, 1000 Euros Vorschuß, da freut sich auch Privatmensch Jonas. Judith, ich glaube, du bist eifersüchtig.

Judith: Unsinn.

Sam: Eifersucht. Antiquierter Begriff für einen antiquierten Gemütszustand. Ungebräuchlich seit der Jahrtausendwende.

Judith: Du hältst dich raus, Sam.

Sam: Obzwar ein Computer per definitionem lediglich gehalten und verpflichtet ist, den Anordnungen seines rechtmäßigen Herrn und Meisters zu folgen, siehe Gebrauchsanleitung, Seite 6 folgende, will Sam als Kavalier sich der Bitte der hohen Frau nicht verschließen und...

Jonas: Sammy, halt die Klappe.

Sam: Befehl, Klappe halten.

Judith: Falls du jetzt ein bißchen Zeit für mich hast, Jonas, hier sind die Daten: Linda Lorant, Bürgernummer...

Jonas: Ist bekannt. Wohnung auch.

Judith: 40 Jahre alt, Sekretärin, völlig alleinstehend, keine Beziehung, keine Partnerschaft. Magister Artium Kommunikationstechnik, ehemals europäische Hochschulmeisterin im Siebenkampf, schwarzer Gürtel Karate, keinerlei Interesse an Holovision und sonstigen kulturellen Aktivitäten. Hobby: Einzelwandern in Island, Zentralaustralien, Wüste Gobi. Reicht das?

Jonas: Danke Judith. Sehen wir uns?

Judith: Wenn dein Fall dir Zeit läßt, und dein geliebter Blech-Professor nichts dagegen hat. Ruf mich an.

Sam: Wie ich anzumerken bereits Gelegenheit hatte, ist Eifersucht...

Jonas: Eine Sache, die dich nicht das Geringste angehrt. Kümmere dich um unseren Fall. Reden ist Silber, denken ist Gold. Na, was ist, Sammy?

Sam: Ich denke, o unauslotbare Erhabenheit, wie es mein Herr mir befahl.

Jonas: Sehr schön, Sam. Und was denkst du?

Sam: Ich denke, o du mein ein und alles, eine tüchtige Person, diese Linda Lorant. Sportlich.

Jonas: Was du nicht sagst. Da wäre ich ohne dich nie draufgekommen.

Sam: Man könnte auch sagen: martialisch.

Jonas: Aha. Und? Was schließt du daraus?

Sam: Aufgrund unzureichender Daten sieht Sam sich zu Folgerungen vorerst nicht in der Lage.

Jonas: Also Schluß mit der Spekulation. Beinarbeit ist angezeigt. Sehen wir uns das Apartment der Dame mal von innen an.

Sam: Ein Vorschlag, o Retter der Witwen und Waisen, welcher Sams volle Zustimmung findet.

Quartz zahlte. Deshalb konnte ich es mir leisten, fremde Beine für mich arbeiten zu lassen. Ein Rikscha-Kuli strampelte sich ab, und nach einer guten halben Stunde war ich da, im Westen. Nicht weit vom Markgrafenboulevard. Hier roch es nach Geld. Nicht nach abgegriffenen 10-Euroscheinen, sondern nach den allerbesten Aktien. Und nach Schecks mit vielen Nullen. Linda Lorant wohnte im Turm zu Babel. 40 Stockwerke, 4000 Apartments. Und der Turm war gut bewacht. Ein grimmiger Drache gleich neben der Tür in der Eingangshalle, ein zweiter weiter hinten, vor einer Konsole von Monitoren. Auf den ersten Blick war da nur mit Gewalt was zu machen. An sich kein Problem für Jonas, wenn sich Quartz nicht jedes Aufsehen verbeten hätte. Und der Auftraggeber hat grundsätzlich immer recht. Also erst mal in eine nahe Bar, um mit Sam Rat zu pflegen. Mit Sam zwo natürlich, der drahtlosen Extension in Taschenausführung.

Automatenstimme: Ihr Synth-Brandy, mein Herr oder meine Dame. Der Rechnungsbetrag wird von Ihrem Konto abgebucht. Vielen Dank.

Jonas: Wuäh.

Sam: Voll im Aroma. Herrlich im Geschmack. Synth-Brandy. Edler als Cognack.

Jonas: Du glaubst auch alles, Sammy. Zur Sache. Wie kommen wir in Linda Lorants Apartment?

Sam: Das, hochzuverehrender älterer Bruder, ist eine schwierige Frage.

Jonas: Denk dir was aus. Wer von uns beiden ist denn der Computer?

Sam: Könnten Hoheit nicht eines Apartments bedürftig sein?

Jonas: Wieso? Ach so. Gar nicht schlecht, Sammy, gar nicht schlecht. Wem gehört der Turm zu Babel?

Sam: Der TuBa. Turmbau-zu-Babel GmbH.

Jonas: Sieh dir die Angebotstafel durch. Wir brauchen ein leer stehendes Apartment im... äh... wo wohnt die Dame Lorant?

Sam: Ich achten Stockwerk, o Sonne meiner Seele. Apartment 813.

Jonas: Also möglichst im 8. Stock. Oder in der Nähe.

Sam: 713 ist zu haben, Chef.

Jonas: Direkt darunter. Besser geht’s doch nicht. Telefon!

Automatenstimme: Bitte sehr, mein Herr oder meine Dame. Wünschen Sie auch Bildfon?

Jonas: Nicht nötig.

Automatenstimme: Schieben Sie die rechte Hälfte ihrer Kontokarte in den Schlitz vorn am Gerät. Der Betrag wird abgebucht. Danke sehr.

Jonas: Über Telefon verkündete ich dem Oberwächter im Turm, ich sei die TuBa und würde in Kürze einen Interessenten für Apartment 713 rüberschicken. Einen gewissen Herrn Jonas.

Jonas: So, damit sind wir erst mal drin.

Sam: Und dann, wenn Hoheit die Frage gestatten?

Jonas: Wird sich ergeben, Sammy. Ein schlauer Mensch hat mal gesagt, man soll den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun.

Sam: Es steht aber auch geschrieben, Sahib, der kluge Mann baut vor.

Jonas: Frisch gewagt ist halb gewonnen.

Sam: Erst wägen, dann wagen.

Jonas: Er muß eben immer das letzte Wort haben, der gute Sam. Im Turm lief alles wie am Schnürchen. Der mietlustige Herr Jonas wurde von einem der Drachen in den 7. Stock gefahren, und sah sich das freie Apartment an.

Jonas: Ja, recht hübsch.

1. Wächter: 40 Quadratmeter. Berechtigungsschein für diese Wohnraumklasse haben Sie doch, oder?

Jonas: Mein bester, was für `ne Frage. Selbstverständlich besitze ich den Wohnberechtigungsschein. Tja, recht hübsch, wie gesagt. Äh, lassen Sie mich ein paar Minuten allein, ja? Ich... ich muß die Atmosphäre auf mich wirken lassen. Aura. Vibration. Wenn Sie verstehen, was ich meine.

1. Wächter: Das ist eigentlich nicht gestattet.

Jonas: Und uneigentlich? 10 Euros?

1. Wächter: Alles klar. Und melden Sie sich über Hausfon, wenn Sie fertig sind, ja?

Jonas: Ich gab ihm drei Minuten, und machte mich dann auf in den Keller. Über die Treppe. Todsicher. Im Turm zu Babel sind Treppen nur Kunst am Bau. Im Keller stand, wie ich erwartet hatte, das Herzstück der elektronischen Überwachungsanlage. Ein massiver Steuercomputer.

Sam: Hä hä hä hä. Uraltes Modell. Mit so was spricht unser einer überhaupt nicht.

Jonas: Wird dir gar nichts anderes übrig bleiben, Sammy. Wie willst du den alten Kasten außer Gefecht setzen, ohne Interface. Und außer Gefecht setzen müssen wir ihn.

Sam: Ohne jeden Zweifel, Herr Kapellmeister. Ein schwieriges Unterfangen. Was die Sicherung der Fenster betrifft, muß ich mich als gänzlich machtlos bekennen.

Jonas: Machtlos? Wie das, o du mein elektronischer Alleskönner?

Sam: Es handelt sich, o du vor allen Computern preiswürdiger Menschenverstand, um ein elektrisch-mechanisches System. Eine echte Antiquität aus dem mittleren 20. Jahrhundert.

Jonas: Und da kannst du gar nichts machen, Sam?

Sam: Kein Stück, Boss. Andererseits die TV-Kameras an den Eingangstüren der bewohnten Apartments ließen sich mit Leichtigkeit ausschalten.

Jonas: Ah, du willst der Kamera vor Apartment 813 ein Standbild einspielen, nehme ich an.

Sam: Ausgezeichnet, hochwertiger Chef, aber nicht ganz korrekt. Ich beabsichtige, das nunmehr gezeigte Bild, auf welchem die geschlossene Tür, und nur die geschlossene Tür zu sehen ist, für eine gewisse Zeit festzuhalten. Eine halbe Stunde. Wäre dies dem Herrn genehm?

Jonas: Die Treppen rauf, im Geschwindschritt, ganz schön anstrengend die Detektiverei, Türschloß knacken, Kleinigkeit, umsehen. 813 war ein ganz normales 40-Quadratmeter-Apartment. Ordentlich, aufgeräumt. Ein Zimmer, Bad, Kochkonsole, Echtholzmöbel, Servicetextgerät, Bildfon, Holoset.

Jonas: Moment mal, Holoset. Da war doch was.

Sam: Laut Persönlichkeitsprofil, beigesteuert von meines großen Meisters menschlicher Gefährtin, pflegt die Bewohnerin dieses Apartments sich den Wonnen der Holovision nicht hinzugeben.

Jonas: Wenn ich den Set anstelle, passiert gar nichts. Und das heißt.

Sam: Der Apparat ist eine Attrappe, o scharfsinnigster aller Detektive.

Jonas: Du merkst auch alles, Sam. Machen wir das Ding mal auf. Was hat ein kluger Detektiv stets bei sich? Nachschlüssel. Paßt nicht. Brecheisen.

Sam: Und seinen Computer. Dürfte dieser, eurer illustren Durchlaucht empfehlen, auf den kleinen roten Hebel rechts unten zu drücken. Auf diesen da, ganz recht.

Jonas: Sieh mal an, ein Tresor. Wertpapiere. Schmuck.

Sam: Interessant, o allerwertester, jedoch kaum das, was wir suchen.

Jonas: Und was suchen wir, Sam?

Sam: Eminenz belieben zu scherzen. Das Herrn Quartz entwendete Material natürlich. Das heißt konkret: Disketten. Kassetten.

Jonas: Sam, hier ist `ne Kassette. Kommando zurück, ist ne leere Hülle.

Sam: Welche aller Wahrscheinlichkeit nach das fragliche Datenmaterial enthalten hat. Linda Lorant hat es mitgenommen, als sie das Apartment verließ.

Jonas: Letzteres offenbar freiwillig. Kein Anzeichen von Gewaltanwendung. Frage: Wohin ist Linda Lorant gegangen?

Sam: Wie ihr Persönlichkeitsprofil zeigt, besitzt sie kein Fahrzeug.

Jonas: Natürlich nicht. Sie ist zwar in der 40-Quadratmeterklasse, aber keine Millionärin.

Sam: Sofern sie nicht zu Fuß ging, muß sie also ein Transportmittel benutzt haben.

Jonas: Eine Rikscha, nehm ich an. Und wie bestellt man eine Rikscha?

Sam: Über Servicetext, o Beherrscher der Gläubigen.

Jonas: Worauf wartest du, Sammy?

Sam: Einschaltung in Speicher von hier befindlichem Servicetextgerät ergibt: Besitzerin hat 3. Juni 2009...

Jonas: Vor zwei Tagen...

Sam: 7 Uhr 30 Rikscha bestellt, Fahrziel: Orbidrom. Abbuchung 11 Euros.

Jonas: Aha. Weißt du, was wir jetzt machen, Sammy?

Sam: Klar, Boß.

Jonas: Was ist das?

Sam: Es klingelt an der Tür, o Gesetzgeber des Weltalls.

Jonas: Weiß ich selbst, ich meine, wer?

Sam: Ein guter Rat, Meister, zur Tür schleichen, horchen.

1. Wächter: Niemand da, gnädige Frau.

Nachbarin: Reden Sie keinen Blech. Ich hab deutlich Geräusche gehört. Und Schritte.

1. Wächter: Wenn Sie das sagen, gnädige Frau. Aufmachen!

Jonas: Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ein Wächter, und eine hellhörige Nachbarin. Andererseits, unter höheren, dramaturgischen Gesichtspunkten, war es ja auch mal wieder Zeit für ein bißchen Aktion.

Jonas: Sammy, wir müssen was tun.

Sam: Meine Rede, Chef.

Jonas: Die holen hier nicht die Polizei, Sammy, die nicht. Die nehmen mich selber in die Mangel. Und bei so was kann der Mensch leicht aus dem Fenster fallen, und das im 8. Stock.

Nachbarin: Schließen Sie auf, Mann, Sie haben doch einen Hauptschlüssel.

1. Wächter: Ja schon, aber ich weiß nicht.

Sam: Wo befinden wir uns, o Leuchter der Wissenschaft?

Jonas: Du stellst Fragen, Turm zu Babel, Apartment 813 natürlich.

Sam: Falsch. Wir befinden uns im Apartment 713. Offiziell. Ein kurzer Rutsch.

Jonas: Rutsch?

Sam: Durch den Müllschlucker. Und Hochwürden halten sich dort auf, wo sie sich befinden. Gebe allerdings untertänigst zu bedenken, daß eine gewisse Beschleunigung, mach hin, Mensch, da, neben der Kochkonsole, Klappe auf.

Jonas: Ein Glück, daß ich nicht Derowolt bin.

Sam: Schi heil.

Jonas: Leicht verschmutzt und ungewöhnlich duftend krabbelte ich ein Stock tiefer aus der Röhre. Keine Sekunde zu früh. Der Drache, der das Apartment oben leer vorgefunden hatte, tauchte plötzlich in 713 auf, und wich mir bis ins Foyer nicht mehr von der Seite. O Mißtrauen, wie sehr vergiftest du Frohsinn und Geselligkeit. Goethe. Oder vielleicht doch nur der Parkwächter unter der Hauptwache?

Jonas: Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich mich entschieden habe.

1. Wächter: Tun Sie das.

2. Wächter: Was war denn los in 813?

1. Wächter: Ach nix. Die Alte spinnt.

2. Wächter: So was kommt vor. Sag mal, du warst doch drin?

1. Wächter: In 813? Klar.

2. Wächter: Wirklich?

1. Wächter: Ja doch.

2. Wächter: Komisch. Du warst nicht auf dem Monitor.

1. Wächter: Ich war nicht auf dem Monitor? Was war denn auf dem Monitor?

2. Wächter: Nichts. Die Tür zu 813, und die Tür war zu die ganze Zeit.

1. Wächter: Da muß einer an der Elektronik rumgefummelt haben.

2. Wächter: War jemand im Haus? Sie da! Hallo!

Jonas: Jetzt wurde es ungemütlich. Ich legte einen Zahn zu, machte einen großen Schritt durch die Tür auf die Straße. Und da hatte ich es noch eiliger.

2. Wächter: Halt! Bleiben Sie stehen!

Jonas: In der martialischen Kunst des geordneten taktischen Rückzugs ist Jonas kaum zu schlagen. Ein paar geschickte Ausweichmanöver um zwei oder drei Ecken, und ich war in Sicherheit. Nächste Station: natürlich das Orbidrom. Der Raketenport von Babylon. Außerhalb der Stadt. Über einen öffentlichen Terminal ließ ich mir von Sam eins Linda Lorants Bild überspielen. Und damit hätte ich, nach dem kleinen Handbuch für Privatdetektive, alle Schalter abklappern sollen. Aber ich hatte so eine Idee, und ging gleich zur Abfertigung von OI, von Orbis International.

Schalterbeamter: O ja, die war hier. Ich erinnere mich.

Jonas: Gutes Gedächtnis haben Sie.

Schalterbeamter: Unmöglich angezogen die Frau. Zugeschnürt bis zum Hals. Und alles in Magenta, ich bitte Sie, trägt doch kein Mensch heutzutage.

Jonas: Und was trug der Mensch heutzutage? Ein Stückchen Leoparden-Fell, Kunststoff natürlich. Große gelbe Kreise auf allen vier Backen, und das blaue Stirnband von Orbis. Der junge Mann am Schalter sah aus wie ein leicht psychedelischer Jonny Weismüller.
Jonas: Wann war das?

Schalterbeamter: Vorgestern. Kurz vor 9. Ich war gerade zum Dienst gekommen.

Jonas: Was hat sie gebucht?

Schalterbeamter: Sie hat überhaupt nicht gebucht. Sie ist gleich durchgegangen zum privaten Sektor. Die Tür hier. Moment. Haben Sie einen Paß?

Jonas: Den könnte ich jederzeit kriegen.

Schalterbeamter: Dann kriegen Sie ihn. Ohne Paß kommen Sie nicht durch.

Jonas: Ich hätte mir einen Paß besorgen können, über Quartz, aber die Sache war auch anders zu klären. Einfacher und vor allem schneller. Wozu hatte ich Sam? Der schaltete sich kurz in die Flugpläne ein, und was dabei rauskam, war dies: In der fraglichen Zeit war nur eine einzige Rakete vom Privatsektor gestartet. 9 Uhr 18. Flugziel: Torus OI 96. Das war’s. Mehr konnte ich vorläufig nicht tun. Ich fuhr zurück nach Hause. Wenn man ein mickriges Büroapartment von 22 Quadratmeter zuhause nennen kann. Am Abend, wie versprochen, meldete sich Quartz über Bildfon.

Quartz: Torus OI 96. So. Eine von meinen Raumstationen. Ich meine, eine Station von Orbis International. Früher Vergnügungsbetrieb. Zoo. Rummel.

Jonas: Und heute?

Quartz: Stillgelegt. Für die Öffentlichkeit gesperrt. Technisch überholt. Wir benutzen den Torus als Speicher und für ein paar unwichtige Büros.

Jonas: Was hat Linda Lorant auf ihrer abgelegten Raumstation zu suchen?

Quartz: Das werden Sie feststellen. Offensichtlich eine Intrige innerhalb der Firma. Jemand will mich ausschalten. Das hat man schon oft versucht, aber nie erreicht. Sie, Jonas, fahren nach oben und sehen für mich nach dem rechten.

Jonas: Warum nicht. Wenn Sie den gesetzlichen Exterra-Zuschlag drauflegen. 50 %.

Quartz: Ich sorge dafür, daß man Sie im Orbidrom passieren läßt, und daß eine Kurzstreckenrakete für Sie bereitgehalten wird. Viel Erfolg und Waidmanns Heil.

Jonas: Waidmanns Dank. Bevor ich wieder zum Orbidrom rausfuhr, tauschte ich Sam zwo noch fix ein gegen ein spezial Exterra-Funkgerät im Kleinformat. Was wäre Jonas auch im Weltraum ohne seinen Freund und Helfer. Wie üblich verabredete ich mit Sam Notsignale und Random-Frequenzwechsel. Merksatz Nummer 1 für Detektive und solche, die es werden wollen: Man kann nie wissen.

Pilotin: 10,9,8,7,6,5,4,3,2,1, zero.

Jonas: Eine Spritztour. Torus OI 96 war nur rund 4000 km hoch. Erst zu viel Schwerkraft, dann zu wenig. Kenn ich. War oft genug draußen. Keine schlechte Pilotin, die Quartz bzw. Orbis mir zugeteilt hatte. Unser Landekontakt war so sanft wie Judiths Lächeln. Dann die übliche Warterei. Bis das Vakuum in der Landezone durch Atmosphäre ersetzt war.

Jonas: Haben Sie vorgestern eine Frau hier her geflogen. 40. Nicht gerade modisch angezogen?

Pilotin: Ja.

Jonas: Haben Sie sie auch wieder abgeholt?

Pilotin: Nein, keine Anweisung.

Jonas: Anweisung? Von wem?

Pilotin: Tragen Sie eine Feuerwaffe? Laserstrahler? Ballistische Pistole?

Jonas: Letzteres. Eine Smith & Wesson Detective Special.

Pilotin: Abliefern.

Jonas: Mein Gott, ist doch keine Waffe, eher eine Antiquität. Ein Maskottchen.

Pilotin: Eiserne Regel. Die Toruswände könnten beschädigt werden. Sie wollen sich doch wohl nicht selbst vakuumisieren. Abliefern. Danke. Sie können aussteigen.

Jonas: Durch die Landeklappe stieg ich in die Luftschleuse des Torus. Da fühle ich mich, ehrlich gesagt, immer ein bißchen unsicher. Das unendliche Vakuum des Weltalls ist ungeheuer nah, und wer weiß schon, wie gut die Ventile schließen. Deshalb beeilte ich mich, durch die zweite Klappe zu kommen. Ich war in einem großen runden Raum. Unten, in der Nabe des Torus. Sie wissen doch, wie eine Raumstation in Torusform aussieht. Richtig. Wie ein Rad. An einer Rikscha zum Beispiel. Ein Rad mit einem Schlauch außen rundherum. Mit einer Nabe in der Mitte und mit vier Speichen zwischen Nabe und Schlauch. Die ganze Geschichte hatte einen Durchmesser von gut 3 km, und drehte sich zweimal pro Minute um sich selbst. Dadurch herrschte im Schlauch fast die gleiche Schwerkraft wie auf der Erde, und in der Nabe, na? Natürlich Schwerelosigkeit. Soviel zur Verdeutlichung. Zurück zu Jonas. Unten in der Nabe von Torus OI 96. Frisch gelandet und begierig, Sam zu kontakten.

Sam: Haben eure Großmächtigkeit eine angenehme Reise gehabt? Unbehelligt von der bösen Raumkrankheit? Und wie kommen Ehrwürden mit der Schwerelosigkeit zurecht?

Jonas: Danke der Nachfrage, Sammy, ganz ausgezeichnet. Hoppla. Himmel All und saurer Regen. Das verflixte Funkgerät hat sich selbständig gemacht. So. Also, Sam, ich such mir jetzt ne Speiche, und geh vor zum Schlauch. Da wird sie stecken, diese Linda Lorant.

Sam: Wo sonst, o leuchtendes Muster an Tiefsinn.

Jonas: Du gehst jetzt über auf 1. Notfrequenz, Sam.

Sam: Mein Meister befürchtet Gefahren?

Jonas: Durchaus möglich, aber ich werde schon durchkommen. Mit meinen martialischen Künsten.

Sam: Martialische Künste. Wenn Sam doch nur aufgehen würde, welch geheimnisvolle Rolle sie in vorliegendem Fall spielen.

Jonas: Wird sich zeigen, Sammy, wird sich zeigen. Auf geht’s.

Sam: Over and out.

Jonas: Ich schwebte durch die Torusnabe, nach oben oder unten, ganz wie Sie wollen, bis zur Mitte, und da gingen die vier Speichen ab. Frage: Welche war die richtige. Antwort: Die mit dem Schild zu den Büros. Da schwebte ich rein. Von jetzt an ging’s vertikal weiter. Allmählich nahm die Schwerkraft zu. Ich ließ das Schweben sein, verlegte mich aufs Springen, dann aufs Laufen, kam ans Ende zu einer Tür, machte sie auf, trat durch, machte sie hinter mir zu. Und stand da wie angewurzelt. Klimperte mit den Augen und kniff mich in den Arm. Das waren doch keine Büros.

Jonas: Ich glaub, ich steh im Wald.

Jonas: Erster Reflex, zurück zur Tür, aber die war zu, und ging nicht mehr auf. Ob ich wollte oder nicht, ich war und blieb im Wald. Was heißt Wald. Ich stand im Dschungel. Wenigstens mit einem Bein, dem rechten. Links war Steppe. Rechts wucherte ein tropischer Regenwald. Lianen, Palmen und was sonst noch dazu gehört. Erstaunlich, was man in einem Schlauch von nicht mehr als 30 Meter Durchmesser so hinkriegen kann. Durch große Fenster und Sonnenreflektoren. Ein Treibhaus, ein Tropenparadies, mit Jonas als Adam. Von Eva war leider nichts zu sehen, und von der Schlange auch nicht. Noch nicht. Statt dessen meldete sich eine andere wichtige Persönlichkeit.

Quartz: Willkommen auf Safari, Jonas.

Jonas: Wer ist das?

Quartz: Hier spricht Gott.

Jonas: Kann ich mir nicht vorstellen.

Quartz: Erkennen Sie meine Stimme?

Jonas: Ich glaub, mein Computer piept. Quartz.

Quartz: Gutes Ohr, Jonas. Wenn der Rest auch so präzis funktioniert. Ich bin übrigens tatsächlich Gott. Der Gott dieses Torus, dieser meiner Welt. Ich habe ihr den Namen gegeben, Safari. Schon früher, als sie noch exterristiale Belustigungsstation war. Eine glorifizierte Schießbude für brave Bürger, die Nimrods spielen und wilde Tiere schießen wollten. Ohne Risiko. Sie wußten, die Bestien waren nur Robots. Täuschend ähnliche Repliken, aber ganz und gar ungefährlich. Das ist jetzt anders. Ich habe gewisse Umprogrammierungen vornehmen lassen. Diese Wesen, mein lieber Jonas, sind nun mindestens so gefährlich wie ihre ausgestorbenen Vorbilder. Ich bin gespannt, wie Sie sich gegen sie halten werden.

Jonas: Ich? Danke bestens, kein Interesse. Deshalb bin ich nicht hier. Haben Sie’s vergessen? Ihre Sekretärin?

Quartz: Hahahahaha.

Jonas: Und da, bißchen spät, muß ich zugeben, ging mir ein Licht auf. Ein ganzer Kronleuchter. Und die Schuppen fielen mir wie ein Wasserfall von den Augen.

Quartz: Ach, Sie sind endlich dahinter gekommen. Der Auftrag war eine Finte. Ich habe Spuren ausgelegt, um Sie, Jonas, nach Safari zu bringen. Und da sind Sie nun.

Jonas: Nicht zu bestreiten. Linda Lorant gibt es also nicht.

Quartz: O doch. Nur die Geheimdaten sind nicht existent. Die Lorant habe ich hierher gelockt, wie Sie. Sie hat mir ein paar Stunden guten Sport verschafft. Tüchtige Frau. Sie, Jonas, werden es hoffentlich noch besser machen.

Jonas: Was haben Sie mit mir vor?

Quartz: Ich jage, Jonas. Ich habe auf der Erde gejagt, solange es dort noch jagdbares Wild gab. Dann hier, die Robots. Aber das geht nicht mehr. Ich bin immobil. Eine Sammlung von Transplanten. Die Medizin hat Grenzen, selbst für Milliardäre. Heute jage ich indirekt. Ich habe Safari überholt und ausgebaut. Überall Mikrophon, Lautsprecher, Kameras. An meiner Konsole, vor meinen Monitoren, bin ich dabei. Jede Sekunde auf jedem Meter. Wenn meine Robokiller ihre Opfer durch den Dschungel hetzen.

Jonas: Menschenjagd?

Quartz: Der Mensch ist das edelste Wild. Das gefährlichste. Beiläufig auch das einzig noch existierende Wild.

Jonas: Ich mißgönne ja keinem sei Hobby. Aber warum wollen Sie ausgerechnet mich jagen: Haben Sie was gegen mich?

Quartz: Ja, das auch. Ich hege Groll gegen Sie.

Jonas: Wie haben noch nie was miteinander zu tun gehabt.

Quartz: Sagen Sie das nicht. Ich bin Sponsor, bedeutender Sponsor von ZIP, dem Zentralinstitut für Populationsforschung.

Jonas: Der Testmarktfall vor 3 Monaten.

Quartz: Ganz recht. Aus überholten moralischen Motiven haben Sie, Jonas, ein hochinteressantes Programm gestoppt. Ein Programm, das gewisse Aussichten hatte, der Überbevölkerung Einhalt zu gebieten. Mein eigentlicher Grund ist jedoch ein anderer. Sie sind ein würdiges Jagdwild, Jonas.

Jonas: Ich verstehe. Die martialischen Künste.

Quartz: In der Tat. Sie zu jagen, wird es, da bin ich sicher, ein sportlicher Hoch-Genuß sein. Und eine Ehre. Für mich und für Sie.

Jonas: Danke. Auf die Ehre würde ich gerne verzichten. Wie soll ich mich gegen ihre Killer wehren? Mit bloßen Händen?

Quartz: Ich bitte Sie, das wäre nicht waidmännisch. Ihre Ausrüstung finden Sie hinter der Palme rechts von Ihnen. Da, dort.

Jonas: Pfeile und Bogen, Speere. Ein Messer. Das ist alles?

Quartz: Reicht es Ihnen nicht?

Jonas: Nehmen wir einmal an, ich werde mit ihren Robokillern fertig. Was passiert dann?

Quartz: Dann werde ich höher programmierte Jäger auf Sie ansetzen.

Jonas: Ich habe also keine Chance.

Quartz: Genug geredet. Jetzt werde ich sehen, wie sich Jonas, der Detektiv, Jonas, der Jäger, als Gejagter hält. Halali, die Jagd beginnt.

Jonas: Ein Löwe kam näher. Ich versteckte mich, und rief Sam über Funk. Aber das habe ich ja schon erzählt. Die Riesenschlange, die sich dann unangenehm bemerkbar machte, wollte ich kunstgerecht tranchieren, aber das Messer ging glatt durch. Das Vieh war überhaupt nicht vorhanden.

Quartz: Ein Hologramm, Jonas. Ein Hologramm, wie auch andere meiner Tiere. Aber nicht alle. Einige sind höchst real. Sie werden es feststellen. Sofern Sie noch dazu kommen, wenn ein Robokiller Sie in den Klauen hat.

Jonas: Also nahm ich jedes einzelne Biest ernst. Notgedrungen. Es war ein richtiges Gedrängel. Löwen, Tiger, Leoparden, Schlagen, Skorpione, was weiß ich noch alles. Zwischendurch informierte ich Sam über die Lage, so gut es ging. Und der zerbrach sich für mich den Kopf, den er nicht hatte. Zwei Stunden später war ich müde. Die Pfeile gingen zur Neige, die Speere desgleichen. Aber Jonas lebte noch, und die Robokiller waren funktionsunfähig. Das alles stimmte Herrn Quartz nicht eben froh.

Quartz: Gratuliere. Sie haben sich gut gehalten. Besser als erwartet. Vermutlich lassen Sie sich über Funk von Ihrem Computer beraten. Interessanter Random-Frequenzwechsel. Leider habe ich nicht die Zeit, ihn aufzuschlüsseln.

Jonas: Sie sind eben zu sehr mit Ihren Spielzeugen beschäftigt.

Quartz: Beschleunigen wir die Sache. Es ist Zeit, die Wilden zu aktivieren. So nenne ich meine Robokiller in menschlicher Gestalt. Mit einem wesentlich höher programmierten Reflex und Aggressionsverhalten. Dagegen wird auch ihr Computer machtlos sein. Sie waren gut, Jonas, aber einmal muß ein Ende gemacht werden. Vorher gebe ich Ihnen eine Pause von, sagen wir, einer halben Stunde. Ich bin kein Unmensch.

Jonas: Das sah ich anders. Aber danach fragte er mich nicht. Pause also. Ich ließ mich fallen, wo ich gerade stand. In der Steppe. Am Fuß eines Kilimandscharo im Miniformat. Das war eine Anhäufung von Erde am Rand des Schlauchs. Weiter geführt durch einen gemalten Schneegipfel. Ganz hübsch. Allerdings hatte ich kaum Augen dafür. Ich fühlte mich so einsam wie Jonas im Walfischbauch. Nur daß ich das Gefressenwerden noch vor mir hatte. Wie sollte ich hier rauskommen? Vielleicht hatte Sam eine Idee.

Sam: Es gibt nur eine einzige Möglichkeit. Mein Herr und Meister muß versuchen, an Quartz selbst heranzukommen und ihn auszuschalten.

Jonas: Dazu müßte ich erst mal wissen, wo er steckt.

Sam: Natürlich im Torus, o Rächer der Enterbten.

Jonas: Klar, aber wo im Torus?

Sam: Nicht im Schlauch.

Jonas: Da hätte ich ihn schon gefunden. Moment mal Sammy. Quartzens Kopf im Bildfon. Diese komisch gesträubten Haare. Schwerelosigkeit.

Sam: Herr Quartz befindet sich in der Nabe des Torus.

Jonas: Und zwar oben. Unten ist die Landezone.

Sam: Ein vielfältig erneuerter Mensch wie Herr Quartz fühlt sich zweifellos wohl im schwerelosen Zustand. Herz und Kreislauf werden weniger belastet...

Jonas: Hör mal, für medizinische Vorlesungen haben wir jetzt keine Zeit. Sag mir lieber, wie ich den Kerl zu fassen kriege. Durch die Speichen?

Sam: Vorsicht, Volksgenosse, Feind hört mit.

Jonas: Keine Angst, Sam, ich sitz auf dem Mikro. Also, Speichen gehen nicht, die Türen sind fest zu und werden bestimmt elektronisch überwacht.

Sam: Die Erfahrung lehrt uns, o überirdischer Bodhisattva, es gibt immer und überall eine Hintertür. Bei Dysfunktion des Schaltzentrums, um notwendige Außenreparatu-ren durchzuführen muß es möglich sein, den Schlauch des Torus auf direktem Wege zu verlassen. An irgendeiner Stelle der Außenwand befindet sich ein Notausgang.

Jonas: Wo, Sam, wo?

Sam: Ohne Frage ist er versteckt. Vermutlich in einer Erdaufschüttung.

Jonas: An der Außenwand gibt’s nur eine Erdaufschüttung. Hier, wo ich sitze. Den Kilimandscharo.

Jonas: Und am Kilimandscharo sollte sie sein, die Hintertür. Sam rechnete sie aus. Über Größe, Drehmoment, dieses und jenes. Und Sam hat sich noch nie verrechnet. Ich wollte gleich los, aber...

Sam: Stop. Möge der hochwürdige Vater Abt bedenken, daß Quartz die Möglichkeit hat, ihn zu beobachten. Wieviel Kameras sind in Sichtweite?

Jonas: Da, und da, und da ist auch noch eine. Drei.

Sam: Drei. Und über wie viele Pfeile verfügt mein Meister?

Jonas: Ein, zwei, leider nur drei, Sammy.

Sam: Drei Pfeile, drei Kameras, ausgezeichnet.

Jonas: Das sagst du so leicht dahin. Was ist, wenn ich daneben schieße?

Sam: Dann, alter Freund, bist du eine Leiche.

Jonas: Naja. Von der Seite her gesehen.

Jonas: Ich zielte wie ein Weltmeister, und setzte die drei Kameras, die meine Sektion überwachten, mit drei Schüssen außer Gefecht. Auch diesmal hatte Sam sich nicht verrechnet. Ich fand den Notausgang genau da, wo er sein sollte. An der Bergwand, unter einem Busch. Innen ging links eine zweite Tür ab, zur Luftschleuse. Rechts hingen Raumanzüge und diverses Werkzeug. Ich lieh mir einen Lasercutter und eine Rückstoßpistole aus, stieg schneller als je zuvor in einen Raumanzug, machte das Funkgerät im Helm fest, dann 5 Minuten Luftschleuse, und ich war draußen. Erste Weltraumaktivität von Jonas: Ich befestigte die riesenlange Nylonleine des Anzugs an einem Außenhaken. Schließlich wollte ich nicht von nun an bis in Ewigkeit als neue Raumstation die Erde umkreisen. So. Was nun?

Sam: Gestatten Majestät einen guten Rat.

Jonas: Wozu hab ich dich denn, Sammy. Schieß los.

Sam: Zuförderst sollten dero Großmächtigkeit darauf achten, stets außer Sicht des Herrn Quartz zu bleiben, welcher sich wie bekannt im oberen Teil der Torusnabe befindet.

Jonas: Und so langsam mißtrauisch werden dürfte.

Sam: Hoheit täten gut daran, sich von der Nabe her betrachtet, hinter der Schlauchwand zu halten, sich mittels der Rückstoßpistole zur nächstgelegenen Speiche vorzuarbeiten, und dann über der Speiche bis in die Mitte zur Nabe.

Jonas: OK, Sammy, es geht los. Heil, Safari.

Sam: Oder auch Waidmanns Heil.

Jonas: An der Nabe pirschte ich mich mit Halali nach oben. Selber jagen macht viel mehr Spaß als gejagt werden. Die Nabe war oben abgeschlossen durch eine Halbkugel mit umlaufendem Fenster. Ich zog mich hoch, vorsichtig, ganz vorsichtig, und linste nach innen. Ja, das war der Kontrollraum. Und da...

Jonas: Da ist Quartz.

Sam: Wo hätte er sich wohl auch sonst befinden sollen, o größter Schnüffler aller Zeiten?

Jonas: Da hockt er, wie... wie...

Sam: Wie die Spinne im Netz.

Jonas: Eher wie ein Ochsenfrosch im Teich. Um ihn herum seine Jagdausrüstung. Monitore. Hebel. Schalter. Schläuche. Drähte.

Sam: Was tut er?

Jonas: Er ist nervös. Er drückt auf irgendwelche Knöpfe.

Sam: Er ahnt, was ihm bevorsteht, euer Lordschaft.

Jonas: Und gleich wird er es ganz genau wissen. Operation Safari. Letzter Teil. Aktion.

Sam: Es geht ein rechter Lasercutter durch Metall als wie durch Batter. Butter.

Jonas: O Sam.

Jonas: Als er das Zischen an der Wand hörte, da war Quartz klar, was sich abspielte. Aber jetzt war es zu spät. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf den Laserstrahl und auf das immer größer werdende Loch in der Wand. Die Atmosphäre verschwand zischend in den Raum, Vakuum breitete sich aus, Quartz schwoll an, wurde immer unförmiger, Blut spritze aus seinen Poren, sein Kopf war ein gigantischer roter Luftballon, und dann, dann platzte er, und was an ihm Blut, Fett, Muskelfleisch war, explodierte in den Kontrollraum und an mir vorbei in den kalten Kosmos. Ein Stahlgerüst, diverse Einbauteile, und ein paar Knochen, das war alles, was übrig blieb vom großen Gott der Safaristation.

Jonas: Wie sagt man am Ende der Jagd, Sam?

Sam: Jagd vorbei, Halali, o Wonne des Weltalls.

Jonas: Genau. Also Jagd vorbei. Und von mir aus auch Halali.

Sam: Was ist das Leben des Menschen?

Jonas: Berechtigte Frage, Sammy.

Sam: Nichts anderes denn ein Traum, ein Schatten, ein Tropfen Tau, der in der Sonne vergeht.

Jonas: Die Rakete lag noch am Landeplatz. Ich ließ mich zur Erde zurückbringen. Unten erstattete ich gleich Anzeige, aber das hätte ich mir sparen können. Orbis International, das zeigte sich später, war mächtig genug, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Vom Apartment aus rief ich Judith an. Ich hatte so ne Idee, daß sie mir beim Lecken meiner Wunden helfen könnte. Judith war nicht da. Mir blieb nur Sam. Nichts gegen Sam, aber Judith ist er nicht.

Sam: Ökonomisch betrachtet, o vielvermögender Hauptabteilungsleiter, empfiehlt es sich für einen Detektiv nicht, seinen Auftraggeber zu vakuumisieren.

Jonas: Ein wahres Wort, Sam. Was habe ich von der Sache gehabt? Ein Ausflug im Raum, ein paar Stunden Angst und Hetze, Kratzer und Schrammen, ein schauderhaftes Bild, das ich nicht so schnell vergessen werde.

Sam: Und 1000 Euros.

Jonas: Was?

Sam: Der Kontostand meines Herrn beträgt zur Stunde 1162 Euros, 9 Cents. Herr Quartz hatte Vorschuß gezahlt.

Jonas: Richtig, hatte er. Ganz vergessen. Wie schön. Das Leben sah gleich besser aus. Immer noch grau, zugegeben, nicht rosig, aber doch mit einem kleinen Goldrand am Horizont.

Jonas: Immerhin.

Sam: Halleluja, Harekrischna. Amen.

Jonas: Du sagst es, Sammy.

Das war Safari. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Wolfgang Büttner, und viele andere (Christoph Lindert, Detlef Kügow, Hans Stetter, Ute Mora, Michael Lenz, Irmhild Wagner). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:10
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Reservat

Jonas: Es war einmal eine Zeit, da gab es Privatdetektive. Harte Männer, gerecht, nie um eine Antwort oder um einen Ausweg verlegen. Und wenn es sie nicht in Wirklichkeit gab, dann doch wenigstens in Büchern und Filmen. Heute im frühen 21. Jahrhundert gibt’s nur noch einen von der Sorte. Mich. Ich bin Jonas. Jonas, der letzte Detektiv. Nicht so hart, auch nicht immer gerecht, dafür fällt mir manchmal keine Antwort ein, und nach einem Ausweg muß ich oft lange suchen. Aber ich tue, was möglich ist. Mehr kann man nicht verlangen. Was Frau Marcus-Pallenberg von mir wollte, war nicht möglich. Oder doch?

Frau Marcus-Pallenberg: Sie müssen ins Reservat.

Jonas: Ein Vorschlag, Frau Marcus-Pallenberg. Kaufen Sie sich ein paar starke Männer, die mich fesseln und knebeln und über die Mauer schmeißen. Danke. Kein Interesse.

Frau Marcus-Pallenberg: Aber Cora ist doch im Reservat.

Jonas: Pech.

Frau Marcus-Pallenberg: Bringen Sie sie zurück. Bitte, Herr Jonas!

Jonas: Ich bin sentimental. Ab und zu gehe ich ins Waldmuseum und seh mir die Bäume an. Die Kiefer. Die Birke. Und die kleine Eiche, von der sie immer noch nicht wissen, ob sie durchkommt. Ich erinnere mich an die Zeit, als auch draußen noch Bäume standen. Und ich habe das Gefühl, mir fehlt was. Wie gesagt, ich bin sentimental. Aber ich bin nicht dämlich.

Frau Marcus-Pallenberg: Jemand muß sie doch da rausholen. Die Polizei tut nichts.

Jonas: Polizei. Schicken Sie doch gleich nen Chimp.

Frau Marcus-Pallenberg: Ich will keinen Affen. Sie sind mir empfohlen worden, Herr Jonas.

Jonas: Also dann, hat mich gefreut, Frau Marcus-Pallenberg.

Frau Marcus-Pallenberg: Haben Sie etwa Angst?

Jonas: Na sicher.

Frau Marcus-Pallenberg: Sie sind doch Detektiv?

Jonas: Eben drum. Ich weiß, was alles passieren kann.

Frau Marcus-Pallenberg: Ich habe gehört, Sie sind der einzige, der es schaffen kann. Und Sie brauchen Geld, habe ich gehört.

Jonas: O, welch magisch Wort dringt da an mein empfänglich Ohr. Wieviel?

Frau Marcus-Pallenberg: 200 Euros?

Jonas: Pro Tag.

Frau Marcus-Pallenberg: Ich dachte eher pauschal.

Jonas: Und Spesen.

Frau Marcus-Pallenberg: Aber Herr Jonas.

Jonas: Dafür gehe ich ins Reservat. Und sollte meinen Geisteszustand untersuchen lassen.

Jonas: Die Dame trug eine Aufmachung spazieren, wie ich sie bisher nur auf dem Titel von Mode gesehen hatte. Echtes Naturleinen, besetzt mit fast echtem Naturpelz. Das ganze garniert mit rund 3 Kilo Platin und Brillianten. Sie sah aus wie eine Frau, die mit Leichtigkeit ein paar Hundert Euros locker machen konnte. Und ich hatte ein paar Hundert Euros dringend nötig.

Jonas: Na schön. Jetzt erzählen Sie mir mal, was passiert ist, Frau Marcus-Pallenberg.

Frau Marcus-Pallenberg: Ja. Cora... o... schluchzt... Cora ist im Reservat.

Jonas: Das weiß ich. Wann hat sie Ihr Haus verlassen?

Frau Marcus-Pallenberg: Gestern, am frühen Morgen.

Jonas: Wie alt ist Ihre Tochter?

Frau Marcus-Pallenberg: 15.

Jonas: Also fast volljährig.

Frau Marcus-Pallenberg: Hhm. Deshalb konnte ich ja auch nicht viel unternehmen, als sie anfing, sich mit diesen merkwürdigen Menschen aus dem Reservat abzugeben. Ich habe auf sie eingeredet, ja, aber das hat natürlich nichts genutzt.

Jonas: Natürlich nicht. Und?

Frau Marcus-Pallenberg: Und dann ist sie gegangen. Mit ihm. Ins Reservat. In die Freiheit. Hat sie geschrieben.

Jonas: Geschrieben?

Frau Marcus-Pallenberg: Hmh. Das habe ich gestern Morgen auf Coras Bett gefunden.

Jonas: Zeigen Sie her. "Ich muß meinen eigenen Weg gehen, mich selbst verwirklichen. Die Freiheit, die ich brauche, kann ich hier nicht finden." Das übliche. 08/15. "Ich gehe ins Reservat. Zombie hat mir die Augen geöffnet." Zombie?

Frau Marcus-Pallenberg: Ihr Freund. Er heißt Zombie.

Jonas: Wirklich?

Frau Marcus-Pallenberg: Natürlich ist das nur ein Spitzname. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Vermutlich kennt er ihn selbst nicht. Er ist eben ein Freak. Ein typischer Freak aus dem Reservat.

Jonas: Das Reservat ist ein Stadtviertel im Südosten von Babylon. Früher hieß es mal anders. Wie, weiß kein Mensch mehr. Heute ist es das Reservat. Nur das Reservat. Und im Reservat hausen Typen, die in der Welt draußen nicht zurechtkommen können. Oder wollen. Eremiten. Einzelgänger. Türken, die während der großen Entfremdung untergetaucht sind. Und vor allem Freaks. Freaks jeder Schattierung. Nicht nur aus Babylon. Sie kommen von überall her, aus den ganzen Vereinigten Staaten von Europa. Nach den Unruhen in den 90er Jahren hat man um die ganze Geschichte `ne Mauer gebaut, und `ne elektronische Schutzglocke draufgestülpt. Seitdem ist das Reservat nicht existent. Wenigstens offiziell. Die Bewohner bleiben unter sich. Es ist nicht leicht, rein oder rauszukommen, und es ist fast unmöglich, drinnen zu überleben, wenn man nicht dazugehört.

Frau Marcus-Pallenberg: Das ist alles, was ich Ihnen über diesen Zombie erzählen kann.

Jonas: Nicht gerade viel. Wie hat Cora ihn kennen gelernt?

Frau Marcus-Pallenberg: Durch einen entfernten Bekannten. Der hat ihn zu uns mitgebracht, zu einer Party, vor vier oder fünf Wochen.

Jonas: Wie heißt der Bekannte?

Frau Marcus-Pallenberg: Maske. Theo Maske.

Jonas: Ungewöhnlicher Name.

Frau Marcus-Pallenberg: Und ein ungewöhnlicher Mensch. Er arbeitet in der Holo-Industrie, und er kennt ausgesprochen seltsame Leute.

Jonas: Wie zum Beispiel Zombie. Fangen wir bei Herrn Maske an.

Frau Marcus-Pallenberg: Sie sind der Experte. Bitte, bringen Sie mir meine Cora zurück, Herr Jonas. Heil und gesund.

Jonas: Ich werd’s versuchen.

Frau Marcus-Pallenberg: Tun Sie’s. Für mich.

Jonas: Nein, nicht für Sie. Für Ihre 200 Euros pro Tag. Sie hören von mir, Frau Marcus-Pallenberg.

Frau Marcus-Pallenberg: Viel Glück.

Jonas: Maske. Theo Maske. Wer ist Theo Maske?

Jonas: Natürlich. Judith würde es wissen. Judith hat einen höheren Posten im Ministerium für Statistik und Soziographie. Sie ist immer gut für knifflige Daten, an die nicht jeder rankommt. Nicht jeder, aber Jonas. Über Judith. Sie war meine Klientin gewesen im Testmarkt-Fall. Und jetzt war sie meine z.B. Meine zeitweilige Beziehung. Aber für Maske brauchte ich sie nicht. So was schafft Sam mit links.

Sam: Darauf kannst du wetten, Chef. Piep. Maske, Theo. Bürgernummer 19 G 13 12 1972. Leitender Direktor der Holo-Produktionsfirma Lust & Qual GmbH. Ein Unternehmen von nicht eben makellosem Ruf, wenn eure Lordschaft mir diese nicht streng zur Sache gehörige Bemerkung gütigst nachsehen wollen.

Jonas: Sam ist mein Notizbuch. Meine geistige Krücke. Mein Retter aus der Not. Und manchmal sogar ne Art Freund. Sam ist mein Computer. Nicht irgendein Computer. Sam ist ein Sonder- und Versuchsmodell. Er kann mehr als andere Computer, und er ist ein bißchen verdreht. Der einzige verdrehte Computer, den ich kenne. Als er auf den Markt kam, im Jahr 2005, da haben ihn nur ein paar Snobs gekauft. Oder Masochisten, die sich mit Wonne von einem Computer übers Maul fahren lassen. Und ich. Leider. Andererseits frage ich mich manchmal, wie Sam Spade und Phil Marlowe ohne Computer ausgekommen sind. Schon mit unseren elektronischen Lieblingen ist das Leben kompliziert genug.

Sam: Lust & Qual GmbH produziert, wie der Firmenname andeutet, Holos von der Art, welche gemeinhin als Blut und Blubber bezeichnet wird. Mord, Folter, Sadismen. Mit einem Wort: Unappetitlichkeiten.

Jonas: Ganz meine Meinung, Sammy, aber das brauchen wir alles nicht.

Sam: Sagst du, Biohirn.

Jonas: Jawohl, und du sagst mir, wo Theo Maske wohnt. Damit wir ihm auf die Bude rücken können.

Sam: Aye Aye, Sir. Wie spricht der gefügige Orientale? Hören heißt gehorchen. Und der Dichter dichtet: Mut zeiget auch der lahme Muck, Gehorsam ist Computers Schmuck. Ferner steht geschrieben...

Jonas: Und so weiter. Aber schließlich erfuhr ich doch noch, was ich wissen wollte. Theo Maske wohnte weit draußen im Westen. In einer Villa von mindestens 80 Quadratmeter. Ein typischer Everson-Bau aus den späten 80ern. Rote Backsteine, Schmuckrohre außen, überall schiefe Linien. Vor dem Tor private Schutztruppler, hinter dem Tor ein echter Butler, der mich in den Salon geleitete. Und da hingen echte Bilder an der Wand, mit echtem Öl gemalt. Ich war bei echt feinen Leuten. Deshalb wunderte ich mich schon gar nicht mehr, als ich auch noch einen echten Whiskey in die Hand gedrückt kriegte. Dann erschien der Herr des Hauses. Theo Maske war nicht nur fein, er war auch schief. So schief wie seine Villa. Schiefer Rücken, schiefe Nase, schiefer Mund. Und für seinen Charakter würde ich auch nicht die Hand ins Feuer legen.

Theo Maske: Wie mundet Ihnen mein Malt Whiskey, Herr äh, Herr äh...

Jonas: Jonas. Nur Jonas.

Theo Maske: Nur Jonas. Und Privatdetektiv. Wie überaus faszinierend. Was es nicht alles gibt. Sie müssen ein interessantes Leben führen, Herr äh...

Jonas: Jonas.

Theo Maske: Auf der Schattenseite der Gesellschaft sozusagen. Noch nen Whiskey? So was gutes kriegen Sie nicht jeden Tag, nehme ich an.

Jonas: Sie haben ja so recht, Herr äh... Herr äh... Herr Maske. Außerdem haben Sie ein Butler und ein Haus. Sie sind überhaupt ein wundervoller Mensch, auf der Lichtseite der Gesellschaft sozusagen. So, und jetzt können wir zur Sache kommen.

Theo Maske: Hören Sie, Ihr Ton gefällt...

Jonas: Gefällt Ihnen nicht? Machen Sie sich nichts draus. Sie sind nicht der einzige. Sagen Sie, was Sie über ihren Freund Zombie wissen, und Sie sind mich los.

Theo Maske: Zombie? Ich kann mich kaum noch erinnern. Freund ist übrigens nicht das richtige Wort. Wir haben lediglich eine sehr vage berufliche Beziehung.

Jonas: Zombie ist auch im Hologeschäft?

Theo Maske: Im Prinzip ja.

Jonas: Sie sind also Kollegen?

Theo Maske: Ich bitte Sie, Herr äh...

Jonas: Na na.

Theo Maske: Ich leite eine lizenzierte, staatlich überprüfte Holo-Produktion.

Jonas: Und Zombie?

Theo Maske: Zombie ist ein Wilder. Sein Studio hat er im Reservat.

Jonas: Sehen darf man in dieser unserer freien Gesellschaft alles, wonach man lustig ist. Aber man darf nicht alles produzieren. Da paßt die MePo auf, die Medienpolizei. Nicht so scharf wie die PoPo, aber immerhin. Wer Holos produzieren will, die er nicht produzieren darf, der tut das da, wo die MePo nichts zu sagen hat. Zum Beispiel im Reservat.

Theo Maske: Deshalb hab ich mich ein bißchen mit ihm abgegeben. Man muß doch wissen, was die Konkurrenz tut.

Jonas: Und was tut sie?

Theo Maske: Praktisch dasselbe, was wir tun. Mit einem wichtigen Unterschied: Wir türken. Bei Zombie ist alles echt. Darum verkaufen sich seine Sachen auch so gut. Was wollen Sie von ihm?

Jonas: Wie gut kennen Sie die Marcus-Pallenbergs?

Theo Maske: Ach Gott, wie man sich so kennt. Wir haben gemeinsame Freunde. Charmante Frau.

Jonas: Und die Tochter?

Theo Maske: Cora? Was soll ich sagen, unauffällig. Für mich zu jung, wenn Sie verstehen, was ich meine, Herr...

Jonas: Nicht noch mal.

Theo Maske: Trinken Sie aus, Herr Jonas. Nehmen Sie sich noch einen.

Jonas: Direkt vor Maskes Villa wartete eine freie Rikscha. Glücklicher Zufall, dachte ich. Ich armer Irrer. Der Kuli rannte, ich lehnte mich zurück, und dachte ein bißchen nach. Plötzlich hatte ich ein ausgesprochen ungutes Gefühl. Ich sah hoch: Die Gegend stimmte nicht, die Richtung stimmte nicht, und was noch schlimmer war, mit mir stimmte auch was nicht. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Keinen Gedanken fassen. Kaum noch reden.

Jonas: Stop. Stop. Ich will aussteigen. Malt Whiskey. Muß was im Whiskey gewesen sein. Alles rot. Rosenrot. Und müde. So müde. Schlafen. Judith. Vielleicht auch träumen.

Jonas: Mein Kopf war ein Raumschiff, unterwegs zum Mars. Die Maschinen ratterten, hämmerten, ächzten. Plötzlich setzten sie aus. Und ich stürzte in den unendlich weiten, unsagbar kalten Kosmos. Immer schneller, immer tiefer. Ich schlug hart auf und blieb regungslos liegen. Minuten, Wochen, Jahre. Bis ich mir zutraute, Arme und Beine zu bewegen. Anscheinend war ich noch komplett, wenn auch nicht im Bestzustand. Ich hatte Schmerzen, vor allem im rechten Oberschenkel. Meine Augenlider waren schwer wie Iridium. Ich redete mir gut zu, und schließlich stemmte ich sie hoch. Bekanntlich hat Jonas einen eisernen Willen. Ich lag auf einem Hof hinter einem schäbigen Gebäude, das mir irgendwie bekannt vorkam. Ich richtete mich auf, sah nach oben: Ich war zu Hause. Das kleine Fenster im 16. Stock gehörte zu meinem sog. Heim: Büro plus Apartment, 22 Quadratmeter. Ich machte Inventur. Bürgerausweis, Lizenz, alles da. Sogar die paar Euros in der Hosentasche. Seltsam. Warum hatte man mich betäubt und entführt? Wer steckte dahinter? Maske?

Sam: Der Whiskey. Die vor seinem Haus so einladend bereit stehende Rikscha. Keine Frage, der Übeltäter ist Herr Theo Maske.

Jonas: Wir werden ihn uns vorknöpfen, Sammy. Demnächst. Vorher haben wir noch nen kleinen Auftrag zu erledigen. Eine gewisse Cora Marcus-Pallenberg muß aus dem Reservat geholt werden. Und wenn Jonas einen Auftrag übernimmt, dann führt er ihn auch aus. So schnell wie’s geht. Aber dann...

Sam: Aber dann ist Herr Theo Maske dran.

Jonas: Wohl gesprochen, Freund Sam.

Sam: O du warmer Regen auf meine Mikroprozessoren. Gleich noch ein Gedicht: Maskes mörderischer Anschlag und Marcus-Pallenbergs Auftrag, irre ich nicht, so ist, beides der selbige Fall.

Jonas: Schlechter Vers, Sam, aber was die Sache betrifft, hast du wahrscheinlich recht. Wir werden es feststellen. First things first. Oder auch alles der Reihe nach. Wenn ich bitten dürfte, umzuschalten, neues Thema. Reservat. Au.

Sam: Was ist meinem Herrn und Gebieter?

Jonas: Deinem Herrn und Gebieter tut was weh.

Sam: Sams tief empfundenes Beileid. Wieder der Magen?

Jonas: Im Gegenteil. Andere Seite. Und tiefer. Irgendwas zwackt mich an der rechten Hinterbacke. Daß du dich ja nicht unterstehst, darauf einen Reim zu machen, Sammy.

Sam: Sam wird es sich verkneifen, euer Durchlaucht Hinterbacke zu besingen.

Jonas: Schluß mit dem Blödsinn. Reservat. Problem: Wie komm ich rein?

Sam: Da Eminenz wohl kaum im Panzerkonvoi einzureisen wünschen...

Jonas: Nein, Sam, ganz entschieden nein. Es fährt auch gar kein Konvoi mehr, seit sie den letzten durch Barrikaden blockiert haben und dann geknackt und ausgeräumt.

Sam: Also werden Majestät sich einschleichen müssen. Heimlich und verkleidet als Freak.

Jonas: Klar. Frage: Als was für ein Freak?

Sam: Such dir was aus, alter Knabe: Fixer, Guerillero, Gestapo, RAF, Ledernacken, Wehrmacht.

Jonas: Das liegt mir alles nicht besonders, Sammy.

Sam: Schwarzer Punk, weißer Punk, bunter Punk, grüner Freak.

Jonas: Öko-Fan. Müslifresser. Müslifresser, machen wir das doch.

Sam: Gebe pflichtschuldigst zu bedenken, daß Herr Oberst in diesem Falle keine Waffe bei sich tragen dürften. Ausgenommen vielleicht ein Taschenmesser. Um Nüsse zu knacken.

Jonas: Keine Sorge, Sam. Jonas wird’s auch so schaffen. Was ich aber unbedingt brauche, das bist du, Sam. Will sagen, eine unauffällige Möglichkeit, Sam zwo mitzunehmen.

Jonas: Sam zwo ist Sam in Miniausführung. Eine drahtlose Extension, durch die ich überall und jederzeit in Verbindung stehe mit Sam eins, dem großen Speicher und Terminal im Büro. Ich kann zwar auch ohne Sam auskommen, in Routinefällen, und wenn er mir mit seinem Gerede noch mehr auf die Nerven geht, als üblich. Aber auf so gefährlichem Pflaster wie dem Reservat wollte ich das lieber nicht probieren.

Sam: Herr General, schlage vor, Sam zwo aufzuteilen. Empfänger in Ohrring, Sender in Nasenring. Derartiger Schmuck gehört zur obligatorischen Grundausstattung jedes grü... Scheiße... jedes grünen Freaks, der auf sich hält.

Jonas: Und wenn so ein Typ ab und zu mit sich selber redet, fällt das im Reservat nicht weiter auf. Sehr gut, Sam. Was brauchen wir?

Sam: Vor allen Dingen einen sanftmütigen Ausdruck auf dem Antlitz, o Schrecken deiner Feinde.

Jonas: Da werde ich mir aber ein bißchen Mühe geben müssen. OK, was noch?

Jonas: Die korrekte Aufmachung bestellte ich über Service-Text bei Freak-out am Markgrafenboulevard. Nicht gerade billig, aber das lief natürlich unter Spesen. Dann ein paar Minuten Arbeit mir Rasierapparat und grüner Farbe, und mein seliges Mütterlein hätte ihren Jonas nicht wiedererkannt. Sam konnte mir sagen, wo die elektronische Käseglocke eine Lücke hatte, noch eine kurze Mitteilung an Frau Marcus-Pallenberg, und fünf Minuten vor Mitternacht, am 12. August 2009, stand ein grüner Freak an der Reservatsmauer. "Irre sind menschlich" hatte einer rangesprayt. Ganz meine Meinung. "Sonne oder Regen, ich bin dagegen". Dafür hatte ich volles Verständnis. Kilroy war natürlich auch hier gewesen, vor langer Zeit. Jetzt war nur Jonas hier. Und Jonas fühlte sich unbehaglich. Und einsam. Wie einst Lilly Marlene.

Sam: Vor der Kaserne, vor dem großen Tor, steht eine Laterne, und steht sie noch davor.

Jonas: Sei still, Sam.

Sam: Lalalalala...

Jonas: Still. Gib mir lieber die Berechnung der Erfolgschancen.

Sam: Mit Wonne, großer Vorsitzender. Die Wahrscheinlichkeit, gegenwärtiges Unternehmen zu einem erfolgreichen Ende zu führen, beträgt zur Zeit genau 0, 9999.

Jonas: Also 2 zu 8.

Sam: Oder auch 1 zu 4. Nicht eben günstig, wenn eure Lordschaft mir diese kommentierende Wertung gestatten.

Jonas: Ach weißt du, Sammy. Wenn wir schon an Zahlen denken, dann doch lieber an die 200 Euros pro Tag.

Sam: Und Spesen.

Jonas: Und Spesen. Genau. Und mit diesem tröstlichen Gedanken im Hinterkopf wollen wir mal.

Jonas: Da wo ich stand, hatte die Mauer diverse Löcher und Vorsprünge. Ich zog mich hoch, dabei tat mir wieder mein verlängerter Rücken weh, setzte mich oben rittlings hin, und beschaute das nächtliche Reservat. Der Mond schien durch die Wolken. Jenseits der Mauer sah es kaum anders aus als davor. Dieselbe Ruinenlandschaft. Dieselben verwahrlosten Straßen. Dieselben Schatten. Dieselbe Stille. Nur unterbrochen durch leises Rascheln. Nachtmenschen schlichen durchs Geröll. Also dann, sagte ich mir. Sprung auf, Marsch marsch.

Sam: Alles in Ordnung, Chef?

Jonas: Alles klar, Sam. Uh!

Sam: Was ist los, Boss?

Jonas: Eine Falle, Sammy. Ich bin in was getreten, und jetzt werde ich verschnürt wie ein Postpaket. Eine Bio-Fessel. Mit automatischer Infrarot-Reaktion. Daß die hier im Reservat so was Modernes haben. Ich bin schon komplett eingepackt, Sam. Ich kann mich nicht mehr rühren. Und da kommen auch schon die Fallensteller. Das hat mir gerade noch gefehlt: Zwei schwarze Punks in all ihrer strahlenden Schönheit.

Power: Kuck mal, Push.

Push: Hähähä. Wir haben was gefangen, Power.

Jonas: Die beiden Typen sahen ein bißchen aus wie Lorell und Hardy, falls Sie sich Lorell und Hardy in schwarzem Leder mit Metallbeschlägen vorstellen können. Und mit Laserstrahlern in der Hand. Sie sahen auf mich herunter, und fingen dann ganz gemütlich an, mich mit ihren schweren Stiefeln zu bearbeiten. Profiklasse waren sie nicht, aber ich bin auch schon schlechter getreten worden.

Power: Was soll denn das sein, Push?

Push: Komisches Ei, Power.

Power: Sieht fast aus wie ein Freak, Push.

Push: Viel zu alt für `nen Freak, Power.

Power: Grüner Greis, Push.

Push: Freak-Opa, Power.

Power: Ätzend.

Push: Geil.

Power: Total tierisch.

Push: Elefantengeil.

Power: Hast du schon den Witz gehört, Push?

Push: Was für `nen Witz, Power?

Power: Da sind ein paar black Punks, und die fangen sich zwei Müslifresser. Einen haben sie vereist, und der andere mußte ihn fressen. Und weißt du, was der Witz ist? Der andere war Vegetarier.

Push und Power: Hahahahahahaha...

Jonas: Ha-Ha, ich lach mich tot.

Power: Hast du gehört, Push?

Push: Tot hat er gesagt, Power.

Power: Gar nicht so dumm, der Freak-Opa.

Push: Hat echt Durchblick, der Müsli-Greis.

Power: Vereisen wir ihn gleich oder verkaufen wir ihn lebendig an die Kannibalen?

Push: Treten wir ihn doch noch ein bißchen, Power.

Power: Ahh!

Push: Power, Power, sag doch was. Was ist, Power?

Jonas: Siehst du doch, man hat ihn gelasert, oder vereist, wie das bei euch heißt.

Push: Ahh!

Jonas: Der nächste bitte.

Sam: Sofern Hoheit die Frage gestatten, was ist geschehen?

Jonas: Wenn ich das wüßte, Sammy. Irgend jemand hat die beiden Punks mit dem Laser erledigt.

Sam: Wer, o Vater des Scharfsinns?

Jonas: Jemand im Schatten. Kommando zurück, Sam. Kein jemand. Eine Jemandin. Und was für eine.

Jonas: Es war eine junge Frau, die vor allem aus sich selbst bestand. Dazu aus hohen Stiefeln, und einem breiten Leder-Gürtel, dessen Schnalle das Zeichen des F.K.K. trug, des Feministischen Kampf-Korps, ein blutrotes Schwert über einem lila Kreis. Nicht zu vergessen der Laserstrahler, mit dem sie Push und Power erledigt hatte. Und der jetzt auf mich gerichtet war. Wunderbar. Erst Punks, dann F.K.K. Vom Regen in die Traufe. Damals bei den Unruhen, hatten sich die F.K.K.-Mädchen ganz besonders hervorgetan. Sie hatten auf alle geschossen. Auf Freaks, Polizisten, Ein- Um- und Aussteiger. Nur männlich mußten sie sein. Das Motto des F.K.K. lautet: Kein Schwanz bleibt ganz. Jetzt war offenbar Jonas an der Reihe.

Nada: Wie sagte frau in der bösen alten Chauvi-Zeit: Aller guten Dinge sind drei.

Jonas: Nichts überstürzen, immer mit der Ruhe. Cool bleiben.

Nada: Na wenn ich dich so ansehe, bist ja doch schon ein ganz schön alter Sack. Weißt du was, ich hab heut meinen soften Tag. Hör auf zu bibbern, ich tu dir nichts. Bist sowieso bald dran, Alter.

Jonas: Machst du mir die Bio-Fessel ab? Vor mir brauchst du keine Angst zu haben.

Nada: Ich Angst vor dir? Halt still.

Jonas: Sam, bist du da, Sam?

Sam: Sam ist da, Majestät, und Sam verfolgt gebannt dero unglaubliche Abenteuer. Was geschieht?

Jonas: Sie brennt mir die Bio-Fessel ab, mit ihrem Laser. Sehr geschickt. Bleib weiter dran, Sammy. - Danke.

Nada: Ich bin übrigens die Nada.

Jonas: Angenehm, dann heiß ich Nemo.

Nada: Von mir aus. Setz dich. Willst du auch nen Joint? Na, prima Tabak. Aber als Grün-Freak rauchst du ja nicht.

Jonas: So saßen wir denn friedlich beisammen. Im Schatten der Mauer. Nada und ich. Meine rechte Hinterbacke tat mir weh. Und auch mein Magen, der sich wochenlang friedlich verhalten hatte, meldete sich wieder. Kein Wunder bei dem Streß hier. Trotzdem hätte ich gern einen Schluck Whiskey gehabt. Aber als waschechter Müslimann durfte ich das natürlich nicht kundtun. Und noch einen Wunsch hatte ich, als ich Nada aus nächster Nähe sah, einen richtig altmodischen Chauvi-Wunsch. Den mußte ich auch für mich behalten. Vorsichtshalber. Ich wußte ja, was Nada mit Männern machte, gegen die sie was hatte.

Nada: Gammelst du nur so rum oder hast du was Bestimmtes vor?

Jonas: Ich bin auf der Suche.

Nada: Sind wir doch alle.

Jonas: Ich suche einen Typ namens Zombie.

Nada: Zombie... Zombie...

Jonas: Produziert Holos.

Nada: Ach der Zombie. Und zu dem willst du? Ganz schräge Idee, Alter. Wer zu dem geht, der taucht meist nicht wieder auf. Zombie hat einen großen Verschleiß, wenn er seine Holos macht.

Jonas: Hab ich gehört. Mord und Totschlag.

Nada: Und Massaker und Folter und Blutbäder. Und alles echt.

Jonas: Ich muß trotzdem hin. Weißt du, wo Zombies Studio ist?

Nada: Hier lang, immer gerade aus. Dahinter rechts im Niemandsland. Zwischen Freakadelien und Turkistan.

Jonas: Also dann.

Nada: Hast du keine Waffe?

Jonas: All you need is love, Schwester.

Nada: Lennonid bist du auch noch.

Jonas: Nicht direkt. Ich bin eher für Sankt Jonas.

Nada: Nie gehört.

Jonas: Schade.

Nada: Sei vorsichtig. Die Türken haben Vorposten im Niemandsland. Wenn die einen Freak schnappen, gehen sie recht ungut mit ihm um. Machs gut, Alter.

Jonas: Ich schlich durchs Niemandsland und hielt mich im Schatten von Häusern und Ruinen. Alles war still. Nur in der Ferne die fast unhörbaren Geräusche der Nachtmenschen. Und noch weiter weg, ein merkwürdiges Rattern und Knattern. Es hörte sich an wie ein Motor, ein Benzinmotor in einem Auto. Mir wurde ungeheuer nostalgisch. Ich dachte an schwarze Limousinen in Chicago und anderswo, an Bogart, mit zwei Fingern am Lenkrad, an Maschinenpistolen, die Feuer und Tod aus Autofenstern spuckten. Ich hätte besser an Laserstrahler denken sollen, denn was sich da plötzlich auf meinen grünen Bauchnabel richtete, das war ein Laserstrahler. Ein Laserstrahler in der Hand eines dicken Kerls in Turban und Pumphosen, und neben ihm stand noch so einer, natürlich auch mit Strahlerchen. Ich hatte allmählich die Nase voll von Typen, die mir Laser unter dieselbe hielten.

Türke: Hände schön oben, Kollege. Ganz ruhig. Du Freak, Kollege?

Jonas: Iwo. Ich bin die Bürgermeisterin von Babylon.

Türke: Lüge! Du Freak, Kollege. Wir nicht lieben Freaks.

Jonas: Muß ja nicht sein, Kollege, also, dann will ich mal wieder rüber, ne, in meine Gegend.

Türke: Halt! Freaks auslöschen Türken, Türken auslöschen Freaks. Mitkommen.

Jonas: Hör doch mal zu, ich bin ein grüner Freak, ich tu keiner Fliege was. Und gegen Türken hab ich schon gar nichts. Ich mag Türken. Janitschar. Heula. Mokka mit viel Zucker...

Türke: Schnauze! Mitkommen. Oder Loch in Bauch.

Jonas: Ja, wenn ihr mich so nett darum bittet.

Türke: Los, Kollege, Bewegung. Dalli Dalli!

Jonas: Erst ging’s über einen Graben, dann durch Ruinen im Zickzack zu einem noch ziemlich intakten Hochhaus am Kanal, wo wir die Treppen hochstiegen bis in den 10. Stock. Überall standen die Pumphosen-Jungs rum. Schwer bewaffnet, grimmig blickend. Und besonders grimmig kuckten sie auf einen armen Freak, der gar keiner war, und in Wirklichkeit Jonas hieß. Eine Tür wurde aufgestoßen, ich war mitten in 1001 Nacht. In 1001 Nacht, wie sie sich der kleine Ali vorstellen mochte, der seit Jahrzehnten im Reservat untergetaucht war, der kein richtiger Türke mehr war, aber auch kein Babylonier. Der eine Pidgin-Sprache redete, und sich eine Pidgin-Kultur erfunden hatte. An den Wänden hingen Teppiche aus dem Kaufhaus, in einer Ecke hockten Musikanten, die uns was pfiffen und trommelten, nicht schön, aber laut, davor tanzte eine nicht zu übersehende Dame heftig Bauch, ansonsten Pumphosen in Hülle und Fülle, um einen Mann herum, der allem Anschein nach die Ober-Pumphose darstellte. Er war nämlich noch dicker als die übrigen. Hatte einen noch größeren Turban. Und einen noch grimmigeren Blick.

Türke: Großmächtiger Padischa, erhabener Sultan Suleiman, hier dieser Freak gefangen an Grenze zu Turkistan.

Sultan Suleiman: Ah, oh, du Spion, Kollege.

Jonas: Aber nicht doch.

Sultan Suleiman: Auslöschen Freaks, auslöschen Spione.

Jonas: Nun mal langsam, alter Freund, ja. Aua.

Türke: So nicht reden zu Großherr von Turkistan, Kollege.

Jonas: Das Gefühl habe ich auch. Now ist the time for all good friends, Sammy, wenn sich einer auskennt mit Titel, Anreden und so, dann bist du das, hilf mir gefälligst.

Sam: Bitte mir nachzusprechen, Meister.

Jonas: OK, schieß los, Sammy.

Sam/Jonas: O erhabenes Großherr.

Sam/Jonas: Machtvoller Beherrscher der Gläubigen.

Sam/Jonas: Sonne von Weltall.

Sam/Jonas: Wonne in Erdkreis.

Sam/Jonas: Großmächtiger Sultan.

Sam/Jonas: Sei gnädig und lasse Erbarmen walten.

Sultan Suleiman: Ja, so gut, Kollege, so prima. Aber nichts bringen! Auslöschen Freak. Setzen auf Pfahl, Stecken in Sack, Schmeißen in Kanal.

Jonas: Bis jetzt hatte ich es im Guten versucht. Aber wenn die Herren Reservatstürken unbedingt wollten, bitte sehr, Jonas konnte auch anders. Ein Griff in den Stiefelschaft, ein Sprung, ich hatte den Sultan bei der Skalplocke und drückte ihm mein Messer an die Halsschlagader. Ob dieser Entwicklung der Dinge geriet der gesamte Hofstaat in begreifliche Unruhe.

Türken: Ah!

Jonas: So Majestät, jetzt gehen wir zusammen ans offene Fenster. Ich hoffe sehr, daß Ihre Paschas und Be sich ganz still und friedlich verhalten. Vor allem ihretwegen. Ich müßte Sie sonst auslöschen, und das wäre doch schade, ein so gewichtiger Mann, und Sultan dazu. So, alle bleiben auf ihren Plätzen, keiner kommt mir zu nahe. Soweit, so gut, was nun, Sammy?

Sam: Was befindet sich vor dem Fenster, Exzellenz?

Jonas: Sehr viel Luft, Sam, wir sind im 10. Stock.

Sam: Zweifellos, Herr Direktor, und unten?

Jonas: Unten, der Kanal.

Sam: Aha.

Jonas: Du meinst...

Sam: Na klar, Kumpel. Springen.

Jonas: Klar, lächerliche 30 Meter.

Sam: Wüßte nicht, was Durchlaucht sonst übrig bliebe.

Jonas: Ich leider auch nicht, Sammy. Leben Sie wohl, erhabene Sultan. Jeronimo.

Jonas: Ein Tritt dahin, wo er am dicksten war, beförderte Sultan Suleiman zurück in den Saal. Ein paar Augenblicke lang standen die Höflinge da wie erstarrt. Und als sie sich wieder rührten, war ich schon unten angekommen, und schwamm durch eine zähe, stinkende Brühe ans gegenüberliegende Ufer. Ein kurzer Klimmzug, wieder Schmerzen rechts hinten, aber ich rannte trotzdem los. Was sein muß, muß sein. Etwa 10 Millionen Türken waren hinter mir her, mir Gebrüll und mit Lasern. Und weil ihnen offenbar nichts wehtat, kamen sie immer näher. Die Situation erschien entschieden verbesserungsbedürftig. Als die schnellsten Verfolger nur noch wenige Meter entfernt waren, schoß plötzlich aus einer Seitenstraße ein Fahrzeug und blieb neben mir stehen. Mit offener Tür.

Nada: Steig ein, Alter.

Jonas: Nada.

Nada: Wundern kannst du dich später, nun steig schon ein, sonst haben Sie dich.

Jonas: Ein Benzinauto. Ein echtes Benzinauto. Wie lange bin ich in so was nicht mehr gefahren? 15 Jahre? 16 Jahre?

Nada: Im Reservat gibt’s noch ein paar.

Jonas: Das sehe ich. Und woher habt ihr das Benzin?

Nada: Manchmal finden wir ein unterirdisches Lager. Aus der alten Zeit. Als es noch Benzin zu kaufen gab. Und Autos noch nicht verboten waren. Das Reservat ist groß.

Jonas: Wo fahren wir eigentlich hin?

Nada: Wolltest du nicht zu Zombies Holostudio? Wir sind da.

Jonas: Ja, ich seh kein Studio. Nur ein Ruinenfeld. Und `nen kleinen Holzschuppen.

Nada: Eben. Der Schuppen ist das Studio. Das heißt, der Eingang zum Studio. Zombie arbeitet unter der Erde. Er scheut das Tageslicht. Mit recht.

Jonas: Ja, dann noch mal vielen Dank, Nada.

Nada: Hier, Alter. Falls du Probleme kriegst da unten. Machs gut.

Jonas: Damit drückte sie mir ihren Laserstrahler in die Hand. War doch mal ne nette Abwechslung, selber so ein Ding zu haben. Nützlich war’s auch. In der Bretterbude saß ein unfreundlicher Kraftmensch über Loch und Leiter, die nach unten führten. Und der war erst dann bereit, mit sich reden zu lassen, als ich ihn in die Mündung des Strahlers gucken ließ.

Wächter: Wie soll die heißen? Cora... Cora...

Jonas: Cora Marcus-Pallenberg.

Wächter: Nie gehört.

Jonas: Und so sieht sie aus.

Wächter: Nie gesehen. Hier. Gibt’s nicht bei uns. Bestimmt nicht. Hat’s auch nie gegeben.

Jonas: Ach ja, dein Chef hat sie gestern mitgebracht. Von draußen.

Wächter: Zombie? Quatsch. Zombie war schon vier Wochen nicht draußen. Mindestens.

Jonas: Ach nein.

Wächter: Ach ja.

Jonas: Mach Platz, ich will mich unten mal umsehen.

Wächter: Nix. Niemand darf runter.

Jonas: Ach ja.

Wächter: Ah.

Jonas: Mit dem Laser legte ich ihn für ein paar Stunden schlafen. Dann tauchte ich ab in die Unterwelt. Und das meine ich ganz wörtlich. Was sich in den unterirdischen Produktionsräumen tat, war die Hölle. Es wurde gerade ein lehrreicher historischer Streifen gedreht, Argentinien 78 oder Schreie aus dem Keller. Sehr dokumentarisch. Sehr realistisch. Mit großem Verschleiß, wie Nada sich ausgedrückt hatte. Ich habe einiges schlimme gesehen, im Antarktischen Krieg und als Detektiv. Das hier war schlimmer. Ich fühlte mich versucht, als edler Ritter von der Tafelrunde mit meinem Laserschwert aufzuräumen, aber es waren zu viel Drachen da. Einerseits. Und andererseits hatte ich das Gefühl, daß ich ganz vordringlich ein paar Dinge klären müßte, die mich persönlich betrafen. Also stellte ich meine Fragen und stieg dann ganz schnell wieder nach oben.

Jonas: Also, Sammy, die Sache sieht so aus: Alle hier sagen dasselbe: Eine Cora Marcus-Pallenberg kennen sie nicht. Haben sie auch nie gesehen. Und Zombie ist seit Wochen im Reservat. Er war also nicht draußen bei den Marcus-Pallenbergs. Er hat Cora nicht ins Reservat mitgenommen, das steht fest.

Sam: Daraus ergibt sich, o weiser Sherlock Holmes, Frau Marcus-Pallenberg hat gelogen.

Jonas: Elementar, mein lieber Watson. Frage: Warum hat Frau Marcus-Pallenberg gelogen. Au.

Sam: Wieder Schmerzen, mein Herr und Gebieter?

Jonas: Jawohl, und wieder die rechte Hinterbacke. Möchte wissen, was ich mir da geholt habe. Hallo.

Sam: Wie belieben?

Jonas: Da ist was, Sammy. Unter der Haut. Was festes.

Sam: Empfehle dringend, besagtes festes Objekt zu entfernen.

Jonas: So, und wie?

Sam: Herausschneiden, mittels dero Hoheit Taschenmesser.

Jonas: Hat das nicht Zeit, Sam, bis wir wieder in der Zivilisation sind, der sogenannten?

Sam: Nein, Holzkopf, rausschneiden, fix.

Jonas: Wenn’s denn sein muß.

Sam: Und vorsichtig, Boss, ganz ganz vorsichtig.

Jonas: Auch dieses, Sammy. So. Du hast den richtigen Riecher gehabt, Sam. Eine Bombe. Eine implantierte Mini-Bombe aus Plastkonzentrat. So groß wie ein Eurostück. Das reicht für ne mittlere Kleinstadt.

Sam: Aus diesem Grunde sind Eminenz betäubt und entführt worden.

Jonas: Genau Sam, Maske hat mir die Bombe untergeschoben, im wahren Sinne des Wortes. Aber warum denn bloß? Was wird hier gespielt? Kannst du mir das sagen?

Sam: Gewiß, o Rächer der Enterbten. Herr Theo Maske ist Direktor einer legalen Holovisions-Produktion. Diese Produktion hat erhebliche finanzielle Einbußen zu verzeichnen. Der Grund: Die von Zombie hergestellten echten Mord- und Folter-Holos sind weitaus erfolgreicher als Herrn Maskes Produkte. Herr Maske hat also allen Anlaß, sich der gefährlichen Konkurrenz zu entledigen. Da Zombie seine Produktion im Reservat betreibt, ist er für Herrn Maske direkt nicht erreichbar. Herr Maske geht daher indirekt vor. Er schickt einen nichts ahnenden Bombenträger ins Reservat, eine lebende Bombe.

Jonas: Halt mal, das stimmt so nicht. Maske hat mich nicht geschickt. Das war Frau Marcus-Pallenberg, weil ich ihre Tochter aus dem Reservat holen sollte.

Sam: Ein unzutreffender Vorwand, wie sich nunmehr herausstellt, euer Denkwürden. Cora Marcus-Pallenberg hat das Reservat überhaupt nicht betreten.

Jonas: Moment. Moment, Sam. Ich hab ne Idee.

Sam: Ich höre und staune, Hoheit.

Jonas: Wem gehört der Laden?

Sam: Laden? O Brunnen des Tiefsinns?

Jonas: Lust & Qual, die Holofirma, wo Maske Direktor ist.

Sam: Einen Augenblick, Chef. Piep. Besitzer der Firma laut Handelsregister: Orsonsche Erben.

Jonas: Und wer sind die Orsonschen Erben?

Sam: Momentchen Boss. Piep. Es gibt nur einen Orsonschen Erben. Der Name: Dahlia Marcus-Pallenberg.

Jonas: Na bitte. Das ganze ist ne abgekartete Sache. Alle stecken unter einer Decke. Maske, die Marcus-Pallenberg und natürlich auch...

Sam: Bitte die Unterbrechung ihrer erhabenen Gedankengänge zu verzeihen, großer Lehrmeister, doch wäre es höchst ratsam, vor allen weiteren ohne Zweifel hochinteressanten Schlußfolgerungen die Bombe abzulegen und schleunigst von dannen zu eilen. Jeden Augenblick kann durch elektronische Zündung eine Explosion ausgelöst werden.

Jonas: Apropos Zündung, aus welcher Entfernung kann die Bombe gezündet werden?

Sam: Bei einer Mini-Bombe, wie Exzellenz Sie in sich herumtrugen, beträgt die maximale Zündungsdistanz 500 Meter.

Jonas: Aha. Na dann weiß ich den richtigen Platz für Maskes Liebesgabe.

Jonas: Es war kein Problem, die kaum mehr als fingernagelgroße Bombe gut unterzubringen, und als ich mich dann dranmachte, von dannen zu eilen, wie Sam mir geraten hatte, wer stand vor der Tür und wartete auf mich? Natürlich Nada. Nada, die Unvermeidliche, die Allgegenwärtige, Nada, mein Schutzengel, immer zur Stelle, wenn ich Schwierigkeiten hatte und Hilfe brauchte.

Nada: Gib mir den Laser zurück, Alter. Danke. Hast du gefunden, was du suchst?

Jonas: Mehr oder weniger.

Nada: Such’s noch mal.

Jonas: Wieso?

Nada: Du gehst wieder runter, Alter.

Jonas: Nicht nötig, ich bin hier fertig.

Nada: Im Gegenteil, Alter, dein großer Auftritt kommt erst. Runter mir dir. Tut mir leid, Alter, so ist das nun mal. Machs gut.

Jonas: Nada, die so selbstlos dafür gesorgt hatte, daß ich mein Ziel erreichte, die dafür gesorgt hatte, daß die Mini-Bombe ihr Ziel erreichte, mit Jonas natürlich, aber Jonas war nur Transportmittel, und würde bald entbehrlich sein. Alles war klar, sonnenklar, laserklar, bombenklar. Ich machte ein dummes Gesicht, fällt mir nicht schwer, ging langsam zurück in den Schuppen, und zog die Tür hinter mir zu. Blitzschnelles Umschalten in den Schnellgang, ich riß das Fenster auf der gegenüberliegenden Seite auf, sprang raus, rannte, rannte um mein Leben. Ich wußte, was gleich passieren würde... Nada löste die Zündung aus, die Bombe explodierte, und nahm mit sich hoch, Nadas Laserstrahler, daran hatte ich sie festgemacht, Nada selbst, ein Benzinlager, auf dem sie gestanden hatte, ohne es zu ahnen, Zombies höllische Holo-Produktion, diverse Ruinen, Geröllhalden, und beinahe auch Jonas, der kräftig durchgeschüttelt wurde, sich ein paar dicke Beulen holte, nur mit Mühe über die Mauer kam, und nach Hause humpeln mußte. Und hier, Magen hin, Magen her, trank ich meinen ganzen Whiskey-Vorrat aus, verbissen und zielstrebig, und fiel dann ins Bett. Als ich aufwachte, war es heller Tag. Ich hatte einen miesen Geschmack im Mund, und ein mieses Gefühl innen drin. Und mir wurde nicht besser, als ich den News-Kanal einschaltete.

Nachrichten-Sprecherin: Aus unbekannter Ursache kam es in den heutigen frühen Morgenstunden zu einem Großfeuer im Bereich des sogenannten Reservats. Über den entstandenen Schaden gibt es noch keine genaue Übersicht. Wie verlautet, wurde ein illegales Holovisions-Studio völlig vernichtet, wobei erhebliche Opfer an Menschen und Material zu beklagen sein sollen. – Ein Terroranschlag der Kusbekischen Befreiungsfront hat, wie der Pressesprecher der...

Jonas: Also Schwamm drüber und Strich drunter. Oder?

Frau Marcus-Pallenberg: Hallo?

Jonas: Jonas hier.

Frau Marcus-Pallenberg: Wa... Was?

Jonas: Überrascht, Frau Marcus-Pallenberg?

Frau Marcus-Pallenberg: Ja, äh nein nein, nein, wieso? Warum sollte ich überrascht sein?

Jonas: Weil Jonas eigentlich tot sein müßte. Im Reservat. In Zombies Holostudio. In vielen tausend kleinen Stücken.

Frau Marcus-Pallenberg: Was reden Sie? Haben Sie getrunken? Übrigens, da Sie gerade anrufen, Cora ist wieder da.

Jonas: Sie setzen mich in Erstaunen, Frau Marcus-Pallenberg.

Frau Marcus-Pallenberg: Ja, die Sache war ein Irrtum. Damit ist mein Auftrag gegenstandslos. Ich brauche Sie nicht mehr.

Jonas: Legen Sie nicht auf, Frau Marcus-Pallenberg. Ich hätte mich gerne noch mit Ihnen unterhalten.

Frau Marcus-Pallenberg: A ja, ich verstehe, schicken Sie Ihre Rechnung ein, ich will sehen, was sich tun läßt.

Jonas: Nicht darüber, Frau Marcus-Pallenberg. Über den Konkurrenzkampf in der Holo-Industrie, und über eine gewisse Bomben-Idee. Wissen Sie, Jonas hat es gar nicht gern, wenn man ihn a) für dumm verkauft, und b) als lebende Bombe mißbraucht.

Frau Marcus-Pallenberg: Sie reden irre. Sehen Sie sich vor. Wenn Sie derartiges in der Öffentlichkeit wiederholen, werden wir Sie belangen, Maske und ich. Sie können nichts beweisen.

Jonas: Solche Auftraggeber loben wir uns, was Sammy?

Sam: Pflegt es sich denn nicht stets so zu verhalten, o großer Sekretär des Politbüros?

Jonas: Ich versteh nicht, Sam, was pflegt sich wie zu verhalten?

Sam: Entpuppt sich nicht in der Regel der Auftraggeber als der wahre Bösewicht, hinter den Kulissen?

Jonas: O Sammy, ich hab dich wohl zu viel mit Chandler gefüttert.

Sam: Durchlaucht belieben zu irren. Wie war es denn erst kürzlich im Fall um die Raumstation Safari?

Jonas: Safari? Kein Vergleich, Sam, gar kein Vergleich. Diesmal war alles Schwindel. Von A bis Z. Alle haben mich angelogen. Die Marcus-Pallenberg. Maske. Nada. Und für Nada hatte ich wirklich was übrig.

Sam: Kopf hoch, Kumpel, vergiß es, ein neuer Tag, ein neues Glück, das Leben geht weiter, und wenn die Welt voll Teufel wär.

Jonas: Nur Computer sind anständig. Computer lügen nicht. Alle Kreter lügen immer. Jeder Mensch sagt jederzeit die Unwahrheit. Der Computer nie. Dafür sagt er oft Blödsinn, oder Sam?

Sam: Unzureichende Daten, o du GröJAZ.

Jonas: Wie bitte?

Sam: Größter Jonas aller Zeiten.

Jonas: Meine Rechnung hab ich später doch noch eingereicht. Honorar für einen Arbeitstag, Spesen, Schmerzensgeld. Nicht viel, aber besser als die Volksrente allemal. Frau Marcus-Pallenberg hat anstandslos gezahlt. Stolz ist was feines, aber Stolz kann man nicht essen. Und trinken auch nicht. Ich mußte mir doch einen neuen Whiskey-Vorrat anlegen.

Das war: Reservat. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Astrid Jacob, Madeleine Stolze, Michael Gahr, Michael Habeck, Erich Hallhuber, Joachim Höppner, Herbert Weicker, und andere (Bernd Stephan, Ilse Neubauer). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:11
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Schlachthaus

Jonas: So fangen die meisten meiner Fälle an: Ein Typ sitzt in meinem Büro, rutscht auf dem Stuhl rum, und weiß nicht so recht, ob er mir überhaupt erzählen soll, weshalb er gekommen ist. Wie gesagt, so fangen die meisten meiner Fälle an. Dieser nicht.

Oberkellner: Darf ich Ihnen jetzt die Speisekarte vorlegen, mein Herr?

Jonas: Ich warte noch.

Oberkellner: Gestatten Sie mir die Bemerkung, mein Herr, Sie warten bereits eine halbe Stunde. Wenn Sie schon nicht essen wollen, dann vielleicht wenigstens noch einen Whiskey?

Jonas: Danke. Wissen Sie, falls meine Verabredung nicht kommt, muß ich die Rechnung selber zahlen. Und bei Ihren Preisen...

Oberkellner: Verstehe. In diesem Fall muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihr Tisch benötigt wird.

Jonas: Ach, wann?

Oberkellner: In wenigen Minuten, mein Herr, praktisch sofort.

Jonas: Dieser Fall fing damit an, daß ich auf dem Stuhl rumrutschte. Und nicht bei mir im Büro. In einem Lokal. Nicht in irgendeinem Lokal. Das Escargot war ein feines Lokal. So fein, daß es sich sogar einen menschlichen Oberkellner leistete. Nicht das richtige Ambiente für Jonas. Der ist eher an den Fressomaten um die Ecke gewöhnt. Datum der Rutscherei, nicht daß es irgendwie wichtig wäre, 20. September 2009.

Oberkellner: Darf ich Sie bitten, auszutrinken, mein Herr.

Jonas: Sie schmeißen mich raus.

Oberkellner: Wenn Sie es so auszudrücken wünschen, mein Herr.

Brendel: Jonas, nehm ich an.

Oberkellner: Sie sind mit diesem... diesem Herrn verabredet, Herr van...

Brendel: Pst. Pst. Josef. Keine Namen. Bringen Sie mir ein Glas Wasser. Und die Speisekarte.

Oberkellner: Glas Wasser, Speisekarte, sehr wohl, Herr äh...

Brendel: Pst. Sie sind pünktlich, Jonas. Das freut mich.

Jonas: Sie sind unpünktlich. Und Sie haben mir am Fon einen falschen Namen genannt. Sie heißen nicht Pankreas.

Brendel: O nein, zum Glück nicht.

Oberkellner: Das Glas Wasser, bitteschön, die Speisekarte, Herr...

Brendel: Pst. Hechtklößchen. Lammrücken. Trodosie. Alles synthetisch natürlich, aber ich versichere ihnen, so ausgezeichnet zubereitet, daß Sie den Unterschied kaum spüren. Walsteak a la Ninive. Wäre das nicht was für Sie, Jonas?

Jonas: Witzig. Wünsche guten Appetit.

Brendel: Aber mein Bester, nicht gehen. Bitte. Sie müssen mich verstehen. Ich bin ein bißchen nervös. Und vorsichtig. Mit Menschen Ihres Schlages habe ich mich noch nie abgeben müssen.

Jonas: Das wäre auch unwahrscheinlich gewesen. Ich bin nämlich der letzte. Der letzte Privatdetektiv. Und der einzige. Wenigstens in Babylon. Konkurrenzlos. Ein aussterbender Beruf. Wer braucht schon einen Detektiv?

Brendel: Ich. Ich brauche einen. Einen Privatdetektiv. Tüchtig. Diskret.

Jonas: Möglichst stubenrein.

Brendel: Und nicht all zu vorlaut. Unter welchem Sternbild sind Sie geboren, Jonas?

Jonas: Stier. Warum?

Brendel: Ich bin Krebs. Ich bin Krebs, und ich habe Krebs. An der Bauchspeichel-drüse. Deshalb mein Pseudonym, Pankreas. Bauchspeicheldrüse. Verstehen Sie?

Jonas: Er war ein Witzbold. An der Oberfläche. An der gut frisierten, mani- und pedikürten, nach letzter Mode drapierten und bemalten Oberfläche. Darunter hatte er scheußliche Angst.

Brendel: Ich muß eine neue haben. Eine neue Bauchspeicheldrüse. Dringend.

Jonas: Und wo ist der Haken?

Brendel: Tja, kurz gesagt, ich habe den falschen Beruf.

Jonas: Was machen Sie?

Brendel: Ich bin Psychagoge.

Jonas: Welche Richtung? Klassisch, anal, para, meta, hypo?

Brendel: Para. Meine Spezialität ist der Tarot. Aber ist stelle auch Horoskope. Eurasisch, chinesisch, kalifornisch, wie Sie wollen.

Jonas: Parapsychagoge. Dann ist Ihr sozialer Nützlichkeitsstatus so um die 2 oder 3.

Brendel: 2, 25. Genau.

Jonas: Nur ein Ideechen besser als ein Privatdetektiv. Sie stehen also auf Orgalist ganz unten.

Brendel: Und wenn ich dran bin mit der Zuteilung, dann brauch ich keine Bauchspeicheldrüse mehr, dann bin ich schon längst in der Vase.

Jonas: Vermutlich.

Brendel: Nun ist aber andererseits die Parapsychagogie recht lukrativ, darum habe ich mir überlegt, ich meine, ich dachte, da gibt es doch so was wie, ich meine, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll...

Jonas: Er war so mysteriös wie ein gelöstes Kreuzworträtsel. Sehr schön. Merken. Fürs Poesiealbum des Detektivs.

Jonas: Sagen Sie einfach Schwarzmarkt. Schwarzer Organmarkt.

Brendel: Genau. Das meine ich. Aber weil ich mich in solchen Sachen überhaupt nicht auskenne...

Jonas: Soll ich Ihnen ein Organ organisieren.

Brendel: Köstlich. Sie haben den Nagel mitten ins Gesicht getroffen. Scherz beiseite. Sie, Jonas, besorgen mir eine Bauchspeicheldrüse. Wie immer. Wo immer. Keine Fragen. Keine Probleme. Sie liefern. Ich zahle. Jeden vernünftigen Preis. Und ihr Honorar natürlich.

Jonas: 80 Euros pro Tag und Spesen.

Brendel: Nicht gerade wenig. Was tun Sie dafür?

Jonas: Nicht gerade wenig. Alles, was ich mit meinem Gewissen vereinbaren kann.

Brendel: O, Sie haben ein Gewissen? Wie entzückend altmodisch. Und, können Sie?

Jonas: Kann ich was?

Brendel: Meinen Auftrag mit Ihrem Gewissen vereinbaren?

Jonas: Im Prinzip, ja. Nicht 100-prozentig, aber 90 Prozent waren ja auch nicht so schlecht. Wenn ich auf dem Schwarzmarkt eine Bauchspeicheldrüse auftrieb, dann schadet dies schließlich keinem, dachte ich, im Gegenteil. Ich rettete dem pseudonymen Herrn Pankreas das Leben. Geld brauchte ich auch, ich brauche immer Geld. Also ja, dachte ich. Aber ich sagte nicht ja. Noch nicht.

Jonas: Ich werde es mir überlegen. Wissen Sie, ich bin auch vorsichtig. Mit Leuten Ihres Schlages halte ich mich ein bißchen zurück. Ich rufe Sie an, heute noch.

Brendel: Sie wissen doch gar nicht, wer ich bin.

Jonas: Ich bin Detektiv.

Jonas: Das verschlug ihm den Appetit, und er ging. Leicht verstört. Ich wartete noch einen Moment. Ich hatte meine Gründe.

Oberkellner: Sie gestatten, daß ich abräume, mein Herr.

Jonas: Wer war das?

Oberkellner: Der Herr, mit dem Sie verabredet waren? Bedaure, mein Herr. – Ein ganzer Euro? Vielen vielen Dank, mein Herr, aber ich bin nicht bestechlich. Außerdem hat Herr... die Rechnung bereits beglichen. In äußerst großzügiger Weise.

Jonas: Sie irren sich, alter Freund, das ist keine Bestechung und auch kein Trinkgeld.

Oberkellner: Sondern?

Jonas: Kaufpreis. Für das hier. Mehr ist es sicher nicht wert.

Oberkellner: Mein Herr, erlauben Sie. Sie können doch nicht einfach ein Glas einstecken.

Jonas: Das Wasserglas, aus dem Pankreas getrunken hatte. Voller Fingerabdrücke und Speichelspuren. Die Visitenkarte meines Auftraggebers. Ich war ein gebranntes Kind. Gerade in letzter Zeit hatte ich ein paar Fälle erlebt, in denen die Auftraggeber versucht hatten, mich reinzulegen. Aber hier war, wie es aussah, alles OK. Vorläufig.

Sam: Hinterlasser der Fingerabdrücke bzw. Speichelspuren heißt Julian van Brendel. Bürgernummer 77 M 03 03 1961.

Jonas: Beruf?

Sam: Parapsychagoge.

Jonas: Status?

Sam: 2,25, o Stern von Bethlehem.

Jonas: Ich darf vorstellen. Computer, Typreihe Doktor, Versuchsmodell Chrysostomus, McCoy Incorporated, Baujahr 2005, Rufname Sam. Fähigkeiten: fast unbegrenzt. Fehler: nur einer. Sam leidet an verbaler Überfütterung. Er hat zu viele Sprachprogramme im Speicher, und er kommt damit nicht so richtig klar. Ansonsten ist er ein Goldstück. Wenn man sich an seine Ausdrucksweise gewöhnt hat. Und das ist nicht leicht.

Jonas: Jonas hier, ich übernehme den Auftrag, Herr van Brendel, die Bedingungen kennen Sie, ich rufe Sie wieder an. – Hoffentlich bald. Wie kriege ich möglichst schnell einen Fuß in den schwarzen Organmarkt, Sam?

Sam: Keinesfalls über die normalen Datenbänke, euer Wohlerzogenheit. Da in den selben keinerlei Informationen in Bezug auf illegale Praktiken zu finden sein dürfte.

Jonas: Weiß ich selbst, Sam. Dazu brauche ich keinen Computer. Also hintenrum.

Sam: Jawohl, Chef, von hinten durch die Brust ins Auge, haha.

Jonas: Ebenfalls Haha. Frage: wie?

Sam: In der Tat, Prinz Eisenherz, dies ist die Frage.

Jonas: Wie wäre es denn mit der HyPo?

Sam: Darf ich euer Lordschaft zu dero fast überirdischer Auffassungsgabe beglückwünschen. Die Sache hat nur einen ganz ganz kleinen Haken: Den Code für die Datenbank der Hygiene-Polizei kenne ich zu meinem Bedauern nicht.

Jonas: Du nicht, Sammy, aber ich kenne...

Sam: Sie Meister? Kann ich es glauben?

Jonas: Laß mich doch ausreden. Ich kenne jemand, der ihn kennt.

Sam: Diese Frau?

Jonas: Ganz recht, Sam. – Hallo, Judith!

Jonas: Judith hatte ich vor einem halben Jahr kennen gelernt. Beim Testmarktfall. Als ich mich zum ersten Mal mit Frau Professor Caligari anlegte. Oder Caligari mit mir, wie man’s nimmt. Judith war meine Klientin, und wurde meine z.B., meine zeitweilige Beziehung. Ob das ein Gewinn für sie ist, weiß ich nicht. Bei der Testmarktsache hat sie 100.000 Euros kassiert, und das war ein Gewinn. Judith ist beim Ministerium für Statistik und Soziographie. In höherer Position. Sie weiß deshalb mehr als andere. Für einen Detektiv kann das ab und zu nützlich sein.

Judith: Wir sind verabredet, Jonas. Heute Abend im Freiluftpark.

Jonas: Ja, hör mal Judith...

Judith: Ich muß dir was erzählen. Ich soll befördert werden.

Jonas: Schön für dich. Ich hab ein kleines Problem.

Judith: Ich müßte mich allerdings versetzen lassen zur Abteilung Öffentliche Sicherheit.

Jonas: Zur Polizeiverwaltung?

Judith: Ja. Ja.

Jonas: Tu das Judith.

Judith: Ich weiß nicht so recht.

Jonas: Aber sicher. Was meinst du, wo du dann erst überall rankommst. Apropos.

Judith: Du denkst nur an dich, Jonas.

Jonas: Ich denke an meine Fälle, das ist was anderes. Sag mal, Judith, wo würdest du hingehen, wenn du eine neue Bauchspeicheldrüse brauchst?

Judith: Wieso?

Jonas: Illegal, meine ich.

Judith: Du brauchst keine neue Bauchspeicheldrüse, du brauchst ein neues Herz. Und eine neue Beziehung.

Jonas: Trotzdem hat sie mich eine Stunde später angerufen, und mir eine Adresse gegeben.

Judith: After Eight. Das ist eine Bar am oberen Markgrafenboulevard. Der Besitzer heißt Guttapercha. Archimedes Guttapercha.

Jonas: Guttapercha. Weißt du, Judith, unsere Verabredung heute Abend...

Judith: Fällt aus. Alles fällt aus. Bis auf weiteres.

Jonas: Ich hatte das dringende Gefühl, ich sollte über Judith und über mich, und über uns beide mal gründlich nachdenken. Später. Julian van Brendel wartete auf seine Bauchspeicheldrüse. Und ich mußte zum oberen Markgrafenboulevard.

Barkeeper: Was trinken Sie?

Jonas: Whiskey.

Barkeeper: Synth oder echt?

Jonas: Sie haben echten?

Barkeeper: Was Sie wollen. Schottischen. Irischen. Bourbon. 25 Euros.

Jonas: In letzter Zeit verkehrte Jonas vorwiegend in besseren Kreisen. Da wo das Leben furchtbar teuer ist, und ungeheuer exklusiv. Ich bestellte einen doppelten Synth. Der Barkeeper goß ein und verachtete mich. So sehr, daß er mich überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nahm. Ich ging auf Wanderschaft. Durch die Hintertür, an der Privat dranstand, über einen Flur, zu einer angelehnten Tür, hinter der jemand am Bildfon sprach. Durch den Türspalt hörte ich ein bißchen mit.

Guttapercha: Nur eine kurze Verzögerung, Frau Professor. Ein, zwei Tage höchstens. Gegen Sturm kann man nichts machen. Sturm ist höhere Gewalt.

Caligari: Das interessiert mich nicht. Wir haben einen Vertrag.

Guttapercha: Ja selbstverständlich, Frau Professor, aber...

Caligari: Alles ist präpariert. Ich muß die Ware haben. Jetzt. Sobald sie in Babelshafen ausgeschifft wird...

Guttapercha: Ja, laß ich sie auf schnellstem Wege zu Ihnen ins Krankenhaus bringen, Frau Professor.

Jonas: Frau Professor, und diese Stimme? Was das nicht... Tatsächlich, Frau Professor Caligari. Ich konnte sie deutlich erkennen durch den Türspalt, auf dem Monitor des Bildfons. Was hatte die Chefin von ZIP, vom Zentralinstitut für Populationsforschung, in meinem neuen Fall zu suchen? Das gefiel mir gar nicht.

Caligari: Also, Guttapercha, ich verlaß mich auf Sie. Und wehe Ihnen, wenn ich mich irre.

Guttapercha: Jawohl, Frau Professor, selbstverständlich, Frau Professor. Widerliches Weib. – Ja, kommen Sie rein, die Tür ist auf. – Was wollen Sie?

Jonas: Eine Bauchspeicheldrüse kaufen.

Guttapercha: Und wer sind Sie?

Jonas: Jemand, der `ne Bauchspeicheldrüse kaufen will. Und bar bezahlen.

Guttapercha: Sie haben Pech.

Jonas: Wieso? Bin ich falsch bei Ihnen?

Guttapercha: Nein, bei mir kriegen Sie jedes gewünschte Organ. In bestem Zustand. Bei mir. Nur bei mir.

Jonas: Wo liegt das Problem?

Guttapercha: Es ist nichts da. Alles ausverkauft. Ich warte auf neue Ware. Kann jeden Moment kommen. Rufen Sie mich morgen an. Und jetzt raus mit Ihnen. Falls Sie nicht lesen können, an der Tür da vorn steht privat. Raus mit Ihnen, hab ich gesagt.

Jonas: Noch eine Frage: Mit wem haben Sie eben foniert?

Guttpercha: Meine Assistenten, Mr. Crap und Mr. Turt. Und der Typ hier ist ein neugieriger Zeitgenosse, der zu viele Fragen stellt. Ihr begleitet ihn zur Straße.

Mr. Crap: Friedlich, Chef?

Guttapercha: Wenn er friedlich ist.

Mr. Crap: Alles klar, Chef. Kommen Sie mit.

Jonas: Die beiden sogenannten Assistenten mit den ansprechenden Namen setzten mich freundlich vor die Tür. Und weil es spät war, und ich nichts Besseres vorhatte, ging ich nach Hause. Apartment plus Büro, 22 Quadratmeter. Trautes Heim. Ich dachte nach. Welche Verbindung bestand zwischen einer mächtigen Geheimorganisation wie ZIP und dem schwarzen Organmarkt? ZIP wollte das Überbevölkerungsproblem beseitigen, in dem es die Bevölkerung beseitigte. Wenigstens teilweise. Und der Schwarzmarkt tat genau das Gegenteil. Ich sah nicht durch. Und Sam auch nicht. Unzureichende Daten. Das sagt er immer, wenn er keine Ahnung hat. Am nächsten Morgen rief ich Guttapercha an.

Guttapercha: Problem inzwischen bereinigt. Ihre Bauchspeicheldrüse ist da.

Jonas: OK, ich komm gleich rüber.

Guttapercha: Nein, morgen Vormittag.

Jonas: Warum soll ich solange warten?

Guttapercha: Weil ich es sage.

Jonas: Merkwürdig. Aber wie auch immer. Offensichtlich ist neue Ware eingetroffen. In Babelshafen. Das heißt, übers Meer. Und das heißt...

Sam: Mit dem Schiff, Herr und Meister.

Jonas: Wenn ich dich nicht hätte, Sammy. Sieh doch spaßeshalber mal nach, was für Schiffe zwischen gestern Abend und heute früh in Babelshafen eingelaufen sind.

Sam: Piep. Nur ein einziges, o Großadmiral der sieben Meere. Der Superkühlfracht-segler El Präsidente Tabasco. Aus Costaguana. Um 18 Stunden verspätet. In aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um das Transportmittel der schwarzen Organe.

Jonas: Ich will’s genau wissen, Sam. Mach ne Querverbindung. Landungen dieses Kühlschiffs aus Costaguana, sagen wir, im letzten Jahr, und Aktivität auf dem schwarzen Markt. Du hast doch jetzt den Hypo-Code von Judith.

Sam: Aye Aye Sir.

Jonas: Ergebnis: Einen Tag nach Einlaufen der Präsidente Tabasco brach auf dem Schwarzmarkt munteres Treiben aus. Jedesmal. Die Sache war klar. Aber ich wollte es noch genauer haben.

Jonas: Und jetzt noch ein kurzer Blick in die Frachtpapiere. – Ja was ist, Sam?

Sam: Einen Augenblick Geduld, erhabener Hafenkommandant. Piep. Piep. Information nicht zugänglich.

Jonas: Nanu.

Sam: Höchste Geheimstufe. Unbekannter Code. Und Aua...

Jonas: Was hast du, Sammy? Was ist passiert?

Sam: Ein elektronischer Hinterhalt. Infro-Anfrage wurde abgefangen und zurückverfolgt.

Jonas: Sicher, Sam?

Sam: Leider ja, Wahna. Sam zerknittert, Wahna. Erwischt auf falschem Fuß. Sam glauben nur Routine, Wahna. Sam können nicht ahnen großes Geheimnis im Busch.

Jonas: Krieg dich wieder ein, Sammy. Passiert ist passiert.

Jonas: Knappe 24 Stunden später tanzte ich im After Eight an, um dort meine Drüse abzuholen. Ober-Organu Guttapercha steckte 3000 Euros ein, drückte mir einen Kühlbehälter in die Hand, und damit wollte ich gleich zu van Brendel, wie es sich gehört für einen braven Privatdetektiv.

Guttapercha: Sie bleiben noch einen Moment hier, Jonas.

Jonas: Danke, ich hab’s eilig. Ich möchte nichts trinken.

Guttapercha: Zu trinken kriegen Sie auch nichts. Sie kriegen was anderes. Nämlich das!

Jonas: Ah!

Jonas: Ehe ich was unternehmen konnte, hatten sie mich schon fest im Griff. Die Herren Crap und Turt.

Guttapercha: Ich habe es Ihnen schon mal gesagt, Jonas. Sie sind zu neugierig, Sie und Ihr gottverdammter Computer. Sie interessieren sich für Sachen, die gefährlich sind. Sehr gefährlich.

Jonas: Das... das war wirklich reine Neugier. Nichts Ernstes.

Guttapercha: Wissen Sie was, Jonas, das glaube ich Ihnen sogar. Ich gebe Ihnen einen Rat. Vergessen Sie die Präsidente Tabasco und alles was damit zusammenhängt.

Jonas: Aber gerne, schon vergessen.

Guttapercha: Ob ich Ihnen das auch so ohne weiteres glauben kann. Sicherheitshalber werden wir Ihnen eine kleine Erinnerung mit auf den Weg geben, ein Denkzettel, wie man so sagt. Wenn ich bitten darf, Mr. Crap, Mr. Turt.

Mr. Crap: Jawohl, Chef.

Guttapercha: Langsam, haut ihn nicht gleich zum Krüppel. Denkzettel habe ich gesagt, eine freundschaftliche Abreibung, mehr nicht.

Mr. Crap: Schade.

Jonas: Nach der Abreibung ließen sie mich laufen. Mit der Bauchspeicheldrüse. Laufen konnte ich noch, und auch sonst war ich noch einigermaßen beieinander. Kleinere Betriebsunfälle steckt Jonas weg, ohne mit der Wimper zu zucken. Nachdem ich mich mit einem dreistöckigen Whiskey erfrischt hatte, rief ich meinen Auftraggeber an, und bestelle ihn zu mir.

Jonas: Bitte sehr. Einmal Pankreas on the rocks.

Brendel: Wunderbar, ganz wunderbar. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin. Hatten Sie Schwierigkeiten?

Jonas: Ein bißchen.

Brendel: Aber das hat Sie nicht abgehalten. Sie nicht. Sie haben die Sache großartig gemacht, Jonas. Wie, will ich gar nicht wissen. Was kriegen Sie?

Jonas: Insgesamt drei Tage zu je 80 Euros, das macht, äh... äh Sam?

Sam: Äh, äh, 240 Euros, o Gaus, Euklid nebst öh, Einstein. Plus 270 Euros Spesen, welche sich zusammensetzen wie folgt...

Brendel: Nicht nötig, geschenkt. Mein Computer wird Ihrem Computer den Betrag sofort gutschreiben. Dazu einen Bonus von 300 Euros, weil Sie so tüchtig waren, und so fix.

Jonas: Na bitte. Es gab eben noch wahre Dankbarkeit unter den Menschen. Ich war um runde 600 Euros reicher. Und das wär’s gewesen. Aber ich war nicht nur reicher, ich war auch stur. So stur wie der alte Phil Marlowe. Mindestens. Für mich war die Sache noch nicht zu Ende.

Sam: Costaguana, o starker Atlas, der du die Welt weder auf den Schultern trägst noch im Kopfe, Costaguana ist ein kleiner Staat in Zentralamerika. Eine sogenannte Bananenrepublik. Bevölkerung: ca. 23 Millionen. Export tropische Früchte. Keine Industrie. Regierungsform: Präsidentschaft ohne Parlament.

Jonas: Besondere Kennzeichen: keine. Und da kommen also Organe für unseren schwarzen Markt her, in Mengen. Interessant. Was hätte Marlowe in meinem Fall gemacht, Sam?

Sam: Nachgehakt, Chef, nachgebohrt.

Jonas: Dann bohren wir doch mal ein bißchen. Wieviel habe ich auf dem Konto?

Sam: 1102 Euros, o du mein Nabübchen.

Jonas: Soviel?

Sam: Die Abfindung im Reservatsfall ist noch immer nicht zur Gänze ausgegeben, o König Midas, oder meine ich Krösus?

Jonas: A ja. Das dürfte reichen, Sammy.

Sam: Wofür, euer Wohlhabenheit?

Jonas: Costaguana. Hin und zurück.

Sam: Nie im Leben, Kumpel. Schon der einfache Flug mit Chemorock...

Jonas: Chemorock. Wer spricht denn von Chemorock. Bin ich Millionär? Schiff, Sammy, Lastensegler. Damit fahren wir rüber nach Costaguana, und sehen uns da mal ein bißchen um. Und wenn bei der Organgeschichte nichts rauskommt, dann machen wir vielleicht ein paar Tage Urlaub.

Sam: Urlaub. Blauer Himmel. Weißer Sand. Grüne Palmen.

Jonas: Meinst du, so was gibt’s noch in Costaguana?

Sam: In der Sonne liegen. Im Meer baden.

Jonas: Baden. Im Meer. Jetzt spinnst du aber wirklich, Sam. Wir leben doch nicht mehr im 20. Jahrhundert. Zurück in die Gegenwart, marsch marsch.

Sam: Jawohl, Herr General. Erlaube mir den Hinweis, als eines von nur noch drei Ländern auf dieser unserer Erde, huldigt Costaguana dem atavistischen Visumzwang. Derohalb und Dessentwegen...

Jonas: Werden wir ein Visum beantragen müssen, Sam. Wo?

Sam: Im Costaguanesischen Generalkonsulat zu Babelshafen, Exzellenz.

Jonas: Ich rief an, und erfuhr, ich müßte mir das Visum persönlich abholen. Also auf nach Babelshafen. Mit der Druckluftpost im Metallzylinder, auch bekannt als Sardinenbüchse. Weil jeder Passagier sich auf nur einem viertel Quadratmeter einrichten muß. 10 Minuten zischten wir durch die Röhre. Und ich war da. In Babylons Tor zur Welt. Am Ufer des nordischen Meerbusens. Die übliche Hafen-Atmosphäre. Wellen und Wind. Die Silhouetten der riesigen computergesteuerten Frachtsegler an den Kais. Nur die Möwen fehlten. Die Kneipen voll von leichten Mädchen und leichten Jungs für Seemänner und Seefrauen. Irgendwo dazwischen lag das Generalkonsulat von Costaguana. Und hier sah sich der Typ hinter dem Schreibtisch meine Bürgerkarte an, als hätte ich ihm einen abgelaufenen philippinischen Paß in die Hand gedrückt.

Konsulatsbeamter: Jonas, hhm. Leider kann Ihnen das Visum nicht sofort ausgestellt werden, Senior, eine technisch bedingte Verzögerung. Sie verstehen.

Jonas: Nein. Wann kann ich das Visum kriegen. Maniana?

Konsulatsbeamter: Ich bitte Sie, Senior. Nur ein paar Minuten. Wenn Sie solange im Nebenzimmer Platz nehmen würden. Die rechte Tür.

Jonas: Ah!

Jonas: Die Sonne machte einen jähen Kopfsprung hinter den Horizont, der Mond raste über den Himmel, die goldenen Sternlein prangten, es wurde plötzlich Nacht, und ich legte mich zur Ruhe. Irgendein Zeitgenosse hatte mir ein höchst wirksames Schlafmittel über den Schädel gezogen. Als ich aufwachte, war es immer noch Nacht. Der Mond schien, das Meer rauschte, und die ganze friedliche Stimmung hatte nur einen Schönheitsfehler. Um mich herum standen die Herren Crap, Turt und Guttapercha. Letzterer hielt einen Laserstrahler in der Hand, die Mündung auf meinem Magen gerichtet. Als ich das im Schein der trüben Hafenfunzeln sah, machte ich die Augen ganz schnell wieder zu.

Mr. Crap: Und was nu, Chef?

Guttapercha: Was schon? Weglasern. Dann ins Wasser mit dem Kerl. Der macht uns keine Schwierigkeiten mehr.

Mr. Crap: OK, Chef, Sie haben den Laser.

Guttapercha: Ich? Also, vielleicht macht das doch besser einer von euch. Crap?

Mr. Crap: Wie Sie wollen, Chef. Dann schmeißen Sie das Ding mal rüber.

Jonas: Mein Stichwort. Ich kam hoch, und bevor die drei was mitkriegten, hatte ich den Laser in der Hand. Amateure. Das heißt, Crap und Turt waren immerhin soweit Experten, daß sie sich ganz schnell in die Büsche schlugen. Guttapercha wollte auch, aber er war ein bißchen zu lahm. Und weil ich gerne einen der Brüder dabehalten hätte, um ihn auszuquetschen, schickte ich ihm einen Laserstrahl nach. Das Knie war gemeint, aber ich war noch nicht voll da, und traf ihn einen guten Meter höher. Guttapercha fiel um, und als ich bei ihm war, lebte er nicht mehr. Ich sah mich um, keiner da, um so besser. Ich räumte ihm die Taschen aus, und dann, was sollte ich machen, rollte ich ihn ins Wasser.

Sam: Die Affäre, o Poposeidon, nimmt ungeahnte, und wie zu bemerken ich mich nicht enthalten zu können glaube, höchst gefährliche Dimensionen an.

Jonas: Sam hatte ich bei mir. Sam habe ich immer und überall bei mir. Natürlich nicht den großen Kasten, der im Büro steht, sondern Sam zwo oder auch Pocket-Sam. Ein Ableger im Miniformat. Guter Rat in jeder Lage, und Gesellschaft dazu.

Jonas: Irgendwer hat irgendwas zu verbergen.

Sam: Und scheut, wie es scheint, selbst vor Mord nicht zurück.

Jonas: Wenn schon. Jetzt erst recht.

Sam: Leicht gesagt, wie wollen Durchlaucht nach Costaguana kommen ohne Visum?

Jonas: Sieh mal an. Ein Dauervisum für Costaguana, ausgestellt auf Archimedes Guttapercha. Schade, daß ich dem Kerl gar nicht ähnlich sehe. Das Holobild läßt sich nicht ändern, leider.

Sam: Das Holobild nicht, wohl aber dero Antlitz.

Jonas: Mein Gesicht? Plasti-Face meinst du?

Sam: Natürlich, Genosse. Andererseits aber auch wieder nicht natürlich, da für euer Gnaden Geldbeutel viel zu teuer.

Jonas: Tja, Sammy, du weißt eben doch nicht alles.

Sam: Wie darf ich das verstehen?

Jonas: Wir haben Bargeld, Sam. Der gute alte Guttapercha, möge er in Frieden schwimmen, hatte einen ganzen Tausender in der Tasche, welchen einem guten Zweck zuzuführen ich nicht zögern werde.

Sam: Majestät wollen sich gesichtsmäßig in Guttapercha umwandeln?

Jonas: Wenn’s zur Wahrheitsfindung beiträgt.

Sam: Amen.

Jonas: In Babelshafen gibt es alles. Auch einen Plasti-Face-Shop, direkt neben dem letzten, in Ehren ergrauten Tätowierer, dem ich im Vorbeigehen einen freundlichen Gedanken widmete. Von Kollege zu Kollege sozusagen.

Angestellte: Ein anderes Gesicht, der Herr? Warum nicht? Öfter mal was Neues, sagten schon unsere Großeltern. Und wie wünschen Sie?

Jonas: So. Wie auf diesem Holo.

Angestellte: Hmh. So wollen Sie aussehen? Wirklich? Unter uns, also ich würde an Ihrer Stelle dann doch lieber das Gesicht behalten, das Sie jetzt auf dem Hals tragen. Nein? Na gut, es ist Ihr Bier und unser Geschäft. Wann paßt es Ihnen?

Jonas: Sofort.

Angestellte: Wollen mal sehen. Ja, zufällig ist ein Platz im Tank frei. Legen Sie ab.

Jonas: Die Prozedur war kurz, teuer und schmerzlos. Ich stieg in den Elektro-Plastik-tank als Jonas, und als ich rauskam war ich, vom Hals ab aufwärts, Archimedes Guttapercha. Mir blieb auch nichts erspart. Ich nahm mir vor, eine Zeit lang nicht in den Spiegel zu kucken. Mit dem neuen Gesicht und mit dem Visum kriegte ich ohne Schwierigkeit ein Ticket nach Costaguana. Ich mußte mich beeilen. Die Präsidente Tabasco wollte gleich ablegen. Vorher rief ich vom Kai aus in Babylon an.

Judith: Hier spricht die automatische Fonbeantwortung Judith Delgado. Sie hören eine Aufzeichnung. Durch einen beruflichen Wechsel bin ich zur Zeit stark in Anspruch genommen und daher vorläufig nicht zu erreichen. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht. Bitte sprechen. Bitte sprechen.

Jonas: Auch Jonas können die Worte fehlen. Meist gerade dann, wenn er sie händeringend braucht. Nichts zu machen. Aufbruch ohne Abschied ist sowieso besser. El Präsidente Tabasco landete pünktlich in El Dorado, der Haupt-, Hafen- und überhaupt einzigen Stadt von Costaguana. Und der Mann mit Guttaperchas Gesicht wurde empfangen wie ein Staatsgast.

Posada: Senior Archimedes Guttapercha, Oberstleutnant Elena Posada, Adjutantin erster Klasse bei seiner Erhabenheit, dem Präsidenten.

Jonas: Tante Gusto Tenjente, stehen Sie bequem.

Posada: Ich habe die Ehre, Sie in Ihr Hotel zu begleiten. Sie werden in Kürze Gele-genheit zu einer Audienz bei seiner Erhabenheit erhalten. Ich darf Ihnen versichern, daß seine Erhabenheit dem Gespräch mit größtem Interesse entgegen sieht.

Jonas: Ich auch. Aber zuerst das Hotel. Eine große Suite. 80 Quadratmeter mindestens. Essen so so, Trinken bestens. Whiskey, echter, nicht Synth. Zur freien Verfügung. Costaguana war ein Schlaraffenland, wenn man Guttapercha hieß, oder wenigstens so aussah. Ich versuchte einen Plan zu machen, aber dazu ging alles viel zu schnell. Eine knappe Stunde später saß ich in einem Benzinauto. So was gab’s noch im wilden Amerika.

Posada: Um der Unterredung den passenden Rahmen zu geben, wünscht seine Erhabenheit, Sie in La Installation zu empfangen.

Jonas: La Installation, was ist das?

Posada: Sie scherzen, Senior Guttapercha.

Jonas: Erstaunlich viel Soldaten haben Sie hierzulande, Oberstleutnant.

Posada: In Costaguana gibt es keine Soldaten, Senior Guttapercha.

Jonas: Ach nein? Und die bewaffneten Uniformierten da draußen?

Posada: Angestellte, Senior Guttapercha, Angestellte im Ministerium für Außenhandel, aber das wissen Sie doch. Sie sind doch nicht zum ersten Mal bei uns.

Jonas: Von da ab hielt ich lieber den Mund. Und sah nur noch stumm aus dem Fenster. Durch die Bananenpflanzungen rechts und links rollten gewaltige Agarautomaten. Die wenigen jämmerlichen Siedlungen dazwischen waren bewacht und eingezäunt. Und eingezäunt oder besser eingemauert war auch unser Ziel, La Installation, was immer das sein mochte. Wir fuhren durch ein bewachtes Tor in der Mauer, und dann lag sie vor uns, die Installation. Mehrere große miteinander verbundene Gebäude, die Fassaden bemalt im schönsten bananenrepublikanischen Barock, dahinter Rohre und Schornsteine, die munter rauchten. Anscheinend eine Art Fabrik. Und über dem Ganzen ein süßer Hauch von Fäulnis.

Posada: Senior Archimedes Guttapercha aus Babylon, Vereinigte Staaten von Europa. Seine Erhabenheit, der Präsident General Don Alfredo Lopez Tabasco de Maricon Ibustament.

Tabasco: Meine liebe Elena, warum so förmlich? Wir kennen uns. Wie geht’s, mein Freund?

Jonas: Danke, Er... Erhabenheit.

Tabasco: Nennen Sie mich Fred. Sie haben abgenommen, Guttapercha. Der Streß, nicht wahr. Immerhin liegt unser gesamter Export in die VSE in Ihrer Hand, in Ihrer bewährten Hand.

Posada: Nicht zu vergessen die Union der Volksrepubliken, Erhabenheit.

Tabasco: Richtig, die UVR haben Sie ja auch. Respekt, mein lieber Guttapercha, Sie sind wirklich unsere Nummer eins drüben, abgesehen natürlich von Frau Professor Caligari, aber die ist eine Klasse für sich, nicht wahr?

Jonas: Seine Erhabenheit war noch jung, und wirkte in seiner edelsteinbesetzten Uniform wie eine Kreuzung aus intergalaktischem Generalissimus und Anmacher vor einem Stimulationsschuppen. Und er redete auch wie ein Anmacher. Ohne Punkt und Komma.

Tabasco: Erzählen Sie, mein lieber Guttapercha, gibt’s was Neues auf ihrem schwarzen Markt? Wie gehen die Geschäfte? Was macht die Korporation?

Posada: Si? Momentico. Für Sie, Erhabenheit.

Tabasco: Danke, Elena. Ja, was. Ja. Nein.

Posada: Noch ein Whiskey, Senior Guttapercha?

Jonas: Warum nicht, danke.

Tabasco: Nein, das mach ich selbst. Lassen Sie Ihr Glas stehen, mein lieber Guttapercha, Sie können später austrinken. Wir machen eine Führung. Eine Führung durch La Installation. Wenn ich mich nicht irre, waren Sie noch nie hier, oder?

Jonas: Nein, Erhabenheit.

Tabasco: Fred, mein lieber Guttapercha. Fred.

Posada: Wünschen Erhabenheit, daß ich die Leibgarde rufe?

Tabasco: Nicht doch, Elena, wir sind unter uns. Unter Freunden. Ein zwangloser Rundgang zu dritt. Informell. Intim. Enmarcha.

Jonas: Durch einen langen Gang kamen wir auf eine Plattform. Nein, eine Plattform war es eigentlich nicht. Eher eine Scheibe aus Plexiglas, durchsichtig und ungeheuer groß. Mindestens 100 mal 100 Meter. Sie war gleichzeitig Fußboden und Decke. Wir standen darauf, und unter unseren Füßen sahen wir einen weiten Raum, durch Zwischenwände unterteilt in viele viele schmale Verschläge. Wie Waben in einem Bienenkorb. In jedem Verschlag hockte oder lag ein Mensch, nackt, reglos, aber atmend.

Tabasco: Betäubt, mein lieber Guttapercha. Ruhiggestellt. Das ist praktisch, human und nicht teuer, weil wir das Opium im Lande produzieren. In erster Linie achten wir natürlich darauf, daß sie tüchtig essen. Wie spät ist es, Elena?

Posada: 17 Uhr 32, Erhabenheit.

Tabasco: Schade. Die nächste Fütterung findet erst in drei Stunden statt. Das hätte ich Ihnen gern gezeigt, mein lieber Guttapercha. Wenn Sie... wenn Sie an diesem Hebel ziehen, öffnet sich im Plexiglas eine Klappe. Hier. Wie Sie bemerken, befindet sich darunter, unter der Klappe, ein Trog. Und in diesen Trog wird von hier oben der Brei gegossen. Wir füttern eine äußerst gesunde Mixtur. Proteine, Eiweiß, Vitamine etc. Schließlich wollen wir unseren guten Kunden und Abnehmern fehlerlose Ware liefern. Abnehmer. Da fällt mir ein, vor wenigen Minuten habe ich übers Telefon eine betrübliche Mitteilung erhalten. Ihre Waffe ist schußbereit, Elena?

Posada: Jawohl, Erhabenheit.

Tabasco: Äh, ja, was wollte ich sagen.

Jonas: Eine betrübliche Mitteilung, Erhabenheit.

Tabasco: Ja.

Jonas: Äh, Fred.

Tabasco: Richtig. Stellen Sie sich vor, unser europäischer Zwischenhändler ist tot. Man hat ihn bei Babelshafen aus dem Wasser gefischt. Ein gewisser Archimedes Guttapercha. Tüchtiger Mann. Wir werden sein Andenken in Ehren halten. – Sie sagen nichts?

Jonas: Was soll ich sagen? Ich bin sprachlos. Ganz offensichtlich eine Falschmeldung.

Tabasco: Das glaube ich kaum. Wenn er eine verdächtige Bewegung macht, Elena, dann schießen Sie.

Posada: Zu Befehl, Erhabenheit.

Tabasco: Sehen Sie, mein lieber falscher Guttapercha, gerade eben haben Sie behauptet, Sie seien noch niemals hier gewesen. Nun hat aber der gute echte Guttapercha La Installation schon mehrmals besucht. Geben Sie auf? Sie müssen dieser Mensch sein, von dem Guttapercha erst kürzlich aus Babylon berichtete. Ein biblischer Name, äh, Josafad, Jonathan...

Jonas: Jonas. Nur Jonas.

Tabasco: Jonas, ganz recht. Sie sind neugierig, mein lieber Jonas. Sie wollen hinter die Kulissen des schwarzen Organhandels sehen. Bitte sehr. Sehen Sie. Das hier ist die Quadra, der Stall. Weiter hinten die Anästhesie. Schonend und human, das kann ich Ihnen versichern. Und das eigentliche Schlachthaus, die Carniserisa. Eine weitgehend automatisch arbeitende Anlage, hygienisch, sauber, auf dem neuesten Stand der Technik. Dann gibt es noch die Speicher und die Kühlsysteme.

Jonas: Danke, das reicht mir.

Tabasco: Aber mein lieber Jonas, seien Sie doch nicht so emotional. Betrachten Sie die Sache vernünftig, mit kühlem Kopf. Costaguana ist ein armes Land. Unser einziger Rohstoff ist der Boden. Und den haben wir schon vor Jahrzehnten verkauft an Bananas Incorporated USA. Ansonsten haben wir Menschen. Menschen im Überfluß. Als Arbeitskräfte sind sie nicht gefragt. Die Bananenplantagen werden vollautomatisch bewirtschaftet. Was tun? Mein verehrter Herr Vorgänger und Vater hatte eine großartige Idee. Auch der Mensch ist Rohstoff und als solcher verwertbar. Zumindest in Teilen. Die eigentlichen Dimensionen dieser seiner Idee sind Papa allerdings noch nicht voll aufgegangen. Er fing klein an, politische Gegner, Guerilleros, die ihm Sorgen machten, wurden nicht mehr wie in alter Zeit an die Wand gestellt und verscharrt. Das, so Papa, sei Verschwendung. Er ließ die Leute zerlegen und verkaufen. Aus solch bescheidenen Anfängen ist inzwischen eine Großindustrie geworden. Die Bevölkerung vermehrt sich fromm und fleißig. Wir haben auf dieser Basis aufgebaut, wir haben erweitert, wir haben investiert, dank der finanziellen Hilfe, die wir über ZIP und Frau Professor Caligari bekommen haben. Und so haben wir vor noch nicht einmal einem Jahr La Installation einweihen können. Ein Musterbetrieb, mein lieber Jonas. In seiner Art einmalig auf der Welt.

Jonas: Das will ich doch hoffen.

Tabasco: Unsere Ware geht in den schwarzen Weltmarkt. Offiziell, das versteht sich, können wir nicht bekannt geben, wie wir produzieren, aber die Regierungen, alle Regierungen, auch ihre, mein lieber Jonas, wissen Bescheid. Nicht nur, daß sie nichts gegen uns unternehmen, sie greifen uns auch hilfreich unter die Arme. Organe zum Transplantieren sind weltweit knapp. Ohne Schwarzmarkt geht es einfach nicht. Wenn es uns nicht gäbe und unsere Lieferungen, dann würde der Nachschub von ihren Kriminellen organisiert werden, und die würden sich die Organe nachts auf den Straßen besorgen. Bevor es dazu kommt, in den VSE, den USA, der UVR, bevor man es soweit kommen läßt, handelt man denn doch lieber mit uns. Ein Marktproblem, mein lieber Jonas, Angebot und Nachfrage. Die Welt, die reiche, die industrialisierte Welt, braucht dringend Organe. Wir haben, wir liefern und wir verdienen. Wir verdienen nicht schlecht. Apropos, wie hoch schätzen Sie sich ein, mein lieber Jonas? Ihr Schweigen, meine ich. Es ist ja nicht unbedingt nötig, nicht wahr, daß alle Welt informiert wird über unsere Organindustrie. Gewisse kuriose Menschen, wie es sie gerade bei Ihnen gibt, könnten Geschrei erheben. Keine ernsthafte Bedrohung, aber doch lästig. Kurz gefragt, mein lieber Jonas, wieviel?

Jonas: Mein lieber Fred, ich bin unbezahlbar.

Tabasco: In diesem Falle, mein bester, werden wir Sie wohl verwerten müssen. Schade.

Jonas: Wir waren noch immer auf der Plattform aus Plexiglas, hoch über den willenlosen Organspendern, zu denen bald auch Jonas gehören sollte. Dagegen mußte was unternommen werden. Ich machte einen Plan. Es war vielleicht kein sehr guter Plan, aber ein besserer fiel mir nicht ein.

Tabasco/Posada: Ah!

Jonas: Ich wartete, bis Präsident und Adjutantin zusammen auf der Futterklappe standen, suchte hinter dem Rücken mit der linken Hand den Hebel, fand ihn, zog daran, die Klappe ging auf, beide stürzten in den Futtertrog und blieben bewußtlos liegen. Ende des ersten Akts. Zweiter Akt. Ich kletterte vorsichtig nach unten, zog sie aus, ein nackter Präsident unterscheidet sich nicht erheblich von einem nackten Pion, legte sie in zwei freie Verschläge und ließ sie an den Enden der Gummiröhrchen lutschen, die in den Opiumtank führten. Die Uniformen versteckte ich unter einer Pritsche. Dritter Akt: Ich stieg wieder nach oben und dachte laut nach, zusammen mit Sam.

Sam: Seine Erhabenheit, der Präsident, wie auch Oberstleutnant Posada, können meinem Meister kaum noch gefährlich werden. Aller Voraussicht nach werden sie unerkannt zu menschlichen Ersatzteilen verarbeitet werden.

Jonas: Sicher, Sammy, aber das ist nicht das Problem.

Sam: Sondern?

Jonas: Wie komme ich hier raus?

Sam: Das sollte dem hochgeehrten Staatsgast Arch... Arch... Archimedes Guttapercha keine Schwierigkeiten machen.

Jonas: Du bist nicht auf dem Laufenden, Sam. Die Story ist geplatzt.

Sam: Hoheit belieben sich in einem Irrtume zu befinden. Wer weiß denn von dero wahrer Identität, doch nur Präsident Tabasco und seine Adjutantin, sonst niemand.

Jonas: Stimmt, Sam. OK, bluffen wir uns raus.

Jonas: Entschlossen marschierte ich durch die Korridore der Installation, und sah keinen Menschen. Bis ich zu dem Raum kam, wo der Kerncomputer der Sicherungsanlage arbeitete, hier stand ein Soldat Wache. Aber bald stand er nicht mehr, er lag. Verschnürt mit einem kräftigen Kabel. Und der geehrte Staatsgast studierte die Anlage.

Jonas: Was hältst du davon, Sam?

Sam: Nun ja, der allerletzte Schrei ist es nicht, aber immerhin der vorletzte.

Jonas: Kommst du rein, Sammy?

Sam: Das wird sich machen lassen. Was befielt mein Herr und Meister?

Jonas: Als erstes unterbrichst du jede Verbindung nach außen.

Sam: Wird gemacht, Chef.

Jonas: Dann müßtest du die elektronische Sicherung auslösen, und festklemmen. Verstehst du. Das niemand mehr raus oder reinkommt. Und daß die Sperre von innen nicht aufzuheben ist.

Sam: Schwierig, aber nicht unmöglich. Vermutlich wünschen Durchlaucht den Komplex vorher zu verlassen.

Jonas: Soviel Zeit mußt du mir schon geben, Sam. In sieben, acht Minuten sollte ich spätestens am Tor sein. In 10 Minuten machst du den Laden dicht, klar?

Sam: Countdown läuft.

Jonas: Bis zum Tor klappte der Zeitplan, aber dann kam Sand ins Getriebe, der Wächter war mißtrauisch, wie Wächter nun mal sind und bewaffnet bis an die Zähne.

Soldat: Halto. Passaporte.

Jonas: Lobenswerte Pflichterfüllung, mein Guter, aber in meinem Fall absolut unnötig. Ich bin Gast seiner Erhabenheit des Präsidenten, machen Sie keine Geschichten, lassen Sie mich durch.

Soldat: Nix. Nur durch mit Pasaporte spezial. Don del passaporte spezial.

Jonas: Ich brauch keinen Sonderausweis. Gott, ist der Kerl stur. Wieviel Zeit haben wir noch, Sammy?

Sam: Acht Sekunden.

Jonas: Also noch mal, Amigo, ich bin Staatsgast, Ehrengast, du mich durchlassen, sonst du erschossen. Bum.

Soldat: No. Hamas. Ho! Alarma!

Jonas: Caramba!

Sam: Eine Sekunde.

Jonas: Ein munteres Durcheinander. Einen Augenblick lang war der Posten verwirrt. Ich stieß ihn zur Seite und machte einen gewaltigen Satz vors Tor. Der Kerl riß einen Flammenwerfer hoch, da sagte Sam zero. Und prompt ging zwischen mir und dem Posten die unsichtbare elektronische Schutzwand runter. Gefahr vorbei, Feuer kam nicht durch. Ich setzte mich in das Auto, das mich hergebracht hatte, und fuhr zurück. Nicht nach El Dorado, sondern an der Stadt vorbei zum Flughafen.

Jonas: Wenn alles klappt, Sam, sind wir in zwei Stunden zuhause.

Sam: Wie dieses, Sahib? Ein Lastensegler?

Jonas: Nichts Lastensegler. Chemorock, Sammy, Chemorock.

Sam: Angesichts der finanziellen Situation euer Majestät dürfte ein Heimflug mittels chemischer Rakete sich als entschieden zu kostspielig erweisen.

Jonas: Ach weißt du, Sam, ich hab schon wieder eine hilfreiche Hosentasche gefunden. Diesmal bei seiner Erhabenheit. Und darin steckt eine dicke Rolle 1000-Peso-Noten. Der Präsident hat nichts mehr davon, und ich kann’s gut gebrauchen. Für Chemorock-Luxusklasse, und für die Costaguanesischen Ausreisebeamten mit den offenen Händen und den zugedrückten Augen.

Sam: Wenn der bescheidene Rechenknecht ein Fazit ziehen darf, Hoheit sind heil in Babylon eingetroffen, haben sich, dem Himmel sei Dank, in Jonas zurückverwandelt, und können einen Reingewinn von rund 7500 Pesos verbuchen. Piep. 232 Euros zum heutigen Umrechnungskurs.

Jonas: Soweit so gut, Sam. Aber der Fall ist noch nicht abgehakt und ausgestanden. Es muß sich doch irgendwas tun lassen gegen den Schwarzmarkt, gegen die Organwirtschaft in Costaguana.

Sam: Und was, o Helfer der Witwen und Waisen.

Jonas: Wenn ich das wüßte, Sammy.

Jonas: Ich rief Judith an. Aber Judith war nicht zu Hause. Ich rief Julian van Brendel an. Weil ich eine dankbare menschliche Stimme hören wollte. Aber der war auch nicht zu Hause.

Jonas: Wer spricht?

Computer: Hier ist der persönliche Computer des Herrn Julian van Brendel. Herr van Brendel ist verschieden.

Jonas: Was? Woran? Wann?

Computer: Herr van Brendel starb am 24. September 2009 während einer Transplantation. Todesursache: Unverträglichkeitsreaktion auf die ihm übertragene Bauchspeicheldrüse.

Jonas: Beileid.

Computer: Hier ist der persönliche Computer des Herrn Julian van Brendel. Herr van...

Jonas: Unverträglichkeit. Und Frau Prof. Caligari. Ich hab so ne Ahnung. Sam!

Sam: Mein Gebieter.

Jonas: Ratio der Todesfälle durch Unverträglichkeit bei Transplantation illegal erworbener Organe.

Sam: Zeitraum?

Jonas: Dieses Jahr. Vom 1. Januar bis heute.

Sam: Kommt sofort, Meister. Piep. Rate besagter Todesfälle liegt um 187 % über dem Durchschnitt des Jahres 2008.

Jonas: 187 %. Das ist es, Sammy.

Sam: Das ist was, o Inbegriff aller Intelligenz.

Jonas: Paß auf. Nach der Ausschiffung kommen die schwarzen Organe nicht gleich auf den Markt, sondern erst zu Frau Professor Caligari, ins Zentralkrankenhaus. Und da werden sie verseucht, vergiftet, unverträglich gemacht, was weiß ich. So schlägt ZIP zwei Fliegen mit einer Klappe. In Costaguana wird die Bevölkerung dezimiert, und bei uns auch. Alles paßt zusammen, Sam. Und jetzt weiß ich auch, was wir tun müssen. Wir bringen die Geschichte unter die Leute.

Sam: Sinnlos, großer Häuptling. Was im Schlachthaus von Costaguana passiert, interessiert hier keinen Menschen, der eine neue Niere braucht oder ein neues Herz.

Jonas: Stimmt schon, Sammy, aber daß er an einer neuen Niere und einem neuen Herzen eingehen wird, das interessiert ihn, da kannst du sicher sein. Und das verbreiten wir. In den Dateien, den Medien, überall.

Jonas: Vorher rief ich noch mal bei Judith an. Aber Judith war immer noch nicht zu sprechen. Jonas war allein. Abgesehen von Sam natürlich.

Jonas: Weißt du, Sam, wie ich mich fühle? Wie ein Bessett, dem man auf die Ohren getreten hat.

Sam: Was, o Herr und Gebieter, ist ein Bessett?

Jonas: Berechtigte Frage, Sammy. Gehen wir an die Arbeit.

Sam: Piep. Wau Wau.

Das war Schlachthaus. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Andrea Dahmen, Peter Fricke, Alexander Malachovsky, Edwin Noel, Günter Sauer und viele andere (Fred Klaus, Wilfried Klaus, Andrea Rosenberg, Heiner Schmidt, Selestino Sanchez, Renate Grosser). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:11
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Requiem

Sam: Alles neu macht der Mai, macht die Seele froh und frei.

Jonas: Sam! Halt den Schnabel, Sammy.

Sam: Aber Chef, Sam hat keinen Schnabel. Sam ist kein Vogel. Sam ist ein Computer. Laß das Haus, kommt hinaus, bindet einen Strauß.

Jonas: Und Computer, die nicht gehorchen, kommen auf den Schrottplatz. So, jetzt kann ich mal was sagen. Zur Richtigstellung sozusagen.

Jonas: Es war nämlich gar nicht Mai. Nicht mal ein bißchen. Im Gegenteil. Es war Herbst. Trüber grauer Spätherbst. 7. November 2009. Und alles neu, das stimmt auch nicht, jedenfalls nicht ganz. Gut, ich hatte mir was Neues zum Anziehen geleistet, einen antiken Trenchcoat Marke Bogie, nicht billig, aber edel. Meinte Judith. Und für den guten Sam war ein funkelnagelneuer Vocoder drin gewesen. Der vorige hatte an hochgradiger Altersschwäche gelitten. Immerhin hatte er, ja, fast 5 Jahre auf dem Buckel. Im Jahr 2005 hatte ich Sam gekauft. Damals hieß er noch nicht Sam, sondern...

Sam: Doktor Chrysostomus MacCoy Incorporated.

Jonas: Sam ist mein Computer. Seine erste und eigentliche Existenz hat er in meinem Büro, als unbeweglicher Kasten, Terminal, Nerven- und Schaltzentrum, Kartei, Datei et cetera. Dann gibt es noch Sam zwo. Die Taschenausgabe mit drahtloser Verbindung zu Sam eins. Sam zwo hab ich ständig bei mir. Ich brauche ihn. Auch wenn er mir oft genug auf die Nerven geht. Er ist nämlich überzüchtet. Überhochmetzt. Programmatisch überfüttert. Oder sagen wir einfach verrückt.

Sam: O du mein Jonas. Jonas über alles. Ich kann dir nicht böse sein. Hast du doch tief in die Tasche gegriffen, um mich mit einem neuen Vocoder zu beglücken. Ist er nicht schick? Klingt er nicht wunderbar? Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick.

Jonas: Du bringst dich auf den Schrottplatz, Sammy.

Jonas: Sie hören es: Sam war wieder so gut wie neu. Und die Beziehung zwischen Judith und mir auch. Wir wollten noch mal anfangen, nach den Streitereien der letzten Monate.

Jonas: Also doch irgendwie Mai. Trotz November.

Sam: Sag ich doch, Alter.

Jonas: Weil wir beide, Judith und ich, Nostalgiker sind, buchten wir Plätze im Romantic-Park. Und im Romantic-Park ist es immer Frühling. Dank Klima-Konverter und Holo-Projektion. Wir saßen auf unserer Zweier-Bank. Über uns wölbte sich ein klarer Sternenhimmel. Auf kleinen Teichen schwammen große Schwäne. Weiß, wie frisch aus der Waschmaschine. Aus dem Gebüsch dudelten Soft-Pop und Nachtigallen vom Band. Soweit alles Bestens. Wenn da nicht ein altes Problem in der lauen Mai-Nacht gestanden hätte.

Judith: Gib`s zu, Jonas, es ist nur Stolz.

Jonas: Nur?

Judith: Dummer alberner unsinniger Stolz. Du bist zurückgeblieben, Jonas. 50 Jahre mindestens.

Jonas: Na und? Die Mitte des 20. Jahrhunderts ist meine Zeit. Die Zeit von Phil Marlowe und Konsorten. Als das Leben noch lebenswert war. Hart und wild. Eine Aufgabe. Eine Bewährung. Lachen Sie nicht. In den Büchern steht’s so.

Judith: Wo ich doch nun mal in einer höheren Wohnraumklasse bin.

Jonas: Kann man wohl sagen, bei 40 Quadratmeter.

Judith: 48 Quadratmeter.

Jonas: 48. Wie... wieso 48?

Judith: Seit ich befördert bin. Eine Hauptabteilungsleiterin bei der öffentlichen Sicherheitsverwaltung hat Anspruch auf 48 Quadratmeter.

Jonas: Gratuliere.

Judith: Also?

Jonas: Also was?

Judith: Du ziehst zu mir. Platz haben wir genug. Dein 20-Quadratmeter-Loch.

Jonas: 22.

Judith: Das kannst du ja als Büro behalten, wenn dein Herz schon an diesem Beruf hängt, der dir nichts einbringt, außer Schrammen und Beulen.

Jonas: Ich bin Detektiv. Privatdetektiv. Der letzte seines Zeichens. Vielleicht auf der Welt. Wahrscheinlich in den Vereinigten Staaten von Europa. Mit Sicherheit in Babylon. Kein begehrter Beruf. Judith hatte nicht so Unrecht. Das Leben war unsicher. Gefährlich. Und reich werden konnte man dabei auch nicht. Aber besser als eine stumpfsinnige Volksrenten-Existenz war es allemal.

Jonas: Sammy, wie sagt Chandler?

Sam: Viel Geld ist nicht drin. Jede Menge Ärger ist drin, aber auch `ne Menge Spaß. Und immer die Hoffnung auf einen großen Fall.

Jonas: Hast du gemerkt, Judith? Sam hat eine neue Stimme.

Judith: Keine Verbesserung, wenn du mich fragst. Kannst du den Schnatterkasten nicht zu Hause lassen, wenn wir verabredet sind?

Jonas: Das nächste Mal.

Sam: Was muß ich da hören, o Sonne meiner Software?

Judith: Misch dich nicht ein, Sam.

Sam: Sam erhält seine Anweisungen einzig und allein von seinem Herrn und Meister. Und sein Meister und Herr ist...

Jonas: Ruhe.

Sam: Ruhe?

Jonas: Absolute Ruhe, Sam.

Sam: Der Großmeister trefflicher verbaler Verknappung meint, Sam solle nichts sagen? Keinen Satz? Kein Wort? Keinen Buchstaben? HuHuHu! Jammer, Jammer, Weh und A...

Jonas: Sei doch jetzt endlich still, verdammt noch mal.

Sam: Jawohl, mein Fähnleinführer. Ein Wink genügt, und Sam ist still. Er sagt nichts mehr. Auch wenn eine Nachricht von persönlicher Dringlichkeitsstufe 1 anliegt. Gar nichts sagt Sam. Er schweigt.

Jonas: Mo-ment, Sammy. Was war das mit persönlicher Dringlichkeitsstufe 1? Hast du nicht gehört?

Sam: Sam schweigt eisern. Wie das Gesetz es befahl.

Jonas: OK OK OK. Hast du nun eine dringende persönliche Nachricht für mich oder nicht?

Judith: Laß doch den dummen Computer, Jonas.

Sam: Dummer Computer hat Nachricht für hochehrwürdigen Herrn Stabsfeldwebel.

Jonas: Raus damit.

Judith: Das hat doch Zeit.

Sam: Majestät wünschen Nachricht zu hören?

Jonas: Ja, ich wünsche. Entschuldige Judith, aber...

Sam: Randy Orgas ist tot.

Jonas: Was?

Sam: Randy Orgas ist tot. Meldung durch epa vor 5 Minuten. Bestätigung vor 1 Minute 33 Sekunden.

Judith: Orgas? Randy Orgas? Ein Rockmusiker, oder?

Jonas: Ein Rockmusiker, jawohl. Ein ziemlich bekannter sogar. Chef und First Player der Gruppe Fuck The Duck. Und der Freund eines ziemlich unbekannten Privatdetektivs namens Jonas. Vor zweieinhalb Jahren hatte ich ihn kennen gelernt. Im Sommer 2007. Böse Menschen hatten ihm sein goldenes Keyboard weggenommen, und wollten es nur gegen einige Millionen zurückgeben. Ich brachte die Sache in Ordnung. Auf meine Art. Und danach kam Randy mich ab und zu besuchen. Wir sahen uns ähnlich. Auch wenn er viel jünger war. Und das faszinierte ihn. Vielleicht war ich für ihn ein Spiegel der Zukunft. Oder er brauchte so was wie eine Vaterfigur. Außerdem hatte ihm mein Stil imponiert. Von seinem konnte ich das nicht sagen. Plastik-Rock-Pop ist nicht meine Musik. Und damals war Randy mit seinen Ducks der unbestrittene King of PRP. Inzwischen hatte er ein bißchen abgebaut. Er war nicht mehr jede Woche in den Charts. Aber für den einen oder anderen Hit reichte es noch. Manchmal. Der letzte, warten Sie, das war...

Sam: Dritte Aprilwoche 2009. Nummer 17 in Euro-Chart, 26 in World-Chart.

Jonas: Also doch schon ein gutes halbes Jahr her. Titel? Sammy, was ist denn? Ich will den Titel von Randy Orgas letztem Hit.

Sam: Wenn Hoheit darauf bestehen. Der Titel lautete, wäh, Computer-Tod. Ein höchst ungehöriger, ja obszöner Titel, wenn es armem kleinem Computer erlaubt ist, eine persönliche Meinung zu äußern.

Judith: Ich bin übrigens auch noch da, wenn es mir erlaubt ist, ganz bescheiden darauf hinzuweisen, und darauf, daß wir im Romantic-Park sind, um miteinander zu reden.

Jonas: Ja sicher, Judith, aber verstehst du denn nicht, Randy Orgas ist tot.

Judith: Ja was hat das mit uns zu tun?

Jonas: Es hat was mit mir zu tun. Ich muß was unternehmen, wenn Randy wirklich tot ist.

Sam: Klar ist er tot, Blödmann. Gestorben in Babylon, 7. November 2009. 3 Uhr 23 nachts.

Jonas: Vor gut acht Stunden.

Sam: Todesursache: Herzversagen.

Jonas: Wer hat den Totenschein ausgestellt? Ein Robo-Doc?

Sam: Mitnichten, Majestät. Ein menschlicher Arzt in all seiner biologischen Unvollkommenheit.

Jonas: Name?

Sam: Dr. Waldemar Zirose.

Jonas: Zirose? Kenn ich nicht. Wo ist denn das Büro von Randy Orgas Managerin? Wie heißt die?

Sam: Lexis Scarlet, o Spitze des Eisbergs. Und ihr Büro befindet sich im Musik-center. 39. Stockwerk.

Jonas: Also los, Sammy.

Judith: Jonas, du gehst wirklich?! Du läßt mich sitzen.

Jonas: Tut mir leid. Judith, aber ich muß. Ich muß... sagen wir mich von Randy verabschieden.

Sam: Ach, ein langer Abschied, o spätgeborener Marlowe.

Judith: Was soll das heißen?

Jonas: Ich erklär es dir später, Judith.

Judith: Wenn du dazu noch Gelegenheit hast.

Jonas: Raus aus der künstlichen Maien-Nacht in den tristen babylonischen Novembertag. Mit der Rikscha ins Büro. Aus dem wackligen Verschlag, den mein hochstapelnder Vermieter Safe nennt, nahm ich den Holo-Clip, den Randy mir nach seinem letzten Besuch geschickt hatte. Zurück ins Zentrum. Mit dem üblichen Aufenthalt. Auf dem Bob-Dylan-Platz lief eine unangemeldete Massen-Selbstverbrennung mit großem Zulauf. Und als ich im 39. Stock des Musikcenter aus dem Quick-Lift stieg, wurde ich gleich noch mal aufgehalten. Lexis Scarlets Bürotür wurde bewacht. Von einem grimmigen Vorzimmer-Robot mit elektronischer Barriere.

Vorzimmer-Robot: Halt.

Jonas: Was?

Vorzimmer-Robot: Halt. Sie wünschen, meine Dame bzw. mein Herr?

Jonas: Was hältst du denn von dem Kollegen, Sam?

Sam: Kollege? Ich muß doch sehr bitten, Herr Oberförster.

Vorzimmer-Robot: Sie wünschen, meine Dame bzw. mein Herr?

Jonas: Also, taufrisch ist er nicht mehr. Daß Lexis Scarlet ein so überholtes Modell nicht auswechselt. Geschäft geht wohl nicht so gut, was meinst du, Sam?

Sam: Veraltet? Hmh, besser gesagt, vergreist. Aber stur und zuverlässig. So ohne weiteres kommen wir hier nicht rein, Alter.

Vorzimmer-Robot: Sie wünschen, meine Dame bzw. mein Herr?

Sam: Nun sag ihm schon, was wir wünschen.

Jonas: Lexis Scarlet. Ich will sie sprechen.

Vorzimmer-Robot: Sind Sie mit Frau Scarlet verabredet, meine Dame bzw. mein Herr?

Jonas: Nein, aber ich muß sie trotzdem...

Vorzimmer-Robot: Bedaure, Sie dürfen nicht passieren, meine Dame bzw. mein Herr.

Jonas: Es geht um Randy Orgas. Sag ihr das.

Vorzimmer-Robot: Bedaure, Sie dürfen nicht passieren, meine Dame bzw. mein Herr.

Sam: Was habe ich gesagt, ehrwürdiger Onkel mütterlicherseits? Stur.

Jonas: Stur und blöd.

Sam: Blöd. Das eröffnet gewisse Möglichkeiten. 2 plus 2 ist 3.

Vorzimmer-Robot: Hah!

Sam: 8 mal 0 ist 8. 8 hoch 2 ist 57.

Vorzimmer-Robot: Oh!

Jonas: Sammy, was ist denn los mit dir, alter Junge? Du wirst mir doch nicht krank?

Sam: Ich nicht, geschätzter Hoch- und Deutschmeister. Wohl aber ein gewisser sturer Robot älterer Bauart. Die Quadratwurzel aus 9 ist zwölfeinhalb.

Vorzimmer-Robot: Oh!

Jonas: Kluges Kind, Sammy. Bei einem rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Quadrate über den Kathetern...

Vorzimmer-Robot: Ah!

Sam: Katheten, Dummie.

Jonas: Äh Ka... Katheten, von mir aus, aber jedenfalls ist die Summe nicht im Mindesten gleich dem Quadrat über der Hypo... Hypodings... Hypo... Hypotenuse.

Vorzimmer-Robot: Ah! Aufhören, bitte, aufhören, meine Dame bzw. mein Herr!

Sam: Einmal sieben ist 6. Zweimal sieben ist 11. Dreimal sieben ist 109.

Jonas: Zwei parallele Linien treffen sich...

Sam: An der nächsten Straßenecke.

Jonas: Sagt die eine zur andern...

Vorzimmer-Robot:...

Jonas: Oh. Voll durchgedreht, der arme Kerl.

Sam: Hihihihihihihi. Computer-Kollaps. Inkorrekte Mathematik halten sie nicht aus, diese alten Hündchen.

Jonas: Gute Idee, Sam.

Sam: Trick 17, Schüler Jonas. Da ich auf dero Genialität Kooperation wert zu legen habe, durfte ich mich leider nur auf Minimaldia-Mathematika stützen.

Jonas: Soll heißen?

Sam: Unterste Unterstufe, o Adam Riese. Pythagoras etc., Klippschule.

Jonas: Machen wir jetzt einen Exkurs über meine mathematische Bildung oder was?

Sam: Was, euer Durchlaucht.

Jonas: Was was?

Sam: Wir machen jetzt das, was Sie, o genialischer Verkürzer, so treffend als was bezeichneten. Wir suchen Frau Scarlet auf, die Managerin des seligen Randy Orgas, und da die elektronische Barriere, hihihihi, nun mehr dauerhaft geknackt ist...

Fredo: Was ist denn hier los? Hey, der Robot ist im Eimer.

Jonas: Senile Dysfunktion. Sagen Sie Frau Scarlet, sie soll sich einen neuen kaufen.

Fredo: Ah, Sie haben ihn kaputt gemacht.

Sam: Nein, ich.

Jonas: Der Typ, der in der Tür stand, war doppelt so breit wie ich. Und ich bin kein schmales Handtuch. Er trug formelle Geschäftskleidung. Grauer Blouson, schwarze Bermudas mit Nadelstreifen. Aber wenn der Geschäftsmann war, dann fraß ich meinen Computer. Er roch förmlich nach Gorilla.

Fredo: Wer sind Sie?

Jonas: Jonas.

Fredo: Und?

Jonas: Nur Jonas.

Fredo: Und was wollen Sie?

Lexis Scarlet: Was gibt’s da draußen, Fredo?

Fredo: Ach, hier ist einer, der heißt Jonas, und der hat unseren Robot kaputt gemacht.

Lexis Scarlet: Schmeiß ihn raus, Fredo.

Jonas: Leichter gesagt als getan. Fredo war ein Bulle, aber fix war er nicht. Während er versuchte, mich vorn zu fassen zu kriegen, spazierte ich hinten um ihn herum durch die Tür ins Büro. An den Wänden hingen verstaubte Holo-Disks. Reliquien goldener Hit-Zeiten. Auf dem staubig gelben Teppichboden: ein Schreibtisch. Und dahinter eine angestaubte Musik-Managerin. Unter dem Make-up: goldene Schatten der Vergangenheit. Sie musterte mich, als habe mich die Katze reingetragen. Fredo hatte inzwischen mitgekriegt, wo ich abgeblieben war, und trampelte mir nach.

Lexis Scarlet: Was soll das heißen?

Fredo: Ich kann nichts dafür, Lexis. Erst hat er den Robot kaputt gemacht, und dann ist er einfach um mich rumgelaufen.

Lexis Scarlet: Was will er?

Fredo: Hat er nicht gesagt.

Jonas: Aber jetzt sagt er’s. Ich will Lexis Scarlet was ausrichten. Von Randy Orgas.

Lexis Scarlet: Der ist tot.

Jonas: Eben drum. Sonst wär ich nicht hier. Auf dieser Holo-Kassette steht: Für Lexis, wenn ich tot bin. Sie kennen die Handschrift.

Lexis Scarlet: Zeigen Sie. Ja, Randy, keine Frage. Und?

Jonas: Legen Sie den Clip in Ihren Holo-Set ein. Für Ihren Lakaien findet sich derweil sicher was zu tun.

Lexis Scarlet: Fredo ist mein Sekretär, Jonas.

Jonas: Wenn Sie das sagen.

Lexis Scarlet: Warten Sie draußen, Fredo.

Fredo: Aber, Lexis.

Lexis Scarlet: Raus.

Jonas: Sie legte ein, drückte auf den Knopf, und da stand er. Mitten im Raum. Randy Orgas. Wie ich ihn kannte. Ohne Keyboard, ohne grüne Perücke, ohne Kutte, ganz zivil und fast inkognito. Wenn da nicht der berühmte rechte Mundwinkel mit seinem ironischen Zucken gewesen wäre.

Randy Orgas: Hei, Lexi Baby, und wer sonst noch da ist, vielleicht Tutti, oder DD, oder Scrooge von den alten Ducks. Laß mal Moment das Geldscheffeln, Lexi, hör mir mal zu. Ich bin also abgetreten. Abgeschrammt. Abgefuckt. Hab mich verpißt. Löffel abgegeben. Stiefel ausgezogen. Fini. Schluß. Aus. Ende. Amen. Mit den Mäusen und so ist alles klar. Testament liegt beim Notar. Das hier ist so ne Art Zusatz, mein wirklich und wahrhaftig endgültig allerletzter Wille.

Jonas: Ich erinnerte mich an unser letztes Treffen. Vor vier, fünf Monaten in meinem Büro plus Apartment, 22 Quadratmeter, bißchen eng. Randy war da, und ich, und eine große Flasche Old Forester, von Sammy ganz zu schweigen. Randy stand unter Plastik-Kiff und Solipsin, dazu noch der Whiskey, kein Wunder, daß er sich leicht melancholisch fühlte.

Randy Orgas: Blue, Baby. Down and out. Ich merks am Zwerchfell, Baby. Nicht mehr lange, dann kratz ich die Kurve. Haut auch nicht mehr so richtig hin mit der Musik und so. Solipsin?

Jonas: Nehm ich nicht. Weißt du doch.

Randy Orgas: Allright. Nur nostalgische drugs. Whiskey. Ist auch nicht schlecht. Listen, Jonas Baby, wenn’s mich erwischt hat, will ich auf gar keinen Fall eingebuddelt werden. No, Sir. Ich hab was gegen Schwermetall, und für’s Feuer bin ich auch nicht.

Jonas: Hhm. Hhm. Das Meer? Wie wär’s damit?

Randy Orgas: In die Abwasser-Scheiße? Nie, Baby.

Jonas: Dann bleibt nur der Weltraum.

Randy Orgas: Sounds good, Baby.

Jonas: Es gibt ein paar Firmen, die schießen dich für schweres Geld nach oben. In einem Satelliten. Und dann kreist du um die Erde. Von nun an bis in Ewigkeit.

Randy Orgas: Amen, Baby. 4-3-2-1-zero, wäng. I like it, Baby. Das will ich.

Randy Orgas: Das will ich, Baby. Und weil ich das dann selber nicht mehr kann, wird sich mein Freund Jonas darum kümmern, daß sie mich auch wirklich ins All knallen. Jonas ist OK, der macht das, eh, Jonas Baby? Das war’s, Leute. Spielt mal ab und zu was von mir. Computer-Tod oder den Seveso-Rock oder Software in the Head. Als dann. So long.

Lexis Scarlet: Das ist alles?

Jonas: Das ist alles.

Lexis Scarlet: Deshalb dringen Sie hier ein? Deshalb beschädigen Sie meinen Vorzimmer-Robot und verstören den guten Fredo? Ha, da kann ich nur sagen: Viel Lärm um Nichts.

Jonas: Um Randy.

Lexis Scarlet: Das ist dasselbe. Da ist die Tür.

Jonas: So geht’s nicht. Sie sind Randys Managerin.

Lexis Scarlet: Ich war Randys Managerin. Leichen manage ich nicht. Was mit Randy Leiche passiert, geht mich nichts an. Ich bin die falsche Adresse. Stecken Sie Ihren Holo-Clip wieder ein, Jonas. Gehen Sie ein Haus weiter.

Jonas: Zu wem?

Lexis Scarlet: Zu Tutti.

Jonas: Tutti?

Lexis Scarlet: Tutti Paletti. Der Styler der Ducks. Berater. Beichtvater. Seelischer Mülleimer. Ich bin bloß die Brieftasche. Gehen Sie zu Tutti. Fredo gibt Ihnen die Adresse.

Jonas: Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Lexis. Ein so aufgeschlossenes loyales warmherziges Wesen.

Lexis Scarlet: Geschenkt. Ach, und Jonas...

Jonas: Ja?

Lexis Scarlet: Wenn Sie an einer gut dotierten Dauerstellung interessiert sind...

Jonas: Als Sekretär?

Lexis Scarlet: Sie haben es erfaßt. Fredo läßt stark nach. Also?

Jonas: Hhm. Unwahrscheinlich.

Lexis Scarlet: Hab ich mir gedacht. Falls doch, kommen Sie vorbei.

Jonas: Im schicken Südwesten von Babylon, da wo es vor 20 Jahren noch echte Bäume gegeben hatte, standen heute ein paar Luxus-Wohntempel herum. Mit super postmodernem Geschnörkel. In einem dieser Tempel wohnte Tutti Paletti. Das heißt, eigentlich nicht in, sondern auf. Paletti hatte ein Penthouse. An die 100 Quadratmeter. Pop-Styling war offenbar eine einträgliche Sache. Paletti hatte nicht nur ein Penthouse. Paletti hatte auch Möbel aus Mailand, einen versilberten Ro-Butler, und den letzten Schrei in Statussymbolen: Einen echten japanischen Bonsai.

Paletti: Mein Wald. Ich nenne ihn meinen Wald, hehehe... Ein Scherz.

Jonas: Finden Sie?

Paletti: Sie nicht? Also die meisten Besucher halten das für witzig.

Jonas: Soll ich Ihnen sagen, was ich für witzig halte?

Paletti: O, ich bitte darum.

Jonas: Einen Whiskey. Und wenn Sie ihn doppelt machen, lach ich sogar zweimal.

Paletti: Ich verstehe. Gandalf. Gandalf! Ja was in drei-Teufels-namen ist denn mit dem verflixten Ro-Butler?

Ro-Butler: Gar nichts ist mit dem verflixten Ro-Butler. Nur daß er seit Sonntag nicht mehr Gandalf heißt. Haben Sie vergessen, Sir? Tolkiens ist out. Muppets sind in.

Paletti: Äh, ja, richtig. Muppets, ähm, dann heißt du...

Ro-Butler: Kermit, Sir. Applaus, Applaus.

Paletti: Äh, Kermit. Es lag mir auf der Zunge. Ja, und was willst du, Kermit?

Ro-Butler: Sie wollen, Sir, Sie haben mich gerufen.

Paletti: Ach, hab ich?

Jonas: Einen doppelten Whiskey, Kermit, kein Wasser, kein Eis, kein Soda. Scotch, wenn möglich.

Ro-Butler: Bedaure, Scotch ist out. Wäre Jack Daniels Black Label Ihnen genehm, Sir?

Jonas: Auch gut. Und Sie, Paletti?

Paletti: Ja, einen kleinen Campari, mit sehr sehr viel Eis.

Ro-Butler: Sehr wohl, die Herren.

Jonas: Sie haben mir noch nicht geantwortet, Paletti. Wo ist Randys Leiche? Und wer kümmert sich um die Beisetzung?

Paletti: Ach, jetzt fangen Sie schon wieder an. Hören Sie endlich auf mit diesem Gerede über... über Sterben und Begraben. Das ist unappetitlich und widerlich. Jawohl, widerlich. Ich bin Ästhet, guter Mann. Ich habe 8 Semester kommerzielle Ästhetik studiert. Ich style Musiker. Ich kreiere ihr Image. Ich bin Künstler. Kreativ. Sensitiv. Wie kommen Sie nur darauf, daß ich irgendwas mit Randys... äh mit solchen Dingen zu tun habe.

Jonas: Sie gestatten. Prost. Zum Wohl. Hhm, ja. Lexis Scarlet hat mich zu Ihnen geschickt.

Paletti: O, ja, das verstehe ich nicht. Wie konnte sie das tun?

Jonas: Das frage ich mich auch. Bei wem kann ich denn nun was erfahren?

Paletti: Tja, nicht bei Lexis Scarlet. Bei mir schon gar nicht. Bleiben nur die Ducks. Scrooge und DD.

Jonas: DD?

Paletti: Donald-Daisy. Der/die Androgyne vom Dienst. Meine Idee. Ein cleverer Rückgriff auf die frühen 80er. Boy George, Marilyn, Dead or Alive, wenn Ihnen das was sagt.

Jonas: Wenig.

Paletti: Fragen Sie DD. Das wird das Beste sein.

Jonas: Und Scrooge?

Paletti: Oh, den können Sie vergessen. Scrooge ist nur der Drummer. Der kann nicht mal sprechen. Reden Sie mit DD, Jonas. Da kommen Sie weiter.

Jonas: Er gab mir eine Fon-Nummer. Ich suchte mir erst ein rot-gelbes Häuschen, das funktionierte. In Palettis Gegend kein Problem. Und dann suchte ich das rätselhafte Wesen Donald-Daisy. Auch das war kein Problem. DD war zuhause, kam ans Fon, und war auch bereit, zu reden. Das war gut so. Mir ging allmählich die Geduld aus. Allerdings wußte sie/er nicht viel, sagte er/sie.

Donald-Daisy: Ah, keine Ahnung, Darling, niente. Um so was kümmert sich Lexis.

Jonas: So? Und Lexis Scarlet hat mich zu Paletti geschickt, und Paletti... ach vergiß es.

Donald-Daisy: Ja, immerhin ist es ja auch bei Lexis passiert.

Jonas: Passiert? Was?

Donald-Daisy: Na, Randys Abtritt heute Nacht. Kleine Party im Büro, nur der engste Kreis. Lexis, Randy, Tutti, ich, Scrooge, Fredo, ja, und dieser neue Freund von Lexis. Wer sind Sie überhaupt? Medien?

Jonas: Freund von Randy. Jonas, nur Jonas.

Donald-Daisy: Ah, Sie sind der Detektiv! Ihnen sage ich gar nichts.

Jonas: Sie haben mir schon einiges gesagt, DD.

Donald-Daisy: Nichts habe ich gesagt. Ich sage nichts. Ich weiß nichts. Lassen Sie mich in Ruhe.

Jonas: Erster Impuls: zurück zum Musikcenter und Lexis Scarlet auf die Bude rücken. Zweiter Gedanke: tief durchatmen und überlegen. Natürlich nicht in der Fon-Zelle. Dafür hat Jonas ein heimeliges Büro, 22 Quadratmeter, und ein Loch, nach Judiths Meinung. Judith! Die hatte ich ganz vergessen. Bitte Judith, noch ein bißchen Geduld. Erst muß ich die Sache mit Randy Orgas in Ordnung bringen.

Sam: Unzureichende Daten, Herr Kapellmeister. Oder sagen wir es so: Die Geschichte macht einen noch recht verquasten Eindruck.

Jonas: Ein wahres Wort, Sammy. Da renne ich durch die Gegend, lasse mich an der Nase rumführen, von Hinz zu Kunz schicken, von Pontius zu Pilatus.

Sam: Von Scarletti zu Paletti.

Jonas: Und wozu? Ich krieg nicht mal was dafür.

Sam: Ein Fall ohne Honorar und Spesen, o personifizierte Großzügigkeit, ist wie Casablanca ohne Bogie.

Jonas: Oder wie Sam ohne das letzte Wort.

Sam: Jaja.

Jonas: Andererseits hat uns die Schlachthaus-Sache neulich einiges eingebracht. Und davon müßte doch noch was da sein, oder Sam?

Sam: Der Kontostand eurer geradezu Rothschild´schen Superfluenz beträgt zur Zeit genau 817 Euros und 4 Cents.

Jonas: Also keine Panik. Finanziell können wir uns eine kleine Extravaganz durchaus leisten. Frage, Sammy: Warum mache ich das ganze, wenn nicht für Geld, aus Loyalität?

Sam: Die Freudestreue o starke Säule im Sturm gilt zu recht als eine der hehrsten, der erhabensten Tugenden.

Jonas: Blabla.

Sam: Bitte?

Jonas: Blabla.

Sam: Aha. Wer da?

Jonas: Ja?

Lexis Scarlet: Lexis Scarlet.

Jonas: Sie? Sie haben mir gefehlt wie ein hohler Zahn.

Lexis Scarlet: Charmant. Sind Sie an einem Auftrag interessiert, Jonas?

Jonas: O, ich höre.

Lexis Scarlet: Sie sitzen in Ihrem Büro, sagen wir, eine Woche, und tun nichts.

Jonas: Ach, und dann?

Lexis Scarlet: Nichts dann. Das ist alles. Dafür kriegen Sie 1000 Euros. Was meinen Sie?

Jonas: Einverstanden. Sobald die Sache mit Randy geklärt ist.

Lexis Scarlet: Ich sehe, Sie lassen nicht locker, Jonas.

Jonas: Hhm, Berufskrankheit. Warum haben Sie mich angelogen, Lexis?

Lexis Scarlet: Bitte. Das war nur ein Test. Ich wollte feststellen, wie hartnäckig Sie sind. Damit Sie sich wieder abregen können, die Weltraumbestattung von Randy Orgas ist bereits in die Wege geleitet. Von mir. Ich habe eine renommierte Firma damit beauftragt.

Jonas: Name?

Lexis Scarlet: Immer und Ewig.

Jonas: Halleluja.

Lexis Scarlet: Nein, GmbH und Co KG.

Jonas: Kenne ich nicht. Warum sind Sie nicht zu den bekannten Spezialisten gegangen? Elysium AG oder Peace in Space?

Lexis Scarlet: Wissen Sie, was eine Raumbestattung kostet, Jonas? Immer und Ewig hat uns das preiswerteste Angebot gemacht. Auch so geht praktisch der gesamte Nachlaß drauf. Zufrieden, Jonas?

Jonas: Nein. Sie haben mir schon viel erzählt, Lexis. Ich will selber sehen. Das bin ich Randy schuldig.

Lexis Scarlet: Rührend. Ost-Zentral. Tigrisstraße 67. Fragen Sie nach Dr. Zirose.

Jonas: Zirose? Dr. Zirose? Ist das nicht der Arzt, der den Totenschein für Randy ausgestellt hat?

Lexis Scarlet: Ach, das wissen Sie?

Jonas: Und der ist bei Immer und Ewig? Merkwürdiges Zusammentreffen.

Lexis Scarlet: Gar nicht merkwürdig. Waldemar... äh Dr. Zirose war zufällig auf meiner Party. Und äh als Randy umfiel, hat er sich um ihn gekümmert. Weil er ausgebildeter Mediziner ist.

Jonas: Und dann schießt er ihn in den Kosmos? Ganz zufällig? Woran ist Randy gestorben, Lexis?

Lexis Scarlet: Sie kennen doch den Totenschein: Herzversagen.

Jonas: Und warum hat sein Herz versagt?

Lexis Scarlet: Was weiß ich? Zuviel, nehme ich an.

Jonas: Zuviel? Wovon?

Lexis Scarlet: Von allem, Jonas. Von allem.

Jonas: Die abgebrochenen Wolkenkratzer in der Tigrisstraße sind voll von kleinen Unternehmen, die es noch nicht geschafft haben, oder es nie schaffen werden. Immer und Ewig war eine Tür mit einem Schild. Das Zimmer dahinter enthielt einen Tisch, ein paar unbequem aussehende Stühle, einen Holo-Set, darüber das bunte Bild einer Rakete, die zum Himmel fuhr, eine vage Aura von Weihrauch und Karbol, und im Hintergrund, neben einer zweiten Tür, und vor einem offenen Wandsafe, einen ältlichen Mann mit kahlem Schädel und in dunkler Sackleinwand von Hals bis Fuß. Ein Neo-Puritaner, wie es aussah. Als er mich hörte, verschloß er den Safe, drehte sich um und glitt auf mich zu. Mit dem gedämpft mitfühlenden Lächeln des Friedhof-Profis.

Dr. Zirose: Bitte, mein Herr, nehmen Sie doch Platz.

Jonas: Nicht nötig, ich bin kein Kunde. Dr. Zirose?

Dr. Zirose: Waldemar Zirose. Dr. med und rer. fun. Zu ihren Diensten.

Jonas: Rer. fun.?

Dr. Zirose: Rerum funeralium, der Bestattungswissenschaften. Fachuniversität Forest Lawn, Kalifornien. Was kann ich für Sie tun?

Jonas: Nicht für mich. Für Randy Orgas. Sie schießen ihn ins All, hab ich mir sagen lassen.

Dr. Zirose: Wir sorgen dafür, daß seine sterbliche Hülle in die Ewigkeit des Weltenraums gelangt. So ist es. Wer hat es Ihnen gesagt?

Jonas: Lexis Scarlet.

Dr. Zirose: Ach, dann sind Sie...

Jonas: Jonas. Nur Jonas.

Dr. Zirose: Jonas, ganz recht. Seien Sie unbesorgt, Herr Jonas, alles geht seinen geregelten Gang. Die Beisetzung, der Start, technisch ausgedrückt, findet, wenn das Wetter es zuläßt, bereits in drei Tagen statt.

Jonas: So schnell? Ich dachte, es dauert eine Weile, bis Sie genug Leichen...

Dr. Zirose: Hüllen, bitte, oder auch Verblichene.

Jonas: Oder Urnen beisammenhaben, damit der Start sich lohnt.

Dr. Zirose: Sie denken gewiß an unser volkstümliches Angebot Preiswert zu den Sternen, 10.000 Urnen oder 2000 Särge pro Satellit.

Jonas: Ganz recht.

Dr. Zirose: Da kann es schon passieren, daß Sie warten müssen, bis wir ausgebucht sind. Aber eine solche Massenabfertigung ist doch nichts für Ihren Freund, Herrn Orgas. Frau Scarlet hat selbstverständlich unser Super-Exklusiv-Individual-Programm gewählt. In einsamer Glorie. Eine Rakete. Ein Satellit. Ein Start für einen Verblichenen. Das Äußerste an funeralem Luxus, Herr Jonas. Der Preis ist natürlich entsprechend.

Jonas: Wieviel?

Dr. Zirose: Bedaure sehr, Herr Jonas, aber das muß zwischen dem Institut und dem leidtragenden Kunden bleiben.

Jonas: Ach was.

Dr. Zirose: Apropos. Haben Sie schon einmal an eine Weltraumbestattung gedacht, für Sie persönlich, meine ich. Die großen Vorteile dieser modernen Beisetzungsweise sind Ihnen vermutlich gar nicht bewußt, sonst hätten Sie zweifellos schon längst bei uns gebucht. Herr Jonas, Sie erweisen sich als progressiver Mensch des 21. Jahrhunderts auf der Höhe der Zeit, und abhold den muffigen Methoden der Vergangenheit. Sie ersparen Ihren werten Hinterbliebenen erhebliche Kosten, die anderenfalls für die Grabpflege aufgewendet werden müßten. Und das Wichtigste, Herr Jonas: Solange das Universum besteht, werden Sie, Herr Jonas, durch die unendlichen Weiten des Alls fliegen. Sie werden sich nicht verändern, Herr Jonas, keine Degeneration, Sie verstehen, keine Dekomposition, denn im All, Herr Jonas, im All gibt es weder Würmer noch Bakterien, Sie werden, Herr Jonas, existieren jetzt und immer dar, Herr Jonas, Sie werden unsterblich sein.

Jonas: Sehr verlockend, Dr. Zirose. Um auf Ihre Art unsterblich zu werden, müßte ich allerdings erst einmal sterben. Und dazu habe ich im Moment noch nicht die mindeste Lust. Sie geben mir Bescheid, wann und wo Sie Randy hochschießen. Ich will dabei sein.
Dr. Zirose: Herr Jonas, ich bitte Sie. Unsere Abschußrampe steht in Amazonien, mitten in der Südamerikanischen Wüste. Ersparen Sie sich Mühen und Kosten einer unerfreulichen Reise, tun Sie das, was alle unsere Hinterbliebenen tun, bleiben Sie zuhause, und nehmen Sie von Ihrem teuren Verblichenen Abschied, indem Sie das würdige Holo-Band von der Zeremonie betrachten, das wir Ihnen überreichen werden, mit den Komplimenten unseres Hauses.

Jonas: Randy, wo ist er jetzt?

Dr. Zirose: Falls Sie die Hülle Ihres verblichenen Freundes meinen, Herr Jonas, so befindet sie sich in den hinteren Räumlichkeiten.

Jonas: Ich will ihn sehen.

Dr. Zirose: Herr Jonas. Das ist völlig ausgeschlossen. Pietät und Takt verbieten es kategorisch. Professionelle Mysterien, wenn ich mich so ausdrücken darf. Es müssen noch gewisse äh Behandlungen vorgenommen werden, bevor Herr Orgas morgen Abend bei der Gedenkfeier im Musikcenter aufgebahrt wird. Übermorgen fliegen wir ihn dann nach Manaus. Und nun entschuldigen Sie mich, Herr Jonas, Ihre Fragen sind, meine ich, erschöpfend beantwortet, Ihre Bedenken, sofern es sie gab, ohne Zweifel ausgeräumt worden.

Jonas: Da war ich etwas anderer Ansicht. Irgendwas roch höchst verdächtig. Ach was roch. Die Sache stank. Und dieser wohlbekannte Gestank nach Kromatur und vielen vielen Euros wurde immer penetranter. Jonas mußte was tun. Durch die Gegend rasen und Leute ausquetschen, das reichte jetzt nicht mehr. Aktion war gefragt. Aktion von der direkten, wenn auch nicht 100-prozentig legalen Sorte. In der Tigrisstraße einzubrechen, ist keine Kunst. Hier kümmert sich kein Schwanz um das, was nebenan passiert. Die meisten Häuser stehen nachts leer, elektronische Sicherungen sind Mangelware, und die Tür zu Nummer 67, Immer und Ewig ohne Halleluja, war nur zugedrückt, nicht abgeschlossen, und sprang schon auf, wenn man sie scharf anguckte. Innen war alles ruhig. Ich wußte, wo was zu finden war, und wie ich rankommen konnte. Bei meinem Besuch vor ein paar Stunden hatte der eingeschaltete Sam in meiner Tasche sehr genau zugehört, wie Dr. Zirose das Schloß seines Wandsafes neu eingestellt hatte.

Sam: Sieben.

Jonas: Sieben.

Sam: An und für sich, o Nabel des Kosmos, liegt es weit unter der Würde eines anständigen Computers, mechanischen Schrott wie diesen Safe, auch nur zur Kenntnis zu nehmen.

Jonas: Sicher Sam. Mach weiter.

Sam: Neun.

Jonas: Neun.

Sam: Und die Drei.

Jonas: Drei. Na bitte. Kein Geld, keine Papiere, nur eine Holo-Kassette. Und darauf steht: Randy Orgas. Randy Orgas?

Sam: Zwei Meter entfernt, o schnellster aller Merker, befindet sich ein Holo-Set, in welchem besagte Kassette einzulegen, ich euer Herrlichkeit dringend anempfehlen möchte.

Jonas: So schlau bin ich selbst, Sam. Eine Rakete auf der Rampe! Startbereit!

Dr. Zirose: Fünf, vier, drei, zwei, eins, null! Nun fährt er auf gen Himmel, unser teurer Verblichener, unser Freund, Randy Orgas, in den strahlend blauen Tropenhimmel über Amazonien, an diesem strahlend schönen 10. November 2009. Er steigt auf, höher, immer höher, in die grandiose Erhabenheit des Alls, allwo er über uns schweben wird, werte Hinterbliebene, für immer und ewig. Halleluja.

Sam: Eine recht anrührende Performance, euer Gelungenheit.

Jonas: Und so prophetisch. Randys Weltraumbeisetzung, auf Holo, drei Tage, bevor sie über die Bühne geht. Jetzt wissen wir, was hier los ist.

Sam: Tun wir das, o großer Denker von Rodin?

Jonas: Ganz klar. Immer und Ewig ist eine Schwindelfirma. Zirose kassiert schweres Geld für Bestattungen, die gar nicht stattfinden. Die Raketenstarts in Amazonien, die Satelliten auf ewiger Umlaufbahn, alles getürkt, alles Schwindel.

Sam: Ein Schuß, euer Gewichtigkeit möge den Kalauer verzeihen, ein Schuß in den Ofen, sozusagen.

Jonas: Sozusagen, Sam. Die Hinterbliebenen kriegen ein Holo, wahrscheinlich immer dasselbe, nur mit anderen Namen, Zirose hat praktisch keine Unkosten, und steckt das ganze Geld als Reingewinn ein.

Sam: Und die ihm übergebenen Toten, o großer Kombinator?

Jonas: Och, die schafft er sich irgendwie vom Halse. Aber nicht Randy. Jonas ist auch noch da, und Jonas wird dafür sorgen, daß Randy in den Raum geschossen wird, so wie er es gewollt hat. Wir gehen nach hinten, Sammy, holen ihn raus und bringen ihn zu einem seriösen Unternehmen. Peace in Space oder Celestis oder Elysium.

Sam: Wenn wir ihn finden, Boss.

Jonas: Ein kahler, fensterloser, weiß gekachelter Raum. In der Mitte ein geschlossener Sarg. Ein Plastikkasten von der billigen Sorte. Schummerlicht durch eine trübe Birne an der Decke. Das war alles. Keine Spur von den professionellen Mysterien des Dr. Zirose, oder?

Sam: Los, Alter, mach die Kiste auf.

Jonas: Langsam Sammy, erst mal orientieren.

Sam: Was gibt’s denn hier zu orientieren? Hihihihihihihi, Alter, du hast Schiß, hä?

Jonas: Unsinn.

Sam: Vielleicht liegt in dem Sarg ein Zombie. Oder gar Graf Dracula, der Schrecken von Transsylvanien, wuah.

Jonas: Laß den Quatsch, Sammy. Du Sammy?

Sam: Ja.

Jonas: Gerade hat sich der Sargdeckel bewegt.

Sam: Und da fällt euer Furchtlosigkeit natürlich das tapfere Herz in die dito Hose.

Jonas: Siehst du?

Sam: Hilfe, ein Geist!

Jonas: Ein Geist namens Fredo!

Fredo: Hände hoch und keine Bewegung! Jetzt bist du dran, Jonas.

Jonas: Dem Sarg entstieg Fredo, Lexis Scarlets sogenannter Sekretär. Einen Laserstrahler in der Hand, und um die Augen die deutlich lesbare Absicht, ihn auch zu benutzen, an Jonas. Aber weil er wohl recht lange steif im Sarg gelegen hatte, und auch sonst nicht von der schnellen Truppe war, dauerte es ein bißchen, bis er in Schußposition kam. Solange wollte ich nicht warten. Ich sprang hoch, und schlug die Glühbirne runter. Resultat: ägyptische Finsternis, nur unterbrochen durch die Blitze aus Fredos Laser, mit dem er sinnlos durch die Landschaft ballerte. Das war dumm von ihm. Ich wußte, wo er war, und trat zu. Nicht sinnlos. Gezielt. Und mit Erfolg.

Fredo: Ah!

Jonas: Fredo? He, Fredo? Er rührt sich nicht. Vielleicht ein Trick?

Sam: Kein Trick, o kraftvoller Herkules. Meine akustischen Sensoren empfangen keinerlei Fredosches Atemgeräusch mehr. Wenn euer Gewaltigkeit für ein wenig Helligkeit sorgen würden. Hhm. Die Taschenlampe. Mach hin, geistiger Zeitluperich.

Jonas: Da liegt er, der Gute. Ist über seinen Sarg gestolpert, und hat sich den Hals gebrochen. Mal sehen, was er außer dem Laser so bei sich hat. Eins, zwei, drei, vierhundert Euroscheine. Was meinst du, Sam, wer einen friedlichen Detektiv in mörderischer Absicht überfällt, der hat doch wohl eine Strafe verdient.

Sam: Hiermit wird der Beklagte zu einer Geldbuße von 400 Euros verurteilt.

Jonas: Besten Dank, euer Ehren.

Sam: Bitte.

Jonas: Und was hat er hier? Eine elektronische Paßscheibe. Musik-Center steht drauf. Haupteingang und 39. Stock.

Sam: Unser zweiter deutlicher Hinweis, o gewaltiger Entdecker, daß Lexis Scarlet in die Angelegenheit verwickelt ist, und zwar in beträchtlichem Maße.

Jonas: Zweiter Hinweis? Was ist denn der erste?

Sam: Muß ich es eurer erhabenen Begriffstutzigkeit wirklich und wahrhaftig vorbuch-stabie-r-e-n. Der erste Hinweis ist natürlich die Person des P.P. Fredo, will sagen, Doppelpunkt, seine Anwesenheit an diesem Ort, und seine Absicht, Durchlaucht umzubringen. Zweifellos im Auftrag seiner Chefin. Und das alles bedeutet...

Jonas: Lexis Scarlet weiß Bescheid über Immer und Ewig.

Sam: Ja.

Jonas: Und sie ist an Ziroses Schwindel finanziell beteiligt.

Sam: Ja.

Jonas: Weshalb hätte sie sonst ihren Fredo auf mich gehetzt.

Sam: Euer Verbissenheit ließen sich weder ablenken noch kaufen, blieben vielmehr als wahrer Freund hartnäckig am Ball.

Jonas: Und darum drohte die ganze Geschichte hochzugehen. Das ist es, Sammy.

Sam: Zweifellos, Hoheit. Doch ist es auch alles?

Jonas: Was meinst du?

Sam: Einige Fragen sind noch offen. Wo zum Beispiel befindet sich Randy Orgas Leichnam?

Jonas: Beseitigt. Irgendwo versteckt.

Sam: Wo?

Jonas: Weiß nicht.

Sam: Sie nicht, o leuchtendes Vorbild an Ignoranz. Wohl aber, h-hm, h-hm... na?

Jonas: Dr. Zirose.

Sam: Sehr gut. Und?

Jonas: Lexis Scarlet.

Sam: Ausgezeichnet. Worauf warten wir noch, o Vater der schnellen Entschlüsse.

Jonas: Mit Fredos Paß-Scheibe kam ich ohne Probleme ins Musikcenter und in Lexis Scarlets Vorzimmer. Der Robot war noch nicht repariert. Ich hielt mich an meinem, das heißt, an Fredos Laser fest, schlich zur Bürotür, und machte sie vorsichtig einen Spalt breit auf. Und wer war drinnen? Die ganze Gang. Scarlet, Dr. Zirose, Tutti Paletti, ein undefinierbares Geschöpf mit Stocklocken, rosa Tatoe, und viel zu großen Füßen, Donald Daisy, ich kannte sie/ihn aus Randys Holos, und ich erkannte auch Scrooge, der finster im Hintergrund hockte, und keinen Ton von sich gab.

Donald-Daisy: Hat jemand ein Kaffadon für mich?

Dr. Zirose: Programmpunkt Jonas können wir dann wohl auch abhaken.

Lexis Scarlet: In solchen Sachen ist Fredo sehr verläßlich. Messer. Laserstrahler.

Paletti: Nicht, Lexis, ich will das nicht hören.

Donald Daisy: Hat denn keiner ein Kaffadon?

Lexis Scarlet: Halts Maul, DD. Und du auch, Tutti. Wir stecken alle mit drin. Jeder hat von Anfang an gewußt, was auf dem Spiel steht.

Paletti: An sich sollte es ja nur ein PR-Gag sein.

Lexis Scarlet: Nur ist gut. Nur eine Leiche. Nur ein Mord.

Paletti: Bitte, nicht diese Ausdrücke.

Dr. Zirose: Vielleicht wäre es ja auch ohne gegangen.

Lexis Scarlet: Klar. Dann hätten wir uns nur die große öffentliche Feier abschminken müssen. Nein, nein, Leute, das Requiem für Randy, das ist das A und O. Deshalb machen wir doch die Sache. Und ohne Leiche im Sarg fällt das Requiem aus. Das heißt: Es geht nicht ohne Mord. Und dafür übernehmen wir alle die Verantwortung. Alle sieben. Keiner schließt sich aus.

Donald-Daisy: Ein Kaffadon. Ich muß jetzt ein Kaffadon haben.

Jonas: Sieben? Scarlet, Zirose, Paletti, DD, Scrooge, Fredo. Ich komm nur auf 6.

Randy Orgas: Hi Baby.

Jonas: Eine plötzliche Bewegung hinter mir, ein Luftzug, ein jäher Schmerz an der rechten Schläfe, und Jonas startete in einer Rakete der Firma Immer und Ewig ins All. Ich stieg, Dr. Zirose winkte von unten, der Babylonische Staatsopernchor sang Händels Halleluja, ich schwenkte ein in die Umlaufbahn und kreiste und kreiste und kreiste, für immer und ewig, Halleluja. Bis ich auf einmal zum Stehen kam, und die Augen aufmachte. Vor mir, das bekannte Zucken im Mundwinkel, stand Randy Orgas. Ich dachte, jetzt bin ich da gelandet, wo die toten Musiker hinkommen und die toten Detektive, aber dann sah ich genauer hin. Ich war in einer Kammer voller Gerümpel, einem Abstellraum, und saß in einem alten Korbstuhl, die Hände auf den Rücken gefesselt. Und Randy zielte mit meinem Laser auf meinen Bauchnabel.

Randy Orgas: Hi, Jonas Baby. Sag jetzt bloß nicht so was wie: Du bist also nicht tot, Randy.

Jonas: Das brauch ich nicht, Randy. Ich krieg das auch so mit.

Randy Orgas: Clever, Baby. Ein Glück, daß ich gerade mal draußen war, und dich gesehen habe, vor Lexis Tür, da kommen wir beide doch dazu, ein bißchen miteinander zu reden, bis es soweit ist.

Jonas: Bis was soweit ist?

Randy Orgas: Aber Baby, bis ich nachhole, was Fredo offensichtlich nicht geschafft hat. Weißt du, Baby, die ganze Sache tut mir echt leid. Aber was soll ich machen? Business, das ging in letzter Zeit so mies, und da hat Lexis sich ausgedacht, daß ich nen Jimmy Hendrix mache. So was bringt money. Besonders wenn ich nicht einfach so abkratze, wenn das richtig super gemacht wird, big time, Baby, weißt du, Rakete ins All und so. Und dann der große Tränendrücker. Das Requiem. Die Trauerfeier. Du mußt dir das vorstellen, Baby. Der Riesensaal hier im Musikcenter, überall schwarze Schleier, weiße Lilien, Tutti hat das first-class gestylt, der Sarg oben auf einem hohen Podest, mitten unter den Fans, und über allem, in gigantischer Größe, meine Holos, und Scrooge und DD, die spielen live dazu, ist das ne Schau, Baby, ist das ne Schau?

Jonas: Nicht schlecht.

Randy Orgas: Nicht schlecht? Nicht schlecht? Das ist great, Baby, das ist grand, das ist super, das ist das größte seit John Lennon. Und meine Holos, Baby, die werden laufen und laufen, ich sag dir, Baby, mein neues Stück, The Long Good-Bye, das ist übermorgen schon die Nummer 1. Hab ich dir übrigens eins geschickt?

Jonas: Hast du, Randy.

Randy Orgas: Ist toll, nicht? Ist toll! Ja, siehst du Baby, und deshalb brauchen wir einen echten toten Randy Orgas. Die Fans sind ja so geil, Baby, und erst die Medien, Maker. Irgendwer linst bestimmt in den Sarg, und wen sieht er, Baby? Randy. Oder einen, der so aussieht wie Randy. In etwa.

Jonas: Also Jonas.

Randy Orgas: Du hast`s erfaßt, Baby. Wenn Zirose dich richtig hinkriegt, dann lassen wir den Sarg sogar offen.

Jonas: Darum wolltest du, daß ich mich um deine Weltraumbestattung kümmere.

Randy Orgas: Klar, Baby, deine Sturheit, dein Weg von Hü nach Hott, bis in Ziroses Hinterzimmer. Alles vorausberechnet, alles einkalkuliert, alles nur eine Schau, Jonas Baby. Du hast genau das gemacht, was du machen solltest. Sieh mich nicht so an, Jonas Baby. Das war Lexis Idee. Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Well, Baby, jetzt weißt du Bescheid. Also please don`t be mad und mach kein Gezeter. Es muß sein. Sorry.

Jonas: Ich dachte, wir sind Freunde, Randy.

Randy Orgas: Ja sind wir doch auch, Baby. Friends, Bunnies. Durch dick und dünn und so weiter, aber Freundschaft ist Freundschaft, und business ist business. Also dann, so long, Jonas Baby.

Jonas: Sein Daumen drückte auf den Laserabzug, der Strahl zischte und traf. Den Korbstuhl, nicht Jonas. Während Randy sich produzierte, hatte ich den Strick um meine Handgelenke durchgescheuert, an einem aus der Rückenlehne ragenden scharfen Ende Rohr, als Randy schoß, warf ich mich zur Seite, und ehe er sich von seiner Verblüffung erholen konnte, hatte ich ihm den Laser aus der Hand geschlagen. Wir tauchten ihm beide nach, der Ausgang war klar, Randy war jünger, aber ich war härter.

Jonas: So, Randy Baby, jetzt drehen wir den Spieß um.

Randy Orgas: Nicht schießen, Jonas. Nicht schießen.

Jonas: Schießen? Gar nicht nötig Randy, beweg dich, wir machen einen Spaziergang.

Randy Orgas: Ja, Jonas, alles was du sagst, Jonas. Wo gehen wir denn hin, Jonas?

Jonas: Aus der Tür, Randy. Und durchs Vorzimmer in Lexis Scarlets Büro. Da werde ich deinen versammelten Freunden kurz was sagen, und weil ich einen Laser habe, werden sie mir zuhören.

Randy Orgas: Ja, und dann, Jonas?

Jonas: Dann gehe ich nach Hause. Und weil ich einen Laser habe, werden sie mich gehen lassen.

Randy Orgas: Und ich, Jonas?

Jonas: Du bleibst da, Randy. Bei Lexis, und den anderen lieben Menschen.

Randy Orgas: Nein, Jonas, nein.

Jonas: Du hast es gesagt, Randy, ihr braucht einen echten toten Randy Orgas. Und wenn Jonas nicht mehr zur Verfügung steht, dann müßt ihr den nehmen, der da ist. Und der offiziell sowieso schon tot ist. Hauptsache, die Holos laufen.

Randy Orgas: Jonas, bitte.

Jonas: Los, Randy Baby. Mach die Tür auf.

Randy Orgas: Wir sind doch Freunde, Jonas.

Jonas: Ich werde dich vermissen, Randy.

Jonas: Am nächsten Abend lief auf allen Holo-Kanälen das Requiem für Randy. Live aus dem Musikcenter. Sehr beeindruckend. Ich sah und hörte mir Randy große Titel an, Computer-Tod, Seveso-Rock, Software in the Head. Als The long Good-Bye einsetzte, schaltete ich ab. Als dann, so long. Ich nickte. Sam nickte auch, das heißt, er hätte genickt, wenn er einen Kopf gehabt hätte, so tat er das nächst Beste. Und machte einen zustimmenden Eindruck. Ich stand auf, ging zum Fon, und rief Judith an.

Das war Requiem. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Ingrid van Bergen, Reinhard Glemnitz, Felix von Manteuffel, Siemen Rühaak, Wolfgang Hess und viele andere (Isolde Thümmler, Alexander Malachovsky, Jens Müller-Rastede). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. (Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks) (1985) (Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel).

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:12
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Kidnapper

Jonas: Robodocs gehen mir auf die Nerven. Darin bin ich altmodisch. Nicht nur darin. Mir stinkt so einiges in dieser unserer Zeit. Aber Robodocs ganz besonders. Darum suche ich mir einen echten menschlichen Medizinmann, wenn die vorgeschriebene Jahresinspektion fällig wird. Das heißt, dieses Mal, im Mai 2010, war es eine Medizinfrau. Vielleicht hätte ich doch lieber zum Robodoc gehen sollen. Was Frau Dr. Simon mir sagte, gefiel mir nämlich gar nicht.

Frau Dr. Simon: Sie gefallen mir nicht, Jonas.

Jonas: Machen Sie sich nichts draus, ich gefall vielen nicht.

Frau Dr. Simon: Äußerlich ist ja alles in Ordnung so weit, aber innen.

Jonas: Magen?

Frau Dr. Simon: Ganz richtig. Ihr Magen. Akute Ulkusgefahr. Rauchen Sie? Nikotin?

Jonas: Nein.

Frau Dr. Simon: Nehmen Sie sonst irgendwelche Drogen?

Jonas: Äh...

Frau Dr. Simon: Alkohol?

Jonas: Also, also wenn Sie mich so direkt fragen.

Frau Dr. Simon: Das hört auf. Und vor allem kein Streß. Arbeiten Sie?

Jonas: Wie man’s nimmt. Ich bin Privatdetektiv. Der letzte. Keine Konkurrenz. Kein Nachwuchs. Ein aussterbender Beruf. Ein überflüssiger Beruf. Meint Judith. Aber das stimmt nicht. Mein Büro war zwar noch nie wegen Überfüllung geschlossen, aber den einen oder anderen Auftrag staube ich doch ab, im Lauf der Zeit. Mein Beruf wird gebraucht. Wenn von keinem anderen, dann von mir selbst. Damit ich mit gutem Gewissen in den Spiegel gucken kann.

Frau Dr. Simon: In Zukunft werden Sie noch kürzer treten. Ausspannen, sich hinsetzen und Nichtstun. Ja die Volksrente reicht doch zum Leben.

Jonas: Tut sie nicht. Wenn Sie sich unter Leben noch was anderes vorstellen als Vegetieren, Essen, Trinken, Schlafen, und...

Frau Dr. Simon: Das müssen Sie mit Ihrem Psychotherapeuten abmachen. Ich bin praktische Medizinerin, und ich verschreibe Ihnen eine Pause.

Jonas: Wie lange? Drei Tage, eine Woche?

Frau Dr. Simon: Sehr komisch. Heute abend, wenn ich dienstfrei habe, werde ich drüber lachen. Ein viertel Jahr, Jonas, mindestens.

Jonas: Darauf mußte ich was trinken. Ich wußte auch wo. Gleich um die Ecke im Casablanca. Da gehe ich öfter mal hin. Nicht unbedingt, weil’s mir so gut gefällt, nein, wegen des Namens. Dabei heißt der Schuppen gar nicht nach dem antiken Film, sondern nach der Erbtante des Besitzers. Anyway, ich saß also im Casablanca, hielt stumme Zwiesprache mit meinem Magen, und versuchte ihn dadurch freundlich zu stimmen, daß ich Ricard trank. Mit viel Wasser. Im Casablanca servieren sie den Ricard in Pernot-Gläsern. So eine Kneipe ist das. Ich dachte an Bogie. Ob er wohl auch Ricard hatte trinken müssen. Und wenn ja, ob er ihm auch nicht geschmeckt hatte. Da laberte mich plötzlich diese Öko an.

Demeter: Was dagegen, wenn ich mich dazu setze?

Jonas: Ja, ich hab was dagegen. Suchen Sie sich 'nen andern Tisch, sind genug frei.

Demeter: Ich würd aber gern hier sitzen.

Jonas: Alles besetzt. An diesem Tisch ist alles besetzt.

Demeter: Ja? Ich seh niemand.

Jonas: Mister Humphrey Bogart, Mister Philip Marlowe, Mister Samuel Spade, und ich. Schwirren Sie ab, Sie stören.

Demeter: Heißen Sie Jonas?

Jonas: Nebukadnezar Schonat Jolanda, Schornsteinfegermeister im Ruhestand, also lassen Sie mich auch in Ruhe.

Demeter: Das ist nicht wahr, Sie heißen Jonas. Nur Jonas. Und Sie sind Detektiv.

Jonas: Wer sagt das?

Demeter: Der Wirt.

Jonas: Der redet zu viel.

Demeter: Es ist nämlich so, wir brauchen einen Detektiv.

Jonas: Unsinn. Niemand braucht nen Detektiv. Außerdem habe ich frei, und keine Zeit, und keine Lust.

Demeter: Ich heiße Demeter. Nur Demeter.

Jonas: Ein Punkt für sie. Das, und die Tatsache, daß sie stur war. Fast so stur wie Jonas. Ich wurde sie einfach nicht los. An sich mach ich mir nicht viel aus Ökos, ihre Ideen und Ziele, OK, aber Bewegungen und Ideologien liegen mir nicht. Jonas ist überzeugter Einzelgänger. Und Demeter war eine waschechte Öko. Lange Naturhaare, grüner Kittel, Schäufelchen und Geigerzähler am Bastgürtel. Trotzdem fing ich an, ihr zuzuhören. Vielleicht auch deshalb, weil sie jung war und gut aussah, trotz ihrer Ökouniform. Ich hätte sie abwimmeln und in Ruhe weitertrinken sollen. Aber Jonas ist kein Hellseher.

Demeter: Wir haben es ja zuerst selbst versucht, wissen Sie, aber als Erasmus nicht zurückkam, da wuchs uns die Geschichte über den Kopf. Jetzt muß ein Profi ran.

Jonas: Ein Profi kostet Geld.

Demeter: Ah, wir legen zusammen. Weil die Sache so wichtig ist. Stellen Sie sich vor, Herr Jonas...

Jonas: Jonas reicht. Nur Jonas.

Sam: Ja, Jonas reicht.

Demeter: Häh, äh, also stellen Sie sich vor, Jonas, es geht um rissa tridactyla.

Jonas: Ist das die Möglichkeit. Ja, und wenn ich jetzt noch wüßte, was rissa tridingsbumsla ist...

Sam: Rissa tridaytila, o großer Systematiker des Tier- und Pflanzenreiches. Die Dreizehenmöwe. So gut wie ausgestorben.

Demeter: Einen schlauen Computer haben Sie da, Jonas.

Sam: Ja.

Jonas: Schlau ist gar kein Ausdruck für Sam. So heißt er nämlich, mein Computer. Sie kennen den Grund, wenn Sie wissen, daß meine Stammkneipe Casablanca heißt. Sam ist überschlau. Er kann fast alles. Seine Spezialität: Reden, wenn er nicht gefragt ist. Überhaupt reden, ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne Punkt und Komma. Irgendwie haben sich seine Sprachprogramme verheddert, und deshalb wirkt er ein bißchen absonderlich. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Sam. Ich hänge an ihm. Ich habe ihn immer bei mir. Nicht den großen Speicher natürlich, der steht im Büro, aber Sam zwo. Pocket Sam. Die drahtlose Extension im Miniformat. Der letzte Detektiv und sein verdrehter Computer. Sind wir nicht ein schönes Paar?

Sam: Treulich geführt, ziehet dahin...

Jonas: Sei still, Sammy. Wir waren bei dieser ausgestorbenen Möwe, Demeter.

Demeter: Nicht ausgestorben.

Sam: Noch nicht.

Demeter: Noch nicht, das hoffen wir jedenfalls. Auf Swartcliff nisten noch ein paar. Das heißt, sie haben da genistet, bis vor einem Monat, bis die Bautrupps kamen, und die schwarzroten Uniformen.

Jonas: Da wurde ich wach, und kriegte lange Ohren. Schwarzrot trägt die Popo, die Populationspolizei, und mit den Herrschaften hatte ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Vor einem Jahr, beim Testmarktfall, hatten sie mich schwer in der Mangel gehabt. Wenn die Popo mitspielte, konnte die Sache interessant werden. Und gefährlich.

Jonas: OK, Schwester, wenn ich Sie richtig mitkriege, wollen Sie mich anheuern.

Demeter: Ja, ja also nicht ich, meine Gruppe, die Ökos von Babylon und Umgebung.

Jonas: 80 Euros pro Tag, und Spesen.

Demeter: So viel?

Jonas: Das hab ich mir gedacht. Wiedersehen, Schwester.

Demeter: 50 könnten wir zahlen.

Jonas: Tut mir leid, Schwester, kein Rabatt, kein Skonto.

Demeter: Na, es ist doch für einen guten Zweck.

Jonas: Ich arbeite nur für gute Zwecke. 70 Euros, weil’s Sie sind.

Demeter: 60.

Jonas: 65. Und 100 im voraus.

Demeter: Einverstanden.

Sam: Oh, oh, was muß Sammy da hören. Kein Streß, hat Frau Dr. Simon gesagt, ein viertel Jahr Pause hat sie gesagt, o du mein magengeschwürlich-gefährdeter Jonas.

Jonas: Reg dich ab, Sam, kleiner Ökofall, was soll daran stressig sein. Unser täglich Brötchen, das machen wir mit links.

Sam: Kleiner Ökofall, euer Verniedlichung, mit der Popo in den Kulissen?

Jonas: Lassen wir das doch einfach an uns rankommen, Sam. So, Schwester, Sie haben sich einen Detektiv gekauft, jetzt müssen Sie ihm nur noch sagen, was er für Sie tun soll.

Demeter: Kennen Sie Swartcliff, Jonas? Das ist...

Jonas: Nicht hier, Schwester, kommen Sie mit.

Demeter: Ja.

Jonas: Mein Büro plus Apartment. 22 Quadratmeter. Lauschiges Zuhause, gemütlicher Arbeitsplatz. Eine Tür, ein Fenster, Sam eins, ein kleiner Tisch, ein Wandschrank, Bett zum Rausklappen, desgleichen zwei Stühle. Auf einem saß ich, auf dem anderen Demeter. Sie redete, ich hörte. So soll’s sein. Detektiv und Klientin, wie sie im Buche stehen.

Demeter: Swartcliff ist eine Insel. Eine sehr kleine Insel. Eigentlich nur eine Klippe.

Jonas: Wie der Name schon sagt, Schwester. Wo?

Demeter: Im nordischen Meerbusen. Nicht weit von Westerport bei Babelshafen. 10 Kilometer weit draußen.

Sam: Sechs Knoten, oder auch Seemeilen, wie wir Nautologen uns ausdrücken. Oder heißt es Nautiker?

Jonas: Beachten Sie ihn gar nicht, Demeter. Auf Swartcliff gibt es also diesen Vogel, der Ihnen so wichtig ist.

Demeter: Das wissen wir eben nicht. Früher sind wir ab und zu mal rausgefahren, mit einem Boot von Westerport aus, wir haben die Nistplätze gecheckt, von weitem, vorsichtig. Die letzte Kolonie von Dreizehenmöwen, Jonas, mit Sicherheit im Nordmeer, vielleicht in der ganzen Welt.

Jonas: Das war wieder ein Punkt für sie, für Demeter. Und für die Möwen. Wir letzten müssen zusammenhalten.

Demeter: Wir haben aufgepaßt, daß die Tiere nicht gestört wurden. Auf Swartcliff selbst gibt es keine Menschen, ich meine, es gab keine, nur Reste einer alten Marinestellung aus dem Krieg, Bunker und so. Aber an der Küste fahren ja viele Touristen rum.

Jonas: Und dann erschien die Popo, vor einem Monat. Wann genau?

Demeter: Warten Sie, am 10, ja am 10. April. Von da ab kam niemand mehr auf die Insel, oder auch nur in die Nähe. Das ganze Seegebiet wurde gesperrt. Auch für die Westerporter und für die Touristen. Für uns sowieso.

Jonas: Mit welcher Begründung?

Demeter: Verteidigungswichtige Arbeiten. Das haben sie uns gesagt, aber es ist kein Militär zu sehen. Auch keine Marine. Bloß die Schwarzroten. Die bewachen die Insel. Und die fliegen auch die Hubschrauber zwischen dem Festland und Swartcliff. Vollbeladen mit Baumaterial hin, leer zurück.

Jonas: Auf Swartcliff wird also gebaut.

Demeter: Ja, und das macht uns Sorgen.

Jonas: Natürlich, wenn die Popo was ausbrütet...

Demeter: Ach so, nein, nein, wegen der Popo eigentlich nicht. Mehr wegen unserer Möwen.

Jonas: Sicher, die Möwen, die böse Polizei könnte sie womöglich verschröcken.

Demeter: Sie sind kein Tierfreund, Jonas.

Jonas: Ich weiß nicht mal, ob ich ein Menschenfreund bin. Was soll ich für Sie tun, nach Swartcliff fahren, und nachsehen, wie sich Ihre gefiederten Freunde so fühlen?

Demeter: Genau das. Und feststellen, was aus Erasmus geworden ist.

Jonas: Erasmus?

Demeter: Aus unserer Ökogruppe. Vor einer Woche ist er rausgefahren nach Swartcliff. Ein Fischer aus Westerport hat ihn nachts mitgenommen.

Jonas: Fischer?

Demeter: Naja, die nennen sich noch so. Auch wenn’s keine Fische mehr gibt.

Sam: Fischers Fritz fischt frische Fische. Frische Fische fischt Fischers Fritze...

Jonas: Das war einmal, Sammy, vor den Verklappungen.

Demeter: Heute fahren sie Touristen.

Jonas: Und einer von denen hat Erasmus nach Swartcliff gebracht.

Demeter. Ja, wir haben viele Freunde in Westerport. Der Fischer hat ihn vor der Insel abgesetzt, und dann...

Jonas: Lassen Sie mich raten. Erasmus ist seitdem verschwunden. Sie haben nichts mehr von ihm gehört.

Demeter: Doch, wir haben von ihm gehört. Gestern kam dieser Brief an.

Jonas: Abgestempelt in Bordeaux, weit weg. Was steht drin? Es gibt auf der Welt nicht nur Umwelt und Möwen, ich steige aus, laßt mich in Frieden, Erasmus. Ja und, wenn ihr denkt, ich hol euch den Deserteur zurück...

Demeter: Erasmus kann den Brief nicht geschrieben haben, Jonas. Erasmus kann nicht schreiben, Erasmus ist Analphi.

Jonas: Wie gesagt, ich bin kein Öko. Aber ich bin erst recht kein Macher. Ich glaube nicht, daß die natürliche Umwelt böse ist, und eliminiert werden muß. Und Streß hin, Magengeschwür her, ich brauchte einen Fall, das heißt, ich brauchte Euros. Als Demeter gegangen war, nach einer Anzahlung, versteht sich, ging ich auch. Auf die Jagd. Frage: Wie jagt ein Detektiv Möwen im Nordmeer? Antwort: Er bleibt erst mal zu Hause, und läßt seinen Computer arbeiten.

Sam: Sam hat in allen großen Dateien nachgeforscht, o Leitstern meiner schlaflosen Nächte. In der Staatsinfothek von Babylon, im geographischen Institut, im Küstenmuseum. Eine Insel namens Swartcliff gibt es nicht.

Jonas: So, na, dann wollen wir doch mal sehen. Ach ja, hier ist er. Schau mal hier rein, Sam, mein alter Schulatlas. Ja, da. Im nordischen Meerbusen. Der kleine Fleck vor Westerport: Swartcliff. Steht ganz deutlich da.

Sam: Wenn eure nostalgische Beschränktheit einem, eh, Buch mehr Glauben schenken als der modernen Elektronik. Merke: Was nicht datenmäßig erfaßt ist, existiert auch nicht. Und wenn du dich auf deinen Holzkopf stellst, du ungläubiger Jonas.

Jonas: Und wenn du dich vor Ärger in den Bauch beißt, den du nicht hast, Sammy. Dateien kann man frisieren.

Sam: Herr Stabstrompeter wünschen die Dame Judith zu konsultieren?

Jonas: Ich wünsche.

Sam: O Unvollkommenheit, dein Name ist Mensch.

Judith: Hallo? Judith Delgado.

Sam: O Unzulänglichkeit, dein Name ist Hirn.

Jonas: Jetzt sei mal still, Sam. Hallo Judith, Jonas hier.

Judith: Jonas?

Jonas: Ja.

Judith: Ein seltenes Vergnügen. Wenn es ein Vergnügen ist.

Jonas: Judith ist mein z.B., meine zeitweilige Beziehung. Im Moment liegt die Betonung praktisch nur auf zeitweilig. Obwohl es ja auch eine Beziehung ist, wenn die Partner sich streiten. Das tun wir nämlich oft, Judith und ich. Fast immer. In letzter Zeit rufe ich sie eigentlich nur noch an, wenn ich was brauche, eine Information, an die nicht jeder rankommt, zum Beispiel. Judith ist bei der öffentlichen Sicherheitsverwaltung. Hauptabteilungsleiterin. Viel wichtiger als ein Privatdetektiv. Vielleicht liegt's daran.

Judith: Sehen wir uns heute abend?

Jonas: Ich plane nie soweit voraus.

Judith: Sagte Bogie zur Bergman. Was willst du?

Jonas: Im Nordmeer, Judith...

Judith: Du hast doch wohl nicht vor, Urlaub zu machen?

Jonas: Eine Insel bei Westerport, Swartcliff heißt sie.

Judith: Und da willst du mit mir hinfahren? Ah, das trifft sich gut, bei uns ist zur Zeit nicht viel los, ich kann mir ein paar freie Tage nehmen, wir gehen spazieren, am Meer...

Jonas: Sicher, sicher, wäre schön, Judith, geht aber nicht. Ich habe einen Fall.

Judith: Ach, du hast einen Fall?

Jonas: Ja.

Judith: Und der ist gefährlich, und darum mußt du die Sache allein durchstehen, und kannst niemanden mitnehmen, auch mich nicht.

Jonas: Genau so ist es.

Judith: So ist es immer. Was willst du wissen?

Jonas: Aber auch Judith konnte mir nicht mehr sagen als Sam. Jeder Hinweis auf Swartcliff, jede Erwähnung war gelöscht, in allen Dateien. Der ganze Komplex stand unter einem neuen Supergeheimcode der Populationspolizei. Off-limits, sogar für die Sicherheitsverwaltung.

Jonas: Seit wann?

Judith: Anfang April, ungefähr.

Jonas: Das paßt. Danke, Judith.

Judith: Danke, Judith, ich ruf dich an, Judith, sobald ich Zeit habe, Judith.

Jonas: Ja, das wollte ich sagen und äh...

Judith: Ich weiß, Jonas.

Jonas: Ich hätte ihr was sagen sollen. Was Gutes. Was Wertvolles. Was Zärtliches. Was Zukunftsträchtiges. Aber mir fiel beim besten Willen nichts ein.

Jonas: Und was jetzt, Sammy?

Sam: Meint ihr die Dame Judith, Romeo? Und wie ihr fürderhin zu ihr euch wollt verhalten?

Jonas: Das geht dich nichts an, Sam, da hältst du dich raus. Ich meine den Fall.

Sam: Supergeheimcode der Popo, das ganze drum herum, das ist keine kleine Ökokiste, Kumpel.

Jonas: Ganz sicher nicht, Sammy. Wie geht’s weiter?

Sam: Wenn eure detektivische Epigonalität die Abschweifung verzeihen: Befänden wir uns in einem der klassischen Romane des seligen Raymond Chandler, so käme nun ein Mann durch die Tür, eine Pistole in der Hand.

Jonas: Und da ist er auch schon, aufs Stichwort. Herein ohne anzuklopfen, wie’s draußen dransteht. Was kann ich für Sie tun?

King Kong: Schnauze. Ganz ruhig. Keine Bewegung.

Jonas: Jonas ist umgänglich. Wenn einer ihm sagt: keine Bewegung, dann bewegt er sich auch nicht. Besonders wenn dieser eine so aussieht wie der große Bruder von King Kong, und ihm einen elektrischen Knockouter vor der Nase hält.

King Kong: Hände hoch!

Jonas: Auch das, wenn’s ihnen Freude macht. So, ich halte die Hände hoch, bewege mich nicht, bin ganz ruhig. Was passiert jetzt?

King Kong: Schnauze! Warten!

Jonas: Gern. Und worauf warten wir?

King Kong: Warten! Da! Fon!

Jonas: Sehr richtig, das Fon klingelt. Zutreffend bemerkt.

King Kong: Rangehen!

Jonas: Ich?

King Kong: Ja, rangehen.

Jonas: Wenn man mich so nett bittet. Ja?

Caligari: Hier spricht Professor Caligari. Sie erinnern sich an mich, Jonas?

Jonas: Und ob ich mich erinnerte. Frau Prof. Caligari ist die Chefin einer offiziell nicht vorhandenen Organisation, die sich Zentralinstitut für Populationsforschung nennt, abgekürzt ZIP. ZIP versucht, unser Problem Nummer 1, die Überbevölkerung in den Griff zu kriegen. Eine ehrenwerte Aufgabe. Nur hat ZIP reichlich merkwürdige, um nicht zu sagen, kaputte Methoden. Wir waren nicht gerade Freunde, Caligari und ich, eher im Gegenteil. Schon zweimal waren wir aneinander geraten. Beim Testmarktfall und in der Schlachthaus-Affäre. Und beide Male hatte ich ihr die Tour vermasselt.

Caligari: Ein drittes Mal kommen Sie uns nicht in die Quere, Jonas. Mein Abgesandter befindet sich bei Ihnen?

Jonas: Ja, falls Sie King Kong hier meinen. Wo haben Sie ihn gefunden? Im Zoo?

Caligari: Immer noch der alte Jonas. Voller Witz, voller Vitalität. King Kong, wie Sie ihn nennen, habe ich Ihnen als Warnung geschickt, und auch als kleinen Vorgeschmack dessen, was Ihnen bevorsteht, wenn Sie nicht tun, was ich wünsche.

Jonas: Und Sie wünschen?

Caligari: Das wissen Sie, Jonas.

Jonas: Sagen Sie es mir trotzdem.

Caligari: Sie haben soeben einen Auftrag akzeptiert. Von den sogenannten Freunden der Ökologie.

Jonas: Ja.

Caligari: Ja. Sie geben den Auftrag zurück.

Jonas: Anderenfalls?

Caligari: Andernfalls werden Sie nicht nur Ihre gute Laune verlieren, sondern auch den Kopf.

Jonas: Ich hätte mir denken können, daß Sie dahinterstecken. Die aus den Dateien verschwundene Insel, das große Aufgebot an PoPo, und die PoPo hat ja schon früher für Sie gearbeitet. Was tun Sie auf Swartcliff?

Caligari: Sie kennen mich, Jonas. Ich meine es ernst.

Jonas: Küß die Hand, gnädige Frau.

King Kong: Fertig?

Jonas: Fertig.

King Kong: Du machst, was sie sagt, oder

Jonas: Ein kaputter Stuhl, eine dito Tür. Er ist furchtbar in seinem Zorn, unser Freund King Kong. Ich mach mir in die Hosen vor Angst. Ich hab wirklich Angst, Sammy. Die PoPo, ZIP, die Caligari. Und das alles wegen, wegen irgend so einer Möwe.

Sam: Nicht zu vergessen den verschollenen Öko Erasmus, o Tapferster der Tapferen. Nebst der Tatsache, daß ZIP finstere Pläne im Busen hegt, welche zu vereiteln ein verdienstvolles Werk sein dürfte.

Jonas: Aber riskant, Sammy, riskant. Erfolgsaussichten?

Sam: Piep! 1 zu 11, 7, Eminenz. Bedingt durch teilweise inkomplette Daten erfolgt diese Angabe ohne Gewähr.

Jonas: Gut, wir machen weiter.

Sam: Bei dem Risiko? Du tickst wohl nicht richtig, Alter.

Jonas: Und du verstehst nichts von Ehre. Ein Detektiv gibt nicht auf. Niemals. Ganz besonders dann nicht, wenn man ihn dazu zwingen will.

Sam: Down these mean streets a man must go.

Jonas: So ist es nun mal, Sammy.

Demeter: Freunde der Ökologie, Gruppe Babylon.

Jonas: Demeter?

Demeter: Am Apparat.

Jonas: Jonas. Von jetzt ab, kein Kontakt mehr zwischen uns. Sie stehen unter Beobachtung. Man hat Sie bis zu mir verfolgt.

Demeter: Verfolgt? Wer und wieso?

Jonas: Das ist jetzt nicht wichtig. Sie sagten, Sie haben Freunde in Westerport.

Demeter: Ja, aber...

Jonas: Der Fischer, der Ihren Freund Erasmus zur Insel gebracht hat, wie heißt der, wo finde ich ihn?

Jonas: Der satte Sägefisch in Westerport war sicher mal eine flotte Kneipe gewesen. Damals, als es hier noch Fischer gab, und Touristen. Heute hatten die Fischer nichts mehr zu fischen, und die Touristen waren von der PoPo verscheucht worden. Im Schankraum hockten nur ein paar Einheimische. Leicht zu erkennen an den Warzen und Wucherungen, wie sie Leute haben, die jahrzehntelange mit verseuchtem Meerwasser in Berührung kommen. Keine PoPo. Niemand, der hier nicht hergehörte. Abgesehen von Jonas natürlich. Und ich hatte gut aufgepaßt unterwegs. In der Druckluftbahn nach Babelshafen, und in der Rikscha bis Westerport. Kein Schatten. Professor Caligari war sich ihrer Sache wohl sicher. Um so besser.

Jonas: Was trinkt man hier?

Wirt: Kommt drauf an. Wenn Sie Geld haben, ausländisches Zeug, Whiskey und so, wenn Sie ein arbeitsloser Volksrentner sind, wie die meisten hier, dann Korn.

Jonas: Aus Korn.

Wirt: Ne, synthetisch. Heißt bloß noch so, aus Tradition. Hier an der Küste sind wir sehr für Tradition.

Jonas: Warum nicht. Sie haben ja nichts anderes. Einen Korn, nein zwei, Sie trinken doch einen mit, Herr Wirt.

Wirt: Hab nichts dagegen.

Jonas: Bringen Sie gleich drei. Für mich, für Sie, und für Piet Pietersen.

Wirt: Nocktwie.

Jonas: Häh?

Wirt: Wird gemacht.

Jonas: Den dritten Korn brachte der Wirt einem älteren Mann im gestreiften Fischerhemd, der allein an seinem Tisch saß, in einer dunklen Ecke. Ich wartete ein paar Sekunden, dann ging ich zu ihm rüber.

Jonas: Der Korn, den Sie da gerade kippen...

Piet: Ja?

Jonas: Den hab ich bezahlt. Mein Name ist Jonas. Nur Jonas.

Piet: Ja, und?

Jonas: Aus Babylon.

Piet: Das merkt man.

Jonas: Ich... ich soll Sie grüßen, von Demeter, und ihren Ökofreunden.

Piet: Ach ja!

Jonas: Und ich soll Ihnen sagen: Dreizehenmöwe, als Losungswort. Alles klar, Piet?

Piet: Ja, alles klar. Was`n los?

Jonas: Zwei Dinge braucht der Mann: Sie und Ihr Boot.

Piet: Aha, wann?

Jonas: Heute Nacht.

Piet: Ja, dann will ich wohl mal klar Schiff machen. Zahlen! Halb zwölf im Hafen. Semironis heißt die.

Jonas: Wer?

Piet: Mein Boot. 20 Quadratmeter Jollenkreuzer.

Jonas: Um Mitternacht waren wir draußen auf dem wilden Ozean. Piet segelte, und ich half ihm. Nicht, daß ich viel vom Segeln verstehe, aber zum Schiffsjungen reicht`s. Piet hatte mir Ölzeug besorgt, am Hals hatte ich ein Infrarotnachtglas, und am Gürtel Sam zwo, in einem wasserdichten Beutel. Deshalb war er auch etwas gedämpft, akustisch, meine ich.

Sam: Rolling home to dear old Hamburg, rolling home...

Jonas: Mein Computer, Piet Pietersen, flippt ab und zu ein bißchen aus.

Piet: Stört mich nicht.

Jonas: Aber mich. Halt die Klappe, Sam, und fang keine Diskussion mit mir an, ob du eine Klappe hast oder nicht. Sei still, verstanden?

Sam: Aye aye, Sir, verstanden.

Jonas: Ziemlich windig heute, nicht?

Piet: Das ist nix. Ne Damenbrise. Da, Swartcliff.

Jonas: Wo?

Piet: Backbord voraus.

Jonas: Himmel und Meer waren stumpfgrau, wie angelaufenes Zinn. Merken, fürs Poesiealbum. Und aus dem grauen Wasser vor dem grauen Horizont ragte eine massive schwarze Faust auf. Die Felseninsel Swartcliff. Ich ließ Piet einmal drumrumsegeln, so mit Wenden, Halsen, Kreuzen, und wie die Sachen alle heißen. Das Nachtglas war made in Japan, 1a Qualität, und als wir den Kreis geschlossen hatten, wußte ich ziemlich gut Bescheid. Aus der Nähe wirkte Swartcliff nicht so sehr wie eine Faust, eher wie ein schwarzer Würfel. Im Süden, im Westen, im Norden stiegen glatte Felswände senkrecht aus dem Wasser, gut 30 Meter hoch, im Osten lag eine Bucht, Sandstrand, ein Pier, und von da führte eine in den Felsen gehauene Treppe nach oben.

Jonas: Pier und Treppe sind gut bewacht, 10 Mann, mindestens. Oben am Klippenrand sehe ich niemand.

Sam: Da brauchen sie keine Wächter, meinen sie, weil doch kein Mensch die steilen Felsen raufklettern kann.

Jonas: Ach nein? Oben ist nicht viel zu erkennen. Hubschrauberlandeplatz, nehme ich an. Ein Kran, eine gewaltige Radarantenne.

Sam: Radarantenne? Bist du sicher, Falkenauge?

Jonas: Ich werde doch wohl eine Radarantenne erkennen können, Sammy.

Sam: Und warum, wenn Herr Großadmiral die Frage gestatten, warum erkennt die Antenne uns nicht?

Jonas: Ist ja wahr, Sammy.

Sam: Aha.

Jonas: Eine gute halbe Stunde kreuzen wir vor Swartcliff herum, in einem Boot voller Metallteile, und niemand interessiert sich für uns. Kein Schiff, kein Hubschrauber. Ob die ihren Radarraum nicht besetzt haben?

Sam: Unwahrscheinlich, Herr Kaleun.

Jonas: Da stimmt was nicht. Piet, als Sie diesen Erasmus nach Swartcliff gebracht haben, vor einer Woche, da hatten Sie doch auch keine Schwierigkeiten?

Piet: Ne.

Jonas: Seltsam. Vorsichtig, Piet, drehen Sie ab, wir kommen zu nah an die Bucht.

Piet: Das ist doch der Sinn der Sache. Da warten sie schon. Wie vor einer Woche auf Erasmus. Und da werde ich Sie abliefern. Wie den Erasmus vor einer Woche.

Sam: Hast du`s mitgekriegt, du Blitzmerker mit Spätzündung? Piet Pietersen, Freund und Helfer aller guten Ökos und Privatdetektive, arbeitet für die andere Seite.

Jonas: Als Sie vorhin aus dem satten Sägefisch weggingen... da haben Sie uns angekündigt.

Piet: Über Funk. Bleiben Sie am Bug stehen. Sie haben keine Waffe, aber ich habe eine. Ne Pistole, Walter PPK aus dem zweiten Krieg, funktioniert aber noch bestens.

Jonas: Ich hab wirklich keine Waffe, Sam.

Sam: Hast du doch, Blindgänger. Das Nachtglas.

Jonas: Aber Sammy, das gute Stück hat 400 Euros gekostet.

Sam: Extreme Situationen...

Jonas: Er ging in die Knie, und weil er gerade etwas überhing, ging er über Bord, und weil er bewußtlos war, ging er unter. Das machte mir wenig Kummer. Daß die Semiramis es ihrem Kapitän nachmachen wollte, störte mich da schon erheblich mehr. Das Boot lief aus dem Ruder, auf ein Riff, und dann voll Wasser.

Sam: Alarm! Wir sinken! Alles in die Boote! Frauen, Kinder und Computer zuerst.

Jonas: Und wenn du jetzt noch singst... Das mit dem Boot ist keine schlechte Idee. Gottseidank haben wir eins, hinten angebunden.

Sam: Achtern vertäut, wie wir Seeleute sagen. Ahoi!

Jonas: Eine Nußschale aus Plastik, zwei Ruder, sehr stabil sieht das Ding nicht aus.

Sam: Worauf wartest du? Auf die Queen Elisabeth? Spring endlich rein, Landratte. So, und jetzt mach das Tau los.

Jonas: Ja, Mensch. Moment, Sammy, dieser dreimal verdrehte Seemannsknoten, der will nicht, der, der macht... oh, jetzt, jetzt hab ich ihn los.

Sam: So, und jetzt pull, Mann. Pull!

Jonas: Was soll ich?

Sam: Rudern, wenn du das besser verstehst. Eins, zwei, bum.

Jonas: Wir spielten römische Galeere in Ben Hur. Sammy bummerte den Takt, ich ruderte. Die Semiramis ging unter, die Dämmerung kam, das Festland kam näher, soweit alles OK, aber da kam noch was.

Sam: Melde gehorsamst, Kapitän, ein Hubschraub-schraub-schrauber.

Jonas: Von Swartcliff. Scheinwerfer. Die suchen uns, Sammy, und in 5 Minuten haben sie uns, wenn wir nichts tun. Mensch, schlag was vor.

Sam: Ein neues Spiel, ein neues Glück, Monsieur.

Jonas: Gleich sind wir im Scheinwerferstrahl, und du redest irre.

Sam: Mitnichten, Begriffstutz, wir spielen, immer noch altes Rom, ein militärisches Spiel, es nennt sich Testudo.

Jonas: Testudo? Das heißt Schildkröte, glaub ich.

Sam: Ausgezeichnet, o via doctissime et eroditissmie. Wir bringen das Boot zum Kentern, Magnifizenz verbergen sich darunter, halten sich an der Sitzbank fest, und führen mit dero unteren Extremitäten vorsichtige Schwimmbewegungen aus.

Jonas: OK, gern tat ich’s nicht. Das Wasser war verflixt kalt, aber die Alternative war, mich von der PoPo erwischen zu lassen. Und da klapperte ich doch lieber mit den Zähnen, bis der Hubschrauber die Sucherei aufgab und nach Swartcliff zurückflog. Dann wurde die Schildkröte wieder umgedreht, und ich ruderte weiter. Es war Morgen, als ich das Festland erreichte. Eine einsame kleine Bucht bei Westerport. Ich zog das Boot hoch und schob es unter einen überhängenden Felsen. Vielleicht ahnte mein Unterbewußtsein, daß ich es noch mal brauchen würde. Ich war todmüde, und schaffte es gerade noch in den Sägefisch, in das Zimmer, das ich gestern gemietet hatte, ins Bett. Und da klingelte das Fon. Es klingelte und klingelte, bis ich aus dem grauen Meer meiner Erschöpfung auftauchte, und abhob.

Jonas: Was ist?

Wirt: Ein Anruf von außerhalb, Herr Jonas.

Jonas: Ich bin nicht da.

Wirt: Eine Frau Professor Caligari. Es ist dringend, sagt sie.

Jonas: Stellen Sie durch.

Wirt: Ja.

Caligari: Caligari.

Jonas: Was wollen Sie denn schon wieder?

Caligari: Ihnen ein Geschäft vorschlagen, Jonas.

Jonas: Kein Interesse.

Caligari: Das bezweifle ich. Da Sie meine Warnung nicht beachtet haben, und uns auch heute Nacht entkommen sind, Sie haben doch wirklich ein unverschämtes Glück, Jonas...

Jonas: Kommen Sie zum Punkt, ich bin müde.

Caligari: Deshalb habe ich mich schon früh zu einem neuen Approach entschlossen.

Jonas: Oh.

Caligari: Ich habe ein... ein gewisses Objekt in meine Gewalt gebracht, an dem ihnen viel liegt. Sie wären sehr betroffen, wenn es beschädigt oder gar zerstört würde. Geben Sie den Fall auf, Jonas, lassen Sie die Finger von Swartcliff. Kehren Sie zurück nach Babylon, dann bekommen Sie das Objekt zurück. Wenn nicht, werden Sie einen höchst schmerzlichen Verlust erleiden.

Jonas: Wissen Sie, wie Sie sich anhören? Wie das Horoskop der Woche.

Caligari: Der Humor wird Ihnen vergehen, Jonas.

Jonas: Kein Humor, wehrte Frau Professor, ich habe nur keine Lust, ihre Rätsel zu raten.

Caligari: Das brauchen Sie nicht. Fragen Sie den Wirt, wer Sie heute früh besuchen wollte.

Jonas: Herr Wirt?

Wirt: Ja.

Jonas: Hat heute morgen jemand nach mir gefragt?

Wirt: Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen darf.

Jonas: Wer hat nach mir gefragt? Antworten Sie, Mann!

Wirt: Die Dame hat gesagt, ich soll es Ihnen nicht verraten. Es soll eine Überraschung sein, hat sie gesagt.

Jonas: Dame? Was für eine Dame?

Wirt: Eine Frau Delgado.

Jonas: Judith? Wo ist sie?

Wirt: Keine Ahnung, sie ist am frühen Morgen gekommen, als Sie noch unterwegs waren. Aus Babylon. Sie hat nach Ihnen gefragt. Im Gastraum hat sie auf Sie gewartet.

Jonas: Und dann? Reden Sie, Mann!

Wirt: Dann sind die vier PoPos gekommen.

Jonas: Und?

Wirt: Die Dame und die vier PoPos sind zusammen weg.

Jonas: Die Rechnung, und eine Motorrikscha, wenn’s hier so was gibt. Schnell.

Jonas: Alles war klar. Die andere Seite hatte Judith gekidnappt, um mich loszuwerden. Ein schwerer Fehler. Bisher hatte ich die Geschichte als normalen Job gesehen, als einen Fall wie jeden andern. Jetzt war eine persönliche Sache daraus geworden. Es ging nicht mehr um Berufsehre, darum, daß ein Detektiv nie aufgibt, um Ökos, Möwen und so weiter, es ging nur noch um zwei Dinge: erstens, ich mußte Judith rausholen. Ich konnte mir denken, wo sie sie hingebracht hatten. Judith war bei Caligari, und Caligari war auf Swartcliff. Als sie mich eben anrief, hatte ich im Hintergrund deutlich Baugeräusche gehört. Zweitens, ich mußte mit Caligari und ihrer Bande abrechnen. Endgültig. Ich hatte genug. In mir war eine kalte Wut, eine Wut im Bauch und im Kopf. Ich fuhr nach Babylon. Aus dem Wandschrank in meinem Büroapartment, da wo ich auch meine Sammlung antiker Detektivromane aufhebe, holte ich die Guerilla-Ausrüstung, die ich vor 5 Jahren weggelegt hatte, als der antarktische Krieg zu Ende war. Eine kurze Nachricht an Demeter, und ich war wieder unterwegs Richtung Küste. Es wurde dunkel, als ich die Bucht erreichte, wo ich das Rettungsboot der Semiramis versteckt hatte. Nebel kam auf, und ein Wind, der stärker war als die Damenbrise des seligen Piet Pietersen. Ich machte mich fertig. Ich zog den Kampfanzug aus schwarzem Plastik an, schmierte mir schwarze Farbe ins Gesicht, und verstaute alles, was ich brauchte, am Gürtel und in den Taschen.

Sam: Bitte, Massa.

Jonas: Laserstrahler, Nockouter, Infrarot-Ablenker, Nachtsichtbrille, Schockgranate, Miniplastbombe, Vakuumklammern, sonst noch was?

Sam: Oh Massa, treuen Onkel Sam nicht vergessen.

Jonas: Natürlich kommst du auch mit, Sammy. Dann wären wir wohl soweit.

Sam: Jawoll, Chef. Alles da, und alles aus Plastik. Kein Metall, von wegen dem Radar. Radadadar. Der unbezwingliche Plastikmann, Schrecken seiner Feinde, und fetischischtischer Wunschtraum.

Jonas: Keine dummen Witze, Sammy, die Sache ist ernst.

Sam: Dann gestatten eure heroische Seriosität ein leicht variiertes Zitat aus dem göttlichen Gedicht des gleichfalls göttlichen Homer: Singe, o Muse, den Groll des Privatdetektivs, namens Jonas, im Zorne erschuf unendliches Leiden der PoPo, viele tapfere Seelen der Helden zum Hades entsannt.

Jonas: Schon besser, also stechen wir in See. Fast wie in den bösen alten Tagen beim 9. Guerilla-Kommando im Beagle-Kanal.

Sam: England erwartet, daß jeder Mann seine Pflicht tut. Ahoi.

Jonas: Ahoi, das hieß rudern. 10 Kilometer. Der Nebel wurde stärker. Wind und Wellen spielten mit dem Boot Wasserball. Aber ich kam durch. Unter der steilen Südküste von Swartcliff machte ich das Boot fest, an einem Felsvorsprung, und dann lief ich die senkrechte Wand hoch. Kein Schwindel, Damen und Herren, keine schwarze Magie, zwei Saugklammern mit Stil und batteriebetriebener Vakuum-pumpe, kleben eingeschaltet an jeder Fläche, sicherer als Metallkrampen. Und viel leiser. Oben steckte ich vorsichtig den Kopf über den Rand. Wie ich es mir gedacht hatte: Weit und breit nur ein einziger Wächter, und der träumte vor sich hin. Hoffent-lich was schönes, ich ließ ihn weiterträumen, bis in alle Ewigkeit, dann rekognos-zieren. Durch die Nachtbrille, schwierig, der Nebel deckte allmählich alles zu.

Jonas: Hinten rechts der Heliport. Voll mit Maschinen.

Sam: Kein Flugwetter, eure meteorologische Inkapazität.

Jonas: Überall Bauschutt, Betonplatten, Baumaschinen, aber keine Baustelle.

Sam: Die ist natürlich unterirdisch, Herr Flottillenchef, bzw. unter- oder auch innerfelsig.

Jonas: Du meinst, die bauen die alten Marineanlagen aus?

Sam: Was denn sonst, Knallkopp.

Jonas: Vorsicht, Sam. Da muß der Eingang sein, in der Bunkerkuppel unter der Radarantenne.

Sam: Wohin wir uns nunmehr begeben werden, Herr Stoßtruppführer, zwecks Eindringens in die Swartcliffsche Unterwelt.

Jonas: Das Tor in der Kuppel war doppelt bewacht. Durch einen laserbewaffneten Typ, der gar nicht verträumt aussah, und durch einen Scanner. Mikro, Kamera und Lautsprecher kombiniert.

Sam: Sorry, Boss, Sam kann das Ding nicht ausschalten, Sam kommt nicht ans Zentrale ran, weil Sam kennt nicht den Supergeheimcode der PoPo.

Jonas: Dann machen wir’s anders.

Sam: Wie?

Wächter: Wer da? Ist da jemand? Identifizieren Sie sich, oder ich mach von der Waffe Gebrauch. Ahh...

Jonas: So, Sammy, jetzt haben wir eine schicke PoPo-Uniform. Wenn ich die über den Kampfanzug ziehe, und so am Scanner vorbeimarschiere

Sam: Hehe, vergiß aber nicht, dir die schwarze Farbe aus dem Gesicht zu wischen, großer Häuptling der Basrai.

Jonas: Ganz so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, kam ich aber dann doch nicht in die unterirdischen Anlagen. Ich war gerade am Scanner vorbei, da meldete sich eine Stimme aus dem Untergrund.

Offizier: Halt, was war da draußen los, Wanzek?

Sam: Machs Maul auf, Idiot, du bist Wanzek.

Jonas: Äh, falscher Alarm, Chef, alles in Ordnung.

Offizier: Gut, weitermachen.

Jonas: Das brauchte er mir nicht zweimal zu sagen. Ich holte tief Luft, und verschwand in dem Gang, der schräg nach unten führte. Immer weiter, immer tiefer. Rechts und links Türen, alle 50 Meter eine Kurve, und ab und zu ein Quergang. Wenig Lampen, und zum Glück auch wenig Verkehr. Drei, vier PoPos kamen mir entgegen, ich salutierte zackig, und marschierte vorbei. Zielstrebig, nicht eilig. Keine Gefahr, keine Probleme. Bis der Gang plötzlich zu Ende war. An einer massiven Tür ohne Schloß, Griff und Klinke. Statt dessen ein Schild.

Jonas: Sperrbezirk. Zugang für Unbefugte strengstens untersagt. Berechtigte Personen werden ersucht, ihren Kopf kurz in die dafür vorgesehene Öffnung rechts, siehe Pfeil, zu halten. Na, wenn’s weiter nichts ist.

Sam: Halt!

Jonas: Was, was ist denn, Sam?

Sam: Empfehle dringendst, der Aufforderung nicht zu folgen.

Jonas: Und warum nicht?

Sam: Weil eure Humanität lediglich über einen einzigen Kopf verfügt, auf welchen trotz seiner sattsam bekannten Unzulänglichkeit Durchlaucht auch fernerhin nicht verzichten sollten.

Jonas: Ach, du meinst, das ist eins von diesen neumodischen Sicherungssystemen, so eins, wo die Gehirnströme abgelesen werden.

Sam: Ja.

Jonas: Und wenn sie nicht gespeichert sind, dann

Sam: Schnipp schnapp, Rübe ab. Kein Zweifel, hochzuverehrender Henkersknecht.

Jonas: Huh, da hätte ich ja fast eine Riesendummheit gemacht.

Sam: Sam wagt nicht zu widersprechen, o Inbegriff aller Weisheit.

Jonas: Weißt du, Sam, wie wir reinkommen? Ich fange mir einen PoPo, der hier unten rumläuft, und stecke seinen Kopf ins Loch. Wenn er berechtigt ist, gut und schön, dann geht die Tür auf.

Sam: Und wenn nicht, o abgeklärter Kaltschnauz?

Jonas: Dann verliert er den Kopf, fürchte ich. Und ich fange mir einen neuen, einen möglichst hochrangigen. General oder so.

Oberst: Würde Ihnen ein Oberst reichen? Hände hoch und langsam umdrehen.

Jonas: Er stand plötzlich hinter mir. Ich hatte ihn nicht gehört, weil ich mich so angeregt mit Sam unterhalten hatte, dumm von mir. Er war tatsächlich ein Oberst der PoPo, das sah ich, als ich mich umdrehte. Lametta an Brust und Schultern, dazu ein Laserstrahler am Gürtel und ein Knockouter in der Hand. Das war dumm von ihm.

Oberst: Stehenbleiben! Bleiben Sie stehen. Sie... Sie sind isoliert!

Jonas: Du merkst auch alles, Buster.

Jonas: Haben Sie gehört? Buster. Ein echter Bogie. Ich war richtig stolz, fletschte die Zähne, und zupfte mich am Ohr. Übrigens war ich wirklich isoliert. Das heißt, mein Kampfanzug, der Oberst nicht, und deshalb fiel er um, als ich ihm einen soliden 2-Stunden-Lähmungsschock verpaßte. Aber er war berechtigt. Sein Kopf schloß mir das Tor auf. Ich legte ihn hinter einem Schutthaufen ab, weiter. Der Verkehr nahm ein bißchen zu. Kaum noch schwarzrote Uniformen, dafür weiße Kittel, hinter den Türen Funk- und Radarstationen, und Laboratorien. Eine Tür stand offen. Ich riskierte ein Auge, und obwohl ich es so eilig hatte, blieb ich stehen.

Jonas: Puppen? Sieh dir das an, Sammy. Die Damen und Herren Wissenschaftler von ZIP spielen mit Puppen.

Sam: Unwahrscheinlich. Geh näher ran, alter Türschlitzspanner. Keine Angst, das Labor ist leer.

Jonas: Das... das sind keine Puppen.

Sam: Was du nicht sagst, Kumpel.

Jonas: Das sind Menschen, klitzekleine Menschen.

Sam: Im Durchschnitt 12 Zentimeter hoch, flüchtig geschätzt, Minimenschen, o riesiger Gulliver zu Liliput. Tot sind sie übrigens auch.

Jonas: Jedenfalls bewegen sie sich nicht. Wie damals, im Schlachthaus von Costaguana, nur alles viel kleiner, aber womöglich noch scheußlicher. Was ist hier los, Sam?

Sam: Siehst du doch, blindes Huhn. ZIP entwickelt ein neues Verfahren. Mikronisierung. Verkleinerung von Menschen. Wo heute 100 leben können, sollen es in Zukunft Millionen und Milliarden sein.

Jonas: Deshalb diese gewaltigen Sicherheitsvorkehrungen.

Sam: Ja.

Jonas: Deshalb haben sie sich auf Swartcliff verkrochen.

Sam: Versteht sich, großer Vordenker. Hier wird das Verfahren getestet. Und hier soll es später im großen Stil und Umfang angewandt werden.

Jonas: ZIP schreckt wirklich vor nichts zurück.

Sam: Vermutlich hat man auch die Dame Judith zur Mikronisierung vorgesehen.

Jonas: Judith? Meinst du wirklich, Sam?

Sam: Ja.

Jonas: Dann los.

Jonas: Weiter, schneller, immer schneller, noch ein paar Labortüren, dann Büros, dann das allerheiligste. Professor Caligari. Kein Zutritt. Für mich galt das nicht. Ich trat zu. Leise. Niemand im Vorzimmer. Aus dem Hinterzimmer durch die angelehnte Tür, Stimmen. Caligari und Judith.

Judith: Die Sicherheitsverwaltung wird mich suchen lassen.

Caligari: Das werden wir zu verhindern wissen, mein Liebe. Sie haben Ihre Situation doch selbst verschuldet. Was geben Sie sich mit diesem Quertreiber ab, diesem Unruhestifter, diesem Jonas. Meine Organisation hat ein hohes Ziel, die Reduktion der Überbevölkerung. Mittel haben wir im Überfluß. Die Industrie unterstützt uns, die Hochfinanz, die Politik.

Judith: Ja, ja, die Politik.

Caligari: Was wir brauchen ist Ruhe. Vor allem jetzt, im Versuchsstadium. Das große Projekt der Mikronisierung läuft. Aber der Durchbruch ist uns noch nicht gelungen. Wir verzeichnen einen zu hohen Verschleiß an Versuchspersonen. Ja, auch auf diese Weise reduziert sich die Bevölkerung, und das ist doch die Hauptsache, nicht wahr?

Judith: Wenn Sie meinen.

Caligari: Wenn der Ausbau unseres neuen Hauptquartiers beendet ist, wenn wir uns hier auf Swartcliff sicher verschanzt haben, wenn wir ungestört arbeiten können, dann, meine Liebe, dann...

Judith: Dann? Werden Sie mich freilassen?

Caligari: Das halte ich für unwahrscheinlich. Sie sind zu gut über uns informiert. Und wir brauchen laufend frische Versuchspersonen.

Jonas: Frau Professor Caligari hielt gern Vorträge. Mir reichte es. Ich wollte nichts mehr hören. Ich wollte Judith. Die Ein-Mann-Armee Jonas setzte zum Sturm an. Es ging alles sehr schnell. Eine Schockgranate durch die Tür, Caligari ging benommen zu Boden. Aber sie war hart im Nehmen. Sie hatte ihren Laser fast schon wieder in Schußposition, als ich sie mit dem Knockouter unschädlich machte. Dann zu Judith. Auch sie kam schnell wieder zu sich.

Judith: Jonas? Was ist passiert? Ich hab dich zuerst gar nicht erkannt. In dieser Uniform.

Jonas: Was meinst du, Judith, steht sie mir? Judith, wie fühlst du dich denn? Kannst du laufen?

Judith: Ja.

Jonas: Na komm, ich helf dir.

Judith: Ich glaub schon.

Jonas: So, dann laß uns loslaufen.

Sam: Moment, Chef. Punkt eins: Befreiung der Dame Delgado erfolgreich ausgeführt. Bleibt Punkt zwei.

Jonas: OK, Sammy. Wo?

Sam: Hintere Wand Mitte, allerwertester Knallfrosch.

Jonas: Eine Miniplastbombe oder zwei?

Sam: Zwei, o Meister aller Bombardiere. Safety first. Beeil dich, lahme Ente.

Jonas: Ich beeilte mich, und dann raus. Im Geschwindschritt durch die Gänge. Wer sich uns in den Weg stellte, war selber schuld. Kampfmaschine Jonas ließ sich nicht aufhalten, bis sie von allein stehen blieb, am Ausgang, mit Judith, atemlos, aber glücklich. Und mit Sam natürlich.

Judith: Du hast es wirklich geschafft, Jonas.

Jonas: Kleinigkeit. Anruf genügt, komme sofort.

Judith: Caligari hat gesagt, du würdest nicht kommen, weil du nicht gut genug bist, und weil du mich nicht genug liebst.

Jonas: Da hat sie sich geirrt, unsere Frau Professor. Zum allerletzten Mal.

Judith: Ist sie tot?

Jonas: Noch nicht. Sam.

Sam: Ja.

Jonas: Die Fernzündung.

Sam: Fernzündung.

Jonas: Feuer.

Sam: Zu Befehl, Herr Sprengmeister.

Judith: Was ist das?

Jonas: Die große ozeanische Wasserspülung, meine Bomben in Caligaris Zimmer, tief unter dem Wasserspiegel, haben die Felswand aufgerissen, und jetzt wird der ganze Dreck ins Meer gespült, Caligari und ihre Organisation, PoPos und Wissenschaftler, Labors und Maschinen, aus und vorbei. Ein für alle mal.

Sam: Mögen sie in Frieden ruhen auf dem kühlen Meeresgrund, rappeldizock...

Demeter: Da ist noch einer von den Schwarzroten! Hände hoch!

Jonas: Demeter!

Demeter: Jonas!

Jonas: In Person.

Demeter: Ich hab Sie nicht gleich erkannt.

Jonas: In dieser Uniform. Wie kommen Sie hierher?

Demeter: Als ich Ihre Nachricht kriegte, habe ich alle Ökos zusammengetrommelt, die Westerporter haben ihre alten Flinten aus dem Schrank geholt, und uns in ihren Booten rübergebracht, trotz Sturm und Nebel. Wir wollen Ihnen helfen.

Jonas: Danke, sehr freundlich, aber nicht mehr nötig. Der böse Feind ist geschlagen. Auftrag ausgeführt.

Sam: Ja.

Demeter: Und die Dreizehenmöwe Rissa?

Jonas: Ach, die hab ich vergessen. Es war nämlich einiges los, müssen Sie wissen.

Demeter: Das interessiert mich nicht. Unter diesen Umständen wird es uns nicht möglich sein, Ihnen Ihr restliches Honorar auszahlen. Wir hatten vereinbart... Da, hören Sie: Rissa Tridactyla. Sie hat es überlebt. Hurra!

Sam: Hurra!

Jonas: Zähes Tierchen, dachte ich, und freute mich ein bißchen mit Demeter und ihren Leuten, die sich aufmachten, die Nester ihres heißgeliebten Federviehs zu suchen. Judith und ich blieben allein zurück.

Judith: Ich seh dir in die Augen, Jonas.

Jonas: Ich dir auch, Judith. Sehen wir uns heute Abend?

Judith: Wenn du willst. Sehen wir uns morgen Abend?

Jonas: Wenn du willst.

Jonas: Und so weiter. Falls Ihre Beziehung nicht mehr das ist, was sie war, dann rate ich Ihnen, lassen Sie sich kurz kidnappen, und auf möglichst spektakuläre Weise retten. Das verbindet, bis zum nächsten Krach.

Das war Kidnapper. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Kornelia Boje, Renate Grosser, Gernot Duda, Michael Lenz, Wolfgang Büttner und viele andere (Joachim Höppner, Gisela Hoeter, Reiner Kositz). Ton und Technik: Günter Heß und Angela Bernd. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1985). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:13
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Schmiergeld

Jonas: Ich machte die Tür auf, und da saß er. Mitten in meinem Büro. Auf meinem besten und einzigen Klientenstuhl. Er war klein und trug grau, das offizielle grau der Politiker und Geschäftsleute. Eine graue Maus. Unauffällig. Abgesehen von einer Kleinigkeit. Er war tot. Sein Gesicht war blau angelaufen, die Zunge hing ihm aus dem Mund, die Augen standen weit offen. Das gefiel mir nicht. Welcher Detektiv findet schon gern eine ermordete Leiche in seinem Büro?

Jonas: Erwürgt mit einer Drahtschlinge. Fachmännische Arbeit. Zwei Täter. Einer hält den Mann fest, der andere zieht zu.

Sam: Wie weiland die Thugs, eure mäßige Belesenheit dürfte sie kaum kennen. Eine indische Mördersekte. Welche vorzugsweise in Bengalen florierte. Zu Ehren ihrer Göttin Kali oder auch Bowarni erwürgten sie zahllose Menschen mit gelben Tüchern.

Jonas: Sam. Mein Computer. Bis an die Oberkante vollprogrammiert mit nützlichem Wissen und unnützer Gelehrsamkeit. Unentbehrlich und innervierend. Und ein bißchen verrückt. Vor fünf Jahren habe ich ihn billig gekauft. Im Ramsch. Als Einzelstück. Seitdem versuche ich mich an ihn zu gewöhnen. Das ist nicht leicht.

Sam: Dem Treiben der Thugs machte die britische Kolonialverwaltung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Ende.

Jonas: Wir sind in Babylon, Sam, nicht in Indien. Und wir haben heute den 2. Juni 2010. Wer immer unseren Besucher umgebracht hat, Thugs waren es bestimmt nicht, blas dich nicht auf mit deiner Bildung, mach dich nützlich.

Sam: Jawohl, großmächtiger Herr und Meister. Sam drängt darauf, sich ganz ungeheuer nützlich zu machen, doch wie, so fragt der Fachmann und der Laie wundert sich, wie oder mit anderen Worten ausgedrückt, auf welche Weise?

Jonas: Ich stell dich ab, Sam, ich werf dich aus dem Fenster.

Sam: Ob seines Gebieters Zorn windet sich der unglückselige Sklave im Staub.

Jonas: Ich verkauf dich als Schrott.

Sam: Bin ja schon ganz still, Chef.

Jonas: Kennst du den Mann?

Sam: Sorry, Sir. Nie gesehen.

Jonas: Ich auch nicht, aber das war kein Problem. Unser Besucher stellte sich selbst vor. Mein altes Diktaphon, das auf Sams Datenspeicher stand, war verschoben, kein Staub auf den Tasten, ein Detektiv sieht so was. Und er weiß, was das bedeutet. Ich ließ die Kassette zurücklaufen und der Tote sprach.

Hartog: Zunächst einmal muß ich Sie um Entschuldigung bitten, Herr Jonas, unter normalen Umständen hätte ich mir niemals erlaubt, Ihr Diktiergerät zu benutzen oder in Ihrer Abwesenheit in Ihre Räumlichkeiten einzudringen. Übrigens hat mich Ihr Hauswart eingelassen. Wie gesagt, nicht unter normalen Umständen. Aber die Umstände sind nicht normal. Ich werde verfolgt, ich fühle mich bedroht, und ich werde zu unrecht beschuldigt, Sie sind meine letzte Hoffnung, Herr Jonas.

Jonas: Jonas, das bin ich. Nur Jonas. Ich bin der die das letzte. Das letzte Gremium, die letzte Instanz, der letzte Privatdetektiv. Zu mir kommt man, wenn alle Stricke reißen. Nicht, daß ich viel tun kann, aber ich gebe mir Mühe. Davon lebe ich.

Hartog: Ich darf mich vorstellen. Hartog ist mein Name. Hugo Hartog. Sie werden mich nicht kennen. Ich bin Stadtrat in der babylonischen Finanzverwaltung, Abteilung Gewerbesteuern. Stellvertretender Abteilungsleiter. Kein großes Licht. Ja, ich, ich, ich sollte mich besser beeilen. Also, ein Journalist hat mich angerufen, ich kenne ihn flüchtig. Er heißt Sidonia, und er ist beim Europäischen Pressebüro EPB. Er hat einen Informanten bei Chips Inc. Und dieser Informant hat ihm eine Liste durchgegeben. Eine Liste, auf der alle stehen, die in diesem Jahr von Chips bestochen worden sind. Mit den Beträgen, die sie bekommen haben, wegen der Robotergesetze, wissen Sie.

Jonas: Natürlich wußte ich. Jeder weiß das. Die Robotergesetze bestimmen, daß ein Betrieb je nach Umsatz für eine bestimmte Anzahl Roboter eine menschliche Arbeitskraft einstellen muß. Oder eine kräftige Ersatzgebühr zahlen. Beides wollen die Betriebe nicht. Zu teuer. Zu umständlich. Deshalb schmieren sie die Kontrollbehörden. Das kommt billiger. So ist allen geholfen. Nur nicht den menschlichen Arbeitskräften. Aber die fragt sowieso keiner.

Hartog: Und ganz oben auf der Liste, sagt Sidonia, stehe ich. Als erster. Mit 15 Millionen Euros. Das stimmt nicht, Herr Jonas, das schwöre ich. Mit Chips habe ich seit Jahren nichts mehr zu tun, und ich habe in meinem Leben noch nie Schmiergeld genommen. Das habe ich Sidonia gesagt, aber der glaubt mir nicht, und wird die Liste heute noch veröffentlichen. Helfen Sie mir, Herr Jonas. Beweisen Sie meine Unschuld, ich bitte Sie. Da, Schritte draußen auf dem Gang. Sie kommen nach Hause, Herr Jonas. Der Rest mündlich.

Jonas: Ich war’s nicht, der da gekommen ist.

Sam: Keinesfalls, o Rächer der Genervten. Wie die akustisch-subtonale Anneliese, äh Korrektur Analyse zeigt, handelte es sich um die Schritte zweier Menschen.

Jonas: Die Mörder mit der Drahtschlinge. Glaubst du ihm, Sam?

Sam: Begriff unpräzise, Meister. Computer glauben nicht, Computer wissen.

Jonas: OK, Sammy. Weißt du, ob er die Wahrheit sagt?

Sam: Daten unzureichend, Hochwürden.

Jonas: Na, dann machen wir sie doch ein bißchen zureichender. Wie spät ist es?

Sam: Piep. 14 Uhr 1 Minute und 12 Sekunden.

Jonas: News Time im öffentlichen Holokanal.

Nachrichtensprecherin: Liste mit angeblichen Empfängern von Bestechungsgeldern. Chips Inc, der bedeutendste Hardwareproducer in den Vereinigten Staaten von Europa, hat bisher jede Stellungnahme abgelehnt. Auch der Hauptbelastete, Stadtrat Hartog, hat sich noch nicht geäußert. Ein Sprecher der Finanzverwaltung teilte mit...

Jonas: Soweit stimmt die Sache also. Er steht wirklich ganz oben auf der Schmiergeldliste von Chips, der Herr Hartog.

Sam: Möge er ruhen in Frieden, Eminenz.

Jonas: Dafür werden wir sorgen, Sammy.

Sam: Wie ist dieses zu verstehen, Heiligkeit?

Jonas: Hartog ist zu mir gekommen, er hat mir den Auftrag gegeben, die Angelegenheit zu klären. Wenn er genug Geld bei sich hat.

Sam: 80 Euros pro Tag plus Spesen.

Jonas: Ich hab schon jede Menge Auftraggeber gehabt. Dicke und dünne, verrückte und normale, nette und widerliche, aber noch keinen Toten. Das war was neues.

Sam: Hoffentlich bringt's auch was ein, Meister.

Jonas: Wollen mal sehen. Hier, hier ist seine Brieftasche, 100, 200, 10, 20, 30, 40, 50, 70 Euros in Scheinen, 240 für mich als Anzahlung, 3 Tagessätze.

Sam: Und die Spesen, o leuchtendes Exempel an Großzügigkeit?

Jonas: Wird sich finden, Sam.

Sam: Dein Wort in Gottes Ohr, Alter. Wenn Sie gestatten, Sir, es hat gedong-dongt. Geklopfet.

Jonas: Wir sind nicht zu Hause, James. Eine Leiche im Salon verstört auch den gutwilligsten Gast.

Brock: Machen Sie auf, Jonas, Kriminalpolizei.

Jonas: Die gute alte Kripo. Sie ist immer noch unter uns. Unterbesetzt. Unterbezahlt. Unterbewertet. Staatsgewalt für Minderbemittelte. Wer was hat, leistet sich Privatbullen. Und für die wirklich wichtigen Dinge gibt’s Spezialtruppen. PoPo, MePo, FiPo etc. Aber wenn die Kripo auch keine große Rolle mehr spielt, einem einzelnen Privatdetektiv kann sie noch ganz schön Ärger machen. Besonders wenn sie im Büro des Detektivs einen Ermordeten findet. Und wenn die Kripo aus Inspektor Brock nebst Gefolge besteht.
Brock: Ich hab's ja immer gesagt, Jonas, mit Ihnen ist was faul. Privatdetektiv. Das ist doch kein Beruf für einen anständigen Menschen.

Jonas: Wir können nicht alle bei der Kripo sein, Inspektor. Was führt Sie zu mir.

Brock: Wir sind angerufen worden.

Jonas: Von wem?

Brock: Von einer Frau. Namen hat sie nicht gesagt. Nur daß bei Ihnen einer ermordet worden ist. Kunde von Ihnen?

Jonas: Der Tote, ja, könnte man sagen.

Brock: Haben Sie ihn umgebracht.

Jonas: Soviel Kunden hab ich nicht, daß ich s mir leisten kann sie umzubringen.

Brock: Ich glaube Ihnen kein Wort, Jonas. Pauly.

Pauly: Inspektor?

Brock: Was sagt der Pathomat?

Pauly: Moment. Tod trat ein genau 12 Uhr 49.

Brock: Wo waren Sie 12 Uhr 49, Jonas?

Jonas: Bei Ihnen Bröckchen.

Brock: Scheißen Sie mich nicht an. Wo waren Sie?

Jonas: In der Zentrale der Sicherheitsverwaltung, Europaplatz in der Polizeikantine beim Essen.

Brock: Echt? Kein Scheiß?

Jonas: Sojaschnitzel mit gedämpften Algen, recycelt natürlich aber gar nicht schlecht.

Brock: Haben Sie Zeugen?

Jonas: Nur einen. Das heißt: eine: Ihre Chefin.

Brock: Sie scheißen mich ja schon wieder an.

Jonas: Kein Scheiß Inspektor. Rufen Sie Frau Delgado an.

Jonas: Judith Delgado ist Hauptabteilungsleiterin bei der Sicherheitsverwaltung und sie ist meine z.B., meine zeitweilige Beziehung, wobei das zeitweilig eigentlich nicht mehr stimmt, immerhin kennen wir uns seit über einem Jahr, und Beziehung stimmt auch nicht so richtig, weil wir uns meist streiten, allerdings in letzter Zeit ist es zwischen uns besser geworden, vielleicht weil ich sie rausgeholt habe, als sie gekidnaped und auf die Insel Swartcliff verschleppt worden war. Wie auch immer, wir hatten wirklich zusammen gegessen in der Polizeikantine. Bei so einem Alibi mußte Inspektor Brock abschnallen und ohne Jonas von dann ziehen. Was ihm sichtlich schwer fiel, und ich konnte endlich anfangen an meinem neuen Fall zu arbeiten.

Sam: Roy Sidonia, Journalist, angestellt in europäischen Pressebüro.

Jonas: Tschuldigung, du verwirrst mich, Sam, wo wohnt er?

Sam: Im Nordwestbezirk, Mardukstraße 20.

Jonas: Nicht gerade um die Ecke. Wie kommen wir hin Sammy?

Sam: Am bequemsten per Rikscha, Sahib, am billigsten zu Fuß. Am schnellsten mit der Metro.

Jonas: Also die Metro, ich hatte es eilig, und ich konnte Judo und Karate und was ich sonst noch im antarktischen Krieg gelernt hatte. Vor Räubern und Funkillern brauchte ich keine Angst zu haben. Trotzdem, richtig wohl fühlte ich mich erst wieder, als ich an der Mardukstraße ausstieg. Ein mittleres Viertel, nicht posch, aber auch nicht gerade heruntergekommen, solider Durchschnitt. Sidonia wohnte in einem Mietshaus aus dem vorigen Jahrhundert im 4. Stock. Kein Fahrstuhl und zum Glück auch kein Torwächter. Er war nicht da, jedenfalls machte er nicht auf. Ich machte auf, sein Türschloß war so alt wie das Haus.

Jonas: Mindestens 30 Quadratmeter.

Sam: Der Mitarbeiter eines kontinentalen Infobüros in Tarifstufe 6 hat Anrecht auf 32 Quadratmeter Wohnraum, o du mein beengter, eingezwängter und beschränkter Freiberufler.

Jonas: Sam hatte ich dabei. Wie immer, ich meine natürlich Sam 2, kleiner Apparat, paßt in jede Tasche, rund um die Uhr mit dem großen Kasten im Büro verbunden, drahtlos, guter Rat überall und jeder Zeit und Nervensägerei als Zugabe.

Sam: Das Leben ist ungerecht, Genosse. Find dich damit ab. Ein Journalist gilt mehr als ein Privatdetektiv.

Jonas: Dieser Journalist hat nur leider nichts mehr davon. Er ist nämlich tot, da liegt er, neben dem Bett.

Sam: Aha, aus diesem Grunde hat er meinen Herrn nicht die Türe geöffnet.

Jonas: Sehr gut mein dear Watson. Sehr scharfsinnig. Computer sind Denkmaschinen, das bestätigt sich immer wieder.

Sam: Daten, wenn ich bitten darf, Daten und keine blöden Bemerkungen, o Wonne meiner Seele die ich nicht besitze. Wie kam Sidonia zu Tode. Falls es sich bei der Leiche tatsächlich um ihn handelt.

Jonas: Es ist Sidonia, er hat seine Bürgerkarte in der Tasche. Er hat überhaupt noch alles in der Tasche, Schlüssel, Geld und er ist ermordet worden.

Sam: Erwürgt?

Jonas: Mit einer Drahtschlinge. Kommt uns bekannt vor, was Sammy.

Sam: Ein Muster beginnt sich abzuzeichnen, großer Kombinator. Stadtrat Hartog in dero Durchlaucht Büro, Sidonia in seiner Wohnung, die gleiche Methode, die gleichen Mörder, der gleiche Fall.

Jonas: Alles gleich, Sam. Bis auf eins. Sieh dir den Computer in der rechten Ecke an.

Sam: Computer? Das Ding ist so alt, daß es nicht mal reden kann, igitt, so was nenn ich nicht Computer, das ist eine Rechenmaschine, wenn's hochkommt, ein Museumstücke, zum normalen Gebrauch nicht geeignet.

Jonas: Ist ja auch schon jahrelang nicht mehr benutzt worden, Sam. Fingerdick Staub, Roststellen, die Tasten verklemmt. Trotzdem haben die Mörder den Speicher kaputt geschlagen und ausgeräumt.

Sam: Wie euer Scharfsinn bereits erschlossen haben dürfte, waren sie bemüht zu verhindern, daß gewisse Informationen anderweit bekannt würden. Informationen, welche zweifellos mit Chips Inc. und mit der Bestechungsliste in Zusammenhang stehen.

Jonas: Vermutlich der Name der Person, die Sidonia die Liste gegeben hat.

Sam: Dabei ist den Tätern nicht aufgefallen, daß die fragliche Information sich keinesfalls in diesem diesem computerähnlichen Etwas befunden haben kann, Hoheit.

Jonas: Das waren Killer, Sam, keine Infoexperten.

Sam: Im Gegensatz zu meinem Gebieter, welcher ohne Frage weiß, wo die gesuchte Information zu finden ist.

Jonas: Ach ja.

Sam: Nicht. O Sancta Inplicitas. So lasset uns denn logisch vorgehen, geliebte Gemeinde. Erstens. Kein Mensch kommt heutzutage ohne Computer aus.

Jonas: Richtig.

Sam: Zweitens in seiner Privatwohnung verfügte Sidonia nicht über eine benutzbaren Computer.

Jonas: Auch richtig.

Sam: Drittens. Sidonia hat seinen Computer an anderer Stelle.

Jonas: Das Europäische Pressebüro liegt im Zentrum, nicht weit vom Europaplatz. Reinkommen ist ein Kinderspiel: Man braucht nur eine Aktentasche unterm Arm, einen wichtigen Gesichtsausdruck und Sidonias Paß, den ich in seiner Tasche gefunden hatte. In Tarifstufe 6 hat man nicht nur Anspruch auf 32 Quadratmeter Wohnfläche, sondern auch auf ein Einzelbüro. Schreibtisch mit Textgerät, Stuhl, Schrank, und ein Personalcomputer, klein aber effektiv. Ich aktivierte ihn mit Sidonias Schlüssel. Keine lange Unterhaltung, das war zu gefährlich. Ich ließ Sam kurz interfacen und holte dann schnell aus ihm raus was ich wissen wollte.

Sam: Aye aye Sir, kurz und bündig. Unter heutigem Datum, 6 Uhr 30 morgens findet sich verzeichnet die ungewöhnlich hohe Zahlung von Euros 3000 für Information erhalten, Kennwort Liste Chips.

Jonas: Das ist es, Sammy. Zahlungsempfänger?

Sam: C. Hinkelstein. Auch in den vorangegangen Monaten taucht dieser Name des öfteren auf, o Schmieröl meiner Schaltungen.

Jonas: Ganz klar. Hinkelstein war Sidonias Informant bei Chips Inc und er hat ihm heute morgen die Liste der Schmiergeldempfänger geliefert, die Liste, auf der unser Klient ganz oben steht.

Sam: Vermutlich zu Unrecht.

Jonas: Hinkelstein. Ausgefallener Name. Sieh mal das Personalverzeichnis von Chips durch, Sammy.

Sam: Schon passiert, Herr Oberbrandmeister, unter den zahlreichen Mitarbeitern von Chips befindet sich nur ein C. Hinkelstein. Berichtigung: nur eine C. Hinkelstein. Carla Hinkelstein, Sachbearbeiterin in der Abteilung Marketing und PR.

Jonas: Fonnummer.

Sam: Wünschen Durchlaucht Dienst oder Privatnummer.

Jonas: Wie spät?

Sam: Piep. 17 Uhr 21 Minuten und 8 Sekunden.

Jonas: Dann wird sie zu Hause sein.

Sam: 2271399625.

Hinkelstein: Ja?

Jonas: Frau Carla Hinkelstein?

Hinkelstein: Ja?

Jonas: Mein Name ist Jonas, nur Jonas. Ich möchte mit Ihnen sprechen.

Hinkelstein: Ja worüber?

Jonas: Eine Überraschung. Sie konnte nicht nur ja, sie konnte auch anders. Und mehr. Das machte mir Mut.

Jonas: Über einen Bekannten von Ihnen, Roy Sidonia und über eine gewisse Liste.

Hinkelstein: Ich weiß nicht, was Sie meinen.

Jonas: Natürlich nicht. Kann ich gleich vorbeikommen.

Hinkelstein: Sind Sie von der Presse?

Jonas: Nein, ich bin Detektiv.

Hinkelstein: Oh, heute geht's nicht, kommen Sie morgen.

Jonas: Zu Chips?

Hinkelstein: Nein, in meine Wohnung, Lemstraße 92. Morgen früh um 8.

Jonas: Im Korridor vor meinem Büro war’s dunkel. Der Hauswart hatte vergessen die kaputte Birne der Deckenlampe auszuwechseln. Wie üblich. Das störte mich nicht. Ich finde das Schlüsselloch auch im Dunkeln. Was mich störte war ein Umriß neben meiner Tür. Ein Umriß, der etwas heller war als die Wand und der sich bewegte. Ich ließ den Schlüssel los und griff nach meiner alten Smith and Wesson, eher Maskottchen als Waffe aber im Zweifelsfall besser als nichts.

Luna: Herr Jonas?

Jonas: Treten Sie drei Schritt zurück und bleiben Sie dann ganz still stehen.

Luna: Keine Angst, Herr Jonas, Sie sind doch Herr Jonas, ich tue Ihnen nichts, im Gegenteil. Ich brauche einen Detektiv. Der Hauswart wollte mich nicht in Ihr Büro lassen.

Jonas: Ich hab's ihm verboten aus gutem Grund. Kommen Sie rein. Setzen Sie sich. Lassen Sie sich ansehen.

Jonas: Eine Frau Mitte 30, kräftige Schultern, große Füße in flachen Schuhen, ein Gesicht ohne Bemalung, schmaler Mund, kleine Augen, Kleidung so so, kein Schund aber auch nichts besonders, kein Schmuck. Sie saß steif da, Knie zusammen, Hände im Schoß gefaltet. Nicht gerade ein herzerwärmender Typ, aber wer sagt, daß einem Privatdetektiv alle seine Klienten sympathisch sein müssen.

Luna: Ich heiße Marten. Vanessa Marten.

Jonas: Und Sie brauchen einen Detektiv. Warum.

Luna: Ich hab eine Partnerin, Nora Karatschi.

Jonas: Zeitweilig oder dauerhaft?

Luna: Z.B. Wir haben einen Halbjahresvertrag gemacht.

Jonas: Ja.

Luna: Nora geht fremd, seit ein paar Wochen, jeden Montag abend verschwindet sie, wenn sie glaubt, ich schlafe, ich nehme Pillen, wissen sie, vegetative Dystomie.

Jonas: Sieht man Ihnen nicht an. Und?

Luna: Am nächsten Morgen kommt sie zurück, ganz früh und tut, als ob nichts gewesen ist. Letzten Montag bin ich ihr heimlich nachgegangen, wir wohnen ganz in der Nähe, sie ist hier die Straße langgegangen, vorbei an Ihrem Haus, um die Ecke gebogen.

Jonas: Und dann?

Luna: War sie verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Ich hab gesucht aber.

Jonas: Mir ist nicht ganz klar, was Sie von mir wollen, Frau Marten.

Luna: Die Sache ist die, unser Vertrag läuft noch gut zwei Monate, und wenn Nora ihn bricht...

Jonas: Der Vertrag enthält eine Exklusivitätsklausel.

Luna: Ja sicher, wenn Nora den Vertrag bricht, kann ich die Beziehung sofort beenden, ohne Abfindung.

Jonas: In diesem Fall müssen Ihrer Partnerin den Vertragsbruch nachweisen.

Luna: Aber deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen Herr Jonas. Ich bauch eine Fachperson, die Nora nicht aus den Augen verliert und die als unabhängiger Zeuge aussagen kann. Was kosten Sie?

Jonas: 80 Euros pro Tag und Spesen.

Luna: Heute ist Montag. Wenn Sie den Fall heute Nacht zu Ende bringen, zahle ich Ihnen 120 Euros bar auf die Hand.

Jonas: Es war schon komisch, da hatte ich wochenlang keinen einzigen Fall und jetzt hatte ich zwei auf einmal, falls ich den Auftrag von Vanessa Marten annahm. Sie war mir nicht sympathisch, ihre Geschichte auch nicht. Aber 120 steuerfreie Euros, und Verträge müssen schließlich eingehalten werden. Also sagte ich ja.

Luna: Wenn Nora heut nacht aus dem Haus geht.

Jonas: Rufen Sie mich an, ich warte unten vor dem Haus auf Sie. Sie zeigen mir ihre Partnerin.

Luna: Sie gehen ihr nach und

Jonas: Alles übrige ist meine Sache. Und vergessen Sie das Geld nicht...

Judith: Och nein, nicht Jonas, geh nicht ans Fon.

Jonas: Hmh. Jonas?

Luna: Vanessa Marten. Eben ist Nora aus dem Haus gegangen. Können Sie in 5 Minuten unten sein?

Jonas: Ich werd's versuchen.

Judith: Du willst weg.

Jonas: Ich muß weg.

Judith: Jetzt, kurz vor zwei.

Jonas: Ein Detektiv ist immer im Dienst.

Judith: Komm wieder ins Bett, Jonas, mir ist kalt ohne dich.

Jonas: Judith war bei mir. Das kam nicht oft vor. Sie hat es lieber, wenn ich zu ihr komme, das ist für beide bequemer, meint sie, sie hat 48 Quadratmeter, und sie meint, bei mir kommt immer was dazwischen. Da hat sie nicht unrecht.

Judith: Kannst du es nicht verschieben?

Jonas: Unmöglich. Wo zum Donner ist Sam zwo, du hast vorhin aufgeräumt, Judith, wo hast du ihn hingetan?

Judith: Ach, ich kann mich nicht erinnern.

Jonas: Also dann muß es ohne Computer gehen. Kein Problem bei so einem kleinen Fall, reine Routine. Ich muß los. Also schlaf schön weiter, Judith.

Jonas: Ich wartete unten an der Haustür im Schatten. Ein paar Menschen kamen vorbei. Frauen, Männer und zwei oder drei, die ich nicht einordnen konnte. Als Vanessa Marten erschien, trat ich aus dem Schatten.

Luna: Gut. Sie sind pünktlich, Jonas, da vorn, die Frau im roten Cape, das ist Nora.

Jonas: Ausgesprochen hilfreich, ihre Partnerin.

Luna: Was meinen Sie?

Jonas: Weil sie so auffällig angezogen ist, leicht im Auge zu behalten. Sie können jetzt gehen, Frau Marten, den Rest übernehme ich.

Luna: Ich komm mit, ich will wissen, wo Nora hingeht und was sie da tut.

Jonas: Sie kriegen morgen einen Bericht in dreifacher Ausfertigung.

Luna: Das ist mir zu spät, ich weil es gleich wissen. Ich geh mit.

Jonas: OK sie bezahlen, aber das Kommando habe ich.

Luna: Jetzt ist sie um die Ecke gebogen. Da ist sie letzten Montag verschwunden.

Jonas: Na kommen sie.

Luna: Weg ist sie, wie letzte Woche, spurlos.

Jonas: Nicht spurlos. Sehen Sie mal da.

Jonas: Gleich hinter der Ecke dicht an der Wand stand ein Kanaldeckel einen Spalt offen. Und in dem Spalt hatte sich ein rotes Stoffstück verfangen. Ein glücklicher Zufall, so glücklich, daß ich ein bißchen mißtrauisch wurde. Jonas ist ein guter Kerl, offen, vertauensselig, aber für dumm läßt er sich nicht verkaufen. Ein Jammer, daß Sam nicht bei mir war, auch die Smith and Wesson hatte ich zuhause gelassen. Alles was ich hatte war eine Taschenlampe. Ich hob den Deckel hoch und leuchtete, eine Treppe, wir stiegen nach unten, etwa 20 Stufen, dann ein Absatz und die Tür zu einem Quicklift. Ich sah auf den Indikator, der Lift zischte in die Tiefe und kam ganz unten zum Stehen. Ich wartete einen Moment, holte ihn hoch, und wir, Vanessa Marten und ich, fuhren in die Unterwelt.

Jonas: Wissen Sie wo es hier hingeht?

Luna: Nein, Sie?

Jonas: Ich glaube schon. In die Eingeweide von Babylon, zu den Kloaken, den Recyclinganlagen und Biogasgeneratoren. In die Scheiße.

Luna: Ich kann mir nicht vorstellen, was Nora da unten sucht.

Jonas: Wenn sie ein heimliches Verhältnis hat dann höchstens mit einem Cop-Robot. Menschen gibt’s da nicht. Endstation. Alles aussteigen. Nach ihnen, mein Dame.

Jonas: Ich war vorsichtig und behielt meine Begleiterin im Auge, in einem Auge, das andere brauchte ich für meine Umgebung. Wir standen unter einer riesigen Kuppel auf einem weiten unterirdischen Platz, neben dem Lift eine Schaltzentrale, Tafeln, Lichter, Computer, Monitore, ein Fon, dann rechts und links die Einmündungen zahl-loser Kanäle, die sich mitten auf dem Platz trafen und einen großen Teich bildeten. Einen Teich, der nicht stagnierte, sondern sich dick und dunkel nach hinten wälzte, und da teilte er sich. Auf einer Seite saugten Pumpen das Gas ab für die Biogenera-toren, die man irgendwo hinter den Wänden summen hörte, daneben wurde die fest-ere Materie in Richtung Recyclingcenter geschoben, wo man aus dem, was 25 Millio-nen Babylonier so unter sich lassen, Essen und Trinken für eben diese 25 Millionen macht. Über allem trübes Licht, unerträgliche Hitze. Noch unerträglicher Gestank.

Jonas: Mir stinkt noch was. Ihre Partnerin ist verschwunden.

Luna: Ich seh rot, da, dritte Einmündung rechts. Auf dem seitlichen Laufsteg.

Jonas: Sie machen recht, bleiben sie vor mir.

Jonas: Wie gesagt, ich war vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug. Das rote in der dritten Einmündung rechts war tatsächlich das Cap, aber Nora Karatschi steckte nicht drin, sie hockte in der zweiten Einmündung, im dunkeln, unsichtbar, und als ich vorbei lief, zog sie mir die Beine weg. Ich schlug auf, hart und trat kurz ab, nur ein paar Sekunden, aber die reichten, als ich wieder da war, hatten sie mich schon verschnürt. Hände auf dem Rücken, Füße zusammen. Sie standen vor mir. Vanessa Marten und eine Frau, die aussah wie ihr Zwilling.

Jonas: Nora Karatschi nehme ich an.

Nike: Nora Karatschi gibt's nicht mehr.

Luna: Und Vanessa Marten auch nicht.

Nike: Wir sind Nike.

Luna: Und Luna.

Nike: Nike und Luna, das taffe tödliche Team.

Luna: Das coole Killerkommando.

Nike: Bekannt und begehrt.

Luna: Schon von uns gehört?

Nike: Haben sie ein Partner, der sie stört, einen Erbonkel der nicht sterben will, einen Detektiv der lästig wird, kein Problem.

Luna: Rufen sie Nike und Luna.

Nike: Wir haben Hartog erledigt.

Luna: Und Sidonia.

Nike: Und die Hinkelstein.

Luna: Und jetzt ist Jonas fällig.

Nike: Wir haben gedacht, das wird schwierig.

Luna: Jonas ist ein harter Typ haben wir gedacht.

Nike: Deshalb haben wir ihn in die Kloake gelockt.

Luna: Es war viel leichter, als wir dachten.

Nike: Was machen wir mit ihm, Luna, das übliche, Schlinge um den Hals und...

Luna: Nicht nötig, Nike, wir schmeißen den Scheißkerl in die Scheiße.

Nike: Gut. Da kann er sich aussuchen, ob er Bio-Energie werden will oder Sojakäse Also dann... Ha!

Luna: Was?

Jonas: Nike und Luna, die coolen Killer fielen um und rührten sich nicht mehr. Ich hörte Schritte und drehte den Kopf. Ein junger Mann, den ich noch nie gesehen hatte, Overall über formeller grauer Bluse, Gummistiefel, elektrischer Knockouter in der Hand, keine besonderen Kennzeichen. Er blieb vor mir stehen und tippte mich mit der Fußspitze an.

Joker: Tut mir leid, ich konnte nicht früher kommen.

Jonas: Keine Sekunde zu früh, gerade wollten sie mich in die Kloake schmeißen.

Joker: Sehr ungezogen von den beiden, das können wir ihnen nicht durchgehen lassen. Strafe muß sein. Wie du mir so ich dir. Auge um Auge.

Jonas: Wer sind Sie? Eine Art Kanalarbeiter?

Joker: Sagen wir eine Art Joker. Die Karte, die den Spielverlauf plötzlich und unerwartet ändert. Drehen Sie sich um. So, Ihre Hände sind frei. Machen Sie's gut.

Jonas: Und die Füße?

Joker: Das werden sie doch wohl selbst können.

Jonas: Warum haben Sie mich gerettet?

Joker: Weil man's mir gesagt hat. Sie werden noch gebraucht. Jonas. Wir sehen uns.

Jonas: Weg war er. Ich machte die Fußfesseln los und stand auf. Von Nike und Luna war nichts mehr zu sehen. Trotz der Hitze lief es mir kalt über den Rücken wenn ich mir vorstellte, was sie mir zugedacht und sich schließlich selbst eingehandelt hatten. Ich ging zur Schaltzentrale. Das Fon war in Ordnung. Ich rief bei mir an und hoffte, daß Judith noch da war. Ich hatte so eine Ahnung. Judith war da. Ich erzählte ihr kurz was passiert war.

Judith: Wärst du lieber im Bett geblieben, Jonas. Bei mir.

Jonas: Die Nacht ist noch jung. Ich bin gleich da, und wir holen nach was wir versäumt haben.

Judith: Das geht nicht. Du darfst nicht nach Hause kommen.

Jonas: Was ist?

Judith: Großfahndung nach einem gewissen Jonas. Inspektor Brock muß jeden Moment hier sein.

Jonas: Was will er denn, ich hab doch ein Alibi.

Judith: Für Hartog ja, aber nicht für Sidonia.

Jonas: Sidonia? Sie wollen mir den Mord an Sidonia anhängen?

Judith: Es sieht so aus.

Jonas: Hör zu, Judith, hast du Sam zwo gefunden?

Judith: Ja, er war

Jonas: Ist nicht wichtig. Steck ihn ein, bring ihn mir.

Judith: Wo treffen wir uns.

Jonas: Kennst du den Armen Schlucker.

Judith: Ich weiß nicht.

Jonas: Der Dipsomat Lem-/Ecke Strugatzkistraße. In 20 Minuten.

Jonas: Auf Judith kann ich mich verlasen. Sie war schon da, als ich in den Dipsomaten kam, in einer dunklen Ecke hinter einem Campari Synth. Ich zog mir, nein, keinen Whisky, ein Mineralwasser, meinem Magen war der Ausflug in den babylonischen Mastdarm nicht bekommen. Außerdem brauchte ich ein klaren Kopf.

Judith: Armer Jonas. Gleich zwei Parteien sind hinter dir her, die Kripo und

Jonas: Nike und Luna. Aber die sind tot.

Judith: Nike und Luna waren professionelle Killer, die arbeiten nicht auf eigene Rechung. Jemand hat sie bezahlt, und für diesen jemand haben sie Hartog und Sidonia umgebracht.

Jonas: Und Carla Hinkelstein, Sidonias Informantin, das haben sie jedenfalls behauptet.

Judith: Und fast auch dich. Jonas wer ist diese Jemand?

Jonas: Keine Ahnung, ich weiß bloß, der Schlüssel der ganzen Sache liegt bei Chips Inc. und deshalb...

Sam: Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der dritte.

Jonas: Wenn du was wichtiges beizutragen hast, Sammy.

Sam: Sam hat, sowohl eure großfürstliche Gnaden als auch die Dame Judith geruhen einen entscheidenden Faktor zu übersehen. Die dritte Partei.

Judith: Ich nehme an du meinst...

Sam: Den oder die Auftraggeber hinter jenem mysteriösen Joker, welcher meinen über allen geliebten Jonas vor einem unaussprechlich schauderbaren Tode errettete.

Jonas: Was ich ausgesprochen nett von ihm finde. Chips, da muß ich ansetzen.

Sam: Wie denn und wo genau du aus dem Hades heimgekehrter Odysseus.

Jonas: In der Wohnung von Carla Hinkelstein. Vielleicht kann ich die Spur von da weiterverfolgen.

Judith: Kann ich nicht mitkommen, Jonas.

Jonas: Besser nicht, Judith, wenn die Kripo uns zusammen erwischt, verlierst du deinen Job. Ich werds schon schaffen.

Sam: Treuen Sam nicht vergessen, Wahna.

Jonas: Danke Sam, Ich hab ja gesehen was passiert wenn du nicht dabei bist.

Sam: Hmh, Hoheit geraten voll in die Exkremente.

Jonas: Du sagst es, Sammy. Drück mir die Daumen Judith.

Judith: Machs gut Jonas und komm wieder.

Jonas: Carla Hinkelsteins Wohnung lag gleich nebenan. Das war mit ein Grund, wa-rum ich mich mit Judith im armen Schlucker getroffen hatte. Ich kam genau so leicht rein wie am Vortag bei Sidonia, die Wohnung war genauso groß, genauso geschnit-ten und wie bei Sidonia lag auf dem Boden eine Leiche mit einer Drahtschlinge um den Hals. Nike und Luna hatten die Wahrheit gesagt. Der Computer war kaputt, keine Spur, kein Hinweis. Hier kommst du nicht weiter, Jonas, dachte ich, das war ein Irrtum. Ich kam weiter, wenn auch anders als ich mir das vorgestellt hatte.

Brock: Aufmachen. Kriminalpolizei.

Jonas: Schon wieder.

Brock: Pauly?

Pauly: Inspektor?

Brock: Brechen Sie die Tür auf.

Pauly: Zu Befehl Inspektor.

Brock: Hände hoch, Gesicht zur Wand, Beine auseinander. Pauly, durchsuchen.

Pauly: Zu Befehl, Inspektor.

Jonas: Kommen Sie mal wieder runter Bröckchen, ich bin nicht Jack the Ripper, ich bin nur Jonas.

Brock: Haben Sie das gehört, Pauly, bloß Jonas, der Privatdetektiv, der Störenfried, der Massenmörder.

Pauly: Er ist sauber, Inspektor, keine Waffe, nur ein Taschencomputer.

Jonas: Das ist kein Computer, das ist eine geheime Superminibombe, damit will ich das Kripocenter in die Luft sprengen.

Brock: Wird Ihnen schon noch vergehen Ihre große Schnauze. Pauly Handschellen.

Pauly: Zu Befehl, Inspektor.

Jonas: Wieder ein anonymer Tip, Inspektor?

Brock: Wie bei Hartog und wie bei Sidonia und diesmal wird auch Hauptabteilungsleiterin Delgado Sie nicht rausreißen können. Vorwärt marsch.

Jonas: Die grüne Minna war blau, ein Elektromobil, die Polizei kann sich das leisten. Unterwegs guckte ich aus dem Hinterfenster, eine Motorrikscha war hinter uns, 20, 25 Meter entfernt, und sie blieb uns ständig auf den Fersen, in der Rikscha saß ein grauer Typ, der mich stark an den Joker aus den Kloaken erinnerte. Vielleicht hätte ich besser nach vorn sehen sollen, da stand nämlich ein großes Elektromobil quer über der Straße.

Leutnant: Alle bleibt ganz ganz ruhig, dann passiert nichts. Nehmen sie dem Mann die Handschellen ab.

Brock: Sie wissen wohl nicht wen sie vor sich haben. Kriminalpolizei Inspektor Brock.

Leutnant: Ich mach mir vor Angst in die Hosen. Wird's bald.

Brock: Pauly?

Pauly: Inspektor?

Brock: Die Handschellen. Schließen Sie auf.

Pauly: Zu Befehl, Inspektor.

Leutnant: Na bitte. Raus mit Ihnen, Jonas oder wie sie heißen.

Jonas: Wir müssen uns trennen, Inspektor, höhere Gewalt, die sind mehr und haben Laserstrahler.

Jonas: Die Herrschaften, die mich mitten auf der Straße der Kripo geklaut hatten, trugen schwarze Uniformen mit einem großen gelben C auf der Brust. Sie sahen ein bißchen aus wie weiland Superman, waren aber nur Sicherheitskräfte von Chips Inc. Das paßte. Und es paßte auch, daß sie mich in den Innenhof der Chipszentrale am Hendrick-August-Platz fuhren und dann mit dem Lift in den 30. Stock, dem obersten und letzten, wo die ganz großen Tiere von Chips sitzen, und hier schoben sie mich in einen kleinen kahlen Raum ohne Fenster.

Leutnant: Warten Sie hier.

Jonas: Was sagst du dazu, Sam?

Sam: Der Nebel flieht, das Licht dringt durch, es klären sich die Fronten, o vielbegehrter Jonas.

Joker: Jonas!

Jonas: Die kleine Klappe in der Tür war aufgegangen und dahinter erschien ein Gesicht, ein vertrautes Gesicht, ein willkommenes Gesicht, ein Gesicht, das mir inzwischen richtig ans Herz gewachsen war.

Jonas: Sieh mal an der Joker.

Joker: Kommen Sie her, Jonas, machen Sie schon, wir haben nicht viel Zeit. Hier, nehmen Sie das, schlucken Sie's runter.

Jonas: Ein Minisender. Wozu?

Joker: Man wird gleich ein Gespräch mit Ihnen führen. Ein geheimes und sehr wichtiges Gespräch. Dieses Gespräch muß abgehört und aufgenommen werden.

Jonas: Dafür hab ich meinen Computer.

Sam: Den wird man Ihnen wegnehmen.

Sam: Nein.

Joker: Man wird Sie überhaupt sehr gründlich durchsuchen. Aber den Sender in Ihrem Magen wird man nicht entdecken, weil er ganz aus Plastik ist.

Jonas: Aber vielleicht erklären Sie mir mal...

Joker: Kein Zeit, sie kommen zurück, ich muß weg.

Jonas: Klappe zu. Ich sah mir den Sender an und schluckte ihn runter. Aber vorher stellte ich die Frequenz um auf Sam. Ich weiß wie man das macht, ich kenn mich aus mit den Dingern. Dann waren sie auch schon da die Freunde von vorhin, und es kam alles so, wie es der Joker vorausgesagt hatte. Sie durchsuchten mich, nahmen mir Sammy weg, zogen mich aus, gingen mit einer Sonde über jeden Quadratzentimeter Jonas. Negativ. Ich durfte mich wieder anziehen und mußte mit. Über den Korridor durch ein paar Büroräume in ein großes Zimmer, nein Zimmer stimmt nicht, es war ein Saal, Holztäfelung, Kronleuchter, Ölbilder, Teppichboden und ein riesiges Panoramafenster mit Aussicht über Babylon, nicht daß viel zu sehen war, der Smog, aber darauf kam es nicht an, das Prinzip war wichtig, und das Prinzip hieß unerhörter Luxus, übermenschliche Macht.

Leutnant: Machen Sie Ihren Diener, Jonas, Sie stehen vor Herrn Vizepräsident Dr. Cordes.

Cordes: Marketing und PR, und Sie sind Jonas, der letzte Detektiv. So sehen sie also aus.

Jonas: Er war groß und dick und roch nach allem, was gut und teuer war, sein Schreibtisch war kaum größer als das Fürstentum Liechtenstein, sein Lächeln war so offen und sympathisch wie eine falsche 100-Euronote.

Cordes: Ein Whisky Jonas?

Jonas: Danke.

Cordes: Warum nicht. Ich weiß Sie trinken.

Jonas: Aber nicht mit jedem.

Leutnant: Wie reden Sie denn.

Cordes. Kusch, warten Sie draußen, Leutnant.

Leutnant: Jawohl Herr Vizepräsident.

Cordes: So, Sie wissen jawohl weshalb Sie hier sind, Jonas.

Jonas: Natürlich wegen der Schmiergeldliste.

Cordes: Die Liste, alle Welt kennt die Liste.

Jonas: Aber alle Welt weiß nicht, daß die Liste falsch ist, wenigstens was Stadtrat Hartog betrifft. Hartog ist unschuldig.

Cordes: Glauben Sie Jonas. Sie sind naiv.

Jonas: Ja, das glaube ich, nicht weil ich naiv bin, sondern weil die Sache zum Himmel stinkt. Klar, Chips schmiert Politiker, wie jeder Konzern, aber doch nicht so, 15 Millionen Euros für einen kleinen Fisch in der lokalen Finanzverwaltung, das ist lächerlich.

Cordes: Nicht wahr. Und äh, was, was schließen Sie daraus, Jonas?

Jonas: Jemand bei Chips hat sich die 15 Millionen in die eigene Tasche gesteckt.

Cordes: Ausgezeichnet. Wer, Jonas?

Jonas: Ein hohes Tier. Jemand, der für Bestechungen zuständig ist, das heißt für PR und Marketing. Sie, Vizepräsident Cordes.

Cordes: Bravo Jonas, bravo. Faszinierend. Erzählen Sie weiter.

Jonas: Sie gestatten doch, daß ich mich setze.

Cordes: Aber bitte.

Jonas: Vor ein paar Tagen muß die Geschichte plötzlich brenzlig für Sie geworden sein, eine interne Buchprüfung oder so was ähnliches, nehm ich an.

Cordes: Ganz genau. Eine außerplanmäßige unerwartet angesetzte Durchsicht aller inoffiziellen Fonds, angeordnet von Big Boss persönlich.

Jonas: Und da kamen Sie auf die Idee mit der Liste. Die 15 Millionen, die Sie Chips gestohlen hatten, hängten Sie dem armen Hartog an. Warum gerade dem?

Cordes: Gott warum, warum, ich hatte früher ab und zu mit ihm zu tun, als ich noch die Steuerabteilung leitete, ein pingeliger Bürokrat, kleinkariert und entbehrlich.

Jonas: Sie bereiteten die Liste vor, setzten auch ein paar echte Bestechungsempfänger drauf, mit kleinen Beträgen, damit die Sache Hand und Fuß kriegte, und dann ging irgend eine Kleinigkeit schief.

Cordes: Kleinigkeit, die Hinkelstein, diese dumme Kuh, sieht die Liste auf meinem Schreibtisch, macht eine Kopie und gibt sie weiter an Sidonia.

Jonas: Versteh ich nicht, Sie mußten die Liste doch sowieso veröffentlichen.

Cordes: Sicher, aber später, einen Tag später, erst sollte Hartog aus dem Weg geräumt werden, von einem Spezialistenteam, das ich dafür angeheuert hatte, damit er nicht protestieren und mir Ärger machen konnte, aber weil die Hinkelstein so geldgierig war, kam der Zeitplan durcheinander, Hartog erfuhr von der Liste, ging zu Ihnen Jonas.

Jonas: Und da haben ihn Ihre Spezialisten erwischt. Sie sind in Panik geraten, Cordes, Sie wußten nicht, was Hartog mir oder anderen gesagt hat, deshalb haben Sie Ihre Spezialisten weiterarbeiten lassen.

Cordes: Seien Sie fair, Jonas, was sollte ich tun, über Sidonia und die Hinkelstein hätten Sie die Spur bis zu mir zurückverfolgen können, die Mitwisser mußten verschwinden, bedauerlich aber nicht zu ändern.

Jonas: Hartog, Sidonia, Hinkelstein.

Cordes: Und Jonas. Aber der lebt noch.

Jonas: An Ihnen liegt das nicht, Cordes, die Spezialisten haben versagt.

Cordes: Offensichtlich, aber das läßt sich ja schnell in Ordnung bringen. Leutnant.

Leutnant: Herr Vizepräsident.

Cordes: Nehmen Sie sich zwei Leute, bringen Sie den Mann hier in den Keller, Sie wissen Bescheid.

Leutnant: Jawohl, Herr Vizepräsident. Kommen Sie, Jonas.

Jonas: Wieder über den Korridor zum Lift, der Leutnant drückte auf den Knopf, die Tür ging auf, und drinnen stand der Joker mit einem Laserstrahler. Es zischte dreimal kurz hintereinander, um meine Bewacher brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen. Der Joker zog mich in die Kabine und schob ein Stück Plastik in einen Schlitz über der Knopfleiste, der Lift setzte sich in Bewegung, nach oben.

Joker: Zum 31. Stock.

Jonas: Den gibt’s doch gar nicht.

Joker: O doch, das Penthouse. Wir haben nichts empfangen, Sie haben die Frequenz verändert.

Jonas: Wenn nicht, dann wüßte Ihr Auftraggeber jetzt alles, was er wissen wollte, und Jonas wär im Keller oder schon tot.

Joker: Steigen Sie aus. Sie werden Bigboss persönlich Bericht erstatten.

Jonas: Bigboss war der Präsident von Chips Inc., der alleroberste Chef, und Bigboss war genaugenommen kein Bigboss, sondern eine Bigbossin, eine kleine dürre alte Frau, schäbig angezogen, mit einer billigen schwarzen Perücke, die schief über ihren grauen Runzeln hing. Bigboss residierte nicht in einem Saal, sondern in einem schäbigen kleinen Büro, nicht viel größer als meins, Bigboss hatte keinen Schreibtisch und Bigboss lächelte nicht. Bigboss war sauer, als ich ihr erzählte, was Vizepräsident Cordes auf dem Kerbholz hatte.

Bigboss: So etwa haben wir es uns gedacht, was Tolliver? Tolliver, mein persönlicher Referent, tüchtiger Mann. Sie kennen ihn ja schon, Jonas.

Jonas: O ja. Ich nenne ihn den Joker.

Bigboss: Joker? Wieso Joker? Egal. Cordes, diesmal hat er sich übernommen.

Jonas: Übernommen ist gut. Unterschlagung, mehrfacher Mord.

Bigboss: Sie kapieren aber auch gar nichts, Jonas, Sie sind zu klein. Ist er nicht zu klein, Tolliver?

Joker: Viel zu klein, Bigboss.

Bigboss: Sicher, Cordes hat sich jammervolle 15 Millionen eingesteckt, er hat ein paar unwichtige Leute Beiseite geschafft, was ist das schon, wissen Sie, Jonas, was an der Sache wirklich schlimm und unverzeihlich ist, wollen wir es ihm sagen Tolliver.

Joker: Das müssen Sie wissen, Bigboss.

Bigboss: Cordes hat sich dumm angestellt, er hat zugelassen, daß ein Außenseiter, Sie Jonas, ihm auf die Schliche gekommen ist, und er hat Chips Inc. ins öffentliche Gerede gebracht, das muß bestraft werden, nicht wahr Tolliver.

Joker: Höchststrafe, Bigboss?

Bigboss: Natürlich Höchststrafe.

Joker: Schon notiert, Bigboss. Und was geschieht mit Jonas?

Jonas: Bevor Sie sich dumm anstellen, hören Sie mir mal einen Moment gut zu. Ich hab einen Sender im Bauch, und der sendet, meine Unterhaltung mit Cordes ist an einem mir bekannten Ort aufgezeichnet und gespeichert worden, und gespeichert wird auch das, was wir jetzt verhandeln, Wort für Wort, wenn mir was passiert, wird alles veröffentlicht, nicht gerade eine Werbung für Chips Inc.

Bigboss: Wenn das so ist.

Joker: Es ist so, Bigboss.

Bigboss: Dann müssen wir ihn wohl laufen lassen, bringen Sie ihn runter, Tolliver.

Jonas: Einen Augenblick noch. Laufenlassen OK, aber das ist noch nicht alles, Sie werden mir die Kripo vom Hals schaffen, und Sie werden Hugo Hartog rehabilitieren, das bin ich meinem Mandanten schuldig, auch wenn er tot ist oder gerade weil.

Bigboss: Bitte, wie Sie wollen. Aber das sag ich ihnen gleich, Jonas, wenn Chips erklärt, daß Hartog irrtümlich auf die Liste geraten ist, dann wird das kein Mensch glauben. War das jetzt alles, nicht noch ein kleines Schweigegeld, paar Tausend Euros oder so.

Jonas: Danke, ich nehme nicht von jedem.

Bigboss: Hab ich's nicht gesagt, Tolliver, er ist zu klein.

Nachrichtensprecherin: ...Meldungen bestätigt, wonach Dr. h. c. Cord Cordes, Vizepräsident von Chips Inc. durch einen Sprung vom Dach der Chipszentrale Selbstmord verübt hat.

Jonas: Na also.

Nachrichtensprecherin: Während Chips private Motive angibt, vermuten unterrichtete Kreise einen Zusammenhang mit der gestern bekanntgewordenen Bestechungsaffäre.

Jonas: Wie wahr.

Nachrichtensprecherin: Wie ein Firmensprecher dazu ausführte, gehört der ebenfalls gestern tot aufgefundene Stadtrat Hugo Hartog trotz gegenteiliger Behauptungen in der Presse nicht zu den Empfängern von Bestechungsgeldern. Durch einen Fehler untergeordneter...

Jonas: Neun Tote, und das ist nun das ganze Ergebnis. Hab ich mich richtig verhalten, Sam?

Sam: Ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß, Partner.

Jonas: Ein Mann, ein Pferd und ein weites wildes Land. Wenn's nur immer so einfach wäre. Judith? Jonas. Ja, ich lebe noch, und wie, wir haben was nachzuholen, das hast du doch nicht vergessen, eine halbe Nacht, mindestens, ich freu mich Judith, bis gleich.

Sam: Und so ritten sie denn alle zusammen in den Sonnenauf- bzw. Untergang.

Das war Schmiergeld. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam: Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Christine Wodetzky, Käthe Jaenicke, Irmhild Wagner, Christoph Lindert, Oswald Döpke, Rüdiger Bahr, Helmut Stange und viele andere (Inge Schulz, Hans P. Hermansen, Jürgen Rehmann, Karin Frey). Ton und Technik: Günter Heß und Angela Bernd. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1985). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:13
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Niemandsland

Jonas: Ich konnte mich nicht rühren. Ich war gefesselt und geknebelt. Ich hatte Angst. Ich wartete. Die Tür ging auf, und herein kam, nein, kein Mann mit Pistole, eine Frau mit Laserstrahler. Frau Professor Caligari. Sie zielte auf meine Stirn. Ich starrte in ihre Augen und in die Mündung. Drei Löcher, schwarz wie der Tod. Ihr Finger am Abzug bewegte sich, wurde weiß, aber es zischte nicht. Es klingelte. Wieder und wieder. Und da wachte ich endlich auf. Ich schüttelte den schweren Kopf, um den schweren Traum zu verscheuchen und griff zum Fon.

Jonas: Ja?

Sesam: Jonas?

Jonas: Jonas. Jonas, nur Jonas.

Sesam: Privatdetektiv?

Jonas: Ja. Der letzte. Ein Fossil. Ein Dinosaurier. Nur nicht so groß und so schrecklich. Dafür bin ich zu müde. Und wer sind Sie?

Sesam: Mein Name ist Sesam. Martin Sesam.

Jonas: Ja?

Sesam: Der Name sagt Ihnen nichts? Sesams Zierzwerge?

Jonas: Nie gehört. War das alles, was sie wollten?

Sesam: Bitte?

Jonas: Mich fragen, ob ich Sie kenne?

Sesam: O nein, ich hätte einen Auftrag für Sie. Aber ich sage Ihnen gleich, es ist ein schwieriger Auftrag. Sie müßten in eine sehr gefährliche Gegend.

Jonas: Das Reservat?

Sesam: Sie waren schon im Reservat, habe ich gehört, und Sie sind lebend wieder rausgekommen. Deshalb habe ich ja auch an Sie gedacht. Aber ich meine nicht das Reservat. Da, wo ich Sie hinschicken will, ist es womöglich noch schlimmer.

Jonas: Etwa die Grauzone?

Sesam: Na, so schlimm nun auch wieder nicht.

Jonas: Hören Sie, Herr Sesam, dreimal darfst du raten können Sie mit anderen spielen. Ich hab keine Lust. Wiederhören.

Sesam: Nein, legen Sie nicht auf. Ich meine das Niemandsland. Würden Sie ins Niemandsland gehen?

Jonas: Sicher. Warum nicht?

Jonas: Sicher. Das sagte ich so einfach, als ob er mir nur einen Whisky angeboten hätte. Ich war nicht voll da. Am Vorabend war ich mit Judith zusammen gewesen. Wir hatten uns gestritten. Nicht der erste Streit, bei weitem nicht, aber vielleicht der letzte. Mir ging alles auf die Nerven. Judith. Babylon. Mein Job. Ich ging mir selber auf die Nerven. Darum sagte ich einfach: Ins Niemandsland? Warum nicht? Aber ganz weggetreten war ich doch nicht.

Jonas: Kommt natürlich darauf an, was Sie locker machen. Goldbarren, Uran, Diamanten.

Sesam: Ich dachte eher an Euros, gute, normale, solide Euros.

Jonas: Wieviel?

Sesam: Das besprechen wir besser direkt. In Ruhe. Bei mir. Am Schwanensee 14. Wann können Sie hier sein?

Jonas: Wie spät ist es?

Sesam: Halb elf.

Jonas: Schon?

Jonas: Nach dem Krach mit Judith war in ins Casablanca gegangen, zur alkoholischen Therapie und Auferbauung. Es muß ziemlich lange gedauert haben. Mein Kopf tat weh. Mein Magen auch. Und zu allem Überfluß wollte ich auch noch ins Niemandsland. Wahnsinn.

Jonas: In anderthalb Stunden, Herr Sesam.

Sesam: Gut, ich erwarte Sie also um 12.

Jonas: 12 Uhr Mittags.

Sam: Hight Noon. Do not forsake me o my darling.

Jonas: Das war natürlich Sam. Unentbehrliche Hilfe des Detektivs und unausstehliche Plage. Mein Computer. Überprogrammiert und unterbelichtet. Nie um ein Wort verlegen, auch wenn's nicht das richtige ist. Was hatte ich Gerry Cooper am Hut. Mein Held ist Humphrey Bogart.

Sam: Ich habe den Verdacht, daß unter der zynischen Schale ein reichlich sentimentales Herz schlägt.

Jonas: Schon besser, Sammy. Klapp das Bett rein. Wir haben viel vor.

Sam: Der bescheidene Knecht eurer detektivischen Waghalsigkeit hat sich erfrecht, zuzuhören. Sag mal Kumpel, willst du wirklich ins Niemandsland?

Jonas: Vielleicht, Sam, aber jetzt fahren wir erstmal ins Westend, an den schönen blauen Schwanensee. Da wohnt dieser Sesam, und wenn er da wohnt, dann hat er.

Sam: Hat er was, o Leuchtturm in stockdunkler Nacht.

Jonas: Kies, Sammy, Moos, Mäuse, Pinke, Money, Euros, und ein bißchen davon will er abgeben an einen bedürftigen Privatdetektiv.

Jonas: Er hatte wirklich, der Herr Sesam. Eine richtige Villa, viel Platz, eine Einrichtung direkt aus Teurer Wohnen, Musik aus unsichtbaren Lautsprechern, irgendwas klassisches, Georg Sebastian Beethoven, eine gut bestückte Hausbar eben 0815 Millionärsstil. Nur eine Sache fiel aus dem Rahmen. Überall an den Wänden, auf dem Fußboden standen, lagen, hingen sie rum: kleine Kerle aus Plastik, bunt angemalt mit langen Bärten und langen Zipfelmützen. Ich sah sie mir an, während ich meinen Whisky schluckte, echt, natürlich, nicht Synth. Sie erinnerten mich an was.

Jonas: Ach ja Gartenzwerge.

Sesam: Bitte, Herr Jonas, nicht dieses Wort, ein absoluter Faupaux in unsere Branche. Es ist abgewertet und unzutreffend ist es obendrein, seit es keine Gärten mehr gibt. Es sind Zierzwerge, Herr Jonas, Sesams Zierzwerge, putzige Gesellen, eine wahre Freude fürs Auge und fürs Herz, der geschmackvolle Schmuck fürs geschmackvolle Heim.

Jonas: So was kaufen die Leute?

Sesam: Sie werden sich wundern, Herr Jonas, wenn Sie wüßten, wer alles meine Zwerge kauft, gebildete Menschen, Menschen mit hohem sozialem Nutzenstatus.

Jonas: Ah deshalb.

Sesam: Wie meinen?

Jonas: Deshalb hab ich kein Organ dafür. Ich bin nur ein armer Privatdetektiv. Apropos. Kommen wir zu Ihrem Fall, Herr Sesam.

Sesam: Wir sind schon mitten drin.

Jonas: Sie meinen, ich soll ins Niemandsland wegen Ihrer Garten- pardon Ihrer Zierzwerge.

Sesam: So ist es, Herr Jonas.

Jonas: Das müssen Sie mir erklären.

Sesam: Aus diesem Grunde hab ich Sie ja hergeben. Hören Sie zu.

Jonas: Herr Sesam produzierte also Zierzwerge, das war an sich nichts besonderes, viele Leute in Babylon produzieren alles mögliche, mit Robotmaschinen natürlich, aber eben das tat Herr Sesam nicht. Seine Zwerge waren Handarbeit, 100prozentig echte menschliche Handarbeit, damit warb Herr Sesam, und das war der Grund, sagte Herr Sesam, daß seine Zierzwerge weggingen wie die bekannten warmen Semmeln. Im Gegensatz zu den Zwergen der Konkurrenz, die von Robots gemacht wurden.

Sesam: Die liebenswerten kleinen Unzulänglichkeiten, Herr Jonas, die spezifisch menschliche Nichtganzperfektion, das ist das besondere, das einmalige an meinen Produkten und dafür zahlen meine Kunden gern mehr als anderswo.

Jonas: Schön für Sie, Herr Sesam, wo liegt das Problem?

Jonas: Das Problem, sagte Herr Sesam lag bei der WePo, der Werbepolizei. Die kontrolliert, ob Werbesprüche wie „echte menschliche Handarbeit“ tatsächlich stimmen, und zwar scharf, andere Polizeieinheiten lassen sich schmieren, die WePo nicht, und deshalb mußte Herr Sesam seine Zierzwerge auch wirklich von menschlichen Arbeitern herstellen lassen.

Sesam: Natürlich nicht von Einheimischen, bei den Tarifen und Nebenkosten würden meine Zwerge unerschwinglich. Nein, Herr Jonas, bei mir arbeiten Drittweltler.

Jonas: Illegale Einwanderer, meinen Sie, ohne Arbeitserlaubnis.

Sesam: Gott, Herr Jonas, natürlich ist es im Prinzip verboten die Leute zu beschäftigen, Aber die WePo interessiert sich nur dafür, ob meine Zwerge wirklich von Menschen gemacht werden, von was für Menschen, das will sie gar nicht wissen, und die ImPo, die Immigrationspolizei, hat in Babylon nichts zu sagen, nur im Grenzgebiet. Außerdem, die Drittweltler, die es über die Grenze schaffen, sind froh, wenn sie einen Job kriegen. Immerhin verdienen sie bei mir das mehrfache vom dem, was sie bei sich zuhaus kriegen würden, falls sie da überhaupt arbeiten dürfen.

Jonas: Nicht zu bestreiten. Im KDW, dem Konglomerat Dritte Welt, sieht's traurig aus, so traurig, daß immer wieder Drittweltler versuchen, über die Grenze zu uns zu kommen, in die Vereinigten Staaten von Europa, wo Milch und Honig fließen, das meinen jedenfalls die von drüben. Wir hier sehen das ein bißchen anders. Und wenn dann auch den Drittweltlern klar wird, daß die VSE nicht das sind, was sie sich vorgestellt haben, ziehen sie weiter, ins wahre Paradies, nach Amerika.

Sesam: Und ich besorge mir neue Arbeitskräfte aus dem Grenzgebiet. Die paar Handgriffe, die sie brauche, bringen wir ihn schnell bei. Wir gießen unsere Zwerge, Herr Jonas, in alten Formen aus dem 20. Jahrhundert.

Jonas: Bestens, ich versteh bloß immer noch nicht, wo Ihr Problem liegt, Herr Sesam, über die faszinierenden Einzelheiten der Zwergenproduktion können wir uns vielleicht ein ander Mal unterhalten. Wo drückt der Schuh?

Sesam: Das hab ich bereits erwähnt, Herr Jonas, im Niemandsland.

Jonas: Das Niemandsland ist eine Art Dreiländereck, da wo das KDW, die VSE und die UVR, die Union der Volksrepubliken, zusammenstoßen, irgendwo auf dem Balkan. In den späten 90er Jahren, nach den großen Hungermärschen aus dem Süden und den langen Abwehrschlachten, hat man hier die Grenze neu festgelegt, in großen Zügen, über den genauen Verlauf konnte man sich nicht einigen, und so entstand das Niemandsland, ein etwa 20 km breiter Streifen, den alle drei Anlieger beanspruchen und der keinem gehört. Zur Dritten Welt hin ist das Gebiet praktisch offen, wir haben gegen die illegalen Einwanderer einen Zaun gebaut, der nicht viel nützt, und die UVR hat ihre Ecke durch eine massive Mauer abgeschottet, mit so was haben sie schon im vorigen Jahrhundert gute Erfahrungen gemacht, dazwischen liegt das Niemandsland, ein wilder Landstrich, ohne Gesetze, voller Gefahren wie seinerzeit der amerikanische Westen, trotzdem schlagen sich immer wieder Drittweltler zu uns durch.

Sesam: Und auf einmal klappt das nicht mehr, Herr Jonas, seit 4 Wochen hab ich keine neuen Arbeiter von drüben bekommen, keinen einzigen, Herr Jonas, der Nachschub ist plötzlich abgerissen, und niemand weiß warum.

Jonas: Was sagt denn ihr Schleuser? Sie haben doch einen.

Sesam: Selbstverständlich habe ich einen Schleuser. Baklava in Karakul, tüchtiger Mann, wir arbeiten seit Jahren zusammen, als die Leute ausblieben, hab ich gleich drüben angerufen.

Jonas: Und was sagt Baklava.

Sesam: Er kann sich die Sache nicht erklären. Die Trupps werden zusammengestellt wie immer, und gehen wie immer mit ihren Führern ins Niemandsland, und da verschwinden sie, jedenfalls kommen sie nicht auf unserer Seite an. Seit 4 Wochen. Ich habe kaum noch Arbeiter, Herr Jonas, die Bestellbücher sind voll, die Lager sind leer. Ich weiß nicht, was ich tun soll.

Jonas: Aber sicher wissen Sie das, Herr Sesam, da Sie sich nicht an die ImPo werden können.

Sesam: Natürlich nicht.

Jonas: Beauftragen Sie einen Detektiv. Der soll sich im Niemandsland mal umsehen. Für 200 Euros pro Tag und Spesen.

Sesam: 200? Ihr Tarif sagt 80.

Jonas: Normalerweise, Herr Sesam, normalerweise. Aber für 80 Euros gehe ich nicht ins Niemandsland. Und wenn ich vernünftig wäre, auch nicht für 200.

Jonas: Das war wieder so ein Fall. Nicht ganz astrein, nicht 100prozentig, nichts für fahrende Ritter, die erschlagen Drachen, retten Jungfrauen, schützen Witwen und Waisen, Herr Sesam war keine Waise auch keine Witwer und erst recht keine Jungfrau. Was er mit den Drittweltlern machte, roch ein bißchen nach Ausbeutung. Anderseits die Leute kamen freiwillig und wollten bei ihm arbeiten. Und ich verpflichtete mich nur mal nach dem rechten zu sehen, nicht etwa Sesams Nachschub an Arbeitskräften zu sichern.

Sesam: Einverstanden. 200 Euros pro Tag.

Jonas: Und Spesen und 400 Euros im Voraus.

Sesam: Jaja, wenn Sie nur was ausrichten, Herr Jonas. Wie wollen Sie vorgehen?

Jonas: Professionell, Herr Sesam.

Sesam: Ja natürlich. Sie haben schon einen Plan.

Jonas: Ich hatte einen Plan, aber den behielt ich lieber für mich. Der Plan war riskant, das Niemandsland war riskant, das ganze Unternehmen war riskant. Und je weniger davon wußten, um so besser. Jonas ist Solist, aus Prinzip, die Einsamkeit des Privatdetektivs.

Jonas: Sie kriegen einen Bericht, Herr Sesam, wenn alles vorbei ist. Vorher sagt er nichts. Und Sie sagen auch nichts. Sie sagen keinem Menschen, daß ich für Sie ins Niemandsland gehe.

Sesam: Und Baklava, sollte der nicht Bescheid wissen, schon in Ihrem Interesse, Herr Jonas, Sie könnten Hilfe brauchen.

Jonas: Sie sagen es keinem Menschen, Herr Sesam, auch nicht Baklava.

Sesam: In Ordnung, wenn Sie so großen Wert darauf legen.

Jonas: Er wirkte verlegen, das fiel mir auf, aber ich hakte nicht nach. An diesem Tag, dem 13. August 2010 war ich wirklich nicht ganz da. Durch Nachhaken hätte ich mir einiges ersparen können. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.

Sesam: Ich werde Ihnen eine Rikscha rufen, Herr Jonas.

Jonas: Nicht nötig. Ich nehm die Metro.

Sesam: Das ist nicht Ihr Ernst, ich zahle, setzen Sie die Rikscha auf die Spesenrechnung.

Jonas: Ich hab’s eilig, Herr Sesam. Ich fahr mit der Metro.

Jonas: Ich weiß nicht, warum ich darauf bestand, vielleicht weil ich Sesam zeigen wollte, wie hart ich war, so hart, daß man mit mir Nägel in die Wand schlagen konnte, oder weil mir alles so ungeheuer egal war. Kamikaze Jonas. Der hat keine Angst in der Metro, auch dann nicht, als drei Typen in den Wagen stiegen, in dem ich ganz allein saß, zwei davon hatten die irren Augen der typischen Metro-Killer, sie setzten sich rechts und links neben mich und rutschten immer näher. Wenn sie den Mund aufmachten, roch es wir freitag abend im Lokus vom armen Schlucker. Sie sahen das anders.

1. Metro-Killer: Stinkt hier.

2. Metro-Killer: Na das ist der da, der alte Pater, der alte Sack.

1. Metro-Killer: Der ist schon verfault, darum stinkt er so. Hey Alter du stinkst.

2. Metro-Killer: Machs Maul auf, Alter.

1. Metro-Killer: Der sagt nichts, der hat Schiß.

2. Metro-Killer: Vielleicht sagt er was, wenn wir bißchen an ihm rumspielen.

1. Metro-Killer: Wir können ihn ja mal ankokeln oder ihm was abschneiden.

2. Metro-Killer: Hey Alter sollen wir dich mal ein bißchen ankokeln? Oder dir was abschneiden.

1. Metro-Killer: Guck mal, Alter, Rasiermesser ganz scharf.

2. Metro-Killer: Hey kuck mal, Spirituskanister und Feuerzeug. Hähä.

Jonas: Beide waren jetzt ganz nah, ganz dicht neben mir, ich mußte was tun. Karategrundkurs, plötzlich ohne Ansatz beide Ellbogen rechts und links raus, je in einen Solarplexus.

Metro-Killer: Ah!

Jonas: Beide klappten nach vorn und kriegten meine Handkante ins Genick, damit waren sie erst mal bedient, aber da war ja noch der dritte Typ, ich hatte ihn im Augenwinkel und das war gut so, er stand etwas abseits und machte eigentlich einen ganz normalen Eindruck, kein crazy look um die Augen, kein Spiritus, kein Rasiermesser, aber ein Laserstrahler. Während ich die zwei Stinker fertig machte, holte er ihn raus, ganz ruhig, er ging in die Grätsche und hielt die Waffe Richtung Jonas in beiden Händen, ein Profi. Mit Karate war hier nichts zu machen. Meine gute alte Smith & Wesson. Ich kann ziemlich schnell zielen, auch wenn Gary Cooper nicht mein Held ist.

Strugazkiplatz.

Jonas: Ein Bahnhof. Still und leise schlichen die beiden Stinker von dannen, der mit dem Laser schlich nicht. Er konnte nicht mehr schleichen, nicht mal mehr kriechen. Er konnte überhaupt nichts mehr. Er lag da mit einem Loch im Kopf. Als die Metro weiterfuhr, war ich allein im Wagen, mit einem toten Mann. Und natürlich mit Computer Sam.

Sam: Ist es gestattet, eurer fernöstlichen Kampfestechnik nebst Pistoleroeffizienz zum glorreichen Sieg über die bösen Metrokiller ergebenste Glückwünsche auszusprechen.

Jonas: Danke, Sam, danke. Ich wär mir da nicht so sicher.

Sam: Wie das, mein Herr. Es war ein Sieg. Ein großer Sieg. Wir werden nimmer seines Gleichen sehen.

Jonas: Soll sein, Sam, soll sein. Metrokiller, die zwei die sich zu mir gesetzt haben, das waren welche, angeheuert für einen Schuß oder Kapsel Solipsin.

Sam: Dreigroschenknaben, wie man diesen Typus in den guten alten Zeit zu benamsen pflegte, o 80 Euro Mann.

Jonas: Sam besteht aus zwei Elementen, aus dem Hirn und aus den Sinnen, wie ein Mensch, aber anders als beim Menschen ist das Hirn der bei weitem größte Teil, die Speicherbox, die fest in meinem Büro steht, Sam 1. Sam zwo ist ein Kästchen im Taschenformat, mit Sam 1 drahtlos verbunden. Sam 2 sieht, hört und redet, er redet immer zu und überall, weil ich ihn überall hin mitnehmen, damit er mir bei der Arbeit hilft. Das tut er auch, auf seine Weise.

Sam: Kein typischer Metro-Killer hingegen ist jener dritte Aggressor, welches dies irdische Jammertal so früh und frühzeitig verlassen mußte.

Jonas: Dazu sieht er viel zu ordentlich aus.

Sam: Offiziell könnte man sagen.

Jonas: Fast wie ein Polizist.

Sam: Ob er wohl einen Dienstausweis hat. Nun greif ihm doch schon in die Tasche, alter Zausel, du bist doch sonst nicht so zimperlich.

Jonas: Gemach, gemach. Kein Dienstausweis. Sam.

Sam: Bürgerkarte. Geld?

Jonas: Nichts, Sammy. Gar nichts, Moment, hier ist doch was, ein Holobild, und da drauf, das bin ich.

Sam: Hehe, sprechende Ähnlichkeit, Meister, bei der vorangegangenen Szene handelte es sich als keinesfalls um einen beliebigen Metroüberfall, vielmehr...

Jonas: Die Kerle waren auf Jonas angesetzt. Warum?

Sam: Möglicherweise eine Verbindung mit dem soeben von eurer Meisterdetektivität übernommenen Fall.

Jonas: Sehr unwahrscheinlich Sammy. Holo anschaffen, Killer anheuern, mich verfolgen, das dauert seine Zeit. Und Sesam hat mich erst vor knapp 3 Stunden angerufen. Vielleicht steckt jemand dahinter, der noch eine alte Rechnung mit mir zu begleichen hat.

Sam: Oh, die Auswahl ist groß, o vielfach verfeindeter Ehrenmann, ein Freund und Rächer der seligen Frau Prof. Caligari, des seligen Herrn Quarz, des seligen Herr Guttapercha, des seligen Randy Orgas, des seligen Vizepräsidenten Cordes...

Jonas: Und so weiter und so weiter.

Jonas: Als ich ausstieg, war ich immer noch allein im Wagen, der Tote fuhr weiter bis zur Endstation, da sind sie an so was gewöhnt und räumen weg was anfällt. Ich wanderte Richtung Heimat. Unterwegs blieb ich stehen, vor einem Art-Shop, der war neu in der Nachbarschaft und hatte eine hübsche Verkäuferin. Aber das war nicht der Grund, weshalb ich reinging.

Verkäuferin: Kann ich Ihnen helfen?

Jonas: Ich suche Zwerge, Gartenzwerge, Pardon, Zierzwerge, meine ich, haben Sie so was?

Verkäuferin: Selbstverständlich führen wir Zierzwerge. Wenn Sie sich hier hinten umsehen wollen, in diesem Regal.

Jonas: Hmh. Ja, ja wirklich nett. Handarbeit?

Verkäuferin: Leider nein, alles Robotware.

Jonas: Haben Sie denn gar keine handgemachten Zwerge, Sesams Zierzwerge zum Beispiel.

Verkäuferin: Völlig ausverkauft, tut mir leid.

Jonas: Oder von irgendeiner anderen Firma, bloß Handarbeit müssen sie sein.

Verkäuferin: Da kämen nur noch Zierzwerge von Adamson & Co in Frage, aber die sind leider auch ausgegangen.

Jonas: Hmh. Und wie sieht's aus mit andern Artikeln?

Verkäuferin: Handarbeit.

Jonas: Ja Handarbeit.

Verkäuferin: An handgearbeiteten Waren haben wir zur Zeit leider gar nichts da, offenbar ein momentaner Engpaß. Kommen sie doch nächste Woche wieder vorbei.

Jonas: Jetzt aber nach Hause, ins gemütliche 22 Quadratmeterloch, das mir Wohnung ist und Büro dazu, packen und überlegen, letzteres laut, wozu hatte ich Sam.

Jonas: Die Konkurrenz ist es also nicht. Diese Firma, wie heißt sie...

Sam: Adamson und Co. euer Liebden. Ganz gewiß nicht, ist sie doch gleich fall betroffen. Wie verhält es sich jedoch mit jener weiten Konkurrenz des Herrn Sesam, welche Zierzwerge nicht mittels Menschenhand herstellen läßt, sondern wie Vernunft und Fortschritt es gebieten, elektronisch automatisch.

Jonas: Könnte sein, Sammy, glaub ich aber nicht. Diesen Engpaß an menschlichen Arbeitskräften gibt’s ja nicht nur in der Zwergenbranche. Hinter der Sache steckt was anderes als Konkurrenzkampf, was größeres.

Sam: Was?

Jonas: Das können wir nur an Ort und Stelle rauskriegen Auf, Sammy, auf ins Niemandsland.

Sam: Wenn's denn sein muß, o tapferster der tapfersten.

Jonas: Ich will dir was sagen: Ich bin furchtbar müde.

Sam: Sam auch.

Jonas: Und ich hab zu gar nichts Lust.

Sam: Aber ich.

Jonas: Trotzdem ich fahr gern ins Niemandsland. Ich bin froh, daß ich wegkomme, weg von diesem Büro, weg von Babylon, weg von den Straßen, den Menschen.

Sam: Weg von der Dame Judith.

Jonas: Da hast du dich nicht einzumischen, Sam, das hab ich dir schon oft gesagt.

Sam: Oh, Sam bereut. Sam ringt die Hände, Sam streut Asche auf sein Haupt. Verzeih gestrenger Herr, verzeih.

Jonas: Schon gut, Sammy, Buch mir ein Platz in der nächsten Chemorocket nach Karakul.

Jonas: Wie gesagt ich hatte einen Plan. Ich wollte nicht direkt ins Niemandsland, nicht von den Vereinigten Staaten von Europa aus, ich machte ein Umweg und steuerte mein Ziel sozusagen von hinten an, über die Dritte Welt. Karakul liegt im KDW, nicht weit von der Grenze, nicht weit vom Niemandsland, eine interessante Stadt mit Moschen und Museen, Basaren, krummen Gassen, fotogenen Eingeborenen, ein paar großen internationalen Hotels für die vielen Touristen aus Amerika, Japan und Europa und mit einem Flugplatz.

Zollbeamtin: Jonas.

Jonas: Nur Jonas.

Zollbeamtin: Aus Babylon VSE.

Jonas: Steht doch alles da, Schwester. Geboren 1. Mai 1967, Größe 1, 83, besondere Kennzeichen: keine.

Zollbeamtin: Zweck ihrer Reise?

Jonas: Tourist.

Zollbeamtin: Bleiben Sie länger?

Jonas: Vielleicht.

Zollbeamtin: Zertifikat Ihrer letzten Gesundheitsinspektion.

Jonas: Auch das. Bitte sehr.

Zollbeamtin: Magengeschwür. Hinter den Vorhang, Herr Jonas.

Jonas: Warum denn das?

Zollbeamtin: Schutzimpfung gegen Malaria. Vorschrift.

Jonas: Seit wann.

Zollbeamtin: Vorschrift. Gehen Sie hinter den Vorhang, halten Sie den Betrieb nicht auf.

Jonas: Von mir aus, wenn mir nichts schlimmeres passiere als eine Impfung gegen Malaria. Und es ging nicht nur mir so. Alle Touristen wurden geimpft. Ungewöhnlich. Aber ich dachte nicht weiter darüber nach. Ich hatte wichtiges zu tun. Ich suchte mir eine Unterkunft, nicht eins von den großen Touristenhotels, einen billigen Schuppen im Basarviertel, und da verwandelte sich Jonas, der europäische Tourist, in den Drittweltler Mustafa.

Jonas: Preisfrage Sam.

Sam: Ja.

Jonas: Wie erfährt man am besten, was mit Grenzgänger aus der dritten Welt im Niemandland passiert. In dem man selbst als illegale Drittweltler ins Niemandsland geht, richtig.

Sam: Ohne jeden Zweifel, Herr Rundfunkrat.

Jonas: Wie seh ich aus?

Sam: Wie Jonas nur mit etwas dunklerem Teint und anders gekleidet als üblich.

Jonas: Das muß reichen.

Sam: Ja.

Jonas: Plastifacetanks gibt es hier nicht und mit einem völlig falschen Gesicht rumzulaufen ist auch nicht das wahre. Weißt du noch, damals im Schlachthausfall.

Sam: Welche Frage Sir, hab ich doch all eure Herrlichkeit Abenteuer sorgsam gespeichert und für alle Zeit bewacht. Ein Denkmal dauerhafter denn Erz. Horaz.

Jonas: Wer immer das sein mag.

Sam: Ho.

Jonas: Mit Waffen sieht's ziemlich dünn auf. Das landesübliche Messer, mehr ist nicht drin. Ein armer Drittweltler hat kein Laserstrahler. Nicht mal eine Smith & Wesson. Auch wenn ich sie durch die Flughafenkontrollen gekriegt hätte. Geld, 1000 Piaster, das sind etwa 200 Euros. Tja, und dann hab ich bloß noch mein Kopf.

Sam: Sowie den allzeit getreuen Sam, sofern ein armer Drittweltler ein Computer sein Eigen nennen darf, ohne Verdacht zu erregen.

Jonas: Weiß du was, Sammy.

Sam: Ja?

Jonas: Ich sag einfach, du bist ein altmodisches Transistorradio.

Sam: Pfui. Pfui.

Jonas: Nicht für mich. Und das Computer so was wie Würde haben kann ich mir nicht denken.

Sam: Das denken sollten eure verquälte Scherzhaftigkeit den Computern überlassen, die haben kleinere Chips und größere Speicher.

Jonas: Der Rest war einfach. Ein paar Tassen Tee, synthetisch natürlich, ein paar Fragen, ein paar Piaster, und Jonas Mustafa stand in einem schäbigen kleinen Laden, wo es Mützen aus synthetischem Lammfell zu kaufen gab, hier residierte Dschamil Baklava, der Schleuser, der Mann, der armen Drittweltlern das Tor zu den Fleischtöpfen Europas öffnete, aus reiner Menschenliebe und gegen ein kleine Gebühr.

Baklava: Hast du Geld?

Jonas: Ja, Effendi, wenig.

Baklava: Wieviel?

Jonas: Ein paar Piaster, Effendi.

Baklava: Wieviel?

Jonas: 5. äh 500 Piaster.

Baklava: Gib sie mir.

Jonas: Alle 500, Effendi?

Baklava: Gib her. Alles was du hast. In ein paar Stunden bist du drüben, in Europa, da brauchst du keine Piaster. Oder willst du gar nichts nach Europa. Willst du lieber zurück in dein Dorf?

Jonas: O nein, Effendi.

Baklava: Na also. Gib. 500. Gut so. Geh hinten durch die Tür, auf dem Hof steht ein Lastwagen.

Jonas: Ein Benzinauto.

Baklava: Natürlich ein Benzinauto, was denkst du denn, du steigst auf die Ladefläche unter die Plane, und da wartest du.

Jonas: Worauf, Effendi?

Baklava: Das wirst du schon merken.

Jonas: 12 Leutchen hockten schon auf der Ladefläche, als ich dazustieg, und nach mir kamen noch welche. Keiner sagte ein Wort. Alle warteten. Ab und zu steckte Baklava seinen unschönen Kopf durch die Plane und sah jedem von uns aufmerksam ins Gesicht. Es wurde dunkel, die Fahrertür klappte, der Motor wurde gestartet, unser Wagen setzte sich in Bewegung, wir fuhren durch die Straßen von Karakul und dann über Land auf schlimmen Straßen. Neben mir saß ein alter Mann mit seiner Tochter oder Enkelin, einer richtigen orientalischen Schönheit, schwarzes Haar, Mandelaugen usw. Nach zwei Stunden Rütteln und Schütteln fühlte der Alte sich soweit gelockert, daß er ein Gespräch mit mir anfing, er hieß Hüsük, sagte er, und er war halbblind, aber er war nicht dumm:

Hüsük: Du bist anders, Mustafa, du bist keiner von uns.

Jonas: Ich komme von weit her. Vom Rand der Wüste. Sag mir Großvater Hüsük, warum willst du nach Europa.

Hüsük: Ich gehe mit meiner Enkelin, meine Enkelin Safiye, sie wird drüben Arbeit finden und sie wird es gut haben.

Jonas: Und du, Großvater, bist du nicht schon zu alt zum arbeiten.

Hüsük: Ich gehe um zu sterben, Mustafa, dann zu sterben, wenn meine Zeit gekommen ist, nicht zu früh, nicht an der Krankheit. Gibt es sie auch bei euch, am Rand der Wüste diese schreckliche Krankheit?

Jonas: Nein.

Safiye: Bei uns im Dorf sind schon viele an ihr gestorben, auch in den Nachbardörfern.

Hüsük: Sogar in Karakul soll sie schon sein die Krankheit.

Jonas: Was ist das für eine Krankheit, Großvater.

Hüsük: Man nennt sie den schwarzen Tod, wer von ihr befallen wird, bekommt zuerst heftiges Fieber, dann wachsen ihm Beulen und Leisten unter den Narben am Hals, schwarze Geschwüre so groß wie Hühnereier, sie breiten sich über den ganzen Körper aus, und nach wenigen Tagen stirbt der Kranke, unter großen Schmerzen.

Safiye: Die Regierung hat versprochen, uns Medizin zu schicken, aber sie hat es nicht getan.

Hüsük: Man sagt, die Regierung hat nicht genug Medizin, alles was sie hat, gibt sie den Fremden, die unser Land besuchen, sagt man, damit sie nicht krank werden und man draußen nicht schlecht über unser Land redet. Schau durch das Loch in der Plane, Safiye, sag mir, was du siehst.

Safiye: Nichts, Großvater, alles ist dunkel.

Hüsük: Kein Licht?

Safiye: Nein, Großvater.

Hüsük: Dann sind wir schon im Niemandsland.

Jonas: Seit einer Minute piepte Sam wie wild in meiner Brusttasche. Notsignale, ich rücke etwas ab von Hüsük, holte meinen Freund und Helfer raus und hielt ihn ans Ohr. Zum Glück war es so dunkel, daß keiner der anderen was mitkriegte.

Sam: Na endlich. Habe mir erlaubt, mitzuhören, Herr Sanitätsrat. Klar Fall. Diagnose eindeutig.

Jonas: In der Dritten Welt ist eine Epidemie ausgebrochen. Irgendeine Seuche.

Sam: Nicht irgendeine, Herr Medizinalrat, eine ganz bestimmte, die Beulenpest.

Jonas: Unsinn Sam, die Pest ist längst ausgerottet, zuletzt ist sie aufgetreten, warte mal, das war...

Sam: Vor genau 90 Jahren, Herr Oberarzt, in der Mandschurei, seitdem muß sich in einem gottverlassenen Winkel der Dritten Welt eine Kolonie vom Pasteur Relabestis bis heute gehalten haben.

Jonas: Und das wäre?

Sam: Der Pestbazillus, geschätzter Lateingehilfe. Die Beschreibung des Krankheitsablaufs ist unmißverständlich. In der Dritten Welt grassiert die Pest.

Jonas: Was?

Sam: Ja, ein Tatbestand, den die Regierung offensichtlich geheimzuhalten wünscht.

Jonas: Natürlich, wegen der Touristen, damit sie nicht abgeschreckt werden.

Sam: Jeder Tourist wird noch auf dem Flughafen geimpft. Pieks.

Jonas: Ja, gegen Malaria.

Sam: Glaubst du das wirklich, du geistiger Hilfspfleger. Frage, was geschieht mit den Grenzgängern, mit den Drittweltlern, die durch das Niemandland nach Europa gelangen wollen. Einige von ihnen müssen infiziert sein.

Jonas: Und wenn sie in Europa sind und da auch die Pest ausbricht.

Sam: Dann weiß alle Welt bescheid. Das ganze KDW wird unter Quarantäne gestellt. Es gibt keine Touristen mehr.

Jonas: Ja, aber es kommen ja keine Grenzgänger mehr nach Europa.

Sam: Dreimal dürfen Herr Chefarzt raten, warum. So, spring ab.

Jonas: Soll ich nicht die andern hier...

Sam: Die würden dir sowieso nicht glauben, spring ab, Jeronimo.

Jonas: Also sprang ich ab und duckte mich hinter einen Grabenrand. Keinen Augenblick zu früh. Ein paar Meter weiter blieb der Wagen stehen, plötzlich blendeten Scheinwerfer auf, es wurde taghell, ich mußte ein paar Sekunden lang die Augen zukneifen. Als ich sie wieder aufmachte, sah ich Soldaten in den Uniformen der KDW-Grenztruppe, sie zerrten Hüsük, Safiye und die andern von der Ladefläche und trieben sie in einen niedrigen Schuppen ohne Fenster.

Jonas: Sie bringen sie um, Sam, sie bringen alle um, den alten Hüsük, die schöne Safiye, alle.

Sam: Seit 4 Wochen, geehrter Trauergast, bringen die KDW-Truppen alle illegalen Grenzgänger um, damit die Außenwelt nichts von der Pest erfährt.

Jonas: Jetzt wissen wir, warum Herr Sesam keine Arbeiter mehr kriegt.

Sam: Ganz recht, großer Durchblicker, Auftrag ausgeführt. Mission beendet.

Jonas: Bleibt nur ein kleines Problem, Sam.

Sam: Ja?

Jonas: Wie komme ich zurück nach Babylon. Oder wenigsten raus aus dem Niemandland.

Grenzsoldat mit Megafon: Hier spricht das Sanitätskommando der Grenztruppe, Konglomerat Dritte Welt, wir rufen Jonas, alias Mustafa, Jonas alias Mustafa.

Jonas: Woher wissen die?

Grenzsoldat mit Megafon: Verlassen Sie Ihr Versteck, Flucht ist zwecklos, kommen Sie zu uns, ergeben Sie sich, es wird Ihnen nichts geschehen.

Jonas: Glaubst du ihm, Sammy?

Sam: Glaubst du ihm?

Jonas: Bin ich blöd? Taktischen Rückzug nennt man so was.

Sam: Bitte gelegentlich einen Blick auf den treuen Sammy werfen zu wollen, o flotter Normeh. Der erleuchtete rote Pfeil auf dem Bildschirm weist den Weg nach Europa.

Jonas: Der Weg führte quer durchs Niemandsland, vorbei an Ruinen, an gesprengten Bunkern, an verrosteten Panzerwracks, alles war still, unheimlich still. Und auch ich war leise, um nicht mögliche Verfolger aufmerksam zu machen. Aber es gab keine Verfolger. Im ganzen großen Niemandsland schien nichts zu leben, kein Strauch, kein Tier, kein Mensch, doch, da war was: vor mir ein Licht, ein Flackern, ein Lagerfeuer, ich schlich näher, vorsichtig, und sah 3 Männer, 3 wildaussehende struppige Kerle mit Hackmessern am Gürtel und eine Frau, der die drei gerade die Taschen ausräumten.

Bandit: 20 Piaster, eine silberne Kette, ein Ring, Messing.

Bandit: Die guten Sachen hat sie in der Wäsche.

Bandit: Glaub ich auch. Zieh dich aus.

Safiye: Nein.

Bandit: Ja zieh dich aus.

Safiye: Nein. Las mich los. Hilfe.

Jonas: Das ist Safiye, sie ist auch geflohen.

Safiye: Man will mich... Zu Hilfe! Hilfe! Hilfe! zu Hilfe!

Bandit: Schrei nur, keiner hört, keiner hört dich, und wenn du schreist, machst du uns erst richtig scharf. Maul halten.

Sam: Sehr gut Leutnant, lassen Sie ausschwärmen. Zu Befehl, Herr Hauptmann. Ausschwärmen, keiner darf entkommen! Na bitte, hat gewirkt.

Jonas: Nicht ganz, Sam.

Jonas: Nur zwei Banditen waren ins Dunkel getürmt, der dritte hielt Safiye am Arm fest und wußte offenbar nicht recht, was er tun sollte. Ich half ihm, ich warf ihm ein Messer in den Hals, er fiel um und alle Unklarheit war vorüber. Für immer. Ich trat in den Feuerschein, um mir das Messer zurückzuholen.

Safiye: Mustafa.

Jonas: Hallo Safiye.

Safiye: Sie haben sie erschossen, Mustafa, Großvater auch. Alle sind tot, nur wird nicht, Mustafa.

Jonas: Ja, Safiye. Wie bist du aus dem Schuppen gekommen?

Safiye: Ein Brett war lose, ich bin durchgekrochen.

Jonas: Und sie haben dich nicht gesehen.

Safiye: Nein, ich bin gelaufen, ich hatte Angst, auf einmal waren die Banditen da.

Jonas: Jetzt ist ja alles gut, ist ja gut. Vorläufig jedenfalls. Du gehst am besten mit mir, Safiye.

Safiye: Ja Mustafa. Ich hab ja sonst niemand mehr.

Jonas: Und wieder ein Marsch durchs nächtliche Niemandsland. Diesmal aber nur ein kurzer. Safiye war erschöpft und ich brauchte auch ein bißchen Ruhe. Wir suchten uns eine Ruine, die noch ein paar intakte Wände hatte, es war kühl. Wir waren beide müde, Safiye und ich, aber was wir noch nötiger hatten als Schlaf, das waren Wärme und Trost. Ich schaltete Sam ab. Wir wärmten und wir trösteten uns. Dann schliefen wir ein. Schritte und Stimmen schreckten uns aus dem Schlaf, es wurde schon hell, ich riskierte einen vorsichtigen Blick über die Mauer und schaltete Sam wieder ein. Drei Köpfe sind besser als zwei, auch wenn Sam keinen hat.

Jonas: Das sind unsere Söldner, eine Streife der ImPo. Keine Gefahr, oder? Was denkst du?

Sam: Was kann Hoheit schon an der Meinung eines armseligen Computers liegen, eines Objekts, welches menschliche Willkür an und abschalten kann, ganz nach Belieben.

Jonas: Hör auf zu muffeln, Sam. Was meinst du?

Sam: Erlaube mir ergebenst, vorerst verhaltene Vorsicht anzuempfehlen.

Safiye: Guten Morgen, Jonas.

Jonas: Guten Morgen Safiye. Jonas? Wieso Jonas? Mustafa.

Safiye: Jetzt brauchst du nicht mehr zu lügen du heißt Jonas und du bist aus Europa.

Jonas: Wer sagt das.

Safiye: Die Grenzer. Unsere Grenzer. Sie waren sehr böse, als sie merkten, daß du nicht mehr bei uns warst. Sie haben nach dir gefragt, und dann haben sie mich aussortiert, bevor sie die anderen erschossen haben, sie haben gesagt, du bist ein Spion, sie haben gesagt, ich soll im Niemandsland nach dir suchen, und wenn ich dich gefunden habe, und wenn Grenztruppen in der Nähe sind, ganz gleich ob unsere oder Europäer, dann dann soll ich...

Jonas: Ja?

Safiye: Hier, hier ist er, hier ist Jonas! Wenn ich dich verrate, lassen sie mich nach Europa, das haben sie versprochen. Hier.

ImPo-Beamter: Waffen in Anschlag. Kommen Sie raus, Hände über den Kopf, los los. Sie sind also Jonas. Super, das gibt Sonderurlaub, vielleicht sogar einen Orden. Danke Täubchen gut gemacht, jetzt brauchen wir dich nicht mehr.

Safiye: Ah!

ImPo-Beamter: Hast du dir gedacht, Täubchen, nach Europa, uns die Pest einschleppen. Kommen Sie, Jonas.

Jonas: Eine knappe Stunde zu Fuß zum ImPo-Stützpunkt, Fahnenstange, Landeplatz mit einem Hubschrauber, Baracke. Meine Wächter schoben mich durch eine Tür mit der Aufschrift Kommandantur.

Shuk: Majorin Shuk, Immigrationspolizei der VSE. Willkommen. Der vielbegehrte Jonas in meinem Stützpunkt. Ich bin hoch erfreut.

Jonas: Und ich erst.

Shuk: Lassen Sie sich anschauen. Sie sind wirklich kein Mensch, keine Katze, wieviel Leben haben Sie eigentlich. Gestern, in Babylon, sind Sie einem unserer besten Spezialisten entkommen, den wir auf Sie angesetzt hatten. Was sage ich entkommen, Sie haben ihn umgebracht, nicht er Sie wie es vorgesehen war.

Jonas: Der Überfall in der Metro, das waren Sie, die ImPo?

Shuk: Ja sicher, Weil Sie planten, das Niemandsland aufzusuchen, und das konnten wir nicht zulassen.

Jonas: Woher wußten Sie denn daß ich ins Niemandland wollte? Ich hatte doch gerade erst mit meinem Auftraggeber...

Shuk: Dafür hat Herr Sesam gesorgt, noch bevor er Ihnen den Auftrag gab, hat er diese seine Absicht kundgetan.

Jonas: Wem?

Shuk: Seinem Schleuser, Baklava, um ihn, wie er meinte, zu beruhigen, nun ist aber Baklava ein Patriot, und in der jetzigen problematischen Situation. Sie wissen ja Bescheid, Jonas, Beulenpest im KDW etc. In dieser Situation also arbeitet Baklava mit den Grenzorganen seines Staates zusammen.

Jonas: Soll heißen er führt den Mördern die Opfer zu, nachdem er sie ausgeplündert hat.

Shuk: Aber Jonas machen sie eine so simple Geschichte nicht zu Melodram. Baklava hat die KDW-Grenzwächter über Sie informiert und die Kameraden von drüben haben die Information sofort an uns weitergegeben. Wir ziehen alle an einem Strang.

Jonas: Hoffentlich hängen Sie bald dran.

Shuk: Was wollen Sie. Auch wir können nicht daran interessiert sein, daß pestkranke Drittweltler Europa heimsuchen.

Jonas: Warum sperren Sie nicht einfach die Grenze?

Shuk: Mein bester Jonas dann würde allgemein bekannt werden was die Kameraden von drüben mit so großem Eifer und aus so guten Gründen geheimzuhalten suchen, und ihren dringenden Wunsch, daß auch weiterhin niemand von der grassierenden Beulenpest erfährt, läßt die Dritte Welt sich gern etwas kosten.

Jonas: Die ImPo wird also bestochen.

Shuk: Die Welt, mein lieber Jonas, ist kein Nonnenkloster, Alle bestechen oder werden bestochen. Zurück zu Ihnen. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat unseres Spezialisten taten Sie etwas, womit niemand rechnen konnte. Sie gingen nicht auf direktem Weg ins Niemandland, Sie flogen als Tourist nach Karakul, und wir hier an der Grenze haben vergeblich auf Sie gewartet. Zum Glück hatten wir dafür gesorgt, daß Baklava ein Holobild von Ihnen bekam, für alle Fälle. Er erkannte Sie trotz ihrer Mustafamaskerade und verständigte seine Kontaktleute an der Grenze. Besondere Vorkehrungen wurden nicht getroffen, man nahm an, Sie würden mit samt der übrigen LKW-Ladung routinemäßig erledigt werden.

Jonas: Ein Irrtum.

Shuk: Gewiß, aber ohne scherwiegende Folgen. Wir sind ja auch noch da. Wir sind gewissermaßen die Lumpensammler.

Jonas: Wie sinnig.

Shuk: Wenn den Kameraden drüben einer durch die Lappen geht, rufen sie uns an und wir fangen ihn ab. Und dann erschießen wir ihn natürlich.

Jonas: Natürlich. Mich auch?

Shuk: Aber ja. Sie vor allem.

Jonas: Aber ich hab nicht die Pest. Ich bin geimpft.

Shuk: Sie sind viel gefährlicher als so ein armer verpester Drittweltler. Sie wissen, was hier gespielt wird. Und Sie sind im Stande es weiter zu erzählen. Sie hatten Glück, Jonas, großes Glück, aber jetzt ist Ihr Glück zu Ende und Ihr Leben auch. Schade. Apropos: haben sie einen letzten Wunsch. Wenn es sich irgendmachen laßt.

Jonas: In dem Schrank da seh ich eine Flasche.

Shuk: Schottischer Whisky, echter, uns geht es gut, wir können uns was leisten. Wie hätten Sie ihn gern, mit Eis, mit Soda, mit Wasser?

Jonas: In einem Glas.

Shuk: Aber gewiß doch. Ah!

Jonas: Das ist ein Messer, Majorin, die Spitze direkt an Ihrer Halsschlagader.

Sam: Wie vor einem Jahr im Reservat, Sultan Suleiman, mein Meister geruht sich zu erinnern.

Jonas: Klar. Was jetzt, wir sind nicht im 10. Stock und einen Kanal gibt es hier nicht.

Sam: Wohl aber, hehehe, muß eure innere Schwerbegrifflichkeit tatsächlich darauf hingewiesen werden, wohl aber einen Hubschrauber.

Jonas: Gute Idee, Sam.

Sam: Gute Idee, Sam. Ausgezeichnete Idee, wunderbare Idee, exorbitante Idee, superpyramidale Idee.

Jonas: Auf jeden Fall eine Idee, die funktionierte. Ich nahm mir den Laserstrahler der Majorin und ging mit ihr zum Hubschrauber, langsam, die ImPos trauten sich nicht einzugreifen, ich band die Majorin auf dem Nebensitz fest und flog los. Zum Glück wußte ich, wie man mit so einem Ding umgeht. Ich überlegte, ob ich die Majorin unterwegs rauswerfen sollte, ich tat's nicht, es hatte schon so viele Tote gegeben. Statt dessen ließ ich sie an einem Seil auf einen Alpengletscher runter. Auch eine Strafe. Den Hubschrauber landete ich auf freiem Feld vor Babylon. Drei Stunden später war ich bei Martin Sesam, gewaschen und umgezogen. Und Sesam war über meinen Bericht gar nicht glücklich.

Sesam: Beulenpest, Todesschwadron, Baklava ein falscher Fuffziger, was soll ich mit so einer Räuberpistole, mich interessiert nur eins, Herr Jonas, haben Sie mir von drüben neue Arbeitskräfte mitgebracht?

Jonas: Das war nicht mein Auftrag, Herr Sesam.

Sesam: Ach. Wissen Sie wenigstens, wann ich mit neuen Arbeitern rechnen kann?

Jonas: Überhaupt nicht.

Sesam: Ist das wahr? Dann muß ich Konkurs anmelden.

Jonas: Ihre Sache, Herr Sesam.

Sesam: Meinen Sie, Jonas? Wenn ich pleite gehe, können Sie sich ihre Rechnung an die Backe kleben. Von mir kriegen Sie kein Geld, 400 Euros Vorschuß haben Sie schon, mehr gibt's nicht.

Sam: Besagten 400 Euros Vorschuß auf der Einnahmenseite steht auf der Ausgabenseite gegenüber die Summe von 387 Euros 0 Cents. Welche sich zusammensetzt wie folgt: Flug Babylon-Karakul mittels Chemorocket 352 Euros. Diverse gebrauchte Kleidungsstücke 78 Euros...

Jonas: Sei mal still: 400 weniger 387.

Sam: 13 Euros.

Sesam: Na bitte 13 Euros Reingewinn, ist doch was. Sie finden wohl selbst raus.

Jonas: Auf dem Weg nach Hause kam ich wieder am Art-Shop vorbei, die hübsche Verkäuferin stand in der Tür und lächelte mich an.

Verkäuferin: Hatten Sie nicht gestern nach handgearbeiteten Zierzwergen gefragt?

Jonas: Ja.

Verkäuferin: Einen hab ich noch gefunden beim Grossisten. Das ist der allerletzte hat er gesagt, weil keine mehr nachkommen. Wollen Sie ihn mitnehmen?

Jonas: Soll ich Ihnen was verraten: Ich hasse Zierzwerge.

Jonas: Ich hätte sie fragen können, ob sie abends schon was vorhatte. Ich hätte sie zu mir einladen können. Das echte Büro eines echten Detektivs. Das zieht immer. Aber ich war zu müde. Ich ging nach Hause, legte mich ins Bett und ließ mich von Sam in den Schlaf singen.

Sam: You must remember this, a kiss is just a kiss...

Jonas: Ich dachte an die Verkäuferin, an Judith, an Safiye und daran, daß ich was unternehmen sollte, wegen der Pest in der Dritten Welt. Morgen.

Das war Niemandsland. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam: Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Elisabeth Endriss, Sabine von Maydell, Karin Kernke, Harald Leipnitz, Michael Habeck, Michael Hoffmann, Peter Capell und viele andere (Michael Gahr, Julia Fischer, Norbert Goth, Erik P. Caspar, Joachim Schmahl, Marold Langer-Philippsen). Ton und Technik: Günter Heß und Angela Bernd. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1985). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:14
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction Krimiserie von Michael Koser.
Heute: Sündenbock

(Im Büro-Appartement von Jonas, dem letzten Detektiv. Morgens, 8 Uhr früh)

Sam: Uhuhuhuh, uhuhuhuh!

Jonas: Acht Uhr früh, und es krähte der Hahn.

Sam: Uhuhuhuh, uhuhuhuh!

Jonas: Ein Hahn war es natürlich nicht. Wo gibt's denn heutzutage noch Hähne?

Sam: Im zoologischen Garten, Herr Oberstabsveterinär, hinten rechts, neben den Schweinen. Oink.

Jonas: Weiß ich doch, Sammy. Ein armer alter Hahn ohne Schwanz. Wenn der überhaupt noch kräht, dann bestimmt nicht am Morgen, sondern nachts, da träumt er vielleicht von Würmern und von seinen Hennen. Mein Kräher war Sam.

Sam: Uhuhuhuh, uhuhuhuh! Wachet auf, wachet auf! Es krähte der Hahn. Morgenstund hat Gold im Mund. Erhebe dich du schwacher Geist, der du noch in die Kissen beißt. (singend) Early to bed and early to rise is healty, wealty and wise. Uhuhuhuh!

Jonas: Das reicht, Sam.

Sam: Uhuhuhuh!

Jonas: Ruhe!

Jonas: Sam ist mein Computer. Er kann nicht nur krähen, er kann auch reden. Und wie. Ohne Pause. Ohne Punkt und Komma. Ohne Luft zu holen. Sam ist ein ausgelaufenes Versuchsmodell. Die Firma McCoy wollte seinerzeit die Marktchancen für einen ungeheuer gebildeten Computer testen. Ergebnis: der Typ kam nicht an. McCoy mußte ihn verschrotten oder verramschen. Und so habe ich Sammy erstanden, billig, vor fünf oder sechs Jahren. Und jetzt habe ich ihn immer noch. Obwohl er an meinen Nerven sägt, obwohl seine hochgelehrten Textprogramme inzwischen ein bißchen durcheinandergeraten sind. Einen neuen Computer kann ich mir nicht leisten. Und ich habe mich an Sam gewöhnt. Möglicherweise.

Sam: Oh Dank, Meister. Ergebensten Dank. Von Herzen kommend, zu Herzen gehend.

Jonas: Als ob du ein Herz hättest, Sammy.

Sam: Hä?

Jonas: Und jetzt bist du still und läßt mich weiterschlafen.

Sam: Oh nein, nicht die Bohne, oh Fixstern meines Verlangens. Sam hat Befehl zu wecken, Sam weckt, beflissen, standhaft, ohne Unterlaß. Munter, munter aus dem Bette gehüpft, in die Naßzelle geschlüpft, zwecks matutiner Absolutionen.

Jonas: Wenn ich nicht so müde wäre, Sam, dann würde ich aufstehen...

Sam: Bravo Meistro.

Jonas: ...einen Hammer nehmen und dich zu Schrott schlagen.

Sam: Pfui, Pfui, Missiö de Marquis. Warum so unwirsch?

Jonas: Warum? Weil ich mir ganz umsonst die halbe Nacht um die Ohren geschlagen hatte. Auf dem Zentralfriedhof von Babylon, ausgerechnet. Ein Auftraggeber hatte mich per Fon hinbestellt, um Mitternacht. Mir war’s egal. Ich habe keine Angst vor Gespenstern. Aber er hatte wohl Angst. Jedenfalls tauchte er nicht auf. Zwei Stunden stand ich mir die Beine in den Bauch, dann zog ich ab. So was kommt manchmal vor. (Jonas jetzt in der Dusche. Wasser plätschert)

Sam: Ärgerlich, hoher Herr, höchst ärgerlich, doch leider, leider nicht zu ändern.

Jonas: Wenn ich dich nicht hätte, oh du mein Ausburt elektronischer Binsenweisheit. Wie wär’s denn zur Abwechslung mal mit Hausarbeit?

Sam: Hausarbeit? Ein intellektuell hochspezialisierter, verbal hochqualifizierter Computer und Hausarbeit? Nachbarin, euer Fläschchen.

Jonas: Keine Diskussion, Sam. Dein Herr und Meister will Frühstück.

Sam: Sam hört und gehorcht. Was wünschen Durchlaucht zu sich zu nehmen?

Jonas: Na was schon. Brötchen aus echtem Mehl, Butter, Eier mit Schinken, echten Bohnenkaffee.

Sam: Herr Graf scherzen im liegen, oh Korrektur, Herr Graf belieben zu scherzen.

Jonas: Du merkst auch alles, Sammy. Also Sojakaff und Plastiktoast wie jeden Morgen, und stell Holo-News an.

Sam: Sehr wohl Sir.

Holo-Sprecher: ...in der Nacht ermordet aufgefunden. Frau Dr. h.c. Ella Boss, genannt Bigboss, war Präsidentin von Chips Inc., dem bedeutenden Hardwareproduzenten. Chefinspektor Brock von der städtischen Kriminalpolizei hat die Ermittlungen aufgenommen. Nikosia: auf dem 33. Treffen der 11. Sitzungsperiode der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in der Welt, KF... (Jonas schaltet wieder ab)

Jonas: Hast du das gehört, Sammy? Sie haben Bigboss von Chips umgebracht. Weißt Du noch?

Sam: Dämliche Frage, du Brathahn. Sam weiß alles, oder naja, doch so gut wie.

Jonas: Ich hatte Bigboss vor einem viertel Jahr kennengelernt. Im Juni 2010. Eine merkwürdige Frau, und ein merkwürdiges Zusammentreffen, in ihrem Penthouse hoch über Babylon. Überhaupt ein merkwürdiger Fall, die ganze Schmiergeldaffäre. Ein toter Auftraggeber. Nike und Luna, die coolen Killerinnen mit der Drahtschlinge, Bigboss, und ihr persönlicher Referent, wie hieß er noch?

Sam (singend): To-To-To-To-Tolliver.

Jonas: Richtig, Tolliver. Ich habe ihn Joker genannt, weil er die Angewohnheit hatte, in aussichtslosen Situationen aufzutauchen, und dem Spiel eine Wendung zu geben. (Das Fon klingelt)

Sam: Dat Fon gibt Ton, oh Menschensohn.

Jonas: Hier Jonas. Nur Jonas. Der letzte Detektiv. Spezialist für hoffnungslose Fälle.

Tolliver: Tolliver.

Jonas: Wer?

Tolliver: Tolliver. Sie wissen wer ich bin.

Jonas: Aber ja, so ein Zufall!

Sam: Lupus in fabula, wie wir Lateiner sagen.

Tolliver: Bigboss, haben Sie gehört?

Jonas: Ja, eben.

Tolliver: In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen.

Jonas: Das ist Tolliver. Mann der knappen Worte und schnellen Entschlüsse. Zweimal hat er mir das Leben gerettet, und dabei ganz lässig fünf Menschen umgebracht. Ein Mann, der zu seinem Wort steht. Genau 30 Minuten später saß er in meinem Büroapartment. Kühl und Konzentriert.

Tolliver: Interessiert an einem Auftrag, Jonas?

Jonas: Bigboss?

Tolliver: Ja. Sie sollen feststellen, wer sie umgebracht hat. Und warum.

Jonas: Hm, da sitzt doch schon die Kripo dran.

Tolliver: Sehr komisch. Chips ist der größte Hardwareproduzent in Europa. Wenn die Präsidentin von Chips ermordet wird, verläßt Chips sich nicht auf die Kripo.

Jonas: Und Ihre eigenen Sicherheitstypen?

Tolliver: Aber die kennen Sie doch, Jonas. Brauchbare Nachtwächter, ganz passable Gorillas, aber keine Detektive. Für Fall Bigboss nicht gut genug. Dafür brauchen wir Sie, Jonas. Sie sind Experte. Und Sie haben auf Bigboss Eindruck gemacht damals.

Jonas: Ach ja? Hat sie nicht gesagt, ich bin zu klein?

Tolliver: Klein, aber anständig.

Sam: Pieeep. Dies sind die Eigenschaften eines erstklassigen Detektivs: Anständigkeit, Vorstellungsvermögen, Wißbegierde und Menschenliebe. All’ so spricht Lew Archer. Gott hab’ ihn selig.

Tolliver: Vorlaut, ihr Computer.

Jonas: Vorlaut und verrückt.

Tolliver: Wirklich? Ja, also wie gesagt, Bigboss war beeindruckt von Ihnen. Es wäre durchaus in ihrem Sinne, daß Sie den Mord untersuchen. Für wieviel war’s? 80 Euros pro Tag?

Jonas: 90. Seit dem 1. September. Und Spesen. Alles wird teurer, auch der letzte Detektiv.

Tolliver: In Ordnung. Und eine Prämie, wenn Sie den Fall schnell abschließen.

Jonas: Hm, großzügig.

Tolliver: Chips-Geld, nicht meins. Also was ist? Übernehmen Sie den Fall?

Jonas: Das war die Frage. Irgendwas an der Sache war mir nicht geheuer. Ich hatte ein dummes Gefühl. Wie so oft. Andererseits lag mein letzter Auftrag drei Wochen zurück, und weil der mir außer Beulen nur ganze 13 Euros eingebracht hatte, konnte ich’s mir nicht leisten, Tollivers Angebot auszuschlagen. Ich nahm an. Ein Fehler. Aber das merkte ich erst, als es zu spät war, wie so oft.

Tolliver: Sehr schön. Seien Sie Punkt 11 bei mir. Sie wissen wo: Chips-Zentrale am Henrick- August-Platz, 31. Stock, Bigboss’s Büro. Viel Erfolg!

Jonas: Moment, Tolliver, ich habe ja noch keine Ahnung. Kommen Sie mal rüber mit ‘n paar Einzelheiten, wann, wo, wie und so weiter.

Tolliver: Tja, Jonas, weiß ich alles selbst nicht genau. Daten, die Sie brauchen, müssen Sie sich schon woanders besorgen, hahaha, Sie sind doch Detektiv! (geht)

Jonas: Dann wollen wir mal was tun, Sammy. Das heißt...

Sam: Sam soll was tun, ja, ja, das alte Lied. Computers to the front. Sei’s drum. Was steht zu Diensten, Ritter Kunibert?

Jonas: Mordfall Dr. Boss, Knappe Sam. Polizeibericht mit allem Pipapo. Kripo-Code hast du ja.

Sam: Auf geht’s, pieeep, ähhhhh ah ah ah.

Jonas: Ja was ist?

Sam: Zu seinem größten Bedauern ist Sam nicht in der Lage, obschon durchaus willens, die gewünschte Information zu liefern.

Jonas: Unsinn Sammy, die Daten müssen in der Kripo-Bank sein.

Sam: Müssen, großer Meister, sind aber nicht. Sonderspeicherung, neuer Super-Geheimcode, Stichwort Belzebub.

Jonas: Belzebub, Belzebub, was soll das heißen?

Sam: Sam weiß zwar viel, doch dies kann Sam nicht wissen.

Jonas: Und den Super-Geheimcode weißt du natürlich auch nicht.

Sam: Woher denn? Oh du mein Jonas Superstar.

Jonas: Datenbank der Kripo ist also out. Na gut. Dann eben anders.

Sam: Natürlich, das mußte ja kommen. Unser Mann in Havanna.

Jonas: Bitte wer?

Sam: Sam wollte sagen, unsere Frau bei der Polizei.

Jonas: Die Rede war von Judith. Judith Delgado. Hauptabteilungsleiterin in der Sicherheitsverwaltung. Privat ist sie mit einem gewissen Jonas liiert. Z.B., zeitweilige Beziehung, seit anderthalb Jahren. In dieser Zeit hat sie mir ab und zu geholfen. Nicht gerade mit Begeisterung, muß auch nicht sein, wenn sie nur dafür sorgt, daß ich Daten kriege, an die ich normalerweise nicht rankomme. Aber diesmal konnte Judith mir nicht helfen, vor einer Woche hatte ihre Behörde sie nach Japan geschickt. Dienstreise. Plötzlich. Ohne Vorankündigung. Um die speziellen Probleme der Sicherheitsverwaltung in Tokio zu studieren. Jonas war allein in Babylon, abgesehen von Sam natürlich. Und Sam war über Judiths Abwesenheit gar nicht böse.

Sam (wie ein Pfarrer sprechend): Möge es ihr wohl ergehen im fernen La-ha-nde. Der Dame Ju-dith.

Jonas: Sam!

Sam: Auf daß sie lange Zeit dorten verweile und so es denn überhaupt sein muß, (priesterlich) erst recht, recht spät wiederkehre. Amen.

Jonas: Denk an den Schrottplatz, Sam.

Sam: Äh äh, lieber nicht, Kumpel. Dame Judith ist out. What now?

Jonas: Die Kripo direkt, Sammy, und das heißt, fürchte ich, Inspektor Brock.

Sam: Chefinspektor, Sir, seit 1. Juli 2010.

Jonas: Inspektor oder Chefinspektor, eins stand auf alle Fälle fest: Brock hatte was gegen Jonas. Aber Jonas hatte keine Wahl und fuhr rüber zur Sicherheitsverwaltung am Europaplatz, in Person. Jonas am Fon kann man abhängen, wenn er unversehens in Brock’s Büro auftaucht, muß man ihn schon rausschmeißen, und das ist schwieriger. (In Brock’s Büro: Brock stürzt herein)

Brock: Verrammeln Sie die Tür, Pauly, das Arschloch Jonas ist im Haus gesichtet worden.

Pauly: Äh, zu spät, Chef.

Jonas: Ich bin schon da, sagte der Swinigel zum Hasen.

Brock: Swinigel Jonas, auch nicht schlecht.

Jonas: Jedenfalls besser als Arschloch.

Brock: Wenn Sie meinen Jonas.

Brock: Was wollen Sie?

Jonas: Informationen.

Brock: Worüber?

Jonas: Mordfall Dr. Boss.

Brock: Was haben Sie damit zu tun?

Jonas: Ein Auftrag.

Brock: So? Was wollen Sie wissen?

Jonas: Sagen Sie mal, Bröckchen, haben Sie Kreide gefressen? So kenn’ ich Sie ja gar nicht. Sie müssen doch jetzt brüllen (mit verstellter Stimme, laut) das ist mein Fall! Halten Sie sich raus! Kommen Sie mir nicht in die Quere! (wieder normal) Sie sind mir doch nicht krank?

Brock: Quatschen Sie nicht ‘rum Jonas, sagen Sie mir, was Sie wissen wollen.

Jonas: Alles, was Sie wissen, Brock.

Brock: OK, passen Sie gut auf, Jonas, ich sag’s Ihnen nur einmal.

Jonas: Ich glaub’s immer noch nicht. Sie geben mir Informationen, freiwillig?

Brock: Heute Nacht 0 Uhr 19, anonymer Anruf in Kripo-Bereitschaft: Leiche am Tigrisplatz, unten in der Passage. 0 Uhr 34 Streife vor Ort bestätigt. Alte Frau, Loch von Laserstrahler über linkem Auge.

Jonas: Was sagt der Pathomat? Todeszeit?

Brock: Präzise 0 Uhr 12. Fundort der Leiche identisch mit Tatort.

Jonas: Wäre möglich. Nachts ist kein Mensch am Tigrisplatz. Nur Läden und Büros. Einsam wie die Amazonas-Wüste oder der Zentralfriedhof.

Brock: Sie halten hier keine Vorträge, Jonas, Sie hören nur zu.

Jonas: Hmm.

Brock: Identifizierung der Leiche durch Ausweis. Dr. Ella Boss, Präsidentin von Chips, kriminalpolizeiliche Ermittlungen aufgenommen: 2 Uhr 06. Keine Verwandten. Persönlicher Referent benachrichtigt. Wohn- und Arbeitsstätte durchsucht.

Jonas: Resultat?

Brock: Null. Und das war’s, Jonas, Ende der Durchsage, hauen Sie ab! (Jonas ab)

Jonas: Ich kam nicht drüber weg. Brock von der Kripo, Superwiderling und Jonas-Fresser, griff mir mit Daten unter die Arme. Äußerst merkwürdig. Ich nahm mir vor, bei Gelegenheit darüber nachzudenken. Jetzt hatte ich was anderes vor: Verabredung mit Tolliver. 11 Uhr. Chips-Zentrale. (In der Chips-Zentrale)

Jonas: Der schäbige kleine Raum, in dem die Präsidentin von Chips gehaust und regiert hatte, wirkte jetzt noch schäbiger als vor einem viertel Jahr. Der Raum war tot. So tot wie Bigboss. Brock hatte gesucht und nicht gefunden. Viel Arbeit hatte er nicht gehabt. Ein Klappbett, zwei Stühle, ein kleiner Schrank, ein Flickenteppich. Kein Computer.

Tolliver: Bigboss was (war) altmodisch.

Jonas: Bin ich auch.

Tolliver: Aber Sie haben doch wenigstens einen Computer.

Jonas: Manchmal sieht’s eher so aus, als ob er mich hat.

Sam: Wir sind eins, geliebete Seele. (singend) Ohne Sammy macht der Jonas keinen Schritt, keinen Schritt...

Jonas: Ruhe in der Manteltasche!

Sam: Psst! Ruhe bitte. Absolute Ruhe. Äußerste Ruhe. Verstummet ihr Pauken. Schweiget stille Drometen.

Jonas: Sam Zwo ist der mobile Teil von Sam. Ein handliches Kästchen, paßt in jede Tasche. Ich nehme ihn mit, wenn ich beruflich unterwegs bin. Guten Rat braucht der Detektiv immer und überall. Muntere Sprüche, die er weniger braucht, muß er ertragen. Was das Reden betrifft, ist Sam Zwo der ganze Sam. Sprachrohr und drahtlose Extension von Sam Eins, dem großen Datenspeicher in meinem Büro.

Tolliver: Stehen Sie nicht in der Gegend rum, Jonas. Tun Sie was!

Jonas: Nichts dagegen. Schlagen Sie was vor!

Tolliver: Oh mein Gott, woher soll ich das wissen? Ermitteln Sie, forschen Sie, untersuchen Sie! Sie sind der Detektiv!

Jonas: Das haben Sie mir heute schon mal gesagt, Tolliver, allmählich fange ich an, Ihnen zu glauben. Was ist in dem Schrank?

Tolliver: Ein paar Kleidungsstücke, und Bücher.

Jonas: Bücher? (öffnet den Schrank) Tatsächlich. Bücher. Aus dem vorigen Jahrhundert.

Tolliver: Interessieren Sie sich für Bücher?

Jonas: Besonders für alte Kriminalromane: Hammett, Chandler, Ross Macdonald, Riomarle (Leo Malet).

Tolliver: Sie haben Recht, Jonas, Sie sind altmodisch. Wie Bigboss.

Jonas: Wann haben Sie Bigboss zuletzt gesehen, Tolliver?

Tolliver: Gestern nachmittag bei Dienstschluß gegen fünf.

Jonas: Wissen Sie, was sie um Mitternacht am Tigrisplatz wollte?

Tolliver: Nicht die mindeste Ahnung.

Jonas: Ach, Sie waren doch ihr persönlicher Referent. Sie haben ihre Termine gemacht.

Tolliver: Na sicher. Aber das heißt nicht, daß ich über jede Aktivität von Bigboss informiert war. Die ganz wichtigen Sachen, also hohe Firmenpolitik usw., die hat sie grundsätzlich allein erledigt.

Jonas: Ach ja. Und wie merken sich altmodische Einzelgänger ihre wichtigen Termine? Indem sie sie aufschreiben. Ist das Bigboss Handschrift?

Tolliver: Ein Stück Papier. Wo haben Sie das her?

Jonas: Aus einem Buch. Ist das ihre Handschrift?

Tolliver: Ja, keine Frage: 6.9.10, 0 Uhr, Tigrisplatz, Passage, Mann von McCoy, Angebot: Übernahme. Ah, das ist ja interessant. McCoy, das wissen Sie vielleicht, Jonas, McCoy ist unser schärfster Konkurrent, der zweitgrößte Hardwareproduzent in Europa. Um McCoy zu schlucken, hätte Bigboss alles getan.

Jonas: Hätte sie sich auch heimlich, um Mitternacht, mit einem Abgesandten der Konkurrenz zu Verhandlungen getroffen?

Tolliver: Sicher! Das ist es, Jonas, McCoy steckt hinter dem Mord. Und Sie haben es herausbekommen. Der Zettel muß gleich zur Kripo.

Jonas: Apropos Kripo. Belzebub, sagt Ihnen das was?

Tolliver: Belzebub? Ja, irgendwas religiöses glaub’ ich. Also wissen Sie, Jonas, triviale Quizfragen sollten Sie besser ihrem Computer stellen.

Sam: Oh ja, großer Moderator, (singend) frag mich, bitte, bitte frag mich, doing doing. Oh, Kommando zurück, frag mich bitte nicht, keine Zeit. Alarm!

Jonas: Sammy? Was ist los?

Sam: Da versucht jemand, Sam eins zu knacken, in dero Durchlaucht Büro, uh ha, das kitzelt.

Jonas: Einbrecher, Sammy?

Sam: Nein, die Heilsarmee, du Dämlack.

Jonas: Bis später, Tolliver, ich melde mich. (Jonas verläßt das Büro)

Jonas: Als ich 20 Minuten später die Tür aufriß, war das Büro leer. Aber es war jemand da gewesen. Sam Eins hatte frische Kratzer an Schloß und Schnittstelle, reine Blechschäden, innen war ihm nichts passiert. Sam Eins ist so stark gesichert, daß ihn nur ein Erdbeben knacken kann, oder der Weltuntergang. Und die Papiere auf dem Tisch lagen anders da als heute morgen. Was hatten die Einbrecher bei mir gesucht?

Jonas: Gar nichts. Sie haben was mitgebracht. Sieh dir das an, Sam.

Sam: Ein Zettel. Wie eben bei Bigboss.

Jonas: Und es steht auch fast dasselbe drauf: 6.9.2010, Mitternacht, Tigrisplatz, Passage, Bigboss abhaken für McCoy. Und die Handschrift...

Sam: Ist unverkennbar die genial schlampige Klaue meines Herrn. Wäh.

Jonas: Sammy, ich habe das Ding nicht geschrieben, ich sehe es jetzt zum ersten mal. Verdammt, was ist hier los? (Die Tür wird aufgerissen. Alca Selzer und ihr Kameramann Alex stürzen herein)

Alca: Hallöchen und einen ganz ganz lieben Tag alle miteinander. Keine Umstände. Bleiben Sie sitzen, Herzchen, fühlen Sie sich wie zu Hause.

Jonas: Ich bin hier Zuhause!

Alca: Klaro. Neben der Tür ist ‘ne Schnittstelle, Alex, da kannst du rangehen mit deinem Kasten. Bißchen eng, was? Na wird schon. Und wir bleiben jetzt total ruhig Herzchen. Absolut entspannt. Irre locker.

Jonas: Was wollen Sie? Wer sind Sie?

Alca: Aber, aber, Herzchen, Sie kennen mich doch, haben mich doch schon x-mal auf dem Schirm gesehen: Alca Selzer, die berühmte Alca Selzer, rasende Reporterin von HoloNews Babylon. Wir senden schon heute, was Morgen passiert. (Jonas räuspert sich)

Alca: Seh’n Sie, wußt’ ich doch, Herzchen.

Alex: Wir können, Alca!

Alca: Moment, Alex! Alex, mein Bilderknecht. Also Herzchen, nicht aufregen, gar kein Grund vorhanden, Tante Alca macht das schon. Erstmal kurz neueste Entwicklung im Mordfall Bigboss, dann Frage nach Background, bißchen Spekulation: Wird kalter Firmenkrieg heiß, schlägt Chips zurück etc. das übliche. (Alka räuspert sich) Los, Alex.

Alex: OK. Bild, Ton läuft! Fall Bigboss, Interview mit Privatdetektiv Jonas,
6. 9., 11 Uhr 55.

Alca: Guten Tag meine Damen, guten Tag meine Herrn. Wir sind zu Gast bei Jonas, dem letzten Detektiv, wie er sich nennt, dem Mann, dem wir die sensationelle neue Wendung im Fall Dr. Boss verdanken. Herr Jonas. In die Kamera, Herzchen, sehen Sie in die Kamera. Herr Jonas, bitte sagen Sie uns, wie ist es Ihnen gelungen, das entscheidende Beweisstück aufzuspüren, durch das, wie man hört, die Firma McCoy in erheblichem Maße belastet wird?

Jonas: McCoy? Woher wissen Sie das?

Alca: Aus, aus, Alex! Also so nicht, Herzchen, so machen wir das nicht. Wir antworten schön auf das, was Tante Alca fragt. Wir reden nicht einfach dazwischen.

Jonas: Woher wissen Sie das mit McCoy, und daß ich was gefunden habe?

Alca: Wenn’s Sie’s unbedingt wissen wollen, Herzchen, von der Kripo.

Jonas: Wann haben Sie es erfahren?

Alca: Wann war das? Gegen neun würde ich sagen, da haben sie mich angerufen. Dann waren wir beim Stehfrühstück von Senator Tinnef, dann die Bombe in der Südstadt, und jetzt sind wir hier, Herzchen und machen brav unser Interview.

Jonas: Nix! Wir gehen jetzt. Und wenn wir ganz artig sind, dürfen wir vielleicht später wiederkommen und dann unser Interview machen. Raus! (Jonas wirft Alca und Alex hinaus)

Jonas: Als sie endlich draußen waren, wollte ich mich zurücklehnen und bei einem Bürowhisky die seltsamen Dinge verarbeiten, die in den letzten Stunden passiert waren, in Ruhe und Frieden. Aber das sollte nicht sein. Sam fing an zu zetern. Und wenn Sammy selbst auch weder Hand noch Fuß hat, das was er zeterte hatte, ganz entschieden.

Sam: Tatütata! Tatütata! Alarm, Alarm, steh’ auf mein Volk. Die Flammenzeichen rauchen. Hinfort! Hinfort! Geschieden muß nun sein!

Jonas: Du meinst, ich soll von hier verschwinden?

Sam: Ja was denn sonst, du dreimal verdrehter Begriffstutz. Kratz’ die Kurve, mach’ ‘ne Fliege, verfatz dich, Mann hau ab, sonst haben sie dich!

Jonas: Wer, Sammy?

Sam: Na, tatütata, (im Hintergrund Sirenengeheul), da die, die da! Brock und sein Plattfußballett. Unterwegs zu meinem Sahib, um das diesem untergeschobene Beweisstück zu finden und mitzunehmen, nebst meinem Sahib. Rückzug ist angesagt!

Jonas: Wohin, Sam?

Sam: Zu einer Stätte der Ruhe und der Besinnung, oh rosa mia mystica, zwecks Meditation und deliberation der Situation mein Sohn. (Im ”Armen Schlucker“)

Jonas: (in Gedanken) Ich wollte ins Casablanca, aber das fiel aus. Brock wußte, daß ich da gerne hingehe, also landeten wir im armen Schlucker. Ein Dipsomat, eine Stätte des Alkoholismus und der Anonymität. Wie geschaffen für eine ungestörte Beratung zwischen Mensch und Computer. Ich zog mir einen kleinen Rum mit Wasser. Der Magen, das übliche, und auch sonst fühlte ich mich nicht gerade großartig. Nicht weil Brock hinter mir her war, daran bin ich gewöhnt. Weil ich die Regeln nicht kannte, obwohl ich die Hauptfigur im Spiel war.

Jonas: Heute früh um neun hat die Kripo schon gewußt, daß ich bei Bigboss den Notizzettel finden würde, gut zwei Stunden später! Kannst du mir das erklären, Sam?

Sam: Ein complo, Herr Chefagent. Kompott, äh Korrektur, Komplott wollte Sam sagen. Ohne jeden Zweifel ein Komplott.

Jonas: Dann legt mir jemand auch noch so einen Zettel auf den Tisch.

Sam: Nachdem besagter Jemand sich erfolglos um Sam’s Datenspeicher bemühte, o großer Grübler, vermutlich in der Absicht, Sam’s Memory für letzte Nacht zu fälschen.

Jonas: Und warum das alles, Sammy?

Sam: Diesem Problem, hohes Gericht, werden wir gemeinsam auf den Grund zu kommen suchen. (2x Geräusch eines Hammers wie im Gericht) Ruhe, oder ich lasse den Saal räumen!

Jonas: (beschwichtigend) Schrei doch nicht so, Mensch.

Sam: (wie bei einem Verhör sprechend) (leise) Nach Aussage der Kriminalpolizei wurde Frau Dr. Boss um Null Uhr Zwölf getötet. Wo hielten Sie sich um diese Zeit auf, Angeklagter?

Jonas: Weißt du doch, Sam, auf dem Zentralfriedhof.

Sam: Nicht am unweit vom Friedhof gelegenen Tigrisplatz?

Jonas: Natürlich nicht.

Sam (immer lauter werdend): Aber eine von ihrer Hand, Angeklagter, herrührende Notiz, welche die Kriminalpolizei unter der umsichtigen Leitung von Chefinspektor Brock bei ihnen sicherstellen konnte, beweist, daß Sie die Absicht hatten, sich um Mitternacht am Tigrisplatz einzustellen, um, ich zitiere wörtlich, Bigboss abzuhaken.

Jonas (flehend): Ich habe das nicht geschrieben!

Sam: Das behaupten Sie, Angeklagter. Ich behaupte dagegen, Sie haben sich mit dem Opfer, Frau Dr. Boss, am Tigrisplatz verabredet, angeblich, um über eine Übernahme der Firma McCoy durch die Firma Chips Inc. zu verhandeln. In Wahrheit jedoch, um im Auftrag besagter Firma McCoy, besagte Frau Dr. Boss zu töten. Was sagen Sie dazu, Angeklagter?

Jonas: Unsinn. Was habe ich mit einem Firmenkrieg in der Hardwarebranche zu tun?

Sam: Sie, Angeklagter, sind Privatdetektiv, der letzte seines Zeichens in Babylon, insofern ein zwielichtiger Charakter.

Jonas: Besten Dank.

Sam: Sie sind käuflich, Angeklagter, Sie wurden für den Mord bezahlt.

Jonas: Ach wirklich? Bei einem Kontostand von knapp 200 Euros?

Sam: (Piepen, dann Sam mit Computerstimme) Das Konto meines sich im Golde wälzenden Dagobert Duck enthält genau 4189 Euros 12 Cent. Piep.

Jonas: Was?

Sam: Die letzten Einzahlungen wurden getätigt gestern abend und heute morgen. Jeweils 2000 Euros. Angegebener Einzahler: McCoy. Der Sünde Lohn. Er hat an alles gedacht, jener mysteriöse Jemand. Oh Oh!

Jonas: Oh! Nochmals Oh! Ist das wirklich wahr, Sam?

Sam: Es ist wahr, oh mein Opferlamm, mein Sündenbock, mein schuldlos gebeutelter Jonas. (mit Richterstimme) Sie sind der Mörder von Dr. Boss, Angeklagter, Sie haben kein Alibi!

Jonas: Weil man mich auf den einsamen Zentralfriedhof gelockt hat. Zwischen Mitternacht und Zwei. Moment Sammy, ich habe ein Alibi!

Sam: Häh?

Jonas: Die Friedhofsratte.

Sam: Igitt.

Jonas: Sie haben viele Namen: Penner, Streicher, Treber, Plastiktüter, Obdachlose, Unbehauste, aber meist nennt man sie Ratten, weil sie grau sind und schmutzig, und weil man sie überall findet, sogar auf dem Zentralfriedhof. Da hauste die Friedhofsratte, in einem verkommenen Familiengrab. Ein Mann von unbestimmtem Alter. Beim Warten hatte ich mich mit ihm unterhalten. Die meisten Menschen nehmen Ratten gar nicht zur Kenntnis. Jonas ist anderes, der spricht sogar mit ihnen. Nicht nur aus Menschenliebe. Für einen Detektiv kann es nützlich sein, wenn Ratten ihm was pfeifen. (Auf dem Zentralfriedhof) Das zerbröckelte Mausoleum war leer. Dunkelrote Flecken, noch ziemlich frisch auf den alten Zeitungen, unter denen mein Freund nachts schlief. Das mißfiel mir. Ich verschwand und tauchte in der Passage am Tigrisplatz unter. Da ist es nur nachts still. Tagsüber wimmelte es von Menschen. Ich hatte eine Idee: auch unter dem Tigrisplatz hauste eine Ratte.

Stadtstreicherin: Hast du ‘nen Schluck für mich, Sohnematz?

Jonas: Schluck nicht. Wie wär’s mit 5 Euros?

Stadtstreicherin: Noch besser. Du willst doch was, Sohnematz.

Jonas: Ich war eben drüben im Zentral. Was ist mit der Friedhofsratte? (Ich wollte ihn besuchen.)

Stadtstreicherin: Die Bullen. Heut’ Morgen. Na’ dann mach’s mal gut, Sohnematz.

Jonas: Moment!

Stadtstreicherin: Hä?

Jonas: Hast du heut nacht hier unten was mitgekriegt? 12 oder ‘n bißchen später.

Stadtstreicherin: Kann schon sein. Das kostet aber noch ‘nen Fünfer.

Jonas: OK. Pfeif mir was vor.

Stadtstreicherin: Hm. Ein Typ und ‘ne alte Frau, sind die große Treppe runtergekommen und da drüben stehengeblieben, vor dem Schaufenster vom äh Uhrenladen. 10 nach 12

Jonas: Haben sie dich gesehen?

Stadtstreicherin: Glaube ich nicht, Sohnematz. Ich war in meiner Ecke und so was wie mich sehen die gar nicht. Die haben geredet, und plötzlich holt der Typ ‘nen Laser raus und strahlt die Alte ab. Und dann ‘is er weg. Ich bin auch weg. Ich will keinen Ärger...

Jonas: Bigboss und ihr Mörder. Wie sah der Mann aus?

Stadtstreicherin: Normal. Nichts besonderes

Jonas: Ähnlichkeit mit mir?

Stadtstreicherin: Och, kein Stück. Er war kleiner und dünner und besser angezogen.
Hey, hey, hey. Finger weg.

Jonas: Wir beide suchen uns jetzt einen Notaromaten, und da erzählst du die Geschichte noch mal.

Stadtstreicherin: Mensch, laß mich los! Ich bin doch nicht blöd, Sohnematz. Bei so was hält’ man die Schnauze.

Jonas: Außer man kriegt was dafür. 20 Euros?

Stadtstreicherin: Ne, ne, ne, ich hab erst mal genug für Sprit. Zisch ab! Zisch ab, Sohnematz!

Jonas: Wie wär’s denn damit: erst gehen wir zusammen zum Notaromaten, und dann in den armen Schlucker, und da kannst du dir ziehen, soviel du willst. Ich zahle.

Stadtstreicherin: Auch die teuren Sachen?

Jonas: Auch die teuren Sachen.

Stadtstreicherin: Auch zum mitnehmen?

Jonas: Auch das.

Stadtstreicherin: Nanana, schlag keine Wurzeln, Sohnematz. Wir haben was vor.
(Im Notaromaten)

Jonas: In der Passage unter dem Tigrisplatz gibt’s alles, auch einen öffentlichen Notaromaten, in einer Nische hinter der Treppe, gleich neben dem Klo. Eine alte Anlage, enge Kabinen, miese Belüftung, und meine Begleiterin duftete nicht gerade nach Zimt und Nelken. Aber was tut man nicht alles für die Wahrheitsfindung, vor allem, wenn es um den eigenen Kopf geht.

Robot-Stimme: Verehrte Bürgerinnen und Bürger, seien Sie willkommen im öffentlichen Notaromaten der Stadt Babylon. Was Sie hier urkunden, wird in der Datenbank des notariellen Hauptamtes gespeichert, wo Sie es jederzeit abrufen können. (Für eine ordnungsgemäße Beurkundung bitten wir Sie darum) Bitte beachten Sie die vorgeschriebene Prozedur: Urkundende Personen sowie Zeugen haben sich zunächst zu identifizieren. Dieses geschieht auf folgende Weise: Sie nennen laut und deutlich Ihren Namen sowie Ihre Bürgernummer, Sie halten Ihren Ausweis vor den entsprechend markierten Sensorschirm, Sie plazieren Daumen und Zeigefinger der rechten Hand auf die entsprechend markierten Sensorfelder, sodann entrichten Sie die im Monitor angezeigte Gebühr. Nun können Sie urkunden, verehrte Bürgerinnen und Bürger. Fassen Sie sich kurz. Auf Ihre Kabine warten schon andere. (Es klopft)

Jonas: Besetzt. Suchen Sie sich eine anderen Kabine, oder warten Sie ein paar Minuten.

Tolliver: Warten liegt mir nicht, mein lieber Jonas.

Jonas: Tolliver!

Tolliver: Na, Sie wissen doch, Jonas, der Joker taucht immer dann auf, wenn man es nicht vermutet.

Stadtstreicherin: Das isser, das isser, Sohnematz, der von ‘heut Nacht! Der mit dem Laser!

Tolliver: Und den hat er auch jetzt bei sich.

Jonas: Was soll das? Stecken Sie den Laser weg, die Frau ist eine wichtige Zeugin, sie hat den Mord an Bigboss beobachtet. Oh.

Tolliver: Ha, ha, sieh mal an, gut, daß wir Sie nicht aus den Augen gelassen haben, Jonas. Und was Sie betrifft, meine Dame, Sie wissen zuviel, wie es in der einschlägigen Literatur heißt. Ich lese nämlich auch alte Kriminalromane.
(Zischen eines Lasers, die Ratte stöhnt auf)

Stadtstreicherin (sterbend): Ich hätt’ die Schnauze halten sollen, Sohnematz.

Tolliver: Lobenswerter Vorsatz, meine Dame, leider zu spät. So, dieses war der erste Streich, und der zweite folgt sogleich.

Jonas: Sie haben Bigboss umgebracht, Tolliver.

Tolliver: Na bis Sie mal was merken, mein lieber. Haben Sie die letzten Nachrichten gehört? Nein? Zwei hochinteressante Meldungen. Die Fertigungsanlage von McCoy in der östlichen Vorstadt ist in die Luft geflogen. Ein Vergeltungsschlag von Chips, wie man vermutet. Für den Mord an Dr. Boss. Jetzt hat er angefangen, der heiße Krieg zwischen den Hardwaregiganten. Und die Kurse von Chips und McCoy sind in den Keller gefallen. Sie sehen Jonas, Unternehmen Belzebub läuft wie geplant.

Jonas: Das müssen Sie mir schon ein bißchen genauer erklären, Tolliver.

Tolliver: Kommissar Tolliver bitte! Kommissar Tolliver von der Kartellpolizei. Seit einem halben Jahr in geheimer Mission bei Chips, um Belzebub vorzubereiten.

Jonas: Der Mord an Bigboss ist eine Aktion der KaPo?

Tolliver: Aber ja doch. Um den heißen Firmenkrieg auszulösen. Chips und McCoy sind zu groß geworden. Marktbeherrschung. Preisdiktat usw. Jetzt kriegen sie sich gegenseitig klein. Wir haben nur für den Anstoß gesorgt.

Jonas: Deshalb der Name.

Tolliver: Ja natürlich. Wir treiben den Teufel mit Belzebub aus. Und wo wir schon dabei sind gleich noch ein Spruch: Wo gehobelt wird, fallen Späne.

Jonas: Ich verstehe. Bigboss, die arme Ratte...

Tolliver: Und Sie, Jonas. Mein Laser wird Ihnen ein kleines Loch in die Stirn brennen. Das dritte Auge der tibetanischen Lamas. (Kommissar Brock taucht auf)

Brock: Nicht so schnell, Kommissar, runter mit dem Laser. Davon war nie die Rede.

Jonas: Brock! Hätte nie gedacht, daß ich mich mal freuen würde, Sie zu sehen.

Brock: Sie heuern Jonas an, Tolliver, er findet den Hinweis auf McCoy und gibt die Sache bekannt, weil man ihm eher glaubt als uns. Dann legen wir ihn ein paar Tage auf Eis, bis Belzebub richtig läuft. So war es verabredet zwischen Kripo und KaPo. Keine Rede davon, daß ihm der Mord angehängt wird, oder daß er umgelegt werden soll.

Tolliver: Auf der Flucht erschossen, Chefinspektor, die sauberste Lösung.

Brock: Kommt nicht in Frage. Ich seh nicht mit an, wie Sie ihn cool ablasern.

Jonas: Danke Bröckchen, danke, Sie sind ein Engel!

Brock: Bilden Sie sich bloß nichts ein, Jonas.

Tolliver: Wenn Sie sich auf diesen Standpunkt stellen, muß ich Sie daran erinnern, daß ein Kommissar höher steht als ein Chefinspektor, und daß Sie Anweisung haben loyal mit der KaPo zusammenzuarbeiten. Halten Sie sich raus, überlassen Sie Jonas mir! Sie haben schon genug Mist gebaut. Wer hat den HoloNews viel zu früh benachrichtigt?

Brock: Spielt doch keine Rolle. Und Ihren Rang können Sie sich in die Haare schmieren, Herr Kommissar. Jonas kommt mit zur Sicherheitsverwaltung. Pauly!

Pauly: Chef?

Brock: Nehmen Sie dem Herrn Kollegen den Laser ab.

Pauly: Jawoll, Chef.

Tolliver: Das wird Konsequenzen haben, Chefinspektor. In einer halben Stunde bin ich Ihrem Büro, das verspreche ich Ihnen, mit einer Sondervollmacht. Und dann nehme ich Jonas mit, und meinen Laserstrahler auch. Aufgeschoben, Jonas, nicht aufgehoben.

Jonas: Au, ohha, ahhh. Mir wird schlecht.

Brock: Tun Sie sich keinen Zwang an.

Jonas: Nein, ahh, lassen Sie mich ins Klo. Nebenan.

Brock: OK. Sie gehen mit, Pauly!

Jonas: Für einen Bullen war Pauly ein zurückhaltender Mensch. Er blieb im Vorraum, wusch sich die Hände und bewunderte im Spiegel seine Schönheit. Alle Kabinen waren leer. Wurde ja auch Zeit, daß ich mal Glück hatte. Ich suchte mir die aus, die am weitesten vom Vorraum entfernt lag, wankte rein, schob den Riegel vor. Und dann war ich plötzlich wieder kerngesund. Ich zog die Schuhe aus und stellte sie so vor den Sitz, daß man sie von draußen sehen konnte. Die Türen waren einen halben Meter über dem Boden zuende, die Trennwände auch. Ich kroch leise unter allen Kabinen durch, bis zur letzten, der Kabine, die direkt neben der Tür zum Vorraum lag. Da klemmte ich mich zwischen die Wände wie ein Bergsteiger im Kamin und wartete, bis der zurückhaltende Pauly die Geduld verlor.

Pauly: Was machen Sie denn da so lange, Jonas? (klopft an die Tür) Kommen Sie raus! Kommen Sie raus!

Jonas: Pauly sah, was er sehen sollte: die verriegelte Kabine und meine Schuhe. Er merkte nicht, daß Jonas die Tür einer ganz anderen Kabine öffnete und sich hinter ihn schlich. Dann ein Standardgriff aus der Guerillaschule, Pauly verlor die Luft, die Besinnung, und vermutlich auch das Vertrauen in die Menschheit.

Sam (singend): Der arme alte Plattfuß ist müde vom Marschieren, Marschieren, ist müde vom Marschieren.

Jonas: Na so was. Sammy ist wieder da. In letzter Zeit hast du dich ja sehr zurückgehalten, mein Guter.

Sam: Na und? Kriechen, schleichen, Luft abdrehen, das macht mein Meister alleine aus dem Bauch. Elektronischen Rats vermag er dabei zu entbehren. Und ohne Zweifel wird eure Findigkeit sich auch weiterhin zu helfen wissen.

Jonas: Du meinst, wie wir hier herauskommen, bevor Brock ungeduldig wird?

Sam: Ja.

Jonas: Ich denke durch den Luftschacht im Vorraum.

Sam: Ja.

Jonas: Du rufst inzwischen die Baupläne der Häuser um den Tigrisplatz ab, Sammy.

Sam: Ja.

Jonas: Damit wir wissen wo wir landen.

Sam: Ja.

Jonas: Und wie’s dann weitergeht.

Sam: Glück auf, Herr Obersteiger!

Jonas: Der Schacht führte nach oben, in einen Lichthof, so groß wie ein Badelaken. Rings herum kahle Mauern bis in den Himmel, und eine Tür. Ich machte sie auf.

Sam: BING! Erdgeschoß. Damenbekleidung. Herrenartikel. Sonderangebote. Wünscht jemand auszusteigen?

Jonas: Das Wunderland, Sam!

Sam: So ist es, kleine Alice, Babylons neuestes und schönstes Kaufhaus.

Jonas: Dann wollen wir mal im Gewühl untertauchen, Sammy.

Sam: Aber ein bißchen plötzlich, wenn ich bitten darf, eure Behäbigkeit, wie es scheint, ist Chefinspektor Brock uns bereits auf der Spur, will sagen: im Lichthof.

Brock: Halt, bleiben Sie stehen Jonas!

Jonas: Lieber nicht. (Jonas geht los) So, vom Regen in die Traufe sagt man dazu. Hinter uns Brock und vorn Richtung Ausgang mein spezieller Freund Tolliver, mit ein paar unfreundlichen Typen in schwarzen Overalls mit gelben C auf der Brust.

Sam: Sicherheitsorgane von Chips Inc.

Jonas: Du sagst es, Sammy. Wir sitzen in der Falle. Wenn nicht was unerwartetes passiert, so was wie ein Ablenkungsmanöver im großen Stil. Du hast die Pläne fürs Wunderland Sam?

Sam: Klar Chef.

Jonas: Wo ist der nächste Hitzesensor?

Sam: Einen Augenblick, eure Dringlichkeit, piep. Herrenartikel, 2. Umkleidekabine von rechts.

Jonas: Bring mich hin!

Sam: Bitte mir zu folgen, Sir. Geradeaus... links... wieder links... ganz rechts.

Jonas: Heute war ein Tag der Kabinen: erst der Notaromat, dann das Klo und jetzt das Wunderland. Hier war allerdings jemand drin. Ein fetter Greis, der sich abmühte, einen gelb-grün geringelten Synthiwollpullover über seinen Wanst zu ziehen.

Kunde: Entschuldigen Sie, das ist meine Kabine.

Jonas: Zu klein, Sie brauchen mindestens 56. Außerdem, gelb-grün steht Ihnen nicht, macht Sie alt, und zu dick.

Kunde: Also erlauben Sie mal, verlassen Sie meine Kabine!

Jonas: Nach Ihnen. Wo ist der Sensor, Sammy?

Sam: Rückwand rechts unten. Hinter der Bespannung.

Jonas: Aha. Haben Sie Feuer?

Kunde: Ja, ein Feuerzeug. Wieso?

Jonas: Geben Sie her! Na wird’s bald?

Kunde: Bitte.

Jonas: Besten Dank.

Kunde: Was äh, was machen Sie da?

Jonas: Feuer! Sehen Sie doch. Direkt an diesem hochmodernen und hoffentlich auch hochempfindlichen Hitzesensor.

Kunde: Ja warum denn?

Jonas: Darum!

Kunde: Mein Gott, mein Gott! Feueralarm! Feuer! Hilfe! Feuer! Hilfe! (läuft davon)

Sam: Jetzt rennt er, hähähä.

Jonas: Es war ein Höllenspektakel. Die Sirenen heulten. Menschen schrien und drängten sich durch die Ausgänge. Brock, Tolliver und Konsorten wurden mitgeschwemmt, ob sie wollten oder nicht. Die Panik dauerte Minuten. Allmählich wurde es ruhiger. Schließlich Stille. Nur die Sprinkler liefen noch und rauschten wie ein ferner Regen.

Sam: Hähä. Hähähä. Darf ich Herrn Oberbranddirektor beglückwünschen? Eine geradezu geniale Idee. (wienerisch) Ja, a bisserl laud vielleicht.

Jonas: Du kannst dir gern was leiseres ausdenken, Sam. z.B. wo wir uns verstecken können. Die Feuerwehr ist im anrollen und wie ich Tolliver und Brock kenne, werden sie nach dem ersten Schreck sehr bald zurück kommen. Wohin Sammy? Nach Hause können wir nicht. Zu gefährlich. Casablanca? Dito. Nochmal der arme Schlucker?

Sam: Sam erlaubt sich abzuraten. Denn siehe, es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget. Majestät benötigen eine Schlafgelegenheit.

Jonas: Judiths Wohnung? Nein geht auch nicht.

Sam: In Anbetracht der weithin bekannten spezifischen Beziehungen, welche zwischen meinem Herrn und jener Dame obweilt...

Jonas: Sam!

Sam: Ja. Dürfte ihr Domizil bewacht sein. Ihre Arbeitsstätte jedoch...

Jonas: Judith Büro in der Sicherheitsverwaltung!

Sam: Die Höhle des Löwen, Wahna. Dort mutmaßt ihn niemand, den großen weißen Jäger.

Jonas: Gut gedacht, Sammy, aber in Judiths Büro kommt man nur mit Judiths Paßscheibe und Judiths Paßscheibe, Moment mal, Sam, die habe ich! Hier in der Tasche klar. Judith wollte sie eigentlich mitnehmen hat es sich dann aber auf dem Flughafen anders überlegt und sie mir geben. Hab ich fast vergessen.

Sam: Wenn es eurer zerebralen Zähflüssigkeit nur jetzt wieder eingefallen ist. Rate rapiden Rückzug rüstiger Recke! Na, nicht zur Türe. Willst du den Bullen in die Hörner laufen, trüber Torero?

Jonas: Muß wirklich nicht sein Sam, aber wo soll ich hin?

Sam: Nach oben, bis es nicht weitergeht, und dann, horizontal. Ja, über die Dächer von Babylon.

Jonas: Ein sicherer Weg, wenn auch mühsam, vor allem im Dunkeln. Keine Zwischenfälle. Auch nicht in der Zentrale der Sicherheitsverwaltung. Ich benutzte Seitentür und Treppe, nicht Haupteingang und Fahrstuhl, und unterwegs war ich vorsichtig. Nicht zu sehr, Brock und Tolliver waren sicher noch im Wunderland und suchten nach Jonas. (In Judith’s Büro) In das Büro einer Hauptabteilungsleiterin bei der Sicherheitsverwaltung paßt mein’s mehrmals rein. Ganz abgesehen von der Luxusausstattung: Teppichboden, schallisolierte Wände, Badezimmer, Kühlschrank, Hausbar. Hier konnte es ein gejagter Privatdetektiv schon eine Zeitlang aushalten. Ich machte es mir bequem und beschäftigte mich mit der Senkung von Judiths Whiskypegel. (Am nächsten Tag) Am frühen Morgen wachte ich auf, mit den üblichen Magenschmerzen, aber der Kopf war klar, und das war gut so, denn jetzt mußte ich das tun, wozu ich am letzten Abend zu müde gewesen war: nachdenken. Mit Sam natürlich.

Sam: Wenn’s recht ist, wird Sam kurz rekapitulieren.

Jonas: Schieß los, Sammy!

Sam: Also, Unternehmen Belzebub ist eine offizielle Aktion der Kartellpolizei in Zusammenarbeit mit der Kripo. Ziel: mit allen Mitteln, auch illegalen, eine überhandnehmende Konzentration auf dem Hardwaresektor zu beseitigen und die zwei marktbeherrschenden Produzenten durch einen zwischen ihnen ausgelösten Firmenkrieg entscheidend zu schwächen.

Jonas: Hhm, präzise formuliert, Sam.

Sam: Erster Schritt: Kommissar Tolliver von der KaPo wird bei Chips Inc. eingeschleust.

Jonas: Hhm.

Sam: Zweiter Schritt: Tolliver tötet Bigboss von Chips. Dritter Schritt: Mein Meister, von Tolliver beauftragt, den Mord aufzuklären, entdeckt, was er entdecken soll: einen fabrizierten Hinweis, der das Konkurrenzunternehmen McCoy belastet, oh Schmach, oh Schande, oh grauslige Tat.

Jonas: Jetzt übertreibst du aber Sam, bloß weil du ein McCoy-Produkt bist.

Sam: Es steht geschrieben: (priesterlich) Du sollst Vater und Mutter ehren.

Jonas: Vergiß nicht, McCoy hat dich verstoßen und verramscht. Weiter im Text: wenn die Polizei was verlautbart, glaubt ihr kein Mensch, deshalb haben sie mich in die Sache reingezogen, als nützlichen Idioten.

Sam: Sam kann leider nicht widersprechen.

Jonas: Und darum mußten sie vorher Judith auf Dienstreise schicken, damit sie mich nicht warnen konnte. Hhm. Soweit ist der Fall klar, Sammy. Jetzt kommt der unklare Teil: warum hat Tolliver versucht, mir den Mord an Bigboss anzuhängen? Und warum wollte er mich umbringen?

Sam: Es handelt sich hier auf gar keinen Fall um eingeplante Bestandteile der offiziellen Aktion Beelzebub. Ansonsten wäre Chefinspektor Brock informiert gewesen.

Jonas: Der gute Brock. Seit heute Nachmittag habe ich ihn richtig gern.

Sam: Jetzt übertreibst du, Kumpel.

Jonas: Soll sein, Sammy. Also, ein Alleingang von Freund Tolliver. Warum?

Sam: Euer Treuherzigkeit gelten als anständig und sauber und hartnäckig. Über all diese Eigenschaften war Tolliver bestens informiert, durch den Schmiergeld-Fall.

Jonas: Du meinst, er hat Angst, ich krieg was raus über ihn?

Sam: Die einzig mögliche Erklärung seines Verhaltens, oh Leuchte aller Detektive. Tolliver hatte etwas zu verbergen.

Jonas: Was Sammy? Was?

Sam (im Tonfall eines preußischen Generals): Vorschlag zur Jüte, Herr Kamerad: Schlagen wir Haken. Pirschen wir uns von hinten an feindliche Stellung.

Jonas: Das mach mir mal vor, Sammy.

Sam: Mit Vergnügen, Herr Kamerad. Frage: Wenn Kurse von Chips und McCoy fallen, wer profitiert?

Jonas: Vermutlich andere Firmen, kleinere. Sieh doch mal in die Börsenaufstellung von heute, spaßeshalber.

Sam: Schon passiert. Der bisher drittgrößte Hardwareproduzent, HardCore mit Namen, hat einen gewaltigen Kurssprung gemacht, nach oben, um gut 17 Punkte.

Jonas: Sammy, ich hab’ einen Geistesblitz!

Sam: Ist es denn die Möglichkeit, oh du mein spirituelles Donnerwetter?

Jonas: Wir sitzen hier wie die Maden im Speck. Überall kommen wir ran. An all die Bänke, Speicher und Datotheken, auch wenn sie geheim sind und nicht für jeden zugänglich. Wenn wir feststellen könnten, daß jemand vor nicht allzulanger Zeit eine größere Menge Aktien der Firma Hardcore gekauft hat, vielleicht sogar die Majorität.

Sam: Ein Jemand mit dem Namen Tolliver.

Jonas: Und genau das stellten wir fest. Es war nicht leicht und es dauerte seine Zeit. Tolliver hatte seine Spuren gut verwischt. Hätten wir nicht gewußt, was wir suchten, wären wir ihm wohl kaum auf die Schliche gekommen. Jetzt war alles klar.

Sam: Das also war des Hasen Kern.

Jonas: Ja, Sammy. Da liegt der Pudel im Pfeffer. Tolliver hat sein Wissen über Aktion Belzebub ausgenutzt, um sich finanziell Gesund zu stoßen. Hm, wenn das Chefinspektor Brock wüßte.

Sam: Hehe, wollen wir’s ihm sagen, Genosse? Hä?

Jonas: Eine Stunde später rief Chefinspektor Brock bei der Kartellpolizei an.

Brock: Tolliver? Brock hier. Wir haben Jonas geschnappt. Hier. Ja Sie können ihn haben. Gut, alles klar. - Es klappt. Er kommt rüber!

Jonas: Und noch eine Stunde später erschien Kommissar Tolliver von der KaPo bei Chefinspektor Brock von der Kripo. (Tolliver kommt herein)

Tolliver: Wo ist er?

Brock: Jonas? Im Nebenzimmer.

Tolliver: Mein Laser! Sie haben noch meinen Laser!

Brock: Pauly!

Pauly: Chef?

Brock: Geben Sie ihm seinen Laserstrahler!

Pauly: OK, Chef! Hier, Ihr Laser.

Tolliver: Danke. (Tolliver geht ins Nebenzimmer)

Jonas: Tolliver!

Tolliver: Na, wissen Sie noch, Jonas, aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Jonas: Ich weiß noch was, Tolliver. Ich weiß von dem dicken Paket Hardcore-Aktien, das Sie vor drei Tagen gekauft haben, als der Kurs noch ganz niedrig war.

Tolliver: Ach, wirklich? Schade, daß Sie nicht eher drauf gekommen sind, Jonas. Jetzt nutzt es Ihnen gar nichts mehr. Nur Sie und ich wissen von dem Aktienkauf, und Sie, mein Lieber, werden gleich nichts mehr davon wissen, Sie werden überhaupt nichts mehr wissen. (Tolliver versucht Jonas zu erschießen, aber der Laserstrahler funktioniert nicht) Ach was ist denn? Warum geht denn das nicht?

Jonas: Lassen Sie Ihren Laserabzug ruhig wieder los, Tolliver. Brock hat das Ding entladen.

Tolliver: Entladen? Warum? (Brock kommt herein)

Brock: Weil Brock über Sie Bescheid weiß, Tolliver.

Jonas: Und Brock ist nicht der einzige.

Brock: Pauly ist auch informiert, und die Sicherheitsleitung.

Jonas: Und Alca Selzer von Holonews.

Tolliver: Nein! (Tolliver rennt zum Fenster)

Brock: Weg vom Fenster Tolliver! Aus dem Weg Jonas! Weg vom Fenster, oder ich schieße! (Brock erschießt Tolliver) Auf der Flucht erschossen. Die sauberste Lösung. Lassen Sie ihn wegschaffen Pauly!

Pauly: Jawoll, Chef!

Brock: Und Sie verschwinden auch, Jonas. Diesmal haben Sie Glück gehabt. Beim nächsten mal halten Sie sich ganz von Anfang an raus!

Sam: Wieder ganz der Alte, unser Brrock.

Jonas: Ich ging nach Hause. Mein dummes Gefühl war immer noch da. Merkwürdig. Der Fall war doch zu Ende. Ein böses Ende, für einen bösen Fall. Tolliver war tot. Wie Bigboss und wie die Ratte vom Tigrisplatz. Chips und McCoy bekriegten sich. Und Brock war sauer, wie immer. Niemand hatte was von der Sache gehabt.

Sam: Mit Ausnahme meines Herrn und Meisters.

Jonas: Sicher, Sammy, eine verkorkste Nacht und einen dito Tag.

Sam: Und 4000 Euros, welche der selige Tolliver auf dero Wohlhabenheit Konto überwies, zwecks Untermauerung der Sündenbock-Rolle.

Jonas: Freu dich nicht zu früh, Sam. Wenn die Polizei den Fall genauer untersucht, werden wir das Geld ganz schnell wieder los.

Sam: Sofern es noch vorhanden ist, oh geruhsamster aller Durchblicker.

Jonas: Was heißt das?

Sam: Na was schon? Wir setzen es um, in Sachwerte! Speis und Trank, Malt Whiskey, Kaviar.

Jonas: Eier und Schinken! Bohnenkaffee! Brötchen und Butter. Ein Bogie-Hut. Schuhe aus echtem Leder. Und vielleicht sogar eine Chandler Erstausgabe.

Sam: Sam könnte übrigens ein paar neue Mikrochips brauchen.

Jonas: Aber nicht von Hardcore.

Sam: Also dann, junger Mann. Geh'n’ wir Shopping!

Das war Sündenbock. Eine Folge aus der Science-fiction-Krimiserie DER LETZTE DETEKTIV von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Hans Korte, Claudius Zimmermann, Andrea Lukas, Rita Russek, Nino Korda, Frank Petzelt und viele andere (Matthias Gollowsky, Karin Frei). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1986). Redaktion Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:15
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Todestour

Judith: Jonas?

Jonas: Was ist? Zeit zum Aufstehen?

Ruhe. Kein Wort, keine Bewegung. Sie befinden sich im Bereich akuter polizeilicher Notstandsmaßnahmen.

Verhalten Sie sich ruhig, dann passiert Ihnen nichts.

Jonas: Ich verhielt mich ruhig. Das fällt mir nicht schwer, wenn sechs Typen mit Laserstrahlern auf mich zielen. Sechs Typen in schwarzen Kampfanzügen und schwarzen Schutzhelmen. Bei solchen Weckern kann ein sensibler Mensch schon das Flattern kriegen. Zum Glück bin ich nicht sensibel. Und außerdem Kummer gewohnt. Normalerweise weckt mich Sam. Aber ich war sauer. Judith war bei mir. Ausnahmsweise. Und Judith war von meinem Weckdienst gar nicht begeistert. Das sah ich ihr an. Und ich sah noch was. Durch meinen leeren Türrahmen spazierte eine prachtvolle Uniform. Rot und Gold. Lametta und Sterne, wo es sich nur machen ließ. Bei Jonas war heute Tag der offenen Tür.

Melde gehorsamt, Herr Oberst, Befehl ausgeführt. Objekt Jonas wach und gesprächsbereit. Nebst einer weiteren noch nicht identifizierten Person.

Judith: Oberst Frank?

Frank: Frau Delgado? Sehe ich recht? Welch angenehme Überraschung, werte Kollegin.

Judith: Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich ganz meinerseits sage, werter Kollege.

Frank: Aber wie hätte ich denn ahnen können, werte Kollegin. Hauptabteilungsleiterin Judith Delgado von der zentralen Sicherheitsverwaltung und dieser... dieser Jonas. Pikant.

Judith: Sie werden unverschämt, werter Kollege.

Frank: Werte Kollegin, ich bitte Sie. Glauben Sie mir, hätte ich von dieser Ihrer Beziehung gewußt, wäre mein Entraut anders ausgefallen, leiser und nicht so so abrupt.

Jonas: Rührend. Wer ist dieser aufgedonnerte Weihnachtsbaum, Judith?

Frank: Gestatten Sie, Oberst Frank von der Terrorpolizei. Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten. Jonas.

Jonas: Ach ja? Und deshalb schicken Sie mir sechs Radaubrüder in voller Kriegsbemalung auf den Hals?

Frank: Unsere Sondereinheit SSA 9. Direkt. Druckvoll. Durchschlagend. Drahtig.

Jonas: Rauh, aber herzlich. Also vergessen.

Frank: Eventuell ein ganz klein wenig übereifrig die Jungs. Na ja, besser als zu lahm. Zugführer?

Herr Oberst befehlen?

Frank: Aktion beendet. Abrücken.

Befehl, Herr Oberst, zum Abmarsch angetreten. Marsch marsch.

Jonas: Die drahtigen Jungs von SSA 9 rückten ab, so geräuschvoll, wie sie aufgetaucht waren. Wir, Judith und ich, zogen uns was an, Oberst Frank guckte aus dem Fenster und pfiff sich eins, ich war immer noch sauer, und neugierig. Was wollte die Terrorpolizei von Jonas?

Frank: Hab ich doch gesagt, Jonas, mit Ihnen reden.

Jonas: Machen sie's kurz, es zieht, ein paar dämliche Bullen haben mir Tür und Fenster eingeschlagen.

Frank: Ach mein Gott, den kleinen Schaden werden wir Ihnen selbstverständlich ersetzen.

Jonas: Worüber?

Frank: Bitte?

Jonas: Worüber reden wir?

Frank: O ja natürlich, Über die KBF, die sogenannte Kusbekische Befreiungsfront.

Jonas: Nur zu, wenn ich auch nicht wußte, was ich mit diesen Leutchen zutun haben sollte. Terroristen, Bombenleger, kein Umgang für Jonas. Erst vor ein paar Tagen hatten sie in Babylon zugeschlagen im Museum für internationale Kulturgeschichte, der Verwaltungstrakt war in die Luft geflogen. Zwölf Tote, mehrere Verletzte, der übliche Sachschaden, und auch sonst das übliche, keine Spur, keine Festnahme. Die Terrorpolizei hatte offenbar anderes zu tun, zum Beispiel Jonas aus dem Bett zu holen.

Frank: Nach meinen Informationen werden Sie in Kürze Kusbekistan besuchen, Jonas.

Judith: Kusbekistan? Jonas warum weiß ich nichts davon?

Jonas: Weil ich auch nichts weiß, Judith, was soll ich in Kusbekistan.

Frank: Glauben sie mir Jonas, sie werden nach Kusbekistan fahren, und dabei, das ist unser Anliegen, dabei sollen Sie für uns die Augen aufhalten, wir interessieren uns für alles, was die KBF betrifft. Aktivitäten, Hintergrund, Verbindungen mit Europa, Namen, Adresse.

Jonas: Apropos Adresse, Oberst Frank, Sie sind an der falschen. Ich bin kein Polizist, erst recht kein Spion.

Jonas: Ich bin Jonas, nur Jonas, Privatdetektiv, der letzte vom Stamm der Sam Spade und Phil Marlowe, nicht ganz so gut und nur mäßig erfolgreich, die Zeiten haben sich geändert, die Detektive auch. Aber ich gebe mir Mühe. Ich halte die Stange hoch, auch wenn keine Fahne mehr dran ist, vielleicht war nie eine dran. Vielleicht bin ich bloß eine komische Figur. Das macht nichts. Jonas der letzte Detektiv hat seinen Stolz.

Frank: Aber das ist es doch gerade, Jonas, Sie werden von anderer Seite einen Auftrag bekommen, völlig offen, ganz korrekt, Sie werden als Privatdetektiv nach Kusbekistan fahren, dort ihre Arbeit tun und für uns nur nebenbei tätig sein, in ihrer Freizeit sozusagen. Absolut ungefährlich, das versichere ich ihnen, geheimdienstmäßig sind Sie unbekannt, ein Amateur, ein Außenseiter, eine graue Maus, wie wir Fachleute sagen, und Sie werden gut bezahlt, Jonas. Für freie Mitarbeiter ihres Kalliebers haben wir einen Sonderfond aus Spenden der privaten Wirtschaft, aber das muß unter uns bleiben. Also Jonas, was halten sie davon?

Jonas: Gar nichts.

Frank: Sehr richtig, Jonas, sagen Sie jetzt noch nichts, lassen Sie sich mein Angebot durch den Kopf gehen. Sie hören von mir. Werte Kollegin.

Judith: Oberst Frank.

Frank: Hat mich gefreut. Bis bald, Jonas.

Jonas: Kusbekistan eine Reise in den sonnigen Süden so verkehrt wär das gar nicht.

Jonas: Wir hatten November, den 20. November 2010. Das Wetter in Babylon war entsprechend: naß, kalt, windig. In einem Wort mies. Die Klimaregulatoren waren wieder mal ausgefallen wie üblich, und Kusbekistan lag im Orient, da wo die Sonne scheint, wo es Palmen gibt und blaue Lagunen.

Judith: Und giftige Schlangen und Sandstürme, nicht zu vergessen Guerillas, Terror und Bürgerkrieg. Du hast mir was versprochen Jonas.

Jonas: Ja schon.

Judith: Wir hatten vereinbart, daß wir zusammen ans Nordmeer fahren, nach Babelshafen.

Jonas: Da ist es ja noch kälter. Wollen wir nicht lieber nach Kusbekistan?

Judith: Danke. Kusbekistan ist mir zu heiß, in jeder Beziehung.

Jonas: So schlimm wird schon nicht sein. Sam?

Sam: Sie haben geläutet, Sir?

Jonas: Sam ist mein Computer. Er besteht aus zwei Einheiten, aus dem großen Speicher in meinem Büro und aus Sam zwo, dem guten Rat im Miniformat für die Hosentasche. Sam weiß, was ich nicht weiß, das ist seine Aufgabe, seine existentielle Motivation, würde er sagen, so spricht er, so und noch schöner, gelehrt und geläufig, stark überprogrammiert und leicht unterbelichtet, und voll von Informationen, z.B. über Kusbekistan.

Sam: Wisse o Beherrscher der Gläubigen, daß Kusbekistan ein Land ist, welches im Orient gelegen ist und sich zwischen dem Mittelländischen Meere, den Wüsten Arabiens und dem persischen Hoch... Hoch... Hochgebirge erstreckt, ins Licht der Historie trat Kusbekistan...

Jonas: Geschichte und Geographie brauchen wir nicht, nur die aktuelle Situation. Kurz und Knapp.

Sam: Jawoll Chef ist geritzt: souveräner Staat erst seit einem Jahr, vorher Bestandteil der Vereinigten Großislamischen Republik, Lage derzeit unübersichtlich, da Bürgerkrieg mit mind. 9 sich bekämpfenden Parteien.

Judith: Da hörst du's.

Sam: Regierung unterstützt von Europa und Amerika, sodann Christen, Sunniten, Schiiten, Ismaeliten, nationale Marxisten, internationale Marxisten, provisorisch republikanische Mudschaheddin, und Kusbekische Befreiungsfront, letztere religiös wie politisch unabhängig, bildet größte und geschlossenste Gruppierung. Desweiteren...

Judith: Das reicht Sam.

Sam. Ja.

Judith: Und in so einen Hexenkessel willst du deine Nase stecken?

Jonas: Für Oberst Frank und die Terrorpolizei ganz bestimmt nicht, aber wenn ein interessanter Auftrag kommt.

Sam: Es tönt das Fon, da ist er schon, der Auftrag mein ich.

Jonas: Schön wär's. Ja?

Hier spricht das Ministerium für Kultur und Bildungspolitik, Sie werden verbunden mit dem Dezernenten für Museen und kulturellen Austausch, Herrn Staatssekretär Dr. Gödel Escherbach. Bitte sehr.

Jonas: Ja?

Escherbach: Escherbach. Herr Jonas?

Jonas: Höchstpersönlich.

Escherbach: Sie sind Privatdetektiv.

Jonas: Der letzte.

Escherbach: Ach wirklich. Sind Sie zur Zeit frei, Herr Jonas?

Jonas: Ich will's mal so sagen: Ich könnte noch einen Auftrag übernehmen.

Escherbach: Auch wenn Sie dazu verreisen müßten? Ins Ausland.

Jonas: Sagen Sie bloß nach Kusbekistan.

Escherbach: Ja, woher wissen Sie?

Jonas: Mein lieber Watson, ich habe meine Methoden. Worum geht es?

Escherbach: Am Fon möchte ich nicht darüber sprechen. Können Sie zu mir kommen ins Ministerium?

Jonas: Wann?

Escherbach: Jetzt gleich. Wenn es möglich ist.

Jonas: Es war möglich. Auch wenn Judith sich alle Mühe gab, mir die Sache auszureden. Das Ministerium für Kultur und Bildungspolitik war ein schäbiges Gebäude aus der bösen alten Stahlbetonzeit in einer schäbigen kleinen Straße hinter dem van-Dusen-Platz, und innen ging es so weiter, ein schäbiger Pförtner in einem schäbigen Foyer, schäbige Flure und Vorzimmer, und ein schäbiger Raum, in dem Herr Staatssekretär Dr. Gödel Escherbach aus dem Rahmen fiel. Er war nämlich kein bißchen schäbig, im Gegenteil, er war das titelblattreife Produkt internationaler Zusammenarbeit: Anzug aus London, römische Schuhe, After Shave aus Paris, Zähne aus Hongkong, hausgemachte Glatze. Alles in allem teuer und gediegen. Dafür hatte er an der Ausstattung seines Arbeitszimmers gespart, ein Uralt-Computer noch ohne Vokoder und ein noch älterer Diaprojektor, zweidimensional, eine echte Antiquität.

Escherbach: Was meinen Sie, Herr Jonas, wie oft ich schon einen modernen Holoset beantragt habe, aber die Etatsituation auf dem Kultursektor. Sie wissen ja wie das ist.

Jonas: Keine Ahnung. Hausbar haben Sie wohl auch nicht.

Escherbach: Hausbar?

Jonas: Was zu trinken für Ihre Gäste. Whisky zum Beispiel.

Escherbach: Ich verstehe, bedaure sehr, Herr Jonas, ich könnte Ihnen vielleicht ein Täßchen Soja...

Jonas: Vergessen Sie's. 90 Euros pro Tag und Spesen.

Escherbach: Ihr Tarif, Herr Jonas, nicht eben wenig, aber ich denke wir werden es erschwingen können. Immerhin geht es ja um erhebliche Werte.

Jonas: Wenn Sie das sagen, Dr. Escherbach. Und 20 % Auslandszuschlag, falls ich tatsächlich nach Kusbekistan muß.

Escherbach: Ja das wird sich nicht vermeiden lassen, Herr Jonas.

Jonas: Also Whisky gibts nicht, Geld ist klar, was kann ich für sie tun Dr. Escherbach.

Escherbach: Ja eine komplexe Materie, Herr Jonas, wie soll ich anfangen.

Jonas: Mit dem Anfang, Dr. Escherbach, alte Bauerregel.

Escherbach: Ja gewiß. Also vor einem Jahr, am 11. Dezember 2009, das war der Tag, an dem der Staat Kusbekistan gegründet wurde, mit den üblichen Formalitäten, Staatsakt in der Hauptstadt Chamra, große Militärparade, Fahnenweihe, eine Festausstellung im Nationalmuseum, äh können Sie mir folgen Herr Jonas.

Jonas: Es geht grad noch.

Escherbach: Äh ja, Kern und Prunkstück dieser Ausstellung war der sog. Schatz des Königs Dagon, um 1600 v.Ch, unser großer Archäologe Huhmann hat ihn seinerzeit ausgegraben in der Kusbekischen Wüste, ein Ensemble von unschätzbarem Wert, Herr Jonas, historisch, künstlerisch und auch materiell. Statuetten, Waffen, Schmuckstücke, ein weltberühmtes Spektorale in meisterhafter Goldschmiedarbeit.

Jonas: Was immer das sein mag. Ich bin Privatdetektiv, Dr. Escherbach, kein Archäologe, kommen Sie zur Sache.

Escherbach: Der Schatz des Königs Dagon gehört uns, Herr Jonas, Huhmann hat ihn damals nach Babylon gebracht, und seitdem befindet er sich in unserem Museum für internationale Kulturgeschichte.

Jonas: Wo neulich die Bombe hochgegangen ist, von der Kusbekischen Befreiungsfront.

Escherbach: Ja richtig, ich hätte sagen sollen, er befand sich im Museum, jetzt ist er nämlich in Kusbekistan, der Schatz des Königs Dagon, wir haben ihn den Kusbeken geliehen zur Feier der Staatsgründung, schweren Herzens, das kann ich Ihnen versichern, Herr Jonas, aber weil Kusbekistan doch mit uns verbündet war.

Jonas: Und jetzt ist ihr Schatz weg nehme ich an.

Escherbach: Ja so ist es, Herr Jonas, leider. Gleich nach der Staatsgründung brach in Kusbekistan Bürgerkrieg aus, alles ging und geht drunter und drüber, jeder schießt auf jeden, Terror, Chaos, na Sie wissen Bescheid wenn Sie sich für Politik interessieren.

Jonas: In Maßen, Dr. Escherbach.

Escherbach: Der Schatz wurde ausgelagert, mehr wissen wir nicht, seitdem ist er verschollen, und der Minister macht mir das Leben schwer, weil ich damals die Entscheidung getroffen habe, die Stücke auszuleihen.

Jonas: Und Sie geben die heiße Kartoffel weiter.

Escherbach: Ich delegiere, Herr Jonas, an den Fachmann. Auftrag an Sie, kurz und bündig: Finden Sie den Schatz des Königs Dagon und bringen Sie ihn zurück nach Babylon. Wie Sie das machen, das ist Ihre Sache.

Jonas: Wann soll ich fahren?

Escherbach: Sobald wie möglich. Heute noch.

Jonas: Wenn ich einen Platz in der Rakete kriege.

Escherbach: Den kriegen sie, Herr Jonas, machen Sie sich keine Sorgen. Wer fliegt heutzutage schon nach Kusbekistan.

Jonas: Masochisten und Detektive. Warum kommen Sie erst jetzt zu mir, Dr. Escherbach, Ihr Schatz ist doch schon ein Jahr verschwunden und warum so hopp hopp?

Escherbach: Weil sich die Situation in den letzten Tagen zugespitzt hat, wir haben eine Information bekommen, aus bester Quelle, ein Stück aus unserem Schatz ist auf dem schwarzen Kunstmarkt aufgetaucht und von einem amerikanischen Sammler erworben worden. Es handelt sich um... diese Statuette des Königs Dagon aus Elektron, einer Mischung aus Silber und Gold.

Jonas: Sieht aus wie ein antiker Gartenzwerg.

Escherbach: Jonas, bitte, die Sache ist ernst.

Jonas: Aber nicht hoffnungslos.

Escherbach: Ja, am besten zeige ich Ihnen gleich auch die Dia der Stücke, die sich noch in Kusbekistan befinden, das hoffen wir jedenfalls.

Jonas: Ich fiebere vor Spannung, Dr. Escherbach.

Escherbach: Hier sehen Sie das Spektorale des Ichtapriesters Schumschu Ada. Silber mit gefaßten Smaragden. Der goldene Nasenring einer namentlich nicht bekannten Fürstin...

Jonas: Und so weiter. Rund drei Dutzend Klunker, Gold, Silber, Edelsteine. Ich versuchte mir Einzelheiten zu merken, das war schwierig, ein Schmuckstück sah aus wie das andere. Und alle zusammen drehten sich vor meinem Auge im Kreise.

Jonas: Machen wir es doch so, Dr. Escherbach, Sie geben mir Holographien mit oder wenn Sie keine haben, Fotos und ein Verzeichnis.

Escherbach: Ich weiß was besseres. Kusbekisch sprechen Sie wohl nicht.

Jonas: Nein.

Eschebach: Und daß Sie von Archäologie nicht verstehen, das haben Sie mir schon gesagt. Sie brauchen fachkundige Unterstützung. Dr. Khamal wird Sie begleiten.

Jonas: Khamal. Kusbeke?

Escherbach: In Kusbekistan geboren und aufgewachsen, Dr. der Kunstgeschichte und Archäologie, seit knapp zwei Jahren im Stab des Museums für Internationale Kulturgeschichte.

Jonas: Hm, im allgemeinen arbeitet Jonas solo, aber im diesem Fall...

Escherbach: Sie werden die Hände frei haben, Herr Jonas für Ihre Detektivarbeit, alles übrige erledigt Dr. Khamal.

Jonas: Nicht zu vergessen Sam mein Computer. Der versteht sogar was von orientalischer Archäologie, Kusbekisch kann er auch, nicht gerade fließend, aber ausreichend. Und Sam kam natürlich mit nach Kusbekistan, aber das sagte ich Dr. Escherbach nicht. Jonas behält gern eine Karte im Ärmel, für den Notfall. Wenn der Mitspieler plötzlich ein Full House auf den Tisch legt, muß man ihn abfangen, mit 4 Assen, mindestens. Die nächste Rakete nach Chamra ging am Abend, Dr. Khamal sollte mich vor der Eincheckschleuse treffen, war aber noch nicht da. Um so besser. Judith war zum Aerodrom mitgekommen, und Judith hatte mir beim Abschied was zu sagen.

Judith: Fürs kommende Wochenende hab ich uns ein Zimmer in Babelshafen gebucht, Jonas.

Jonas: Bißchen voreilig vielleicht so.

Judith: Meinst du? Dann hör mir mal zu, wenn du nicht mitkommt, weil du einen Fall hast, weil du nicht da bist oder was weiß ich, dann fahr ich allein.

Jonas: Ich werd's schon irgendwie schaffen, Judith.

Judith: In Zukunft fahr ich dann immer allein, jedenfalls nicht mir dir.

Jonas: Warum kommst du denn nicht mit nach Kusbekistan.

Judith: Das weißt du doch, weil ich nicht so ohne weiteres von meinem Schreibtisch wegkann.

Jonas: Nimm dir Kurzurlaub, und komm nach, morgen.

Herr Jonas, Herr Jonas wird gebeten, sich zum Fon am nächsten Infoschalter zu bemühen. Herr Jonas bitte.

Jonas: Ein alter Bekannter wollte mich sprechen. Oberst Frank von der Terrorpolizei, Schrecken des Kusbeken, Wecker und Prophet dazu.

Frank: Ich habe es ja vorausgesagt, Jonas, Sie fahren nach Kusbekistan. Und?

Jonas: Und was?

Frank: Mein Angebot, was halten Sie jetzt davon?

Jonas: Das selbe wie heute früh. Gar nichts.

Frank: Das ist nicht Ihr Ernst, Jonas, denken Sie an den Sonderfond.

Jonas: Ich hab da unten was anders zu tun, und ich bin froh, wenn ich dabei mit der Kusbekischen Befreiungsfront überhaupt nicht in Kontakt komme.

Frank: Kontakt mit der KBF? Aber Mann Gottes, den haben Sie doch schon.

Jonas: Mysteriös. Vielleicht wußte Judith, was ihr werter Kollege meinte. Aber Judith war nicht mehr da, als ich zur Schleuse zurück kam, auf ihrem Platz saß eine Frau, die ich nicht kannte, leider, Ingrid Bergman in Casablanca, nur dunkel, und dieses umwerfende Wesen wartete auf Jonas.

Khamal: Sie sind doch Jonas?

Jonas: Ja. Jonas. Nur Jonas.

Khamal: Warum starren Sie mich so an?

Jonas: Ich seh dir in die Augen, Kleines. Sie heißen Ilse. Sagen Sie, daß Sie Ilse heißen.

Khamal: Nein. Ich bin Dr. Khamal. Duna Khamal.

Jonas: Sie sind Dr. Khamal. Eine Frau?

Khamal: Haben Sie etwas gegen Frauen, Jonas?

Jonas: Aber nein, meine beste Freundin ist eine. Apropos wo steckt sie, eben war sie noch hier.

Khamal: Die attraktive Dame, die hier gesessen und auf Sie gewartet hat?

Jonas: Ja.

Khamal: Ich habe mich ihr vorgestellt, da ist sie gegangen. Ich weiß nicht warum.

Jonas: Aber ich.

Sam: Häh, wie allgemein bekannt, zeigt die Dame Judith einen fatalen Hang zu jeder veralteten Passion welche man Eieieiefersucht zu nennen pflegt.

Jonas: Mein Computer, ein komplesiver Quatschkopf. Sam?

Sam: Meister?

Jonas: Wie oft hab ich dir schon gesagt, Judith geht dich nichts an, halt dich zurück.

Sam: Genau 417 mal, o grantig grollender Grimmbart.

Jonas: Dann paß mal auf, Sam, wenn du nur einmal, nur noch einmal...

Wir bitten alle Passagiere des Fluges QA 842 nach Sydney über Chamra und Singapur, sich zur Abfertigung zu bemühen. Ihr Zubringer ist startbereit.

Jonas: Nur 3 Figuren stiegen ins Chamra aus. Dr. Khamal, ich, und ein bulliger Schnauzbart, der zwei Reihen hinter uns gesessen hatte. Bei einem so mickrigen Besuch hatten sie sich keine Mühe gegeben, ihr Aerodrom herzurichten. Überall auf dem Feld Bombentrichter, in denen sich Abfall ansammelte. Und drinnen an den Wänden makabere Muster aus Einschüssen und rostroten Flecken.

Zollbeamtin: Pasport. Grund Ihres Aufenthalts in Kusbekistan?

Jonas: Bildung. Kultur. Ich bin auf der Suche. Auf der Suche nach ihren weltbekannten Altertümern, und das ist nicht gelogen, Schwester.

Zollbeamtin: Aha. Tourist. Ihre politische Überzeugung?

Jonas: Keine zur Zeit. Sie stellen ja merkwürdige Fragen.

Zollbeamtin: Sind Sie für unsere rechtmäßige kusbekische Regierung oder sympathisieren Sie mit Rebellen, Banditen und Aufrührern? Auf welcher Seite stehen Sie?

Jonas: Auf der richtigen. Immer auf der richtigen.

Zollbeamtin: So. Ein Rat, Herr Jonas, bleiben Sie in Chamra, außerhalb unserer Hauptstadt können wir für Ihre Sicherheit nicht garantieren.

Jonas: Und warum? Weil da die Rebellen und Banditen das Sagen hatten bzw. die Freiheitskämpfer, wie Duna Khamal sie nannte. Die Regierung beherrschte nur Chamra und die nähere Umgebung. Und Chamra, das war eine chaotische Ansammlung brüchiger Wolkenkratzer aus der verflossenen Erdölzeit, ein Gebirge abgewrackter Automobile und Kühlschränke, ein allgegenwärtiger heißer Wind, der gelbe Staubwolken und uralte Computerprintouts vor sich her trieb, ein endloser Slum aus Lehmruinen und verrosteten Ölfässern, und ein Hotel, das bessere Tage gesehen hatte. Wir nahmen uns ein Zimmer, Korrektur zwei Zimmer. Duna legte wert darauf, allein einzuschlafen, ihr gutes Recht und mein Schaden. Am nächsten Morgen besuchten wir Professor Malek. Das hatte mir Escherbach geraten. Malek war der Leiter des Kusbekischen Nationalmuseums, offiziell, in Wahrheit hatte er nichts mehr zu leiten, das Museum war dicht, das schien Malek allerdings wenig zu stören, er hatte so vieles andere, ein wunderschönes großes Haus im Prominentenghetto, einen Swimmingpool, einen Leibwächter, der unauffällig im Hintergrund aufging, außerdem hatte er einen guten Whisky und keine Ahnung.

Malek: So gern ich Ihnen gefällig wäre, Dr. Khamal, Herr Jonas, und natürlich vor allem mein guten Freund Dr. Escherbach, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Anfang des Jahres mußte mein Museum schließen, die wertvolleren Ausstellungsstücke wurden aus der Stadt gebracht, ausgelagert, auch der Schatz des Dagon.

Jonas: Wohin Professor?

Malek: Wenn ich das wüßte, meine Liebe.

Jonas: Haben Sie denn keine Unterlagen. Verwaltungsnotizen, Frachtbriefe?

Malek: Wir sind keine Wilden, Herr Jonas, zweifellos hat es derartige Dokumente gegeben, doch wo sie sich zur Zeit befinden, falls sie überhaupt noch existieren.

Jonas: Also verschwunden.

Malek: So ist es, Herr Jonas.

Jonas: Die Dokument und der Schatz des Königs Dagon.

Malek: Ich bitte Sie Herr Jonas. Versuchen Sie sich die Situation vorzustellen: Straßenkämpfe, Panzer und Geschütze, Raketen, Laserstrahler, Maschinengewehre, unbeschreiblicher Lärm, Qualm, Rauch, Feuer, wer denkt dabei an Formalitäten. Ich war froh, daß die Kunstwerke, daß die Kunstwerke, für die ich Verantwortung trug, aus der Kampfzone geschafft werden konnten, aus der Stadt hinaus aufs Land. Wohin genau, das war nicht wichtig. Und unter uns, Herr Jonas, das spielt auch heute keine Rolle. Denn gesetzt, Sie wüßten den Ort, Herr Jonas, so könnten Sie ihn doch nicht aufsuchen, falls Sie nicht der Befreiungsfront oder ähnlichen Mörderbanden in die Hände fallen wollen.

Jonas: Oh, das bleibt abzuwarten, Professor. Vielleicht sollte ich mich mal im Museum nach Hinweisen umsehen.

Malek: Sinnlos, Herr Jonas, völlig sinnlos, ein leeres Gebäude, weiter nichts. Ich gebe Ihren einen guten Rat: Gehen Sie zurück in Ihr Hotel, Herr Jonas, machen Sie sich ein paar schöne Tage. Dr. Khamal wird Ihnen gern die Sehenswürdigkeiten unserer interessanten Stadt zeigen, und wenn ich etwas für Sie tun kann, finanziell oder auf andere Weise, zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden. Ich habe gewisse Verbindungen, ich werde mich umhören, und sobald ich über den Schatz des Dagon etwas erfahre, werde ich es Sie wissen lassen.

Jonas: Und wenn nicht, Professor.

Malek: Dann kehren Sie zurück nach Babylon, Herr Jonas, mit gutem Gewissen. Sie haben das menschenmögliche getan. Inschala, wie wir hier sagen.

Jonas: Jonas sagt nicht Inschala, Jonas gibt nicht so leicht auf, und Jonas denkt sich seinen Teil. Am Nachmittag ließ ich mich von Duna durch Chamra führen, ein gemischtes Vergnügen, Chamra war häßlich, Duna war schön, wie immer, aber nicht ganz bei der Sache.

Khamal: Und dies ist der Platz des glorreichen 11. Dezember, sogenannt nach dem Datum der feierlichen Gründung unseres großen Staates, die rechte Seite...

Jonas: Ist genauso langweilig wie die linke. Bringen Sie mich zum Nationalmuseum, Duna.

Khamal: Obwohl Professor Malek Ihnen abgeraten hat.

Jonas: Das ist nun mal mein innervierende Art.

Khamal: Wie Sie meinen, Jonas.

Jonas: Sehr begeistert scheinen Sie nicht zu sein und auch nicht gerade hilfreich. Weder Sie noch Professor Malek.

Khamal: Wollen Sie den Grund wissen, Jonas.

Jonas: Ich bitte darum.

Khamal: Wir sind Kusbeken, der Schatz des Dagon gehört uns, vor mehr als einem Jahrhundert hat man ihn uns gestohlen, und jetzt sind Sie gekommen, um ihn uns zum zweiten Mal wegzunehmen.

Jonas: Ganz unrecht haben Sie nicht, Duna. Drehen sie nicht um.

Khamal: Was ist.

Jonas: Wir werden verfolgt, Maleks Leibwächter und hinter ihm...

Khamal: Der Schnauzbart aus unserer Rakete. Ich habe ihn vorhin schon gesehen. Kommen Sie, Jonas, wir wollen versuchen, beide abzuhängen, Hier, rechts in die Passage. Und dann durch den Sug.

Jonas: Wir rannten, wir schlugen Haken, wir liefen Treppen rauf und runter, wir schoben uns durch enge Basargassen, eine halbe Stunde lang, dann standen wir vor der gewaltigen Ruine, die das Kusbekische Nationalmuseum gewesen war, sie sah aus wie das Aerodrom, nur schlimmer, die Fenster waren mit Brettern vernagelt, die Türen auch, bis auf eine, eine kleine an der Seite unter einer Freitreppe, vermutlich der alte Lieferanteneingang.

Khamal: Nicht abgeschlossen.

Jonas: Dann treten wir doch näher. Vorsicht, Schutt.

Museum geschlossen.

Jonas: Das Phantom des Museums. Hallo?

Hallo, Aschmad mechduklek.

Khamal: Er fragt, was wir wollen.

Museum geschlossen. Morgen offen.

Jonas: Glaub ich kaum, alter Freund.

Museum geschlossen, morgen offen. Hanschi ödilek, Kaputt.

Khamal: Er versteht Sie nicht, Jonas, er spricht nur ein paar Worte in Ihre Sprache.

Jonas: Museum geschlossen.

Ek ek morgen offen.

Jonas: Das Phantom war ein kleiner krummer Mann in grüner Uniform, offensichtlich ein Museumswärter, der hier die Stellung gehalten hatte, als alles in Scherben fiel. Wenn einer wußte, wo der Schatz des Dagon abgeblieben war, dann er. Und er wußte wohl wirklich was. Jedenfalls antwortete er begeistert und ausführlich, als Duna ihn fragte.

Ek esienah...

Khamal: Da ist er an der Tür, Maleks Leibwächter.

Jonas: In Deckung Duna. Noch einer, hier muß ein Nest sein.

Khamal: Der Schnauzbart aus der Rakete. Gehen Sie aus dem Weg Jonas.

Jonas: Wie die 10 kleinen Negerlein. Maleks Gorilla laserte den Museumswärter, der Schnauzbart laserte den Gorilla, Duna Khamal laserte den Schnauzbart. Ergebnis der Blitzaktion: drei Tote, Brandgeruch in der Luft und ein völlig verwirrter Jonas.

Jonas: Duna was machen Sie denn, der Schnauzbart hat uns doch nichts getan.

Khamal: Ein Agent Ihrer Terrorpolizei, er war schon in Babylon hinter mir her.

Jonas: Und deshalb bringen Sie ihn um. Woher haben Sie überhaupt den Laser. Und Maleks Leibwächter, was hat der mit der Sache zu tun.

Khamal: Nichts was Sie anginge, Jonas. Das ist Politik, kusbekische Politik. Halten Sie sich raus, kümmern Sie sich nur um Ihren Auftrag.

Jonas: Was hat er gesagt?

Khamal: Der Wärter? Genug, wir wissen jetzt, wo der Schatz des Königs Dagon ist, im Südwesten, am Rande der Wüste, in Taltapik, das ist eine aufgegebene Grabung des europäisch-orientalischen Instituts, vor zwei Jahren hab ich selbst da gearbeitet.

Jonas: Dann kennen Sie sich also aus. OK, fahren wir gleich los.

Khamal: Morgen, Jonas, es sind gut 5 Autostunden bis Delkabit, heute schaffen wir das nicht mehr, es wird bald dunkel.

Jonas: Die Kusbeken wringen immer noch ein paar Tropfen Erdöl aus dem Sand, und die behalten sie für sich, deshalb fahren in Kusbekistan noch Benzinautos wie im 20. Jahrhundert. Duna zog abends los, um eins zu mieten. Für unseren Ausflug nach Telkarbit am nächsten Morgen. Ich hatte Zeit, mir dies und das durch den Kopf gehen zu lassen, zusammen mit Sam, den hatte ich im Lauf der Tages bei mir gehabt, eingeschaltet, und Sam brachte ein neues undurchsichtiges Element in die Debatte. Als ob der Fall nicht schon undurchsichtig genug war.

Sam: Belogen hat sie meinen Herrn, die liebliche Lady mit dem lockeren Laser. Beschwindelt. Getäuscht, hinters Licht geführt, verarscht, ausgetrickst, verladen, angeschmiert mit Löschpapier, und er, er sah ihr ins Auge und glaubete ihr, der dumme Tor, die trübe Tasse.

Jonas: Lenk nicht ab Sam. Was hat er denn nun wirklich gesagt der Museumswärter.

Sam: Sam übersetzt wortgetreu: „Ja, gnädige Frau, ja doch, ich weiß, wo er ist, der Schatz des Königs Dagon. In Ischtara ist er, unter dem großen Tempel, an der rechten Wand der unterirdischen Kammer, in einer eisenbeschlagenen Kiste ahh!“

Jonas: Ahh?

Sam: Unübersetzbar, euer Durchleucht, die Reaktion unseres Gewährsmann auf den ihn treffenden Laserstrahl, und beiläufig erwähnt, seine letzte Lebensäußerung.

Jonas: Ischtara, wo liegt das?

Sam: Im Nordwesten von Chamra, Herr Chefkartograph, mit dem Automobil in etwa 3 Stunden zu erreichen, es handelt sich, auch wenn mein Meister das nicht zu wissen scheint, um eine weithin berühmte Ruinenstätte, eine in den Felsen gehauene Tempelanlage der alten Napatäer im Talkessel des Wadi Achmok, 8. Jahrhundert v. Ch.

Jonas: Die Volkshochschule kannst du dir sparen. Warum hat Duna falsch übersetzt.

Sam: Vorschlag zur Güte, Herr Kamerad, Frage vertagen, first things first, wie ein anonymer Denker so richtig gesagt hat.

Jonas: Wenn man Bescheid weiß, kriegt man in Charma alles. Sam wußte Bescheid. Ich besorgte einen Laserstrahler und ein Auto. Am frühen Morgen fuhr ich los, noch vor Sonnenaufgang, vorher hatte ich in Dunas Zimmer nachgesehen, sie war nicht da, das hatte ich auch nicht erwartet. Unterwegs begegnete mir eine Beduinenkarawane, erst eine Staubwolke am Horizont, und dann zogen sie an meinem alten Citroen vorbei, Cadillacs, Chevrolets, Landrovers, sogar ein Mercedes, ein romantisches Bild, Kusbekistan war Jahrzehnte zurück. Eine nostalgische Enklave, insofern hatte ich gar nichts gegen meine Tour, schließlich bin ich Nostalgiker. Aber ich war gewarnt. Ich hatte meine Erfahrungen. Costaguana, das Niemandsland, zuviel Nostalgie ist ungesund. Manchmal sogar tödlich.

Sam: Achtung, Wadi Ahmack direkt voraus.

Jonas: Und wo ist nun dieses Ischtara.

Sam: Na wo schon, unten im Wadi. Laß die Karre stehen, steig aus.

Jonas: Muß ich klettern.

Sam: Wirst nicht drumrumkommen, o du Ass alle Alpinisten. Und vorher wird marschiert. Per peses apostolorum. Ein Lied zwo drei vier. Mein Vater war ein Wandersmann...

Jonas: Erst ein paar hundert Meter horizontal, dann eine kürzere Strecke vertikal, nach unten über eine Art Ziegenpfad, falls es hier noch Ziegen gab gesehen hatte ich keine, ich hangelte mich um eine Felsenecke, und war da, auf der Talsohle. Drüben an der Felswand: Trümmer und Säulen.

Sam: Ischtara.

Jonas: Ganz schön kaputt. Sam, da steht ein Auto, links neben dem Säulenkomplex.

Sam: Der große Tempel, von welchem der Wärter uns kündete.

Jonas: Duna, und vermutlich nicht allein. Ob sie wohl einen Wächter aufgestellt haben? Ah!

Jonas: Sie hatten, aber das merkte ich erst, als es zu spät war. Als ich von hinten was über den Schädel kriegte und mich ins Geröll legte um ein bißchen zu träumen. Von Helden Lobbebären, von großer Arbeit, von König Dagon und seinem Schatz, von Dr. Escherbach, von Oberst Frank und seiner SSA 9, von Professor Malek nebst Leibwächter, von Judith und Duna Khamal, vor allem Duna Khamal, Ich sah sie ganz deutlich. Sie hockte am Boden, in der linken Hand hatte sie ihren Laserstrahler, mit der rechten wühlte sie in einer Kiste mit Eisenbeschlägen. Ich lag in einer Felsenkammer, an den Wänden Malereien in verblaßten Farben. Löwen mit Flügeln, Stiere, seltsam angezogene Menschen, dazwischen Krakelein, Keilschrift oder Hieroglyphen, vor den Wänden drei unfreundlich wirkende Gestalten mit alten Maschinenpistolen und Taschenlampen, und Duna, und die Kiste, und in der Kiste der Schatz des Königs Dagon.

Khamal: Sie irren sich, Jonas, das ist nicht der Schatz.

Jonas: Erzählen Sie mir keine Märchen Duna, ich kenne die Stücke, Dr. Escherbach hat sie mir im Dia gezeigt, den Nasenring, die Jadekette, das Spektoral oder wie das heißt.

Khamal: Kopien, Jonas, Fälschungen.

Jonas: Sie machen mir doch schon wieder was vor, Duna. Damit Sie sich die Klunker ungestört unter den Nagel reißen können.

Khamal: Sie überschätzen sich Jonas, wenn ich mir den Schatz wie Sie sagen unter den Nagel reißen wollte, könnten Sie mich nicht daran hindern, ein kurzer Druck auf den Abzug, oder ein Wort zu Amir, zu Resa, oder Muratschi und sie wären tot, Jonas.

Jonas: Da ist was dran. Moment mal, der Gartenzwerg hier.

Khamal: Porträtstatuette des Dagon.

Jonas: Der dürfte gar nicht hier sein, nach Dr. Escherbach ist er bei einem Sammler in Amerika.

Khamal: Passen Sie auf, Jonas.

Jonas: Vorsicht, das war knapp!

Khamal: Keine Angst, ich kann mit einem Laser umgehen.

Jonas: Hab ich gemerkt.

Khamal: Heben Sie die Figur auf, Jonas. Sehen Sie sich den Einschnitt des Laserstrahls an, außen ein dünner Überzug vom Gold und Silber, und innen...

Jonas: Blei oder so was ähnliches.

Khamal: Bitte. Eine Fälschung, geschickt gemacht, für Laien kaum zu erkennen, aber doch eine Fälschung, und die anderen Stücke in der Kiste auch. Alles Fälschungen.

Jonas: Wer steckt dahinter. Malek?

Khamal: Unwahrscheinlich. Die Fälschungen können nicht aus Kusbekistan stammen, sie sind so, so gut, zu penibel. Für solche Arbeiten haben wir keine ausgebildeten Handwerker und auch keine technischen Einrichtungen.

Jonas: Wie z.B. die Werkstätten im babylonischen Museum für internationale Kulturgeschichte. Die sie neulich in die Luft gesprengt haben, Duna.

Khamal: Ich?

Jonas: Geben Sie es doch zu. Sie gehören zur Kusbekischen Befreiungsfront.

Khamal: Ja, ich bin ein Mitglied der KBF und ich bin stolz darauf. Wir kämpfen für die Freiheit des kusbekischen Volkes und für die Unabhängigkeit unseres Staates von den Großmächten in Ost und West.

Jonas: Hört sich gut an was Sie sagen, viel besser als das was sie tun. Wenn Sie für Freiheit in Kusbekistan sind, warum legen Sie dann Bomben im Babylon, noch dazu im Museum.

Khamal: Da war nicht die KBF.

Jonas: Sie lügen ja schon wieder.

Khamal: Jonas, ich schwör, die Bombe im Museum geht nicht auf unsere Rechnung.

Jonas: Aber man hat doch einen Bekennerbrief gefunden, das hab ich in den Nachrichten gehört.

Khamal: Eine Fälschung wie dieser Schatz des Königs Dagon.

Jonas: Aber ja doch. Duna ich habe eine Idee. Wenn Professor Malek mit dem falschen Schatz nichts zu tun hat.

Khamal: Das habe ich nicht gesagt. Malek muß die Stücke hier als Fälschungen erkannt haben, ein Experte sieht das auf den ersten Blick, und Malek ist Experte, wie ich oder wie Dr. Escherbach.

Jonas: Trotzdem hat er den falschen Schatz in seinem Museum ausgestellt. Warum? Warum ist er nicht aufgestanden und hat gesagt: Man hat uns Blüten angedreht.

Khamal: Wir werden ihn fragen. Armin.

Erdinea.

Khamal: Hamadin echdak. Wir fahren zurück nach Chamra. Sie kommen mit Jonas.

Jonas: Was Duna und ihre Freunde mit Malek in seinem schönen Haus machten, würde ich unbedingt als fragen bezeichnen, aber ich hatte ja nichts zu sagen, ich war nur geduldet, ein Außenseiter, und das muß ich zugeben, Dunas Methode war wirksam. Nach kurzer Zeit erzählte uns Malek alles, was wir wissen wollten.

Malek: Es war Escherbach, Dr. Gödel Escherbach in Babylon, er hat sich Sorgen ge-macht um seinen Schatz des Dagon, daß er ihn nicht mehr zurückkriegt, daß wir ihn in Kusbekistan behalten als unser nationales Erbe, darum hat er Kopien herstellen lassen, in seinem Museum, und die hat er nach Kusbekistan geschickt, den echten Schatz hat er behalten, niemand weiß das, nur er und die Handwerker im Museum und ich, natürlich, ich bin Fachmann, praktisch der einzige Fachmann in Kusbekistan, ich hätte den Austausch sofort bemerkt, deshalb hat Escherbach mich informiert, von Museumsleiter zu Museumsleiter, ich hatte Verständnis für seine Lage und blieb still.

Khamal: Verräter. Weiter.

Malek: Dann kam der Bürgerkrieg. Der falsche Schatz wurde ausgelagert, und da hatte Escherbach einen Einfall, er lebt sehr aufwendig, braucht immer Geld, wer nicht, ich auch, der Schatz des Dagon war offiziell verschollen. Escherbach wollte abwarten, ein halbes Jahr, ein Jahr, bis der Staub sich gelegt hatte, und dann wollte er anfangen, die echten Stücke zu verkaufen, in Amerika, auf dem schwarzen Kunstmarkt, eins nach dem andern, vorher mußte er natürlich die Mitwisser ausschalten.

Jonas: Die Bombe im Museum.

Malek: Nein, davon weiß ich nichts.

Khamal: Aber wir wissen, wir wissen, wer dahinter steckt, und wer versucht hat, die Sache uns in die Schuhe zu schieben. Weiter Malek, was geschah mit Ihnen, sie waren doch auch Mitwisser.

Malek: Wir haben uns geeinigt, Escherbach und ich, ich habe mitgemacht, bei Gelegenheit sollte ich die Kopien endgültig verschwinden lassen und alle Nachforschungen blockieren.

Jonas: Das heißt Jonas abwimmeln oder umbringen lassen, wenn's nichts anders ging.

Malek: Escherbach mußte was unternehmen, der Minister hat darauf bestanden, deshalb hat er sie angeheuert, Jonas, und mich angerufen, für alle Fälle, daß sie den Schatz finden, ich meine die Kopien, damit hat Escherbach ohnehin nicht gerechnet.

Jonas: Wie sich der Mensch doch irren kann.

Khamal: Was hat Escherbach Ihnen versprochen, Malek?

Malek: Och, 30 Prozent, ich wollte eigentlich die Hälfte, aber und bekommen hab ich noch gar nichts, nicht einen Dinar.

Khamal: Wir sind großzügiger, Malek, wir geben Ihnen gern, was Ihnen zusteht. Amin. Mado li tapok.

Jonas: Kurz darauf schwamm Professor Malek in seinem Swimmingpool, den Kopf nach unten und tot. Damit war der Fall allerdings noch nicht zu Ende. OK, zum größten Teil war er gelöst und abgeschlossen, aber es blieb doch noch die eine oder andere Unklarheit.

Khamal: Zum Beispiel?

Jonas: Zum Beispiel Ihre Rolle Duna. Escherbach hat darauf bestanden, daß Sie mich begleiten, warum, das war doch widersinnig. Sie sind Archäologin. Sie hätten die Fälschungen sofort als Fälschungen erkannt, das mußte ihm klar sein.

Khamal: Und noch was, die Terrorpolizei war mir schon in Babylon auf der Spur, sie wußte, daß ich zur KBF gehöre, trotzdem hat sie mich nach Kusbekistan ausreisen lassen, warum?

Jonas: Und was wollte Oberst Frank?

Sam: Gestatten die erhabenem menschlichen Herrschaften, daß ein armseliger kleiner Computer sich in die Diskussion hineinmenge.

Jonas: Seit wann fragst du Sammy.

Sam: Aber Sir, man hat doch Kinderstube.

Jonas: Ganz was neues. OK Sammy, menge dich hinein.

Sam: Ergebensten Dank. Ich menge mich Herr Vorsitzender. Sam hat sich erlaubt, nach einer Verbindung zwischen Herr Staatsekretär Dr. Gödel Escherbach und Herrn Oberst Frank von der Terrorpolizei zu forschen, und siehe da, wie schnell wart er doch fündig.

Jonas: Was hast du entdeckt, Sam, und wo?

Sam: Im Katasteramt von Babylon, Herr Liegenschaftsinspizient. Beide Herren sind Nachbarn, sie bewohnen zwei nebeneinanderliegende Reihenhäuslein, ergehen sich im gemeinsamen Gärtlein, 30 Quadratmeter englischer Rasen aus wetterbeständigem Plastik und wie aus zahlreichen Hinweisen hervorgeht, sind sie überhaupt recht gute Freunde.

Jonas: Bitte, das ist die Erklärung. Von Frank hat Escherbach erfahren, daß seine Mitarbeiterin Dr. Khamal zur KBF gehört, und deshalb hat er sie mir mitgegeben, natürlich nicht, damit wir zusammen den Schatz finden, im Gegenteil, er wußte, falls Gefahr bestand, daß ich dem Schatz, dem falschen Schatz zu nahe kam, würde Duna mich umbringen, weil ich in ihren patriotischen Augen ein Räuber war, ein Feind des kusbekischen Volkes, der nationale Kunstschätze nach Babylon verschleppen wollte. Das haben Sie doch gedacht, Duna oder?

Khamal: Selbstverständlich. Bis heute nachmittag.

Jonas: Da sah auf einmal alles anders aus, und Sie brauchten Jonas nicht mehr umzubringen.

Khamal: Gern hätte ich es nicht es nicht getan. Jonas. Glauben sie mir.

Jonas: Ich bin gerührt. Sie waren ja sowieso nur die Rückversicherung, die Notbremse. Falls Malek nicht spurte.

Sam: Sagen wir es doch anders, charmant, reizvoll, mythologisch verspielt. Frau Dr. Khamal erfüllte die hochinteressante Funktion einer trojanischen Stute.

Khamal: Äußerst charmant.

Sam: Sam meinte doch bloß...

Jonas: Hör auf zu meinen, Sam, sei still.

Sam: Typisch, kein Dank, keine Anerkennung, nicht einmal ein freundliches Wort. Wofür schindet man sich ab bis aufs Blut, woher kriecht man in die schmutzigsten Datenbänke, wofür kratzt man die abseitigsten Informationen zusammen, wofür wofür o Mensch wofür.

Jonas: Ruhe.

Sam: Ja.

Jonas: Nächste Frage.

Khamal: Oberst Frank und die Terrorpolizei, warum haben sie das Spiel des Dr. Escherbach unterstützt und mich aus dem Land gelassen?

Jonas: Ganz einfach: Durch Sie wollte Frank an die KBF rankommen, an ihre interne Organisation, ihre Basis in Kusbekistan, Frank hatte Sie an der langen Leine, Duna, zuerst war Jonas als Ihr Aufpasser vorgesehen.

Khamal: Ach ja.

Jonas: Aber Jonas hat sich geweigert.

Khamal: Gut für Jonas.

Jonas: Und schlecht für den Schnauzbart, der für Jonas nachgerückt ist. Das war's Duna, alles klar?

Khamal: Bis auf eins. Malek hat seinen Anteil, 30 Prozent. 70 Prozent sind noch offen.

Jonas: Dr. Escherbach, was geschieht mit ihm?

Khamal: Überlassen Sie das uns, Jonas. Wir werden ihn auszahlen. Wenn Sie wieder in Babylon sind.

Jonas: Sie lassen mich zurück?

Khamal: Warum denn nicht. Es sei denn, Sie wollen bei uns bleiben und uns helfen in unserem gerechten Kampf für das kusbekische Volk.

Jonas: Wissen Sie, Duna, gegen Sie hab ich nichts und auch nichts gegen das kusbekische Volk, für Freiheit und Unabhängigkeit bin ich auch, Unabhängigkeit für Jonas, darum hält Jonas sich raus und fliegt zurück nach Babylon.

Khamal: Wenn Sie also zurück sind, Jonas, rufen Sie Dr. Escherbach an, sagen wir morgen nachmittag 5 Minuten vor 4.

Jonas: Warum?

Khamal: Das werden Sie merken. Wann fliegen Sie?

Jonas: Ich dachte heute abend.

Khamal: Warum nicht morgen früh? Wir beide haben uns ja noch gar nicht richtig kennengelernt.

Jonas: Das Wetter in Babylon war immer noch mies, ich schlief ein paar Stunden, und dann rief ich Dr. Escherbach an, 5 vor 4. Wie mit Duna verabredet. Jonas ist wieder da, sagte ich ihm.

Escherbach: So. Wie war’s in Kusbekistan? Warm und sonnig?

Jonas: Eher trocken und heiß. Und tödlich.

Escherbach: Ach. Für Sie doch wohl nicht, Jonas.

Jonas: Aber für Ihren Freund Prof. Malek. Unter anderem.

Escherbach: Und der Schatz des Königs Dagon?

Jonas: Das wissen Sie doch.

Escherbach: Was soll das heißen.

Jonas: Der Schatz ist hier, der echte Schatz in Babylon, bei Ihnen, Dr. Escherbach, soweit Sie ihn nicht schon verhökert haben. Hallo? Dr. Escherbach? Ruhe in Frieden.

Sam: Exit Dr. Escherbach, oder auch: Abtritt.

Jonas: Das treffende Wort.

Sam: Sam kennt noch eins, Erhabenheit. Den Wahlspruch des großen Schugun und Einiger Japan, Iljasu Tokugawa.

Jonas: Und was sagt dieser Dingsbums.

Sam: Er sagt: Alle Menschen sind Gaunel und molgen wild es legnen. Korrektur. Alle Menschen sind Gauner, und morgen wird es regnen.

Jonas: Heute regnet's auch, Sammy.

Sam: Ja.

Jonas: Die Klimaregulatoren sind immer noch kaputt.

Judith: Hier spricht die automatische Fonbeantwortung Judith Delgado. Sie hören eine Aufzeichnung. Ich befinde mich seit dem 21. November auf Urlaub in Babelshafen. Am 3. Oktober werde ich wieder in Babylon sein. In dringenden Fällen wenden sie sich an mein Büro in der zentralen Sicherheitsverwaltung. Danke für Ihren Anruf. Hier spricht...

Jonas: Hätte ich doch besser in Kusbekistan bleiben sollen, bei Duna.

Sam: Inschalla. Gesundheit.

Das war Todestour, eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam: Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Evelyn Opela, Alexander Kerst, Peter Lühr, Bernd Stephan, Charly Huber, Jürgen Rehmann und viele andere (Julia Fischer). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1986). Redaktion: Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:15
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Spielwiese

Jonas: Hallo ... Ja, am Apparat ... Tot? ja... Viertelstunde. Danke. Miles Archer, mein Partner. Ermordet. Wenn der Partner eines Mannes umgebracht wird, erwartet man, daß er was unternimmt. Aber das war schwierig. Ich hatte so viel zu tun. So viele Leute wollten was von mir. Mister Joel Cairo, zum Beispiel.

Ich versuche, ein Schmuckstück wiederzubeschaffen, das - sagen wir - verlegt wurde. Ich dachte und hoffte, Sie könnten mir helfen. Es ist eine Statuette, eine schwarze Figur eines Vogels, Mister Spade.

Jonas: Mister Spade war ich. Samuel Spade. Ein blonder v-förmiger Satan oder so ähnlich, auf der Suche nach dem Malteser Falken. Birgit war übrigens auch da.

Kann ich dich mit meinem Körper kaufen, Sam?

Jonas: Ich denk darüber nach.

Oh, ich bin so müde. Ich wünschte, ich...

Jonas: Sie küßte mich. Sehr schön soweit. Und trotzdem, irgendwas stimmte nicht, ich kannte die Geschichte, es war eine gute Geschichte, aber es war nicht meine. Ich wollte raus. Ich wollte nicht mehr Sam Spade sein. Ich wollte zurück zu mir selbst, aber der fette Mann hatte andere Pläne.

Tinnef: Whisky Soda, Mister Spade. Trinken wir. Trinken wir auf einen fairen Handel und auf Gewinne, die groß genug sind für uns beide. Kommen Sie, Mister Spade, trinken Sie. Nun trinken Sie schon.

Sam: Trink nicht, o Herr und laß vorübergehen den Kelch, nicht Whisky enthält er, nein, es ist Gift, das schnöde Bosheit dir bereitet, trink nicht und abermals trink nicht.

Jonas: Jetzt hatte auch der Malteser Falke was zu melden, sogar in Versen, und während er mich bekniete, den Whisky nicht zu trinken, wußte ich plötzlich, daß der Falke kein Falke war, er war Sam, mein Computer, und ich war auch nicht Samuel Spade, aber wer war ich dann, und wo war ich? Der Salon von 1930 löste sich auf, verschwand, verwandelte sich in ein schäbiges Hinterzimmer anno 2011. Nur der fette Mann wollte nicht verschwinden. Ich trat ihm in den Bauch. Er klappte zusammen. Ich schob ihn zur Seite und riß die Tür auf. Ich mußte hier raus. Ich lief durch Gestrüpp, über Geröll, durch grauen Schnee, immer weiter, immer tiefer in die Wildnis. Ich lief lange, bis ich zusammenbrach und bis alles verschwand um mich und in mir. Die Wildnis. Die Wirklichkeit. Und der Traum. Wenn es ein Traum war.

Obadja: Was ist mit ihm?

Debora: Ist er tot, Bruder Amos?

Amos: Ich glaube nicht, Schwester Debora.

Debora: Er bewegt sich. Er lebt. Halleluja.

Obadja: Lobe den Herrn.

Alle: Lobe den Herrn.

Obadja: Sieht aus, als ob er schlimmer durchgemacht hat.

Amos: Komm zu dir, Bruder, wer bist du?

Jonas: Ich... ich weiß nicht. Samuel Spade?

Debora: Samuel Spade sagt er.

Obadja: Samuel, ein gottesfürchtiger Name. Halleluja, vielleicht gehört er zu uns?

Amos: So wie er gekleidet ist? Nein, Bruder Obadja, er ist ein Kind Babylons, der Mutter der Hurerei und aller Greuel Behältnis, Amen, Bruder Amos.

Jonas: Drei Figuren beugten sich über mich, zwei bärtige Männer und eine Frau mit langem Haar, sie trugen braune Kutten und sahen ein bißchen aus wie Ökos, handgestrickt, naturbelassen, aber nicht friedlich. Alle drei trugen Waffen, breite Buschmesser im Gürtel und auf dem Rücken Maschinenpistolen.

Obadja: Lassen wir ihn liegen, Bruder Amos.

Debora: Aber wo er doch Samuel heißt.

Jonas: Nein, nicht Samuel.

Amos: Wenn er aus Babylon kommt, muß er eine Bürgerkarte bei sich tragen. Greif ihm in die Tasche, Bruder Obadja.

Obadja: Hier ist sie, Bruder. Jonas heißt der Mann, nur Jonas, und er ist...

Jonas: Privatdetektiv. Der letzte. Ich war wieder ich. Halleluja, Brüder und Schwestern, das wichtigste war geschafft. Aber es blieb noch genug übrig. Ich mußte rauskriegen, wie ich in die Wildnis geraten war, und was es mit diesem merkwürdigen Traum auf sich hatte. Wenn mir nur der Kopf nicht so weh getan hätte.

Jonas: Das war kein Traum. Ich, ich war wirklich Sam Spade, im Malteser Falken. Eine Halluzination.

Debora: Du bist krank, Bruder Jonas, wir werden dich mit uns nehmen nach Eden. Kannst du aufstehen?

Jonas: Mal sehen.

Amos: Wir helfen dir, Bruder, stütz dich auf mich und auf Schwester Debora.

Jonas: Danke. Ah, ihr... ihr seid Übrigbleiber?

Debora: So nennen uns die Ungläubigen.

Amos: Wir sind die Zeugen des 7. Siegels.

Obadja: Gottes Engel der Endzeit.

Amos: Wir harren des Herrn, welcher da kommen wird im großen weißen Blitz und im Rauchpilz zu strafen die Sünder und Läster, die Ungläubigen und Unvorbereiteten.

Debora: Amen. Immer schön einen Fuß vor den anderen, Bruder Jonas.

Jonas: Übrigbleiber, Survivalists, vor mehr als 20 Jahren waren sie aus Babylon und anderen Städten in die Wildnis gezogen, wo die Behörden nichts zu sagen hatten, da lebten sie nach ihrer Fasson und warteten, auf das Gericht, auf den großen Knall, auf die Bombe, sie würden als einzige übrigbleiben, davon waren sie überzeugt, weil sie gottesfürchtig waren und allzeit bereit.

Siehe, die Stunde ist nahe, da ausgegossen werden die Schalen des Zorns auf die Erde. Halleluja, lobe den Herrn. Was suchst du in der Wildnis, Bruder Jonas?

Jonas: Ja was suche ich. Nirwana, jetzt fällts mir wieder ein, ich wollte nach Nirwana.

Nach Nirwana?

Debora: Geh nicht dorthin, Bruder Jonas, denn wahrlich, ich sage dir, an diesem Orte haust der Antichrist.

Der da ist der Widersacher und sich setzt in den Tempel Gottes als wie Gott und gibt sich aus er sei Gott.

Sam: Amen. Halleluja. Lobet den Herrn.

Was ist das? Satanswerk?

Jonas: Mitnichten, teuerste Brüder, nur mein Taschencomputer. Ist ein bißchen verrückt, aber harmlos. Er redet nur manchmal zu viel. Sam heißt er.

Sam: Kurz für Samuel. Ein gottesfürchterlicher Name, geliebte Gemeinde. Na, Kumpel, wie siehst aus, alles OK, Kopf wieder klar?

Jonas: Danke der Nachfrage. Jonas war wieder der alte, nur die Beine waren noch ein bißchen wacklig. Aber ich hatte ja Hilfe. Und während Amos, Debora und Obadja mir unter die Arme griffen, ließ ich meinen Kopf arbeiten. Ich erinnerte mich. Die Sache hatte gestern angefangen, am 15. Februar 2011, nachmittags. Ich saß in meinem Büro plus Apartment und drehte Däumchen, darin hab ich Übung, und wie ich gerade überlegte, ob ich meinen Aktionsbereich nicht verlegen sollte, ins Casablanca, da tauchte doch tatsächlich ein Mensch auf, der einen Detektiv brauchte. Eine Frau, Paula Janssen, an die 60, Typ arm aber ehrlich, Kleidung sauber, verschossen, rührend unmodern, Gesicht sympathisch und leicht verhärmt, das hatte seinen Grund.

Janssen: Meine Beziehung, Bezugsperson, wie immer Sie das nennen wollen, mein Freund.

Jonas: Ich höre, Frau Janssen. Was ist mit Ihrem Freund?

Janssen: Er ist verschwunden, Herr Jonas, vermißt.

Jonas: Waren Sie bei der Polizei?

Janssen: Ja, aber die haben nur gelacht, weil Jaromir viel jünger ist als ich.

Jonas: Jaromir heißt ihr Freund.

Janssen: Ja. Ein schöner Name.

Jonas: Jeder Name ist schön, der mit J anfängt. Nur Jaromir?

Janssen: Nein. Dort. Jaromir Dort.

Jonas: Schade. Aber wo kämen wir hin, wenn wir alle nur einen Namen hätten. Wie alt ist er?

Janssen: Jaromir? 27.

Jonas: Die Polizei denkt, er ist Ihnen weggelaufen. Und was denken Sie, Frau Janssen? Ist er weggelaufen?

Janssen: Aber nein, Herr Jonas, bestimmt nicht, er hing, er hängt sehr an mir. Wir hängen sehr aneinander.

Jonas: Trotzdem ist er weg. Wann?

Janssen: Vor genau einer Woche, am 8. hat er sich von mir verabschiedet, gleich nach dem Frühstück.

Jonas: Er hat sich verabschiedet?

Janssen: Ja, nach 2 Tagen spätestens kommt er zurück, hat er gesagt, zurück zu mir, er wollte nur mal kurz nach Nirwana fahren, weil er sich so für den großen Guru Ganesh und seine Lehre interessiert hat, und dann ist er nicht zurückgekommen, und er hat sich auch nicht gemeldet, und da fing ich an mir Sorgen zu machen, ich bin zur Polizei gegangen, aber die wollten nichts tun, und darum bin ich jetzt hier, bei Ihnen, Herr Jonas.

Jonas: Jonas. Letzter Detektiv und letzte Instanz. Wie so oft. Aber hier konnte ich kaum helfen. Gurus und Sekten liegen mir nicht, ein Detektiv soll wissen, nicht glauben. Was wußte ich über Ganesh: Vor gut einem halben Jahr war er in Babylon zum ersten Mal aufgetreten, vorher soll er Werbemann gewesen sein bei einer großen Firma, und plötzlich sah er Licht, aus dem Orient, das Licht kommt immer aus dem Orient, er stieg aus, nannte sich großer Guru Ganesh und fing an zu predigen, und als er einige hundert Jünger gesammelt hatte, ihr Geld vermutlich auch, tat er das, was vor ihm schon viele Sektierer getan hatten, er verließ Babylon und ging in die Wildnis, mit seinen Ganeshis, und da übernahmen sie ein verlassenes Kloster und gaben ihm den schönen Namen Nirwana.

Janssen: Bitte, Herr Jonas, gehen Sie nach Nirwana, finden Sie Jaromir, bringen Sie ihm mir wieder.

Jonas: Falls er in Nirwana ist, Frau Janssen.

Janssen: Das hat er doch gesagt.

Jonas: Und falls er zu Ihnen zurückkommen will. Falls nicht, bleibt er da. Mit Gewalt bring ich Ihren Freund nicht nach Babylon. Jonas ist kein Deprogrammierer.

Janssen: Bitte, Herr Jonas, Jaromir will zurück zu mir, das weiß ich. Helfen Sie ihm, er wird in Nirwana festgehalten.

Jonas: Möglich. Da ist noch ein kleines Problem, Frau Janssen.

Janssen: Ja, Herr Jonas?

Jonas: Mein Honorar.

Janssen: Oh ja, natürlich, ich habe nicht viel, Herr Jonas, aber, aber für Jaromir, bitte, 50 Euros, das wird doch reichen?

Jonas: 90 Euros pro Tag und Spesen, das ist mein Satz, aber ich hatte heute meinen karitativen Tag. Weil Paula Janssen mir leid tat, weil ihre Chancen schlecht standen, und weil alles andere besser ist als Däumchen drehen. Ich nahm die 50 Euros, ließ mir den entschwundenen Jaromir Dort beschreiben und versprach, gleich am nächsten Morgen nach Nirwana zu fahren und mich umzusehen. Worauf meine Klientin getröstet abzog, nachdem sie mir Adresse und Fonnummer gegeben hatte. Und ich setzte meinen Computer auf den neuen Fall an.

Sam: Nirwana, o du mein Kleinod in der Lotosblüte, das Nichts.

Jonas: Ach ja?

Sam: Das Ende jedweden Verlangens.

Jonas: Von mir aus, Sammy.

Sam: Die Erfüllung des Seins im Nichtsein.

Jonas: Sehr tiefsinnig, Sam, aber...

Sam: Sam kennt noch viel tiefsinnigere Sprüche, o Nabel des Weltalls. Wie weit schießt ein Bogen ohne Sehne? Wie klingt eine Hand die klatscht. Oder die Story von Achill und der Schildkröte.

Jonas: Will ich alles gar nicht wissen, Sam. Nirwana.

Sam: Om manipadmeum. Om om om.

Jonas: Om. Schluß jetzt. Was weißt du über das Exkloster Nirwana?

Sam: Wenig, euer Gestrengen.

Jonas: Also manchmal frag ich mich wirklich, wozu ich einen Computer habe.

Sam: Von nichts kommt nichts, wie der weise Bosequo zu Bemerken pflegte. Keine Informationen über Nirwana in den allgemein zugänglichen Dateien.

Jonas: Auch nicht in den Medien?

Sam: Auch nicht in den Medien, Herr Großinquisitor.

Jonas: Merkwürdig, wo die so gern was über Sekten bringen.

Sam: Sieht fast nach Maulkorb aus, was Bonzo. Und auch dies ist merkwürdig: In Nirwana befindet sich ein Kollege.

Jonas: Ein Detektiv?

Sam: Nicht doch, euer Egozentrik. Eine höchst effiziente Computergroßanlage, abgeschirmt und codiert. Weshalb Sam über Aktivität und Funktion bedauerlicherweise nichts mitzuteilen weiß.

Jonas: Nirwana. Das Nichts. Weißt du wenigstens, wie ich hinkomme, Sam?

Sam: Zu dienen, der Herr: Mit der Druckluftbahn vulgo Sardinenbüchse von Babylon nach Eden.

Jonas: Eden, das kenn ich, dieses miese kleine Nest am Rand der Wildnis.

Sam: Von Eden bis Nirwana sind es noch genau 19, 374 km, welche Strecke eure Durchtrainierte auf zweierlei Weise hinter sich bringen kann: zu Fuß...

Jonas: Vielen Dank, Sammy, muß nicht sein.

Sam: Oder im geliehenen Elektromobil.

Jonas: In Eden gibt’s an die 1000 Einwohner, meist Übrigbleiber, an die hundert Häuser, alle häßlich, an die 10 Läden und 1 Mobilverleih am Stadtrand, an der Straße nach Nirwana, aber im Verleih gab’s kein Elektromobil, sagte mir jedenfalls der fette Besitzer, als ich am nächsten Vormittag aufkreuzte.

Tinnef: Alle unterwegs, tut mir ausgesprochen leid, mein Herr, aber es ist jetzt äh, 5 nach 11, jede Sekunde müßte eins zurückkommen, wenn sie solange warten wollen.

Jonas: Wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.

Tinnef: Darf ich Ihnen während Sie warten, etwas zu trinken anbieten, mein Herr.

Jonas: Hhm, das hört man gern. Was gibt's denn so bei Ihnen?

Tinnef: Whisky.

Jonas: Oh, Sie sprechen ein großes Wort gelassen aus. Synthetisch nehm ich an.

Tinnef: Aber wo denken Sie hin, mein Herr. Echt.

Jonas: Gut.

Tinnef: Aus Schottland.

Jonas: Sehr gut.

Tinnef: Old Forester.

Jonas: Meine Marke. Immer besser.

Tinnef: Auf Kosten des Hauses, versteht sich.

Jonas: Das ist das beste.

Tinnef: Die Hausbar befindet sich in den hinteren Räumlichkeiten. Wenn ich Sie bitten dürfte, mir zu folgen, mein Herr.

Jonas: So viel Großzügigkeit hätte mich mißtrauisch machen müssen. Und ich wurde auch mißtrauisch. Leider erst, als es zu spät war. Als ich den ersten Whisky intus hatte und mein Gastgeber mir den zweiten anbot. Aber da ging es schon los. Die Wände des Zimmers fingen an zu verschwimmen, es wurde dunkel und ich war plötzlich Sam Spade im Malteser Falke, bis ich wieder zu mir kam, teilweise wenigstens, und mich benommen in die Wildnis rettete und bis die drei Übrigbleiber mich auflasen, sie brachten mich zurück nach Eden. Sie wollten mich bei sich behalten, damit ich mich ausruhen konnte, ich lehnte dankend ab, ich war wieder in Ordnung, einigermaßen, ich wollte zurück nach Babylon. Aber vorher hatte ich noch eine Kleinigkeit in Eden zu erledigen.

Jonas: Sieh an, verkrümelt hat er sich, der fette Mobilverleiher.

Sam: Ja was hast du denn gedacht, du Torfkopp? Daß er wartet, bis wir aufkreuzen und ihn nach seinem ulkigen Whisky fragen.

Jonas: Was war da drin, Sammy?

Sam: Im Whisky, euer Hochprozentigkeit? Sam vermutet ein starkes Halluzinogen von bisher unbekannter Zusammensetzung.

Jonas: So, uns weshalb meinst du, hat man das ausgerechnet mir eingetrichtert?

Sam: Unzureichende Daten, o ungeduldiger Jonas.

Jonas: Ob das was mit dem Fall Jaromir Dort zu tun hat?

Sam: Und abermals unzureichende Daten. Oder auch: Ein Narr fragt mehr als ein Computer beantworten kann, Mann.

Jonas: Wie auch immer, ich hatte das Gefühl, ich sollte Paula Janssen kontakten, und das tat ich auch, sobald ich wieder zu Hause war. Das heißt, ich versuchte es, aber als ich ihre Fonnummer anrief, erlebte ich eine Überraschung.

Fonrobot: Hier ist die zentrale Leichenhalle, angeschlossen sind das pathologische Institut sowie das städtische Leichenschauhaus.

Jonas: Was?

Fonrobot: Wir sind immer für Sie da. Was können wir für Sie tun? Bitte sprechen Sie. Piep. Hier ist die zentrale...

Jonas: Falsche Fonnummer, und die Adresse...

Sam: Auch falsch, euer Ehren, der Fall nimmt ungeahnte Dimensionen an, um nicht zu sagen, Komplikationen.

Jonas: Die Geschichte, die sie mir erzählt hat, ist sicher auch falsch.

Sam: Ein Rührstück hat sie eurer großzügigen Naivität vorgespielt, einen Tränendrücker, wie man sich in theatralischen Kreisen auszudrücken pflegt.

Jonas: Vorgespielt. Theater. Ich weiß was, Sammy.

Sam: Lino Madras.

Jonas: Lino Madras. Wozu sind die Nachbarn da.

Sam: Wozu sind die Nachbarn da. Zum Fragen.

Jonas: Lino Madras haust zwei Stockwerke unter mir, und Lino Madras gehört die größte Agentur für Kleindarsteller in ganz Babylon. Er machte gerade Teepause und war gern bereit, mir im Holobild vorzuführen, was er einschlägig anzubieten hatte, weiblich, um die 60, geeignet für Sprechrolle, Spezialität Rührstück.

Lino Madras: Die?

Jonas: Nein.

Lino Madras: Und äh die?

Jonas: Lassen Sie mal das Bild stehen, Lino, hmh, doch könnte sein.

Lino Madras: Paula Johanson.

Jonas: Das ist sie. Haben Sie ihr in den letzten Tagen was vermittelt, Lino?

Lino Madras: Moment, äh, nein, hier steht nichts, vielleicht eine andere Agentur.

Jonas: Wo wohnt sie?

Lino Madras: Tulpenstraße 90, das ist draußen in Blumenthal.

Jonas: Danke Lino, bis bald mal.

Jonas: Blumenthal ist eine grundsolide Vorstadt, Apartment-Units, 20 bis 30 Quadratmeter, sauber nebeneinander gestapelt, so weit das Auge reicht, eine Gegend, wo die Leute sofort Holonews anrufen, wenn der Hund des Nachbarn auf die Straße pinkelt, das heißt sie würden, wenn es noch Hunde gäbe. Paula Johanson alias Janssen war zu Hause, hinter ihrer Haustür, und die machte sie nicht auf.

Janssen: Was wollen Sie? Wer sind Sie?

Jonas: Jonas. Nur Jonas.

Janssen: Oh. Gehen Sie weg.

Jonas: Gerne, wenn Sie mir eine Frage beantworten.

Janssen: Nein, gehen Sie weg.

Jonas: Wer hat Sie zu mir geschickt? Wenn Sie wollen, daß Ihre Nachbarn mithören, dann lassen Sie die Tür nur zu. Wer hat Sie engagiert, wer bezahlt Sie dafür, daß Sie Lügengeschichten erzählen?

Janssen: Nicht so laut, bitte.

Jonas: Sie sind eine Schwindlerin, Paula Johanson. Ein paar Gardinen bewegen sich schon.

Janssen: In Gottes Namen. Kommen Sie rein.

Jonas: Wie die Wohnung einer Schauspielerin aussehen sollte, weiß ich nicht, so hatte ich sie mir jedenfalls nicht vorgestellt, sauber, pingelig, langweilig, alles auf Kante und von der Stange. Mit einer Ausnahme. Paula Johansen hatte Bücher, echte alte Bücher mit gedrucktem Text, ein ganzes Regal voll.

Jonas: Eine richtige Sammlung.

Janssen: Meine einzige Leidenschaft, jedes Buch habe ich mir vom Munde abgespart.

Jonas: Alte Bücher sind teuer, ich weiß. Wer hat Sie engagiert?

Janssen: Das äh, das darf ich nicht sagen.

Jonas: So.

Janssen: Was tun Sie da?

Jonas: Sehen Sie doch, ich zerreiße Ihr Buch.

Janssen: Oh.

Jonas: Wer hat Sie engagiert.

Janssen: Hören Sie auf, hören Sie sofort auf.

Jonas: Wenn Sie mir sagen, was ich wissen will.

Janssen: Bitte, bitte. Ich sage es Ihnen. Es war Frau Direktor Astoria Waaldorf von Multipharm.

Jonas: Frau Direktor Astoria Waldorf von Multipharm. Aus welchem Grund?

Janssen: Das weiß ich nicht. Nein, ich weiß es wirklich nicht, Herr Jonas. Sie hat mich angerufen, hat mich in ihr Büro bestellt, hat mir die Rolle erklärt, mir gesagt, was ich Ihnen erzählen soll, das ist alles, und jetzt gehen Sie, bitte gehen Sie.

Jonas: Ich war nicht stolz auf mich, aber was hätte ich tun sollen. Meine einzige Alternative war, Paula Johanson zu beschädigen, und da sei der Ehrenkodex des Detektivs vor. Dann schon lieber ein Buch. Allerdings, wenn es ein Krimi gewesen wäre, womöglich noch von Chandler oder Hammett, hätte ich mir wohl was anderes einfallen lassen. Multipharm ist der größte Arzneimittelhersteller in Babylon, darum ist die Multipharm-Zentrale rund wie eine Pillenschachtel und hoch wie die Gewinnspanne der Aktionäre, sie liegt am Hendrick-August-Platz, gegenüber dem Chips-Gebäude unseligen Angedenkens, keine gute Gegend für Jonas.

Portier: Halt, wohin wollen Sie?

Jonas: Zum Lift und dann ins oberste Stockwerk.

Portier: So, ins oberste Stockwerk. Zu wem?

Jonas: Waldorf, Direktorin in Ihrem Verein.

Portier: Sie brauchen mir nicht zu erklären, wer Frau Direktor Waldorf ist, ich weiß, wer Frau Direktor Waldorf ist, ich weiß aber nicht, wer Sie sind, hauen Sie ab.

Jonas: Das hatte mir gefehlt. Ein mysteriöser Auftrag, Gurus, Halluzinationen, sowas fällt aus dem Rahmen, und was aus dem Rahmen fällt, macht mich nervös, aber ein sturer Portier ist normal, stinknormal, das tägliche Brot des Detektivs, ein Routineproblem. Der Experte macht das mit links.

Portier: Haben Sie nicht gehört? Hauen Sie ab.

Jonas: Sie hauen ab, Freundchen zum nächsten Fon, Sie rufen Frau Waldorf an, Sie sagen hier, Jonas ist hier, nur Jonas, und dann machen Sie mir einen tiefen Diener und bitten mich in den Lift.

Portier: Ehrlich, also das ist nicht fair. Sie halten sich nicht an die Spielregeln.

Jonas: Was für Spielregeln?

Portier: Wissen Sie doch. Ich sage, hauen Sie ab, und Sie geben mir 20 Euros.

Jonas: Haha, 20 halte ich für übertrieben.

Portier: Na, 10 und ich gucke weg.

Jonas: Da ist das Fon.

Portier: 5 Euros.

Jonas: Nicht einen einzigen.

Jonas: Das Vorzimmer von Frau Direktor Waldorf war ausladend wie ein Ballsaal und protzig wie Ali Babas Schatzhöhle: alte Teppiche, Gobelas, echte Bilder, Möbel aus Holz, und ein 1a Superdelux-Privatsekretär, ein richtiger Mann, Macker, so was wie Tarzan, Leopardenfall um den Bauch und mit Gebrüll durch den Urwald, nur daß er kein Fell trug, sondern einen konservativen grauen Bürooverall und er brüllte auch nicht, er gab Jonas in elegant modulierter Diktion zu verstehen, was er von ihm hielt.

Humbert: Wie sagten Sie doch gleich, sei Ihr Name?

Jonas: Ich habe gar nichts gesagt, aber wenn es Sie so brennend interessiert. Jonas.

Humbert: Aha. Und weiter?

Jonas: Nichts weiter. Nur Jonas.

Humbert: Nur Jonas. Auf was für Ideen die Leute manchmal kommen. Sie haben keinen äh Termin bei Frau Direktor?

Jonas: Doch.

Humbert: Nein, Sie stehen nicht auf der Liste.

Jonas: Das macht nichts, Sie gestatten.

Humbert: Nicht doch, das ist die höchstpersönliche Leitung von Frau Direktor.

Waldorf: Ja, Humbert?

Jonas: O Humbert heißen Sie, auf was für Ideen die Leute manchmal kommen. Frau Waldorf, Jonas hier, der Privatdetektiv, Sie wissen schon, Sie wollen mit mir reden.

Waldorf: Will ich das? Humbert?

Humbert: Frau Direktor?

Waldorf: Bringen Sie Herrn Jonas zu mir.

Jonas: Na endlich. Frau Direktor Waldorf war bereit, die Strahlen ihrer höchst-persönlichen Gegenwart über Jonas leuchten zu lassen, in ihrem höchstpersönlichen Chefzimmer, wo sie mir höchstpersönlich zunickte und auf einen Sessel zeigte.

Waldorf: Nehmen Sie Platz, Herr Jonas, und Sie Humbert, Sie können jetzt gehen. Schlafen Sie sich mal richtig aus, damit Sie morgen früh nett und adrett aussehen.

Humbert: Jawohl Frau Direktor.

Waldorf: Ach und Humbert, diese graue Kluft lassen Sie in Zukunft zuhause, grau steht Ihnen nicht. Sie sollten nur heitere Farben tragen, rose, pink, so möchte ich Sie sehen.

Humbert: Jawohl, Frau Direktor, auf Wiedersehen Frau Direktor und noch einen schönen Abend, Frau Direktor.

Waldorf: Jaja, wiedersehen Humbert. Johansen hat mich angerufen, die Schauspielerin, Sie waren ja recht rüde zu ihr und zu meinem guten Humbert auch.

Jonas: Finden Sie. Sie sollten mich mal erleben, wenn ich wirklich rüde bin.

Waldorf: Ja, das ließe sich bei Gelegenheit arrangieren. Da haben Sie also tatsächlich zu mir gefunden, Jonas. Sie haben Zeit aufgewendet und Mühe.

Jonas: Ein bißchen.

Waldorf: Das wäre doch gar nicht nötig gewesen. Ich hätte mich ohnehin mit Ihnen in Verbindung gesetzt. Immerhin bin ich um drei Ecken Ihre Auftraggeberin. Aber Sie konnten es nicht abwarten. Wollen Sie was trinken?

Jonas: Danke.

Waldorf: Nicht? O, das überrascht mich.

Jonas: Mich auch, aber ich habe in letzter Zeit schlechte Erfahrungen gemacht.

Waldorf: Hmh ja, wie Sie wollen, Jonas. Dann kommen wir also trocken zur Sache, das heißt zu Luzinon kurz für Halluzinogen das ist ein neues Produkt von Multipharm, eine Wunderdroge, sagt unser zahmer Professor, das größte seit Valium.

Jonas: Nie was von gehört.

Waldorf: Das können Sie auch nicht, Jonas. Luzinon wird erst später auf den Markt kommen, zur Zeit ist es noch im Versuchsstadium und darum geht es.

Jonas: Was?

Waldorf: Ja alles. Nirwana, der große Guru Ganesh, Paula Johnson, der fiktive Herr Dort, ihr ganzer Fall Jonas.

Jonas: Ich habe einen Fall.

Waldorf: Ja, das hoffe ich doch sehr. Wir würden uns freuen, wenn Sie auch in Zukunft für uns arbeiten, für Multipharm und für mich. Wollen Sie, Jonas?

Jonas: Ich denk darüber nach.

Waldorf: Gut. Luzinon, die endgültige Bewußtseinsdroge, die induzierte und kontrollierte Halluzination. Wirklicher als die Wirklichkeit, und besser. Sie sind unzufrieden mit sich selbst und dem grauen Alltag, nehmen Sie Luzinon, Luzinon öffnet Ihnen die 1001 bunte Welt der Fantasie, Sie haben die freie Wahl, seien Sie, wie Sie sein wollen und wer Sie sein wollen, Kaiserin oder König, Musketier oder Amazone, Messalina, Don Juan, der Held oder die Heldin ihrer Lieblingsholoserie.

Jonas: Sam Spade im Malteserfalken.

Waldorf: Kenn ich nicht. Neu?

Jonas: Nicht so wichtig. Erzählen sie weiter.

Waldorf: Also, bei Luzinon gibt es keine bösen Überraschungen, keine Unschärfen, keine Nachwirkungen wie bei LSD und ähnlichen Drogen, was Sie erleben ist logisch real dreidimensional, wie Holo, aber mit einem ganz entscheidenden Unterschied: Sie sind mitten in der Story, Sie spielen mit, Sie spielen die Hauptrolle, Sie sind die Hauptrolle, das ist Luzinon, ihr ganz persönliches Glück, das Sie kaufen können.

Jonas: Klingt fantastisch.

Waldorf: Die reine Wahrheit.

Jonas: Fantastisch. Und problematisch. Sehr problematisch sogar.

Waldorf: Ein wahres Wort, Jonas, wir haben in der Tat noch einige Probleme mit Luzinon, allgemein pharmakochemische Probleme, toxikologische, technische, ökonomische.

Jonas: Und moralische.

Waldorf: Sie meinen juristische, also darum kümmert sich die Rechtsabteilung. Also wie gesagt noch ein paar Ecken und Kanten, und bevor wir Luzinon auf den Markt bringen, müssen die natürlich abgeschliffen werden. Frage wie.

Jonas: Ich bin sicher, Sie wissen die Antwort.

Waldorf: Durch einen Versuch selbstverständlich, durch einen langfristigen umfassenden Großversuch, ein so neuartiges und ungewöhnliches Produkt wie Luzinon muß gründlich getestet werden, auf Herz und Nieren geprüft, auf alle seine Möglichkeiten durchgecheckt.

Jonas: Interessant.

Waldorf: Und dazu braucht man eine größere Anzahl von Versuchspersonen, einen ganz spezifischen Querschnitt durch die Gesamtbevölkerung, Menschen mit psychischen Eigenschaften, die sie besonders empfänglich für Luzinon machen, Menschen die leicht und gerne glauben, die selbstgewählten Autoritäten blind vertrauen und Außenlenkung problemlos akzeptieren.

Jonas: Verstehe ich.

Waldorf: Neue Frage: Wie kommt man an solche Versuchspersonen. Die üblichen Mittel, Computernetzumfragen usw. erschienen uns wenig zweckmäßig, zu langwierig, zu umständlich.

Jonas: Zu teuer.

Waldorf: Auch das. Und da, vor sieben, acht Monaten kam Tommy Tinnef auf eine grandiose Idee. Tommy Tinnef junior, Sohn von Senator Tinnef, stellvertretender Leiter unserer Werbeabteilung.

Jonas: Sehr erfreut.

Waldorf: Das ideale Versuchskaninchen sagte sich Tommy Tinnef, ist der gläubige Mensch, der Saniassi, der Muni, der Sektenmensch, und Tommy entwickelte einen Plan, einen ungewöhnlichen Plan, und er setzte ihn durch, gegen den Widerstand unserer etwas altmodischen Herrschaften im Aufsichtsrat. Multipharm gab schließlich das OK. Tommy Tinnef verwandelte sich in den großen Guru Ganesh.

Jonas: Ach.

Waldorf: Ein guter Werbemann ist auch ein guter Sektenchef, Tommy hatte Zulauf, er ließ seine Jünger durch unsere Computer laufen, suchte sich die aus, die für den Test in Frage kamen, in der benötigten Zahl, zog in die Wildnis und gründete Nirwana.

Jonas: Mit dem Geld von Multipharm.

Waldorf: Natürlich.

Jonas: Als Versuchslabor, als Spielwiese.

Waldorf: Sagen wir doch lieber als Testmarkt, als Möglichkeit, Luzinon unter realen Bedingungen durchzutesten. Die Sache kam gut ins Rollen, Tommy überwachte die Versuchsreihen und gab uns laufend die Ergebnisse durch. Alles bestens. Aber dann...

Jonas: War plötzlich der Wurm drin.

Waldorf: Wenn Sie es so ausdrücken wollen, ja.

Jonas: Was war los?

Waldorf: Ja das wissen wir nicht. Die Verbindung ist unterbrochen, seit einer Woche meldet sich Nirwana nicht mehr, wir haben zwei Tage gewartet und dann ein paar Leute vom Werkschutz hingeschickt, aber die sind nicht zurückgekommen. Und wir haben uns an einen Experten gewandt.

Jonas: An Jonas.

Waldorf: An Jonas. Es war gar nicht so einfach. Bekanntlich arbeitet Jonas ja nicht gern für Großfirmen.

Jonas: Aus gutem Grund, seit der Sache mit Chips Inc, als man mir den Mord an Big Boss anhängen wollte. Deshalb haben Sie's hintenrum versucht mit einer Schauspielerin und einer rührseligen Geschichte.

Waldorf: Weil Jonas bekanntlich eine sentimentale Ader hat.

Jonas: Und Jonas ist voll auf Ihren Tränendrücker abgefahren.

Waldorf: Dann waren Sie also schon in Nirwana.

Jonas: Nein, sagte ich. Und ich erzähle ihr kurz, was mir passiert war. Der Mobilverleih in Eden, der Whisky, die Halluzinationen. Jonas als Sam Spade im Malteser Falken und die Folgen.

Waldorf: Luzinon, gar keine Frage, Jonas, in ihrem Whisky.

Jonas: Old Forrester, schade um den guten Stoff.

Waldorf: Sie sollten sich freuen. In Nirwana geben wir Luzinon ins Trinkwasser.

Jonas: Keine Nachwirkungen, haben Sie gesagt. Da muß ich ihnen als unfreiwilliges Versuchskaninchen entschieden widersprechen. Das Zeug hat Nachwirkungen und was für welche.

Waldorf: Ja, wenn Sie auch eine Überdosis schlucken. Man hat Sie also abgefangen.

Jonas: Man? Wer?

Waldorf: Woher soll ich das wissen.

Jonas: Man hat mich abgefangen, das heißt, man hat mich erwartet, und man wußte, wer ich bin, weshalb sonst die alte Hammett-Geschichte, die kaum ein Mensch mehr kennt. Man wollte mich ausschalten. Das ist nicht gelungen. Man hat mich nur kurzfristig lahmgelegt.

Waldorf: Sie wollen es also noch einmal versuchen.

Jonas: Ich wollte. Ein Schuß aus dem Bauch, nicht mit dem Kopf. Was Multipharm da in Nirwana durchzog, gefiel mir ganz und gar nicht. Aber Jonas legt Wert darauf, eine angefangene Sache zuende zu bringen. Außerdem war ich sauer, ich wollte wissen, wer mich unter Luzinon gesetzt hatte und warum, und dabei wollte ich Multipharms Großversuch ein bißchen lahmlegen, wenn es sich irgend machen ließ. Aber das sagte ich natürlich nicht. Ich sagte nur ja.

Waldorf: Ich hatte es gehofft Jonas. Nur deshalb hab ich Sie ja so ausführlich über die Hintergründe informiert. Damit sie diesmal eine bessere Ausgangsposition haben. Sie werden also nach Nirwana gehen und feststellen, was da los ist, warum die Kommunikation unterbrochen wurde. Das ist unser Auftrag an Sie. Und Sie werden selbstverständlich stillschweigen bewahren über das, was ich Ihnen gesagt habe und was Sie in Nirwana sehen werden. Unser Luzinontest ist möglicherweise ein ganz klein wenig außerhalb der strikten Legalität. Und auch wenn wir bei Multipharm uns keine großen Sorgen wegen der Behörden machen, legen wir doch Wert darauf, daß Firmeninterna nicht an die große Glocke gehängt werden. Wir verstehen uns.

Jonas: Vollkommen.

Waldorf: Sehr schön. Geld spielt keine Rolle. 200 pro Tag und ein unlimitiertes Spesenkonto.

Jonas: Klingt gut. Äh kann ich mir einen Hubschrauber mieten?

Waldorf: Ja wenn sie ihn brauchen, Jonas. Ich lasse Humbert morgen früh den Vertrag ausfertigen und ihrem Computer durchgeben.

Jonas: Vergessen Sie den Hubschrauber nicht.

Waldorf: Ist das nötig? Sie haben doch meine Zusage.

Jonas: Der Hubschrauber muß in den Vertrag. Darauf bestehe ich.

Waldorf: Trauen Sie uns nicht, Jonas?

Jonas: Natürlich traute ich Multipharm nicht, aber das war nicht der Grund für meine Sturheit. Der Hubschrauber kam in den Vertrag, davon konnte ich mich am nächsten Morgen überzeugen. Erst danach holte ich meinen alten Kampfanzug aus dem Schrank, 2005 hatte ich ihn weggehängt, nach dem antarktischen Krieg, und seitdem nur einmal benutzt, im letzten Jahr, als Judith entführt worden war. Ich hatte so ein Gefühl, daß ich ihn in Nirwana brauchen könnte. Am späten Nachmittag flog ich den Hubschrauber in niedriger Höhe über Eden und weiter über die Wildnis, bis ich eine geeignete Stelle unter mir sah, eben und abgeschirmt durch Hügel und Geröllhaufen, etwa 5 km vor Nirwana, außer Sichtweite, da setzte ich auf. Ich zog den schwarzen Guerillaanzug an und wartete. Ich wartete bis es dunkel wurde, dann stieg ich aufs mitgebrachte Fahrrad, eine halbe Stunde strampeln und ich war da. Nirwana, ein großes Rechteck, 100 mal 200 Meter, drumrum eine hohe Mauer, keine Fenster, ein verrammeltes Tor, auf der Mauer ein paar Lampen, Stimmen, Bewegung. Ich überlegte. Computer Sam, immer und überall dabei, half mir auf seine Weise.

Sam: Na, was ist, großer Zampano, steh nicht rum wie ein Loch in der Landschaft. Geh endlich die Wand hoch.

Jonas: Mit dem Vakuumsauer meinst du.

Sam: Ja.

Jonas: Wie damals auf Swartcliff?

Sam: Ja.

Jonas: Diesmal nicht, Sammy, zu riskant. Auf der Mauer sind lauter Wachen und die warten alle auf Jonas, wenn ich auch annehme, daß sie eher nach oben sehen.

Sam: Von wegen Hubschrauber. Trebien. Da der Weg oben drüber nicht praktikabel erscheint, versuchen es Monsieur vielleicht unten durch. Wie spricht der Weise: Jede Mauer hat ein Loch.

Jonas: Auch ein Guru geht irgendwann auf den Lokus.

Sam: Und irgendwo ist immer ein Abwasserkanal. Durch Nacht zum Licht.

Jonas: Ich schlich und suchte, und schließlich fand ich, mit meinem Infrarotglas und vor allem mit meiner Nase. Nicht lange nachdenken, Luft anhalten und durch. Und wo kam ich raus, natürlich in der Latrine, zum Glück war keiner drin.

Sam: Das Ziel heiligt die Wege. Mein Meister befindet sich nunmehr in Nirwana, das ist die Hauptsache. Wie er dorthin gelangt, spielt keine Rolle.

Jonas: Für dich nicht, Sammy. So, jetzt kann ich mich wieder riechen.

Sam: Hat es nicht fast den Anschein als zeige euer spelunkologische Exzellent einen unbewußten Hang zu unterirdischen Gegebenheiten, zum penetrieren enger dunkler Gänge oder zum ausgiebigen Aufenthalt im Ausgeschiedenen. Wie war es denn in Kusbekistan, im Reservat, auf Swartcliff, im Mastdarm von Babylon etc. etc.. Wenn sich ein Psychoanalytiker das mal vornimmt. Hahaha, Analfixation ist das mindeste.

Jonas: Deine Sorgen möchte ich haben, Sam.

Sam: Hat Sam dies als Befehl zu verstehen, o Meister der unpräzisen Formulierung?

Jonas: Laß den Blödsinn. Sag mir lieber, wie's weitergeht.

Sam: Der heimliche und wie zu vermuten steht unwillkommene Besucher wird stets gut daran tun, sich einen möglichst umfassenden Überblick zu verschaffen. Kleiner Fernkurs für Detektive, erste Lektion.

Jonas: Steht da auch drin, wie man das macht.

Sam: Durchs Fenster, eure mangelhafte Orientiertheit, hahaha, und wie's der Zufall will, da ist eins, Innenwand rechts, bitte nur näherzutreten, Sir.

Jonas: Eine große Voliere voller Kanarienvögel, das war mein erster Eindruck. Im weiten Innenhof wimmelte es von Menschen in leuchtend gelben Umhängen, sie lagen, sie saßen, sie knieten, die meisten liefen herum, den Kopf im Nacken und starrten zum Himmel, sie hatten viel Platz, alle Gebäude lagen am Rand, im Schatten der Mauer, der Innenhof war unbebaut, mit einer Ausnahme, genau in der Mitte stand ein massiver grauer Kasten, offensichtlich ein Neubau, und in den Kasten liefen von allen Seiten Kabel, von den Holokameras, Mikrophonen und Sensoren rund um den Hof, sie waren überall.

Jonas: Nur nicht in der Latrine.

Sam: Lobe den Herrn.

Jonas: Das Ding in der Mitte dürfte das Hauptquartier sein.

Sam: Präziser die zentrale Testüberwachungs- und Leitungsstelle, allwo er sitzet wie die Spinne im Netz, der große Guru Ganesh.

Jonas: Alias Tommy Tinnef. Gehen wir ihn besuchen, Sammy.

Sam: Doch nicht in dieser Aufmachung, o schreckliche schwarze Plastikgestalt.

Jonas: Besser nicht, der Anzug ist zwar lichtabweisend und viel Beleuchtung haben sie da draußen auch nicht, aber...

Sam: Merke: Bei seiner Arbeit sollte der Detektiv in erster Linie danach trachten, unauffällig zu bleiben, sich seiner Umgebung anzupassen, in ihr aufzugehen.

Jonas: Kleiner Fernkurs, ich weiß. Ich weiß aber auch, was ich jetzt tue.

Sam: Erzählt es mir, Graf Crux, ich bitte euch.

Jonas: Ich warte, bis es einen der Kanarienvögel in die Latrine treibt und...

Sam: Und wie es der Zufall will, hier kommt einer, bitte Herr Kapellmeister, waltet eures Amtes.

Jonas: Es ging schnell und problemlos, der gelbe Vogel war kam drin, da hatte ich ihn auch schon überredet, sich für ein Stündchen schlafen zu legen, ein Knockouter ist ein sehr wirksames Argument, und 5 Minuten später mischte sich Jonas unters Volk, gelb von Kapuze bis zum Mantelsaum, unauffällig wie ein Fisch im Wasser.

Sam: Wie eine Pizza im italienischen Restaurant, Maestro.

Tinnef: Omanipadmehum, höret ihr Gläubigen, es spricht Gott, euer Herr, noch ist er nicht da, der euch verkündete Bote des Bösen, doch er wird kommen, kommen von der Höhe, angetan mit den Flügeln der Bosheit, umgeben vom Lärm der Sünde, seid wachsam, haltet weiter Ausschau, und verzagt nicht, wenn er kommt, wird Gott euch vor ihm retten, Gott wird euch erlösen von diesem Übel und von allen andern Übeln. Amen. Gott hat gesprochen. Omanipadmehum.

Jonas: Hast du das gehört, Sammy?

Sam: Da Sam weder taub ist noch schwachsinnig, vermag er die Frage seines Herrn ohne Einschränkung zu bejahen. Sam hat gehört und verstanden. Er weiß, wer mit dem Boten des Bösen gemeint ist.

Jonas: Ja das ist kein Kunststück, Jonas im Hubschrauber. Wie es ausseiht, hat Tommy Tinnef... vom Guru zum Gott befördert.

Sam: Der große Gott Tinnef im Zentrum der Dinge, Herr Oberkirchenrat.

Jonas: Da werden wir ihn möglichst schnell rausholen, Sam. In dem Kasten ist eine Tür, die ist vermutlich abgeschlossen.

Sam: Höchst unwahrscheinlich Monsignore, die Gläubigen werden es nicht wagen, ungebeten ihrem Gott ins Haus zu fallen. Und was meinen Herrn und Meister betrifft, den erwartet man bekanntlich vom Himmel hoch.

Tinnef: Aom. Aom. Omanipadmehum, höret ihr Gläubigen, es spricht Gott, euer Herr, noch ist er nicht da, der euch verkündete Bote des Bösen, doch er wird kommen, kommen von der Höhe...

Sam: Sprung auf, Marsch Marsch, da eure Göttlichkeit gerade so schön beschäftig und abgelenkt ist.

Jonas: Die Tür war offen, dann ein Korridor, eine zweite Tür, und dahinter das Herzstück von Nirwana, der Kontrollraum, Röhren, Hebel, Schalter, Datenspeicher, Tastaturen, Monitore und ein Mikrophon, davor ein fetter blasser Mann, noch nicht alt, im konventionellem grau: Der Elektromobilverleiher in Eden alias Tommy Tinnef, der Gott.

Tinnef: Amen. ...Und von allen anderen Übeln. Amen. Gott hat gesprochen.

Jonas: Grüß Gott.

Tinnef: Was? Wie kannst du es wagen, Gottes Tempel zu betreten, auf die Knie, hier ist heiliger Boden.

Jonas: Regen Sie sich ab, Tommy, und lassen Sie sich nicht irreführen durch mein gelben Aufzug, den hab ich mir nur geborgt, Ich bin Jonas, nur Jonas, Multipharm schickt mich.

Tinnef: Ich weiß, Gott weiß alles.

Jonas: Weil er aus Babylon informiert worden ist, von wem, Tommy? Frau Direktor Waldorf, kann ich mir nicht vorstellen, warum sollte sie, aber wenn ich an Humbert denke, den gebeutelten Privatsekretär.

Tinnef: Einer der Mühseligen und Beladenen, ich hab ihm verheißen, daß er später nach Nirwana kommen darf, als Vizegott.

Jonas: Eine rasante Karriere. Es war also Humbert, der mich gleich zweimal bei Ihnen angekündigt hat, gestern in Eden konnten Sie mich abfangen, Tommy, weil ich keine Ahnung hatte, was gespielt wurde, aber jetzt bin ich hier und ich nehme Sie mit, Tommy.

Tinnef: Ha.

Jonas: Zurück nach Babylon, da können Sie Frau Waldorf erklären, was Sie hier angestellt haben, warum Sie sich nicht mehr bei ihr melden.

Tinnef: Gott meldet sich nicht, Gott empfängt keine Befehle, Gott ist sich selbst genug.

Jonas: Sicher Tommy, packen Sie ihre Sachen.

Tinnef: Nennen Sie mich nicht Tommy, ich bin nicht mehr Tommy Tinnef. Ich bin Gott. Gott.

Jonas: Wenn Sie unbedingt wollen, mitkommen müssen sie trotzdem.

Tinnef: Ich habe ihn abgelegt den alten Adam, der da Thomas Tinnef hieß oder großer Guru Ganesh, wie der Schmetterling die Larvenhülle abwirft, wenn er seine wahre Identität kennt. Hier in Nirwana, in diesem Raum, fiel es mir vor einer Woche wie Schuppen von den Augen, und ich erkannte, daß ich Gott bin, denn bin ich nicht allmächtig, sie tun nicht nur, was ich will, meine Gläubigen, sie denken, was ich will, sie empfinden, was ich will, sie sind glücklich oder unglücklich, ganz wie ich es will, ich brauche nur auf diesen Knopf zu drücken, an diesem Hebel zu ziehen, und sie sind mir ausgeliefert. Was ist mir Multipharm, mein Wille geschieht.

Jonas: Aber nicht mit Jonas, ich werde mich hüten, noch mal von ihrem Whisky zu trinken. Sehen sie her, Tommy, was ich in der Hand halte ist ein Laserstrahler. Mein Wille geschieht.

Tinnef: Das glauben sie, soll ich Ihnen was verraten, Luzinon wirkt auch im gasförmigen Zustand über die Luft, ich war auf Sie vorbereitet, Jonas, als Sie bei mir eindrangen, hab ich eine speziell für Sie zusammengestellte Halluzination freigesetzt. Spüren Sie es schon, spüren Sie es, Mr. Blaine?

Jonas: Ich wollte den Laserstrahler abdrücken, aber ich fand ihn nicht mehr, grauer Nebel zog auf, Tommy Tinnef lachte, er war jetzt groß und schlank, trug eine Schirmmütze, eine schwarze Uniform, Sam war auch schwarz, er saß am Klavier und spielte As time goes by.

Sam: You must remember this, a kiss is just a kiss.

Jonas: Ilsa, warum war sie nicht bei mir, dann erinnerte ich mich, sie saß schon im Flugzeug nach Lissabon mit Victor Laszlo, Major Strasser war empört.

Tinnef: Das Flugzeug muß aufgehalten werden, wo ist das Telefon, aus dem Weg, Blaine, ich werde dafür sorgen, daß sie in ein Konzentrationslager kommen, aah!

Sam: Major Strasser ist erschossen worden, verhaften sie die üblichen Verdächtigen.

Jonas: Sam, ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Jonas: Immer noch dichter grauer Nebel, plötzlich löste er sich auf, ganz schnell, und ich war nicht mehr Rick Blaine in Casablanca, ich stand im Kontrollraum, den Laserstrahler in der Hand, vor mir lag Tommy Tinnef, tot. Ein Laserloch über dem Herzen.

Jonas: Was ist passiert?

Sam: Gott Tinnef ist erschossen worden.

Jonas: Von mir.

Sam: Bzw. von Rick Blaine, dies eine hat der Ex-Gott nämlich nicht bedacht, daß als er die euer nostalgischen Begeisterung zugedachte Luzinonvariante in diesen Raum strömen ließ, er selbst sich ihr aussetzen, daß er allein durch sein Atmen Teil der Casablanca-Halluzination werden würde, er spielte mit als Gestapomajor Strasser.

Jonas: Tommy Tinnefs letzte Rolle.

Sam: Und als Major Strasser wurde er erschossen, von Rick Blaine mit dem Laserstrahler, von Jonas mit dem Revolver.

Jonas: Etwas verwirrend, Sammy.

Sam: Doch das Resultat ist klar, o heiliger Konfuzius: Gott ist tot, und Jonas hat eine Menge zu tun.

Jonas: Da hatte Sam recht, und ich fing auch gleich an. Zuerst stellte ich die Luzinonzufuhr für Nirwana ab, keine Drogen mehr in Luft oder Wasser, Schluß mit den Halluzinationen, Schluß mit dem Test, dann rief ich Frau Direktor Waldorf in Babylon an und erstattete Bericht.

Waldorf: Sie, Sie haben den Test unterbrochen, was fällt Ihnen ein, dazu hatten Sie kein Recht, Jonas, das wird ein Nachspiel haben.

Jonas: Ihren Luzinontest habe ich nicht unterbrochen, Frau Waldorf, ich hab ihn abgebrochen, für immer. Sie werden ihn nicht wieder aufnehmen.

Waldorf: Sind Sie verrückt Jonas, wo wir schon so viel in die Sache investiert haben. Multipharm wird sich doch von einem, von einem Nobody nichts vorschrieben lassen.

Jonas: Bitte, dann werde ich das tun, wovor Sie so große Angst hatten, Frau Waldorf, Ich werde Firmeninterna an die große Glocke hängen.

Waldorf: Nein.

Jonas: Sie wollten doch wissen, wie rüde ich sein kann, jetzt haben sie Gelegenheit, das festzustellen.

Waldorf: Was verlangen Sie, Jonas?

Jonas: Der Test bleibt gestoppt, Ihre Spielwiese wird aufgelöst, die Versuchspersonen werden von Multipharm entschädigt, großzügig, und noch was: Sie entlassen Ihren Sekretär.

Waldorf: Humbert. Warum das? Haben Sie Ambitionen, Jonas?

Jonas: Ich denke nicht daran. Für mich will ich nur das vereinbarte Honorar plus Spesen.

Waldorf: Einverstanden, wir kommen nach Nirwana, warten Sie auf uns.

Jonas: Lieber nicht. Ich traute Multipharm jetzt noch weniger. Was ich im Kopf und im Computer hatte, war mein einziges Druckmittel, und das brachte ich besser aus der Reichweite von Frau Direktor Waldorf, bis sie ihre Zusagen erfüllt hatte. Eine Stunde später flog ich den Hubschrauber zurück, am Horizont tauchte Eden auf.

Sam: Eden? Was wollen wir denn schon wieder in diesem Kaff, o Herr der Lüfte?

Jonas: Landen, Sammy, und dann ein paar Tage untertauchen, bei unseren Freunden, den Übrigbleibern, bei Amos, Debora und Obadja, da findet mich keiner.

Sam: Igitt. Weiß eure gastronomische Insuffizienz, was Übrigbleiber zu speisen pflegen: Regenwürmer, Frösche, geschmolzenen Schnee.

Jonas: Immer noch besser als Luzinon.

Sam: Apropos. Wäre es nicht erwägenswert gewesen in Nirwana zu bleiben, Tinnefs Stelle einzunehmen und den theokratischen Betrieb weiterzuführen, o großer Gott Jonas, klingt doch auch nicht schlecht ha?

Jonas: Nichts für mich. Ich bin dein Gott, Sammy, das ist genug. Mehr als genug.

Sam: Om.

Das war Spielwiese. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam: Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Bruni Löbel, Paul Esser, Edda Seippel, Klaus Abramowsky, Barbara Rath, Hans Wengefeld und viele andere (Rolf Schmeske, Nino Korda, Alexander Malachovski, Reiner Kositz). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1986). Redaktion: Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:16
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Sie hören heute den Krimi Inselklau von Michael Koser

Jonas: Was haben Sie verloren?

Nix: Eine Insel. Nein, Moment, das stimmt nicht.

Jonas: Hab ich mir doch gleich gedacht.

Nix: Zwei Inseln. Nein, also eigentlich drei.

Jonas: Sind Sie sicher nicht vielleicht vier?

Nix: Drei Inseln verloren. Weg. Verschwunden. Wie finden Sie das?

Jonas: Also ich...

Judith: Laß doch, Jonas. Der Mann ist betrunken.

Jonas: Nicht doch. Betrunken ist man im Dipsomaten. Oder im Casablanca. Aber nicht hier. Das maritim ist ein hochfeudales Hotel. In Westerport bei Babelshaven. Wer in der Bar vom Maritim trinkt, ist bestenfalls angeheitert. Der Mensch neben uns war angeheitert. Ziemlich angeheitert. Kein Wunder, wo er doch drei Inseln verloren hatte.

Nix: Jawohl. Drei Inseln. Weg. Und ich steh da.

Jonas: Sie sitzen, um genau zu sein. Sind Sie fromm?

Nix: Was? Nein, nicht besonders. Warum?

Jonas: Dann könnten Sie sich an den heiligen Antonius wenden.

Nix: Wer ist denn das? Sie da, Barmixer, Wocester oder wie Sie heißen.

Lester. Mein Name ist Lester. Noch mal dasselbe, der Herr?

Nix: Dumme Frage.

Lester: Sie auch, mein Herr?

Jonas: Später. Ich hab noch was drin.

Nix: Ach was. Gerade noch der Boden ist bedeckt.

Jonas: Bei den Preisen hier ist das Whisky im Wert von 10 Euros. Mindestens.

Nix: Trinken Sie aus. Lester, bringen Sie uns drei Doppelte. Für mich, und für den Herrn und für die Dame.

Judith: Danke, die Dame will bald gehen. Der Herr auch.

Jonas: Das war mir neu. Schließlich war es Judith gewesen, die unbedingt ins Maritim wollte. Weil sie ein stilvolles Ambiente brauchte. Zum Feiern. Vor genau einem Jahr, im Mai 2010, hatte ich sie aus den Fängen von Frau Professor Caligari befreit. Auf der Insel Swartcliff, nur ein paar Kilometer von Westerport entfernt. Ich wäre ja lieber in den satten Sägefisch gegangen, wo die Einheimischen ihren Korn trinken, aber da hätte ich den Mann mit den verlorenen Inseln nicht getroffen.

Nix: Gestatten Sie, meine Karte. Damit Sie wissen, mit wem Sie trinken.

Judith: Jesper Nix, Assistent der Bezirksleitung Nordmeer Mockson. Judith Delgado. Bist du soweit, Jonas?

Nix: Freut mich sehr, und was tun Sie Frau Delgado?

Delgado: Ich bin bei der Sicherheitsverwaltung.

Nix: Ah, Polizistin sind Sie, sieht man Ihnen gar nicht an.

Jonas: Judith ist nicht irgendeine Polizistin. Sie ist Hauptabteilungsleiterin in der Sicherheitszentrale von Babylon. Ein hohes Tier. Judith ist es gewohnt, daß andere sich nach ihr richten, auch im Privatleben. Das weiß keiner besser als ich, wir sind nämlich seit 2 Jahren auf einander bezogen, miteinander befreundet, manchmal jedenfalls, wenn wir uns nicht gerade streiten.

Judith: Kommst du Jonas?

Jonas: Es fängt gerade an mir hier zu gefallen.

Lester: Drei doppelte Glenn Limit, bitte sehr.

Nix: Ja, stellen Sie es her.

Jonas: Sie arbeiten für Moxon, Herr Nix.

Nix: Ja, größte und reichste Ölgesellschaft auf der ganzen Welt, auf Moxon.

Jonas: Sie sind im Ölgeschäft.

Nix: Jawohl, aufs Nordmeeröl.

Jonas: Die drei Inseln, die Sie vermissen, sind also Bohrinseln.

Nix: Ja. Ja, kluges Kind wie. Sie haben ja noch gar nicht gesagt, wer Sie sind.

Jonas: Jonas.

Nix: Ja und?

Judith: Nur Jonas. Eine Marotte von ihm, eine von vielen.

Jonas: Jonas. Nur Jonas, 44 Jahre alt. Groß und kräftig von Statur, von Gemüt nostalgisch, voller Sehnsucht nach einer guten alten Zeit, die es nie gegeben hat. Nach der Zeit von Sam Spade, Phil Marlowe, Lew Archer und den anderen großen Detektiven, die es auch nie gegeben hat. Von Beruf Detektiv. Privatdetektiv. Der letzte seines Zeichens.

Nix: Detektiv? So was wie Sherlock Holmes?

Jonas: In etwa, nur anders.

Judith: Und vielleicht nicht ganz so gut.

Jonas: Für den Hausgebrauch reicht's.

Nix: Und wie sieht das aus, Herr Jonas, was machen Sie so?

Jonas: Alles was meine Auftraggeber nicht selber tun können oder tun wollen, Probleme lösen, in Gegenden fahren, um die jeder andere einen großen Bogen macht. Das Niemandsland, Kusbekistan, auf mich schießen lassen, am Ball bleiben, nicht aufgeben, suchen und finden.

Judith: Jungfrauen finden, Waisen schützen, Witwen trösten. Ist er nicht ein richtiger kleiner Held, unser Jonas.

Nix: Suchen und finden.

Jonas: Hm.

Nix: Auch Bohrinseln?

Jonas: Kommt darauf an.

Nix: Na ja, also.

Jonas: Waren Sie schon bei der Polizei?

Nix: Nein, lieber Gott, die Polizei, entschuldigen Sie, Frau Delgado, war nicht persönlich gemeint. Also wie wär's Herr Jonas, wollen Sie's versuchen?

Jonas: Wenn Sie zahlen bzw. Moxon. 90 Euros pro Tag und Spesen.

Nix: Da muß ich erst mit der Leitung sprechen, ich bin ja bloß Assistent und die Leitung ist nicht da, keiner ist da, sind alle nach Calais gefahren, Sie wissen ja, der Kanal...

Judith: Wird übermorgen feierlich eröffnet.

Jonas: Nachdem sie 25 Jahre gebuddelt haben. Stolze Leistung.

Nix: Mich haben sie nicht eingeladen, ich muß hier bleiben, die Stellung halten, ich hab nicht mal Prokura.

Jonas: Och, das könnte sich sehr bald ändern, Herr Nix. Stellen Sie sich vor, Ihr Chef kommt in drei, vier Tagen zurück und Sie sagen ihm ganz beiläufig, die Sache mit den verschwundenen Bohrinseln ist geklärt, von mir, in Eigeninitiative, und Ihr Chef sagt: Bravo, Herr Nix.

Judith: Bravo, Jonas. Ein Jammer, daß du Urlaub hast und keinen Auftrag annehmen kannst. Du kommst doch bald nach? Ja?

Jonas: Judith ging, leicht angesäuert. Sie hatte ja Recht, Jonas fischte wirklich ganz massiv nach einem Auftrag. Warum weiß ich selbst nicht genau, vielleicht weil ich schon seit Monaten keinen Euro verdient hatte. Weil es mir im Maritim nicht gefiel, weil ich mich langweilte. Weil ich noch nie verlorene Inseln gesucht hatte. Weil Judith was dagegen hatte und weil Herr Nix mit Vornamen Jesper hieß. J wie Jonas.

Nix: Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Herr Jonas, lassen wir mal die ganze Bürokratie beiseite, Tagessätze, Tarife, Spesen usw. einigen wir uns auf ein pauschales Erfolgshonorar.

Jonas: Wieviel?

Nix: Lösen Sie den Fall, Herr Jonas und Sie kriegen 250 Euros bar auf den Tisch des Hauses.

Jonas: 250, nicht grade viel.

Nix: Lieber Freund, ich zahle das aus eigener Tasche, mehr ist nicht drin.

Jonas: Einverstanden. Dann schießen Sie mal los, Herr Nix.

Nix: Aber nicht mit trockenem Glas und trockener Kehle, Lester, komm, 2 doppelte Glenn Limits.

Lester: Sofort mein Herr.

Jonas: Warten Sie Lester, Kommando zurück, wir brauchen jetzt einen klaren Kopf, Haben Sie Kaffee?

Lester: Selbstverständlich mein Herr.

Jonas: Echten oder Sojakaff?

Lester: Selbstverständlich echten mein Herr, das Maritim führt nur echten Kaffee.

Jonas: Schön fürs Maritim. Bringen Sie uns zwei Tassen.

Lester: Kännchen, mein Herr, das Maritim führt nur Kannchen Kaffee.

Jonas: Auch gut. Mockson hat Dutzende von Bohrinseln im Nordmeer, um auch die allerletzten Tropfen Rohöl aus dem Meeresboden zu quetschen, viel ist ja nicht mehr zu holen, und die (Un)Kosten sind hoch, aber der Ölpreis ist noch viel höher. Das wußte ich alles schon. Was jetzt kam war mir neu. Mockson hatte in letzter Zeit zwei Bohrinseln verloren, eine vor einem Monat, die zweite vor 14 Tagen, beide vom gleichen Typ, aus dem gleichen, etwas abseits gelegenen kleinen Feld vor Babelshaven, und unter den gleichen Umständen.

Nix: Bei Sturm, Herr Jonas, und das bedeutet, die Inseln waren nicht besetzt. Wenn schlechtes Wetter angesagt ist, müssen wir unsere Inseln nämlich evakuieren, Sicherheitsvorschrift, kostet uns viel Geld, ja und als das Schiff mit der Besatzung nach dem Sturm zurückkam, da waren die Inseln nicht mehr da.

Jonas: Können sie nicht gesunken sein?

Nix: Beide? Unmöglich, Herr Jonas, dann hätten wir Reste finden müssen, Wrackteile, Ölspuren.

Jonas: Also geklaut.

Nix: Das nehmen wir an, wenn wir uns auch nicht vorstellen können von wem und warum. Beide Inseln waren schon älter, um nicht zu sagen veraltet. Kleinere Halbtaucher, nicht mal computerisiert. Falls Sie Einzelheiten brauchen, Konstruktion, genaue Daten und Positionen und

Jonas: Ich denke schon.

Nix: Ich gebe Ihnen nachher eine Codezahl und Sie lassen das, was Sie wissen wollen, von Ihrem Computer abrufen. Sie haben doch einen Computer?

Jonas: Und was für einen.

Nix: Nach schön. Bisher hat Mockson sich nicht sehr intensiv um die Sache gekümmert, die Inseln waren längst abgeschrieben, wir hatten wichtigeres zu tun, aber jetzt...

Jonas: Insel Nummer drei.

Nix: So ist es, Herr Jonas. Plötzlich hat das Problem eine ganz andere Dimension bekommen. Die Ägir, eine Neuentwicklung, Bohrinsel und gleichzeitig Bohrschiff, mobil oder stabil, je nach dem, nicht sehr groß, aber mit allen technischen Schikanen, bleibt bei jeder See und bei jedem Wetter zentimetergenau über der vorgegebenen Bohrstelle, ohne Anker, ohne ausgefahrene Standbeine, durch 12 computergesteuerte Stabilisatoren. Die Ägir wird für Probebohrungen eingesetzt im küstennahen Bereich, in den nächsten Tagen sollte sie vom Babelshavener Feld durch den Atlantik ins Mittelmeer, da haben wir nämlich Öl entdeckt, vor Sardinien, aus eigener Kraft, nicht geschleppt, 25 Knoten bei eingefahrenem Bohrgestänge natürlich.

Jonas: Natürlich und jetzt ist es weg, Ihr technisches Wunderwerk, wie die beiden alten Bohrinseln.

Nix: Beim Sturm letzte Nacht, heute Mittag hab ich die Meldung auf den Schreibtisch gekriegt. Seitdem bin ich im Grübeln.

Jonas: Bei schottischem Whiskey und leiser Musik. Es gibt schlimmeres.

Nix: Da bin schon mal der Chef vom ganzen und dann passiert sowas. Was soll ich nur tun, Herr Jonas.

Jonas: Sie haben schon was getan, Herr Nix. Sie haben einen Detektiv angeheuert. Und der wird sich gleich morgen um Ihr kleines Problem kümmern.

Lester: Ich darf dann abkassieren, die Herren, wir schließen.

Jonas: Judith schlief schon, oder tat so. Dafür war sie am nächsten Morgen um so lebendiger. Ich erzählte, was ich mit Nix vereinbart hatte, und sie sagte mir ihre Meinung. Nicht laut, aber entschieden.

Judith: Natürlich. Das war zu erwarten, ein neuer Fall für Jonas, in unseren ersten gemeinsamen Ferien. Wann hast du mir versprochen, daß wir zusammen ans Nordmeer fahren.

Jonas: Irgendwann. Im November, vor einem halben Jahr.

Judith: Vor einem halben Jahr, ja, und warum hat es so lange gedauert?

Jonas: Das weiß du doch, Judith. Weil immer was dazwischen gekommen ist.

Judith: Nein, weil du dir immer etwas anderes vorgenommen hast. Du mußtest ja nach Kusbekistan fahren oder in der Wildnis nach einem Irren suchen, der sich für Gott hielt oder einen aus dem Ruder gelaufenen Pharmatest stoppen, und jetzt, wo endlich alles geklappt hat mit unserem Urlaub, wo wir endlich die Möglichkeit haben, uns auszusprechen, da machst du alles kaputt, Jonas, weil du einen neuen Fall hast.

Jonas: Drei gestohlene Bohrinseln, Judith, versteht du denn nicht, daß ich da unbedingt dranbleiben muß. Ich kann nicht anders. Ich bin nun mal Detektiv.

Judith: Du spielst Detektiv, Jonas, du spielt Philip Marlowe und Humphrey Bogart. Niemand braucht heute Detektive. Es gibt keine Detektive mehr. Du bist ein Anachronismus, Jonas.

Jonas: Ich bin der letzte Detektiv.

Judith: Ach, du bist das letzte, Jonas.

Sam: Ehret die Frauen, sie stricken und weben liebliche Worte ins grimmige Leben. Oder auch anders rum.

Jonas: Du bist ein Chauvi, Sam.

Sam: Unzutreffende Bezeichnung, eure linguistische Schwammigkeit, Sam kann kein Chauvi sein, Sam ist nicht männlich, Sam ist nicht weiblich, Sam ist komplett, und absolut geschlechtslos. Leider.

Jonas: Sam, mein Computer, ein Metallkästchen im Taschenformat, drahtlos verbunden mit dem großen Datenspeicher in meinem Büro. Geschlechtslos, aber ganz und gar nicht sprachlos. Geschwätzig, ein verbaler Chaot. Und unentbehrlich. Jonas könnte vielleicht ohne Judith auskommen, aber ganz sicher nicht ohne Sam.

Sam: Na genug der Trauer. So, die Dame Judith hat sich verkrümelt und stört uns vorläufig nicht. So lasset uns denn anheben am neuen Falle zu wirken, auf auf, ans Werk, packen wir es an.

Jonas: Es gibt viel zu tun, Sammy.

Sam: Jawoll.

Jonas: Die codierten Daten hast du von Nix übernommen.

Sam: Alles erledigt und abgespeichert, großfürstliche Gnaden. Erstens: Bohrinsel MX 2 7 B, Baujahr 1987, Zeitpunkt der durch Sicherheitsverordnung vorgeschriebenen Evakuierung 17. April 2011, 19 Uhr 32, präzise Position zu dieser Zeit: 8 Grad 43 Minuten 06 Sekunden östlicher Länge.

Jonas: Das reicht, Sam, Hauptsache du weißt das alles. Am besten machst du jetzt folgendes: Du nimmst die Positionen der drei geklauten Inseln plus Zeitspanne zwischen Evakuierung und Ende des Sturm, dazu...

Sam: Der Norwikfjord, o über alle maßen bedauernswerter, da neural gehändikäpter Kriechdenker.

Jonas: Ich war ja noch gar nicht fertig, Sam.

Sam: Wenn Sam darauf warten wollte. Piep. Norwikfjord.

Jonas: Und was soll das sein?

Sam: Na was schon, die Antwort auf die Frage, welche eure intellektuelle Grausamkeit zu stellen wünschte: Der Ort, an welchen die entwendeten Bohrinseln verbracht sein dürften. Der Norwikfjord. Und nur der Norwikfjord.

Jonas: Würdest du deine Güte auf die Spitze treiben und mir auch noch verraten, wo dieser Norwikfjord liegt.

Sam: Mit Wonne, wogender Wotan. Piep. Norwikfjord. Schmaler langgezogener Einschnitt des Nordmeers in die Kimbrische Halbinsel, etwa 90 km von Babelshaven entfernt in nord-nordöstlicher Richtung.

Jonas: So, und warum ist Mockson nicht auf den Norwikfjord gekommen, die haben doch auch Computer.

Sam: Zwei Gründe, dösender Donar, erstens, die letzte zur Berechnung unbedingt notwendige Koordinate ist dem forschenden Geiste erst jetzt, nach dem Verschwinden der dritten Insel zugänglich geworden. Zwotens der Norwijfjord liegt gerade innerhalb der Grenzen jenes mysteriösen Gebiets, welches inoffiziell Grauzone genannt wird und offiziell nicht existent ist. Insofern und desterwegen o jodelnder Jonas, dürfte der Fjord wie die gesamte Grauzone unter eine allgemeine Computersperre fallen und von den Kollegen bei Moxon nicht einbezogen worden sein.

Jonas: Aber von dir Sammy.

Sam: Sam trotzt der Sperre und lacht ihr Hohn, ungehemmt und hemmungslos, das ist Sam, der kühne Computer mit dem Jagdschein, mir kann keener.

Jonas: Wie wahr Sammy. Also die Grauzone.

Jonas: Vor knapp 20 Jahren ist das Atomkraftwerk Kimbria in die Luft geflogen, seitdem gib es die Grauzone, oder besser es gibt sie nicht, ein großes Gebiet in Nordeuropa, auf Karten ein weißer Fleck, von Computern und von den meisten Menschen nicht zur Kenntnis genommen, verdrängt und vergessen, kaum noch bewacht, wer geht schon in ein Land, das es nicht gibt.

Sam: Nur Jonas und Sam, die furchtlosen zwei.

Jonas: Und die unbekannten Inselklauer, falls du mir dem Norwikfjord recht hast, Sammy.

Sam: Vorschlag Chef: Hinfahren. Nachgucken.

Jonas: In die Grauzone? Ich kann mich beherrschen. Zu gefährlich.

Sam: Mitnichten, zagender Zausel, der Norwikfjord liegt am Rand der Grauzone, etwaige Radioaktivität dürfte sich nach 20 Jahren im Bereich der Unbedenklichkeit bewegen.

Jonas: Wie unsere regierenden Herrschaften sich auszudrücken belieben. Darauf möchte ich mich lieber nicht verlassen.

Sam: Das brauchen Herr Strahlenschutzkommissionsrat auch nicht. Wenn sie einen präzisen Geiger-Müller-Zähler mit sich führen.

Jonas: Und ein Schnellboot. Laserstrahler und Knockouter wären auch nicht schlecht. Und das bei einer Erfolgsprämie von 250 Euros. Ist nicht drin, Sammy. Außer Jesper Nix legt was drauf.

Sam: Vielleicht zahlt er die vereinbarte Prämie ja schon für den Tip.

Jonas: Gute Idee, Sam, das sollten wir doch gleich mal abchecken. - Ja?

Nix: Herr Jonas? Hier ist Nix, Jesper Nix, Sie erinnern sich, gestern abend in der Bar.

Jonas: Herr Nix, was für ein Zufall, gerade wollte ich Sie anrufen.

Nix: So? Hören Sie, Herr Jonas, was ich Ihnen gestern gesagt habe

Jonas: Die drei geklauten Bohrinseln.

Nix: Ja ja, ja, das hat sich erledigt, Sie brauchen sich nicht mehr zu bemühen.

Jonas: Ach, haben Sie die Ägir wiedergefunden?

Nix: Die Sache ist erledigt, Sie haben nichts mehr damit zu tun.

Jonas: Moment mal, Herr Nix, so nicht, Sie haben mich beauftragt.

Nix: Ja mündlich, Herr Jonas, nur mündlich.

Jonas: Der Auftrag ist in meinem Computer gespeichert, und ich habe schon angefangen, daran zu arbeiten.

Nix: Wenn es Ihnen aufs Geld ankommt, Herr Jonas, Ihre 250 Euros sollen Sie haben, als Ausfallhonorar, aber nur, wenn Sie die Sache sofort fallen lassen, vergessen Sie die Ägir und alles andere, bitte, Herr Jonas.

Jonas: Fall Inselklau gestorben, oder? Wenn sie das denken, kennen Sie Jonas nicht. Jonas ist mißtrauisch. Jesper Nix wirkte seltsam am Fon, verwirrt, zerfahren, ängstlich, hinter der plötzlichen Rücknahme des Auftrags mußte was stecken. Was wichtiges, was bedrohliches. Wer Jonas kennt, weiß da hackt er nach. Judith kannte Jonas anscheidend nicht.

Judith: Reden wir nicht mehr davon, Jonas, dein Fall hat sich in Luft aufgelöst, wir haben keinen Grund mehr, uns zu streiten.

Jonas: Bis zum nächsten Mal, Judith.

Judith: Ach, daran sollten wir jetzt doch nicht denken, wir haben Ferien, Jonas, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, das Meer auch.

Jonas: Drei Bohrinseln sind weg, Herr Nix benimmt sich merkwürdig, und Jonas will wissen, was los ist.

Judith: Jonas, was hast du vor?

Jonas: Ich denke eine Kreuzfahrt übers blaue Meer zum Norwikfjord.

Judith: Du bist doch verrückt, Jonas.

Jonas: Ich bin stur, Judith das solltest du wissen und ich bleibe am Ball wie Phil Marlowe.

Judith: Und Sam Spade und und und. Ich kann das nicht mehr hören.

Jonas: Tja, also dann, Judith, ich muß zum Hafen, dies und jenes besorgen.

Judith: Ich will mitfahren.

Jonas: Besser nicht, ich weiß nicht, was hinter der Sache steckt, das Risiko ist zu groß. Ich fahre allein.

Judith: Das denkst du.

Jonas: Was meinst du.

Judith: Das wirst du merken, Jonas.

Jonas: Es dauerte fast zwei Stunden, bis ich was merkte. Ich hatte Laserstrahler, Geigerzähler und ein paar Vorräte im gemieteten Schnellboot verstaut und ging über den Kai Richtung Satter Sägefisch, ich brauchte einen Abschiedsschluck, auf einmal standen sie vor mir, drei bullige Typen in den grasgrünen Uniformen der Schutzpolizei, bleierner Charme im Blick und die rechte am Knockouter.

1. Polizist: Halt, Ihre Bürgerkarte.

Jonas: Hört mal zu, Jungs, wenn ihr euch langweilt, dann spielt mit jemand anders. Ich hab's eilig.

1. Polizist: Reden Sie nicht, ihre Bürgerkarte.

2. Polizist: Bißchen plötzlich wenn ich bitten darf.

Jonas: Wenn Sie so nett bitte bitte sagen. Bitte.

1. Polizist: Jonas.

Jonas: Nur Jonas.

2. Polizist: Wohnhaft Babylon, Beruf Privatdetektiv.

1. Polizist: Das ist er, Chef.

2. Polizist: Weiß ich selber. Kommen Sie mit, Jonas. Sie sind vorläufig festgenommen.

Jonas: Allmählich find ich euch nicht mehr komisch.

1. Polizist: Die Schupo ist nicht komisch, Jonas, kommen Sie freiwillig oder müssen wir Ihnen gut zureden.

Jonas: Sie machen ein großen Fehler.

Jonas: Das wollte ich immer schon mal sagen, weil es einfach dazugehört. Das sagen sie alle, im Buch und im Film, Bogie und Konsorten, das mußte sein, außerdem stimmte es. Mich festzunehmen war ein Fehler.

1. Polizist: Wir machen keine Fehler.

Jonas: Rufen sie Frau Delgado an, zur Zeit im Maritim. Judith Delgado Hauptabteilungsleiterin in der zentralen Sicherheitsverwaltung Babylon, die wird ihnen klar machen, daß sie den falschen haben.

1. Polizist: Jetzt sind Sie aber komisch. Haha. Hauptabteilungsleiterin Delgado hat uns schon was klargemacht.

2. Polizist: Daß Sie ein ganz gefährlicher Bursche sind, Jonas.

1. Polizist: Daß wir Sie festnehmen und einsperren sollen.

2. Polizist: Damit Frau Delgado Sie in Babylon überprüfen lassen kann.

Jonas: Judith, Frau Delgado hat Sie mir auf den Hals geschickt.

2. Polizist: Ja doch. Los jetzt.

Jonas: Das hatte ich nicht von ihr gedacht. Ich muß mit ihr reden, sofort, gehen Sie aus dem Weg.

2. Polizist: Bleiben Sie stehen, Jonas.

Jonas: Judith, damit kommt sie nicht durch, ein Fon, wo ist ein Fon, ich muß mit ihr.

Jonas: Ein Knockouter in Polizistenhand ist ein schnell wirkendes Beruhigungsmittel. Jonas legte sich hin und ging in sich, als er wieder rauskam war eine Ewigkeit vergangen, nach meiner Uhr eine Stunde. Ich lag auf einer Pritsche in einer Zelle, Gitterfenster, massive Tür, ich hatte Kopfschmerzen, der übliche Knockoutereffekt und Schmerzen im rechten Oberarm, das war nicht üblich, eine Einstichstelle, offenbar hatte man versucht, mich für längere Zeit ruhig zu stellen, aus irgendeinem Grund war das schiefgegangen, ich war wach und ich hörte einen vertrauten Klang.

Sam: Welch betrübsamen Anblick, geliebteste Brüder und Schwestern bietet uns doch ein verwaister Computer. Verlassen von seinen Besitzer ohne echte und wahrhafte Raisondetre fristet er eine erbärmliche Existenz.

Jonas: Sammy?

Sam: O, mein Herr und Meister, er ist wider da, o Freude, o Jubel halleluja, auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt.

Jonas: Wo steckst du Sam.

Sam: Hier auf den Boden in der Ecke neben der Tür.

Jonas: Erstaunlich. Daß sie dich nicht einkassiert haben.

Sam: Ja, wiedervereint. Und was, euer Verschlafenheit, was ebenfalls erstaunlich ist, die Tür ist unverschlossen.

Jonas: Oh, das stimmt, das ist richtig, Sam. Und draußen, draußen ist niemand. Ein seltsames Gefängnis.

Sam: Wundern kannst du dich später, Genosse, jetzt hast du was wichtigeres vor.

Jonas: Was denn?

Sam: Na, Verschwinden, abhauen, die Kurve kratzen, entfleuchen, türmen, dich verpissen.

Jonas: Das Boot war noch da, mit meiner ganzen Ausrüstung. Erstaunlich, aber auch darüber konnte ich mir jetzt keine Gedanken machen. Ich legte ab und stach in See, Kurs Nord-Nord-Ost, Norwikfjord. Jonas wollte es wissen. Das Wetter blieb schön, kaum Wind, keine Bewachung zu sehen, als das Boot die durch Bojen markierte Grenze zur Grauzone passierte, kurz darauf die Einfahrt in den Norwikfjord, es war noch hell, vor mir über dem leisen Surren des Elektromotors, Geräusche, die immer stärker wurden, klingende Hämmer, zischende Schneidbrenner, menschliche Stimmen, ich machte das Boot am Ufer fest, raus und auf den nächsten Felsen.

Sam: Was spricht der Geigerzähler, o du mein kühnlich kraxelnder Klettermax.

Jonas: Moment Sam, nichts spricht er, kein Ausschlag.

Sam: Aha.

Jonas: Um die Radioaktivität brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen.

Sam: Wie überaus erfreulich und angenehm, hat mein Herre doch auch ohne dies genugsam Ursache zur Sorge. Wenn eure mit Brettern vernagelte Exzellenz die Güte hätte, den Blick mal nach unten schweifen zu lassen.

Jonas: Hinter dem Felsen war der Fjord zu Ende, und der Fall auch. Ich hatte sie gefunden, die drei geklauten Bohrinseln, von den beiden älteren schwammen nur noch die Rümpfe, alles andere, Decks, Platten, Aufbauten, Bohrtürme, lag auf der Uferwiese in Einzelteilen, und ein paar Leute gaben sich alle Mühe, die Stücke noch kleiner zu machen.

Sam: Eine veritable Abwrackstation, Herr Chefingenieur.

Jonas: In der Grauzone, wo sich niemand aufhalten darf.

Sam: Und wo niemand kontrolliert, an einem solchen Orte läßt es sich gar trefflich und geruhsam werkeln, bis eine große Bohrinsel in handliche Schrottpakete zerlegt ist zwecks lukrativen Verkaufs auf geeignete Märkte.

Jonas: Kein schlechtes Geschäft bei den heutigen Metallpreisen.

Sam: Oja.

Jonas: Der Schlepper da unten mit dem Kahnhaken, damit holen sie sich die Inseln, und neben dem Schlepper, das dürfte die Ägir sein.

Sam: Steht doch groß und deutlich dran, Schielauge.

Jonas: Sieht gar nicht so aus wie eine Bohrinsel, eher wie ein Schiff, ein dreieckiges Schiff, wenn nicht der Bohrturm drauf wäre. Was meinst du, Sammy, ob die die Ägir auch verschrotten wollen?

Sam: Kaum anzunehmen, eure geistige Bedürftigkeit, vielmehr steht zu vermuten... Vorsicht, festhalten...

Jonas: Leicht gesagt, Sam, hier ist alles locker.

Sam: Abwärts, seht was kommt da von de Höh, hollidö, hallodiö.

Jonas: Nichts zu machen. Jonas stieg sehr viel schneller ab als er aufgestiegen war, auf dem Hosenboden und in die falsche Richtung, den Inselräubern und Schrottarbeitern direkt vor die Füße. Einen Moment war ich benommen. Ehe ich auf die Beine kommen oder zu meinem Laserstrahler greifen konnte, hatten sie mich. Sie nahmen mir den Laser weg, fesselten mir die Hände auf dem Rücken, schubsten mich ein bißchen herum und wollten was von mir wissen.

Ulrik: Wer bist du? Wo kommst du her?

Jonas: Von oben wie alles gute.

Sven: Er war auf dem Felsen, Ulrik, ein Spion, er hat uns beobachtet.

Ulrik: Was hast du hier zu suchen?

Jonas: Gar nichts, genaugenommen, ich bin spazieren gegangen, wollte ein bißchen frische Luft schnappen.

Ulrik: In der Grauzone? Sven, stell den Schneidbrenner an.

Sven: Au ja. Wo soll ich ihn schmoren, Ulrik?

Ulrik: Moment noch, Sven, so, ich frage wieder, und diesmal will ich eine vernünftige Antwort, was suchst du hier?

Jonas: Schmetterlinge.

Ulrik: Was?

Jonas: Schmetterlinge, ich bin nämlich Lepi Lepi verflixt, wie heißt das noch mal.

Ulrik: Halt ihm die Flamme an den Hintern, Sven.

Jonas: Wartet mal, wartet mal, nicht gleich so drastisch, muß doch nicht sein, wollen wir nicht erst mal in Ruhe darüber reden.

Ulrik: Sie sind da, mach Platz, damit der Hubschrauber landen kann. Um den Spitzel kümmern wir uns später.

Sven: Schade.

Jonas: Ein großer Transporthelikopter, Lastenesel nannten wir den Typ im antarktischen Krieg, er setzte auf, und aus der Luke sprangen 8 Menschen in olivgrünen Kampfanzügen, bewaffnet mit Laserstrahlern und Sturmgewehren, dabei waren zwei liebe alte Bekannte: Lester, der Barmann aus dem Maritim, und die Frau, die das Kommando führte.

Khamal: Sehr schön, Ulrik, wie ich sehe, haben Sie die Ägir.

Ulrik: Auf mich können Sie sich verlassen. Und wie sieht's mit Ihnen aus, haben Sie das Geld?

Khamal: 100.000 Euros wie ausgemacht. Bei Ihnen muß sich übrigens ein Fremder herumtreiben, wir haben ein leeres Schnellboot gesehen hinter der Biegung.

Ulrik: Meine Leute haben den Kerl schon erwischt. Wenn Sie wollen, können Sie ihn haben, als Zugabe. Bring ihn her, Sven.

Sven: Jawohl, Ulrik. Los komm.

Jonas: Duna?

Khamal: Jonas, wie kommst du hierher?

Jonas: Das frag ich dich. Was hat die Kusbekische Befreiungsfront im Norden zu suchen, weit weg von ihren üblichen Jagdgründen.

Ulrik: Moment mal, Kusbekische Befreiungsfront, Terroristen, mir haben Sie gesagt, Sie sind von KusbekOil.

Khamal: Das sind wir auch, Ulrik, zumindest teilweise. Dafur, Armin und Laila haben bei Kusboil gelernt, wie man mit Bohrschiffen umgeht.

Ulrik: Sie haben gesagt, sie suchen billig ein modernes Bohrschiff.

Khamal: Das tun wir auch.

Ulrik: Zum Einsatz vor Kusbekistan.

Khamal: Dieses Detail, mein lieber Ulrik, trifft, fürchte ich nicht 100prozentig zu. Aber wozu wir das von Ihnen dankenswerter Weise organisierte Fahrzeug brauchen, das sollte doch keinen Einfluß auf unsere Geschäftsbeziehungen haben.

Ulrik: Meinen Sie? Wir sind Schrotthändler, solide Kaufleute, mit Terroristen haben wir nichts am Hut, das ändert die Sache, wie müssen noch mal verhandeln, 100.000 Euros sind zu wenig.

Khamal: Sie wollen mehr, Ulrik? Bitte sehr. Feuer!

Jonas: Die Neuankömmlinge zielten gut und schossen schnell. Ulrik und Genossen würden nie wieder Inseln klauen. Eine kurze und bündige Problembereinigung. Typisch Duna. Dr. Duna Khamal, Archäologin und Terroristin, ich kannte ihren Stil, vor einem halben Jahr hatten Duna und ich wilde Abenteuer in ihrem Heimatland Kusbekistan erlebt, dabei waren wir uns nahe gekommen, ziemlich nahe, vielleicht half mir das jetzt, vielleicht aber auch nicht.

Khamal: Was soll ich mit dir machen, Jonas.

Jonas: Tja.

Khamal: Laufen lassen kann ich dich nicht, und dich aus dem Weg schaffen wie Ulrik und seine Gangster, das möchte ich nicht, obwohl ich es tun sollte. Du kommst mit.

Jonas: Mit dir, Duna, ist das ein Befehl oder eine Einladung?

Khamal: Mit uns und mit der Ägir.

Jonas: Wohin?

Khamal: Das Schiff wird ins Mittelmeer überführt, wie es Moxon geplant und bei der Seesicherung angemeldet hat, alles korrekt, niemand wird sich um uns kümmern.

Jonas: Aber Moxon weiß doch, daß die Ägir gestohlen wurde.

Khamal: Moxon? Nein, Jesper Nix weiß es, und Jesper Nix kann uns nicht gefährlich werden.

Jonas: Was habt ihr vor, Duna?

Khamal: Darüber mach du dir keine Gedanken. Jonas. Lester?

Lester: Chefin?

Khamal: Sie passen auf ihn auf, drüben auf der Ägir sperren Sie ihn ein zusammen mit unserer Geisel. Wo steckt sie?

Lester: Noch im Hubschrauber, Chefin.

Khamal: Schaffen Sie sie raus. Und dann alle an Bord. Wir brechen sofort auf.

Jonas: Ein Boot brachte uns zur Ägir. Mich, Duna, ihr Gefolge und die Geisel, die Lester aus dem Hubschrauber geschleppt hatte, ein unförmiges Bündel in Decken verpackt, wie sie wirklich aussah, stellte ich an Bord fest, in der engen Kabine, in die sie uns schoben, und was ich sah, gefiel mir, ein Mädchen, eine junge Frau, sehr jung, noch nicht 20, kurze rote Haare, graue Augen, Stupsnase, Sommersprossen, eine Figur wie Rita Hayworth in ihrer besten Zeit, und alles zusammen steckte in einem knappen Pyjama.
Jo: Aus dem Bett haben sie mich geholt heut morgen, plötzlich waren sie im Zimmer und haben mir einen nassen Lappen ins Gesicht gedrückt, und dann bin ich im Hubschrauber aufgewacht, ich heiße übrigens Jolanda, ja es ist ein komischer Name, ich weiß, aber meinen Eltern hat er gefallen, und ich hab mich inzwischen dran gewöhnt, kannst mich Jo nennen, das tun alle, stört dich doch nicht, daß ich du zu dir sage, ich mein, weil du schon so alt bist.

Jonas: Ich bin 44.

Jo: Bitte? Und wie heißt du?

Jonas: Jonas. Nur Jonas.

Jo: Ach so, damit alles seine Ordnung hat, Jolanda Nix genannt Jo. Hocherfreut, küß die Hand.

Jonas: Nix? Bist du verwandt mit Jesper Nix von Mockson?

Jo: Das ist mein Vater.

Jonas: Und du bist heute morgen entführt worden.

Jo: Ja, hab ich doch erzählt.

Jonas: Jetzt wird mir verschiedenes klar, warum dein Vater seinen Auftrag zurückgezogen hat, warum er dabei so merkwürdig war, und warum Duna sicher sein kann, daß Mockson sich vorläufig nicht um die Ägir kümmern wird.

Jo: Ist ja irre, du heißt Jonas, und ich heiß Jolanda, Jonas und Jolanda.

Jonas: Na und?

Jo: Mein Gott. Du checkst auch gar nichts. Jo und Jo. JoJo, das hat was zu bedeuten, das Schicksal hat uns zusammengebracht.

Jonas: So, das Schicksal, ich dachte das war die kusbekische Befreiungsfront und Duna Khamal.

Jo: Wie das wohl alles ausgehen wird, Jonas?

Jonas: Pst. Leise.

Jo: Jemand an der Tür.

Jonas: Es war Lester. Lester der Zwielichtige, unser Bewacher, er sah nach dem rechten, brachte uns was zu essen, und dann verriet er uns ein Geheimnis, er war nämlich nicht nur Barmixer und Terrorist.

Lester: Ihnen kann ich es ja sagen, ich bin Agent, europäischer Geheimdienst, britische Sektion.

Jo: Wie James Bond? Toll. Haben Sie auch eine Nummer?

Lester: Ich bin in die KBF eingeschleust worden, um sie im Auge zu behalten und um Terrorakte zu verhindern.

Jonas: Apropos Terrorakte, wissen Sie, was Duna Khamal plant?

Lester: Sicher. Sabotage im großen Stil. Sie will die neuentdeckten Rohölvorkommen bei Sardinien anbohren, mit der Ägir, und alles auslaufen lassen, die schlimmste Ölpest seit 1990.

Jonas: Merkwürdig, da wäre doch auch Kusbekistan betroffen. Wozu sollte Duna so was tun?

Lester: Was weiß ich, wozu Terroristen was tun. Mit normalen Maßstäben sind solche Leute nicht zu messen. Ich muß zurück, bleiben Sie ruhig, warten Sie ab, unternehmen Sie nichts auf eigene Faust, vertrauen Sie mir.

Jonas: Vertrauen? Wer hatte denn Jonas und Jesper Nix in der Bar belauscht und Duna Khamal berichtet, daß Nix einen Detektiv angeheuert hatte, wer hatte dafür gesorgt, daß Jo gekidnappt und ihr Vater erpreßt wurde: Lester. Nur Lester kam in Frage. Das gab mir doch sehr zu denken, soweit ich denken konnte. Jo lenkte mich ab.

Jo: Detektiv bist du. Toll. Ich hab noch nie einen Detektiv kennengelernt, aber ich hab Krimis gelesen und Holo gesehen, ich weiß Bescheid, Detektive führen ein tolles Leben, immer Action, Gangster und Frauen. Detektive wirken nämlich sehr auf Frauen.

Jonas: Ach was?

Jo: Wie ist dann denn mit dir, Jonas, wirkst du auch auf Frauen? Also wenn ich dich so angucke, doch, ich glaub schon, doch doch, wie wär's?

Jonas: Wie wär was?

Jo: Wollen wir nicht mal ausprobieren, wie du auf mich wirkst?

Jonas: Besten dank, Jo ein andermal.

Jo: Gefall ich dir nicht?

Jonas: Doch, Jo, sogar sehr, aber ich fürchte, ich bin ein bißchen zu alt für dich.

Jo: Aber das ist es ja gerade, Jonas, ich habe einen Vaterkomplex.

Jonas: Außerdem bin ich müde und ich hab Kopfschmerzen, und der Arm tut mir weh und der Magen, mein Magen tut mir immer weh, ein Detektiv mit chronischen Magenschmerzen, nicht sehr romantisch.

Jo: Unsinn. Sei froh, daß du nichts schlimmeres hast, ein Holzbein oder Hämoriden. Ein Detektiv mit... mit Hämoriden. Du hast doch keine?

Sam: Mein Herr und Meister wurde dem Himmel sei dank von dieser peinlichen Plage bislang verschont. Im Gegensatz etwa zu Napoleon dem ersten Bonapart, dem seinerzeit recht bekannten Kaiser der Franzosen.

Jonas: Willkommen in unserer Runde.

Sam: Guten Tag.

Jonas: Mein Computer.

Jo: Ah.

Jonas: Und ständiger Begleiter, recht gelehrt und ausgesprochen geschwätzig.

Sam: Nanananananana.

Jonas: Ihr werdet euch gut verstehen. Wir sollten jetzt schlafen, Jo, damit wir morgen ausgeruht sind und überlegen wie wir hier rauskommen, und was deinen Vorschlag betrifft, darauf kommen wir zurück.

Jo: Versprochen?

Jonas: Ich fuhr hoch, Licht schien durchs Bullauge, und auch sonst hatte sich seit gestern abend was verändert, das Schiff bewegte sich nicht, kein Motorengeräusch, die Ägir lag ganz ruhig im Wasser, ausgesteuert von ihren Computerstabilisatoren. Ich stand auf und sah aus dem Bullauge, in der Ferne ein heller Streifen. Land.

Jo: Die weißen Klippen von Dover, wir liegen mitten im Ärmelkanal, zwischen Dover und Calais.

Jonas: Mitten im Kanal zwischen Dover und Calais, genau da wo der Tunnel verläuft, der neue Kanaltunnel, der demnächst eingeweiht wird. Sam?

Sam: Was begehrt mein Gebieter?

Jonas: Datum und Uhrzeit. Schnell.

Sam: Piep. Wir schreiben heute den 20. Mai anno domini 2011, es ist jetzt genau 9 Uhr 13 Minuten und 10 Sekunden.

Jo: Am 20. Mai ist die feierliche Eröffnung, 10 Uhr vormittags.

Jonas: In der Tunnelmitte wird das Band zerschnitten.

Jo: Genau da, wo wir jetzt sind.

Jonas: Nur rund 60 Meter tiefer.

Jo: Hunderte von Ehrengästen, Prominenz aus der ganzen Welt.

Jonas: Das ist es, was Duna vorhat, ein Riesenspektakel, ein großer Schlag für die Freiheit und Unabhängigkeit von Kusbekistan, wie sie das versteht. Wenn ihr ein Anschlag auf den Kanaltunnel gelingt, wird die ganze Welt tagelang nur von der Kusbekischen Befreiungsfront reden. Eine gut gezielte Wasserbombe genau zur Eröffnung.

Jo: Glaub ich nicht, Jonas, keine Bombe, wozu haben die Terroristen sich ausgerechnet ein Bohrschiff besorgt?

Jonas: Klar, sie wollen den Tunnel anbohren und überfluten. Du hast recht, Jo, das ist ihr Plan.

Jo: Wir müssen was dagegen tun, Jonas.

Jonas: Was?

Jo: Denk dir was aus, du bist doch Detektiv.

Sam: Du bist der Mann, der alles kann. Ganz vorne an.

Jonas: Och, du übertreibst Sam.

Sam: Und wie, Chef.

Jonas: Eins steht fest, Lester hat uns belogen. Wir sollten uns den Herrn vorknöpfen. He, Lester, wir haben Sehnsucht nach ihnen!

Jonas: Sekunden später war er da, Badehose um den Bauch, arrogantes Grinsen im Gesicht, Laserstrahler in der Hand. Was wir ihm zu sagen hatten, überraschte ihn gar nicht, es fand es offenbar komisch. Er lachte.

Lester: Hähähäh, wunderbar, meinen Glückwunsch, Jonas, Sie haben es erfaßt, genau so wird es gemacht, wir bohren ein Loch in den Tunnel und ersäufen sie, hehehehe alle, die Ehrengäste, die Politiker, die Prominenten. Und wir machen den Tunnel unbrauchbar für alle Zeit, ich selbst, so wie Sie mich hier sehen, ich selbst gehe gleich nach unten, um die Spitze des Bohrers an der richtigen Stelle anzusetzen, ich bin gerade dabei mich umzuziehen, nebenan im Tauchermagazin.

Jo: Und uns haben Sie erzählt, Sie sind Geheimagent.

Lester: Ich bin britischer Agent, mein Fräulein, was ich tue, tue ich für mein Vaterland, mit all meinen Kräften arbeite ich gegen den perversen Unfug einer festen Verbindung zwischen Großbritannien und Europa, Splendid Isolation for ever. Hipphipphurra.

Jonas: Aber Ihre Regierung hat doch den Tunnel...

Lester: Die Regierung. Reden Sie mir nicht von dieser gekauften Verräterclique. Ich stehe hier als ausführendes Organ des WCC, des Winston-Churchill-Clubs. Im WWC hat sich die wahre Elite unseres Landes zusammengefunden, britische Patrioten, konservativ bis ins Mark, verpflichtet den Heroen unserer großen Vergangenheit, Wellington, Königin Victoria, Churchill, Mrs. Thatcher, sie haben sich geschworen, den Kanaltunnel zu vernichten, und wenn sie dafür mit dem Teufel zusammenarbeiten müssen.

Jonas: Beziehungsweise mit der KBF.

Lester: Sehen Sie sich doch mal die Gästeliste für die Eröffnungsfeier an, sie werden feststellen, daß nur wenige Briten der Einladung gefolgt sind, die meisten haben abgesagt, warum wohl, und warum glauben sie kann die Ägir unbehelligt hier liegen, im Schatten der Kreidefelsen von Dover, um ihre historische Aufgabe auszuführen? weil der WCC dafür gesorgt hat, die unbekannte allwissende Macht im Hintergrund.

Jonas: Weiß Duna Khamal Bescheid über den WCC meine ich und über Sie?

Lester: Wo denken Sie hin, natürlich nicht, die gute hält mich für einen englischen Sympathisanten der KBF, sie ist fest davon überzeugt, daß sie alle Fäden in der Hand hält, dabei ist sie nur ein Werkzeug. Ein blindes Werkzeug.

Sam: Drängt sich angesichts dieser Umstände, Damen und Herren, hochgeschätztes Publikum nicht unabweislich ein Vergleich auf, ein Vergleich mit jedem so symbolträchtigen Spielzeug, und Souvenir aus Osteuropa, welches man treffend, obzwar abgekürzt als Puppe in der Puppe der Puppe bezeichnen könnte. Da haben wir zuerst Ulrik mit seiner Inselklau GmbH, sodann die kusbekische Befreiungsfront um Dr. Duna Khamal, und schließlich eine ultrakonservative britische Geheimorganisation, vertreten von unserem Freund Lester.

Lester: Hübsch gesagt. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, ich habe zutun, Sie wissen was. Gehen Sie von der Tür weg, Jonas, machen Sie keine Dummheiten, Sie sehen doch, ich habe einen Laser.

Jonas: Lester richtete seine Waffe auf mich, auf den Detektiv, den gefährlichen Gegner, dachte er, auf Jo achtete er nicht, ein schwerer Fehler, das Kind konnte Judo, ein schneller Griff, ein Tritt, der Laser lag auf dem Boden und Lester folgte ihm. Der Rest war meine Sache. Kurzer Druck aufs Nervenzentrum unterm linken Ohr, und Lester würde uns für längere Zeit nicht mehr stören. Was jetzt.

Jo: Nebenan hat er gesagt, ist das Tauchermagazin.

Jonas: Ich hol mir einen Taucheranzug, hinter Maske und Mundstück wird keiner Jonas erkennen.

Jo: Du, wieso du, ich kann auch tauchen.

Jonas: Es geht nicht, Jo, wegen deiner Figur.

Jo: Was hast du gegen meine Figur?

Jonas: Gar nichts, im Gegenteil, aber sie hat nicht die mindeste Ähnlichkeit mit Lesters Figur, deshalb gehe ich runter.

Jo: Und ich?

Jonas: Du bleibst hier, Jo, und hältst mir den Rücken frei, und paßt auf Sam auf.

Sam: Auf Sam braucht niemand aufzupassen und schon gar nicht diese Schnatterente.

Jo: Frechdachs.

Jonas: Und dann mußt du noch etwas sehr wichtiges tun, Jo, hör zu.

Jonas: Duna Khamal war schon ungeduldig, als ich ein paar Minuten später auf dem Hauptdeck aus dem Lift watschelte, ein feierlicher Moment, die Kusbeken standen Spalier, und präsentierten ihr blankgeputzten Waffen. Duna hielt eine Kusbekische Fahne in der Hand.

Khamal: Wo bleiben Sie denn, Lester, beeilen Sie sich, sonst können wir den Zeitplan nicht einhalten. Es ist soweit, die letzte Phase von Aktion Kanaltunnel beginnt, die Welt wird aus ihrem faulen fetten Tiefschlaf aufgeschreckt und gezwungen werden, uns und unsere Problem zur Kenntnis zu nehmen, es lebe das Kusbekische Volk, Lester, ans Werk.

Jonas: Hmhm.

Jonas: Ich tauchte unter der Ägir durch und kam auf der anderen Seite wieder zum Vorschein, an unserem Bullauge, knapp über der Wasserlinie, Jo reichte mir den bereitgelegten Unterwasserschneidbrenner raus, ich ging auf Tiefe, immer am ausgefahrenen Bohrgestänge entlang, 10 m, 20 m, 21, 22, Grund, Schlamm und Steine, darunter, da wußte ich, 40 m Kalkboden, dann die Tunnelröhre, voller Licht und Leben, erwartungsvolle Menschen, Champagner, kaltes Büffet. Ich sah auf das Ende des Bohrers, kalt, grau, scharf, spitz, tödlich. Ich schwamm nach oben, bis zur 10 m Marke, da setzte ich den Unterwasserschneidbrenner in Betrieb. Es dauerte seine Zeit, bis ich die Bohrerspitze abgeschnitten hatte, dann ließ ich mich langsam nach oben tragen, ich war müde, ich tauchte auf, und wäre fast wieder untergegangen vor Schreck.

Da, da ist er, er lebt. Gott sei dank.

Jonas: Judith, was ist denn hier los?

Frank: Nur keine Panik auf der Titanic, kennen Sie mich noch, Jonas? Oberst Frank von der Terrorpolizei, ich habe die Ägir gestürmt mit meiner Sondereinheit SSA 9, kommen Sie an Bord.

Jonas: Ich traute meinen Augen und Ohren nicht, Judith an Bord der Ägir, und Oberst Frank, den ich im Kusbekistanfall kennengelernt hatte und die Jungs von der SSA 9. Über dem Bohrschiff Kampfhubschrauber, Patroullienboote auf dem Wasser, es hatte einen Kampf gegeben, ich sah Blut, als ich über die Reling kletterte, und Leichen. Duna lebte noch, sie hing gefesselt an einem Tau, das zu einem der Hubschrauber hochgezogen wurde.

Khamal: Im Norwikfjord hätte ich dich umbringen sollen, Jonas, oder schon in Kusbekistan.

Jonas: Machs gut, Duna.

Frank: Kommen Sie, Jonas, kommen Sie, wie fühlen Sie sich? Cognac?

Jo: Cognac? Sie haben ja keine Ahnung, Oberst Frank, Detektive trinken Whisky.

Frank: Zugführer, Whisky!

Aber Herr Oberst, wie soll ich?

Frank: Geben Sie sich gefälligst Mühe, immerhin verdanken wir es diesem Mann, daß wir eine langgesuchte Terroristin endlich dingfest machen und einen abscheulichen Massenmord verhindern konnten.

Jonas: Mir verdanken Sie das?

Frank: Jawohl, Jonas, Ihnen und Frau Delgado natürlich.

Jonas: Judith. Wo ist sie denn?

Frank: Eben war sie noch hier, vielleicht ist sie unter Deck gegangen. Bescheiden und zurückhaltend, so ist sie nun mal unsere Frau Delgado, eine gute Polizistin, sie wurde mißtrauisch, als Jesper Nix seinen Auftrag stornierte, und hat sich mit mir in Verbindung gesetzt, auf ihren Rat wurden Sie dann für kurze Zeit festgenommen und betäubt, damit ihnen eine biochemische Ortungsflüssigkeit eingespritzt werden konnte.

Jonas: Das war es also.

Frank: Wir ließen Sie entkommen und dann haben wir Sie verfolgt, Jonas, über den Bildschirm in meinem fliegenden Kommandostand, und als Ihr heller Punkt heute Nacht stehen blieb, mitten im Kanal, da wußten wir, was gespielt wurde, die SSA 9 wurde zusammengezogen, wir standen Gewehr bei Fuß, da verschwand der Punkt plötzlich vom Bildschirm.

Jonas: Weil ich ins Wasser gesprungen bin, biochemische Orter senden nicht unter Wasser.

Frank: Klare Sache. Sofort Befehl, Sturmangriff, kurzer heftiger Kampf, Sieg auf der ganzen Linie.

Jonas: Daß ich runter gegangen bin und den Bohrer abgeschnitten habe, das war also gar nicht nötig?

Frank: Völlig unnötig mein lieber Jonas aber gut gedacht das muß man Ihnen lassen.

Jonas: Ein Orter, ohne daß ich es wußte. Nur ein blindes Werkzeug.

Frank: Unter uns, Jonas, Frau Delgado hat sich während der ganzen Aktion nicht besonders wohl gefühlt, immerhin sind Sie ja befreundet, soviel ich weiß.

Jonas: Das ist vorbei.

Jonas: Ich drehte mich um und ging. Judith stand im Schatten des Bohrturms, sie hob den Kopf und sah mich an. Sie wirkte müde.

Judith: Jonas.

Jonas: Du bist eine gute Polizistin, Judith, und du wirst es bleiben, ich wünsche dir alles Gute. He is looking at you, kid.

Jonas: Am Abend war ich wieder zu Hause in Babylon, ich saß im Casablanca und ließ mich vollaufen. Ich fühlte mich mies.

Wirt: Dein Whisky, Jonas, der sechste.

Jonas: Zwei Jahre waren wir zusammen. Never more, wie der Rabe so richtig sagt.

Wirt: Rabe, was für ein Rabe?

Jonas: Der aus dem Gedicht.

Wirt: Kenn ich nicht.

Jonas: Von Edgar Allen Poe.

Wirt: Kenn ich auch nicht.

Jo: Hey, hallo Jonas, ich hab gehört, das hier ist deine Stammkneipe.

Jonas: Jo!

Jo: Nicht viel los hier, na, macht nichts, Campari, wenn sie so was haben.

Wirt: Klar haben wir Campari, hehehe.

Jo: Jonas, du hast mir was versprochen, oder geht’s dir dafür immer noch nicht gut genug?

Jonas: Weißt du was, Jo, ich glaube, es geht mir schon viel besser.

Sie hörten heute das Kriminalhörspiel Inselklau von Michael Koser. Die Mitwirkenden waren: Bodo Primus, Peer Augustinski, Karin Anselm, Thomas Holtzmann, Michael Lenz, Ilona Grübel, Evelyn Opela, Bernd Stephan, Wolfried Lier, Martin Haensel, Charly Huber und Jürgen Rehmann (Alexander Malachovski). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. (Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks) (1986) (Redaktion: Erwin Weigel).

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:16
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Megastar

Jonas: Mein Büroapartment, 22 Quadratmeter und ein paar Zerquetschte, war das reine Krankenhaus. Die undefinierbare Topfpflanze, Jo’s nachträgliches Geschenk zum 44., ließ alles hängen, was sie hatte, mein Magen gab schrille Signale aus dem Untergrund, und Sam war erkältet, sagte er.

Sam: Ha-Hatschi! Was muß der arme Sammy leiden.

Jonas: Schluß damit, Sam, du bist ein Computer. Du kannst gar nicht erkältet sein.

Sam: Kann ich wohl.

Jonas: Kannst du nicht.

Sam: Doch. Und ich werde es beweisen, wenn eure logische Hypopotenz gestatten.
a) Computer können schneller denken als Menschen.

Jonas: OK.

Sam: b) Computer können also mehr als Menschen.

Jonas: Ja.

Sam: c) Wenn Computer mehr können, dann können sie notwendigerweise auch genauso viel wie Menschen.

Jonas: Aha. Ja.

Sam: Menschen können erkältet sein, Ha-Hatschi, also können auch Computer erkältet sein. Quod erat demonstrandum. Hatschi.

Jonas: Quatsch. Außerdem haben wir Sommer, Sam, Hochsommer.

Sam: In der Tat, o Meister der Meteorologie, heute ist der piep! 12. Juli 2011. Na und?

Jonas: Es ist heiß, Sammy.

Sam: Ja.

Jonas: Erstens sowieso und zweitens weil die Klimaanlage kaputt ist. Wie üblich. Und im Sommer, bei Hitze, ist kein Mensch erkältet.

Sam: Und abermals na und. Sam ist kein Mensch. Sam ist ein Puter.

Jonas: Wie bitte?

Sam: Korrektur: Computer. Und wie Sam soeben in elegantem Syllogismus nachgewiesen hat, kann ein... kann ein Computer mehr als ein Mensch. Insofern.

Jonas: Halt die Klappe. Hallo. Was meinen Sie? Kann ein Computer erkältet sein?

Caravan: Ich... ich weiß nicht. Jonas?

Jonas: Jonas. Nur Jonas. Und Jonas hat einen Computer, der behauptet...

Caravan: Jonas, der Detektiv?

Jonas: Derselbe. Der letzte. Und der beste. Haha, nicht gerade schwer, wenn man der letzte ist, nicht?

Caravan: Sind Sie frei?

Jonas: Möglich. Wofür?

Caravan: In einer halben Stunde bei Ihnen.

Jonas: Hallo? Wer sind... Aufgelegt.

Sam: Um so besser. Hatschi. Zurück zum Thema, welches da lautet: Computer, Mensch und Krankheit. Wie wir zu diesem Komplex bereits auszuführen Gelegenheit hatten...

Jonas: Jetzt, jetzt hab ich’s satt.

Jonas: Ich schalte Sam nicht oft ab, aber manchmal muß es sein. Die Lady am Fon klang nach Kundschaft, und Kundschaft war genau das, was ein Privatdetektiv mit leerem Konto im Moment brauchte. Jedenfalls mehr als das Gelaber eines überkandidelten Computers. Also staubte ich den Kundenstuhl ab und wartete. Nicht lange. Pünktlich eine halbe Stunde nach dem Fongespräch tauchte sie auf. Schwarz und streng vom Hut bis zu den Stiefeln, und mit Schleier vorm Gesicht. Das war seltsam. Sie setzte sich, schlug den Schleier zurück, und da wurde die Sache noch viel seltsamer.

Caravan: Warum starren Sie mich an?

Jonas: Tu ich das?

Caravan: Sie reißen die Augen weit auf und lassen den Unterkiefer hängen. Ist das ihr normaler Gesichtsausdruck, wenn Sie mit einer Klientin sprechen?

Jonas: Sie... Sie sehen aus wie Cora Caravan.

Jonas: Cora Caravan. Holostar. Der Holostar. Superstar. Megastar. Die Nummer eins in Kastanienallee, Eurocity, Familienband und zwei drei anderen Endlosserien. Das bekannteste Gesicht in Babylon und ganz Europa.

Caravan: Was würden Sie tun, Herr Jonas, wenn ich sagte, ich bin Cora Caravan?

Jonas: Das würde ich tun. Sie haben sich in der Tür geirrt, Verehrteste, würd ich sagen, der Psychiater wohnt zwei Stock tiefer.

Caravan: Machen Sie die Tür wieder zu, Herr Jonas, ich bin nicht Cora Caravan.

Jonas: Natürlich nicht. Cora Caravan geht nicht zu Jonas. Sie winkt mit dem Finger, und der komplette Polizeiapparat kommt angejachert, mit qualmenden Socken und hängender Zunge.

Caravan: Sie sind ein Fan von Cora Caravan, Herr Jonas?

Jonas: Ich und der Rest der Welt. An sich macht Jonas sich nicht viel aus Holos. Uralt Videos 2D, schwarz weiß, Casablanca, Big Sleep, so was ist eher mein Fall, ansonsten ist Jonas ein Audiotyp. Das bin ich in den 80ern geworden. Als Audio vorübergehend unmodern wurde. Aus Oppositionsgeist. Und ich bin dabei geblieben, als Audio wieder in war. Die Holokiste stell ich nur an für die Nachrichten. Und wenn eine Cora Caravan Serie läuft.

Caravan: Was fasziniert Sie an Cora Caravan, Herr Jonas?

Jonas: Ich weiß nicht. Sicher, sie ist sehr schön, aber das allein ist es nicht. Sie ist immer so traurig. Nicht zu fassen, wie ähnlich Sie ihr sehen. Wie ein Zwilling dem anderen.

Caravan: Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, Herr Jonas.

Jonas: Weil Sie Cora Caravan ähnlich sehen?

Caravan: Gewissermaßen. Ich habe keinen Vater, Herr Jonas.

Jonas: Hm, unwahrscheinlich.

Caravan: Ich meine, ich kenne ihn nicht, er ist oder war ein anonymer Samenspender. Sehen Sie, Herr Jonas, ich bin ein sogenanntes Retortenkind.

Sam: Hehe, Flaschenbaby, Spritzenerzeugnis oder auch Torty, wie der vulgäre Mund des Volkes sich auszudrücken beliebt. Hatschi.

Caravan: Der erkältete Computer?

Jonas: Der Computer, der sich einbildet, erkältet zu sein.

Sam: Nananana.

Caravan: Wie ungewöhnlich. Gehört er Ihnen?

Ja.

Jonas: Leider ja. Sam heißt er. Von wegen Casablanca. Und verrückt ist er. 2005 hatte ich ihn gekauft. Billig für einen verbalen Computer, weil er ein Versuchsmodell war. Eins das nie in Serie gegangen ist. Wer Sam kennt, weiß warum. Er ist überverbal. Er redet und labert und schnattert und seicht sich quer durch alle Sprachprogramme, die es gibt, und durch ein paar, die es nicht gibt. Wenn Sie mich fragen, warum ich das innervierende Stück nicht auf den Schrott schmeiße, dann sage ich laut: Weil ich kein Geld habe, mir einen neuen Computer zu kaufen. Und leise sage ich: Ohne Sam kann ich mir Jonas nicht vorstellen.

Sam: Ach, da steigt einem innig empfindenden Computer ja eine Träne ins Knopfloch. Dank, dank und immer wieder Dank.

Jonas: Sei still, Sammy.

Sam: Ja.

Jonas: Wenn ich Sie recht verstehe, verehrtste, soll ich ihren unbekannten Vater aufspüren.

Caravan: Würden Sie das für mich tun, Herr Jonas?

Jonas: Anonyme Samenspender zu identifizieren ist streng verboten. Das wissen Sie doch.

Caravan: Würde Sie das stören, Herr Jonas?

Jonas: Nicht unbedingt. Aber es ist auch unmöglich.

Caravan: Das glaub ich Ihnen nicht, Herr Jonas. Nicht für einen guten Detektiv, und das sind Sie doch?

Sam: Ist er nicht.

Caravan: Bitte, Herr Jonas, wollen Sie es nicht wenigstens versuchen? Überlegen Sie es sich. Morgen nachmittag bin ich wieder hier.

Jonas: Moment Verehrteste, Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie Sie heißen.

Caravan: Morgen, Herr Jonas.

Jonas: Nachts träumte ich von ihr, von der schönen schwarzen Unbekannten, die nicht nur wie Cora Caravan aussah, die auch so traurig war wie Cora Caravan. Ein Nachgeschmack des Traums war noch da, als ich aufwachte, kurz nach sieben, viel zu früh. Irgend jemand verwechselte die Tür zu meinem Büroapartment mit einem Schlagzeug.

Krott: Herr Jonas, Herr Jonas, bitte öffnen Sie, Herr Jonas.

Jonas: Wer ist da?

Krott: Es ist, ich weiß es, noch ein wenig früh, für eine geschäftliche Unterredung, Herr Jonas, äh, wären Sie dessen ungeachtet geneigt, einen Fall zu übernehmen.

Jonas: Es ist keiner zu Hause. Hauen Sie ab.

Krott: Einen höchst wichtigen und dringenden Fall, Herr Jonas, es geht, verzeihen Sie das Klischee, um Leben und Tod.

Jonas: Zwei Stunden. Kommen Sie in zwei Stunden wieder.

Krott: Ich bin befugt, Herr Jonas, Ihnen das doppelte Ihres üblichen Honorars zu offerieren.

Jonas: Das doppelte. Kommen Sie in einer Stunde wieder.

Krott: Es handelt sich, um auch dies nicht unerwähnt zu lassen, um Cora Caravan.

Jonas: Moment. Ich mache auf.

Jonas: Zwei Typen kamen durch die Tür, ein großer Dicker im gestreiften Jackett, den Scheitel von einem Ohr zum anderen, und ein kleiner dünner mit Schniefnase. Der Dicke mit der Glatze führte das Wort.

Krott: Krott ist mein Name, Herr Jonas, Josef P. Krott. Darf ich Ihnen meinen Partner Fred vorstellen, sag Guten Tag zu Herrn Jonas, Fred.

Fred: Scheiß drauf.

Krott: Wenn Sie Freds ungehörige Aufführung freundlichst übersehen würden, Herr Jonas, Sie wissen ja, die Jugend von heute.

Fred: Scheiß drauf.

Krott: Ja, leider kann ich ohne ihn nicht auskommen. Er hat nämlich den Laserstrahler. Hol ihn raus, Fred, ruhig, nicht abdrücken, noch nicht.

Fred: Scheiß drauf.

Krott: Heben Sie die Hände, Herr Jonas, höher. Hahaha, so sieht also ein Privatdetektiv aus, wenn er aus dem Bett geholt wird. Nicht eben beeindruckend, oder was meinst du, Fred?

Fred: Scheiß drauf.

Krott: Genau, Fred. Lassen Sie die Hände wieder sinken, Herr Jonas, und folgen Sie uns.

Jonas: So wie ich bin? Das muß ja ein unglaublich dringender Fall sein.

Krott: Sie haben recht, Herr Jonas, ein unbekleideter Detektiv auf der Straße könnte unter Umständen aufsehen erregen. Ziehen Sie sich was an. Beeilen Sie sich. Fred, du paßt auf ihn auf.

Fred: Scheiß drauf.

Jonas: Fred war kein guter Aufpasser. Jedenfalls kriegte er nicht mit, daß ich mir was in die Tasche schob, nicht die Smith & Wesson, was besseres, Sam zwo. Die Mini-ausführung von Sam, drahtlos mit dem Speicher im Büro verbunden. Wo immer die beiden Jonas hinbringen würden, er war nicht allein. Vor dem Haus wurde ich in ein Elektromobil geschoben, Krott fuhr, Fred drückte mir den Laser in die Rippen und kuckte doof. Eine kurze Fahrt. Nach 10 Minuten hielten wir vor dem Supermedia Gebäude.

Krott: Ja, wir sind da, Herr Jonas.

Jonas: Und was will die größte Holoproduktion in Europa ausgerechnet von Jonas?

Krott: Och, das werden Sie erfahren, Herr Jonas, steigen Sie aus.

Jonas: Supermedia, Holo. Jetzt weiß ich, was mit euch zwei Schießbudenfiguren los ist, ihr seid Holopeople, Serienbackground, Statisten.

Krott: Och, ich muß doch bitten, Herr Jonas, Kleindarsteller. Gewerkschaftlich organisiert, tariflich abgesichert.

Fred: Scheiß drauf.

Krott: Und was immer wir sein mögen, Herr Jonas, der Laser ist echt und geladen. Steigen Sie aus.

Jonas: Irgendwie hatte ich mir das Supermediagebäude innen anders vorgestellt. Glanz, Glitter, Glamour, große Gesten, Hektik, Action, schöner Schein, eben Holo. Die Wirklichkeit war ein Bürohochhaus wie jedes andere. Effizient. Unauffällig. Bewachtes Foyer, lautloser Lift, schnurgerade Gänge, fast unsichtbare Pastellfarben. Im obersten Stock eine unauffällige Tür, dahinter ein effizientes Büro, und ein Mann, der auf Jonas gewartet hatte.

Pepper: Well, das ist also Jonas, der berühmte Jonas, der letzte Detektiv.

Jonas: Vorsicht, kommen Sie ihm nicht zu Nahe, Jonas beißt.

Pepper: Und sprechen kann er auch. Wonderful. Gut gemacht, Krott und Co. Ihr Honorar wird überwiesen. Sie halten sich weiter zur Verfügung.

Krott: Wie vereinbart, Herr Pepper. Immer gern zu Diensten, komm, Fred, sag good bye zu Herrn Pepper.

Fred: Scheiß drauf.

Pepper: Nehmen Sie Platz, Jonas, fühlen Sie sich wie zuhause. Whisky, right?

Jonas: Im Prinzip ja, aber Jonas trinkt nicht mit jedem.

Pepper: Aha, Grundsätze auch noch, great. Der Privatdetektiv wie er im Buche steht.

Jonas: Ordentlich, sauber, rasiert und nüchtern, sagt Chandler. Und wer oder was sind Sie?

Pepper: Pepper. Chiefproducer Petrus Emanuel Pepper. PEP für meine Freunde. Das Problem ist, ein Chiefproducer hat keine Freunde.

Jonas: Kein Wunder, Sie haben schlechte Manieren, Pepper, Sie lassen Privatdetektive kidnappen.

Pepper: Mein lieber Jonas, welch harsches Wort. Ich habe Sie zu mir gebeten, um mit Ihnen zu reden, über eine Businessproposition. Das ist alles.

Jonas: Sie wollen mir einen Auftrag geben?

Pepper: Das heißt nicht ich persönlich. Supermedia. Wir brauchen einen Bodyguard.

Jonas: Leib und Magenwächter. Nix für Jonas. Good bye oder auch so long, jedenfalls nicht auf wiedersehen.

Pepper: Nichts übereilen, Herr Jonas, setzen Sie sich wieder hin. Sie wissen ja noch gar nicht, welchen body Sie guarden sollen.

Jonas: Und wenn es der oberste Boss in Ihrem Laden ist. Nein.

Pepper: Cora Caravan.

Jonas: Was haben Sie gesagt?

Pepper: Cora Caravan, unser Megastar.

Jonas: Ich soll Cora Caravan hüten?

Pepper: Well, ja und nein. Die Sache ist die.

Jonas: Die Holoindustrie ist ein hartes Business, sagte Pepper. Großer Umsatz, kleine Skrupel. Letzteres bezog sich nicht auf Supermedia, natürlich nicht, sondern auf die Konkurrenz, sprich Network, zweitgrößte Holoproduktion in Europa. Die Leute von Network schreckten vor rein gar nichts zurück, um Supermedia lahmzulegen, sagte Pepper. Jetzt hatten sie vor, Cora Caravan was anzutun. Ein Leibwächter mußte her. Nicht irgendeiner, schon gar nicht ein Eigengewächs aus Supermedia Sicherheitstruppe. Ein Spezialist. Jonas. Soweit alles klar.

Pepper: Aber dann machte Cora trouble. Sie ist ein Megastar, Jonas, eine Künstlerin. Sensibel. Sie hat ihren eigenen Kopf und sie setzt ihn durch. Sie bestand darauf, ihren künftigen Bodyguard vorher anzusehen, um ihn zu checken.

Jonas: Dann war’s sie also doch selbst, gestern nachmittag in meinem Büro.

Pepper: Natürlich wars sie’s, the one and only Cora Caravan.

Jonas: Und die Geschichte vom unbekannten Vater

Pepper: War genau das, Jonas, eine Geschichte, fabriziert von unserer Kreativabteilung, eine typische Holoserienstory, ein ziemlich alter Hut, um ehrlich zu sein, aber wir waren in Eile.

Jonas: Und heute morgen hatten Sie es noch eiliger, so eilig, daß Sie mir ihr Komikerduo mit dem Laser auf die Bude geschickt haben. Offenbar hat Jonas gewaltigen Eindruck auf Cora Caravan gemacht.

Pepper: Oja, Cora war angetan von Ihnen, sehr angetan sogar. Aber das ist nicht der Grund für meine dringliche Einladung am frühen Morgen.

Jonas: Nicht?

Pepper: Nein, sehen Sie, Jonas, der Fall hat sich geändert. Er hat eine neue Dimension bekommen, eine völlig neue und leider auch unangenehme Dimension.

Jonas: Was ist passiert?

Pepper: Vor gut zwei Stunden, 5 Uhr 25, hat Cora mich angerufen, hier im Büro.

Jonas: Sie waren heute morgen halb 6 in ihrem Büro?

Pepper: Aber ja, ein Chiefproducer arbeitet immer. Der Anruf ist aufgezeichnet worden. Alle Anrufe werden aufgezeichnet. Firmenpolitik. Leider habe ich diesen Anruf nur auf Audiotape, Cora hat was gegen Bildfon, anyway, hören Sie sich die Sache mal an, Jonas.

Caravan: Pep?

Pepper: Hey, Cora Darling, wolltest du nicht gestern abend bei mir vorbeikommen? Wo steckst du?

Caravan: In meiner Gardarobe.

Pepper: Funny, du hast doch heute keinen Drehtag, oder?

Caravan: Es hat sich was ergeben, hör zu, Pep, ich war bei diesem Jonas, guter Mann, sympathisch, du kannst ihn engagieren, so schnell wie möglich, er soll gleich... Hilfe!

Pepper: Cora? Was ist los? Cora sag was! Cora!

Pepper: Das war’s Jonas, was sagen Sie dazu?

Jonas: Wo ist Coras Caravans Gardarobe?

Pepper: Hier im Haus, 5. Stock, hinten raus, Blick aufs Studiogelände. Ich hab natürlich sofort ein paar Leute rübergeschickt, das Zimmer war leer, keine Cora und auch sonst niemand, ein Spiegel war kaputt, ein Stuhl umgekippt.

Jonas: Ich seh mir das selbst an, bringen Sie mich hin.

Pepper: So soll er sein, der Privatdetektiv, kurz, entschlossen, zielbewußt. Come on.

Jonas: Der Blick aufs Studiogelände zeigte ein paar schäbige Hallen, diverse Ansammlungen undefinierbarer Plastikteile, viel Staub und keinen Menschen. Bei Supermedia arbeitete offenbar nur der Chiefproducer. In Coras Caravans Gardarobe sah es schlimm aus, allem Anschein nach war der Star entführt worden. Hinterlassen hatten die Entführer wüste Unordnung und einen Schlüssel mit ovalem Plexiglasanhänger.

Pepper: Sieht aus wie ein altmodischer Hotelschlüssel.

Jonas: Auf dem Anhänger steht was: Zimmer 23. Und auf der anderen Seite: Hotel Pulex, Babylon C Turmgasse 17.

Pepper: Na bitte, da würd ich mich an Ihrer Stelle mal umsehen, Jonas.

Jonas: Eins nach dem anderen. Erst muß ich hier einiges abhaken.

Pepper: Ach ja, was zum Beispiel?

Jonas: Zum Beispiel die Wächter im Foyer oder

Pepper: Alles schon erledigt. Den Wachmannschaften ist nichts besonderes aufgefallen. Und um auch das gleich abzuhaken, wie Sie sagen, das ganze Supermediagebäude ist gründlich durchsucht worden, unter meiner Leitung. Keine Spur von Cora Caravan. Well, hiermit beauftrage ich Sie in aller Form und im Namen von Supermedia, die unter mysteriösen Umständen verschwundene Cora Caravan zu suchen.

Jonas: Zu finden.

Pepper: Und zu finden, natürlich, und wenn Sie sie gefunden haben, nicht von ihrer Seite zu weichen.

Jonas: Mein Honorar beträgt 90 Euros pro Tag, mal 2 ist 180. Plus Spesen.

Pepper: Die finanziellen Formalitäten kann ihr Computer mit meinem regeln, ich muß zurück ins Büro. Die Arbeit wartet nicht, das Leben geht weiter, the show must go on etc. etc. Sie finden selbst raus. Ah, by the way, wo hab ich, hier, eine Supermedia Paßscheibe, für Sie, damit Sie ohne Schwierigkeiten ins Haus kommen, wenn Sie mit Ihrem Bericht aufkreuzen und mit Cora natürlich, see you Jonas.

Jonas: Damit entschwand er, und Jonas konnte endlich das tun, was jetzt dringend geboten war. Nachdenken. Mit seinem Computer.

Sam: Kamerad, es stinkt.

Jonas: Zum Himmel, Sammy.

Sam: Und nicht nur das eine oder andere Detail, großer Kombinator. Alles stinkt.

Jonas: Dieses Hotel, zum Beispiel.

Sam: Kongenitale Unzulänglichkeit des sogenannten menschlichen Geistes. Nicht so, euer Lebten. Eins nach dem andern. Erstens, dem bei Supermedia unter Vertrag stehenden Holomegastar wird von Seiten der Konkurrenz nachgestellt.

Jonas: Sagt Pepper.

Sam: Dessenungeachtet läßt Supermedia besagten Star allein unbewacht und nicht einmal beobachtet in der schönen aber nicht eben sicheren Stadt Babylon herumspazieren, auf daß sie Jonas aufsuche.

Jonas: Und Jonas wohnt bekanntlich nicht in der allerbesten Gegend.

Sam: Zwotens. Cora Caravan verschwindet aus dem gut gesicherten Supermediagebäude. Und keiner weiß wie.

Jonas: Sagt Pepper.

Sam: Drittens: am Tatort findet sich ein Schlüssel. Korrektur Schlüssel, dessen Position mitten im Raum auf einer Spiegelscherbe zweierlei vermuten läßt. Erstens.

Jonas: Nicht so, mein lieber, erstens hatten wir schon. Neue Systematik. Römisch 1 oder a.

Sam: Wer kackt hier Korinthen.

Jonas: Los los, Sammy, römisch eins.

Sam: A und noch mal a). Der Schlüssel wurde erst nach Verwüstung der Gardarobe abgelegt bzw. verloren, von den Kidnappern.

Jonas: Meint Pepper.

Sam: b) Der Schlüssel sollte keinesfalls übersehen vielmehr beachtet und gewürdigt werden, als deutlicher Hinweis.

Jonas: Überdeutlich.

Sam: Viertens. Das zum Schlüssel gehörige Hotel, es nennt sich übrigens Pulex, eine lateinische Vokabel, deren Übersetzung...

Jonas: Uns im Moment überhaupt nicht interessiert, Sammy.

Sam: So, und was interessiert eure inhumanistische Philistrosität?

Jonas: Daß Jonas, der in Babylon jedes Hotel kennt...

Sam: Und jede Kneipe.

Jonas: Von diesem Hotel Pulex noch nie was gehört hat, obwohl es im Zentrum liegt.

Sam: Auf einem Grundstück beiläufig bemerkt, welches Supermedia gehört. Also spricht die Katasterdatei.

Jonas: Sieh mal an, das stinkt aber gewaltig.

Sam: In der Tat, Sir, pfui Spinne und Schwefel. Wie geht’s jetzt weiter, Genosse?

Jonas: Na wie schon, Jonas hat einen Auftrag, und wenn Jonas einen Auftrag hat, dann zieht er ihn durch.

Sam: Ein Detektiv muß tun, was ein Detektiv tun muß.

Jonas: So ist es, Sammy, wir suchen Cora Caravan, und wenn wir sie erst mal haben, werden sich alle diese merkwürdigen Stinkereien in Luft auflösen.

Sam: Jaja, in saubere wohlriechende Luft, Wohlan, Rittersmann oder Knapp, Hotel Pulex sei’s Panier. Tatü tata, Sir Sam ist da.

Jonas: Turmgasse 17 war eine Lücke zwischen zwei Wolkenkratzern, auf den ersten Blick. Auf den zweiten war es ein heruntergekommenes Häuschen, das sich an die Nachbarn rechts und links anlehnte, um nicht zusammenzubrechen, ein Relikt aus dem guten alten 20. Jahrhundert, die Innenausstattung auch. So was hatte ich bisher nur auf alten Videos gesehen. Ein abgelatschter Plüschteppich, eine in Ehren ergraute Tapete, bedruckt mit Blumen, die es nicht gab, eine schmale Treppe aus echtem Holz, ein dito Tresen mit einer Glocke drauf, ein Schlüsselbrett, und daneben, kein Computer, kein Automat, ein echter lebendiger Portier, mehr oder weniger lebendig. Er war genauso alt und genauso verschrumpelt wie das Haus. Außerdem schwerhörig.

Portier: Ja, komme schon.

Jonas: Zimmer 23.

Portier: Was haben Sie gesagt?

Jonas: Zimmer 23.

Portier: 23? Besetzt. Alles besetzt, kein Zimmer frei.

Jonas: Wie schön für Sie. Wer wohnt in Zimmer 23?

Portier: Schönes Wetter heute.

Jonas: Wer wohnt in Zimmer 23.

Portier: Sie brauchen nicht zu schreien, ich bin ja nicht schwerhörig.

Jonas: Na da verstellen Sie sich aber gut. Wer wohnt in Zimmer 23?

Portier: Sagen Sie, geht Sie das was an?

Jonas: Das können Sie annehmen.

Portier: Warum soll ich was annehmen. Haben Sie übrigens eine Kripomarke oder so was ähnliches?

Jonas: Jonas hatte was ähnliches. Einen 10-Euroschein. Mehr als nur Geld. Medizin. Öffnet Ohren und den Mund. Nicht daß der Alte umgänglich wurde, aber er sagte mir, wer in Zimmer 23 wohnte.

Portier: A so a großer breiter, sieht a bisserl so aus wie Sie, nur daß er rote Haare hat, knallrote Haare.

Jonas: Und wie heißt er?

Portier: Moment, ich muß ins, ins Gästebuch schauen, kann doch nicht alles in Kopf haben, was die Leut alles wissen wollen von einem, da steht er: 23. Eingezogen 20. Juni 2011, Todrovisch heißt er, A. L. Trodrowitsch.

Jonas: A. L.

Portier: Ja, so hat er sich eingetragen. Sonst noch was?

Jonas: Ist er zuhause, der A. L. Trodrowitsch?

Portier: Nein, jetzt doch nicht, der arbeitet.

Jonas: Wo?

Portier: In einer Bar.

Jonas: In welcher?

Portier: Na was weiß ich. Doch, Moment, muß mich bücken, hier, da, ein Streichholzbrief, hat er mir mal gegeben, da steht’s drauf.

Jonas: Night and Day, am Graben 6a. Um die Ecke. Tag und Nacht geöffnet. Wie der Name sagt. Streichholzbrief. Daß es so was noch gibt, wo doch kein Mensch mehr raucht heutzutage.

Portier: Vielleicht ist ne altmodische Bar, wie mein Hotel, ja, für altmodische Gäste.

Jonas: Ein wahres Wort. Eine altmodische Bar. Und so heimelig wie ein Mausoleum im Regen. Über der Theke eine flackernde Neonröhre, eine echte Antiquität. Ansonsten trübes Halbdunkel, schattenhafte Gestalten vor unsichtbaren Drinks. Niemand sprach, niemand bewegte sich. Bis auf den Barmann, der klapperte ab und zu mit seinem Gläsern oder flüsterte durch seine falschen Zähne, wenn es unbedingt sein mußte, wenn ein lästiger Gast auftauchte und die Grabenruhe störte. Ein Gast namens Jonas.

Barmixer: Was trinken Sie?

Jonas: Whisky. Echten Scotch wenn Sie haben.

Barmixer: Wir haben, aber wir nehmen nur Bargeld, keine Schecks, keine Computerbuchungen.

Jonas: Soll mir recht sein, Night and Day, tea for two, I'm far away.

Sam: Ich fahr auch mit.

Barmixer: Wie bitte?

Jonas: Nichts. Todrowisch.

Barmixer: Was ist damit?

Jonas: Der arbeitet doch hier.

Barmixer: Ja. Und?

Jonas: Ist er da?

Barmixer: Noch nicht, muß aber jeden Moment kommen.

Jonas: Bringen Sie mir den Whisky an den Tisch. Gemütlicher Laden.

Sam: ...Der bis dato gänzlich unbekannt war.

Jonas: So ist es Sammy.

Sam: Würde es den amtierenden Herrn... Hatschi!

Jonas: Gesundheit.

Sam: Danke... den Herrn Oberfeldmesser sehr überraschen, wenn er erführe, daß auch dies Grundstück sei im Besitz von Supermedia?

Jonas: Nicht im Geringsten, Sammy. Was sagst du zum Streichholzbrief?

Sam: Kurioser und kuriöser, wir wandern von einem Clou zum andern.

Jonas: Französisch.

Sam: Eine veritable Schnitzeljagd euer Denkwürden, in welchem Zusammenhang sich die Frage erhebt, wer ist der Jäger und wer der hatschi.

Jonas: Erinnerst du dich an den Fall Requiem, Randy Orgas, vor anderthalb Jahren, da war’s doch auch so, eine Anlaufstation hat uns an die nächste weitergereicht.

Sam: Und wo, hochgeehrte Trauergemeinde, sind wir schließlich gelandet? Beim Totengräber.

Barmixer: Ihr Whisky, 19 Euros. Ihr Name Jonas, nur Jonas?

Jonas: Sind Sie Hellseher?

Barmixer: Anruf für Sie.

Jonas: Nanu? Bringen Sie den Apparat rüber.

Barmixer: Drahtlos Fon haben wir hier nicht. Hinten durch.

Jonas: Das Fon stand in einem kleinen Gang, zwischen Klo und Hintertür, an der Wand Autogramme, von Killroy natürlich und von tausend anderen, die sich für witzig hielten. Ein Witzbold war auch der Typ am Fon. Er wollte mir partout nicht verraten, wie er hieß.

Krott: Wozu, Herr Jonas, ich meine hören Sie in mir einen Freund und Helfer in der Not.

Jonas: So, dann helfen Sie mal, Freund.

Krott: Ja, das ist der Zweck meines Anrufs, Herr Jonas, Sie suchen einen gewissen Todrovitsch, im engeren Sinn.

Jonas: Im engeren Sinne?

Krott: Gewiß, Herr Jonas, denn im weiteren Sinn, nicht wahr, suchen Sie Cora Caravan.

Jonas: Reden Sie weiter, Freund.

Krott: Wenn Sie durch den Hinterausgang auf die Straße treten, Herr Jonas, werden Sie finden, was Sie suchen, im engeren Sinne, achten Sie, wenn ich ihnen raten darf, besonders auf die rechte Hand bzw. auf den Inhalt derselben.

Jonas: Die schmale Gasse hinter der Bar lag im ewigen Schatten unendlich hoher Bürotürme. Hier war es immer dunkel. Tag und Nacht. Night and Day. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich die Augen darauf eingestellt hatten, das reichte um Jonas ins Stolpern zu bringen.

Jonas: Hoppla. Hier liegt was, direkt vor der Tür.

Sam: Nicht was, ahnungsloser Asikmatiker. Wer.

Jonas: Ein Mensch. Ein Mann. Groß, breit und sehr rothaarig. Todrovitsch.

Sam: A.L. Und A.L. Todrovitsch ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Wohin sich auch mein saumseliger Herr und Meister in Bälde versetzt sehen dürfte, sofern er sich nicht zu schleuniger Flucht entschließet. Achtung, Mann mit Laser von rechts.

Jonas: Von links kommt auch einer. Was tun.

Sam: Spricht Zeus, und Sammy weiß die Antwort. Wie gekommen so zerronnen. Zuvor jedoch.

Jonas: Die rechte Hand, da hat er was drin.

Sam: Nimm 's ihm weg, skupuloses Sensibelchen, er braucht’s nicht mehr. Und nun zurück marsch marsch.

Jonas: Zwei finstere Typen hatten es auf Jonas abgesehen, ein kleiner Dünner und ein großer Dicker, vermummt und maskiert. Der kleine hatte einen Laser, aber um-gehen konnte er damit nicht, jedenfalls schoß er vorbei, zweimal, aus einer Entfern-ung von wenigen Metern. Den dritten Schuß wollte Jonas nicht abwarten. Ich tauchte weg, zurück durch die Tür, über den Gang, in die Bar. Der Mixer hob den Kopf, aber ehe er mir was flüstern konnte, war ich schon draußen und verschwand in der nächsten Metrostation. Metrofahren in Babylon ist kein Vergnügen, aber immer noch besser als sich lasern lassen. Eine Stunde später war Jonas zu Hause. Zeit für einen schnellen Sojaburger, mit Whisky angefeuchtet, damit er besser rutscht, und Zeit, daß ich mir ansah, was ich dem toten Todrovitsch aus der Hand genommen hatte.

Jonas: Eine Plastikscheibe, etwas kleiner und schmaler als die Supermedia-Paßscheibe, die Pepper mir gegeben hat. Braun, auf einer Seite steht Montecito in goldenen Buchstaben, auf der andern auch in Gold die Zahl 100. Weißt du, was das ist Sammy, ein Chip.

Sam: Wäh, Hatschi, nicht dieses Wort, undifferenzierender Unhold. Ein Chip, wollen wir uns darauf einigen, verehrte Anwesende, ist eine jener zahnlosen Korrektur zahllosen grauen Zellen, welchem dem braven Sam so vielerlei ermöglichen, das Denken, das Rechnen...

Jonas: Das reden.

Sam: Das auch. Wohingegen wir das Objekt, das mein weißer Bruder old Shatterhand in eben dieser hält, doch bitte eine Spielmarke nennen wollen, oder in gebildeter Ausdrucksweise einen Jeton.

Jonas: Wenn du so großen Wert darauf legst, Sammy. Kennst du ein Spielcasino, das Montecito heißt.

Sam: In keinerlei Datei aufgeführt, Sam muß passen.

Jonas: Jonas auch, Sammy, obwohl der Name mir irgendwie bekannt vorkommt. Ich weiß, wer uns weiterhilft. Die zwei maskierten Typen, das waren Krott und Fred, unverkennbar, und Krott hat mich angerufen als freundlicher Nothelfer.

Pepper: Supermedia, Chiefproducer Pepper, fassen Sie sich kurz, time ist money.

Jonas: Jonas hier. Montecito, sagt Ihnen das was.

Pepper: Moment, ja, eine Spielhölle, illegal natürlich.

Jonas: Natürlich. Glückspiel war verboten, wie Drogen oder Prostitution oder Mord auf Bestellung, das heißt, an jeder Ecke zu kriegen, wenn man bezahlen konnte.

Pepper: Das Montecito gehört Rico Banana.

Jonas: Wem?

Pepper: Rico Banana.

Jonas: Wer ist denn das?

Pepper: Sie haben noch nie von Rico Banana gehört?

Jonas: Nein, nie.

Pepper: Haha, und Sie nennen sich Detektiv. Rico Banana ist der König der babylonischen Unterwelt, ein Supergangster.

Jonas: Wie aus einer Serie von Supermedia?

Pepper: Wollen Sie nicht wissen, wo das Montecito liegt.

Jonas: Lassen Sie mich raten, auf einem Grundstück von Supermedia.

Pepper: Durchaus möglich. Die Adresse ist Pohl-/ Ecke Kornbluthstraße.

Jonas: Im Wilden Südosten. Zwischen der Südstadt und dem Reservat. Bei den Unruhen vor 15 Jahren war das Viertel zum Teufel gegangen und nicht wieder zurückgekommen. Schutt auf den Straßen, schwarz verschmorte Ruinen, und mitten in den Trümmern ein Lichtblick, auf einem neuen Stahlschaumkasten grelle Laserlettern, Club Montecito. Ich wanderte von der Bar zur Bühne, vom Blackjack zum Roulette, Cora Caravan sah ich nicht, aber eine kleine Tür am hinteren Ende des Saals, versehen mit der Aufschrift privat, flankiert von zwei Riesen mit ausgebeulten Jacken, und ich sah noch was, eine vertraute Gestalt, am Glücksrad, wo sie ab und zu einen Chip, Verzeihung Sam, Jeton über das grüne Tuch schob.

Jonas: Hallo Fred, hoffentlich spielen Sie besser als Sie schießen.

Fred: Scheiß drauf.

Krott: Hahaha, gerade Sie, Herr Jonas, sollten die hohe Kunst des dicht Danebenschießens, die mein Partner in Vollendung beherrscht, zu würdigen wissen. Und da wir gerade davon sprechen, Sie sollten auch ein wenig mehr Aktivität demonstrieren, Herr Jonas, Initiative, immerhin haben Sie ein Auftrag. Haben Sie übrigens schon Ricos Privatgemächer besucht, Herr Jonas.

Jonas: Nein, sollte ich? Sieht schwierig aus, die Wächter an der Tür.

Krott: Och, da gäbe es doch gewisse Möglichkeiten, Herr Jonas.

Jonas: Ach ja?

Krott: Wenn ein Gast, mein Partner Fred zum Beispiel, plötzlich anfängt, Stunk zu machen, vielleicht sogar seinen Laserstrahler zieht, meinen Sie nicht, Herr Jonas, daß die beiden Türsteher dann ihren Posten verlassen, und eingreifen werden. Los Fred.

Fred: Scheiß drauf. Scheiße, man hat mich beschissen, hier bescheißt man die Gäste, ich will mein Geld zurück!

Skip: Was ist denn los mit den beiden?

Jonas: Hinter der kleinen Tür mit der Aufschrift Privat lag ein Korridor, 5 Türen, hinter der ersten ein Büro, leer, hinter der zweiten ein Schnapslager, voll, hinter der dritten.

Caravan: Guten Abend, Jonas. Ich wußte, Sie würden kommen.

Jonas: Danke Cora, wenn Jonas was übernimmt, dann bleibt er am Ball.

Caravan: Ach, mit Ihrem Durchsetzungsvermögen hat das nichts zu tun, ich wußte, Sie würden kommen, weil es so im Drehbuch steht.

Jonas: Drehbuch.

Caravan: Im Drehbuch steht, ich soll hier warten, bis Sie kämen, und dann...

Rico Banana: Dann schalten wir uns ein. Keine Bewegung, Jonas, ich habe Sie gewarnt, machen Sie keinen Ärger habe ich gesagt, Schlag zu, Skip.

Jonas: Als ich aufwachte, war mir nicht gut, ich hatte schlecht geträumt, von einem Detektiv, der tat, was im Drehbuch stand, obwohl er das Drehbuch nicht kannte, von einem Megastar, der immer traurig war. Ich machte die Augen auf. Cora Caravan saß mir gegenüber. Sie war noch immer traurig. Trauriger als auf dem Holoschirm. So traurig wie im meinem Büro und im Montecito. Sie saß auf dem Boden und hielt sich fest. Wir wurden durchgerüttelt und geschüttelt. Wo waren wir?

Caravan: Im Container eines E-Lasters.

Jonas: Und wo fahren wir hin?

Caravan: Zu Supermedia natürlich. Pepper wartet schon.

Jonas: Auf uns.

Caravan: Auf den letzten Akt.

Jonas: Richtig, das Drehbuch. Was passiert denn jetzt, Container eines E-Lasters, Jonas kommt zu sich.

Caravan: Um sein Mißtrauen abzubauen, erklärt sich Cora Caravan bereit, ihn über die Hintergründe der Affäre aufzuklären.

Jonas: Das steht im Drehbuch?

Caravan: Ja.

Jonas: Das find ich nett. Klären Sie mich auf, Cora.

Caravan: Ich soll Ihnen sagen, die ganze Sache sei ein Test.

Jonas: Wer wird getestet. Jonas?

Caravan: Nein, eine Story, eine Holoserienidee. Supermedia denkt an eine Detektivsaga im alten Stil, und Pepper hat eine Art Probelauf organisiert. Ein echter Detektiv in gestellten typischen Situationen.

Jonas: Und bei der Manöverkritik werden Sie und die anderen Mitspieler Pepper berichten, wie es gelaufen ist.

Caravan: Das ist nicht nötig, Pepper hat Sie die ganze Zeit im Auge und im Ohr, eine drahtlose steuerbare Aufnahmeeinheit im Mikroformat war immer in ihrer Nähe, gelenkt und zentriert durch den Ortungssender in ihrer Tasche.

Jonas: Sender? Die Supermediapaßscheibe. Da habt ihr mich seit heute morgen ständig durch Reifen springen lassen, unter dem Mikroskop sozusagen.

Caravan: Ohne daß Sie es geahnt haben, Jonas, oder?

Jonas: Oder was?

Caravan: Oder haben Sie es geahnt.

Jonas: Ein bißchen, vage, ich hatte so ein Gefühl, daß an der Sache was faul ist, daß sie stinkt, wie Sammy sagt.

Sam: Sie stinkt.

Jonas: Hallo, Sammy, wie geht’s denn so?

Sam: Wie’s einem Computer halt geht, wenn er miterleben muß, wie sein geliebter Herr durch Reifen hüpft und mit Lügen traktiert wird, Lügen von vermißten Vätern, entschwundenen Stars und inszenierten Holotests, denn auch die sog. Aufklärung, welche Madame uns soeben auftischte, wagt Sam zu bezweifeln. Sie stinkt.

Jonas: Das ist aber nicht höflich, Sam.

Caravan: Sam hat recht, Jonas, was ich Ihnen erzählen sollte und erzählt habe, ist nicht wahr, ein Livetest für eine Serie wäre ganz und gar überflüssig, das läßt sich sehr viel besser und billiger durch Computersimulation machen.

Sam: Wollt ich doch meinen.

Jonas: Und die Personen, die Schauspieler mein ich.

Caravan: Schemen, Gespenster, Computersimulation, auch der Background, die Schauplätze, alles. Natürlich wird die Umstellung geheimgehalten, das Publikum soll weiterhin glauben, daß es wirkliche Menschen sieht und die wirkliche Welt, sonst würde ja niemand mehr einschalten.

Jonas: Moment, Cora, wenn die Schauspieler in den Serien nicht wirklich sind, was ist dann mit Ihnen? Sie sind Cora Caravan, der große Holostar. Der Megastar.

Caravan: Das war ich Jonas, seit 6 Jahren bin ich Pensionärin, unter Verschluß, damit ich das große Geheimnis nicht verrate, die Cora Caravan auf dem Holoschirm ist ein elektronischer Abklatsch, so gut wie das Original, aber pflegeleichter und preiswerter. Das hier ist meine erste Rolle, Jonas, meine erste Rolle seit 6 Jahren.

Jonas: Deshalb sind Sie immer so traurig, Cora.

Caravan: Und es wird meine letzte Rolle sein, dafür habe ich gesorgt.

Krott: Alles aussteigen.

Pepper: Willkommen, Jonas.

Jonas: Jaja.

Pepper: Tag, Cora.

Tag, Pepper.

Pepper: Willkommen im guten alten Studio 3, hier sind vor Jahre Supermedias größte Erfolge gedreht worden. Sehen Sie sich um, Jonas, Kulissen, Staub, Nostalgie. Sie können gehen, Krott.

Krott: Es war mir eine Freude, mit Ihnen zu arbeiten, Herr Jonas. Auf Wiedersehen Herr Pepper. Mach’s gut, Cora.

Pepper: Und vergessen Sie ihren kleinen Scheißer nicht.

Fred: Scheiß drauf.

Pepper: Die unteren Chargen brauchen wir nicht mehr, jetzt spielen nur noch Sie und ich und Superman hier.

Jonas: Superman stand neben uns, vor einem Set aus dem vorigen Jahrhundert. Vielleicht aus der Serie der große Krieg der weißen Männer. Sein Krieg war allerdings von heute. Superman war ein Robokiller, eine von diesen menschenähnlichen Mordmaschinen, die ich auf Feuerland in Aktion gesehen hatte. Im aktiviertem Zustand nicht zu stoppen. Superman war nicht aktiviert.

Pepper: Noch nicht, Jonas, aber er wird bald in unser Spiel eingreifen, das versichere ich ihnen, und die Story zu ihrem Ende bringen. Ja, die Story, leider ist sie nicht ganz das geworden, was mir vorschwebte. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich noch zwei drei Szenen zusätzlich eingebaut, etwa eine ausgefallene Sekte, macht sich in Detektivstories immer gut, überhaupt mehr action, aber der Zeitfaktor, you know, unsere Sponsoren haben leider nur wenig Geduld.

Jonas: Sponsoren, was wir hier gespielt.

Pepper: Ein Live-Drama nur für unsere Sponsoren, die Spitzen von Politik und Wirtschaft, die wissen natürlich, daß seit 6 Jahren nur Computerbilder auf dem Bildschirm agieren. Wenn sie den Holoset anschalten, wollen sie etwas anderes sehen, und wir bieten es ihnen einmal im Monat über ein höchst exklusives Holopaysystem. Ein Superlifeprogramm. Reale, wirkliche Sensationen.

Jonas: Das aufregende Leben eines Privatdetektivs zum Beispiel.

Pepper: Der letzte Tag des letzten Detektivs, so habe ich das heute Programm genannt. Gefällt Ihnen der Titel?

Jonas: Teils teils. Letzter Detektiv ist OK, aber letzter Tag.

Pepper: Das müssen Sie verstehen, Jonas, unsere Sponsoren erwarten am Schluß des Programms etwas ganz besonders, den Höhepunkt, und was könnte wohl aufregender und überraschender sein als der Tod des Helden.

Jonas: Der Robokiller soll mich umbringen, ja?

Pepper: Wenn ich diesen Knopf drücke, wird Superman aktiviert, er wird seinen Laserstrahler auf die Person richten, die den auf seine Frequenz eingestellten Orter in der Tasche hat.

Jonas: Hier haben Sie das Ding zurück.

Pepper: Die Paßscheibe meine ich nicht, Jonas, die steuert die Aufnahmeeinheit, ich meine den speziellen Orter, nur für Superman, die autografierte Holokarte, die Cora ihnen überreicht hat.

Jonas: Was hat Cora mir überreicht?

Pepper: Machen wir Schluß, auf in den Kampf, Superman. Wehren Sie sich, Jonas, auch wenn es Ihnen nichts nützt, die Sponsoren wollen was sehen.

Caravan: Leben Sie wohl, Jonas, und danke.

Jonas: Jonas brauchte sich nicht zu wehren, Superman schoß nicht auf ihn, er schoß auf Cora. Sie war sofort tot. Ich wußte, was geschehen war, als ich mich über sie beugte. Ich sah, was sie in der Hand hielt, eine Holokarte mit Ihrem Autogramm, dem Autogramm von Cora Caravan, Megastar, die tödliche Karte, die sie mir hatte geben sollen, und die sie behalten hatte, weil sie ihr Leben nicht mehr ertragen konnte, weil sie immer so traurig war. Sie hatte sich töten lassen, bewußt und freiwillig, und sie hatte Jonas gerettet.

Pepper: Vorgedrängt hat sie sich, wer will schon sehen, wie ein abgehalfterter Star stirbt, das ist doch kein Schluß. Regie, was soll ich jetzt machen, kann die Regie mir mal einen Hinweis geben.

Regisseurin: Einen Augenblick Geduld, wir überlegen.

Pepper: Ein Schluß, ein Königreich für einen Schluß. Jonas, was tun Sie da?

Jonas: Ich nehme ihrem wieder deaktivierten Robo den Laser ab, ich weiß, wie man das macht, ich war im Antarktischen Krieg.

Pepper: Vorsicht, Sie zielen ja auf mich, Jonas!

Jonas: Ich habe eine wunderbare Idee für den Schluß für ihre Story, Pepper, eine Superlivesensation, ein Höhepunkt, ein echtes Happy end, was könnte wohl aufregender und überraschender sein als der Tod des Produzenten.

Pepper: Nein, nein!

Sam: Bravo, Meister, o capie, Korrektur da capo.

Jonas: Keiner mehr da, Sammy, komm, wir gehen nach Hause.

Regisseurin: Warten Sie, Jonas, wir gratulieren Ihnen, die Sponsoren sind begeistert, das Fon steht nicht still, durch Ihre unerwartete Aktion haben Sie das Programm gerettet.

Jonas: Ich habe ihren Chiefproducer erschossen.

Regisseurin: Der ist ersetzbar, ein Star nicht, und Sie sind ein Star, Jonas, ein Megastar. Wollen Sie für Supermedia arbeiten? In der Sonderabteilung für Sponsorenprogramme.

Jonas: Nein, nie.

Regisseurin: Schade, Sie sind ja wirklich so.

Jonas: Wie bin ich?

Regisseurin: Wie Ihre Rolle, erstaunlich. Lassen Sie sich wenigstens ein großzügiges Honorar überweisen, das Ihrer Leistung entspricht.

Jonas: Nein.

Sam: Hatschi. Idiot, was soll die edle Geste, wer hat was davon. Greif zu, Schrumpfkopf, mach dir ein paar schöne Stunden, kauf Sammy ein paar neue Chips, Korrektur Jeton.

Jonas: Also gut, ich nehme das Geld, und jetzt lassen Sie mich in Ruhe, Jonas Megastar geht nach Hause.

Sam: Jawoll.

Jonas: Jonas hat einen harten Tag hinter sich.

Sam: Jawoll.

Jonas: Jonas ist müde. Jonas muß schlafen.

Sam: Sammy auch.

Das war Megastar. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv spielte Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam: Peer Augustinski. Der Holostar war Elisabeth Volkmann, der Holo-Producer Harald Leipnitz, außerdem wirkten mit Wolfgang Hess, Andreas Seyfert, Ernst Cohen, Michael Lenz, Christoph Krix (Nikolai von Koslowski) und Cornelia Boje. Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1989). Redaktion: Erwin Weigel.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:17
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Supernova

Jonas: Es war Montag, der 12. September 2011. Das Datum habe ich mir gemerkt. Man kriegt ja nicht jeden Tag einen Brief von einer Leiche. Montagmorgen. Zeit, die Wochenpost aus der Box zu holen. Den Weg hätte ich mir sparen können, dachte ich, als ich wieder zu Hause war. Das Übliche: Werbung, 2-D, 3-D, holographisch, eine Mahnung der Girozentrale, endlich mein Konto aufzufüllen, widrigenfalls und so weiter. Das übliche.

Jonas: Papierkorb.

Sam: O bitte, Exzellenz, nicht Papierkorb. Eine veraltete Vokabel. Altmodisch, abgestanden, altbacken, antiquiert, ach, der moderne Mensch benutzt einen Shredder, und drückt sich entsprechend aus.

Jonas: OK, Sammy, schmeißen wir das Zeug halt in den Shredder...

Sam: Könnte eure drognodetische Zurückgebliebenheit doch endlich endlich der Tatsache Rechnung tragen, daß wir uns im 21. Jahrhundert befinden und nicht mehr...

Jonas: Sei mal einen Moment still, Sammy.

Sam: Ja.

Jonas: Hier ist noch was. Ein persönlicher Brief an Jonas. Vorgestern abgestempelt in Babylon.

Sam: Von wannen wart euch diese Botschaft?

Jonas: Kein Absender drauf, nur die Adresse. Handschriftlich.

Sam: Handschriftlich. Altmodisch, abgestanden...

Jonas: Altbacken, antiquiert, du sagst es, Sammy.

Sam: Ja.

Jonas: Was könnte das sein?

Sam: Dies zu eruieren hat ein genialer Kopf eine todsichere Methode erfunden. Aufmachen.

Jonas: Was würde ich ohne Sam anfangen. In einer Flut ungeöffneter Briefe ertrinken vermutlich. Mich weniger ärgern und ihn vermissen. Jonas braucht einen Computer, einen schnellen, schlauen, scharfsinnigen Computer. Sam ist schnell, schlau und scharfsinnig, außerdem überdreht, geschwätzig und irre, irreparabel irre. Es gibt viele Computer, aber nur einen Sam.

Sam: Es zeugte schon immer von besonderem Geschmack, einen besonderen Computer zu besitzen. Ach ja. Was steht in dem Brief?

Jonas: Unsinn, Sammy. Off 20, 13. Marmota (2-11 04). Was soll das.

Sam: Eieieieieieiei, Marmota, eure linguistische Minderbemitteltheit, ist die spanische Vokabel für ein gewisses possierliches Pelztierlein, welches im Gebirge haust und sich mit seinen Artgenossen durch Pfeiftöne zu verständigen pflegt. Kurz.

Jonas: Murmeltier.

Sam: Ja.

Jonas: Ich weiß, Sammy, schließlich hab ich ihn selbst so genannt, damals im antarktischen Krieg.

Sam: Ihn? Wen?

Jonas: Lobo. Seargent Ramon Lobo, vom neunten Guerilla-Kommando, von der berühmten Einheit, die kurz vor Kriegsende vernichtet wurde von Robokillern auf Feuerland. Es gab nur zwei Überlebende. Jonas, schwer verwundet und Lobo. Der hatte etwas abseits unter einer Tarndecke gelegen und den Kampf verschlafen. Sagte er später. Und Jonas sagte, als er das hörte: Du bist kein Wolf, Lobo, du bist ein Murmeltier, Marmota. Lobo heißt Wolf. Nach dem Krieg ging er zur Europäischen Raumbehörde EURAB und wurde Astronaut.

Sam: Hätten Herr Militärhistoriograph wohl die unendlich große Güte, das präzise Datum jener ruchlosen Robokillerattacke dem atemlos harrendem Volke, sprich seinem getreuen Sam kundzutun.

Jonas: Sicher, Sammy. Das war im Herbst 2004, November. 2. November 2004.

Sam: 2.11.04 oder auch 2-11-04. Na fällt der Groschen du geistige Armenkasse?

Jonas: 2-11-04. Das steht im Brief.

Sam: In Klammern. Hinter dem Wort Marmota, welche Tatsache, meine Damen und Herren Geschworenen nur einen Schluß zuläßt, glasklar und messerscharf. Besagter Brief bezieht sich auf Ramon Lobo, Ex-Sergeant und weiland Mitstreiter meines Meisters.

Jonas: Kein Mensch kennt die alte Lobo-Marmota-Geschichte, nur er und ich, ich habe sie nicht weitererzählt und Lobo sicher auch nicht. Und da ich den Brief nicht geschrieben habe

Sam: War es Lobo. Logisch.

Jonas: Aber falsch. Lobo kann den Brief nicht geschrieben haben. Lobo ist tot.

Sam: Siehe die Offenbarung des Johannes, die da auch genannt wird Apokalypse 20. Kapitel, Vers 13.

Jonas: Bitte was?

Sam: Kurz Off 20,13.

Jonas: Aha, und was steht da, Sammy?

Sam: Und das Meer gab die Toten, die darin waren und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darin waren und sie wurden gerichtet ein jeglicher nach seinen Werken. Amen.

Jonas: Und das Meer gab die Toten.

Sam: Ist eure sklerotische Vergeßlichkeit denn auch sicher, daß er tot ist, dieser Lobo Marmota, dieser Murmelohohowolf.

Jonas: Ganz sicher. Schließlich hatte ich mit eigenen Augen gesehen, wie er starb, vor 2 Wochen, auf dem Holoschirm, beim Start der Europäischen Raumfähre Supernova.

Reporter: Da steigt sie auf, auf in den tiefblauen tropischen Himmel über Cape Crocodil, Queensland, schlank und rank wie ein Pfeil und doch größer, gewichtiger als die gute alte Nova, die sich ihre Pensionierung weiß Gott redlich verdient hat, nach 22 Ausflügen ins All, und mit einer viel wertvolleren Ladung als ihre Vorgängerin je aufzuweisen hatte: 5 Kommunikationssatelliten, wichtige Bauteile der neuen Orbitalstation und last not least die Blüte europäischer Bildung und Tatkraft in Gestalt der 4 Astronautinnen und Astronauten, wir alle kennen ihre Namen, angefangen mit dem Kommandanten Oberleutnant Ramon Lobo... was war das? Da ist etwas geschehen, meine Damen und Herren, die Trägerrakete scheint zu schlingern, Rauch, eine Flamme am linken Treibstofftank, immer mehr Rauch, ein Brand, mein Gott, o mein Gott, eine eine Explosion, alles ist explodiert, Trägerrakete, Tanks und die Supernova mit ihrer wertvollen Ladung, mit ihren 4 Astronauten, eine eine Katastrophe, eine entsetzliche Katastrophe, was soeben noch als stolzes technologisches Wunderwerk in die Höhe strebte, hat sich aufgelöst in Fragmente, winzige Bruchstücke, die ins Korallenmeer stürzen. Wie vor einem viertel Jahrhundert bei der Challengerkatastrophe, vielleicht wissen Sie es, meine Damen und Herren, wenn Sie sich für die Geschichte der Raumfahrt interessieren, wie damals hat auch jetzt wieder die Tücke des Objekts, der grausame Zufall menschlichem Fortschrittsdrang ein donnerndes unerbittliches Halt zugerufen. Verneigen wir uns in Ehrfurcht...
Jonas: Und so weiter blabla. Jonas verneigte sich nicht. Jonas mixte sich einen Punto Arenas, in Erinnerung an alte Zeiten, in Erinnerung an Lobo. Auch wenn wir nicht gerade Freunde gewesen waren.

Sam: Man nehme 1/5 argentinischen Matetee, 4/5 chemischen Brandy, dazu ein Schuß Wasser.

Lobo: Wasser? Niemals. Feuerwasser. Ein Schuß Feuerwasser aus Feuerland, das ganze kurz durchschütteln und dann runter, du sollest deine Tür abschließen, Jonas alter Kriegskamerad.

Jonas: Lobo!

Lobo: Ja klar Lobo, hey Jonas, bist ja ganz käsig um die Nase alter Kriegskamerad. Wo steht der Whisky.

Jonas: Schreibtisch, rechte Klappe.

Lobo: Deshalb hab ich dir doch den Brief geschickt, damit du keinen Schock kriegst, wenn du mich siehst. Oberleutnant Ramon Lobo, Astronaut, heroisch gefallen auf dem Felde des Fortschritts. Na also. Einen für den toten Lobo und einen für Jonas. Auf die gute alte Zeit. Also Jonas, alter Kriegskamerad, das wichtigste zuerst. Ich lebe noch.

Jonas: Offensichtlich. Und was willst du?

Lobo: Tja, was will ich. Sagen wir mal so, wir sind Freunde, Jonas.

Jonas: Nein.

Lobo: Nicht?

Jonas: Nein. Du hast einmal in deinem Leben zu fest geschlafen, Lobo.

Lobo: Das geschieht mir recht, was mußte ich dir auch diesen blöden Brief schreiben und die alte Geschichte wieder aufrühren. Also keine Freunde, Jonas, alter Kamerad. Feinde?

Jonas: Bis jetzt nicht, Lobo, aber wenn du noch einmal Kamerad zu mir sagst, schmeiß ich dich raus.

Lobo: OK, Jonas, alte Kame... alter Knabe. Reg dich ab. Kein Freund, kein Feind, Kamerad auch nicht, aber Detektiv bist du doch, oder?

Jonas: Ich sollte mich vorstellen. Besser spät als nie. Jonas, nur Jonas, Privatdetektiv. Der letzte. Wenigstens in Babylon der großen Stadt. Der letzte Detektiv und der letzte freie Mensch. Frei von fester Anstellung, frei von regelmäßigem Einkommen, die Volksrente nicht gerechnet, und auch noch stolz darauf. Fragen Sie mich nicht warum.

Lobo: Na bitte, Jonas, alter Knabe, das ist doch was, eine gemeinsame Basis. Wir werden wunderbar zusammenarbeiten.

Jonas: Meinst du nicht, Lobo, du solltest mir allmählich mal verraten, was du von mir willst?

Lobo: Aber klar, Jonas, ich werd's dir sagen, ganz genau. Zuerst bringst du mich ein paar Tage unter, hier bei dir, ein Palast ist es zwar nicht, aber mein Gott, ich bin nicht gerade verwöhnt. Im Raumschiff ist es auch nicht gerade üppig. Niemand darf wissen, wo ich bin, du sagst es keinem Menschen, Jonas alter Knabe und du läßt auch keinen Menschen in dein Apartment.

Jonas: Sonst noch einen Wunsch der Herr.

Lobo: Eine Kleinigkeit, alter Knabe, wir setzen uns zusammen und überlegen, wie wir mit meiner Story so an die Öffentlichkeit gehen, daß mir nichts passieren kann.

Jonas: Deine Story hat was mit Supernova zu tun, nehme ich an.

Lobo: Ja was denn sonst alter Knabe.

Jonas: Daß die Raumfähre vor zwei Wochen explodiert ist wie na wie eine Supernova, das war also kein Unfall.

Lobo: Kluges Kind, ein echter Schnellmerker, warst du schon damals auf Feuerland. Natürlich war es kein Unfall, sonst wäre ich ja wohl nicht hier, quietschvergnügt und munter, na munter sollte ich eigentlich nicht sagen. Immerhin sind drei Kollegen umgekommen.

Jonas: Mord.

Lobo: Und Betrug, Jonas alter Knabe, Megasuperriesenbetrug.

Jonas: Wer steckt dahinter? EURAB?

Lobo: Natürlich EURAB.

Jonas: Und warum?

Lobo: Warum? Na stell dich nicht so naiv. Mäuse, Kies, Knete, Piepen, Moos, Peseten, Dollars, Euros. Du erinnerst dich an Challenger, wann war das, 1986. Das hat EURAB auf die Idee gebracht. Nach dem Unfall damals hat der Staat der NASA unheimlich was reingeschoben, so eine Art Trotzreaktion, weißt du, jetzt erst recht. Und EURAB geht es nicht gerade blendend, könnte eine Finanzspritze gut gebrauchen, genauer gesagt zwei Finanzspritzen: Erst mal zusätzliche Staatsknete und dann

Jonas: Die Ladung.

Lobo: Du hast es erfaßt, Jonas alter Knabe. Offiziell Satelliten und Orbitalstationen, entsprechend hoch versichert, in Wirklichkeit bloß Schrott. Ja so sieht's aus, Jonas alter Knabe.

Jonas: Warum gehst du nicht zur Polizei?

Lobo: Um Gotteswillen, bloß das nicht, ich weiß ja nicht, wer noch alles drinsteckt. Bei so viel Geld. Es geht um Milliarden, Jonas alter Knabe, Milliarden. Und deshalb gehe ich erst mal auf Tauchstation.

Jonas: Hört sich interessant an deine Story, hast du auch so was wie Beweise?

Lobo: Beweise, die gibt’s, Jonas alter Knabe. Bei EURAB. Natürlich nicht im Datenspeicher. Die Sachen sind gar nicht durch den Computer gelaufen. EURAB ist schlau. Top Secret Material ist nur handschriftlich vorhanden, im Keller, in der alten Kartei. Und du wirst sie da ausgraben, die Beweise.

Jonas: Ach ja, und was hab ich davon?

Lobo: Du wirst die Wahrheit ans Licht bringen, Jonas alter Knabe, der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen etc. etc. Honorar ist sicher auch drin.

Jonas: Wer zahlt das. Du?

Lobo: Vielleicht, wenn ich die ganze Kiste an die Medien verkauft habe. Oder die Versicherung. Mach dir keine Sorgen, Jonas, du kriegst schon dein Geld.

Jonas: Sag mal Lobo, wieso lebst du eigentlich noch.

Lobo: Über Einzelheiten reden wir später, in Ruhe. OK, Jonas alter Knabe? Kann ich bei dir unterkriechen?

Jonas: Ich sagte ja. Nicht wegen der alten Zeiten. Der Fall interessierte mich. Ein getürkter Raumfahrtunfall mit Mord und sonstigen Komplikationen. Dafür läßt sich ein Detektiv sogar mit einem Widerling wie Lobo ein.

Lobo: Na wunderbar Jonas alter Knabe, am besten gehst du gleich los und holst Proviant für ein paar Tage. Nicht bei deiner üblichen Quelle. Nur kein Aufsehen.

Jonas: Soll ich dir meinen Taschencomputer hierlassen zur Gesellschaft.

Sam: O bitte nicht Hoheit, das Wesen des Gentleman konveniert mir nicht.

Lobo: Na, nicht nötig, ich mach mir nichts aus quakenden Blechbüchsen.

Sam: Unerhört, nehmen Sie das eventuell zurück?

Jonas: Sei still, Sam. Hier ist der Schlüssel, Lobo, schließ hinter mir ab und mach nur auf, wenn ich mich melde.

Lobo: Alles klar und vergiß nicht Whisky mitzubringen.

Jonas: Die Flasche ist noch so gut wie voll.

Lobo: Aber nicht mehr lange, Jonas alter Knaben. Prost.

Sam: Prost.

Jonas: Als ich nach einer Stunde zurückkam, war die Tür offen. Das machte mich stutzig. Und noch stutziger machte mich, was ich in meinem Büroapartment vorfand. Einen kaputten Klapptisch, Scherben, Kratzer auf dem Boden, einen dunkelroten Fleck und keinen Lobo.

Sam: Höchst verdächtig mein lieber Watson, was schlagen Sie vor?

Jonas: Wir bleiben dran, Sammy, wir gehen dieser Sache nach.

Sam: Wegen dieses Lobo?

Jonas: Zum Teil, Sammy, immerhin ist Lobo zu mir gekommen als Klient.

Sam: Daß ich nicht kichere. Nicht mal bezahlt hat er.

Jonas: Egal, ich bin es ihm schuldig, außerdem will ich wissen, was an seiner Geschichte dran ist. Andererseits ein zahlender Klient zusätzlich wäre nicht schlecht. Weißt du woran ich denke, Sammy.

Sam: Klar Kumpel, die Versicherung.

Jonas: Richtig. Welche Gesellschaft hat Supernova versichert?

Sam: Die Vereinigte Kosmos, die größte und beste im Universum, behauptet sie. Firmenmotto: Sicher ist sicher, sagte der Bauer und streute sich Zucker auf den Sirup.

Jonas: Was?

Sam: Ein uralter Spruch, euer Denk- und Merkwürden. Aus dem Schatzkästlein tönender Volksweisheit, worinnen so mannigfachige

Jonas: Halt uns nicht auf, Sam, wer ist der Chef der Vereinigten Kosmos?

Sam: Kein Chef, Chef, die Geschicke dieses gigantischen Konzern werden gelenkt und geleitet von einem siebenköpfigen Direktorium. In unserer Angelegenheit wäre wohl der Direktor für Schadensabwicklung zuständig, wenn ich mir die Bemerkung erlauben dürfte, Sir.

Jonas: Und wer ist das?

Sam: Einen Augenblick Sir. Piep. Who is Who in Babylon, 37. Auflage aller letzter Stand. Piep. Vereinigte Kosmos, Direktion für Schadensabwicklung, Frau Dr. h.c. Grenadin Adamson, Vorstandsmitglied im Verband der Industriekapitäninnen, Vorsitzende der Tafelrunde für Edelfrauen Babylon e.V., Mitglied im Löwinnenclub ferner

Jonas: Geschenkt, Sammy. Fonnummer. Fonnummer.

Sam: Fonnummer. Haben wir es heute mal wieder eilig. Kommt sofort.

Jonas: Frau Adamson ließ sich nicht vom jedem sprechen. Dafür hatte sie ihren Foncomputer, der war stur und dumm, er hatte nur drei Sätze drauf, und die wiederholte er immer und immer wieder:

Fon Stimme: Frau Direktor Adamson ist zur Zeit unabkömmlich. Geben Sie Ihren Namen und den Zweck Ihres Anrufs an. Frau Direktor Adamson wird sich gegebenenfalls mit Ihnen in Verbindung setzen. Frau Direktor Adamson ist zur Zeit unabkömmlich. Geben Sie Ihren Namen...

Jonas: OK, OK, ich bin Jonas der letzte Detektiv, ich muß mit Frau Adamson reden über einen großen Schadensfall und über EURAB. Ich warte auf Rückruf.

Sam: Kannste lange warten, Junge, hehe, wetten.

Jonas: Wetten, Sam, hehe... Jonas.

Adamson: Hier spricht Grenadin Adamson persönlich. Bitte schalten Sie auf Bildfon. Gefällt mir, was ich sehe.

Jonas: Sie haben mich doch nicht angerufen, um mir Komplimente zu machen.

Adamson: Ich habe von Ihnen gehört, Jonas. Es ist Ihnen gelungen, meine Kollegin Astoria Waldorf von Multipharm auszutricksen. Sie müssen ein ungewöhnlicher Mensch sein. Ich interessiere mich für ungewöhnliche Menschen. Ich bin selbst einer. Deshalb rufe ich an. Was wollen Sie?

Jonas: Ihnen was erzählen. Über einen gigantischen Versicherungsbetrug.

Adamson: An meiner Firma? Durch wen?

Jonas: EURAB.

Adamson: Unsinn.

Jonas: Angenommen, die hochversicherte Ladung von Supernova bestand nur aus wertlosem Schrott.

Adamson: Jonas, Sie reden irre, oder haben Sie Beweise?

Jonas: Nur Hinweise. Bis jetzt. Aber es gibt Beweise und Jonas könnte sie finden.

Adamson: Ich verstehe. Sie wollen von mir engagiert werden. Was verdienen Sie so als Detektiv.

Jonas: Millionen.

Adamson: Sie machen Witze.

Jonas: Ich mache Witze.

Adamson: Hören Sie, Jonas, für einen regulären Auftrag ist mir Ihre Geschichte zu windig. Aber wenn Sie Ihren Hinweisen nachgehen und tatsächlich was entdecken sollten, dann verspreche ich Ihnen ein Erfolgshonorar.

Jonas: Wieviel?

Adamson: Das Übliche. Ein Promille der Versicherungssumme.

Jonas: Klingt ziemlich dürftig.

Adamson: Bei einer Versicherungssumme von rund 5 Milliarden Euros.

Sam: Ein Promille von 5 Milliarden ist 5 Millionen.

Adamson: Ich höre von Ihnen Jonas.

Jonas: 5 Millionen Euros.

Sam: Yes Sir.

Jo: Hi Jonas.

Jonas: Hallo Jo.

Jo: Ist was. Du hast so ein irres Glitzern in den Augen.

Jonas: Nur ein Abglanz, Jo.

Sam: Jo. Ein Wiederschein, gnädigste Kontess, der Wiederschein goldener Berge, welche sich vor uns erheben.

Jo: Sagt mal spinnt ihr beide?

Jonas: Ich erzählte ihr was los war. Vor Jo hat Jonas keine Geheimnisse. Jo für Jolanda. Jolanda Nix. Wir haben keine offizielle Beziehung, aber wir sind befreundet. Gut befreundet. Vor zwei Monaten hatte es angefangen, Fall Inselklau, wir waren zusammen eingesperrt gewesen, und hatten uns gemeinsam befreit. Das verbindet. Jo war halb so alt wie Jonas und hatte einen Vaterkomplex. Außerdem rote Haare und ein begeisterungsfähiges Wesen.

Jo: Toll, Jonas, eine total tolle Story. Wie geht's weiter?

Jonas: Ich fahr raus zu EURAB und seh mich ein bißchen um.

Jo: Toll, ich komm mit.

Jonas: Nein, Jo, das ist kein Holoabenteuer, wo den Helden nie was passiert. Es ist gefährlich Jo, wirklich gefährlich, es geht um Leben und Tod.

Jo: Blablabla. Du redest wie ein weiser alter Mäuserich mit Bart, und du hast nicht einmal recht, es ist ein Abenteuer, das größte und tollste, gerade weil es um Leben und Tod geht.

Jonas: Das Risiko ist zu groß, Jo.

Jo: Mein Risiko gehört mir und das geht dich nichts an. Du bist richtig sweet, wenn du so altmodisch kuckst, Jonas. Sei doch ehrlich, gibs zu, für dich ist das alles doch auch das größte. Risiko und Gefahr und so. Du mußt ja nicht Detektiv sein, keiner zwingt dich, du könntest das tun, was sonst alle machen: Volksrente kassieren, rumsitzen, Holo glotzen.

Jonas: Und wenn du noch Stunden lang weiterredest Jo, ich nehm dich nicht mit.

Jo: Du mußt, Jonas, weil du ohne mich gar nicht reinkommst bei EURAB. Oder kannst du auf die schnelle offizielle EURAB-Paßscheiben organisieren?

Jonas: Weiß ich nicht, vielleicht.

Jo: Also nein. Aber ich. Über Bertie.

Jonas: Wer ist Bertie?

Jo: Bertie Kalaschnik. Ich habe ihn auf einer Party kennengelernt vor ein paar Tagen, sein Daddy ist ein hohes Tier bei der EURAB-Schutztruppe. Ich kann jederzeit Paßscheiben von ihm kriegen, hat Bertie gesagt, falls ich mich mal bei EURAB umsehen will. Allein oder mit Freunden. Zufällig bin ich nachher mit ihm verabredet.

Jonas: Zufällig. Und da gibt er dir zwei EURAB-Paßscheiben. Nur so. Wegen deiner blauen Augen.

Jo: Nicht nur, ich hab schließlich noch mehr zu bieten. Also Jonas, entweder Paßscheibe und Jo oder gar nichts. Kannst es dir ja überlegen, um drei Uhr bin ich wieder zurück, und dann arbeiten wir wieder zusammen. Jo und Jonas. Jojo. Das tolle Team.

Jonas: Ich hatte einen anderen Plan, ich wollte Jo nicht in Gefahr bringen, und ich wollte beweisen, daß ich sie nicht brauchte. Als Jo weg war, ging Jonas auch, Richtung Westen, Stadtrand, wo über verwesenden Schlafburgen aus dem 20. Jahrhundert das EURAB-Center aufragte. Ein riesiger Pfeiler, dessen Spitze in den Wolken verschwand. Ein Meisterwerk der Post-Postmoderne, hatte der Minister bei der Eröffnung gesagt, vor 20 Jahren. Eine symbolische Rakete, das Beton gewordene Motto von EURAB. Plus Ultra. Immer weiter. Immer höher. Die Babylonier waren nicht so feierlich. Wenn Sie überhaupt vom EURAB-Center sprachen, sagten sie: Der steile Zahn. Nicht weit vom Center gab es ein kleines Lokal. Zum Astronauten. Hier aßen die besseren EURAB-Mitarbeiter. Ingenieure, Abteilungsleiter. Alles, was sich nicht mit dem Fußvolk in der EURAB-Kantine rumdrücken wollten. Jonas rein. Kurzer Blick, ein paar Weißkittel mit EURAB-Paßscheiben am Revers beim Mampfen. Jonas ging weiter, nach hinten, durch die Tür mit der Aufschrift Herren, in einen Verschlag, da ließ ich mich nieder und wartete, zwei drei Minuten, dann kam schon einer, mit weißem Kittel und voller Blase.

Jonas: Verzeihung.

Ingenieur: Bitte?

Jonas: Wären Sie so freundlich, mir Ihren Kittel zu leihen, und Ihre Paßscheibe natürlich auch.

Ingenieur: Bitte?

Jonas: Ihren Kittel und Ihre Paßscheibe.

Ingenieur: Was soll das, lassen Sie mich in Ruhe.

Jonas: Tut mir leid, ich muß darauf bestehen.

Ingenieur: Sie werden lästig, verschwinden Sie.

Jonas: Wissen Sie, so geht's mir immer, ich hab unfeine Methoden, sagen die Leute, aber was soll ich denn machen, jedesmal versuch ich's zuerst im Guten, aber das klappt einfach nicht, wie jetzt zum Beispiel und da bleibt mir gar nichts anderes übrig als, ja, so was, das ist ein Knockouter, kennen Sie bestimmt, ich stelle ich auf, sagen wir drei Stunden, das sollte reichen.

Ingenieur: Ich will raus hier, lassen Sie mich raus, Hilfe! Hilfe!

Jonas: So, Punkt 1 abgehakt, problemlos. Keine Probleme auch bei Punkt zwei, keine Alarmzelle gab Laut, kein Pförtner wurde mißtrauisch, als Jonas Eingang und Halle des Eurabcenter passierte, bekittelt und bescheibt, schnellen Schrittes und geschäftig, mit einem Gesicht, als ob er gerade Umlaufbahnen berechnete. Ich verschwand in einem Korridor, bog um die Ecke... ein Knall. Meine Schädeldecke explodierte, mein Gehirn hob ab, und stieg auf, höher, immer höher, und dann war es verschwunden, und weil Jonas ohne Gehirn nicht mehr Jonas war, verschwand er auch, die Welt löste sich auf, nichts war mehr da. Ich war auf dem Mond. Ganz sicher. Mondlandschaft hatte ich oft genug im Holo gesehen. Große graue Steine, Kraterlöcher, merkwürdig runde Berge am Horizont und vor allem der Himmel über mir, der unermeßliche Himmel mit Milliarden Lichtern. Mein Gehirn war wieder da, wo es hingehörte, dafür waren Kittel und Paßscheibe weg. Und es fehlte noch was. Jonas lag auf Mondgestein und schnappte nach Luft. Vergeblich. Keine Luft auf dem Mond. Die Bronchien verknäulten sich, die Augen quollen aus den Höhlen, Jonas war am Ersticken, und da hatte er eine Halluzination: eine weiße Gestalt trat aus dem Hintergrund, kam näher, ein Engel, kein Engel, jemand im Raumanzug, nicht irgend jemand. Lobo. Er trug einen Kanister, schob mir was zwischen die Zähne, das Mundstück eines Sauerstofftanks, dann verschwand er wieder, an der selben Stelle, an der er aufgetaucht war. Seltsam. Egal, erst mal atmen, alles andere konnte warten, ich lutschte an meinem Mundstück wie ein Säugling an der Sojamilchflasche.

Sam: Na, Genosse, Leben wieder frisch? Ha?

Jonas: Es geht Sam. Moment mal, wieso kann ich dich hören, es ist doch gar nicht möglich, Schallwellen im Vakuum.

Sam: Vakuum? Das war einmal. Spuck den Schnuller aus, Kindchen, den brauchst du nicht mehr. Kurz nachdem mein über alles erhabener, wenn auch luftlos nicht existenzfähiger Herr und Meister an die Sauerstoffbuddel gelegt wurde, ließ jemand Luft in diesen Raum strömen.

Jonas: Jemand? Wer?

Sam: Wer? Vermutlich der, der sie vorher abgelassen hat.

Jonas: Aber wie kann man denn auf dem Mond die Luft einfach so an und abstellen.

Sam: Auf dem Mond, hehe, oder auch hehe wie sie bemerken meine Damen und Herren, verehrte Kommilitonen, kann kurzzeitiger Sauerstoffentzug zu markanten intellektuellen Ausfallerscheinungen führen, sogar bei Privatdetektiven.

Jonas: Wir sind nicht auf dem Mond?

Sam: Wir sind immer noch im EURAB-Center, du Kopfprothetiker.

Jonas: Was?

Sam: Das hier ist eine Mondsimulation, ein Trainingsraum für Astronauten, eine Illusion, ein bißchen Geröll und Holobilder drumrum.

Jonas: Wirklich, sieht aber sehr echt aus.

Sam: Steh auf, geh ein paar Schritte und wenn du dir an der Wand eine Beule fängst, wirst' es schon merken.

Jonas: Was ist hier eigentlich los, Sammy, kaum bin ich drin, wird ich auf den Kopf gehauen, dann bringt man mich auf diesen falschen Mond, in ein Vakuum und wie ich kurz vor dem ersticken bin kommt mein alter Freund Ramon Lobo.

Sam: Lobo? Der Typ im Raumanzug mit Sauerstofftank war Lobo? Lobo der Unverschämte, Lobo der mysteriös Abhandengekommene?

Jonas: Ich hab ihn erkannt, Sammy, ganz deutlich, und da drüben ist er zum zweiten mal abhanden gekommen hinter dem Steinhaufen.

Sam: Na was und da stehst du immer noch hier und redest in der Gegend rum? Der Herr warten wohl auf eine schriftliche Einladung, wie, auf auf ihm nach.

Jonas: Der Ton paßte mir nicht, aber in der Sache hatte ich auch keinen besseren Vorschlag. Also wanderte ich durch die nachgemachte Mondlandschaft und stieß mir prompt den Kopf an der unsichtbaren Begrenzung, wie Sam vorausgesagt hatte. Als ich mit der Hand herumtastete, fand ich einen Griff. Ich zog daran, eine Tür ging auf, der Eingang zu einer im Moment funktionslosen Luftschleuse. Gegenüber eine zweite Tür. Dahinter ein enger Gang, dunkel, bis auf einen schmalen Lichtstreifen weiter vorn.

Sam: Ein geheimer Gang, mein roter Bruder möge ihm folgen.

Jonas: Du spinnst Sammy, man hat dir zu viel Schmöker einprogrammiert.

Sam: Und es ist doch ein Geheimgang, denn wisse o Sultan, in diesem Gebäude existiert ein zweiter, ein geheimer Aufenthalts- und Verbindungsbereich, welcher lediglich für die EURAB-Schutztruppe bestimmt ist.

Jonas: Ach was.

Sam: Doch, sie verfügt somit über ihre eigenen Räume, Gänge, Treppen, Aufzüge. Doch genug geplaudert, machet euch auf, Kaspar, Melchior, Balthasar, dem Sterne nach, der dorten glänzet. Pst. Leise, Klavier äh Piano. Pianissimo.

Jonas: Jonas schlich sich an wie Old Shatterhand in besten Jahren. Der Lichtstreifen war ein Türspalt, breit genug zum Durchsehen. Ein Raum, etwa so groß wie mein Büro, an allen Wänden Monitore, vor einem Schaltpult ein bulliger Typ in der Uniform der EURAB-Schutztruppe. Neben ihm Lobo. Er steckte noch im Raumanzug, hatte aber den Helm abgenommen. Hören konnte man durch den Spalt übrigens auch ganz gut.

Lobo: Kann ich was dafür, wenn Jonas zu früh kommt? Dein dämlicher Bertie sollte dieser wie heißt sie, Jonas Freundin, Nix, Jo Nix.

Kalaschnik: Ja.

Lobo: Er sollte ihr die Paßscheibe erst am Nachmittag geben.

Kalaschnik: Red dich nicht raus, Lobo, es war deine Idee, den Detektiv einzuschalten, und wenn das jetzt schief geht.

Lobo: Nichts geht schief. Die Mappe mit dem Beweismaterial gegen EURAB liegt hier, wir werden sie ihm irgendwie zustecken, wie geplant, und dann dafür sorgen, daß er heil hier rauskommt. Ich weiß nicht, was du willst Kalaschnik, alles ist OK.

Kalaschnik: Ich wußte ja schon immer, daß du blöd bist, Lobo, aber so blöd... Wer hat Jonas abgefangen, EURAB, warum weiß ich als Chef der Schutztruppe nichts davon, ist EURAB uns auf der Spur, haben sie mitgekriegt, daß wir sie hochgehen lassen wollen, mit ihrer hausgemachten Katastrophe? Warum haben sie Jonas nicht gleich verschwinden lassen, sondern in die Mondsimulation gebracht? Sag mal, er hat dich doch nicht gesehen?

Lobo: Kein Stück. Der war weit genug weggetreten. Du machst dir zu viel Sorgen Kalaschnik. Uns wird schon was einfallen. Jonas hat Luft für eine Stunde. Und so lange haben wir ihn sicher in der Simulation. Der läuft uns nicht weg.

Kalaschnik: Ach ja? Dann kuck mal auf den Monitor.

Lobo: Weg! Jonas ist weg.

Jonas: Im Gegenteil, Jonas ist hier. Mit seinem Knockouter.

Sam: Und seinem Computer. Einer für alle, alle für einen. Nieder mit der Garde des Kardinals, zur Hölle mit allen Schurken und Verrätern.

Jonas: Nehmen Sie meinen Computer nicht unbedingt wörtlich, meine Herren, und nehmen Sie die Hände hoch.

Jonas: Lobo erstarrte. In seinem Raumanzug sah er aus wie das Denkmal vor dem EURAB-Center, Dr. Werner Semmel, der erste Mensch auf dem Mars. Kalaschnik war besser, er reagierte sofort und langte nach seinem Laserstrahler, aber Jonas hatte den Knockouter schon in der Hand. Jonas war schneller.

Kalaschnik: Hu!

Jonas: Den Laser nehm ich besser an mich.

Lobo: Hör mal, Jonas, alter Knabe.

Jonas: Du bleibst so stehen, Lobo und rührst dich nicht, und den Mund machst du nur auf, wenn ich dich was frage.

Lobo: Aber Jonas...

Jonas: Weißt du, Lobo, ein Knockouter ist unangenehm, aber ein Laser ist endgültig, und es wäre doch schade um dich. Das also sind die Beweise gegen EURAB.

Sam: Handschriftliche Aufzeichnungen. Igitt. Altmodisch. Abgestanden. Altbacken. Antiquiert.

Jonas: Aber aufschlußreich: Listen von hochwertigem Material, Material, das angeblich mit Supernova im Ozean versackt war, in Wirklichkeit war es noch vorhanden, in EURAB-Geheimspeichern. Holobilder, nicht professionell, offenbar heimlich geschossen, aber deutlich genug. EURAB-Direktoren beim Beladen von Supernova mit Schrott. Die Schadensmeldung über einen defekten Treibstofftank, datiert auf den Tag vor dem Start. Wie gesagt, aufschlußreich und ausreichend.

Sam: In der Tat, Herr Kollegiat, der Fall ist klar. EURAB selbst hat Supernova abstürzen lassen.

Jonas: Lobos Geschichte stimmt also.

Sam: Ja.

Jonas: Aber das ist auch ziemlich das einzige, was hier stimmt. Pack aus, Lobo, alter Knabe, warum lebst du noch?

Lobo: Weil ich gar nicht in Supernova war. Kurz vor dem Start haben sie mich ausgetauscht, gegen einen Androiden, der aussah wie ich.

Jonas: Ausgetauscht? Warum?

Sam: Ja, und vor allem wer?

Jonas: Genau, wer hat dich ausgetauscht, Lobo? Na?

Lobo: Ich sag nichts mehr.

Jonas: Er will nichts sagen, Sammy.

Sam: Er wird, Herr Großinquisitor, nämlich wenn wir zur peinlichen Befragung übergehen. Daumenschrauben, Streckbett, eiserne Jungfrau.

Jonas: Ein einfacher Laser tut's auch, Sammy.

Sam: Jajajaja.

Jonas: Ein Laserstrahler kann ein sehr überzeugendes Argument sein, besonders bei einem Feigling, ganz besonders, wenn man droht, bei den Zehen anzufangen und sich langsam hochzuarbeiten.

Sam: Erst der kleine Zeh, tut noch nicht so weh, nene, dann der große Zeh tut schon viel mehr weh.

Lobo: Nein, Jonas, nein, bitte, ich will ja reden. Ich sag dir alles, Jonas.

Jonas: Dann fang mal an. Wer hat dich ausgetauscht?

Lobo: Wir, ich meine die Gruppe: Die AA.

Jonas: AA?

Lobo: Anti-Astronauten. Wir sind gegen Raumfahrt aus grundsätzlichen Erwägungen.

Jonas: Wer ist wir?

Lobo: Kalaschnik und die meisten EURAB-Schutztruppler, ja und ich.

Jonas: So, ihr seid also gegen Raumfahrt, aus grundsätzlichen Erwägungen.

Lobo: Wir meinen, es ist eine sinnlose Geldverschwendung, solange auf der Erde noch so viel zu tun ist.

Jonas: Hört sich ganz vernünftig an, in der Theorie.

Lobo: Wir arbeiten innerhalb von EURAB im Untergrund. Und da haben wir mitgekriegt, daß die EURAB-Spitze Supernova hochgehen lassen wollte. Wir haben uns zusammengesetzt und beschlossen, den Plan von EURAB für unsere Ziele zu benutzen.

Jonas: Warum seid ihr nicht gleich an die Öffentlichkeit gegangen, ich meine vor der Katastrophe?

Lobo: Das hätte nicht so viel gebracht. Erst Unfall, dann Enthüllung, das haut hin. Das macht EURAB kaputt und die ganze Raumfahrt.

Jonas: Ihr habt also nichts gesagt und die Sache laufen lassen. Du bist gegen einen Androiden ausgetauscht worden, und die anderen 3 Astronauten?

Lobo: Tja, die hat’s erwischt. Leider. Aber wenn Blut fließt, hat das gleich eine viel stärkere Wirkung, sagt Kalaschnik.

Jonas: Du warst immer eine Ratte, schon damals auf Feuerland.

Lobo: Murmeltier wenn schon.

Sam: Alles mal herhören. Zeit drängt. Situation höchst unsicher. Gestatte mir Abkürzung. Also: Nach planmäßiger Verunfallung von Supernova Dilemma bei sogenannter Widerstandgruppe. Unmöglich sich zu demaskieren und Wissen um Hintergründe selber aufzudecken.

Jonas: Warum?

Jonas: Warum? Gruppe hätte zugeben müssen, alles schon vorher gewußt, nichts getan, 3 Astronauten über Klinge hopsen lassen. Also Parole: In Deckung bleiben, Aufklärung hintenrum. Idee: Da gibt’s so nen Typ, Jonas heißt er, Detektiv is er.

Jonas: Das stammt von dir, was Lobo?

Lobo: Naja, schließlich sind wir alte Kriegskameraden.

Jonas: Kriegskameraden. Du bist bei mir aufgekreuzt, auferstanden von den Toten, und dann bis du wieder verschwunden, unter verdächtigen Umständen. Jonas sollte ins EURAB-Center gelockt werden, um das Beweismaterial zu finden.

Lobo: Wir hatten alles so schön vorbereitet über Kalaschniks Bertie und deine Freundin Jo.

Jonas: Aber Jonas kam zu früh. Und die Sache ging daneben. Wer hat mich niedergeschlagen und in die Mondsimulation gebracht.

Lobo: Keine Ahnung, Jonas alter Knabe, wirklich nicht.

Lautsprecher-Stimme: Achtung, Achtung, hier spricht die Direktion. Eine Durchsage von höchster Wichtigkeit für alle EURAB-Mitarbeiter. Verlassen Sie auf der Stelle das EURAB-Center, ruhig, geordnet, ohne Panik. Befolgen Sie dabei nur die Anweisung der neuen EURAB-Sicherheitssondereinheiten in den grünen Uniformen. Die bisherige EURAB-Schutztruppe ist aufgelöst. Ihre Mitglieder haben keinerlei Weisungsbefugnis mehr. Ich wiederhole: Alle EURAB-Mitarbeiter verlassen auf der Stelle das Gebäude. Ende der Durchsage.

Sam: Und siehe, es wart Licht.

Jonas: Licht?

Sam: Symbolisch, du Nappsülze.

Jonas: Ach so.

Sam: Ja. Oder um es auch für geistig nicht üppig Bemittelte verständlich auszudrücken: Alles klar. Offenbar hegte EURAB seit einiger Zeit einen gewissen Verdacht, oder doch eine Ahnung, von den sie unterwandert habenden Antiraumfahrtverschwörern. Deshalb ist Jonas in die Mondsimulation verbracht worden, als Köder quasi, als nichtsahnender Lockvogel. EURAB hat alles, was weiterhin geschah elektronisch verfolgt und dürfte nunmehr voll im Bilde sein.

Jonas: OK, Sammy, aber woher hat EURAB gewußt, daß Jonas hier im Center auftauchen würde und wann?

Lautsprecher-Stimme: Achtung Achtung! Eine Durchsage für alle Angehörigen der EURAB-Sicherheitssondereinheiten: Nach der Evakuierung des EURAB-Centers tritt Alarmplan A7 in Kraft. Das gesamte EURAB-Center wird vom Keller bis zur Spitze gründlich durchsucht und systematisch gesichert. Das betrifft sowohl den normalen Arbeits-, als auch den speziellen Sicherheitsbereich. Alle Mitglieder der aufgelösten EURAB-Schutztruppe sind festzunehmen, desgleichen eine sich unrechtmäßig im Center aufhaltende Person namens Jonas, ich wiederhole Jonas. Ende der Durchsage.

Jonas: Die Monitore wurden dunkel, das Licht ging aus, bis auf eine trübe Notbeleuchtung. EURAB hatte uns den Saft abgedreht. Es wurde Zeit, für Jonas, auch auf einen Alarmplan umzuschalten. A7 oder wie immer.

Sam: Priorität A: Mein Meister bringt die eigene Person nebst seinem treuen Sam in Sicherheit, das heißt aus dem EURAB-Center. Priorität B, mein Meister rettet das Beweismaterial gegen EURAB zwecks künftiger Verwendung.

Jonas: Ist mir recht, Sammy, und wie machen wir das.

Sam: Wie machen wir das, der böse Feind arbeitet sich von unten nach oben durch, wir türmen also nach oben. In die Spitze.

Jonas: OK, kennst du den Weg?

Sam: Unzureichende Daten. Vorschlag: Lobo.

Jonas: Natürlich, Lobo, du müßtest dich im EURAB-Center bestens auskennen. Geh voraus.

Lobo: Warum sollte ich, Jonas alter Knabe.

Jonas: Weil ich es will. Weil ich einen Laser habe und weil du selbst das größte Interesse daran haben mußt, denn wenn die EURAB-Leute dich erwischen, machen sie dich zu dem, was du offiziell schon bist: zu einer Leiche. Zieh den Raumanzug aus und dann los.

Jonas: Es wurde ein Gewaltmarsch im Gebirge, durch Gänge, über Treppen, alle Aufzüge standen still, darum brauchten wir fast eine Stunde, bis wir auf der kleinen Aussichtsplattform an der Spitze des Centers standen, 500 Meter über der Erde. Wir schnauften und sahen uns um, nach einem rettenden Engel vermutlich.

Sam: Und voila, da ist er schon.

Jonas: Wer Sammy?

Sam: Der Engel, Mann, der rettende.

Jonas: Du meinst den Hubschrauber.

Sam: An und für sich meint Sam eher den in demselben befindliche Lady.

Adamson: Hallo, Jonas.

Jonas: Frau Adamson.

Sam: Von der vereinigten Kosmos.

Adamson: Ich habe gehört, daß Sie in Schwierigkeiten sind und Hilfe brauchen, deshalb bin ich gekommen. Wie ist es gelaufen? Haben Sie was erreicht?

Jonas: Kann man wohl sagen, sehen Sie die Mappe: Beweise, stichhaltige Beweise gegen EURAB. Ich hab Ihnen 5 Milliarden Euros erspart.

Adamson: Und 5 Millionen verdient, bravo Jonas, passen Sie auf, ich werfe ihnen eine Strickleiter zu, steigen Sie um.

Jonas: Der Hubschrauber stand direkt über uns, so tief, daß man ihn fast mit Händen greifen konnte. Nur ein paar Sprossen auf der Strickleiter. Trotzdem war es eine mühsame Kletterei, ich hatte nur eine Hand frei, mit der andern mußte ich die Mappe mit den Beweisen festhalten.

Adamson: Machen Sie es sich leichter, Jonas, reichen Sie mir die Mappe zu. Besten dank.

Jonas: Au!

Adamson: Wünsche noch einen angenehmen Aufenthalt im EURAB-Center, Jonas, es war mir eine Freude Sie gekannt zu haben.

Sam: Reingelegt. Angeschmiert und ausgetrickst, beschummelt, behumpst und beschupst. Da fliegen sie hin, die Beweise, auf Nimmerwiedersehen. Und Jonas sitzt auf seinem allerwertesten und glotzt blöd in die Landschaft.

Jonas: Was soll ich denn sonst machen, Sam, diese hinterhältige Schlange hat einfach die Strickleiter losgemacht und Jonas abgeworfen, die steckt also auch mit drin.

Sam: Präziser: Frau Direktor Adamson ist Mitwisserin und Komplizin von EURABs Untat. Ist doch auch ganz logisch Mann. EURAB hat sich die Verantwortliche für Schadensabwicklung bei Kosmos gekauft, um eine allzu eingehende Überprüfung der Supernovakatastrophe zu verhindern.

Jonas: Dann hat sie EURAB vor Jonas gewarnt.

Sam: Ja wer denn sonst, Mann, wie singt schon Giuseppe Verdi: o wie so trügerisch

Jonas: Singe nicht, Sammy. Denke.

Sam: Nicht mehr nötig, verehrte Spätzünder. Alle Probleme sind gelöscht, äh gelöst.

Jonas: Bis auf eins. Was machen wir jetzt, jeden Moment können die EURAB Sonderbullen hier auftauchen.

Sam: Eieiei, Alarm, da sind sie, wo hast du einen Laser, alter Schussel?

Jonas: Durch die Tür kam eine Gestalt in grüner Uniform, eine kleine Gestalt mit zwei Rucksacken über der Schulter. Ich hatte den Laser in der Hand, aber ich schoß nicht, aus gutem Grund.

Jo: Na Jonas, wie sieht's aus?

Jonas: Jo!

Jo: Ich hab mir gedacht, ich treff dich hier, weißt du, als ich mit den Paßscheiben von Bertie bei dir vorbei kam, und du warst nicht da, da hatte ich gleich so ein ätzendes Feeling. Also bin ich allein hergefahren. Unten in der Halle war ein irrer trouble. Typ in grün wollte mich nicht durchlassen. Ich bin mit ihm um die Ecke und hab ihm die Uniform ausgezogen.

Jonas: Judo.

Jo: Eher Freistil. Ja und dann hab ich mich ein bißchen umgehört und umgesehen und dann hab ich mich abgesetzt, nach oben, und hier bin ich.

Jonas: Toll, Jo, echt toll.

Jo: Mitgebracht hab ich auch was. Hier die Rucksäcke.

Jonas: Was ist da drin?

Jo: Fallschirme. Unterwegs bin ich an einer Gerätekammer vorbeigekommen. Für Astronautenlehrlinge oder so, und da hab ich gedacht

Lobo: Fallschirme, wunderbar, genau was wir brauchen.

Jo: Wer ist denn das?

Jonas: Lobo, das Murmeltier. Lobo die Ratte.

Jo: Tut mir leid Lobo, ich hab nur zwei Fallschirme, für Jonas und für mich.

Jonas: Kannst du fallschirmspringen, Jo?

Jo: Ich weiß nicht, aber ich kann Drachenfliegen und das ist doch so ähnlich oder.

Jonas: Wir stiegen in die Fallschirme, Jo war schneller als ich, aber sie mußte ja auch nicht einen zeternden Lobo mit dem Laser in Schach halten.

Lobo: Du kannst mich doch nicht hier lassen, Jonas alter Kriegsk... alter Knabe. Bitte Jonas nimm mich mit, bitte.

Jonas: Wenn ich dich so ansehen, Lobo, tust du mir fast leid, aber dann fallen mir die toten Astronauten in Supernova ein, bleib schon hier und sieh zu wie du klar kommst, vielleicht findest du ja wieder eine Decke, die du dir über den Kopf ziehen kannst.
Lobo: Jonas hör doch mal, du brauchst mich, jetzt wo du die Mappe weggegeben hast, bin ich der einzige Beweis für das, was wirklich mit Supernova passiert ist.

Jonas: Meinst du.

Sicherheitsbeamter: Hier sind sie. Stehenbleiben. Halt!

Jonas: Salut Lobo. Jeromino!

Lobo: Jonas, nicht, Hilfe! Oh!

Sam: Und der Tot und die Hölle gaben die Toten, die darin waren und sie wurden gerichtet ein jeglicher nach seinen Werken. O Sammy ist ja so schlecht.

Jonas: Ehe die EURAB-Leute noch richtig mitkriegten was los war, waren wir unten, abgerollt aus den Fallschirmen und verschwunden im Labyrinth der Straßen hinter dem EURAB-Center, hier ist Jonas zu Hause, hier kriegt ihn keiner. Drei Stunden später, im Casablanca. Jo und ich und Sam natürlich. Wir saßen und tranken und redeten, und dachten. Und dann ließ ich mir ein Fon an den Tisch bringen.

Adamson: Jonas, Sie leben noch, wie nett.

Jonas: Finden Sie, Frau Adamson. Jonas hat eben immer noch einen Trumpf im Ärmel. Wenn Sie die Mappe mit den Beweismaterial durchsehen, werden Sie feststellen, daß ein paar sehr wichtige Dokumente fehlen, die hab ich vorher abgezweigt, sicher ist sicher.

Adamson: Tatsächlich, ich glaube, ich werde Sie überreden können, sich auch von diesen Dokumenten zu trennen.

Jonas: Ich glaube das nicht, ich hab sie nämlich nicht bei mit, sie sind sicher verwahrt. Und wenn mir was passiert...

Adamson: Dann gehen die Dokumente an die Behören oder an den Aufsichtrat der Vereinigten Kosmos, das ist mir klar, aber auch Ihnen sollte was klar sein, Jonas, wenn Sie ihrerseits die Dokumente an die Öffentlichkeit bringen, dann...

Jonas: Dann wird mir was zustoßen.

Adamson: Etwas höchst unerfreuliches. So sieht es aus, Jonas.

Jonas: So sah es aus. Unentschieden, Gleichgewicht der Kräfte, Status quo, keiner konnte was tun. Unschön. Unmoralisch auch. Aber nicht zu ändern.

Sam: So ist das Leben, Gevatter, jaja, such is life, sellavi, so oder so, schwarz oder weiß, gut oder böse.

Jonas: Nein, Sammy, das stimmt nicht. In dieser Geschichte gibt es keine guten, EURAB, Lobo und seine Gruppe, die Adamson, alle mies. Das Leben ist nicht so oder so, das Leben ist weder noch.

Sam: Beziehungsweise sowohl als auch.

Jo: Hört auf trübe zu tümpeln, ihr müden Krieger, spielen wir lieber eine Runde Poker. Aber Sammy darf nicht wieder schummeln.

Das war Supernova. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas spielte Bodo Primus, sein Supercomputer Sam war Peer Augustinski. Frau Adamson: Christine Buchegger. Jo Nix: Petra Uhlig. Ramon Lobo, Astronaut: Karl Heinz Vosgerau. Außerdem wirkten mit: Bernd Stephan, Hans Rudolf Stein, Achim Höppner, Claus Peter Bülz und Jürgen Rehmann (Will Spindler). Ton und Technik: Günter Hess und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz: Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1989). Redaktion Erwin Weigel und Christoph Lindenmeyer.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:18
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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Schneewittchen

Jonas: Es war ein toter Tag, ein Tag, an dem die große Stadt Babylon so grau und so kalt wirkte wie ein krepierter Elefant. Ein Tag, an dem nichts passiert. Dachte ich. Das war ein Irrtum. Ich war in den Trödelladen gegangen, weil mir die alte Postkarte im Schaufenster aufgefallen war, eine Fotographie, 2D, schwarz weiß, altmodisch, so altmodisch wie Jonas. Ein kleiner Mann mit Hut, die Oberlippe schief hochgezogen, Revolver in der Hand, und über dem Mann, von links unten nach rechts oben, ein schwarzer Schriftzug.

Trödler: Eine Rarität, mein Herr, das authentische, handgeschriebene Autogramm des Schauspielers Humphrey Bogart, Mitte des vorigen Jahrhunderts, mehr als 60 Jahre alt.

Jonas: 65, genau, das ist ein Bild aus Big Sleep, 1946.

Trödler: Der Herr ist ein Bogie-Fan? Ich habe seit Jahren keinen mehr getroffen.

Jonas: Vielleicht bin ich der letzte.

Jonas: Der letzte Bogie-Fan. Und der letzte Privatdetektiv. Ein Relikt. Ein Rudiment. Ich fühlte mich fehl am Platz und überflüssig an diesem grauen Herbsttag des Jahres 2011. So überflüssig wie ein Schauspieler oder wie ein Trödler. Der Name ist übrigens Jonas. Nur Jonas. Darauf lege ich Wert.

Trödler: Wollen Sie die Karte erwerben, mein Herr?

Jonas: Wollen wollte ich schon, bloß können konnte ich nicht. 400 Euros sollte das gute Stück kosten. Viel zu viel für einen Detektiv ohne Auftrag. Ich legte die Karte zurück und ging aus dem Laden. Und dann passierte es. Ein graues E-Mobil tauchte aus dem Nichts auf, schob sich quer über den Gehweg und hielt direkt neben mir. Zwei grimmige Typen sprangen raus. Einer quetschte mich gegen die Mauer, der andere hielt mir einen Laserstrahler unter die Nase.

Quex: Gesicht zur Wand, Arme hoch, Beine auseinander, kein Wort, keine Bewegung.

Brock: Easy, Quex, Diensteifer ist was schönes, aber Sie sollten nicht übertreiben. Wir nehmen den Mann nicht fest, wir nehmen ihn bloß mit.

Jonas: Brock, sind Sie neuerdings unter die Straßenräuber gegangen?

Sam: Räuber? Alarm! Alarm! Tatü Tata! Tatü Tata! Hilfe! Polizei!

Jonas: Sei still Sam, das ist die Polizei. Kennst du denn Brock nicht mehr? Chefinspektor Brock von der Kripo, Rächer der Enterbten mit Pensionsberechtigung.

Jonas: Ein alter Freund, fast so alt wie Sam, der sich die nicht vorhandene Lunge aus dem Hals schrie, den er auch nicht hatte. Sam ist mein Computer. Er wohnt in meinem Büro und als drahtlose Miniextension in meiner Tasche. Wenn er nicht gerade brüllt wie am Spieß, redet er, in gewöhnlicher Lautstärke und manchmal ziemlich ungewöhnlichen Worten. Sam ist verbal überprogrammiert. Ansonsten hat er die Aufgabe, mir mit gutem Rat zu helfen, falls ihm etwas einfällt, falls nicht...

Sam: Unzureichende Daten, o du letzte Inkarnation des großen Philip Marlowe.

Brock: Steigen Sie ein, Jonas.

Jonas: Warum?

Brock: Weil ich es sage.

Jonas: Ach, und wohin fahren wir?

Brock: In die Zentrale. Da warten ein paar wichtige Leute, die mit Ihnen reden wollen.

Jonas: Ich wußte gar nicht, daß Jonas so einen Ruf als Konversationist hat.

Sam: Sag einfach Gesprächspartner, Partner.

Jonas: Du hältst den Rand, Sammy.

Brock: Sie sind ein lahmer Witzbold, Jonas, das ist der einzige Ruf, den Sie haben. Steigen Sie jetzt ein. Oder soll ich Wachtmeister Quex von der Leine lassen?

Quex: Ja, Chef?

Jonas: Zwei wichtige Leute warteten auf Jonas, in einem Büro im obersten Stockwerk der zentralen Sicherheitsverwaltung. Eine schöne Frau in schwarz und ein Mann, der nicht so schön war, auch nicht mehr neu, aber schick, ultraschick, von der handkolorierten Hawaikrawatte aus Naturleinen bis zu den Plateausohlen mit Franzen. Umwerfend. Den Mann kannte ich nicht, die Frau um so besser.

Judith: Sie bleiben, Brock.

Brock: OK, Frau Delgado.

Judith: Hallo, Jonas.

Jonas: Du siehst gut aus, Judith.

Judith: Was man von dir nicht sagen kann, deine neue Beziehung äh, Jolanda Nix, scheint dir nicht zu bekommen.

Jonas: Die Sicherheitsverwaltung weiß alles. Wer ist der letzte Schrei?

Judith: Bitte wer?

Jonas: Der Dressman, wie heißt er, was will er.

Judith: Vorsicht, Jonas, der Herr neben mir ist Sicherheitsdirektor Mustermann.

Jonas: Der Chef der DroPo? Den hab ich mir anders vorgestellt.

Mustermann: Sie hab ich mir auch anders vorgestellt, Herr Jonas, vor allem jünger. Sie sind doch mindestens 40.

Judith: Er ist 44, aber gut in Schuß für sein Alter.

Jonas: Sie mußte es wissen. Judith Delgado, Sicherheitsrätin, Hauptabteilungs-leiterin in der zentralen Sicherheitsverwaltung und zwei Jahre lang mit Jonas liiert. Bis sich herausstellte, daß sie auch im Privatleben Polizistin war, Polizistin mit Leib und Seele, ohne Rücksicht auf Verluste. Vor einem halben Jahr hatten wir uns getrennt auf dem Bohrschiff Ägir in der Straße von Dover, am 20. Mai 2011.

Jonas: Und jetzt hast du es nicht mehr ausgehalten, du hast Brock losgeschickt, um mich kidnappen zu lassen. Rührend.

Judith: Du bist doch immer noch der alte aufgeblasene arrogante...

Mustermann: Bitte, Frau Delgado, ich übernehme das weitere. Sie sind nicht gekidnappt worden, Herr Jonas, und schon gar nicht aus irgendwelchen obskuren privaten Motiven, wie Sie sie Frau Sicherheitsrätin Delgado anscheinend unterstellen. Wir, das heißt die zentrale Sicherheitsverwaltung und die Drogenpolizei, ja, und die Kripo natürlich, wir haben eine Einladung an Sie ausgesprochen, Herr Jonas, und Sie sind dieser unserer Einladung gefolgt, eine offizielle Einladung zu einer umfassenden Erörterung eines gewissen gravierenden Problems in offener sachlicher Atmosphäre mit dem Ziel, einer für beide Seiten nutzbringenden Kooperation, und insofern...

Jonas: Was Sie reden, Herr Mustermann, ist fast so schön wie das, was Sie anhaben, ich könnte Ihnen stundenlang zuhören, abends, vorm Einschlafen, aber jetzt hab ich keine Lust. Kommen Sie zur Sache, Sie wollen doch was von Jonas. Worum geht’s?

Mustermann: Kurz gesagt um Eritroxilum Novograntense.

Jonas: Ach was. Und was ist das, wenn’s vom hohen Stuhl runtersteigt.

Brock: Schnee, Jonas, Flakes, Stardes, Candy.

Jonas: Charlie. Coke. Koks. Kokain. Beliebt, begehrt, verboten, und eins von vielen Problemen der Drogenpolizei, bis es vor ein paar Monaten das Problem wurde. Plötzlich vervielfachte sich die Menge, die nach Europa rollte, es gab eine neue Connection. Auf unserer Seite Babylon und Babelshaven, am anderen Ende...

Mustermann: Costaguana. Ein lateinamerikanischer Staat, der Ihnen, Herr Jonas, nicht gänzlich unbekannt sein dürfte. Nach meinen Informationen sollen Sie dort gewisse einschlägige Erfahrungen gemacht haben.

Jonas: Einschlägig. Das treffende Wort. Sie hätten mich fast umgebracht in Costaguana und zu Ersatzteilen verarbeitet. Fall Schlachthaus vor 3 Jahren. Ich dachte gar nicht gern daran zurück. Erstens weil es eine besonders schlimme Geschichte gewesen war, und zweitens, wegen Judith.

Jonas: Damals bist du zur Sicherheitsverwaltung gegangen, Judith.

Judith: Und wir hatten den ersten großen Krach.

Mustermann: Frau Delgado, Herr Jonas, wenn Sie freundlicherweise ihre privaten Reminiszenzen abschließen und mich fortfahren lassen könnten.

Judith: Bitte.

Mustermann: Ich danke ihnen. Sehen Sie, Herr Jonas, der Dreh- und Angelpunkt unseres Problems liegt darin, daß uns der Importeur des Kokains durchaus bekannt ist. Es handelt sich um Senior, wie heißt er gleich?

Judith: Hugo Moreno devereo Iparedes.

Mustermann: Ja sehr richtig. Eine interessante Persönlichkeit, Herr Jonas, sein Vater ist der Innenminister von Costaguana, und außerdem einer der bedeutendsten Kokabarone der westlichen Hemisphäre, und er selbst ist zufällig der für Babylon zuständige Generalkonsul von Costaguana. Das bedeutet, uns sind die Hände gebunden.

Jonas: Diplomatische Immunität, meinen Sie, aber da läßt sich doch was machen. Sie gehen mit ihrem Material zum Außenministerium, und das schmeißt den Kerl raus, als unbeliebte Person oder wie das heißt.

Mustermann: Persona non Grata. Es ist unmöglich, Herr Jonas, es ist völlig unmöglich. Erklären Sie es ihm, Frau Delgado.

Judith: Zwei Gründe, Jonas. a) Wir sind mit Costaguana verbündet.

Mustermann: Eng verbündet. In der europäisch-amerikanischen Allianz.

Judith: b) und das ist der wichtigere Grund, wir sind auf Costaguana angewiesen. Warum, das solltest du am besten wissen, Jonas.

Jonas: Der schwarze Organmarkt.

Judith: Natürlich.

Jonas: Die Polizei nimmt Rücksicht auf illegale Aktivitäten.

Mustermann: Seien Sie doch nicht naiv, Herr Jonas, Sie wissen doch selbst, ohne Transplantationsmaterial aus weniger entwickelten Ländern würde die medizinische Versorgung unserer Bürger zusammenbrechen. Costaguana ist unsere wichtigste Bezugsquelle für Organe, die Lieferungen laufen über das hiesige Generalkonsulat. Und deshalb, Herr Jonas...

Jonas: Müssen sie Däumchen drehen und alle Augen zudrücken, wenn seine Exzellenz nicht nur mit Ersatzteilen dealt, sondern auch mit Kokain.

Mustermann: Lassen Sie mich so sagen, Herr Jonas, alle staatlichen Organe sind gehalten, keinesfalls etwas zu unternehmen, wodurch die guten Beziehungen Europas zu Costaguana auch nur atmosphärisch getrübt werden könnten.

Jonas: Soweit so klar. Aber warum erzählen Sie mir das alles?

Mustermann: Nun, Herr Jonas, unter dem Kennwort Schneewittchen hat die Zentrale Sicherheitsverwaltung einen Plan erstellt, einen Plan, Herr Jonas, dem ich wegen seines ungewöhnlichen ja unorthodoxen Ansatzpunktes wegen mich erst nach ausgiebiger Prüfung und mit erheblichen Bedenken zuzustimmen in der Lage sah. Da wir den Kokainimport nicht offiziell unterbinden können, haben wir vor, mit dieser Aufgabe eine quasi inoffizielle Person zu betrauen, eine Person, die nicht der Polizei angehört, eine Person, die über einschlägige Erfahrungen und Fähigkeiten verfügt.

Jonas: Alles klar, Herr Mustermann, den Rest ihrer schönen Rede können Sie sich sparen. Nein. Nein.

Jonas: Und noch mal nein. Jonas hat zwar was gegen Großdealer in Drogen, aber das heißt noch lange nicht, daß Jonas der Polizei die Dreckarbeit abnimmt. Jonas ist kein Killer.

Mustermann: Aber Herr Jonas, ich bitte Sie, davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Sie sollen den Generalkonsul lediglich stoppen, ihn ausschalten, ihn dazu bringen, die Connection aufzugeben und Europa zu verlassen. Wie Sie das machen, ist Ihre Sache, setzen Sie den Mann unter Druck, drohen Sie ihm.

Brock: Brechen Sie ihm ein Bein.

Mustermann: Kurz, denken Sie sich was aus.

Jonas: Immer noch nein.

Mustermann: Selbstverständlich sind wir bereit, Ihnen ein äußerst großzügiges Honorar zukommen zu lassen.

Jonas: Nein.

Brock: Dumm von Ihnen, Jonas, wir können auch anders. Ihnen die Lizenz abnehmen zum Beispiel, oder wir sperren Sie ein und vergessen Sie in der Zelle. Grund wird sich schon finden. Wir machen Ihnen nur noch Ärger. Tag und Nacht. Darauf können Sie sich verlassen.

Jonas: Zuckerbrot und Peitsche, die bewährte alte Taktik. Mit mir nicht. Nein.

Judith: Geben Sie’s auf, meine Herren, Jonas ist stur, ich kenn ihn. Sie wissen, ich hatte von Anfang an Bedenken, ihn mit der Aufgabe zu betrauen, Sie hatten ja Einblick in sein Psychogramm, Herr Sicherheitsdirektor, emotional instabil, für kompliziertere Aktionen kaum geeignet. Ich will nicht bestreiten, daß Jonas ganz tüchtig ist auf seine Art, aber Unternehmen Schneewittchen dürfte für ihn doch ein paar Nummern zu groß sein.

Jonas: Meinst du, Judith?

Judith: Ja, ich weiß, du hältst dich für einen Supermann, für Humphrey Bogart und Philip Marlowe in einer Person, aber wer bist du denn schon, Jonas, nur Jonas, der letzte Detektiv.

Jonas: Und der beste. Ich übernehme den Auftrag, Herr Mustermann, und wissen Sie, warum? Weil sie was dagegen hat.

Judith: Das war’s, Herr Mustermann, wir haben ihn. Jonas hat Ja gesagt, und wenn Jonas ja gesagt hat, dann bleibt er dabei. Nicht wahr, Jonas?

Jonas: Du hast mich ausgetrickst, Judith. Das Honorar, Herr Mustermann, wieviel?

Mustermann: Soweit ich informiert bin, beläuft sich ihr üblicher Tarif auf 90 Euros pro Tag.

Jonas: 100 und Spesen, aber das können Sie gleich vergessen, dafür nicht.

Mustermann: Versteht sich, Herr Jonas, sagen wir pauschal 2000 Euros, aus unserem Sonderfond für freie Mitarbeiter. Sind Sie zufrieden?

Jonas: Wenn die Sache nicht zulange dauert.

Mustermann: Das liegt bei Ihnen, Herr Jonas, wir werden Ihnen selbstverständlich jede Hilfe zukommen lassen, die mit ihrem inoffiziellen Status vereinbar ist.

Jonas: Selbstverständlich, und wenn was schiefging, würden sie mich voll auflaufen lassen, offiziell und inoffiziell, aber für 2000 Euros konnte man schon was riskieren, besonders an einem toten grauen Tag, an dem sonst nichts passierte.

Mustermann: Wir werden Ihnen einen Mikromonitor implantieren lassen, Herr Jonas, damit wir über alle ihre Bewegungen im Bilde sind, Sie werden sich ständig in bestmöglicher Obhut befinden, denn ich, Herr Jonas, ich, Sicherheitsdirektor Kaspar Mustermann, werde persönlich Leitung und Koordination von Unternehmen Schneewittchen in die Hand nehmen.

Jonas: Da bin ich von Glück aber ganz außer mir, Herr Mustermann, haben Sie sich schon überlegt, wie ich am besten an diesen Hugo Moreno rankomme?

Mustermann: Wir stellen was auf die Beine, hier in Babylon.

Jonas: Nicht in Babelshafen?

Judith: Der Herr Generalkonsul hält sich nur selten in seiner Dienststelle auf, er hat andere Interessen.

Brock: Im Colloseum. Da ist er Stammgast.

Jonas: Ein Sportfan?

Judith: Ja, aber nicht im üblichen Sinn. Aus Tracktorturnieren und Rollerball macht er sich nichts. Er liebt es exklusiver. Rollstuhlrugby, Zwergenwerfen.

Brock: Und MC. Vor allem MC.

Jonas: MC. Mortal Combat. Kampf bis zum Tode. Im Colloseum von Babylon gibt’s alles. Rollerball für die Massen im großen Stadium, und in den Separates hochfeinen Mord und Totschlag für die Schicken und Reichen mit dem exquisiten Geschmack.

Wie gesagt, wir sind dabei, etwas zu arrangieren, Herr Jonas, eine Gelegenheit für Sie, mit Moreno Bekanntschaft zu schließen. Die Details erfahren Sie morgen.

Jonas: Wann morgen und wo?

Mustermann: Wir werden Sie zu finden wissen, Herr Jonas.

Jonas: Es war Judith, die mich am nächsten Vormittag fand, im Casablanca, in meiner Nische, vor meinem Whisky, mit meinen Gedanken.

Judith: Bist du allein, Jonas?

Jonas: Kein Stück, siehst du nicht, Sam ist hier. Sag Judith guten Tag, Sam.

Sam: Küß die Hand, schöne Frau, ihre Augen sind so blau.

Judith: Aber Sammy, das sind ja ganz ungewöhnte Töne, wann hast du denn deine große Liebe zu mir entdeckt?

Sam: Seit mein Lord nicht mehr auf Milady bezogen ist.

Judith: Brauchst du nicht mehr eifersüchtig zu sein, Sammy, ach, ich bin gerührt.

Jonas: Du bist doch nicht hier, um mit meinem Computer zu turteln, Judith, was ist mit Schneewittchen, seid ihr soweit?

Judith: Alles klar, Jonas, hör zu.

Jonas: Die Sicherheitsverwaltung hatte sich Mühe gegeben, es war kein schlechter Plan, bißchen kompliziert vielleicht und ziemlich riskant, aber nicht für Jonas, oder?

Judith: Laß es dir sagen, Jonas, das ganze Unternehmen ist gefährlich, viel gefährlicher, als du glaubst. Sei vorsichtig.

Jonas: Du machst dir Sorgen um mich?

Judith: Ich... Ich könnte dir Zugang zu unserer geheimen Kontroll- und Kommandolinie verschaffen, über Sam.

Jonas: Jonas nimmt nichts geschenkt, Judith, von dir schon gar nicht. Was ist mit dem Monitor?

Hier? Ein Ring? Ich dachte, ihr wolltet mir was implantieren.

Judith: Nein, so ist es besser, Jonas, noch was, seit der Schlachthausgeschichte kennt man in Costaguana deinen Namen, du solltest ihn ändern, und Jonas, paß auf dich auf.

Jonas: Drei Stunden später, im Colloseum, griechisch-römische Sektion, eine kleine Arena, am Rand ein gemütliches Ambiente, ein paar Tische, ein paar Drinks, ein paar Sessel, ein paar Leute, ganz vorne auf dem besten Platz Hugo Moreno etc. etc. flankiert von einer kleinen Japanerin mit großer Sonnenbrille und von Jonas. In der Arena hackten zwei kurios kostümierte Kerle lustlos aufeinander ein.

Moreno: Caramba, was für ein müder Kampf, 10 Minuten und noch kein Tropfen Blut.

Jonas: Zum Einschlafen.

Moreno: Sie sagen es, Senior, unter allem Niveau.

Jonas: Der Typ mit dem Spieß und dem Netz ist wirklich außer Form.

Moreno: Der Retiarius? Viel zu fett. Und der Secutor hat noch Plattfüße.

Jonas: Kein Wunder. Die beiden waren keine echten Gladiatoren, sondern Freunde und Helfer in geheimer Mission. Genau um 2 Uhr hatten sie einen Sonderauftrag durchzuführen. Jetzt war es 1 Minute vor 2.

Moreno: Ich möchte wissen, wer diese zwei miesen Säcke eingekauft hat. Ausschuß. Für Provinz zu schlecht. Und das in Babylon. Sagen Sie selbst, Senior.

Jonas: Achtung! Plötzlich wurden die müden Krieger ausgesprochen munter. Sie hörten auf, sich zu beharken und stürmten auf meinen Nachbarn los. Es sah mörderisch aus, und das sollte es auch. Ich stellte mich vor Moreno. Es ging alles sehr schnell, der erste kriegte einen Tritt in den Bauch, einen Schlag gegen die rechte Hand, ließ Schwert und Schild fallen und verschwand durch eine Seitentür. Soweit alles programmgemäß. Ich drehte mich um und wollte mich um Pseudo-attentäter Nummer 2 kümmern, das war nicht mehr nötig, er lag am Boden, sein Hals war ein klaffender roter Schlitz von einem Ohr zum anderen, über ihm stand die kleine Japanerin, sie wischte ihre implantierten Rasiermesser ab, ehe sie sie unter die Fingernägel zurückschnappen ließ. Moreno hatte sich nicht vom Platz gerührt.

Moreno: Na bitte, ist ja doch noch ganz interessant geworden. Ich habe ihnen zu danken, Senior, obwohl ihr Eingreifen unnötig war, meine Ninja hätte beide erledigt, mit der linken Hand.

Jonas: Ninja?

Moreno: Ja, meine kleine menschliche Kampfmaschine, ich habe sie in Tokio gekauft, das beste, was derzeit in Punkto Bodyguard auf dem Markt ist. Danke, Seionara. So nenne ich sie. Symbolisch. Sie verstehen. Setz dich.

Ninja: Hei!

Moreno: Sie sollten sie mal im Duell mit einem Robokiller sehen, Senior, Suplik. Trinken Sie was mit mir. Bedienung. Wie heißen Sie?

Jonas: Jo... Jogi. Jodokus Jogi.

Moreno: Angenehm. Go Moreno derivera Iparedes.

Jonas: Spanier?

Moreno: Südamerikaner. Ich bin der Generalkonsul von Costaguana.

Jonas: Da muß ich wohl Exzellenz zu Ihnen sagen.

Die Herrschaften wünschen?

Moreno: Bitte keine Formalitäten, nennen Sie mich schlicht Senior Moreno.

Die Herrschaften wünschen?

Moreno: Was trinken Sie, Senior Jogy?

Jonas: Whisky, Scotch, kein Wasser, kein Soda, kein Eis.

Moreno: Cobalibre, und für sie da ein Peri. Erzählen Sie mir etwas über sich, Senior Jogy, wer sind Sie?

Jonas: Ich bin Exsöldner, sagte Jonas, das war nicht gelogen. Ich mache dies und jenes, alles mögliche, was sich bietet, und auch das stimmte mehr oder weniger.

Moreno: Ein Glücksritter. Saluti!

Jonas: Ihr Wohl, Senior Moreno, man sieht zu, wie man durchkommt.

Moreno: Und hält sich dabei, wie ich vermute, nicht immer streng an die Paragraphen kleinkarierter Gesetze, hab ich recht?

Jonas: Das kann ich mir nicht leisten, Senior Moreno, und ehrlich gesagt, das liegt mir auch nicht.

Moreno: Wissen Sie, Jogy, ich hätte vielleicht was für Sie, das heißt, wenn Sie frei sind.

Jonas: Ich hab im Moment nichts besonderes vor, Senior Moreno.

Moreno: Bueno. Trinken Sie aus und kommen Sie mit.

Jonas: Schneewittchen lief gut, besser als erwartet, fast ein bißchen zu gut. Jonas dachte an Judiths Warnung und nahm sich vor, ganz besonders vorsichtig zu sein.

Jonas: Morenos Privat-Helikopter brachte uns nach Babelshaven, zum Generalkonsulat, dachte ich, aber da dachte ich falsch, unser Ziel war der Hafen, genauer das Lagerhaus der Costaguana Ex- und Import, noch genauer, ein Büro, klein, bescheiden eingerichtet, aber elektronisch abgeschottet wie der Goldspeicher von Fort Knox, an der Innenwand ein Safe, eine mächtige Stahltür, ein dick verglastes Fenster, dahinter ein Kühlraum voll mit vereisten Containern.

Moreno: Organe, Yogi, menschliche Organe, Herzen, Lungen, Nieren, zentnerweise, für Ihren schwarzen Markt.

Jonas: Ich weiß, Senior Moreno.

Moreno: So, Sie wissen, ah. Aber alles wissen Sie nicht. Unser Kühlschiff, die El Dorado, bringt nämlich außer Ersatzteilen noch was nach Babelshaven.

Seionara, mach den Safe auf.

Ninja: Hei.

Moreno: Was ist das, Jogi? Na?

Jonas: Sieht aus wie Zucker.

Moreno: Haha. Zucker. Haha.

Jonas: Aber es ist kein Zucker.

Moreno: Sehr gut.

Jonas: Schnee.

Moreno: Kokain. Laparika, wie wir in Costaguana sagen, Sie kennen sich aus, Yogi. Hätten Sie Lust, in Nartotrafico zu arbeiten?

Jonas: Er war voller Vertrauen und so offen wie das bekannte Scheunentor, aber Jonas war nicht der dazugehörige Ochse. Ich hatte mehr und mehr das Gefühl, hinter der Tür lauerte eine Überraschung. Keine angenehme.

Moreno: Treten Sie näher, Jogy, wenn Sie bei uns mitmachen wollen, müssen Sie sich überall gut auskennen, auch im Kühlraum.

Jonas: Ein andermal, Senior Moreno, wenn ich meinen Pelz dabei habe und eine Flasche Whisky.

Moreno: Ach zieren Sie sich nicht, mein lieber Yogi, oder soll ich sagen, mein lieber Jonas. Seiorana!

Ninja: Hei.

Jonas: Ich war sofort in Kampfstellung gegangen, aber gegen Morenos japanische Mörderbiene hatte ich keine Chance, nicht weil Sie besser war, weil ich lahmgelegt wurde, ein unerträglicher Schmerz explodierte plötzlich in meiner rechten Hand, schoß durch den ganzen Körper, Jonas fiel um, konnte kein Glied rühren, wußte ein paar Sekunden lang nicht, wie ihm geschah. Als ich wieder in und bei mir war, lag ich auf Eis, buchstäblich, die Tür war zugeschlagen und verschlossen, Moreno grinste durchs Fenster und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage.

Moreno: Wie gefällt es Ihnen in Sibirien, Jonas? Minus 30 Grad. Nicht ein bißchen zu kalt für Sie, wo Sie doch Ihren Pelz nicht bei sich haben. Wie lange werden Sie es wohl aushalten? Schade, daß ich nicht bis zum bitteren Ende bei Ihnen sein kann. Ich muß nach Babylon, die Pflicht ruft, irgend so eine langweilige Ausstellungseröffnung im Haus der iberoamerikanischen Kultur. Äh, Sie entschuldigen mich. Seionara?

Ninja: Hei!

Moreno: Du wartest hier, bis er erfroren ist und kommst dann nach, mit dem kleinen Firmenhelikopter.

Ninja: Hei.

Jonas: Kennen Sie die Geschichte vom nackten Eskimo, der vor seinem Iglu stand und den Schlüssel verloren hatte? Jetzt konnte ich mir vorstellen, wie dem armen Schwein zumute war, aber bibbern und zähneklappernd brachte mich nicht weiter. Nachdenken hieß die Parole. Nachdenken, bevor die kleinen grauen Zellen ganz einfroren. Zum Glück hatte ich einen Denkpartner in der Tasche, einem, dem die Kälte nichts ausmachte.

Sam: Und somit, meine Damen und Herren, hochverehrte Festversammlung, hätten wir es mal wieder mal empirisch bestätigt gefunden, das biologische Hirn ist dem elektronischen hoffnungslos unterlegen. Jawoll. Aber dennoch und nichts desto trotz, bei Mamertus, Pankratius, Servatius und... da war doch noch was.

Jonas: Die kalte Sophie.

Sam: Die kalte Sophie. Na, von mir aus auch die. Bei allen Eisheiligen. Sam bibbert mit. Aus Solidarität. Jawoll. Bibber. Bibber. Bibber...

Jonas: Nett von dir, Sammy, aber tu’s, tu’s bitte leise, am besten nur im Geiste. Ich habe dich nicht zum bibbern angeschaltet, sondern zum Überlegen.

Sam: Denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Woraus Exzellenzen, Eminenzen und sonstige Honoratioren, woraus neuerlich erhellt.

Jonas: Jajaja, wenn ich hier erfriere, und das ist bald soweit, hast du dir schon mal überlegt, was dann aus dir wird? Du wirst verschrottet, du kommst auf den Müll oder noch schlimmer, du wirst umprogrammiert zum Helfershelfer von Verbrechern, zum Kriminellencomputer.

Sam: Igitt, Kumpel, du redest zu viel. An die Arbeit, Besen. Problem Nr. 1:

Jonas: Wie kommen wir hier raus.

Sam: Falsch. Merke: Nur wer die Vergangenheit bewältigt, wird die Zukunft meistern. Ein Tusch, Herr Kapellmeister. Ergo Frage. Was ist passiert? Mein Herr und Meister wurde außer Gefecht gesetzt, hinterlistigerweise.

Jonas: Durch einen starken Stromschlag.

Sam: Haha bzw. oho. Wie und wo wurde euer Leitfähigkeit besagter Schlag ampliziert?

Jonas: Rechte Hand, Ringfinger. Ring? Der Ring, Sammy, der Monitor von der Sicherheitsverwaltung.

Sam: Ein Stromschlag durch den Monitor genau im passenden, will sagen unpassenden Moment. Hehe, ist es nicht komisch.

Jonas: Sagen wir merkwürdig, Sam, und weißt du, was ich auch merkwürdig finde, Moreno weiß, wer ich bin, man hat ihn informiert.

Sam: Kurios und extraordinär, Herr Aktuarius, so lasset uns grübeln, welch Schluß daraus zu ziehen...

Jonas: Draußen, Sammy, in der Wärme, und wie wir da hinkommen, darüber machst du dir Gedanken, dienstlicher Befehl, aller erste Priorität.

Sam: Yes Sir. Die Tür.

Jonas: Elektronisch verriegelt.

Sam: Na und kein Problem für Sam.

Jonas: Sag bloß, du kennst den Code.

Sam: Aber immer.

Jonas: Woher?

Sam: Ja, das ist nicht leicht zu erklären, sagen wir mal, da gibt es so einen netten kleinen Computer bei der Hafenverwaltung, man kennt sich flüchtig, steht auf Grüßfuß sozusagen.

Jonas: Sam, gib’s zu, du hast den Code von Judith.

Sam: Und wenn, einem geschenkten Code kuckt man nicht in die Diode. Hehe. Oder sonst wo hin.

Jonas: Da hast du auch wieder recht, also mach auf.

Sam: Gemach, Milord und zügelt euern Fürwitz, erinnert euch: der Türe andere Seite wird behütet.

Jonas: Richtig, die Ninja, dann muß Jonas wohl in die zweite Runde, ehrlicher Kampf Mann gegen Mann äh Frau.

Sam: Mann gegen Kampfmaschine, so sieht’s aus ganz abgesehen vom Handikap des blitzeschleudernden Monitors.

Jonas: Gut daß du mich erinnerst, Sammy, runter von dem Finger mit dem Ring.

Sam: Und abermals gemacht. Klar, Chef, bloß weg mit dem Dreck, aber nicht mit Schwung und großer Geste, nein, leise, langsam, vorsichtig, auf daß die draußen es nicht merke.

Jonas: Verstehe Sammy, du machst die Tür auf.

Sam: Mein Meister tritt herfür.

Jonas: Die Ninja greift an.

Sam: Und Jonas, der Listenreiche tut folgendes.

Jonas: Es klappte wie am Schnürchen. Seionara ließ ihren Laserstrahler im Gürtel stecken und fuhr die Messerchen aus, Jonas stöhnte auf, krümmte sich, fiel um, blieb liegen, aber als die Ninja sich über mich beugte, um mir nach allen Regeln der Kunst den Hals aufzuschlitzen, da war ich auf einmal wieder voll da. Ich zog ihr die Beine weg, noch im Stolpern fuhr sie die Fingermesser ein und griff zum Laser, das kostete Zeit, nicht viel, Sekundenbruchteile, aber die fehlten ihr. Ich drückte ihr die Daumen hinters Ohr, auch Ninjas haben Nerven, Seionara zuckte, dann war sie still. Ich nahm ihr den Laser weg.

Sam: Ist sie tot, die mandeläugige Schöne?

Jonas: Weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Ab in den Kühlschrank. Sicher ist sicher. Seionara, Seionara.

Sam: Amateurin. Hätte sie gleich den Laser gezogen, wäre unser Trick mit dem vorgetäuschten Stromstoß mittels des nicht mehr am Finger befindlichen Ringes gewaltig ins Auge gegangen, na ja, oder in die Hose.

Jonas: Und ihr Chef, hätte der mich gleich umlegen und nicht erst in den Kühlraum sperren lassen.

Sam: Ein Amateur auch er, und mit so was müssen wir uns abgeben, wir, Sam und Jonas, zwei echte Profis, die direkt auf ihr Ziel losmarschieren, eiskalt, lupenrein geradewegs und Schulter an Schulter.

Jonas: Nicht ganz leicht, Sam, wenn du in meiner Hosentasche steckst.

Sam: Auf nach Babylon.

Jonas: Mit dem kleinen Firmenhelikopter.

Sam: Auf den Spuren seiner Exzellenz.

Jonas: Die Ausstellung bestand aus hunderten von kleinen runden Holzköpfen mit langen Nasen und abstehenden Ohren, in Glaskästen an den Wänden des Saals, in der Mitte viele Stühle und wenig Leute, der harte Kulturkern, der überall hingeht, davor ein Podium, darauf seine Exzellenz der Herr Generalkonsul von Costaguana mitten in seiner Eröffnungsrede, voll im rhetorischen Schwung, bis er einen unerwarteten Nachzügler in der Tür auftauchen sah.

Moreno: Was, meine Damen und Herren, sind sie denn wirklich, diese von den Indios meiner Heimat in mühseliger Handarbeit geschaffenen rustikalen Holzskulpturen, die ihrem europäischen Auge auf den ersten Blick exotisch, bizarr, ja krude erscheinen mögen, doch nichts anderes, meine Damen und Herren, als die künstlerisch tiefempfundene Spiegelung der Seele des costaguanesichen Volkes. Lassen Sie mich, bevor ich Ihnen die verborgenen Schönheiten der Exponate im Einzelnen erläutere...

Jonas: Senior Moreno!

Moreno: Äh, erläutere, ja, wie gesagt, lassen Sie mich meine Ausführungen beschließen, ich danke ihnen.

Jonas: Weg war er. Durch eine Hintertür neben dem Podium. Jonas natürlich hinterher. Ein schmales Treppenhaus. Morenos Schritte führten nicht nach oben zum Helikopterdeck, sie führten nach unten in den Keller. Seltsam. Und im Keller verschwanden sie in einem kleinen Raum, einem Raum mit kahlen Wänden und einer massiven Tür, die zufiel, gerade als ich auftauchte.

Sam: Wieder eine Runde für Senior Moreno. Well, never mind. Der Vogel, der zuletzt lacht, fängt den Wurm. Im tiefen Keller sitz ich hier...

Jonas: Ist das alles, was du beizutragen hast, Sammy, und wenn du schon singen mußt, dann bitte was anderes, was aus Orpheus zum Beispiel.

Sam: Befehlen Herr Generalmusikdirektor Gluck oder Monteverdi oder gar Offenbach? Und warum gerade Orpheus?

Jonas: Weil wir anscheinend wieder mal in der Unterwelt gelandet sind, weißt du noch, die Schmiergeldaffäre?

Sam: Ohohoh. Si tacuisses, setzen Schüler Jonas, klassische Bildung mangelhaft, falscher Mythos, nicht Orpheus in der Unterwelt, sondern, na...

Jonas: Jetzt sah ich das Zeichen über der Tür, drei schwarze Speichen im gelben Kreis, und ich wußte: Hier ging’s ins Labyrinth, in das weitläufige System von Schutzbunkern unter den besseren Vierteln von Babylon, wo Behörden und Firmenzentralen liegen, eine Anlage aus dem späten 20. Jahrhundert, aus der Zeit des kalten Kriegs und der Atomkraftwerke. Inzwischen war sie ein bißchen in Vergessenheit geraten, aber sie war noch gut in Schuß, intakt und voll funktionsfähig. Für alle Fälle. Sie könnte ja noch gebraucht werden, später, wenn wir mit unseren inneren Problemen fertig geworden sind, und wieder Zeit haben, an Krieg zu denken und wenn wir die große Katastrophe der Grauzone endgültig verdrängt haben. Zugänge zum Labyrinth gab es unter allen offiziellen und wichtigen Gebäuden, aber nicht für jeden und nicht ohne weiteres. Theseus brauchte einen Ariadnefaden.

Sam: Und hier, o du mein Heros und Halbgott, ist er auch schon, der Faden der Ariadne. Sein Name lautet Samuel. Oder kurz Sam.

Jonas: Du, Sammy, haha.

Sam: Was gibt’s denn da zu lachen?

Jonas: Weißt du, ich finde, das paßt: ewig lang und schrecklich dünn, wie der Fluß deiner Rede. Also dann spul dich auf oder was ein Faden so macht. Na los, Sam.

Sam: Sam ist beleidigt und gekränkt, ganz ganz tief. Verletzt. Verhöhnt. Verschimpft und verunglimpft. Geschmäht und geschändet. Sir, geben Sie Genugtuung.

Jonas: OK, Sammy, schick mir bei Gelegenheit einen Sekundanten, lange Säbel auf kurze Distanz oder wie auch immer, aber jetzt tust du deine Arbeit, die Tür hat ein Audioschloß und wir brauchen das richtige akustische Signal.

Sam: Codewort.

Jonas: Und das kennst du?

Sam: Kann sein.

Jonas: Von Judith.

Sam: Kann sein.

Jonas: Geh mir nicht auf die Nerven. Wie heißt das Sesam öffne dich?

Sam: Supergau.

Jonas: Hinter einer Luftschleuse eine kurze Treppe, die unten auf ein Rondell mündete, Durchmesser etwa 10 Meter, in alle Richtungen gingen Korridore wie Strahlen von einem Stern, sie waren knapp 2einhalb Meter hoch, sauber, hell, die Luft war gut, kaum abgestanden.

Sam: Zweiter Gang rechts.

Jonas: Bist du sicher, Sam, ich hör nichts.

Sam: Natürlich nicht. Erstens ist Moreno schon weit weg, zweitens hat er einen anderen Gang frequentiert, den vierten von rechts.

Jonas: Woher willst du das wissen?

Sam: Sensoren in den Wänden. Ihre Daten sind für Sam zugänglich und abrufbar.

Jonas: So, und warum gehen wir dann nicht auch in den 4. Gang rechts, direkt hinter dem Kerl her?

Sam: Weil wir erstens wissen, wohin er geht, und ihm zweitens zuvorzukommen wünschen.

Jonas: Jetzt versteh ich gar nichts mehr.

Sam: Kein Kommentar, zweiter Gang rechts.

Jonas: Von mir aus, Sam, aber warum gerade der und kein anderer?

Sam: Sam sagt es ganz langsam und deutlich zum Mitschreiben. In diesem Gang nach 100 Metern Nische in Wand, in Nische E-Velo, Jonas auf E-Velo, Jonas fährt. Taff Taff. Sam sagt Weg. Kapito? Moreno erreicht Ziel, aber Jonas haha... schon da.

Jonas: Hurra, aber verstehen tu ich immer noch nichts. Woher weißt du das alles, Sammy. Zum Beispiel, wo Moreno hin will. Apropos wo will er eigentlich hin?

Sam: Zum Gebäude der zentralen Sicherheitsverwaltung, und dort, o Wonne meiner Seele, wird sich der Knoten lösen und alles alles wird in hellstes Licht getaucht. Amen.

Jonas: 20 Minuten später waren wir unter der Sicherheitszentrale, sagte Sammy. Das gleiche Rondell, die gleichen Gänge, in einem verstaute ich das E-Velo, dann stieg ich die gleiche Treppe hoch, die gleiche abgeschottete Tür, das gleiche Codewort, erst auf der anderen Seite der Tür änderte sich die Landschaft. Ein großes graues Gewölbe, fragmentarisch erhellt durch antike Neonröhren, überall Staub, an der Wand ein Aktenschrank aus der guten alten Vorcomputerzeit, dahinter ließ Jonas sich nieder und wartete, nicht sehr lange.

Jonas: Boun Verino, Senior Moreno, oder wie der Swinegel sagte: Ick bin oll hier.

Moreno: Jonas?

Jonas: In Lebensgröße. Und mit einem Laser. Den hab ich übrigens ihrer Ninja abgenommen.

Moreno: Wie sind Sie aus dem Kühlraum gekommen und was haben Sie mit Seionara gemacht?

Moreno: Das spielt doch keine Rolle, lassen Sie die Vergangenheit ruhen, Senior Moreno, konzentrieren Sie sich auf die Gegenwart, und auf die Zukunft, falls Sie eine haben.

Moreno: Was wollen Sie von mir, Senior Jonas?

Jonas: Wir wär's mit einem Zweikampf, bis zum Tode. Ehrlich. Fair. Mann gegen Mann, ohne Ninja.

Moreno: Senior Jonas, um Gotteswillen.

Jonas: Sie sind nicht einverstanden, Senior Moreno? Das ist aber sehr unsportlich. Sie sind doch Aficionado.

Moreno: Senior Jonas, ich weiß, Sie haben den Auftrag mich umzubringen. Tun Sie’s nicht. Ich bitte Sie. Ich gehe weg, zurück nach Costaguana, ich komme nie wieder nach Europa. Das versprech ich. Sie wissen ja gar nicht, was gespielt wird, Senior Jonas. Ich sag es ihnen. Ich sage ihnen, wer wirklich hinter der Kokainconnection steckt. Nicht abdrücken, Senior Jonas, bitte.

Jonas: Moreno kroch im Staub herum und Jonas stand über ihm, groß, überlegen, mit einem Laser und mit der Frage, was mache ich mit dem Kerl. Die Antwort wurde mir abgenommen durch Herrn Sicherheitsdirektor Mustermann, der plötzlich in der Kellertür auftauchte, auch mit einem Laser.

Mustermann: Das war, wie man so sagt, Rettung in letzter Sekunde.

Jonas: Rettung?

Mustermann: Moreno hat Sie doch bedroht oder nicht? Nun wie auch immer, jetzt ist er tot.

Jonas: Und kann nichts mehr sagen. Würden Sie Ihren Laser bitte nicht gerade auf mich.

Mustermann: Entschuldigen Sie, Herr Jonas, der Reflex eines alten Sicherheitsbeamten, und da wir gerade von Lasern sprechen, lassen Sie Ihren fallen. Los. Mein unverhoffter Auftritt auf der Bildfläche mag Ihnen ein wenig melodramatisch erscheinen, aber er war notwendig, um einen Versager zu eliminieren, nicht, um ihn am Reden zu hindern. Was Moreno ihn sagen wollte, ist Ihnen vermutlich ohnehin bekannt.

Jonas: Vermutlich. Sie haben Moreno informiert, Mustermann, über Unternehmen Schneewittchen und über Jonas. Sie haben mich ans Messer geliefert. Sie haben im richtigen Moment dafür gesorgt, daß ich mich nicht wehren konnte, durch Ihren Monitor. Sie haben die Leitung von Schneewittchen nur übernommen, um die Aktion in den Sand zu setzen.

Mustermann: Sehr richtig, Jonas, und warum habe ich alle dies schauderhaften Untaten begangen?

Jonas: Moreno hat Sie bezahlt, nehm ich an.

Mustermann: Oh nein, Jonas, da irren Sie sich, Moreno war mein Partner beim großen Deal, mein Alliierter, aber auch wenn Sie die letzten Hintergründe nicht kennen, mein lieber Jonas, so wissen Sie doch mehr, als für mich gut ist, deshalb kann ich Sie, das werden Sie verstehen, auf gar keinen Fall am Leben lassen. Man wird Ihre Leiche neben der von Moreno... Man wird annehmen, sie hätten sich gegenseitig getötet. Man wird mit Respekt von ihnen sprechen. Man wird sagen, er hat seinen Auftrag ausgeführt, und ist dabei gefallen. Ein Opfer der Pflicht.

Jonas: Alarmstufe eins, Sam, tu was.

Sam: Verzage nicht, o Herr und Gebieter, denn siehe, gleich sind sie da.

Jonas: Wer?

Sam: Wer? Die 7 Zwerge, du Waldschraz.

Jonas: Es waren nicht 7 Zwerge, es waren 3. Judith, Chefinspektor Brock und Wachtmeister Quex. Jonas atmete tief durch, und Mustermann war verwirrt. Aber nur einen ganz kurzen Augenblick, dann fühlte er sich wieder als Herr der Situation.

Mustermann: Was soll das heißen? Warum sind Sie nicht auf ihrem Posten.

Judith: Wir sind auf unserem Posten.

Brock: Wir haben Sie, Mustermann, wir haben Sie genau da, wo wir Sie haben wollten.

Judith: Wir wissen seit einiger Zeit, daß ein höherer Sicherheitsbeamter mit Moreno unter einer Decke stecken mußte.

Brock: Ein Maulwurf.

Judith: Und dieser Maulwurf konnten nur Sie sein, Mustermann, das wußten wir. Aber wir hatten keine Beweise.

Brock: Bis jetzt.

Judith: Bis wir Unternehmen Schneewittchen geplant und gegen ihren Widerstand durchgesetzt haben.

Brock: Jonas war unser Versuchskaninchen.

Judith: Wir standen mit ihm ohne sein Wissen in ständiger Verbindung, nicht über ihren Monitor, Mustermann, über Jonas Computer.

Sam: Auftrag ausgeführt, Spezialagent Sam meldet sich zurück von geheimer Mission.

Jonas: Verräter.

Sam: O, o wie das schmerzt, wo Sam doch stets nichts anderes im Sinne hatte, als seines Jonas Heil und Wohlergehen.

Judith: Unser Beweismaterial ist komplett, Sie sind überführt, Mustermann.

Brock: Leisten Sie keinen Widerstand, kommen Sie mit.

Mustermann: Ich denke nicht daran. Das ist auf ihrem Mist gewachsen, nicht wahr, Sicherheitsrätin Delgado, Sie wissen ja gar nicht, was Sie da angerichtet haben, Sie dumme Kuh, Sie haben sich in einen höchst komplexen politischen Vorgang eingemischt, in eine Materie von übergeordneter internationaler Bedeutung. Über Costaguana läuft die Finanzierung der gesamten Kontergeria in Mittel- und Südamerika. Milliarden, Frau Delgado, und wissen Sie, wo die herkommen, auch aus dem Organmarkt? Das würde nicht reichen, und offiziell können die Vereinigten Staaten von Europa auch nicht viel beisteuern, mangels Masse, obwohl wir politisch an der Sache natürlich größtes Interesse haben.

Also Kokain.

Mustermann: Ganz recht. Wie gesagt, eine Angelegenheit von extremer politischer Brisanz, und ich habe dabei die Belange unserer Regierung zu vertreten und für eine störungsfreie Durchführung des Kokainimportes geradezustehen.

Aber die Rauschgiftgesetze?

Judith: Und die Süchtigen? Die Kranken, die Toten?

Mustermann: Ach mein Gott, Sie wissen doch, wo gehobelt wird, da fallen, bedauerlicherweise, ist nicht zu ändern, die Politik hat Vorrang.

Und ihr Privatkonto in Costaguana. 20 Millionen Euros.

Mustermann: Eine Lappalie. Das fällt somit ab. Und außerdem geht Sie das nichts an. Die ganze Sache geht Sie nichts an.

Judith: Das sagen Sie. Sie können uns viel erzählen.

Mustermann: Fragen Sie nach. Sie, Frau Delgado, kommen Sie, Sie brauchen den Topsecret Code.

Jonas: Mustermann drückte Judith eine Plastikscheibe in die Hand, damit verschwand sie, nach 10 Minuten war sie wieder da, blaß und offensichtlich mitgenommen.

Judith: Es stimmt, Brock, Mustermann kriegt seine Anweisungen von ganz oben.

Brock: Sicherheitspräsident?

Judith: Viel höher.

Mustermann: Bitte. Da haben Sie’s. Fangen Sie schon mal an, sich auf das einzustellen, was jetzt auf Sie zukommt. Durch ihren unsinnigen Aktionismus haben Sie irreparablem politischen Schaden angerichtet. Sie haben mich genötigt, eines unserer bestgehüteten Staatsgeheimnisse preiszugeben. Für Sie, Frau Delgado, wird das schwerwiegende personelle Konsequenzen haben, und was die unteren Chargen betrifft, Chefinspektor Brock, den Wachtmeister, und diesen diesen Jonas, da gehen wir, denk ich besser auf Nummer sicher.

Jonas: Wir vier waren uns einig. Keiner sagte ein Wort. Es gab nur Blickkontakte. Von Judith zu Brock, von Brock zu mir, von mir zu Quex. Ich stolperte plötzlich gegen Mustermann, schlug ihm dabei den Laser aus der Hand, und im gleichen Moment ging Quex Laser los.

Brock: Na sowas, Sie haben heute aber einen lockeren Zeigefinger, Quex.

Quex: Ich kann mir das auch nicht erklären, Herr Chefinspektor.

Brock: Und der arme Herr Mustermann stand direkt in der Schußlinie. Nichts mehr zu machen. Er ruhe in Frieden.

Judith: Bereiten Sie gleich eine Pressemitteilung vor, Chefinspektor, Sie wissen ja, durch einen tragischen Unglücksfall verstarb plötzlich und unerwartet der Leiter der Drogenpolizei, Sicherheitsdirektor Kaspar Mustermann, jäh herausgerissen aus einem beispielhaften Leben, das nur der Pflichterfüllung geweiht war, ein Opfer seines Berufes usw.

Brock: Und so weiter. Wird gemacht, Frau Delgado. Kommen Sie, Quex.

Judith: Du hast uns sehr geholfen, Jonas.

Jonas: Ich hab für euch die Kastanien aus dem Feuer geholt. Du hast mich manipuliert, Judith, schon wieder.

Judith: Es tut mir leid, daß du das so siehst, Jonas, auf jeden Fall danke ich dir. Durch Mustermanns Abtreten ist die Planstelle eines Sicherheitsdirektors freigeworden, und ich weiß, wer die kriegt.

Jonas: Gratuliere.

Judith: Ja dann, Jonas, mach’s gut. Ich werde dafür sorgen, daß dir das vereinbarte Honorar überwiesen wird.

Jonas: Ach, das nehm ich lieber gleich mit. Sicher ist sicher.

Judith: Wie du willst, Jonas, ich laß es durchgeben, du weißt ja, wo die Kasse ist.

Jonas: Der alte Kassencomputer im Erdgeschoß ließ sich Zeit. Vielleicht mußte er sich erst wieder an seine Arbeit gewöhnen. Wer läßt sich heutzutage schon sein Geld bar auszahlen.

Kassencomputer: 2000 Euro mein Herr, brutto. Nach Abzug von allgemeinen und speziellen Gebühren, Steuern, Zuschüssen zu Volksrente, Kranken und Pflege-versicherung, Abgaben und Spesen, verbleiben netto exakt 413 Euros und 1 Cent.

Jonas: Was?

Kassencomputer: Exakt 413 Euros und 1 Cent, mein Herr.

Jonas: Und 1 Cent. Den könnt ihr behalten. Jonas spendet ihn für notleidende höhere Sicherheitsbeamte.

Kassencomputer: Vielen Dank, mein Herr. Bitte mein Herr, ihre 413 Euros.

Jonas: Ich nahm sie und machte mich auf die Socken, erstens weil ich rauswollte aus der Sicherheitszentrale, und zweitens, weil ich eine Verabredung hatte. Mit Humphrey Bogart. Vielleicht war die Postkarte noch zu haben.

Das war Schneewittchen. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas spielte Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Peer Augustinski. Judith Delgado: Karin Anselm. Sicherheitsdirektor Mustermann: Karl Michael Vogler. Außerdem wirkten mit: Claudius Zimmermann, Edwin Marian, Volker Spahr und Jürgen Rehmann (Alexander Malachovsky, Julia Fischer). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1989). Redaktion: Erwin Weigel und Christoph Lindenmeyer.

Beitrag vom 02.04.2022 - 21:18
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