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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Unterwelt
Passantin: Ih, eine Ratte!
Jonas: Es war keine Ratte. Es war Sam. Samobil, genauer gesagt. Nach dem Kopfjägerfall hatte ich ihm gekauft, was er sich schon lange gewünscht hatte: Ein Mobilitätssystem für Minicomputer. Software, Räder, Getriebe, Motor, maßgeschneidert. Sam war begeistert. Jonas weniger. Ein Computer, der spricht, ist schlimm genug. Ein Computer, der spricht und durch die Gegend düst, ist schlimmer. Ein Computer, der spricht und düst und mit seinem Herrn fangen spielt, ist das letzte.
Sam: Na los! Krieg mich doch, krieg mich doch, bin ein bißchen flotter. Krieg mich doch, krieg mich doch, bin ein kleiner Otter. Du Lahmgesäß.
Jonas: Sofort kommst du her, Sam, bei Fuß.
Sam: So nicht. Denn wahrlich, Sammy ist kein Pfiffi, keine Töle, kein Hundevieh.
Jonas: Du bist eine Maschine, Sam.
Sam: Ja.
Jonas: Der Mensch bestimmt, die Maschine gehorcht. So soll es sein. In die Tasche, aber schnell. Und wenn du noch mal wegläufst...
Sam: Wegrollst! Bleiben wir doch verbal präzise, verehrte Gemeinde, auch wenn’s schwerfällt.
Jonas: Dann kommst du ganz präzise in den Schrott. Oder ich schenk dich Chefinspektor Brock.
Sam: Hehe, tust du doch nicht, weil’s gar nicht geht, weil Jonas und Sam zusammen gehören, wie Castor und Pollux, wie Castrop und Rauxel, wie Tristan und Isolde, wie dick und doof.
Jonas: Wie Nerven und Säge.
Sam: Wa.
Jonas: In die Tasche!
Sam: Aua.
Jonas: So.
Fahrer: Zur Neptunstraße (der Thumstraße), wie fahr ich da am besten?
Sam: Da fahren Sie erst mal zu mir, dann kriegen Sie ne Karte...
Jonas: Neben Jonas hielt ein E-Lieferwagen. Grau. Keine Aufschrift. Ich steckte Sam in die Tasche, richtete mich auf. Aber ich kam nicht mehr dazu, dem Fahrer was zu sagen. Die Seitentür des Wagens öffnete sich, Hände packten zu, zogen Jonas ins Innere. Der Lieferwagen fuhr los.
Palma: Kein Grund zur Besorgnis, Herr Jonas, wir möchten Ihnen ein interessantes Angebot unterbreiten.
Jonas: Und dazu müssen Sie mich kidnappen.
Palma: Nicht doch, Herr Jonas, wir haben Sie nur aufgefordert, näherzutreten, etwas abrupt, das gebe ich zu. Nehmen Sie Platz. Soweit wir informiert sind, bevorzugen Sie echten Scotch. Wäre Ihnen ein Old Forrester recht? Soda? Eis? Wasser?
Jonas: Was außen wie ein E-Lieferwagen aussah, war innen ein Salon, Hausbar, Sofa, roter Plüsch. Arte Bordello 1900. Oder so. Die Frau paßte ins Ambiente wie die allseits bekannte Faust aufs Auge. Kimono, schwarze Lackperücke, Stöckelsandalen, keine Schlitzaugen, eine nippophile Europäerin, die Aufmachung stand ihr. Bis auf den Knopf im Ohr, ein Stilbruch, ein Produkt aus der Retorte, synthetisch wie der Whisky.
Jonas: Warum kein Sake Madame Butterfly, oder Champagner? Passend zur Möblierung.
Palma: Weil wir wissen, daß Sie beides nicht trinken, Herr Jonas.
Jonas: Sehr aufmerksam. Sie sagten was von einem interessanten Angebot.
Palma: Werfen Sie einen Blick auf dieses Holoporträt, Herr Jonas.
Jonas: Grimmiger alter Knabe, kommt mir irgendwie bekannt vor.
Palma: Mein Großvater.
Jonas: Angenehm. Hat er auch einen Namen.
Palma: Palm, ich meine Palmström, er ist entführt worden aus dem Pflegeheim.
Sam: Piep Piep Piep!
Palma: Herr Jonas, bei Ihnen pieps!
Jonas: Sam, mein Computer piept und rollt und redet.
Sam: Und weiß was.
Jonas: Was weißt du Sammy?
Sam: Ach Luftklavido. Was ich weiß. Trotz heftiger Bedrängnis durch seinen unsensiblen Herrn und Meister ist es Sam gelungen das Nummernschild dieser rollenden Drahtzudiebüro zu erspähen. Und was frage ich Sie, gnädig Frau, haben gezielte Nachforschungen beim babylonischen Verkehrsamt ergeben? Häh?
Jonas: Machs nicht so spannend Sam. Wem gehört die Kiste?
Sam: Kurz und gut der W-O-R-F.
Jonas: Ach was. Die WORF. Die Partei für Wohlstand, Ordnung, Recht und Freiheit, lange Zeit in Babylon an der Regierung, jetzt in Opposition, weil sich vier kleinere Parteien zu einer Regierungskoalition zusammengeschlossen hatten. Glück für alle, Weiter so, Leistung muß sich lohnen und Vor allem Gesundheit.
Sam: Interessant gelle.
Jonas: Und aufschlußreich. Jetzt wird mir einiges klar.
Sam: Kuck mal wer da spricht, hehe, das bin ich, aber kuck mal wie er auf einmal hupft, mein intellektueller Hinkefuß und Lahmbeutel, bravo. Und was ist euer Merkwürden denn klar geworden zum Bleistift.
Jonas: Weshalb mir der alte auf dem Bild so bekannt vor kam, wozu Madame Butterfly einen Knopf im Ohr trägt und warum sich dieser rote Samtvorhang ab und zu bewegt, als ob jemand dahintersteckt.
Sack: Sie haben unser Spiel durchschaut, Herr Jonas, sehr schön. Sie kennen mich.
Jonas: Saladina Sack.
Sam: O Hauerauera, die große Vorsitzende der WORF. Tatä-tätät-tätä.
Sack: Ich bin hocherfreut Sie persönlich kennenzulernen, Herr Jonas.
Jonas: Ich eher weniger Frau Sack. Was soll das Affentheater.
Sack: Nur ein kleiner Test Herr Jonas. Ihr Name, ihr Ruf, ihre Qualitäten sind uns selbstverständlich vertraut, spätestens seit der unglückseligen Harry-Hauer-Affäre.
Sam: Fall Attentat August 2012.
Sack: Richtig. Dennoch mußten wir uns vergewissern, ob Sie wirklich der rechte Mann sind für die Aufgabe die wir ihn zugedacht haben.
Sam: Er ist der rechte Mann, er nimmt nämlich Herrenkapseln.
Sack: Aha. Ja also es handelt sich um eine höchst diffizile Angelegenheit, die äußerste Diskretion erfordert, wir benötigen einen ausgewiesenen Spezialisten.
Sam: Das ist er.
Jonas: Jonas ist Spezialist für rohe Eier und heiße Kartoffel. Auf meinem Türschild steht Jonas, nur Jonas, Privatdetektiv, der letzte seines Zeichens. In Babylon der großen Stadt und drumherum. Reich ist Jonas dabei nicht geworden, dafür hat er Erfahrung. Und jede Menge Beulen.
Sack: Ich denke wir haben ihn gefunden unseren Spezialisten. Sind Sie frei, Herr Jonas, sind Sie bereit für uns, für die WORF tätig zu werden.
Jonas: Kommt drauf an.
Sack: Worauf.
Jonas: Worum es geht und was Sie zahlen.
Sack: Was kosten Sie?
Jonas: 120 Euros wie ich hier stehe, pro Tag und Spesen.
Sam: Und wenn er liegt das doppelte.
Sack: Das ist mir egal. Wir zahlen ihnen 10.000 pauschal, und Sie werden sich jeden einzelnen Euro hart verdienen müssen.
Jonas: Der alte Mann auf dem Holoporträt.
Sack: Genau Herr Jonas.
Jonas: Er heißt nicht Palmstörm.
Sack: Natürlich nicht.
Sam: Er heißt Lars Rindström.
Jonas: Korf hieß er. Dr. Herbert Korf. Korf von der WORF, hochberühmter Alt- und Expolitiker, Ehrenvorsitzender der Partei, schon seit Jahren nicht mehr aktiv, wenn er sich auch gelegentlich zu Wort gemeldet hatte. Aber Korf konnte nicht entführt worden sein.
Sack: Glauben Sie Herr Jonas, warum nicht.
Jonas: Weil er tot ist, gestorben vor 4 Wochen.
Sack: Am 15.April 2014, sehr richtig Herr Jonas.
Jonas: Die Partei hat ihn mit großem Trara unter die Erde gebracht, Sie selbst Frau Sack haben die Grabrede gehalten.
Sack: Hat sie Ihnen gefallen Herr Jonas. Was ich Ihnen jetzt mitteilen werde, Herr Jonas, muß unter allen Umständen unter uns bleiben. Ich erwarte von Ihnen absolute Verschwiegenheit.
Jonas: Verständlich, denn was erzählte mir Saladina Sack. Korf war nicht gestorben, er lebte, gerade noch, Korf hatte Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium, und die Partei hatte ein großes Problem, weil ihre politischen Gegner keine Hemmungen hatten, sie hätten sich den Alten gegriffen, ihn im Holo als sabbernden Trottel vorgeführt, und der Partei damit schwer geschadet. Darum ließ die Führung der WORF ihren Ehrenvorsitzenden dahinscheiden und begrub feierlich einen leeren Sarg.
Sack: Korf haben wir heimlich in ein privates Pflegeheim gebracht, unter dem Namen Palmström.
Sam: Palmstöm hat nicht Speck im Haus, dahingegen eine Maus, Korf bewegt von seinem Jammer baut ihm eine Gitterkammer.
Sack: Morgenstern, so ist es. Ein gebildeter Computer den Sie da haben Herr Jonas.
Sam: Siehste Jonas siehste. Ja o Dank hohe Frau. Man tutet wie man kann und man kann vieles. Nicht daß mein intellektueller Unterrichtung weitestgehend ermangelnder Meister solches zu schätzen wüßte, o goldene Worte aus dem Schatzkästlein der Weltliteratur.
Jonas: Brauchen wir jetzt nicht. Halt die Backen Sam.
Sam: Ja.
Jonas: Wir waren bei Korf, Frau Sack, alias Palmström, im Pflegeheim.
Sack: Nur der Heimleiter war eingeweiht, er gehört zum Direktorium der WORF und natürlich die handverlesenen Parteisoldaten, die das Heim rund um die Uhr bewacht haben.
Jonas: Trotzdem ist Korf entführt worden.
Sack: In der Tat, Herr Jonas, letzte Nacht.
Jonas: Von unten waren sie gekommen, aus dem unterirdischen Versorgungssystem, Abwasser, Kabel etc. Von da durch den Keller, die Wachen hatten sie umgebracht, dann waren sie verschwunden, mit Korf, mit ein paar anderen Insassen, mit dem Heimleiter.
Sack: Wir sind sicher, daß er mit den Entführern unter einer Decke steckt, nur er kann ihnen den Tip gegeben haben, wer Palmström wirklich ist.
Jonas: Anzunehmen. Sie haben die Kidnapper verfolgt.
Sack: Selbstverständlich, ein überlebender Wächter hat uns informiert und wir haben sofort einen Trupp Parteisoldaten vom nächsten WORF-Stützpunkt losgeschickt.
Jonas: Pflegeheim Keller.
Sack: Mit dem Quicklift nach unten zum Abwasserkanal, und da lag der erste Wegweiser.
Jonas: Wegweiser?
Sack: Ja, einer der mitgeschleppten Heimbewohner, tot, lang ausgestreckt, die rechte Hand zeigte die Richtung an.
Jonas: Die Kidnapper wollten also verfolgt werden.
Sack: Aus gutem Grund, nach ein paar Kilometern durchs Abwassersystem, vorbei an weiteren ausgelegten Leichen, kamen unsere Leute an eine Mauer, quer über den Kanal.
Jonas: Lassen Sie mich raten Frau Sack, die Grenze zur Unterwelt.
Sack: Ganz recht, Herr Jonas, in die Mauer war ein Loch geschlagen, und vor dem Loch lag ein Toter, der letzte, in der Hand hatte er diese Botschaft:
Jonas: An die Führung der WORF, Sie haben die Wahl, Sie schicken morgen 13. Mai 2014, genau 23 Uhr 55, sinnig, fünf vor zwölf, einen Robomessenger mit 25 Millionen Euros durchs Loch, worauf Sie ihren Mann umgehend zurückerhalten, oder Sie tun das nicht, und wir übergeben ihn Holonews, Ihr Schwindel fliegt auf, Ihre Partei ist erledigt, es lebe der urbane Befreiungskampf, die Stadtguerilla. Die Stadtguerilla.
Sack: Auferstanden aus Ruinen wie es scheint.
Jonas: Vor knapp zwei Jahren war der Terrorverein, der sich Stadtguerilla nannte, vernichtet worden, durch eine Großaktion der Polizei, ein denkwürdiges Geschehen für Jonas, Judith Delgado war dabei umgekommen, und ich hatte Karla kennengelernt, die Chefin der Stadtguerilla, sie war entkommen und hatte sich ins Reservat zurückgezogen, um eine neue Truppe aufzubauen. Offenbar war es ihr gelungen.
Sack: Wir haben nicht vor, das Lösegeld zu bezahlen, Herr Jonas.
Jonas: Sie können nicht.
Sack: Und wir wollen nicht.
Jonas: Aber Sie wollen auch nicht, daß ihr angeblich toter Korf als lebender Alzheimer im Holo präsentiert wird.
Sack: Natürlich nicht.
Jonas: Also müssen Sie runter und ihn rausholen.
Sack: Sie werden Dr. Korf befreien Herr Jonas, und ihn uns wiederbringen.
Jonas: Warum nicht Ihre Parteisoldaten.
Sack: Weil die nicht in die Unterwelt gehen, es sind gute Leute, brauchbar und tüchtig, aber das kann ich von ihnen nicht verlangen.
Jonas: Die Polizei.
Sack: Untersteht der Regierungskoalition, unseren Gegner, kommt nicht in Frage. Sie sind unser Mann, Herr Jonas. Sie sind Spezialist für riskante Aufgaben, erfahren und politisch unabhängig. Nehmen Sie den Auftrag an?
Jonas: Jonas kennt die Unterwelt, die ehemaligen Servicesysteme unter dem Reservat, der wüsten Ruinenlandschaft im Südosten von Babylon, die bis zu den großen Unruhen in den späten 90ern ein intaktes Stadtviertel gewesen war. Die Unterwelt ist ein Labyrinth von Gängen und Höhlen, von Abwasserkanälen und Kabelschächten, von Atomschutzbunkern und Recyclinganlagen, alle nicht mehr in Betrieb, verfallen, aber nicht verlassen, Lemuren hatten sich hier eingenistet, und Ratten, Millionen von Ratten. Oben das Reservat war schlimm, die Unterwelt war schlimmer. Viel schlimmer. In die Unterwelt gingen nur Irre. Jonas war irre. Und er brauchte Geld. Apropos.
Jonas: 25 Millionen Euros.
Sack: Was ist damit Herr Jonas.
Jonas: Die sparen Sie, wenn ich Korf aus der Unterwelt hole. 1 % für Jonas.
Sack: 250.000 Euros?
Jonas: Erfolgshonorar. Dafür tu ich's. Sonst nicht.
Sack: Einverstanden. Palma wird Sie begleiten.
Jonas: Palma?
Palma: Palma Kunkel, so heiße ich.
Jonas: Madam Butterfly, in die Unterwelt, im Kimono, wunderbar, dann ziehe ich den Frack an, den ich nicht habe. Und das Promenadenorchester spielt dazu den Kirschblütenwalzer.
Palma: Täuschen Sie sich nicht, ich bin Kampfsportlerin.
Sack: Eine sehr gute, das kann ich ihnen versichern Herr Jonas. Palma arbeitet im Tiefbauamt.
Jonas: Oha.
Sack: Sie hat Pläne und Karten, kennt sich aus in der Unterwelt. Bei einem so gefährlichen Unternehmen brauchen Sie Rückendeckung.
Sam: Backup wie der Experte sich ausdrückt. Äh, sagen Sie mal, heißen Sie wirklich und wahrhaftig Palma Kunkel, Palma die Kunkel, die im Dunkeln kunkelt. Palma Kunkel ist mit Palm verwand doch im übrigen nicht bekannt. Und sie wünscht auch nicht...
Jonas: Morgenstern.
Sam: Morgenjonas. Morgenstern. Eben der selbige, ist das nicht ein Zufall, hä?
Jonas: Wir trafen uns am Abend um 9 in der Südstadt, nicht weit vom Reservat, Madam Butterfly alias Palma Kunkel blieb bei ihrer Masche, Synthstimme, grauer Ninjaanzug, Kamikazestirnband, langes Samuraischwert über der Schulter, kurzes im Gürtel, Jonas trug sein altes schwarzes Kampfoutfit aus dem Antarktischen Krieg, und war behängt wie wie...
Sam: Wie ein ambulanter Klempnerladen, Meister. Helm mit Lampe und Nachtsichtbrille, Wärmflasche, abgesägte Schrotflinte, Flammenwerfer mit Schockgranaten, ein veritables Arsenal, Herr Oberfeuerwerker.
Jonas: Du reist auch nicht gerade mit leichtem Gepäck, Sammy. Mobilsystem, Kompaß, Leuchte, Infrarotgerät, vollaufgetankter Hochleistungsakku, fehlt nur noch die eingebaute Hausbar.
Sam: Hättest du gern was alter Saufladen. Warum Schrotpuste und Feuerspucker, heißgeliebte Knalltüte, warum nicht Laser, warum nicht Neurofreezer?
Jonas: Das ist Stil, Sammy. Archaische Waffen für ein archaisches Ambiente. Stop. So, jetzt können Sie auch runter, Madame Butterfly.
Palma: Ich komm runter.
Sam: Na denn mal tau.
Jonas: Wir gingen nicht durch den Keller im Pflegeheim, Jonas hatte einen Plan, Jonas kannte eine Hintertür, in einer verlassenen Metrostation im Reservat, ein Liftschacht, natürlich kein Lift mehr, ein paar tapfere Parteisoldaten waren mitgekommen, sie ließen uns an Seilen runter und blieben oben, als Wache und Rückversicherung, schließlich wollten Jonas und Butterfly irgendwann wieder raus. Und dann waren wir womöglich in Eile. Am Ende des Schachts ein horizontaler Gang, ein alter Abwasserkanal, seit Jahren trocken, in etwa, dunkler Belag auf den Ziegeln, Salpeter, Schimmel und Schlimmeres. Die Luft ließ sich atmen, riechen weniger. Es stank, noch immer. Der Gang war niedrig, wir mußten die Köpfe einziehen, Butterfly gab die Richtung an, nach ihrer Karte, es war dunkel, bis auf die Lichtkegel unserer Lampen, und still, bis auf das leise Klappern unserer Ausrüstung. Der Gang mündete in die Halle einer ehemaligen Recyclingstation, wo früher Scheiße zu Brühwürfeln veredelt wurde, wir hörten schon früh ihren Rekorder, altmodischer Rock’n Roll, und sahen ihre Lichter, sie warteten an der Grenzmauer vor dem Loch, zwei Gestalten in Overalls mit Sturmgewehren, sie fühlten sich sicher, keine Wache, gut so. Wir machten die Lampen aus, gingen im Dunkeln weiter, vorsichtig, bis der Gang aufhörte und die Halle anfing, da blieben wir stehen und warteten auch.
Palma: Wie spät?
Jonas: Sammy?
Sam: Genau 23 Uhr 54 Minuten und 40 Sekunden.
Palma: Ist gleich soweit.
Jonas: Wenn ihre Leute spuren, Butterfly.
Palma: Keine Sorge, Jonas, hören Sie, sehen Sie.
Jonas: Da kam er durchs Loch, pünktlich auf die Sekunde, ein Robomessenger, einfachste Ausführung, ein offener Behälter mit Beinen, im Behälter ein Sack, ein schwerer Sack, die zwei Typen wuchteten ihn raus und fingen an, ihn aufzuschnüren.
Sam: 5,4,3.
Jonas: Hinlegen Butterfly, Augen zu, Hände auf die Ohren.
Sam: 1, zoro.
Jonas: Eine Schockgranate mit Zeitzünder, im Sack, wie verabredet, ungeheuer laut, ungeheuer hell, ungeheuer überraschend. Unsere beiden Freunde waren einige Sekunden außer Gefecht. Blind, taub, unter Schock. Wir kamen aus der Deckung. Schnell. Jonas hatte die Schrotflinte im Anschlag. Butterfly fuchtelte mit ihrem Schwert.
Palma: Hu. Hei.
Jonas: Was? Halt, stehenbleiben. Ganz wie du willst. Siehste.
Jonas: Einer der beiden bekrabbelte sich schnell, er sah uns kommen und rannte weg. Jonas schoß ihm eine Ladung Schrot in den Arsch. Er hinkte weiter und verschwand hinten in einem Gang. Butterfly hatte sich inzwischen um den anderen gekümmert.
Palma: So, der macht uns keine Probleme mehr.
Jonas: Sie haben ihn umgebracht, Butterfly.
Palma: Ein sauberer Okesa von der linken Schulter zur rechten Hüfte. Und dann hab ich ihm den Rest gegeben. Kamikatiwari durch den Schädel.
Jonas: Na großartig. Wie ein gelernter Schlächter. Hatten wir nicht vereinbart, daß wir die Typen lebend fangen, damit sie uns verraten, wo sie Korf versteckt haben.
Palma: Ist ja noch einer da, der den Sie angeschossen haben. Und der kommt nicht weit. Was war das?
Jonas: Unser Freund, da hinten im Gang, kommen Sie Butterfly.
Jonas: Nach gut 100 Metern fanden wir ihn, das heißt was von ihm übrig war. Seine Knochen. Sauber abgenagt. Bis auf ein paar Fleischfetzen.
Palma: Ratten.
Jonas: So sieht's aus. Sie haben ihn aufgeknabbert.
Palma: Und so schnell. Sie müssen noch in der Nähe sein.
Jonas: Hinter den Wänden, nehm ich an, sehen Sie, überall Löcher.
Palma: Ich hasse Ratten.
Jonas: Ich mag sie auch nicht besonders.
Sam: Sammy hat nichts gegen Ratten, nette kleine Tiere und so hübsche lange Schwänz und so clever.
Jonas: Du hast gut reden, Sam, du bist aus Plastik und Metall, an dich gehen sie nicht ran.
Palma: Unsere beiden Informanten sind tot, Jonas, wie finden wir jetzt Korf.
Jonas: Ganz einfach. Wir gehen weiter, diesen Gang lang.
Palma: Nur so oder haben Sie einen bestimmten Grund.
Sam: Nu paß mal auf Tante Trude, Sammy wird dir die ganze Sache mal verhakseln, so ganz langsam zum Mitschreiben. Sofern Gnädigste des Schreibens überhaupt kundig sind, so nun paß auf. Der sowohl dahingeschiedenen als auch abgeknabberte hat sich, obschon ihm diverse Gänge zur Verfügung standen, in diesen nämlich hier geflüchtet, klar?
Palma: Klar Sammy.
Sam: Also führt dieser Gang dorthin, wo seine Genossen sich aufhalten. Auch klar?
Palma: Klar.
Sam: Und wo die sich befinden dort weilet auch der Meister Korf. Alles klar.
Jonas: Klar. Wir gingen weiter, vorsichtig, wachsam, die Waffen in Bereitschaft. Ab und zu hörten wir was, leises Quieken, Rascheln in den Wänden. Und wenn wir uns umdrehten, sahen wir im dunkeln Gang hinter uns rötlich leuchtende Punkte. Immer zwei nebeneinander, viele, sehr sehr viele. Jonas hatte sich schon besser gefühlt. Dann fingen auch noch die Trommeln an, weit voraus. Signale der Lemuren.
Sam: Was sprechen Trommeln, Wahna Tarzan.
Jonas: Woher soll ich wissen Sahib.
Sam: Trommeln sprechen Fleisch kommen, weißes Fleisch, hmh, lecker lecker.
Jonas: Find ich nicht sehr witzig.
Sam: Na ich merk schon, kein Sinn für schwarzen Humor du trübe Tasse. Traurig Traurig.
Jonas: Plötzlich teilte sich der Gang, wir blieben stehen. Was jetzt? Wo ging's weiter. Welche Gabelung war die Richtige.
Palma: Links.
Jonas: Links. Warum.
Palma: Weil die Typen die wir suchen linke Vögel sind.
Jonas: Haha. Ich bin für rechts. Was meinst du Sammy.
Sam: Sammy hält sich da raus.
Jonas: Typisch, wenn man dich mal braucht. Also gut, Jonas ist der Kommandant der Expedition, und Jonas sagt
Einstein: Links.
Jonas: Was?
Einstein: Rechter Weg ist links, bitteschön.
Jonas: Wer ist da?
Einstein: Einstein.
Jonas: Das glaub ich nicht.
Einstein: Einstein, mein Name, sehr erfreut bitteschön.
Jonas: Kommen Sie raus, wer immer Sie sind.
Einstein: Einstein kommen. Nicht erschrecken, bitteschön, Einstein Freund, gut Freund.
Palma: Ih.
Sam: Selber ih.
Jonas: Aus dem dunklen Abzweig links kam er langsam ins Licht unserer Lampen, Einstein, eine Ratte, eine außergewöhnliche Ratte, kalkweiß, rote Augen, ein Albino, ein Riesen-Rattenalbino, halber Meter mindestens, Schwanz inklusive, immerhin, und reden konnte das Biest auch noch.
Einstein: Einstein lernen menschliche Sprache von Dr. Matrix in Genlabor, Universität Babylon, bitteschön, Dr. Matrix sagen immer: du beste Ratte, klügste Ratte von allen, du heißen Einstein.
Palma: Ein Versuchstier, genmanipuliert.
Jonas: Und total verkorkst, nicht näher, Einstein, bleib stehen.
Einstein: Keine Angst bitteschön, Einstein lieben Menschen.
Jonas: Kann ich mir denken, gekocht, gebraten oder roh?
Einstein: O nein, Einstein Vegetarier, bitteschön, Einstein Freund, Einstein wollen helfen.
Jonas: So, helfen willst du uns. Wie?
Einstein: Einstein wissen alles, bitteschön, Einstein wissen wo böse Menschen von oben alten Mann verstecken.
Palma: Und wo?
Jonas: Zeigs uns auf der Karte.
Einstein: Sorry, Einstein nicht können lesen, bitteschön. Dr. Matrix wollen lernen Einstein lesen, schreiben, rechnen, aber Einstein laufen fort von Genlabor.
Jonas: Warum?
Einstein: Einstein haben Heimweh, haben Sehnsucht nach Genossen Ratten, nach Gemeinschaft, Gesellschaft, Freundschaft, bitteschön, aber Ratten hier ganz dumm, rückständig, sie nicht lieben Einstein, weil Einstein sein groß und weiß und schlau, weil Einstein sein anders, sie nicht wollen Einstein, sie jagen weg Einstein.
Jonas: Sieh an, auch die Ratten sind Rassisten.
Einstein: Einstein unglücklich, Einstein wollen zurück zu Dr. Matrix, wenn Freunde mitnehmen Einstein nach oben zu Genlabor, Einstein führen Freunde zu alten Mann. Bitteschön.
Palma: Was meinen Sie Jonas, trauen wir ihm?
Jonas: Teils teils, einerseits machte Einstein einen ganz überzeugenden Eindruck, andererseits ist Jonas mißtrauisch aus Prinzip. Aber wir mußten Korf finden, darum gingen wir auf Einsteins Angebot ein und ließen uns von ihm führen. Durch den linken Gang, dann über eine verrottete Treppe nach unten, durch eine Tür mit dem schwarzgelben Zeichen, Nuklearschutz, dahinter ein Korridor, relativ neu, relativ sauber, Butterfly studierte ihre Karte, aber die half ihr nicht weiter, Jonas blieb wachsam und Sammy maulte.
Sam: Links, rechts, links rechts, da trotteln wir wie die Vollidioten hinter einem häßlichen nackten Schwanz her, und der Rest von dem Kerl ist auch nicht schöner.
Jonas: Ich dachte du magst Ratten, Sammy. Nette Tiere und so clever.
Sam: Ach Einstein ist doch keine richtige Ratte, Einstein ist eine vermurkste Kreatur, ein Wechselbalg, ein Monstrum, ein Mordstrum, ein gentechnischer Betriebsunfall und so was spuckt hier große Töne.
Jonas: Du bist eifersüchtig Sammy, eifersüchtig auf Einstein, weil er dir irgendwie ähnlich ist, intelligent, munter, verbal.
Sam: Was? Verbal nennst du das du Charakterwanze? Sammy ist verbal, Sammy redet korrekt wie ein Buch.
Jonas: Wie eine Bibliothek Sammy.
Sam: Einstein redet nicht, Einstein bricht rad, Einstein stammelt und stottert und.
Jonas: Sei mal nen Moment still, Sam.
Sam: Ja.
Jonas: Riechen Sie's auch Butterfly.
Palma: Braten. BBQ.
Jonas: Jede Wette, das ist Echtfleisch, kein Sojasteak.
Einstein: Wir sind gleich da, Freunde.
Jonas: Da, wo Einstein, auf einer Grillparty?
Einstein: Hauptquartier von Lemuren, bitteschön, böse Menschen von oben haben gemacht Vertrag mit Lemuren, können bleiben bei Lemuren mit altem Mann 3 Tage.
Palma: Und woher weißt du das Einstein.
Einstein: Einstein sehen alles hören alles wissen alles bitteschön.
Jonas: Wie du Sammy.
Sam: So was muß sich ein ehrbarer Computer nicht bieten lassen.
Einstein: Ruhe bitteschön, Vorsicht bitteschön, da vorn hinter Knick stehen Wächter von Lemuren.
Palma: Den übernehme ich mit meinem Makitaschi.
Jonas: Kein Problem für die Ninja-Androidin Butterfly und ihr scharfes kleines Samuraischwert. Jonas steckte den gekränkten Sam in die Tasche, nahm Einstein auf die Schulter, stieg leise über den toten Lemur, und folgte mit Butterfly dem Bratenduft und dem flackernden Feuerschein, bis der Korridor sich zu einem großen Raum erweiterte, da blieben wir stehen, im Schatten, unsichtbar, der Raum wimmelte von Lemuren, bleichen Gnomen mit wäßrigen Augen. Lemuren sehen nicht gut, sie haben sich ihrer unterirdischen Umgebung angepaßt, vor Jahren sind sie abgetaucht aus dem Reservat in die Unterwelt. Obdachlose, Freaks, illegale Drittweltler, Flüchtlinge, die sich oben nicht mehr sicher fühlten.
Palma: Mein Gott was ist das?
Jonas: Ein ehemaliger Gemeinschaftsraum im Atombunkersystem.
Palma: Nein, ich mein, was sich da dreht, in der Mitte, über dem großen Feuer.
Jonas: Der Spießbraten. Genau was Sie vermuten Butterfly.
Sam: Ich rieche rieche Menschenfleisch.
Jonas: Lemuren sind Kannibalen, nachts steigen sie aus der Unterwelt und jagen Fleisch, wenn das Fleisch nicht zu ihnen kommt, wie die Stadtguerilla, drei Figuren im Overall lagen auf dem Boden, gefesselt, eine der drei kannte ich, Karla.
Karla: Sie brechen unser Abkommen, wir haben ihnen Fleisch gebracht, zwei Menschen wir abgemacht.
Lemur: Sehr nett von Ihnen meine Liebe, leider nicht genug, wir sind sehr hungrig, zwei Menschen reichen uns nicht, wir wollen mehr, wir wollen euch alle, Fleisch!
Einstein: Böse Menschen von oben sind dumm, sie trauen Lemuren, Lemuren sie werden braten und essen, Lemuren nicht Vegetarier wie Einstein, bitteschön.
Jonas: Offensichtlich.
Palma: Korf, Jonas, da ist Korf.
Jonas: Richtig, da war er, am Rand rechts, ganz allein, wahrscheinlich war er den Lemuren zu alt und zu zäh, er trug eine Art Nachthemd und steckte in einem Einkaufswagen vom Supermarkt, Arme und Beine hingen über den Rand, er bewegte sich kaum, starrte teilnahmslos vor sich hin.
Palma: Holen wir ihn raus, Jonas.
Jonas: Die Frage sind wie.
Sam: Merke. Die alten Tricks sind meist die besten.
Jonas: Sagt wer.
Sam: Sagt Sammy du Dumpfbacke.
Jonas: Schockgranate zum zweiten.
Sam: Grünau.
Jonas: OK, Jonas wirft Granate, Butterfly rennt los, schnappt sich den Einkaufswagen, kommt damit zurück.
Palma: Alles klar. Sie halten mir den Rücken frei Jonas.
Jonas: Mit der Schrotflinte. Countdown Sammy, fang an.
Sam: Zu Befehl. Countdown. Piep.
Einstein: Was sein Schockgraten bitteschön.
Sam: Wirst du gleich hören du Spotgeburt aus Quark und Weißkohl.
Jonas: 3,2,1,zero. Bumm. Lemuren schwer geschockt, Butterfly flitze Richtung Korf, Jonas flitzte auch zur Feuerstelle, wo die Gefangenen klagen, Jonas zerschnitt Karlas Handfesseln, und ließ das Messer neben ihr liegen, eine Hand wäscht die andere. Vor zwei Jahren hatte Karla Jonas geholfen, jetzt half Jonas Karla, Hilfe zur Selbsthilfe, alles weitere war ihre Sache. Jonas folge Butterfly in den Korridor, rückwärts, die Schrotflinte im Arm, unnötige Vorsicht, die Lemuren kamen uns nicht nach. Schock, oder sie wollten sich nicht von ihrem Braten trennen.
Korf: Aua, der Verfall der... In diesem unseren Lande. Au. Wohlstand, Ordnung, Recht und Freiheit. Au, das tut doch weh.
Palma: Erkennen Sie mich, Herr Dr. Korf, wissen Sie nicht mehr, wer ich bin.
Korf: Mama, tut weh, meine Verdienste um die europäische Einigung in diesem unserem Verfall, au. Aufhören.
Jonas: Recht hat er. Lassen Sie's langsamer angehen, Butterfly, sonst schmeißen Sie den Kinderwagen noch um. Sie sollten Ihr altes Baby mal windeln, Mutterfly.
Palma: Sehr komisch.
Korf: Mama. Nach Hause, Herbert will nach Hause.
Jonas: Wir tun was wir können, Dr. Korf.
Einstein: Gehen Freunde zurück nach oben bitteschön?
Jonas: Das hoffen wir, Einstein.
Einstein: Nehmen Einstein mit, bitteschön.
Sam: Mama, Einstein will nach Genlabor.
Jonas: Ja, Einstein wir nehmen dich mit. Kennst du den Weg zur alten Metrostation, wo wir runtergekommen sind?
Einstein: O ja, Einstein kennen Weg, Einstein kennen Abkürzung. Freunde folgen Einstein bitteschön, Freunde haben Vertrauen zu Einstein.
Sam: Holdriadidö. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, sagt Shakespeare.
Jonas: Wirklich Sammy. Also los, Lauf voraus, Einstein, ich behalt dich im Auge.
Einstein: Freunde eng zusammenbleiben, bitteschön, Weg sehr gefährlich.
Jonas: Das glaub ich dir aufs Wort, verfressene Lemuren, deine ebenso verfressenen Artgenossen.
Einstein: Und Grauen der Tiefe, Freunde, noch schlimmer noch gefährlicher.
Palma: Grauen der Tiefe, was ist das?
Einstein: Plötzlich sich öffnen Loch im Boden, ganz tief, ganz schwarz, unten Geräusch, unten Bewegung, ganz böse, ganz schrecklich, Grauen der Tiefe, haben nicht Namen, haben nicht Gestalt.
Korf: Mama, nach Hause.
Sam: Und Sammy macht jetzt Pause.
Jonas: Wir waren lange unterwegs, manchmal ferne Lemurentrommeln, manchmal nahes Rattenrascheln. Keine besonderen Vorkommnisse, vorerst. Die Gänge wurden niedriger, wärmer, feuchter und muffiger. Es roch nach Müll, nach Tod und Verwesung, Jonas löste Butterfly ab, übernahm Wagen und Korf, der hatte den Daumen im Mund und schlief. Der Abfallgestank nahm zu. Jonas sah hoch. Einstein, Wo war Einstein?
Palma: Ein Stück voraus hinter der Ecke, er hatte es auf einmal sehr eilig. Einstein.
Jonas: Einstein wo steckst du.
Sam: Wer ist er, der liebe Einstein. Verschwunden, abgehauen. Und mein Volltrottel von Jonas sitzt mächtig in der Kacke.
Jonas: Da ist was dran, Sammy. Einstein!
Sam: Jaja, brüll du nur als wie ein Nebelhorn im Stimmbruch. Es wird dir nimmer was nützen: Selber schuld du Schwachkopf. Trau schau wem.
Jonas: Sagt Shakespeare, sagt Morgenstern.
Sam: Und Sammy.
Jonas: Ich sag dir was Sammy, ihr habt recht, alles drei. Wo sind wir, Butterfly, was sagt die Karte.
Palma: Gar nichts. Keine Ahnung, wo wir sind.
Sam: Jedenfalls nicht auf dem rechten Weg nach Hause, soviel steht fest geschätzter Herr, liebwerte Dame. Tief unter dem Reservat, tief unter der Versorgungsebene, im Zentrum, der Unterwelt. Nein, nicht bei Jacque Offenbach, nein nein im Herzen der Finsternis. So sieht's aus Leute. Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald.
Jonas: Schnauze.
Sam: Sammy hat doch nur versucht zu warnen und zu mahnen, doch fand er Gehör, nein, mitnichten. Es war so finster und auch so bitter kalt.
Jonas: Schluß mit dem Konzert Sam. Mach dich nützlich.
Sam: Mach dich nützlich. Mach dich nützlich. Kann es denn wahr sein, o ihr Völkerscharen, Sammy wird gebraucht. Sammy wird benötigt. Halleluja und abermals Halleluja.
Jonas: Amen. Roll vor und kuck vorsichtig um die Ecke, und vor allem halt den Mund.
Palma: Sie sprechen mir aus der Seele, Jonas.
Sam: Halt den Mund.
Jonas: Sam rollte und linste ums Eck, nach ein paar Sekunden fuhr er seinen Gummifinger aus und winkte uns, heftig. Jonas und Butterfly sahen sich an, zuckten die Achseln, folgten Sam. Wir standen und starrten durch unsere Infrarotbrillen, vor uns lag eine ungeheure Höhle, weiter als der Europaplatz in Babylon, höher als der Holoturm, aber deshalb starrten wir nicht, wir starrten, weil sich mitten in der Höhle eine gewaltige Kathedrale erhob, ein Riesenbau aus Müll, aus Abfall und Lumpen, aus Draht und Blech, aus Plastik und Knochen, und wir starrten wegen der Ratten, es waren tausende, abertausende, vielleicht Millionen, sie quiekten nicht, sie raschelten nicht, sie waren ganz still, und sahen mit leuchtenden Knopfaugen zum Eingang, wo wir standen, ganz vorn ein heller Fleck im graubraunen Rattenteppich, Einstein, neben ihm ein monströses Wust, eine Ballung, eine Masse, so groß und so rund wie das Rad eines Supertrucks. Ein Knäuel von mehr als 100 Ratten, zusammengewachsen, ineinander verfilzt, an den Schwänzen verknotet.
Palma: Der Rattenkönig.
Jonas: Vor seinem Palast.
Sam: In seinen Unterhosen und mit seinen Untertaten. Die warten auf uns.
Palma: Einstein du Verräter.
Sam: Jawohl du treulose Tomate, lasche Pflaume, falscher Funfziger.
Einstein: Einstein es sich haben überlegt, Einstein wollen nicht in Genlabor, Einstein bleiben hier in Unterwelt bei Genossen. Ratten jetzt nehmen Einstein auf, Ratten lieben Einstein, Einstein ihnen bringen drei fette Menschen.
Palma: Fett? Ich oder Korf?
Jonas: Von Jonas ganz zu schweigen.
Einstein: Einstein bringen Waffen.
Sam: Und einen Computer nicht zu vergessen.
Einstein: War Einstein Vergnügen. Bitteschön. Bye bye Freunde.
Palma: Was tun wir?
Jonas: Zwei Optionen, wir lassen uns fressen, oder wir laufen weg. Suchen Sie sich eine aus, Butterfly.
Palma: Drei Optionen, wir kämpfen und gehen unter als Helden.
Jonas: Ohne mich, lassen Sie die Schwerter stecken, Butterfly, die bringen hier gar nichts. Wenn ich los sage, nehmen Sie den Wagen und sehen zu, daß Sie verschwinden, zurück durch den Gang.
Palma: So. Und Sie Jonas.
Jonas: Ich decke den Rückzug.
Palma. Womit. Schockgranaten zu Dritten.
Jonas: Äh äh. Nicht effektiv genug. Flammenwerfer. Das beste gegen Ratten und anderes Ungeziefer. Sammy?
Sam: Jawohl. Bei der Arbeit.
Jonas: In die Tasche.
Sam: Ach nein. Nicht schon wieder.
Jonas: Los.
Jonas: Mit dem ersten Feuerstrahl erwischte ich Einstein, er wurde erst rot und sehr laut, dann schwarz und still, der zweite Strahl für den Rattenkönig, er ging in Flammen auf, quiekte wie am Spieß, verschmorte zu einem unförmigen Klumpen, die Ratten drehten durch, die vorderen wollten zurück, die hinteren drängten nach vorn, sie krabbelten und quietschten, Jonas trat zwei Schritte zurück und schwenkte die Düse, bis der Tank leer war. Ziel erreicht. Der Ausgang der Höhle war dicht, verstopft durch einen Wall verkohlter Rattenleichen, bis die Überlebenden sich durchgebissen hatten, würde es dauernd. Wir waren sicher, fürs erste.
Sam: Kein Grund, faul rumzulümmeln, allerwerteste Sportskameraden, auf auf hopp hopp, hip hip hurra, den letzten beißen die Ratten.
Korf: Mama was ist, kommen die Russen.
Jonas: Keine Angst Herbert, schlaf weiter. Wir bringen dich nach Hause.
Korf: Ja, nach Hause.
Jonas: Du weißt wo's langgeht Sam.
Sam: Jawohl. Eisern und magnetisch. Will sagen mittels meines vollintegrierten Kompasses Nordnordwest. Herr Flottenkapitänsflottillenadmiral.
Jonas: Dann übernimmst du die Führung.
Sam: Aye aye Sir, gerade aus, backbord, backbord ihr Landratten. Links.
Jonas: Links, rechts, gerade aus, Gänge, Höhlen, Schächte, nach 4 Stunden hatten wir es fast geschafft, es wurde Zeit, die Lemuren fingen wieder an zu trommeln und in der Dunkelheit hinter uns leuchteten Rattenaugen.
Sam: Jawohl und nun wieder rechts, und nach 100 m wieder links, ja, so ist schön, voila, da wäre er, der Schacht zur verlassenen Metrostation, der Weg zur Oberwelt, zum Lichte, zur Sonne, zur Freiheit.
Jonas: Wo Ihre Parteisoldaten auf uns warten, Butterfly, hoffe ich jedenfalls.
Palma: Seien Sie unbesorgt, Jonas, die warten, aber nicht auf uns, auf mich, nur auf mich.
Jonas: Was heißt... Au!
Jonas: Butterfly war das Schlußlicht, mit meiner Schrotflinte, um die Ratten auf Abstand zu halten, ein schwerer Fehler, weil sie so in aller Ruhe Jonas den Kolben über den Schädel ziehen konnte, ich trat kurz mal aus, nicht lange, ein paar Sekunden, als ich zurückkam war ich gefesselt und an Korfs Wagen gebunden.
Palma: Tut mir wirklich leid um Sie, Jonas, Sie sind kein übler Typ, aber ich habe strikten Parteiauftrag von allerhöchster Stelle.
Jonas: Saladina Sack.
Palma: Persönlich.
Jonas: Ihr wollt euch die viertel Million sparen.
Palma: Das ist es nicht.
Jonas: Jonas weiß zu viel. Wie sie in den Holokrimiserie sagen.
Palma: Das schon eher. Zurück, ihr seid noch nicht dran.
Korf: Hilfe, die Russen kommen, die Chinesen kommen, die Fundamentalisten kommen.
Palma: Halts Maul, Herbert, Sie sind nur Zugabe, Jonas. Es geht um Korf, er darf die Partei nicht noch mal in solche Schwierigkeiten bringen.
Jonas: Sie haben den Auftrag Korf umzubringen.
Palma: Natürlich. Sobald wir ihn den Entführern abgenommen haben, wir machen reinen Tisch, kein Ehrenvorsitzender mit Alzheimer mehr, der gekidnappt oder im Holo vorgeführt werden kann, hätten wir schon längst tun sollen, aber die Parteiführung war damals zu sentimental.
Sam: Naja, Pietät ist es eine Zier doch besser geht es ohne ihr.
Palma: So ist es. Seionara, Jonas, hat Spaß gemacht mit ihnen durch die Unterwelt zu ziehen.
Jonas: Nehmen Sie uns nicht mit Butterfly.
Palma: Wozu, ich überlasse Sie den Ratten. Ob ich Ihnen den Kopf abschlage oder ob die Sie fressen.
Jonas: Ratte wie Hose.
Palma: Und ich gewinne Zeit. Während sich die Tierchen mit Ihnen und Korf beschäftigen, bringe ich mich in Sicherheit. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Also dann.
Korf: Nach Hause, Herbert will nach Hause.
Jonas: Jonas auch, aber da sah ich schwarz. Für uns beide. Sam hatte auch keine rettende Idee und ging auf Tauchstation. Hinter uns wurde es lauter, rascheln, knistern, quieken, sie kamen, rachedurstig und hungrig. Plötzlich zuckte Jonas zusammen. Eine Berührung, am Rücken. Eine Ratte, ein Lemur?
Karla: Weder noch, Jonas. Eine alte Bekannte.
Jonas: Karla! Wie ich mich freue, Sie wieder zu sehen.
Karla: Das glaub ich Ihnen. So, Sie sind frei, Jonas. Eine Hand wäscht die andere.
Sam: Alter Toilettenspruch.
Karla: Bis zum nächsten Mal.
Jonas: Danke Karla.
Jonas: Weg war sie, das war ihr Stil, sie ging ihre eigenen Wege, allein. Jonas stand auf, griff sich den Wagen mit Korf, die Ratten waren noch ein Stück entfernt.
Sam: Links. Links müßt ihr steuern.
Jonas: Halt ein Schrei.
Sam: Die Woge trieb das Boot zu lande und sicher vor die...
Jonas: Schön, daß du dich mal wieder hören läßt, Sammy, jetzt wo alles vorbei ist.
Sam: Vorbei, was heißt vorbei. Los, du Mutter aller Tränentiere, links.
Jonas: Links, hast du nicht vorhin gesagt rechts.
Sam: Ja, vorhin, jetzt links, Abkürzung zum Metroschacht. Gar nichts ist vorbei, du geistiger Trockenschwimmer, wir haben noch ein gar gewaltig Suppenhuhn zu rupfen, mit Genossin Palma Kunkel, ihren zahlreichen Fans auch bekannt als Madam Butterfly. So und jetzt rechts durchs Loch. Vorsichtig, Kopf einziehen, das edle Teil in Gefahr wäre...
Jonas: Wie Sammy es gemacht hat, weiß ich nicht, aber als Jonas um die letzte Ecke guckte, stelle er fest, daß er Butterfly den Weg ins Freie abgeschnitten hatte, sie bewegte sich auf uns zu, langsam, rückwärts. Meine Schrotflinte im Anschlag. Die Ratten hielten sich weit zurück, gut so, ich ließ den Wagen stehen, Korf schlief gerade mal wieder. Auch gut. Ich nahm Sam aus der Tasche und setzte ihn auf den Boden.
Sam: Was liegt an Chef?
Jonas: Kleines Ablenkungsmanöver, Sam. Du rollst zurück, ganz leise, bist du Madam erreicht hast, dann fährst du ihr über die Zehen und machst.
Sam: Piep.
Jonas: Genau so Sam. Sie hält dich für eine Ratte, kriegt einen Schreck...
Sam: Und den Rest erledigen eure Gewalttätigkeit auf gewohnt handgreifliche Manier. Haha. Ist recht. Verlassen Sie Ihnen voll und ganz auf mir, wie der Professor für Sprachwissenschaft sagte. Piep. Piep. Piep...
Palma: Ih eine Ratte.
Sam: Mit so nem langen Schwanz.
Jonas: Es klappte. Einen Moment paßte Butterfly nicht auf, Jonas stand hinter ihr und legte ihr die Hände um den Hals. Sie war zu überrascht um sich zu wehren, und als sie's dann doch versuchte, ging ihr die Luft aus, ich nahm ihr die Schwerter weg und warf sie weit zurück in den Gang, dann ließ ich sie fallen, ging zu Korf und wartete, mit schußbereiter Schrotflinte, bis sie zu sich kam.
Palma: Was was ist.
Jonas: Hier bin ich Butterfly, stehen Sie auf, schneller.
Palma: Hören Sie Jonas...
Jonas: Und jetzt laufen Sie, andere Richtung, zurück, so ist es gut, da hinten liegen ihr Schwerter, wenn Sie sich beeilen, sind Sie vor den Ratten da. Sie wollten doch kämpfen und heroisch untergehen. Schneller.
Palma: Hei.
Jonas: Viel Glück mein kleiner Samurai.
Jonas: Ich ging nicht an der Metrostation raus und natürlich auch nicht durch den Keller im Heim, Jonas kennt noch mehr Ausgänge aus der Unterwelt. Es war nicht leicht, Korf nach oben zu bugsieren und ihn durchs nächtliche Reservat ins stille Westend zu schaffen, zu dem exklusiven Pflegeheim, das Sammy ausgekuckt hatte, da lieferte ich ihn ab, meinen entfernten Großonkel, falscher Name, falsche Identität, falsche Daten in allen relevanten Systemen, darum kümmerte sich Sam, das kann er, das ist seine Spezialität. Das Pflegegeld besorgte er auch.
Sam: 6000 Euros pro Monat, Herr Oberfinanzdirektor, für 10 Jahre im Voraus.
Jonas: Moment Sammy. 6000 mal 12, das macht äh...
Sam: Schone deine kleinen grauen Zellen, Monami, denn du hast derer nicht viele. Doppelpunkt: 720.000.
Jonas: 720.000 Euros.
Sam: Ja, überwiesen und quittiert, alles in Butter.
Jonas: Wo hast du denn so viel Geld her.
Sam: Ja, vom Konto der WORF. Poetische Gerechtigkeit nennt solches der Gebildete.
Jonas: Kennst du den Code.
Sam: Ach Gott. Sowas nimmt man mit, für alle Fälle, wenn man beispielsweise Gelegenheit hat im einem gewissen E-Lieferwagen das Datensystem einer gewissen Partei gewissermaßen von hinten aufzureufeln. Comri Missio.
Jonas: Und wenn die rauskriegen wo ihr Geld geblieben ist.
Sam: Nein nein, nein, keine Panik auf der Andrea Doria. Sammy hat alle Spuren bestens verlappt, er meint, verwischt.
Jonas: Wenn das so ist, Sammy, dann hol mir doch auch gleich mein Honorar vom Parteikonto. Ich glaub nicht, daß die mir das freiwillig überweisen.
Sam: Ja das mach mer alter, sollst auch net leben wie ein Hund.
Jonas: Aber diesmal mußte Sammy passen, ausnahmsweise. Was war passiert. Die Partei hatte sehr schnell gemerkt, daß ein Unbefugter Unbekannter einen Haufen Geld von ihrem Konto abgezockt hatte und sofort den Code geändert. So ging's also nicht, aber vielleicht anders. Jonas ließ sich mit Saladina Sack verbinden und verlangte sein Geld.
Sack: Gestatten Sie daß ich lächle, Herr Jonas. Wo ist Korf?
Jonas: Wo Sie ihn nie finden, Frau Sack, ich hab ihn versteckt, gut versteckt.
Sack: So. Was ist mit Palma Kunkel?
Jonas: Unten geblieben.
Sack: Ah. Ein Vorschlag Herr Jonas, liefern Sie uns Korf, dann kriegen Sie ihr Honorar.
Jonas: Hm. Ein Gegenvorschlag, Frau Sack. Wenn Sie nicht zahlen, liefere ich Korf an die nächste große Holostation.
Sack: Das werden Sie nicht tun.
Jonas: Wollen Sie's darauf ankommen lassen.
Sack: Sie kriegen Ihr Geld, Herr Jonas, aber keine viertel Million, das ist nicht drin, 10.000 Euros wie ursprünglich vereinbart. Guten Tag.
Jonas: Immerhin. Wie heißt er jetzt unser Freund Korf?
Sam: Rabe, Ralf Rabe.
Jonas: Merkwürdiger Name. Morgenstern.
Sam: Korrekt, euer Ehren. Der Rabe Ralf ruft schaurig rah, das End ist da, das End ist da. Und nun kommt Sammy mit Tari tari taralalla.
Das war Unterwelt. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie Kornelia Boje, Susanne Schwalm, Hans Jürgen Silbermann, Hans Stetter und andere (Petra Bischof, Erwin Weigel, Werner Klein, Ursula Rehm). Ton und Technik: Daniela Röder und Günter Heß. Assistenz: Holger Buck. Regie: Werner Klein. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1995. Redaktion: Erwin Weigel.
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