Die Chronik – eine lästige Tradition?
28.12.2002 von Eitschi
Jedes Jahr wieder gibt es beim Pfingstlager diese Sache mit den Chroniken. Man bekommt gesagt, bringt Eure Chroniken mit, sie werden bewertet. Bisher war es leider so, daß sich nur die wenigsten Sippen wirklich Mühe mit ihren Chroniken gemacht hatten – und sich auch nur seltenst Verbesserungsvorschläge anhören wollten oder gar ein paar alte Chroniken als gute Beispiele verglichen haben. Warum auch? Ist Chronikschreiben nicht nur eine lästige Tradition ohne Sinn?
Eine Chronik ist ein Mittel gegen das Vergessen
Eine Chronik ist, wie der Name (von griechisch cronoV) schon sagt, ein Zeitdokument. Das bedeutet, daß sie Euch beim Lesen, vielleicht viele Jahre nach den darin festgehaltenen Erlebnissen, nochmals die zusammen erlebten Zeiten wieder gegenwärtig machen kann – je ausführlicher und je spannender sie geschrieben ist, umso lebendiger wird die Erinnerung.
Eine Chronik bietet auch nachfolgenden Generationen einen verstaubten Hauch vergangener glorreicher Zeiten der eigenen Sippe. Selbst wenn die Chronik bereits Jahrzehnte alt ist und man von den darin vorkommenden Personen vielleicht die meisten gar nicht mehr kennt – so sollte sie selbst für einen Unbeteiligten beim Lesen sämtliche Unternehmungen der Sippe von Abseil-Aktionen über Wanderungen bis hin zu ganzen Sommerlagern zugänglich machen.
Eine gut geschriebene Chronik bietet eine gewaltige Bereicherung für die Geschichte einer Sippe! Wußtet ihr, wer Eure Sippe vor X Jahren gegründet hat, wo die Sippe vor Eurer Zeit überall auf Lager gewesen ist, mit welchem Ereignis das Sippenlied zu tun hat, was die Sippe während der großen Lapplandwanderung 1995 erlebt hat, wann und wie oft sie den Lauterburglauf gewonnen hat?
Wußtet ihr, ob zum Beispiel euer Truppfeldmeister einst als kleiner übergetretener Wölfling in eurer Sippenchronik erwähnt ist? Vielleicht gibt es darin ja auch Fotos von ihm in jungen Jahren, und von anderen, die ihr vielleicht nur noch als fette alte bärtige Rover kennt?
Ihr könntet ja mal zu euren Truppfeldmeistern gehen und sie um alte Chroniken bitten, um die alten längst vergessenen Pfade der Geschichte Eurer Sippe oder Eures Trupps zu erforschen!
Es wäre zum Beispiel auch ein spannendes Thema für eine Sippenstunde, an einstmals heilige Stellen der Sippe zu pilgern und sich dort anhand von historischem Material die Vergangenheit der Sippe vor Augen zu führen. Hatte Eure Sippe nie irgendwelche geweihten Plätze, weil sie noch nicht lange genug existiert? Gründet eine neue Tradition, definiert Euch zum Beispiel eine „Euleneiche“! Und wenn ihr, in alter Eroberer- und Seefahrertradition neu entdeckte Flecken der Erde mit eigenen Namen benennt, so laßt daran die späteren Leser Eurer Chronik teilhaben! Es bereichert die geschriebene Erinnerung ungemein, wenn ihr beim Sommerlager im Glaskogen nicht einfach nur „gefrühstückt“ habt, sondern stattdessen „selbstgebackene Blaubeerhörnchen am Kap der guten Hoffnung“ zu Euch genommen habt. Habt ihr die Grundidee erfaßt?
Dementsprechend sollte eine Chronik inhaltlich gestaltet sein: Spannend, ausführlich, abwechslungsreich, erklärend, bildhaft, aber vor allem lesenswert!
Eine Chronik ist lebendige Vergangenheit
Lesenswert bedeutet, daß beim zufälligen Aufschlagen der Chronik das Auge des Betrachters gefesselt wird, nicht nur durch eine entsprechend schöne Darstellung, sondern auch durch den begeisternden Inhalt des Berichtes. Dies sei an einigen (realen und fiktiven) Beispielen verdeutlicht:
„Weil dieses Jahr der Lauterburglauf bereits zum fünfzigsten Male stattfand, sollte dies für uns ein Ansporn sein, endlich die CPK abzuzocken und die Kohte abzusahnen: Wir nahmen teil, jedoch war die Sippe Eule aufgrund zu geringer Besetzung (2) gezwungen, bei den Falken (4) mitzulaufen. Zum Glück, denn nur so war es möglich, unser Ziel zu erreichen und zu gewinnen. Wir wählten den Namen Falke, da die Kombinationen beider Sippennamen (Fäule bzw Elke) nicht im Rahmen des Akzeptablen lagen...“
Nichts ist langweiliger als eine Chronik, die im Logbuchstil verfaßt ist: „Am 27. Mai 19XX trafen wir uns um 15:32 Uhr am Vogelberg. Um 16:00 Uhr radelten wir zum Lagerplatz bei Fabrikschleichach und bauten um 19:12 die Kohten. Nach der Versprechensfeier wurde gesungen. Am nächsten Tag fuhren wir nach dem Stammesgottesdienst um 14h wieder heim.“
– Würdet ihr so etwas nach zwanzig Jahren mit Begeisterung lesen wollen? Dabei kann selbst ein kurzes Wochenendlager lebhaft dargestellt werden – keine Sippenfahrt ereignet sich ohne kleine aber feine Besonderheiten, die dem trockenen Erlebnisbericht Leben einhauchen:
Mußte man wie üblich erst eine halbe Stunde auf den kleinen Lachsack warten oder kam er diesmal nur 20 Minuten zu spät? Wie oft ist der kleine Josef diesmal vom Fahrrad gefallen? Habt ihr irgendwelche kranken Vorstellungen, warum das Kaff, bei dem ihr zeltet, Fabrikschleichach hieß? Was hatte die Sippe zum Abendessen dabei, hatte der von Mama Gröll mitgegebene und vom kleinen Lachsack begierig verschlungene Mandarinenquark Auswirkungen auf die Langsamkeit des Kohtenaufbaus? Wer hat am Abend endlich nach zwei Jahren verzweifelten Wartens Versprechen gemacht, und unter welchen Bedingungen? (Wald? Felsen? Fackelschein? Lagerfeuer? unter Wasser?) Hat die Truppfeldmeisterin Euch bei der anschließenden Singrunde ein neues besonders schönes Lied beigebracht? (aus solchen Angaben ließe sich zum Beispiel rekonstruieren, seit welchem Lager Lieder wie „Lola“, „Roter Mond“ oder die „Marie“ ins Repertoire der Sipplinge gekommen sind!). Und mußte man am nächsten Morgen den kleinen Josef aus dem Schlafsack schütteln?
Ebenso läßt sich selbst ein Geländespiel in der Chronik lebhaft beschreiben, man muß es nur entsprechend der Begebenheiten in die Worte des Geländespielthemas fassen, wie folgender Auszug aus einer Sippenchronik verdeutlicht (Thema war die Schlacht bei Gettysburg): „Die Armee der Südstaaten feierte anfangs ziemliche Erfolge, doch gemäß der historischen Gegebenheiten machte General groelLee einen strategischen Fehler: er ist vom Baum runtergefallen. Und so kam es zur großen Johannes: Die Nordstaaten griffen mit allgemeinem Schlachtruf „Christlich soziale – UNION!“ die Reihen der Konföderierten an und es gelang ihnen, General groelLee gefangen zu nehmen, obwohl dabei auch der Große Manitu (Johannes Wende) und die UN-Friedenskommission (Christian Petter) mitmischten und durch das Schlagen auf beide Seiten für allgemeine Verwirrung sorgten...“
Entsprechend dem jeweiligen Thema läßt sich über jedes Geländespiel mindestens ein netter kleiner Absatz schreiben, sei es nun das exotische Lagerthema (zB Hobbits, Orks und Elben beim PfiLa ’94) oder der Einsatz von Kampfhunden (PfiLa ’96). Oft bietet aber schon das Thema genügend Inspiration zu einem Chronik-Eintrag: „Böse,böse Räuber, getarnt als Nikoläuse, trieben unerkannt in der Stadt Kitzingen ihr Unwesen. Glücklicherweise erfuhr Armin davon und sofort waren die Sippen Eule, Falke, Merlin und gar Puma alarmiert; sobald ein falscher Nikolaus erwischt wurde, entrissen wir ihm den falschen Bart. Auf diese Weise demaskiert, gaben uns die verbrecherischen Gesellen Kartenteile, die zu ihrem Beuteversteck führten sollten. Nach der Entdeckung der Beute durch die Merlin-Sippe gingen Pfadfinder und Räuber versöhnt in den historischen Klosterkeller, wo gegessen und gespielt wurde. Einer der demaskierten Nikoläuse schlug erbarmungslos Freund und Feind mit seiner Rute nieder; doch als beim allseits bekannten Adam&Eva-Spiel dieser blind unserem Petzi gegenüberstand, bekam Petzi heimlich die besagte Rute statt eines Halstuchs in die Hand gedrückt... nachdem also auch der letzte Räuber fiel, herrschte wieder Ruhe in Kitzingen...“
Eine Chronik bedarf rechtzeitiger Notizen
... Ach ja, wie war das doch damals...?
„Danach ging es auf eine kleine Wanderung mit Kohte, Wasser und Proviant. Die Führer joggten sofort los, was wir jedoch nicht mitmachten. Nach einiger Zeit schmissen sich die Führer in den Wald, ließen uns vorbeilaufen und folgten uns nach einiger Zeit wieder. Als sie versuchten, uns joggend wieder einzuholen, gaben sie verwundert an einer Wasserstelle auf. Nun überholten wir sie jedoch von hinten!“
Im Grunde bietet jede mit der Sippe oder mit noch mehr Leuten unternommene Aktion mehr als genug lebhafte Besonderheiten, die dem Chronikbericht Würze verleihen. Nur muß man sich hinterher beim Chronikschreiben ihrer erinnern, und das ist umso schwieriger, je später man mit dem Schreiben beginnt. Ein nützlicher Trick ist es daher, wenn sich jemand von euch bereits während der Fahrt ab und zu Notizen macht. Das muß nicht nur der als Chronist designierte Sippling sein, denn je mehr Leute nach dem Lager ihre Ideen zusammentragen können, umso vielgestaltiger wird dann der Chronikbericht.
Eine Chronik ist ein Werk der ganzen Sippe
Der Chronist ist also letztlich der, der das Ereignis in schriftliche dauerhafte Form überführt, nach Möglichkeit also der, der nicht in jedem Satz siebzehn Fehler macht. Derjenige von Euch, der fehlerfrei schreiben kann, muß aber nicht derjenige sein, der in eurer Sippe am besten für kreatives Schreiben talentiert ist; ebenso werdet Ihr aber auch immer jemanden unter Euch finden, der gut zeichnet oder gerne fotografiert; und letztlich ist es auch nie schwierig, einen Sippling zu finden, der der Kunst des Fabulierens mächtig ist. Diese Eigenschaften sind wohl immer auf mehrere Personen verteilt, warum sollte also die Chronik das Werk eines Einzelnen sein, wenn man zusammen etwas viel Schöneres erreichen kann? Man kann sich zum Beispiel eine Woche nach der Aktion in der Sippenstunde zusammensetzen, nach dem Schema „Maddin, erzähl mal, was dir zum Lager einfällt, ich schreibe es zu meinen Notizen dazu und Sepp überlegt sich ein paar Zeichnungen, und wenn die Fotos fertig sind, kann der Bericht vom Chronisten niedergeschrieben werden!“
Eine Chronik ist etwas besonders Schönes
Nach dem Inhaltlichen nun ein paar allgemeine Ratschläge zur Optik:
Am geeignetesten sind dicke leere beschreibbare Bücher mit festem Einband im Format DIN A5, klein, handlich, dick genug, um viele Jahre der Sippentätigkeit darin festhalten zu können, und gebundene Bücher mit festem Einband, weil sie am stabilsten sind und zudem die gute alte Tradition der Chronik als einem verehrten alten Buch bewahren.
Ordner sind unschön, eine Chronik ist kein Haikbuch! Daß man in einen Ordner alte Berichte an die richtige Stelle einheften könnte, ist kein Argument. Eine Chronik schreibt man ja so, wie es der Name verrät: Chronologisch! Somit ist die Notwendigkeit gar nicht gegeben, später alte Berichte nachreichen zu müssen. Ein festes gebundenes Buch ist stabiler als jeder Blättersalat und, sofern es das Format DIN A5 nicht überschreitet, paßt es in jeden Rucksack oben rein und läßt sich so auf kleinere Fahrten mitnehmen. Wozu, könnte jemand hier fragen? Na klar – um daraus später in der Kohte bei Kerzenschein den staunenden Neulingsaugen aus den glorreichen Annalen der heroischen Vorläufer vorlesen zu können! Denn wie gesagt: Eine gute Chronik muß auch für die Leser interessant sein, die nicht unbedingt dabei waren.
Natürlich muß man diesem besonderen historischen Buch der Sippe auch die entsprechende Ehre zuteil werden lassen, sie pflegen und nach Möglichkeit nicht in Bächen versenken oder mit Cola verkleben. Wie der Wimpel ist die Chronik etwas, was Eure Sippe ausmacht, worauf Ihr besonders aufpassen solltet.
Da Chroniken etwas Besonderes und Schönes sein sollen und in der heutigen Zeit Computerverwendung zum langweiligen unschönen Alltag gehört, hat Computerzeugs in einer Chronik nichts verloren. Das könnte ja jeder dahergelaufene Trottel! Und gerade das Handschriftliche, Selbstgezeichnete und Selbstgemalte macht nach Jahrzehnten den Reiz der vergilbten Seiten aus!
Die Verwendung von Tintenkillern ist übrigens eine große Sünde unter Chronisten, da jedes weggekillte Wort nach einigen Jahren wieder aus dem Nichts zum Vorschein kommt und so die ansonsten schönen Seiten verunstaltet.
Wie gestaltet man nun die Chronik graphisch? Da bleibt prinzipiell ein wichtiges Kriterium: Abwechslung! Es sollten nach Möglichkeit nicht alle Seiten gleich aussehen. Es gibt doch so viele verschiedene Schriftarten, da läßt sich doch zum Beispiel mit den Überschriften experimentieren! Und was eignet sich noch zur Abwechslung? Natürlich Zeichnungen, aber auch Planskizzen von Lagerplätzen, ein Zeitungsausschnitt über das Jubiläumsjahr des Stammes, der legendäre halbzerfetzte Haikaufgabenzettel von 1993, ein totgequetschter schwedischer Moskito, eine tschechische Eintrittskarte aus einer Fledermaushöhle, ein Foto vom MB Spezial...
Fotos – ob nun farbig-realistisch oder schwarzweiß-künstlerisch – sind generell eine gute Idee zum Auflockern von Seitenstrukturen. Außerdem bieten sie – gerade nach sehr vielen Jahren – DIE optische Erinnerung schlechthin. Hat der Lachsack 1991 nicht süß ausgesehen? Allerdings müßt Ihr darauf achten, nicht zuviele Fotos in Eure Chronik zu kleben, weil sich diese sonst irgendwann nicht mehr schließen läßt. Auch solltet ihr ab und zu gerade bei älteren Chroniken die Fotos nachleimen, da so mancher Kleber nach einigen Jahren nachläßt.
Abschließend nochmals der Tip an Euch alle:
Werft doch mal einen Blick in alte Chroniken! Vergleicht auch mehrere untereinander, um Inspiration für eure eigene zu erhalten. Das bedeutet nicht, daß Ihr Zeichnungen abmalen oder Formulierungen abschreiben sollt, sondern daß Ihr auf neue Ideen gebracht werdet.
Immerhin soll Eure Chronik beim Pfingstlager die beste werden!
Und sie soll auch in dreißig Jahren noch die beste sein!
Ist der Funke übergesprungen?
Dann viel Spaß beim Schreiben!
Mit freundlicher Unterstützung von Josef (Stamm Schwarze Adler Kitzingen)
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