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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Wunderland
Jonas: Ein Klient kommt ins Büro. Ein ordentlicher Fall bei einem ordentlichen Privatdetektiv fängt so an. So muß es sein. So steht es in den Büchern. Nicht beim letzten Detektiv. Meine Fälle fangen meist woanders an. Im Casablanca zum Beispiel. Dieser Fall fing ordentlich an. In meinem Büro. Nur eins war nicht in Ordnung. Der Klient hätte eine Klientin sein müssen. Wunderschön. Geheimnisvoll. Und möglichst blond.
Milius: Nett haben Sie es hier, Herr Jonas, so, so übersichtlich.
Jonas: Schauen Sie, Damen und Herren, staunen Sie, vor Ihnen erstreckt sich in seiner ganzen unfaßbaren Weite von sage und schreibe 22 Quadratmeter das Büroapartment von Jonas, dem letzten Detektiv. So lebt Jonas, Damen und Herren, so arbeitet Jonas, sind Sie hier, um mein Büro zu besichtigen oder haben Sie was auf dem Herzen?
Milius: Sagen wir, ich habe ein Anliegen, Herr Jonas, oder genauer, ich habe einen Auftrag für Sie.
Jonas: Ein ordentlicher Klient in ordentlicher Aufmachung, die Hände ordentlich im Schoß gefaltet, die schwarzen Stiefeletten ordentlich nebeneinander. Jedes einzelne der fünf Resthaare ordentlich über den Schädel gelegt. Bloß die Krawatte fiel aus dem ordentlichen Rahmen. Ein holographisches Design von greller Buntheit. Chaotisch.
Sam: Wahnsinnig. Unsinnig. Tierisch. Obszön. Häßlich. Echt geil Total toll. Jawoll.
Milius: Man gönnt sich ja sonst nichts.
Sam: Wo lassen Sie stylen, Genosse?
Milius: Ich bin nicht hier, um über Krawatten zu diskutieren, nicht mit Ihnen, Herr Jonas, und mit Ihrem Computer schon gar nicht.
Sam: Ahahah.
Jonas: Es gibt verschiedene Arten von Klienten: Die einen sagen: Sie haben einen merkwürdigen Computer. Die anderen sagen: Ihr Ton gefällt mir nicht. Manche sagen beides. Dieser Typ sagte weder noch. Eine Rarität. Fast so ausgefallen wie ein überverbaler überdrehter Computer. Ein Computer namens Sam.
Sam: Soll ich das spielen, Ricci, soll ich das noch mal spielen?
Jonas: Untersteh dich, Sammy.
Sam: Spielverderber. Trübe Tasse.
Milius: Zur Sache, Herr Jonas, mein Name ist Milius, Leo Milius.
Jonas: Und?
Sam: Ja und?
Milius: Ich arbeite im Wunderland.
Jonas: Gut für Sie.
Sam: Ja.
Milius: Als Sicherheitschef, und darum bin ich hier, Herr Jonas, wir haben nämlich ein Problem, ein Sicherheitsproblem.
Jonas: Und wie heißt ihr Problem, Herr Milius?
Milius: Sabotage, Herr Jonas, Sabotage im Wunderland. Wissen Sie, was das bedeutet, geschäftlich, meine ich?
Jonas: Ich konnte es mir denken. Wunderland ist ein großer Vergnügungspark. Nicht weit von Babylon. In der Wildnis. Berühmt für seine elektronisch-holografischen Simulationsprogramme. Eine Art Super-Kino zum Mitmachen. Kino gab’s, als ich jung war. Heute ist es überholt, wie 2D-TV, wie Bücher. Wunderland ist nicht überholt, Wunderland ist sehr beliebt, hab ich mir sagen lassen. Simulation ist nicht mein Bier. Sabotage schon eher.
Milius: Bisher weiß nur die Führungsspitze im Wunderland Bescheid, Herr Jonas, wir haben den Deckel draufgehalten, aber lange wird das nicht mehr möglich sein, immerhin hat der Ärger schon vor zwei Wochen angefangen.
Jonas: Einzelheiten, Herr Milius, was, wann, wie...
Sam: Wohin, woher, wozu, wofern, woholofern.
Jonas: Sei still, Sam. Schießen Sie los.
Milius: Also der erste Vorfall, der war am 21. Februar.
Sam: In diesem unserem Jahr des Herrn 2013. Immer präzise, gelle Mister.
Jonas: Was ist da passiert?
Milius: Das Wetter in SA 9.
Jonas: Moment. Wer oder was ist SA 9?
Milius: Simulationsareal 9. Exotische Abenteuer. Es lief gerade das Programm Hurra die Legion. Uralt, aber ständig ausgebucht, Herr Jonas. Die Kunden marschierten durch die Sahara als Fremdenlegionäre anno 1900. Die Sonne brannte, ihr Ziel, Fort Zinderneuf war noch viele Meilen entfernt. Ja wollen Sie sich denn keine Notizen machen, Herr Jonas?
Jonas: Nicht nötig, mein Computer hört zu und merkt sich alles. Nicht wahr, Sammy?
Sam: Schnarch...
Jonas: Sam?
Sam: Häh? Is was Chef?
Jonas: Du hast doch nicht etwa geschlafen?
Sam: Niemals! Stets auf den Pisten und den Posten, Monsieur Capitäne.
Jonas: Das will ich hoffen. Weiter, Herr Milius, die Leute latschten durch die Wüste.
Milius: Und da, Herr Jonas, fing es plötzlich an zu regnen. Ein richtiger Wolkenbruch, Herr Jonas, es regnete und regnete und hörte nicht auf.
Sam: Wenn der Regen, der Regen...
Milius: Das Wettersystem war verstellt und blockiert. Wir mußten die Legion abblasen, die Kunden entschädigen, und die Sahara mit einem speziellen Fönprogramm trocknen.
Sam: Hehehe.
Milius: Ein paar Tage später Vorfall Nummer zwei. In SA 4, die Welt, aus der wir kommen: Römer, Ritter, Recken, Programm Kampf mit dem Drachen. Der Robodrach, ein 10meter hohes Monstrum, fiel schwer aus der Rolle. Statt Feuer zu speien und markerschütternd zu brüllen, fehlte er um Gnade, er heulte, faltete die Tatzen, sagte was von einer todkranken Frau und 12 unmündigen Kinder. Sehr frustrierend für die tapferen Drachentöter in den Plastikrüstungen. Und erst gestern, Herr Jonas, ist eine Stripperin im Kinderprogramm aufgetaucht. Freddy Krüger, Schrecken der Elmstreet, der Renner bei unseren kleinen Besuchern, Sie können sich nicht vorstellen, Herr Jonas, was die Eltern gesagt haben, vor allem die Neopuritaner. Schmutziger Sex in einem gesunden harmlosen Horrorprogramm.
Jonas: Empörend, Herr Milius.
Sam: Ja, ein böser Streich, ein wahres Bubenstück.
Milius: Wir tun, was wir können, Herr Jonas, aber wir kommen nicht weiter. Er ist nicht zu fassen, der Verbrecher, der Saboteur.
Sam: Witzbold, Scherzkeks, Schabernackedei.
Milius: Er kennt sich im Wunderland offenbar bestens aus, weiß im voraus, was wir planen, wo wir unsere Fahnder postieren, ja, und darum bin ich auf die Idee gekommen, einen Außenseiter einzusetzen, einen unorthodoxen Mann, der neue Wege geht.
Jonas: Jonas heißt er, 120 Euros pro Tag und Spesen.
Milius: Sie übernehmen den Auftrag?
Jonas: Sieht ganz so aus. Sabotage im Wunderland könnte interessant sein. Wer meinen Sie, steckt dahinter, Herr Milius, die Konkurrenz?
Milius: Nicht ausgeschlossen, Herr Jonas, sehen Sie, das muß aber unter uns bleiben.
Sam: Natürlich.
Milius: Ein japanisches Unternehmen ist an Wunderland interessiert und hat erst kürzlich ernsthafte Fühler ausgestreckt.
Jonas: Und? Wollen die Denverschwerstern verkaufen?
Milius: Teils teils, Herr Jonas. Glen Denver will. Gwen will nicht. Unter uns, Glen wird sich durchsetzen. Glen setzt sich immer durch.
Sam: Sammy auch.
Jonas: Und bevor sie in die Verhandlungen einsteigen, könnten die Japaner versuchen, den Wert von Wunderland zu drücken, aha, durchaus möglich.
Milius: Denken Sie darüber nach, Herr Jonas, und seien Sie morgen früh in meinem Büro.
Jonas: Wo?
Milius: Ja Wunderland natürlich. Ich gebe am Haupteingang Bescheid. Moment mal, Sie können natürlich nicht als Jonas der letzte Detektiv im Wunderland auftreten, Sie sind, sagen wir...
Jonas: Researcher, für eine geplante Holosendung.
Milius: Einverstanden, und Sie heißen...
Sam: Er heißt Jon, Jan, Janik, Josua, Jason, Jonathan, Junius, Julius, Augustus, piep letztes bitte streichen.
Jonas: Janus, nur Janus.
Sam: Ja, der römische Gott des Eingangs und des Ausgangs, des Anfangs und des Endes, mysteriös, zwiegesichtig, janusköpfig.
Milius: Morgen früh um 10 bei mir, Herr Janus, nehmen Sie den Shuttle vom Heliport.
Sam: Und Ihren Fuß von meinem Kopf.
Jonas: Mitten im Wunderland steht ein hoher künstlicher Berg. Hier sind die Verwaltungsräume untergebracht, die Werkstätten, die Steuerzentren. Milius Büro lag hoch oben, nicht weit vom Büro der Direktorin, direkt unter dem Paradies, dem Gipfelrestaurant mit der berühmten Aussicht auf ganz Wunderland. Und darüber lag nur noch das Doppelpenthouse der Denverschwestern. Milius war nicht allein, als ich in sein Büro kam, 10 nach 10. Ein Detektiv, der auf sich hält, darf nicht zu pünktlich sein. Eine Frau stand am Fenster, unscheinbar angezogen, mein Alter, ein Gesicht, das Geschichten zu erzählen hatte. Sekretärin? So sah sie nicht aus.
Milius: Da sind Sie ja endlich, Herr äh...
Jonas: Janus.
Milius: Richtig, Herr Janus. Unsere Fedora hier wird sich um Sie kümmern. Fedora ist bei uns so eine Art Mädchen für alles. Sie wird Sie herumführen, Ihnen zeigen, was Sie sehen wollen, Ihre Fragen beantworten. Mich müssen Sie entschuldigen. Machen Sie sich am besten selbst bekannt.
Jonas: Gute Idee. Im Paradies, bei einem Drink?
Fedora: Wie Sie wollen, Herr Janus, ich stehe zu Ihrer Verfügung.
Jonas: Fedora war mir sympathisch. Sie hieß nur Fedora. Das sprach für sie. Und sie hatte was: Haltung. Stil. Intelligenz. Zu viel für ein schlichtes Faktotum.
Fedora: Das war ich auch nicht immer, Herr Janus.
Jonas: Nur Janus, den Herrn lassen Sie weg, ich bin keiner. Was haben Sie früher gemacht, Fedora?
Fedora: Ich war Autorin, Chefautorin im Wunderland. Die meisten Simulationsprogramme hab ich entworfen und ausgearbeitet, jahrelang, bis man keine Autoren mehr brauchte, weil sie überholt waren, weil jetzt Computer ihre Arbeit machen. Nicht besser, aber billiger. Weil sie die alten Programme immer wieder verwenden, meine Programme, Janus, und nur ein paar Variationen einbauen. Mich haben sie damals hier behalten, wegen meiner Verdienste um Wunderland, damit ich nicht nur von der Volkshilfe leben muß. Ich mach, was anfällt. Was man mir sagt.
Jonas: Bärenführer für Holoresearcher, zum Beispiel.
Fedora: Das ist nicht das Schlimmste.
Jonas: Danke. Was trinkt man hier?
Fedora: Wunderland Special natürlich. Waren Sie denn noch nie im Paradies, Janus?
Jonas: Noch nie.
Fedora: Aber doch im Wunderland.
Jonas: Auch nicht.
Fedora: Ach, kommen Sie mit, Janus.
Jonas: Wohin?
Fedora: Zum großen Panaromafenster, ich werde Ihnen Wunderland vorstellen.
Jonas: Ein Park. Schön. Wie gemalt. Hügel, Wiesen, Teiche, Bäume, Büsche, Blumen. Synthetisch. Natürlich. Aber das merkte man nur an der ordentlichen Ausrichtung, und an den zu stark leuchtenden Farben. Dazwischen ein paar Gebäude. Blockhäuser, Burgruinen, afrikanische Strohhütten, ein schräger Miniwolkenkratzer, und das Colloseum, in Kopie.
Fedora: Das ist die Arena, für Roboturniere und Corridas, Autocorridas, sehr beliebt, fast immer ausverkauft. Außerdem haben wir hier Stimgames, Einarmbanditen, 4D-Roulette.
Jonas: Und die Simulationen, die berühmten Wunderlandsimulationen, wo sind die?
Fedora: Unter dem Park, wo sonst, oben liegen nur die Eingänge. Die Palmengruppe da drüben, da geht’s runter in SA 9.
Jonas: Exotische Abenteuer.
Fedora: Richtig. Und ein Stück weiter rechts das Segelschiff auf dem Teich, das ist der Zugang zu SA 5, Blue Deep, Piraten, Taucher, Riesenkraken.
Jonas: Aha, und daneben der schiefe Turm von Babylon.
Fedora: Das ist ein amerikanisches Hochhaus aus dem 20. Jahrhundert, verkleinert, da kommen Sie zu SA 7, Metropolis, unser Citykrimiareal, Gangster, Detektive und so weiter.
Jonas: Ach, Detektive haben Sie auch?
Fedora: Ja, Sherlock Holmes, Professor van Dusen, Kommissar Maigret, und die schwarze Serie, ein nostalgisches Private Eye Programm, streng stilisiert mit allen klassischen Zutaten, vielleicht das beste Programm, das ich je geschrieben habe, leider läuft es nur noch sehr selten.
Jonas: Würde ich mir gern mal ansehen, dachte ich, später vielleicht. Erst die Arbeit. Ich ließ mir von Fedora die Simulationen erklären. Wie die Besucher vorbereitet und ausgerüstet wurden, wie alles in einander griff, Holoprojektionen, elektronisch gesteuerte Modelle, Besucher im Rollenspiel, wie die Simulationsprogramme abschnurrten.
Fedora: Wie ein Uhrwerk. Jedenfalls soll es so sein. Aber wenn mal was schiefgeht...
Jonas: Hier kann doch nichts schiefgehen. Wunderland ist Super-High-Tech.
Fedora: Eben drum, Janus. Wenn Sie in einem Programm nur eine Kleinigkeit, eine winzige Kleinigkeit verstellen, dann ist gleich der Teufel los, dann drehen sie durch, diese tollen Computer, dann spielen sie verrückt, dann brechen sie zusammen. Wissen Sie, was vor ein paar Tagen passiert ist?
Jonas: Sie erzählte mir das, was ich von Milius gehört hatte, die kuriosen Katastrophen in SA 9, 5 und 13, von denen angeblich nur die Führungsspitze im Wunderland etwas wußte. Sie erzählte sehr ausführlich und mit keineswegs klammheimlicher Freude. Das gab mir zu denken. Ich entschuldigte mich. Auf dem Klo holte ich Sam aus der Tasche. Nicht, um ihn reinzuschmeißen. Es war Zeit, Zeit für eine Konferenz unter vier Augen. Nur daß Sam keine Augen hatte. Sehen konnte er trotzdem, und hören und reden und kombinieren.
Sam: Ja, nicht daß ein hochgeistiger Computer in dieser Angelegenheit viel zu kombinieren hätte, der Fall ist klar, mein lieber Watson. Glasklar. Kristallklar. Aschklar. Die gesuchte Saboteuse ist die Dame Fedora.
Jonas: Da bin ich mir nicht ganz sicher, Sammy. OK, sie kennt die Vorfälle, ganz genau sogar, und die hat sie Jonas erzählt, obwohl der Janus ist, Holoresearcher das heißt die Öffentlichkeit.
Sam: Gerade weil, du Flaschenkürbis.
Jonas: Du meinst, sie will die Sachen publik machen und sie amüsiert sich darüber, kann sein. Aber das muß noch lange nicht heißen, daß sie die Dinger selbst gedreht hat. Gibt’s zu, Sammy, du hast was gegen Fedora, weil sie Computer nicht ausstehen kann.
Sam: O Vorurteil, dein Name ist Mensch. Computer sind objektiv. Computer sind emotionslos.
Jonas: Ganz was neues, Sammy.
Sam: Daß besagte Dame unverständlicher weise Computer nicht mag, nimmt Sam zur Kenntnis, ohne sich davon auch nur im geringsten beeindrucken oder gar beeinflussen zu lassen. Mit kühlem Gleichmut, mit überlegenem Lächeln. Soll sie doch die törichte trigepieselige Pute, schwachsinnige Schwalbe, holzköpfiges Huhn.
Jonas: Hör schon auf, Sam. Fakten.
Sam: Fakten, der Herr, bitte sehr. Soeben von einer elektronischen Kurzexkursion durchs Wunderland Zentralsystem zurückgekehrt, beehren wir uns, ihrer geschätzten Aufmerksamkeit folgende Fakten zu unterbr... Korrektur, zu unterbreiten. Erstens. Ach was. Die Angestellten im Wunderland sind, ob an festen oder an variablen Arbeitsplätzen datenmäßig stets erfaßt und kontrolliert. Gemäß Ausweis der gespeicherten Informationen hielt sich keiner von ihnen bei allen drei Sabotageakten in der Nähe der entsprechenden Steuerungsanlagen auf, kann demnach diese auch nicht manipuliert haben. Nun muß aber in Anbetracht der hierorts waltenden strikten Sicherheitsvorkehrungen der Täter zum Personal gehören.
Jonas: Moment, Sammy, das geht nicht.
Sam: Wieso denn nicht.
Jonas: Wenn alle Angestellten ständig kontrolliert werden.
Sam: Ach, wer sagt denn alle, du Bildungslücke. Eine im Wunderland beschäftige Person gilt als so gering, so unbedeutend, daß sie der Pflicht des regelmäßigen Uhrenstechens nicht unterworfen ist. Ein Mädchen für alles, von Kollegen wie Vorgesetzten kaum beachtet, ein Aschenbrödel, eine Cinderella.
Jonas: Fedora.
Sam: Ja. Die Computerhasserin. Ebendiese. Faktum Nr. 2: Die drei sabotierten Programme entsprangen sämtlich der Feder Fedoras. Sie kannte sie also in und auswendig, war informiert über die Codierung, und wußte präzis wo und wie der gewünschte Effekt am besten zu bewirken war. Langer Rede kurzer und gewichtiger Sinn, die Täterin heißt Fedora. Quod erat demonstrationsforum et dimonstrandum. Dixi. How, ich habe gesprochen.
Jonas: Ich sagte es ihr auf den Kopf zu. Sie war verblüfft, beeindruckt, und sie gab es zu. Auf der Stelle, ohne Ausflüchte, und ganz und gar nicht schuldbewußt.
Fedora: Stolz bin ich allerdings auch nicht darauf, Janus, es war kindisch, ein dummer Streich, wenn Sie wollen, aber es mußte sein, der Frust hatte sich in mir aufgestaut über viele Jahre. Ich mußte was tun, und unter uns, es hat Spaß gemacht.
Jonas: Ich kann’s Ihnen nachfühlen.
Fedora: Dann behalten Sie’s für sich, Janus. Wer das bißchen Unfug im Wunderland angestellt hat, wird Ihre Auftraggeber ja auch kaum interessieren.
Jonas: Im Gegenteil, Fedora.
Fedora: Wieso? Was soll Holo-TV...
Jonas: Ich habe nichts zutun mit Holo-TV, Fedora. Ich heiße Jonas, nur Jonas. Ich bin Privatdetektiv, der letzte, und mein Auftraggeber ist sehr an Ihnen interessiert.
Fedora: Milius?
Jonas: Milius. Kommen Sie, Fedora.
Jonas: Ganz wohl war mir nicht, aber wenn Jonas einen Auftrag angenommen hat, dann zieht er ihn durch, auch wenn er ihm nicht gefällt. Fall Wunderland war kein Ruhmesblatt für Jonas. Sehr kurz war er auch, dachte ich. Aber das war ein Irrtum. Der Fall fing erst an. Milius war begeistert, als ich mit Fedora bei ihm aufkreuzte. Er präsentierte uns gleich seiner Chefin, Direktorin Palafox. Die war offenbar nicht ganz so begeistert.
Palafox: Einen Privatdetektiv haben Sie eingeschaltet, Milius, dazu waren Sie nicht autorisiert.
Milius: Ich bin Ihr Sicherheitschef, Frau Palafox, wie ich meine Aufgaben durchführe
Palafox: Sagt Ihnen die Direktion, das heißt ich. Darüber unterhalten wir uns noch, Milius.
Milius: Von mir aus. Das wichtigste ist doch, daß unser Problem jetzt bereinigt ist. Der Saboteur ist gefaßt...
Palafox: Augenblick. Palafox. Ja, die ist hier. Was? Wann? Wo? Ausschalten. Absperren. Sofort. Nein, warten Sie auf meine Anweisungen. Glen Denver ist tot, vermutlich ermordet.
Milius: Im Wunderland?
Palafox: SA 8.
Milius: Gaslighttheater, bei laufendem Programm?
Palafox: In der 11 Uhr Matinee.
Milius: Jack the Rippershow, ich versteh.
Palafox: Sie nehmen die Sache selbst in die Hand, Milius, allererste Priorität.
Milius: Selbstverständlich, Frau Palafox. Und Fedora?
Palafox: Jetzt nicht, Milius, Fedora muß warten. Nehmen Sie sie mit, halten Sie sie fest, in der Zelle neben Ihrem Büro. Ich werd mich später um sie kümmern. Und Sie...
Sam: He, sie meint dich.
Palafox: Ja, Sie meine ich, den Privatdetektiv.
Jonas: Mein Name ist Jonas, nur Jonas.
Palafox: Mir völlig egal, wie Sie heißen. Sie können gehen. Ihr Honorar kriegen Sie überwiesen. Nehmen Sie den Personallift ganz nach unten, ein Minimobil bringt Sie dann durch einen der Servicetunnel zum Heliport.
Jonas: Wunderland hatte es ja mächtig eilig, Jonas loszuwerden. Aber Jonas war noch nicht fertig mit Wunderland. Es waren noch zu viele Fragen offen. Was würde aus Fedora werden? Wer hatte Glen Denver ermordet. Glen Denver, die an die Japaner verkaufen wollte, gegen den Willen ihrer Schwester Glen. Sollte ich mir das Simulationsprogramm Schwarze Serie zu Gemüte führen bei nächster Gelegenheit? Darüber dachte ich nach, als ich Ausschau nach einem Minimobil hielt, im Servicetunnel, tief unter Wunderland. Plötzlich ging das Licht aus, ich blieb stehen, versuchte mich zu orientieren. Da ging es wieder an, noch plötzlicher, in meinem Kopf. Eine Explosion. Feuerwerk. Sonne, Mond und Sterne. Vor allem Sterne. Dann nichts mehr. Zuerst Schmerzen, heftige Kopfschmerzen, dann der Geruch, vertraut, nostalgisch, aus der Jugendzeit, Samstag abend, Vaters Wagen, Benzin. Ich träumte von Benzinautos, ich mußte träumen, Benzinautos gab’s in Babylon schon lange nicht mehr. Aber ich träumte nicht. Ich war wach. Ich saß in einem Benzinauto. Am Fahrersitz festgeschnallt. Das Auto stand in einem dunklen Raum, voller Schatten. Plötzlich Action. Ein Tor klappte auf. Licht, hell, unerträglich, das erwartungsvolle Röhren einer großen Menge. Eine Gestalt sprang aufs Trittbrett, griff durchs Fenster, drückte mein rechtes Knie nach unten aufs Gaspedal, der Wagen machte einen gewaltigen Satz durchs Tor, in das Geschrei, ins Licht.
Sam: Wach auf, Tränendrüse. Nimm das Steuer.
Jonas: Sammy, wenn alle mich verlassen...
Sam: Sam bleibt dir treu. Bis daß der Tod uns scheidet, und das wird er sehr bald tun, du Saftsack. Reiß dich zusammen. Kuppeln, Schalten, Lenken.
Jonas: Wo sind wir?
Sam: Wunderland Arena.
Jonas: Autocorrida?
Sam: Drinnen Senior Torero, und siehe, dort nahen die Toreros. Ole.
Jonas: Zwei riesige Trucks rollten ein, Ballonreifen, Chrom und schwarzer Lack, an den massiven Stoßstangen meterlange Hörner, auf die wollten sie Jonas nehmen, das heißt seinen Wagen, einen Jeep, anno Golfkrieg, klein, wendig, mit einem Fahrer, der tat, was er konnte, und Jonas konnte fahren. Aber das reichte nicht. Zwei Trucks waren auf Dauer zu viel.
Sam: O O Ole. Was tut uns kund des Volkes Mund?
Jonas: Sammy, ich fahr um mein Leben, und du kommst mir mit Sprichworten.
Sam: Eben drum, Blödmann. Steht’s schlecht im Kriege, mach eine Fliege oder auch Fliege.
Jonas: Wie stellst du dir das vor? Soll ich aussteigen und mich eingraben oder über die 10meter Barriere springen?
Sam: Wie gekommen, so entronnen.
Jonas: Schlechter Reim, Sammy.
Sam: Doch guter Rat.
Jonas: Du meinst, zurück durchs Tor.
Sam: Jawohl, und weiter durch den Tunnel.
Jonas: Hoffentlich gibt’s einen.
Sam: Muß. Auf welchem Wege, euer Kurzschlüssigkeit, kämen die Fahrzeuge sonst hier her?
Jonas: Voll überzeugt war ich nicht, aber ich hatte keine Wahl. Ich schlug einen Haken, ansatzlos, und war draußen. Im Bereitstellungsraum. Scheinwerfer an. Sam hatte recht. Sam hat meistens recht. Es gab einen Tunnel. Hoch und dunkel und kurz. Und am Ende...
Sam: Oh, ein Tor.
Jonas: Und das ist zu. Was nun?
Sam: Auch nicht eben ein meisterhafter Reim, du Westentaschen. Augen zu und durch.
Jonas: Bist du sicher, Sammy?
Sam: Sicher bin ich sicher, das ist nur Plastik. Da bretterst du durch, eiskalt. Ole.
Jonas: Ole. Es krachte und knirschte, und der Jeep war durch, unter freiem Himmel, in der Wildnis, ich fuhr weiter, über Stock und Stein, so schnell es ging, bloß weg von Wunderland, da hatten sie was gegen Jonas. Aber auch hier draußen ließen sie ihn nicht in Ruhe. Ich hörte was. Sah mich um. Die beiden Trucks waren hinter mir her. Und sie kamen immer näher.
Sam: Gib, gib Gas, lahme Ente.
Jonas: Tu ich ja, Sammy, mein rechter Fuß schrammt schon fast am Boden. Die Karre ist nun mal nicht schneller. Sie schwärmen aus, die wollen uns in die Zange nehmen, Sammy. Von beiden Seiten und dann...
Sam: Machen sie dich platt.
Jonas: Dich aber auch, Sam.
Sam: Frage: Wollen wir uns das bieten lassen, Freund meiner digitalen Seele.
Jonas: Möglichst nicht, Sammy, jetzt sind sie auf gleicher Höhe, rechts und links, die ziehen nach innen.
Sam: Gas, oh du mein rasender Jonas.
Jonas: Im Gegenteil, Bremse.
Jonas: Die Trucks krachten seitlich aufeinander, in voller Fahrt, direkt vor meinem Jeep, ihre beiden Tanks explodieren in einem einzigen gewaltigen Feuerball. Ende der Jagd. Ich holte tief Luft, startete den Jeep, fuhr los, Richtung Babylon. Ich ging nicht zurück ins Büro, vielleicht warteten sie da schon auf mich. Trucker, geheimnisvolle Unbekannte, die was von Jonas wollten. Ich ging ins Casablanca zwecks Energiezufuhr. Dringend nötig nach den Aufregungen der letzten Stunden. Da saß ich also vor Jacobs Whisky und vor seinem in ganz Babylon gefürchteten Sojasteak, und dachte nach. Es war still. Nur der Holoset brabbelte vor sich hin.
Holo: In der vergangenen Nacht ist es wieder einer Gruppe von Drittweltlern gelungen, die Sperranlagen zu durchbrechen und in den Grenzbezirk Süd der VSE einzudringen. Dort wurden sie von starken Schutzverbänden gestellt und eliminiert. Babylon. Mord im Wunderland aufgeklärt...
Jonas: Jacob, stell den Holo lauter.
Holo: Glen Denver, Besitzerin von Wunderland, wurde heute vormittag kurz nach 11 Uhr im Wunderland ermordet. Wie Wunderlanddirektorin Palafox erklärte, ist die Täterin bereits gefaßt. Es handelt sich um eine ehemalige Autorin der Firma, die in den vergangenen Tagen bereits mehrmals versucht hatte, Vorstellungen im Wunderland durch Sabotageakte zu stören. Zur Zeit befindet sie sich im Gewahrsam der Wunderland Sicherheitskräfte. Wie Direktorin Palafox ferner bekannt gab, ist wegen des tragischen Todesfalls das Wunderland bis auf weiteres für das Publikum geschlossen. Vatikan Stadt. Der greise Papst Johannes Paul der zweite hat seine Absicht erklärt...
Jonas: Stell das Ding ab, Jacob.
Holo: Demnächst die Marsstation der UNO zu besuchen.
Jonas: Abstellen, Jacob.
Jacob: Weiß ich doch.
Jonas: Fedora, hast du gehört, Sammy, den Mord an Glen Denver wollen sie Fedora anhängen.
Sam: So hat es den Anschein, Sir.
Jonas: Das stimmt nicht, das stimmt hinten und vorne nicht. Heute vormittag um 11 war Fedora im Restaurant Paradies, zusammen mit Jonas.
Sam: Selbigen Jonas, welchen man später aufs Haupt geschlagen und in die lebensgefährliche Autocorrida verbracht hat, auf daß er dort versterbe.
Jonas: Du meinst, da besteht ein Zusammenhang?
Sam: Ja was denn sonst, du mein zum Himmel schreiender Bildungsnotstand.
Jonas: Damit ich Fedora kein Alibi geben kann.
Sam: Ach, wie könnte Jonas das. Ist er doch in der Wildnis verschollen, zu Tode gehetzt von tödlichen Truckern.
Jonas: Jedenfalls denken die das, wer immer die sind. Moment, Sammy, da gibt’s noch einen, der weiß, wo Fedora zur Mordzeit war.
Sam: Genosse Milius. Milius, der Ordentliche. Milius mit der umwerfenden Krawatte.
Jonas: Genau, los Sammy, zurück ins Wunderland. Wir greifen uns Milius, wir holen Fedora raus und wir stellen fest, was gespielt wird. Wer Glen Denver wirklich umgebracht hat.
Sam: Orido, Herr Forstadjunkt. Auf auf zum fröhlichen jagen.
Jonas: Problem, Sammy, Problem, wie kommen wir rein. Wunderland ist geschlossen.
Sam: Ja, aber nicht zu. Es gibt doch ein gewisses defektes Plastiktor, mit Zugang zum Servicetunnelsystem.
Jonas: Das Tor war noch nicht repariert. Sie hatten einen Wächter davor gestellt. Einen von der Wunderlandsicherheitstruppe in seiner blaurotgestreiften Uniform. Er sah müde aus. Ich schickte ihn ins Bett. Mit dem Griff meiner Smith & Wesson, dann längerer Schleichmarsch durch den Untergrund, keine besonderen Vorkommnisse. Milius Büro war leer. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten war er da. Hinter seinem Schreibtisch auf dem Fußboden. Seine Krawatte war nicht mehr bunt, sie war nur noch rot.
Sam: Auauau. Rot wie Blut. Also vorhin gefiel sie mir besser.
Jonas: Erstochen mit seinem Brieföffner.
Sam: Siehste.
Jonas: Damit ist der zweite Alibizeuge für Fedora ausgeschaltet. Apropos Fedora, wo steckt sie?
Sam: In der Zelle neben diesem Büro. Hat Direktorin Polarfuchs, Korrektur Palafox gesagt. Such, Fido, such.
Jonas: Ein belüftetes Loch hinter dem Waschraum für Randalierer, Taschendiebe, was im Wunderland so anfiel. Diesmal saß Fedora drin. Ich machte auf. Milius hatte die Paßscheibe in der Tasche. Fedora wollte nicht rausgeholt werden. Schon gar nicht von Jonas. Das änderte sich, als ich ihr sagte, was los war.
Fedora: Ich soll Glen Denver ermordet haben?
Jonas: Behauptet Palafox.
Fedora: Die lügt. Ich kann sie gar nicht ermordet haben. Wissen Sie, wie sie umgekommen ist, Jonas?
Jonas: Ich weiß nur wo. SA 8 Gaslightheater, Jack the ripper show.
Fedora: Ja, da ging sie regelmäßig hin, jeden Sonntag zur 11 Uhr Matinee, um sich ermorden zu lassen.
Jonas: Ein ausgefallenes Sonntagsvergnügen.
Fedora: Das war ihre große Leidenschaft. Sie spielte dann die Prostituierte. London 1888. Jack lockt sie in einen dunkeln Hinterhof, schneidet ihr die Kehle durch, schlitzt sie auf, mit einer Messeratrappe.
Jonas: Jeden Sonntag.
Fedora: Nur heute nicht, da hatte Jack ein richtiges Messer mit scharfer Klinge. Jack ist ein Modell, lebensecht, elektronisch programmiert, er zog sein Programm ab wie immer.
Jonas: Und Glen Denver wurde ermordet, diesmal wirklich und endgültig.
Fedora: Ich frage mich, was sie in ihren letzten Sekunden gedacht hat, ob sie Angst hatte, oder ob es das war, was sie im Grunde immer gesucht hat.
Jonas: Ich frage mich, wer die Messer vertauscht hat, und wann.
Fedora: Wann? Das kann ich Ihnen genau sagen, Jonas, zwischen halb 11 und 11. Die Jack-the-Ripper-Show dauert anderthalb Stunden und läuft mehrmals am Tag. In der 9 Uhr Vorstellung, als Glen noch nicht dabei war, war alles in Ordnung.
Jonas: Zwischen halb und 11 waren wir zusammen, Fedora, im Paradies.
Sam: Jaja, machen wir’s kurz. Schlunz, funz, alles klar, Fedora ist unschuldig, obwohl sie keine Computer mag. Jetzt weg, raus hier, Wunderland ist gefährlich, nicht geheuer, wer zu viel weiß, wird abgemurkst, wiedersehen, alles Gute, tschüß, servus, arividertschi. Feierabend, aus die Maus.
Jonas: Also Rückzug durch den Tunnel Richtung Plastiktor, und dabei stellten wir fest, daß wir wirklich viel wußten, wir wußten alles, auch wer Glen Denver umgebracht hat.
Fedora: Palafox. Es kann nur Palafox gewesen sein.
Jonas: Wegen der Japaner.
Fedora: Natürlich, die hätten ihre eigenen Spitzenmanager mitgebracht. Das machen die immer so.
Jonas: Und Direktorin Palafox hätte ihren lukrativen Job verloren.
Fedora: Deshalb hat sie auch Milius ermordet.
Jonas: Und Jonas in die Corrida eingeschmuggelt.
Fedora: Niemand sollte mir ein Alibi geben können.
Jonas: Wissen Sie, Fedora, eigentlich haben Sie Palafox einen großen Gefallen getan mit Ihrer Sabotageserie, damit haben Sie sie auf die Idee gebracht, und Sie haben ihr eine maßgeschneiderte Mörderin geliefert, frei Haus, auf dem Tablett. Sie brauchte es nur so aussehen zu lassen, als gehöre der Mord an Glen Denver dazu als viertes und letztes Glied der Kette.
Fedora: Woher sollte ich denn ahnen...
Jonas: Pst! Sehen Sie, da vorne...
Fedora: Blaurote Uniformen.
Jonas: Sicherheitstypen, jede Menge und bewaffnet. Vor dem Ausgang. Hier kamen wir nicht durch. Wir gingen zurück und überlegten.
Fedora: Es gibt ja noch eine Denverschwester. Gwen. Die sollten Sie kontakten.
Jonas: Wird sie uns glauben? Ist sie überhaupt zu erreichen?
Sam: Sie ist, Magni- und Minifizenz.
Jonas: Woher willst du das wissen, Sam?
Sam: Haben wir etwa die kleinen Schweinchen gehütet, Madam?
Jonas: Sei nicht albern, Sam. Das Wunderland Zentralsystem...
Sam: Hat keine Geheimnisse vor Sam, Sam dem Biegsamen, dem Geschmeidigen, dem Gewieften, dem Gewitzten und Verschmitzen, Sam Dampf in allen Schaltkreisen.
Fedora: Respekt, Herr von und zu Samuel.
Sam: Ein Blick ins System, und Sammy weiß, daß die Dame Glen Fidchich, Korrektur Glen Denver sich in ihrem Penthouse aufhält, zum Bleistift, auf dem Gipfel hoch über Wunderland, und daß ein paar Stockwerke tiefer im Steuerzentrum Direktorin Palafox die Fahndung leitet.
Palafox: Achtung, hier spricht Direktorin Palafox, an alle Sicherheitskräfte im Wunderland. Großfahndung. Unterstützt von einem auswärtigen Kriminellen ist Fedora, die Mörderin unserer verehrten Glen Denver aus dem Gewahrsam ausgebrochen.
Sam: Siehste?
Palafox: Dabei hat sie euren Chef, meinen Freund, Leo Milius ermordet. Fedora und ihr Begleiter sind bewaffnet und äußerst gefährlich. Alle Sicherheitskräfte werden ermächtigt, bei ihrem Anblick sofort und ohne Warnung scharf zu schießen.
Sam: Tschüß.
Jonas: Wir versteckten uns in einem Seitentunnel und überlegten weiter. Es sah nicht gut aus für uns.
Fedora: Raus kommen wir nicht, Jonas, und wenn sie anfangen, alles durchzukämmen, können wir uns nicht lange halten.
Sam: Agieren, nicht reagieren.
Jonas: Sagt Klausewitz. Sehr richtig, Sammy. Hör mal zu, du kennst dich doch im Wunderland Zentralcomputer bestens aus.
Sam: Wie ein Fisch im Wasser. Wie Jonas im Babypsilon.
Jonas: Wenn wir da nur wären.
Fedora: Jonas, ich hab eine Idee, warum verlagern wir die Auseinandersetzung mit Palafox und ihren Leuten nicht auf ein für uns günstigeres Terrain.
Jonas: SA 7 Metropolis. Schwarze Serie.
Fedora: Genau. Ich hab das Programm geschrieben, ich kenne jede Einzelheit, und Sie, Jonas...
Jonas: Jonas ist Nostalgiker, Fedora, Marlowe-Fan, Bogie-Fan.
Sam: Sammy-Fan.
Jonas: In einer nostalgischen Detektivsimulation werde ich mich wie zuhause fühlen. Besser. Bringen Sie uns hin, Fedora. Sammy wird das Programm einschalten.
Fedora: Augenblick, Jonas. Palafox ist in der Steuerzentrale. Wenn in SA 7 ein Programm startet, merkt sie das sofort.
Jonas: Das soll sie auch. Sammy wird ihren Befehlstand abblocken, sie neutralisieren, dann kann sie uns nicht abschalten und ihren Leuten keine Anweisungen geben. Wenn sie uns fassen will, muß sie runterkommen, ins Programm einsteigen, mitspielen.
Fedora: Das wird sie, Palafox ist eine Spielerin.
Jonas: Bestens. Und wenn Gwen Denver auch gern mal spielt.
Fedora: Tut sie. Wie ihre Schwester. Was haben Sie vor, Jonas?
Sam: Das wirste schon sehen.
Jonas: Die Stadt hatte viele Namen. Metropolis, Gotham City, Poisonville, oder einfach die Stadt. Über der Stadt lag Nacht. Es lag immer Nacht über der Stadt. Und es regnete. In der Stadt regnete es immer. Nervös weißes Neonlicht spiegelte sich in dunklen Pfützen und schwarzglänzendem Asphalt. Irgendwo wurde geschossen. In der Stadt wurde immer geschossen... Schritte... Leise vorsichtige Schritte. Zwei Gestalten traten aus einem dunklen Torweg auf die schwarz glänzende Straße. Sie blieben stehen. Zwischen einem Hydranten und einer verbeulten grauen Mülltonne.
Fedora: Das ist sie, Jonas, die schwarze Stadt der schwarzen Serie.
Jonas: Gefällt mir. Dunkel. Gefährlich.
Fedora: Die Aura des Bösen.
Jonas: Sie sagen es, Fedora. Vorsicht!
Holo1: Hände hoch!
Fedora: Jonas, keine Angst, die Figur in der Mülltonne ist nur ein Hologramm.
Jonas: Warum sagen Sie das nicht vorher?
Fedora: Das nächste Mal, versprochen.
Sam: Hoffentlich.
Jonas: Ich tauchte hinter dem Hydranten auf und steckte die Smith & Wesson weg, dann schlug ich den Kragen hoch, zog den Hut ins Gesicht, und führte eine kurze Unterhaltung mit meiner Manteltasche.
Sam: Alles geritzt, Boss.
Jonas: Palafox weiß Bescheid, Sam?
Sam: Na klar, Boss.
Jonas: Hast du ihre Befehlsleitung blockiert?
Sam: Aber immer, Boss.
Jonas: Und die Sache mit Glen Denver.
Sam: Ist angeleiert, Boss. Aktion Schwarze Serie läuft, Boss, bestens.
Jonas: OK, Sammy, aber du bist auf dem falschen Dampfer.
Sam: Wieso?
Jonas: Jonas ist nicht der Gangsterboß in der schwarzen Serie.
Sam: Aha.
Jonas: Jonas ist der Detektiv, Private Eye, lonesome Gun, pausenlos unterwegs im Dienst der Gerechtigkeit, unermüdlich tätig, um die Stadt zu säubern, um die Chefin der Unterwelt, die berüchtigte Polly Fox unschädlich zu machen.
Sam: Hoch klingt das Lied vom braven Mann, hoch auf dem gelben Wangen.
Fedora: Und ich bin die Freundin, die Frau an seiner Seite, Veronica Lake, Lauren Bacall, ein bißchen wild, aber loyal, durch und durch.
Sam: Na, ich weiß nicht.
Fedora: Häh?
Jonas: Wir hatten uns passend eingekleidet, in der Gardarobe von SA 7. Fedora trug ein enges Abendkleid aus Silberlame, darunter nur schwarze Seidenstrümpfe, darüber einen platingrauen Chinchillamantel, erstklassiges Imitat. Jonas hatte sich einen hellen Trenchcoat zum Smoking gegriffen und einen Filzhut aufgesetzt, schwarz, mit breiter Krempe.
Fedora: Hey, steht Ihnen, Jonas, steht Ihnen ausgezeichnet.
Sam: Und auch Gnädigste sehen heute abend hinreißend aus, charmo charmant küß die Hand.
Fedora: Danke, Herr Sam, ich mag zwar keine Computer, aber bei Ihnen könnte ich glatt eine Ausnahme machen.
Sam: Och, sag Sam zu mir, ja, sag du.
Jonas: Setzen Sie Sammy bloß keine Rosinen in den Kopf, Fedora. Schwarze Limousine von links, Holo nehm ich an.
Fedora: Nein, Jonas, das sind Sicherheits...
Jonas: Deckung, zurück in den Torweg!
Sam: Aua!
Jonas: Ein schlechter Schütze, der Beifahrer mit der altmodischen MP. Wir standen auf, klopften uns ab, und zuckten zusammen. Ein Streifenwagen raste an uns vorbei, mit heulender Sirene.
Fedora: Das war nun wieder eine Holoprojektion.
Sam: Achtung, melde gehorsamst, soeben ist Direktorin Palafox in laufendes Programm schwarze Serie eingetreten. Sie hat Rolle von Gangsterchefin Polyphon, Korrektur Polly Fox übernommen.
Jonas: Wie geplant. Wunderbar. Übergang zur Phase zwei. Sie kennen den Weg, Fedora.
Fedora: Zum Nachtklub.
Jonas: Und zur Telefonzelle.
Fedora: Richtig. Kommen Sie.
Jonas: Wir liefen durch die nassen schwarzglänzenden Straßen, ab und zu Autos, manchmal fiel ein Mensch vom Dach und schlug vor uns aufs Pflaster, oder wir traten auf eine Leiche, Eispickel im Genick, Loch in der Schläfe. Wir bogen um eine Ecke und waren da, an der Telefonzelle.
Holo1: Hallo?
Fedora: Hey, die zwei Figuren, die Polly sucht, sind im Blackoutclub, sag ihr das.
Holo1: Wer spricht?
Fedora: Eine Freundin.
Jonas: Der Club lag direkt gegenüber. Zuckende Neonröhren buchstabierten Blackout. Ein zerschlissener Baldachin, darunter eine Tür, keine Klinke. Dafür ein Guckloch. Wir klopften.
Holo1: Privat. Nur für Mitglieder.
Fedora: Wir sind Mitglieder, Schätzchen.
Holo1: Ach ja? Zeigen Sie mal Ihren Ausweis.
Jonas: Er nahm die 10-Dollarnote und machte uns auf. Drinnen war es fast so dunkel wie draußen. Ein niedriger Saal, nur wenige Gäste, halbseidene Typen im Smoking. Nachtschwalben in Arbeitskleidung. Kellnerinnen mit Beinen bis zum Hals. Vorn ein kleines Podium, ein Klavierspieler spielte Klavier, eine Sängerin sang. Wir setzten uns, an einen Tisch, ganz hinten.
Holo2: Pink Lady für die Lady.
Fedora: Danke.
Holo2: Und für Sie, Sir, Scotch on the Rocks. Haben Sie sonst noch Wünsche? Heroin, Kokain, Perversionen?
Jonas: Danke. Nicht viel los bei Ihnen.
Holo2: Die Nacht ist noch jung, Sir.
Sam: Sammy auch.
Jonas: Holo?
Fedora: Alles hier drin ist Holo, Jonas, die Bedienung, die Gäste, die Künstler, alle, mit einer Ausnahme.
Jonas: Hoffentlich. Ich frage mich, wer von den...
Palafox: Ruhe! Alle an die Wand. Kein Laut, keine Bewegung!
Sam: Aua!
Jonas: Direktorin Palafox alias Polly Fox. In einem schwarzen Herrenanzug, mit Weste und Krawatte, und MP, sehr schick, sehr verrucht. Ihre Gangster hatte sie mitgebracht, die sahen allerdings verdächtig nach Wunderlandsicherheit aus, blaurote Uniformen, Laserstrahler, ein schwerer Stilbruch. Aber das störte Palafox nicht. Sie hatte erreicht, was sie wollte.
Palafox: Da ist sie ja, unsere liebe Fedora, mit ihrem Kavalier, diesem Privatdetektiv.
Jonas: Jonas ist der Name, nur Jonas.
Palafox: Nur zu. Sie werden bald keinen Namen mehr brauchen. Fesselt die beiden und dann raus mit euch, wartet vor der Tür, ich hab noch ne Kleinigkeit zu erledigen.
Jonas: Fünf Minuten später waren wir unter uns. Palafox, Fedora, Jonas. Die Holofiguren an den Wänden zählten nicht. Oder doch?
Palafox: So, jetzt müßte ich Ihnen Betonschuhe verpassen und Sie damit auf den Grund des Eastrivers schicken, aber ich glaube nicht, daß wir hier irgendwo Beton haben, und den Eastriver haben wir schon gar nicht. Wir werden uns mit dieser Waffe begnügen müssen, keine Attrappe, kein Hologramm, eine echte Antiquität. Thomygun sagte man damals dazu.
Jonas: Sie wollen uns umbringen.
Palafox: Ja. Offenbar sind Sie ein ganz besonders schlauer Privatdetektiv, ja, ich will sie umbringen.
Fedora: Hören Sie, Frau Palafox.
Palafox: Polly bitte, Polly Fox, Sie fallen aus der Rolle, Fedora.
Fedora: Also, Polly, warum wollen Sie uns töten, Polly?
Palafox: Das wissen Sie doch.
Fedora: Sagen Sie es uns trotzdem, Polly, bitte.
Palafox: Na, Sie haben recht, am Schluß wird reiner Tisch gemacht, so ist es in den alten Büchern und in den Filmen, OK, packen wir aus. Ich habe Glen Denver ermordet, weil sie an die Japaner verkaufen wollte, und die hätten mich rausgesetzt.
Fedora: Das ist ein Grund.
Palafox: Nicht wahr? Es sollte so aussehen, als gehörten Mord und Sabotage zusammen, aber dann hat Milius sich eingemischt, und Sie, Sie Privatdetektiv, Sie haben Fedora als Saboteurin entlarvt und ihr gleichzeitig für den Mord ein Alibi gegeben, zusammen mit Milius. Darum mußte ich auch Milius umbringen. Bei Ihnen hat’s nicht ganz geklappt, leider, aber das holen wir jetzt nach.
Jonas: Na bitte, wir hatten Palafox dazu gebracht, ein Geständnis abzulegen. Wie geplant. Während Sie redete, bewegte sich was hinter ihr, eine Holofigur löste sich von der Wand, kam näher, eine Frau, nicht mehr jung, aufgedonnert, Schlitz im superkurzen Kleid, Ausschnitt bis zum Bauchnabel, hinter Palafox blieb sie stehen, holte einen Laserstrahler aus ihrer Handtasche und bohrte ihn Palafox in den Rücken.
Gwen Denver: Lassen Sie die Maschinenpistole fallen, Palafox.
Palafox: Kusch, zurück an die Wand, übernimm dich nicht, du bist nur eine Holoprojektion.
Gwen Denver: Meinen Sie, Palafox? Erkennen Sie mich nicht? Vielleicht habe ich mir etwas zu viel Make-up aufgekleistert, sehen Sie mich nur richtig an.
Palafox: Mein Gott, Gwen, Gwen Denver, wie kommen Sie hierher?
Jonas: Wir haben sie kontaket, über meinen Computer.
Fedora: Und weil sie uns nicht ohne weiteres glauben wollte, haben wir sie aufgefordert, sich in die schwarze Serie einzuschleusen, als unauffällige Holofigur.
Gwen Denver: Und das hab ich getan, mit großem Vergnügen. Aber wenn ich an meine arme Schwester denke, die Sie auf dem Gewissen haben, Palafox, Waffe weg!
Palafox: Ah!
Jonas: Palafox ließ die MP fallen und hielt sich die rechte Hand. Sie war geschlagen und sie wußte es. Gwen Denver band uns los, dann informierte sie die Sicherheitstypen, gab ihnen neue Befehle, ließ sie abrücken, mit Palafox.
Gwen Denver: Alles erledigt. Wir können das Programm beenden.
Jonas: Sammy?
Sam: Was wünscht mein Herr und Meister?
Jonas: Schalt die Schwarze Serie ab.
Sam: So sei es, Sahib.
Gwen Denver: Schicken Sie mir Ihre Rechnung, Herr Jonas. Fedora, kommen Sie mit.
Fedora: Ja. Auf Wiedersehen, Jonas, und... Danke.
Jonas: Das ist also das Simulationsareal. Die Wirklichkeit. Eine kahle Scheune. Rohre. Ein paar Drähte. Traurig.
Sam: Ach, mach dir nichts draus, Kumpel, sieh mal, Babylon ist doch auch was, ne, auch duster, auch gefährlich, naja vielleicht nicht sehr romantisch, aber mondieu, was willst du mit Romantik? Kannst dir nichts dafür kaufen. Weißt du was, Alter, wenn dir die Wirklichkeit mal zu sehr auf den Wecker fällt, dann, ja dann gehst du ins Wunderland und buchst einmal schwarze Serie, nicht, ja.
Das war Wunderland. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem wirkten mit: Ilona Grübel, Ilse Neubauer, Karl Heinz Vietsch und viele andere (Helga Fellerer, Udo Wachtveitl, Julia Fischer). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Assistenz: Wolfgang Ruhdörfer. Regie: Werner Klein. (Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks) (1991). (Redaktion: Erwin Weigel).
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