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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Euroblues
Jonas: Judith ist tot. Damit sollte ich anfangen. Aber das kann ich nicht. Ich fange an mit dem 20. Juni 2012. Dem Tag, an dem ich Judith zum letzten Mal lebend gesehen habe, bei mir, in meinem Büroapartment.
Sam: Wir schreiben das 21. Jahrhundert. Eine Zeit der Pläne und Grenzen, der Rahmen und Programme. In dieser Zeit lebte ein Mann, der anders ist als die anderen, der in keinen Rahmen paßt und in kein Programm, der seinen Weg geht. Einsam. Integer. Furchtlos. Es ist, Tusch, Majestro, please, Jonas. Jonas, the last detective, hahaha.
Judith: Bravo! Du solltest dir angewöhnen, deine Tür abzuschließen, Jonas.
Jonas: Judith! Bist du sicher, daß du zu mir willst?
Judith: Stör ich? Ich hab das Gefühl, ich bin hier in eine Sitzung des Vereins für gegenseitige Beweihräucherung geraten.
Jonas: Sammy spielt nur ein bißchen Dampfradio. Er hat neues Material gekriegt. Amerikanische Rundfunkserien aus dem frühen 20. Jahrhundert. Lone Ranger. The Shadow. Superman.
Sam: Da, am Himmel: Ein Vogel. Ein Flugzeug? Nein, es ist Superman.
Jonas: Nicht, daß Sam neues Material brauchte. Er hat schon mehr als genug. Er ist mit Worten voll bis an die Kiemen. Nur daß er keine Kiemen hat. Er hat Mikrochips. Und einen Vokoder. Sam ist mein Computer. Wo Jonas hingeht, da geht er mit. In der Tasche. Hilfreich. Geschwätzig. Innervierend. Unentbehrlich.
Sam: Schneller als ein Geschoß. Stärker als eine Lokomotive.
Judith: Es lebe die Nostalgie.
Jonas: Dreimal hoch. Was willst du?
Judith: Ja, ich brauch deine Hilfe, Jonas.
Jonas: Das ist nicht wahr. Du bist Judith Delgado, Sicherheitsdirektorin. Ein ganz hohes Tier in der Polizeiführung. Und ich bin Jonas. Nur Jonas. Freischaffender Privatdetektiv. Ein armes Schwein. Niemand.
Judith: Du schuldest mir etwas, Jonas.
Jonas: Wie man’s nimmt. Judith und Jonas. Das war eine lange Geschichte. Angefangen hatte sie mit einer sehr intensiven Beziehung, die nach anderthalb Jahren in die Brüche ging, weil Judith auf Jonas Knochen Karriere machte, zuletzt in der Sache Mustermann, alias Schneewittchen. Ohne mich wäre sie nie Sicherheitsdirektorin geworden, und ohne sie wäre ich tot, siehe Fall Eurodschungel.
Sam: Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, werden Sicherheitsdirektorin Delgado hervorragende Chancen eingeräumt, die Nachfolge von Sicherheitspräsident Henning anzutreten, wenn dieser am 1. Juli 2012 in den wohlverdienten Ruhestand tritt. Wir gratulieren.
Jonas: Ist das wahr, Judith, du wirst Polizeichefin von Babylon?
Judith: Vielleicht, Jonas, darüber wollte ich mit dir reden.
Jonas: Mit mir? Was verstehe ich von höherer Sicherheitspolitik?
Judith: Gerade deshalb, Jonas, du bist Außenseiter, und ein guter Detektiv bist du auch.
Jonas: Willst du mich anheuern?
Judith: Wenn du nicht zu viel verlangst.
Jonas: 100 Euros pro Tag und Spesen.
Judith: Einverstanden. Und, was sagst du?
Jonas: Auch einverstanden. Wenn du ein paar Tage warten kannst. Morgen fliege ich in den Orient, nach Merdistan.
Judith: Kannst du das nicht verschieben?
Jonas: Unmöglich. Ich melde mich bei dir, sobald ich wieder in Babylon bin. Worum geht’s?
Judith: Das erzähle ich dir, wenn du zurück bist. Aber einen Tip geb ich dir schon jetzt, weil du dich so für alte amerikanische Geschichten interessierst. Es war glaub ich 1980, da wurde ein gewisser Reagan zum Präsidenten der USA gewählt.
Sam: Richtig.
Judith: Und vor dieser Wahl liefen ein paar sehr merkwürdige Dinge. Erinnerst du dich?
Jonas: Nein. Damals war ich 13 und hatte anderes im Kopf. So wie jetzt. Judith ging. Und Jonas flog nach Merdistan, wo er länger zu tun hatte als vorgesehen war, und dann saß er in Afrika fest, Fall Eurobaby und Fall Euromüll. Zurück kam ich erst Ende Juli, und da war es zu spät.
Sam: Home, sweet home.
Jonas: 22 Quadratmeter, und Aussicht auf die langweiligste Brandmauer in ganz Babylon.
Sam: Der schönste Platz, rums rums, das sag ich dir mein Sohn, ist dein Büro im schönen Babylon.
Jonas: Also auf ins Casablanca.
Sam: Moment, euer Voreilen. Vor den Whisky haben die Götter die Pflicht gestellt. Anrufbeantworter.
Jonas: Wenn du meinst, Sammy.
Judith: Wo steckst du Jonas? Ich warte auf deinen Anruf. Judith. Piep!
Judith: Du müßtest doch längst wieder hier sein. Was ist los? Warum meldest du dich nicht, du hast es versprochen. Piep!
Judith: Bitte, Jonas, ruf an, sofort, wenn du mich nicht erreichst, dann Chefinspektor Brock, der weiß Bescheid. Du mußt mir helfen, Jonas, bitte.
Jonas: Judith war nicht zu Hause. Auch in ihrem Büro ging niemand ans Fon. Also rief ich Chefinspektor Brock an, meinen geschätzten alten Feind.
Brock: Jonas? Was wollen Sie?
Jonas: Judith Delgado. Was ist mit ihr? Wo steckt sie?
Brock: Auf dem Zentralfriedhof.
Jonas: Was?
Brock: Sicherheitsdirektorin Delgado ist tot, Jonas. Räusper. Am Abend des 19. Juli fiel sie beim Sturmangriff der babylonischen Sicherheitskräfte auf die Bastion der terroristischen Stadtguerilla im sogenannten Reservat. Beim feierlichen Staatsbegräbnis betonte Leo Costa, der neuernannte Präsident der obersten Sicherheitsverwaltung in seiner Trauerrede, Frau Delgado habe ihr Leben den ewigen Werten von Recht und Ordnung geopfert, und werde daher allen Mitgliedern der Sicherheitsbehörde stets als Vorbild für...
Jonas: Hören Sie auf mit dem Gelaber.
Brock: Für Einsatz, Hingabe und Pflichterfüllung dienen. Ferner betonte Sicherheitspräsident Costa...
Jonas: Judith ist tot. Schuld ich ihr was, Sammy?
Sam: Was? Nein, nichts schuldet ihr mein Meister, gar nichts, absolut nichts, total überhaupt nichts, null Komma nichts, kein Fitzelchen, auch nicht das aller aller...
Jonas: Ich stelle Sam ab, ich steckte mir einen Laserstrahler ein und meinen alten Smith & Wesson Revolver. Dann ging ich zur Zentralen Sicherheitsverwaltung am Europaplatz. Ich wollte in den 20. Stock zu Chefinspektor Brock. Aber die Frau, die nach mir in den Lift stieg, hatte was dagegen. Sie drückte den untersten Knopf. Tiefkeller. Abstellräume. Notaggregate. Zugang zur Unterwelt.
Killerin: Jonas? Nur Jonas, der letzte Detektiv?
Jonas: Und wer sind Sie?
Killerin: Spielt keine Rolle.
Jonas: Dann muß ich raten. Dünne graue Haare. Altmodisches schwarzes Business Outfit. Klobige schwarze Schuhe. Pensionierte Gerichtsvollzieherin. Verkehrspolizistin?
Jonas: Nur der Aktenkoffer paßte nicht. Zu neu, zu teuer, zu High-Tech. Weil er nämlich gar kein Aktenkoffer war, sondern ein spezial Security case. Um eine MP. Typ Keckler und Hoch, SW7. Die Waffe der besseren Bodyguards und der konservativen Profikiller.
Killerin: Ein besonders aufmerksamer Detektiv sind Sie nicht, Jonas, Sie haben nicht gemerkt, daß ich Sie verfolge, seit Sie Ihr Büro verlassen haben. Machen Sie sich nichts daraus, ich hab trotzdem einen Auftrag für Sie. Sie sollen verschwinden.
Jonas: Aus Babylon?
Killerin: Weiter. Viel weiter. Sie sollen sterben. Und weil ich ein sehr mißtrauischer Mensch bin, werde ich mich persönlich davon überzeugen, daß Sie es auch wirklich tun.
Jonas: Sie sind übrigens auch nicht gerade aufmerksam. Sie halten ihre Kofferknarre falsch rum, und Sie wissen wohl auch nicht, daß die Mündung verklebt ist, sieht aus wie Kaugummi.
Jonas: Das stimmte nicht, aber sie sah trotzdem nach und war einen Augenblick nicht voll bei der Sache. Das reichte. Ein Tritt gegen die Hand, sie ließ den Koffer fallen. Ein harter Schlag an den Hals, es knirschte und knackte. Sie fiel um und blieb liegen. Wenn man ihn umbringen will, wird Jonas eigen. Der Lift hielt, die Tür ging auf, davor stand der männliche Zwilling meiner Begleiterin. Ältlich, schwarz, mit Aktenkoffer. Killer treten meist im Duo auf. Ich war vorbereitet und schoß als erster. Dann legte ich beide pietätvoll im Keller aus und fuhr in den 20. Stock.
Brock: Sie?
Jonas: Man wollte mich umbringen, Brock, hier in der Sicherheitszentrale.
Brock: Gute Idee. Wollen Sie Anzeige erstatten?
Jonas: Ich will wissen, was mit Judith passiert ist.
Brock: Das hab ich Ihnen schon am Fon gesagt.
Jonas: Gar nichts haben Sie gesagt. Sie haben die offizielle Verlautbarung runtergeleiert.
Brock: Na und? Was wollen Sie denn noch?
Jonas: Alles. Die ganze Geschichte. Jede Einzelheit. Das bin ich ihr schuldig.
Brock: Gehen Sie mir nicht auf die Nerven, halten Sie sich raus, hauen Sie ab. Wenn Sie was für Frau Delgado tun wollen, dann gehen Sie ins Casablanca, und halten da eine private Totenfeier, im irischen Stil, mit viel Whisky.
Jonas: So nicht, Brock!
Brock: Doch, Jonas, genau so. Raus!
Jonas: Brock spielte mal wieder den wilden Bullen. Aber mit dem Casablanca hatte er gar nicht so unrecht. Jonas setzte sich in Bewegung, aufmerksam, auf der Hut, Blick zurück in Vorsicht. Nichts schwarzes mit Koffer. Dafür was graues mit Plastiktüte direkt vor dem Casablanca. Ein Penner. Ein Berber. Einer von denen, die nichts haben und alles wissen. Eine von Jonas Ratten.
Penner: Na, Jonas, wie tickt’s denn so?
Jonas: Immer richtig.
Penner: Moment, Jonas, ich weiß was.
Jonas: So?
Penner: Falsch, das heißt nicht so, das heißt, ich geb dir was. 10 Euros?
Jonas: Einer recht.
Penner: Fünf.
Jonas: Drei.
Penner: OK, gib her.
Jonas: So, jetzt bist du dran, pfeif mir was.
Penner: Großalarm, gesucht wird ein gewisser Jonas.
Jonas: Tot oder lebendig?
Penner: Ne, nur tot.
Jonas: Die Bullen?
Penner: Ne, die Todesschwadron.
Jonas: Die beste und solideste Killerorganisation in Babylon. Zuverlässig. Konservativ. Bestückt mit ehemaligen Sicherheitsleuten, nicht mehr dabei, weil sie zu oft die Hand aufhielten oder zu oft auf den Abzug drückten. Jonas fühlte sich geehrt und verunsichert, weil er nicht die geringste Ahnung hatte, wer ihm die Todesschwadron GmbH und Co KG auf den Hals gehetzt hatte und warum.
Jonas: Egal. Jacob, einen Whisky.
Jacob: Hier.
Jonas: Das ist kein Whisky, Jacob.
Jacob: Das ist ein Rohrpostbrief. Vor zehn Minuten gekommen. Für dich. Hier steht. Jonas, care of Casablanca. Dringend. Eilig.
Jonas: Wenn Sie mehr wissen wollen, die ganze Geschichte, jede Einzelheit, Belsatzarstraße 181a, 14.30.
Jacob: Keine Unterschrift.
Jonas: Ich weiß, von wem der Brief ist. Wie spät?
Jacob: Fünf nach zwei. Hey, dein Whisky!
Jonas: Stell ihn warm.
Jacob: Weißt du was, Jonas, ich trink ihn selber. Auf dein Wohl. Sieht so aus, als könntest du’s gebrauchen.
Jonas: Belsatzarstraße 181a war ein Schirmerladen. Voll mit elektronisch super abgeschirmten total abhörsicheren Zellen. Für Leute, die sich mal in Ruhe unterhalten wollten, und sich den Mietpreis leisten konnten. Ich wurde gründlich durchsucht. Sam und die Waffen kamen ins Schließfach. Brock wartete schon in der Zelle.
Brock: Wurde auch Zeit, Jonas. Ich dachte schon, Sie hätten meinen Brief nicht gekriegt, oder nicht kapiert, das hätte ich Ihnen zugetraut.
Jonas: Wollen Sie sich mit mir streiten, Brock, oder wollen Sie mir was sagen?
Brock: Nur wegen Frau Delgado. Die hat nämlich viel von Ihnen gehalten. Weiß der Teufel warum. Und ich hab viel von Frau Delgado gehalten. Darum bin ich hier. Obwohl das gegen alle Dienstvorschriften verstößt.
Jonas: Und das bringen Sie über Ihr öffentlich bedienstetes Herz. Ich bin gerührt.
Brock: Sie haben gut reden, Jonas, Sie riskieren nur Ihr Leben, ich riskiere meine Pension.
Jonas: Aber dann kam er doch noch zur Sache. Zur babylonischen Stadtguerilla. Eine verquere nostalgische Truppe, die sich die klassischen Terroristen des 20. Jahrhunderts zum Vorbild genommen hatte. Eine Frau führte sie an. Sie nannte sich Karla, und sie hatte Ideen. Zum Beispiel die, ein paar prominente Babylonier zu kidnappen und irgendwo im Reservat festzuhalten, in der wilden Ruinenlandschaft, ohne Recht, ohne Gesetz und ohne Sicherheitsverwaltung. Und dann der Verwaltung Forderungen zu stellen.
Brock: Eine halbe Milliarde Euros, regelmäßige Sendezeiten im Holo. Die Bürgermeisterin sollte live auftreten in Sack und Asche und alle ihre politischen Sünden beichten.
Jonas: Alle? Das wird ne Endlosserie.
Brock: Ein Teil der Sicherheitsführung war für Gewalt, ins Reservat einmarschieren, alles kurz und klein schlagen, Oberst Frank von der Terrorpolizei, ein paar andere. Aber sie kamen nicht durch. Der Chef, Sicherheitspräsident Henning, setzte auf Verhandlungen, schon wegen der Geiseln. Ein Sonderstab wurde gebildet, Codename Houdini, und da...
Jonas: Lassen Sie mich raten, Brock, Judith Delgado.
Brock: Assistiert von Chefinspektor Brock.
Jonas: Die Schöne und das Biest.
Brock: Wollen Sie sich mit mir streiten, Jonas, oder wollen Sie was hören?
Jonas: Judith nahm Kontakt zu Karla auf, sie traf sich mit ihr, sie verhandelte, sie machte Fortschritte. Das war wichtig, nicht nur für die Geiseln, auch für Sicherheitspräsident Henning, der wollte am 1. Juli in Glanz und Gloria abtreten. Und für Judith. Die wollte Hennings Nachfolgerin werden und brauchte den großen Geiselerfolg, um sich gegen ihren Konkurrenten durchzusetzen, Sicherheitsdirektor Leo Costa, eine eher graue Schreibtischmaus. Leiter des Beschaffungsamts. Zuständig für den Nachschub von Kugelschreibern und von Laserstrahlern. Viel Chancen hatte er nicht. Judith marschierte und verhandelte und stand kurz vor dem erfolgreichen Abschluß.
Brock: Das war Anfang Juni. Und auf einmal war der Wurm drin. Karla ließ Termine platzen, es gab immer neue Forderungen, die Sache zog sich hin, die Geiseln kamen nicht frei, Henning ging in Pension.
Jonas: Sein Job kriegte nicht Judith, sondern dieser Costa.
Brock: Natürlich. Frau Delgado hatte versagt. Sie blieb Leiterin des Sonderstabs, traf sich noch zwei dreimal mit Karla, das letzte Mal am Abend des 19. Juli. Und zur gleichen Zeit rollte der Sturmangriff auf den Schlupfwinkel der Stadtguerilla im Reservat. Kleinbeirut haben sie ihn genannt. Wir vom Sonderstab wußten nichts davon. Chef Costa und Oberst Frank haben die Vorbereitungen geheimgehalten, um die Terroristen zu überraschen. Ein Unternehmen mit allen Schikanen. Helikopter, Tanks, Laserhaubitzen, sogar ein paar Robokiller. Was dabei rausgekommen ist, wissen Sie.
Jonas: Keine Ahnung, Brock, ich war in Afrika.
Brock: Alle Terroristen tot, mit einer Ausnahme, fast alle Geisel tot, viele Unbeteiligte tot, ein paar Sicherheitskräfte tot.
Jonas: Judith Delgado tot.
Brock: Nicht beim Sturmangriff. Sie traf sich mit Karla. Sie war gar nicht dabei.
Jonas: Und warum die falsche Verlautbarung?
Brock: Weil es so einfacher war und sicherheitspolitisch geschickter. Bei so vielen toten Geiseln war es nicht verkehrt, auch in den eigenen Reihen ein hochrangiges Opfer zu haben.
Jonas: Wie ist Judith umgekommen?
Brock: Erschossen. Mit einer Keckler und Hoch, SW7. Am nächsten Morgen haben wir sie gefunden, im Osten, an der Grenze zum Reservat. Unter freien Himmel. Nicht weit vom Aquarium und vom Giganthotel.
Jonas: Wo hat sie sich mit Karla getroffen?
Brock: Wissen wir nicht, das hat sie für sich behalten.
Jonas: Sie war allein.
Brock: Die beiden haben sich immer allein getroffen.
Jonas: Wer hat Judith umgebracht?
Brock: Ich weiß nicht.
Jonas: Karla?
Brock: Möglich. Sie soll noch am Leben sein, als einziges Mitglied der Stadtguerilla. Untergetaucht. Wo weiß ich nicht. Sonderstab Houdini ist aufgelöst. Ich bin wieder bei der Kripo. Datenkriminalität, Kleinkram...
Jonas: Wo könnte Karla stecken? Denken Sie nach, Brock. Wo hat Judith Kontakt mit ihr aufgenommen?
Brock: Keine Ahnung, Jonas, wirklich nicht. Ich hab sie mal gefragt, und da hat sie nur eine unverständliche Bemerkung gemacht.
Jonas: Über den alten amerikanischen Präsidenten Reagan?
Brock: Nein, wieso? Über Mao, chinesischer Diktator im vorigen Jahrhundert, über einen Spruch von Mao. Guerillas sind wie Fische im Wasser oder so ähnlich, und dann hat sie gelacht und gesagt, das ist wirklich ein Witz. Frau Delgado hat in den letzten Wochen viel von Ihnen gesprochen, Jonas, Sie haben ihr gefehlt, sie hatte das Gefühl, daß an der Geschichte was nicht stimmt. Jonas würde sich reinknien, hat sie gesagt, Jonas würde es rauskriegen, also dann, kriegen Sie’s raus, ich wünsch es Ihnen und mir und dem Andenken von Judith Delgado. Noch was: Scotland Yard.
Jonas: Scotland Yard, was soll ich damit?
Brock: Geben Sie es Ihrem Computer weiter, der ist schlauer als Sie, der kann was damit anfangen. Wir sehen uns Jonas, bald. Bleiben Sie cool.
Jonas: Weg war er. Aber er ließ mir ein Andenken da: Die Rechnung. 300 Euros für 1 Stunde Schirmerzelle. Jonas zahlte, ungern und ging nach Hause. Wo sich zeigte, daß Sammy tatsächlich was mit Scotland Yard anfangen konnte.
Sam: Das legendäre Hauptquartier der Metropolitan Police of London, verehrter Assistent Commisioner.
Jonas: Du wirst es nicht glauben, Sam, das wußte ich.
Sam: In der Tat, Sir? Es dürfte sich um ein geheimes Codewort handelt, welches mit jedem berechtigtem Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit Zugang zum Zentralcomputer der obersten Sicherheitsverwaltung eröffnet.
Jonas: Da könntest du recht haben, Sammy.
Sam: Ja.
Jonas: OK. Nimm dir das Codewort und geh ein bißchen im Zentralcomputer spazieren. Mal sehen...
Brock: Sie brauchten sowieso eine neue Tür, Jonas, eine die sich abschließen läßt.
Jonas: Brock?
Brock: Chefinspektor Brock, wenn ich bitten darf. Bleiben Sie cool, Jonas.
Pauly: Aufstehen, Hände hoch, an die Wand, Beine auseinander, bleiben Sie so.
Brock: Na, dann wollen wir mal. Jonas, nur Jonas, Bürgernummer, geboren, Beruf, blablabla, auf Anordnung des Herrn Präsidenten der Sicherheitsverwaltung von Babylon, Vereinigte Staaten von Europa, sind Sie festgenommen.
Jonas: Weshalb?
Brock: Behinderung der Arbeit der Sicherheitskräfte, Betreiben eines nicht entstörten Computers.
Sam: Ohohohohoh, nur Blut kann sie abwaschen, diese unerhörte Schmach, geben Sie Satisfaction, Pistols, Säbels.
Pauly: Mit dem Knüppel kannst du was kriegen, du bescheuerte Blechbüchse.
Sam: Blödmann. Ha, und nochmals Ha. En garde, Wicht.
Brock: Ruhe. Planung eines schwerwiegenden Datenvergehens, Erregung öffentlichen Ärgernisses.
Jonas: Das ist alles?
Brock: Mehr steht hier nicht. Hab ich was vergessen?
Jonas: Kontoüberziehung im Wiederholungsfall. Spucken auf den Bürgersteig.
Brock: Haha. Sie werden in kriminalpolizeilichen Gewahrsam genommen und zwecks Aburteilung dem nächstgelegenen Autojudex vorgeführt.
Jonas: Und, was werd ich kriegen?
Brock: Tja, zwei Jahre verschärfter Hausarrest mit Elektrofessel, mindestens, Detektivlizenz weg, Computer eingezogen.
Sam: Niemals! Keine Macht der Welt kann Sammy vom Busen seines innig geliebten Herrn reißen.
Pauly: Das wirst du schon sehen, wie wir das können, und dann kommst du in den Asservatenkeller, da ist es dunkel und feucht und eklig. Und da wirst du vergammelt und verrotten.
Sam: Und du kommst mit.
Brock: Das reicht, Pauly. Sehen Sie sich mal in der Naßzelle um, aber gründlich.
Pauly: Wird gemacht, Chefinspektor.
Brock: Hauen Sie ab, Jonas.
Jonas: Was?
Brock: Sie sollen fliehen, Sie Idiot, nachdem Sie mich überwältigt haben, natürlich. Los.
Jonas: Danke Brock.
Brock: Nur wegen Frau Delgado, Jonas, Gehen Sie nicht ins Casablanca, da schicken wir gleich eine Streife hin.
Sam: Fein.
Jonas: Blieb eigentlich nur ein einziger Zufluchtsort. Der arme Schlucker, ein Dipsomat. Lem-/Ecke Strugazkistraße. Wenig geliebt, weithin unbekannt. Wo man sich einen Strohrum ziehen und mit seinem Computer zu raten gehen konnte. Zum Glück hatte ich ein paar Euros in der Tasche.
Sam: Wieviel?
Jonas: Zehn, zwanzig, dreißig und ein paar zerklemmte.
Sam: Naja, nicht eben stupender Reichtum, euer Minderbemitteltheit. Hilft nix, muß erst mal reichen.
Jonas: Muß nicht, Sammy. Ausnahmsweise hab ich was auf dem Konto. Ich kann bargeldlos zahlen.
Sam: Hehehe, kannst du nicht, Knirschgetriebe, weil sie dich sofort am Arsch haben, wenn du irgendwo im elektronischen Netz auftauchst. Die Bullen, die Todesschwadronen, alle.
Jonas: Jonas gegen den Rest der Welt, wie üblich. Apropos Todesschwadronen, Judith ist mit einer Keckler und Hoch erschossen worden und das heißt...
Sam: Von der Todesschwadron, die auch Jonas auf dem Kicker hat, will sagen, im Visier. Frage: Wer ist der Auftraggeber?
Jonas: Die Antwort finden wir nicht, wenn wir hier sitzen und Strohrum trinken. Scotland Yard, Sammy.
Sam: Ach, längst passiert. Während euer Saumseligkeit über Alkohol in seiner entsetzlichsten Gestalt frönten, unternahm Sam, Sam, der Pflichttreue, der Gewissenhafte, der Verantwortungsbewußte, eine Exkursion in die geheimnisvollen Tiefen des Zentralcomputers. Wer wagt es Knappertsmann oder Ritt zu schlauchen in diesen Tunt. Na, wer schon. Na ich, Sam. Unerschrocken, wendig, alle aufgestellten Fallen geschickt umgehend, konzentriert, diszipliniert.
Jonas: Ist ja gut, Sammy, du bist der größte. Das wissen wir doch. Was hast du entdeckt.
Sam: Zweierlei, du Nieswurz. Hatschi. Danke. Großfahndung nach Jonas, nur Jonas alle erste Priorität. Sicherheitsapparat auf Hochtouren.
Jonas: Meinetwegen? Bin ich Jack the Ripper?
Sam: Unzureichende Daten, mein Jonas.
Jonas: Und zweitens?
Sam: Daten über Stadtguerilla und den Tod der Dame Judith nicht zugänglich, auch nicht mit Codewort Scotland Yard. Zusätzlich verschlüsselt und verrammelt und verschottet.
Jonas: Da kommen wir also nicht weiter, Sam. Neuer Approach. Karla. Wir müssen versuchen, sie aufzutreiben. Wo könnte sie stecken. Kombinieren wir.
Sam: Wir, my dear Watson?
Jonas: Wie du willst, Sam, dann kombinier gefälligst du alleine. Dafür hab ich dich. Los, auf der Stelle.
Sam: Drei vier, Maofisch, Wasserfisch im Wasser. Wo gibt’s so was. Na?
Jonas: Jedenfalls nicht im Meer oder im See oder im Fluß. Schon lange nicht mehr.
Sam: Korrekt. Wo dann?
Jonas: Im Aquarium?
Sam: Exzellent, mein lieber Jonas. Wo wurde die Dame Judith aufgefunden?
Jonas: Im Osten an der Grenze zum Reservat, nicht weit vom Giganthotel und vom...
Sam: Aquarium, Aquarii, neutrum. Quod erat demonstrandum.
Jonas: Du meinst, Karla ist im Aquarium?
Sam: Naja, hast du eine bessere Idee, o du mein Wasserkopf, bluber blubber blub.
Jonas: Ich hätte mich wie Dschango fühlen sollen. Einsamer Wolf. Einsamer Jäger. Einsamer Rächer. Aber als ich durch die Straßen ging, kam ich mir eher vor wie eine Zielscheibe oder wie das Männlein im Walde. Ganz allein auf einem Bein. Und drum herum lauter wilde Tiere, die was von mir wollten. Da hatte ich gar nicht mal unrecht.
Sam: Achtung, Achtung, wir unterbrechen unser Programm für eine Durchsage. In Sicht sind zwei schwarze Aktenkoffer. Ich wiederhole Aktenkoffer. 300 Meter zurück. Abstand abnehmend.
Jonas: Da haben sie mich also wieder gefunden. Was machen wir, Sammy, einen Zahn zulegen?
Sam: Und wenn du wetzt wie Zatopek.
Jonas: Wie wer?
Sam: Kennt er nicht. Eine Kugel ist schneller, allemal. So steht es geschrieben.
Jonas: Ich könnte es mit den beiden ausschießen.
Sam: Ohohoh. Zwei gegen einen, naja, und gut sind die auch.
Jonas: Also was dann, Sammy?
Sam: Was dann? Was deucht euch von der Straße, Eminenz?
Jonas: Straße? Die hier?
Sam: Na, den Markgrafenboulevard werd ich meinen. Natürlich die hier.
Jonas: Was soll mich deuchen. Eine schmale Straße, einsam, tote Lagerhäuser, typisch für Ostbabylon.
Sam: Nicht eben sauber.
Jonas: Es geht. Sag mal Sammy, was soll...
Sam: Müßte mal gereinigt werden.
Jonas: Ich weiß nicht, das geht doch automatisch. Regelmäßig, zentralgesteuert mit Vorwarnung. Siehst du nicht die Düsen an jeder Ecke rechts und links. Die Düsen!
Sam: Ach, hat er’s endlich geschnallt unser mentaler Schneckerich. Die Straßenreinigung untersteht der Sicherheitsverwaltung.
Jonas: Du mogelst dich ins System ein, sagst Scotland Yard, setzt das Normalprogramm außer Betrieb und sorgst dafür, daß dieses Stück Straße mal gründlich sauber gemacht wird außer der Reihe. Achtung, Sammy, hier sind die Düsen. Sobald ich vorbei bin...
Sam: Läuft Aktion saubererer Asphalt. Scotland Yard. Düsen nach hinten. Wasser marsch. Gebläse. Spül weg den Dreck. Hehe.
Jonas: Das Killerteam segelte von dannen. Sehr schnell. Mit achterlichem Wind. Und Jonas ging weiter. Vorwärts. Immer vorwärts. Jetzt war mir wirklich nach Dschango. Das Aquarium war ein flacher ausladender Bau im Schatten des berghohen Giganthotels, nicht weit vom Reservat, der ausgebrannten Ruinenlandschaft, in der Gesetzlose hausten, Freaks, Terroristen, Mutanten, kannibalische Nachtmenschen. Aber die Trümmer und ihre Bewohner waren nicht zu sehen, weil die gewaltigen Holoprojektoren auf dem Dach des Giganthotels die häßliche Realität mit Illusionen zudeckten. Bunte Parks, gelbe Felder, grüne Wiesen, wunderschön anzusehen, und so echt wie das Ehrenwort eines Politikers. Das Aquarium war geschlossen. Wegen Bauarbeiten. Stand auf dem Schild an der Tür. Kein Problem für Sam und sein magisches Codewort. Vor Scotland Yard öffnen sich alle Pforten.
Sam: Dank, mein lieber Brock, ich könnt dich herzen und küssen.
Jonas: Übertreibs nicht, Sammy.
Sam: Ja.
Jonas: Und mach dir gefälligst Gedanken, wie’s weitergeht. Wie finden wir Karla, ist sie überhaupt hier, wie sollen wir sie erkennen.
Sam: Questions over Questions, meine verehrten Damen und Herren, zuhause an den Holoschirmen.
Jonas: Und keine Antwort, wie es scheint.
Sam: Stube. Korrektur. Gemach, mein ungläubiger Jonas. Es gibt eine Antwort, und sie stammt von keinem geringerem als dem großen amerikanischen Philosophen Readers Digest. Wie sagt er doch, in einem seiner erhabendsten, seiner profundesten Aphorismen: Es wird sich alles alles finden. Warte nur.
Jonas. Willst du mich verarschen, Sammy?
Sam: Und siehe, es hat sich gefunden, das weiterführende Glied in der detektivischen Kette. Ein Weg tut sich auf. Es ertönt die Posaune von Jericho, die Trommel ruft zum Streite. Folge dem Klang, altes Kriegsroß. Wieher!
Jonas: Jonas folgte durch eine Tür, über einen langen Gang, um eine Ecke, und da wurde es laut. Vor mir lag ein weiter heller Raum, in der Mitte ein Becken voller Wasser, dahinter eine Frau in Deckung. Eine Frau im weißen Kittel, in der Hand einen Laserstrahler. Zwei schwarze Figuren arbeiteten sich zu ihr vor, rechts und links am Beckenrand. Eine der beiden feuerte aus dem bekannten schwarzen Aktenkoffer, die andere hatte keinen Aktenkoffer, sie hatte einen Kanister auf dem Rücken, und in der Hand ein Rohr, aus dem ein Feuerstrahl schlug. Ein Flammen-werfer, ein richtiger altmodischer Flammenwerfer. Typisch Todesschwadron. Ich mischte mich ein, mit meinem Laser.
Karla: Danke, Fremder. Reine Menschenfreundlichkeit, oder haben Sie einen bestimmten Grund, mir zu helfen?
Jonas: Die Todesschwadron. Mit der hab ich ein Hühnchen zu rupfen. Ein Riesenhuhn bessergesagt. Und dann möchte ich, daß Sie mir ein paar Fragen beantworten. Sie heißen doch Karla.
Karla: Sind Sie von der Terrorpolizei?
Jonas: Sie stand vor mir, wachsam, gespannt, den Zeigerfinger am Drücker ihres Laserstrahlers. Jonas sagte ihr, wer er war, und was er von ihr wollte.
Karla: Gut, reden wir. Nicht hier. In der Cafeteria. Da ist jetzt kein Mensch. Warten Sie einen Augenblick, ich will mich nur umziehen.
Jonas: Wo?
Karla: In meinem Zimmer, ich arbeite hier, in der ichthyologischen Abteilung. Dr. rer. nat. Karla Adamski. Sagen Sie Karla. Moment.
Jonas: Was tun Sie?
Karla: Ich laß die Piranhas ins Becken. Damit sie hier reinen Tisch machen. Was bei internen Auseinandersetzungen abfällt, geht andere nichts an. Sehen Sie nur zu, Jonas, sehr lehrreich, und symbolisch. Die kleinen Fische fressen die Großen. Manchmal.
Jonas: Ich ließ sie gehen. Nicht, weil sie einen Laser hatte. Den hatte ich auch. Ich traute ihr. Und sie kam tatsächlich zurück. In einem unauffälligen brauen Overall. In der Cafeteria zog ich mir einen Sojakaff und einen doppelten Sojaburger. Das hatte ich nötig.
Karla: Was haben Sie mit Judith Delgado zu tun? Freund. Partner. Beziehung?
Jonas: Ich bin ihr was schuldig.
Karla: Geht mich auch nichts an. Sie haben mir geholfen, und deshalb bin ich Ihnen was schuldig. Was wollen Sie wissen?
Jonas: Wie ist sie umgekommen?
Karla: Das kann ich Ihnen sagen, ich war dabei, wir waren verabredet zum so und sovielten mal, in der Nähe im Reservat, wie immer, in einem ausgebrannten Haus. Und direkt davor wurde sie erschossen. Vier Schwarze mit Koffern. Kreuzfeuer. Sie war sofort tot.
Jonas: Und Sie Karla?
Karla: Ich war vorsichtig und hatte meine kugelsichere Wäsche angezogen. Gleich nach dem ersten Schuß bin ich abgetaucht. Im Reservat kenn ich mich besser aus als die Killer von der Todesschwadron. Sie haben mich verfolgt. Erwischt haben sie mich nicht. Aber sie versuchen es immer wieder. Wie eben.
Jonas. Warum? Wer steckt dahinter?
Karla: Ich bin der letzte Name auf der Liste. Alle anderen sind gestrichen, abgehackt, erledigt. Die Genossen sind beim Sturm auf Kleinbeirut gefallen. Und zur gleichen Zeit hat die Todesschwadron auf Delgado angesetzt. Weil ihr klar geworden war, was gespielt wurde. Jetzt bin nur noch ich übrig. Und Sie natürlich, Jonas.
Jonas: Ich?
Karla: Sie wühlen und bohren und kommen ihm immer näher.
Jonas: Ihm? Wem?
Karla: Ganz nah dran sind Sie offenbar noch nicht. Costa natürlich.
Jonas: Der Sicherheitschef?
Karla: Seine Ehren Leo Costa. Präsident der obersten Sicherheitsverwaltung zu Babylon.
Jonas: Costa hat Judith umbringen lassen.
Karla: Ja sicher, weil sie ihm auf die Schliche gekommen war.
Jonas: Als Leiter des Beschaffungsamts hatte Costa die Stadtguerilla mit Waffen versorgt. Über Jahre. Er ließ sich dafür bezahlen. Aber das war nicht sein Hauptgrund. Er war der Meinung, die Sicherheitsbehörde brauchte einen Gegenpart, ein wirkungsvolles Feindbild, eine Rechtfertigung für polizeiliches Hochrüstung und law and order Politik. Darum lieferte er den Terroristen Waffen. Nicht viele, nicht die neuesten, nicht die besten. Gerade soviel, daß sie ab und zu von sich reden machen konnten. Aber dann landete Karla ihren großen Coup, ohne Costa zu informieren. Die Geiselnahme. Und danach lief alles schief für Costa.
Karla: Wegen Delgado, weil sie als erfolgreiche Senkrechtstarterin schon als künftige Chefin der Sicherheitsverwaltung gehandelt wurde. Den Job hatte sich Costa selbst vorbehalten. Und als Delgado den Auftrag kriegte, mit uns über die Geiseln zu verhandeln, da sah er seine Chance. Er schlug mir einen Deal vor: Ich sollte die Verhandlungen rauszögern, schleppen lassen, bis Henning aufs Altenteil kam, und wenn Costa Sicherheitspräsident geworden war, wollte er uns Waffen liefern. Mehr als bisher, und modernere. Was ähnliches ist mal in Amerika passiert, vor gut 30 Jahren, bei der Wahl zum Präsidenten. Irgendein Staat im Orient hatte damals amerikanische Geißeln festgehalten, und damit der bisherige Präsident nicht mit einem großen Erfolg im Rücken wiedergewählt wurde, soll sein Konkurrent mit diesem Staat vereinbart haben, daß die Geißeln erst später, nach der Wahl losgelassen werden sollten. Gegen Waffen und sehr viel Geld.
Jonas: Regean.
Karla. Ja, so hieß er wohl.
Jonas: Das hat sie also gemeint.
Karla: Was, wer?
Jonas: Nicht so wichtig. Erzählen Sie weiter.
Karla: Da ist nicht mehr viel zu erzählen. Delgado hat offenbar was spitzgekriegt.
Jonas: Hat sie. Jetzt weiß ich’s.
Karla: Costa konnte nicht zulassen, daß seine geheimen Abmachungen mit uns rauskamen. Er mußte was unternehmen, und das tat er dann auch. Gründlichst. Generalbereinigung. Großes Aufwaschen.
Jonas: Sturmangriff auf Kleinbeirut.
Karla: Richtig. Danach gab’s kein Geiselproblem mehr. Keine Stadtguerilla. Keine Zeugen, die Auspacken konnten. Und zur gleichen Zeit sollten Delgado und ich erledigt werden. Damit beauftragte Costa die Todesschwadron. Gute Kumpel aus alten Sicherheitszeiten. Das war’s Jonas, noch Fragen?
Jonas: Danke, Karla, Sie waren sehr offen.
Karla: Ihnen kann ich alles sagen, Jonas, Sie sind nicht gefährlich, nicht mehr. Dafür wird Costa sorgen.
Jonas: Glauben Sie, Karla?
Karla: Ich bin sicher. Weil ich ihn nämlich angerufen habe, eben in meinem Zimmer. Ich habe ihm einen letzten Deal angeboten. Er kriegt Sie, Jonas, wenn er mich in Ruhe läßt und die Schwarzen zurückpfeift.
Jonas: Und er war einverstanden.
Karla. Natürlich. Ich soll Sie umbringen, hat er gesagt, aber das habe ich abgelehnt. Soll er seine Drecksarbeit selber machen. Sie sind bewaffnet, Jonas, Sie haben eine Chance, eine ganz kleine. Da kommt er! War nett sie kennengelernt zu haben Jonas.
Jonas: Schade, daß die Bekanntschaft nur kurz war. Hätten wir uns nicht zusammentun können?
Karla: Daran habe ich auch schon gedacht. Aber das ist mir zu riskant. Sie sind ein sturer Bock, einer, der keine Kompromisse macht, der sich lieber umbringen läßt als aufzugeben. Ein Romantiker. Das ist nichts für mich.
Jonas: Wo gehen Sie hin, Karla?
Karla: Ins Reservat. In den Untergrund. Abwarten. Mal sehen, was sich bietet. Ichthyologin mit einschlägiger terroristischer Erfahrung sucht neuen Wirkungskreis. Viel Glück, Jonas.
Jonas: Aus der untergehenden Sonne kamen zwei Helikopter. Ein kleiner Kommandohubschrauber und ein Transporter. Schwarz. Ohne Markierung. Costa mit der Todesschwadron. In wenigen Sekunden würden sie landen, auf dem großen Platz zwischen Aquarium, Giganthotel und Reservat. Was tun? Sammy hilf!
Sam: Jajaja, jetzt kommt er angeschissen, mein großer Herr und Meister. Sammy, hilf mir, nachdem ich stundenlang Luft für ihn war, weil er mit diesem Weib herumturteln mußte, dieser Karla, und was hat er davon gehabt, der trottelige Triebmensch, verraten hat sie ihn, schnöde verkauft, kaltschnäuzig verscherbelt für 30 Silberlinge.
Jonas: Genau das hat mir gefehlt, Sam, dein Zuspruch, deine moralische Aufrüstung. Ich danke dir. Du weißt, was ich jetzt brauche, nicht etwa tatkräftige Unterstützung, nein, Worte Worte Worte.
Sam: Ja. Worte. So so. Und was ist das?
Jonas: Was ist was?
Sam: Da draußen. Guck mal aus dem Fenster.
Jonas: Der Kommandohubschrauber setzte zur Landung an. Der Transporter flog weiter. Stur gerade aus. Über den Platz. Über das Reservat. Über die Stadtgrenze. Immer weiter. In die Wüste.
Sam: Bis daß der Sprit alle ist.
Jonas: Und dann, Sammy?
Sam: Fällt er runter. Plumps.
Jonas: Du hast das Steuersystem blockiert.
Sam: Klar doch. Nur Worte, he? Nimmst du das eventuell zurück?
Jonas: Später, Sammy. Falls ich noch dazu komme.
Sam: Dann ist die Sache für mich erledigt.
Jonas: Der kleine Helikopter ist gelandet.
Sam: Damit müssen wir uns abfinden, Majestät. Speziell gesichertes System. Auf die schnelle nicht zu knacken.
Jonas: Ein kleiner Mann in grau steigt aus.
Sam: Ja. Costa.
Jonas: Und zwei Schwarze. Mit Maschinenpistolen. Von hier aus kann ich gar nichts machen, Sammy. Der Laser reicht nicht so weit. Der Revolver auch nicht. Costa hat ein Megafon.
Costa: Jonas, nur Jonas, Ihre Lage ist hoffnungslos. Kommen Sie raus. Langsam, die Hände über dem Kopf.
Sam: Ja, tu, was er sagt, Lahmgesäß.
Jonas: Ach ja, damit sie mich in aller Ruhe abknallen können? So nicht, Sammy. Ich komm raus, aber anders. Im Laufschritt, eine Waffe in jeder Hand. Ich mach denen da draußen Feuerwerk.
Sam: Hehe, wie weiland Butch Cassidy und Sundance Kid.
Jonas: So hab ich wenigstens eine kleine Chance.
Sam: Naja, 1 zu 3. Prädikat: Weniger empfehlenswert.
Jonas: Weißt du was besseres?
Sam: In der Tat, o leicht getrübte Leuchte des Weltalls. Denn merke: Die Holoprojektoren auf dem Giganthotel werden von einem nicht eben schwierig zu infiltrierendem System gesteuert. Es lebe die Illusion. Vertrau auf Sam.
Jonas: Muß ich wohl.
Costa: Kommen Sie raus, Jonas.
Sam: Der ist ja immer noch da.
Jonas: Jonas kam, Hände hoch, langsam. Schritt für Schritt. Costa wartete und sah mich an. Zufrieden.
Costa: Sehr vernünftig, Jonas, so geht es wenigstens schnell. Sie ersparen mir Zeit und sich selbst unnötige Quälerei. Kommen Sie näher. Noch näher. Ich hatte Sie immer im Auge, Jonas, seit Sie zurückgekommen sind. Ich wußte, daß Frau Delgado Sie in Interna der Sicherheitsverwaltung eingeweiht hatte, gegen jede Vorschrift. Darum mußte ich auf dem laufenden sein, was Sie betraf. Wenn irgendwo in meiner Nähe ein Haufen Scheiße rumliegt, dann will ich wissen wo, damit ich nicht reintrete. Kommen Sie näher.
Jonas: Sie sind schon reingetreten, Costa.
Costa: Noch näher, Jonas.
Jonas: Sie stinken zum Himmel.
Costa: Das genügt. Machen wir ein Ende.
Jonas: Sammy?
Sam: Vertrau auf Sam.
Costa: Jonas? Was ist? Wo sind Sie?
Jonas: Ich war noch da, an der selben Stelle. Aber Costa sah mich nicht. Er sah ein wogendes Kornfeld unter strahlend blauem Himmel. Eine Holoillusion, die Sam zwischen uns gestellt hatte. Durchsichtig, von meiner Seite, nicht von seiner. Er sah sich um, verwirrt. Seine beiden Trabanten fingen an, in die Gegend zu ballern. Das ging nicht. Zwei Schüsse aus meinem Laserstrahler, und dann war da nur noch Costa. Und Jonas. Und natürlich Sam, der mit den Holoprojektoren spielte.
Sam: Urwald. Haha.
Jonas: Voller Begeisterung.
Sam: Meer. Hahahaha.
Sam: Wüste. Hahaha.
Sam: Eine wunderschöne grüne Wiese.
Costa: Hören Sie auf, Jonas, zeigen Sie sich.
Sam: Knips ihn ab, Knödelfies, oder willst du ihn laufen lassen?
Jonas: Nein. Aber erschießen wollte ich ihn auch nicht. Das war zu wenig. Zu leicht. Es war dunkel geworden. Sie waren nicht deutlich zu erkennen. Schattenhafte Bewegungen. Kalkweiße Flecken unter den Ruinen. Nachtmenschen. Der Trubel hatte sie angelockt, die Helikopter. Die Schüsse. Die Projektionen. Sie warteten am Rand, an der Grenze zum Reservat. Sie warteten und lauerten. Hungrig. Voller Gier.
Jonas: Wir sollten sie nicht enttäuschen, Sammy. Setzen Sie sich in Bewegung, Costa. Los.
Costa: Nein, nein.
Sam: Schieß ihm in die Haken.
Costa: Au.
Jonas: Das ist die Richtung Costa. Sehr gut. Und noch einen Schritt.
Costa: Nein.
Sam: Doch.
Jonas: Na also. Und noch einer. Für die toten Geiseln und für die Stadtguerilla und für die unschuldigen Opfer. Und jetzt ein großer Schritt für Judith Delgado.
Costa: Nein, Jonas, bitte.
Jonas: Und noch ein Schritt für Judith und noch einer und noch einer. Und jetzt der letzte Schritte.
Costa: Nein. Nein. Au!
Jonas: Gesegnete Mahlzeit.
Sam: Mahlzeit Chef. Ob er ihnen wohl bekommen wird?
Jonas: Nachtmenschen. Sicherheitspräsidenten. Schwarze Killer. Terroristen. Große Fische. Kleine Fische. Fressen und gefressen werden. Sehr lehrreich und symbolisch. Es wurde ruhig. Um uns lag Babylon. Babylon die große Stadt. Unermeßlich. Unerschütterlich. Unbeeindruckt.
Sam: Durch die Straßen der Stadt dadadadadadada, geht ein einsamer Mann, babababababa, ja das ist der Euroblues, dudidudidudi, der zieht aus die Schuhes, bambobambobam, die Strümpfe dazu, schlaf Judith in ewiger Ruh, babababaa, durch die Straßen der Stadt durch die Straßen Straßen Straßen Straßen geht ein einsamer Mann, ja das ist der Euroblues, badi, schlaf Judith, schlaf in ewiger Ruh.
Jonas: Gehen wir nach Hause, Sammy.
Sam: Ok. Ok Ok Ok Ok.
Das war Euroblues. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Ilse Zielstorf, Helmut Stange und viele andere (Claudius Zimmermann, Helga Engel, Eduard Linkers, Hans Stetter, Werner Klein). Ton und Technik: Irene Thielmann und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Werner Klein. (Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks) (1990). (Redaktion: Erwin Weigel).
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