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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Schlachthaus
Jonas: So fangen die meisten meiner Fälle an: Ein Typ sitzt in meinem Büro, rutscht auf dem Stuhl rum, und weiß nicht so recht, ob er mir überhaupt erzählen soll, weshalb er gekommen ist. Wie gesagt, so fangen die meisten meiner Fälle an. Dieser nicht.
Oberkellner: Darf ich Ihnen jetzt die Speisekarte vorlegen, mein Herr?
Jonas: Ich warte noch.
Oberkellner: Gestatten Sie mir die Bemerkung, mein Herr, Sie warten bereits eine halbe Stunde. Wenn Sie schon nicht essen wollen, dann vielleicht wenigstens noch einen Whiskey?
Jonas: Danke. Wissen Sie, falls meine Verabredung nicht kommt, muß ich die Rechnung selber zahlen. Und bei Ihren Preisen...
Oberkellner: Verstehe. In diesem Fall muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihr Tisch benötigt wird.
Jonas: Ach, wann?
Oberkellner: In wenigen Minuten, mein Herr, praktisch sofort.
Jonas: Dieser Fall fing damit an, daß ich auf dem Stuhl rumrutschte. Und nicht bei mir im Büro. In einem Lokal. Nicht in irgendeinem Lokal. Das Escargot war ein feines Lokal. So fein, daß es sich sogar einen menschlichen Oberkellner leistete. Nicht das richtige Ambiente für Jonas. Der ist eher an den Fressomaten um die Ecke gewöhnt. Datum der Rutscherei, nicht daß es irgendwie wichtig wäre, 20. September 2009.
Oberkellner: Darf ich Sie bitten, auszutrinken, mein Herr.
Jonas: Sie schmeißen mich raus.
Oberkellner: Wenn Sie es so auszudrücken wünschen, mein Herr.
Brendel: Jonas, nehm ich an.
Oberkellner: Sie sind mit diesem... diesem Herrn verabredet, Herr van...
Brendel: Pst. Pst. Josef. Keine Namen. Bringen Sie mir ein Glas Wasser. Und die Speisekarte.
Oberkellner: Glas Wasser, Speisekarte, sehr wohl, Herr äh...
Brendel: Pst. Sie sind pünktlich, Jonas. Das freut mich.
Jonas: Sie sind unpünktlich. Und Sie haben mir am Fon einen falschen Namen genannt. Sie heißen nicht Pankreas.
Brendel: O nein, zum Glück nicht.
Oberkellner: Das Glas Wasser, bitteschön, die Speisekarte, Herr...
Brendel: Pst. Hechtklößchen. Lammrücken. Trodosie. Alles synthetisch natürlich, aber ich versichere ihnen, so ausgezeichnet zubereitet, daß Sie den Unterschied kaum spüren. Walsteak a la Ninive. Wäre das nicht was für Sie, Jonas?
Jonas: Witzig. Wünsche guten Appetit.
Brendel: Aber mein Bester, nicht gehen. Bitte. Sie müssen mich verstehen. Ich bin ein bißchen nervös. Und vorsichtig. Mit Menschen Ihres Schlages habe ich mich noch nie abgeben müssen.
Jonas: Das wäre auch unwahrscheinlich gewesen. Ich bin nämlich der letzte. Der letzte Privatdetektiv. Und der einzige. Wenigstens in Babylon. Konkurrenzlos. Ein aussterbender Beruf. Wer braucht schon einen Detektiv?
Brendel: Ich. Ich brauche einen. Einen Privatdetektiv. Tüchtig. Diskret.
Jonas: Möglichst stubenrein.
Brendel: Und nicht all zu vorlaut. Unter welchem Sternbild sind Sie geboren, Jonas?
Jonas: Stier. Warum?
Brendel: Ich bin Krebs. Ich bin Krebs, und ich habe Krebs. An der Bauchspeichel-drüse. Deshalb mein Pseudonym, Pankreas. Bauchspeicheldrüse. Verstehen Sie?
Jonas: Er war ein Witzbold. An der Oberfläche. An der gut frisierten, mani- und pedikürten, nach letzter Mode drapierten und bemalten Oberfläche. Darunter hatte er scheußliche Angst.
Brendel: Ich muß eine neue haben. Eine neue Bauchspeicheldrüse. Dringend.
Jonas: Und wo ist der Haken?
Brendel: Tja, kurz gesagt, ich habe den falschen Beruf.
Jonas: Was machen Sie?
Brendel: Ich bin Psychagoge.
Jonas: Welche Richtung? Klassisch, anal, para, meta, hypo?
Brendel: Para. Meine Spezialität ist der Tarot. Aber ist stelle auch Horoskope. Eurasisch, chinesisch, kalifornisch, wie Sie wollen.
Jonas: Parapsychagoge. Dann ist Ihr sozialer Nützlichkeitsstatus so um die 2 oder 3.
Brendel: 2, 25. Genau.
Jonas: Nur ein Ideechen besser als ein Privatdetektiv. Sie stehen also auf Orgalist ganz unten.
Brendel: Und wenn ich dran bin mit der Zuteilung, dann brauch ich keine Bauchspeicheldrüse mehr, dann bin ich schon längst in der Vase.
Jonas: Vermutlich.
Brendel: Nun ist aber andererseits die Parapsychagogie recht lukrativ, darum habe ich mir überlegt, ich meine, ich dachte, da gibt es doch so was wie, ich meine, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll...
Jonas: Er war so mysteriös wie ein gelöstes Kreuzworträtsel. Sehr schön. Merken. Fürs Poesiealbum des Detektivs.
Jonas: Sagen Sie einfach Schwarzmarkt. Schwarzer Organmarkt.
Brendel: Genau. Das meine ich. Aber weil ich mich in solchen Sachen überhaupt nicht auskenne...
Jonas: Soll ich Ihnen ein Organ organisieren.
Brendel: Köstlich. Sie haben den Nagel mitten ins Gesicht getroffen. Scherz beiseite. Sie, Jonas, besorgen mir eine Bauchspeicheldrüse. Wie immer. Wo immer. Keine Fragen. Keine Probleme. Sie liefern. Ich zahle. Jeden vernünftigen Preis. Und ihr Honorar natürlich.
Jonas: 80 Euros pro Tag und Spesen.
Brendel: Nicht gerade wenig. Was tun Sie dafür?
Jonas: Nicht gerade wenig. Alles, was ich mit meinem Gewissen vereinbaren kann.
Brendel: O, Sie haben ein Gewissen? Wie entzückend altmodisch. Und, können Sie?
Jonas: Kann ich was?
Brendel: Meinen Auftrag mit Ihrem Gewissen vereinbaren?
Jonas: Im Prinzip, ja. Nicht 100-prozentig, aber 90 Prozent waren ja auch nicht so schlecht. Wenn ich auf dem Schwarzmarkt eine Bauchspeicheldrüse auftrieb, dann schadet dies schließlich keinem, dachte ich, im Gegenteil. Ich rettete dem pseudonymen Herrn Pankreas das Leben. Geld brauchte ich auch, ich brauche immer Geld. Also ja, dachte ich. Aber ich sagte nicht ja. Noch nicht.
Jonas: Ich werde es mir überlegen. Wissen Sie, ich bin auch vorsichtig. Mit Leuten Ihres Schlages halte ich mich ein bißchen zurück. Ich rufe Sie an, heute noch.
Brendel: Sie wissen doch gar nicht, wer ich bin.
Jonas: Ich bin Detektiv.
Jonas: Das verschlug ihm den Appetit, und er ging. Leicht verstört. Ich wartete noch einen Moment. Ich hatte meine Gründe.
Oberkellner: Sie gestatten, daß ich abräume, mein Herr.
Jonas: Wer war das?
Oberkellner: Der Herr, mit dem Sie verabredet waren? Bedaure, mein Herr. – Ein ganzer Euro? Vielen vielen Dank, mein Herr, aber ich bin nicht bestechlich. Außerdem hat Herr... die Rechnung bereits beglichen. In äußerst großzügiger Weise.
Jonas: Sie irren sich, alter Freund, das ist keine Bestechung und auch kein Trinkgeld.
Oberkellner: Sondern?
Jonas: Kaufpreis. Für das hier. Mehr ist es sicher nicht wert.
Oberkellner: Mein Herr, erlauben Sie. Sie können doch nicht einfach ein Glas einstecken.
Jonas: Das Wasserglas, aus dem Pankreas getrunken hatte. Voller Fingerabdrücke und Speichelspuren. Die Visitenkarte meines Auftraggebers. Ich war ein gebranntes Kind. Gerade in letzter Zeit hatte ich ein paar Fälle erlebt, in denen die Auftraggeber versucht hatten, mich reinzulegen. Aber hier war, wie es aussah, alles OK. Vorläufig.
Sam: Hinterlasser der Fingerabdrücke bzw. Speichelspuren heißt Julian van Brendel. Bürgernummer 77 M 03 03 1961.
Jonas: Beruf?
Sam: Parapsychagoge.
Jonas: Status?
Sam: 2,25, o Stern von Bethlehem.
Jonas: Ich darf vorstellen. Computer, Typreihe Doktor, Versuchsmodell Chrysostomus, McCoy Incorporated, Baujahr 2005, Rufname Sam. Fähigkeiten: fast unbegrenzt. Fehler: nur einer. Sam leidet an verbaler Überfütterung. Er hat zu viele Sprachprogramme im Speicher, und er kommt damit nicht so richtig klar. Ansonsten ist er ein Goldstück. Wenn man sich an seine Ausdrucksweise gewöhnt hat. Und das ist nicht leicht.
Jonas: Jonas hier, ich übernehme den Auftrag, Herr van Brendel, die Bedingungen kennen Sie, ich rufe Sie wieder an. – Hoffentlich bald. Wie kriege ich möglichst schnell einen Fuß in den schwarzen Organmarkt, Sam?
Sam: Keinesfalls über die normalen Datenbänke, euer Wohlerzogenheit. Da in den selben keinerlei Informationen in Bezug auf illegale Praktiken zu finden sein dürfte.
Jonas: Weiß ich selbst, Sam. Dazu brauche ich keinen Computer. Also hintenrum.
Sam: Jawohl, Chef, von hinten durch die Brust ins Auge, haha.
Jonas: Ebenfalls Haha. Frage: wie?
Sam: In der Tat, Prinz Eisenherz, dies ist die Frage.
Jonas: Wie wäre es denn mit der HyPo?
Sam: Darf ich euer Lordschaft zu dero fast überirdischer Auffassungsgabe beglückwünschen. Die Sache hat nur einen ganz ganz kleinen Haken: Den Code für die Datenbank der Hygiene-Polizei kenne ich zu meinem Bedauern nicht.
Jonas: Du nicht, Sammy, aber ich kenne...
Sam: Sie Meister? Kann ich es glauben?
Jonas: Laß mich doch ausreden. Ich kenne jemand, der ihn kennt.
Sam: Diese Frau?
Jonas: Ganz recht, Sam. – Hallo, Judith!
Jonas: Judith hatte ich vor einem halben Jahr kennen gelernt. Beim Testmarktfall. Als ich mich zum ersten Mal mit Frau Professor Caligari anlegte. Oder Caligari mit mir, wie man’s nimmt. Judith war meine Klientin, und wurde meine z.B., meine zeitweilige Beziehung. Ob das ein Gewinn für sie ist, weiß ich nicht. Bei der Testmarktsache hat sie 100.000 Euros kassiert, und das war ein Gewinn. Judith ist beim Ministerium für Statistik und Soziographie. In höherer Position. Sie weiß deshalb mehr als andere. Für einen Detektiv kann das ab und zu nützlich sein.
Judith: Wir sind verabredet, Jonas. Heute Abend im Freiluftpark.
Jonas: Ja, hör mal Judith...
Judith: Ich muß dir was erzählen. Ich soll befördert werden.
Jonas: Schön für dich. Ich hab ein kleines Problem.
Judith: Ich müßte mich allerdings versetzen lassen zur Abteilung Öffentliche Sicherheit.
Jonas: Zur Polizeiverwaltung?
Judith: Ja. Ja.
Jonas: Tu das Judith.
Judith: Ich weiß nicht so recht.
Jonas: Aber sicher. Was meinst du, wo du dann erst überall rankommst. Apropos.
Judith: Du denkst nur an dich, Jonas.
Jonas: Ich denke an meine Fälle, das ist was anderes. Sag mal, Judith, wo würdest du hingehen, wenn du eine neue Bauchspeicheldrüse brauchst?
Judith: Wieso?
Jonas: Illegal, meine ich.
Judith: Du brauchst keine neue Bauchspeicheldrüse, du brauchst ein neues Herz. Und eine neue Beziehung.
Jonas: Trotzdem hat sie mich eine Stunde später angerufen, und mir eine Adresse gegeben.
Judith: After Eight. Das ist eine Bar am oberen Markgrafenboulevard. Der Besitzer heißt Guttapercha. Archimedes Guttapercha.
Jonas: Guttapercha. Weißt du, Judith, unsere Verabredung heute Abend...
Judith: Fällt aus. Alles fällt aus. Bis auf weiteres.
Jonas: Ich hatte das dringende Gefühl, ich sollte über Judith und über mich, und über uns beide mal gründlich nachdenken. Später. Julian van Brendel wartete auf seine Bauchspeicheldrüse. Und ich mußte zum oberen Markgrafenboulevard.
Barkeeper: Was trinken Sie?
Jonas: Whiskey.
Barkeeper: Synth oder echt?
Jonas: Sie haben echten?
Barkeeper: Was Sie wollen. Schottischen. Irischen. Bourbon. 25 Euros.
Jonas: In letzter Zeit verkehrte Jonas vorwiegend in besseren Kreisen. Da wo das Leben furchtbar teuer ist, und ungeheuer exklusiv. Ich bestellte einen doppelten Synth. Der Barkeeper goß ein und verachtete mich. So sehr, daß er mich überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nahm. Ich ging auf Wanderschaft. Durch die Hintertür, an der Privat dranstand, über einen Flur, zu einer angelehnten Tür, hinter der jemand am Bildfon sprach. Durch den Türspalt hörte ich ein bißchen mit.
Guttapercha: Nur eine kurze Verzögerung, Frau Professor. Ein, zwei Tage höchstens. Gegen Sturm kann man nichts machen. Sturm ist höhere Gewalt.
Caligari: Das interessiert mich nicht. Wir haben einen Vertrag.
Guttapercha: Ja selbstverständlich, Frau Professor, aber...
Caligari: Alles ist präpariert. Ich muß die Ware haben. Jetzt. Sobald sie in Babelshafen ausgeschifft wird...
Guttapercha: Ja, laß ich sie auf schnellstem Wege zu Ihnen ins Krankenhaus bringen, Frau Professor.
Jonas: Frau Professor, und diese Stimme? Was das nicht... Tatsächlich, Frau Professor Caligari. Ich konnte sie deutlich erkennen durch den Türspalt, auf dem Monitor des Bildfons. Was hatte die Chefin von ZIP, vom Zentralinstitut für Populationsforschung, in meinem neuen Fall zu suchen? Das gefiel mir gar nicht.
Caligari: Also, Guttapercha, ich verlaß mich auf Sie. Und wehe Ihnen, wenn ich mich irre.
Guttapercha: Jawohl, Frau Professor, selbstverständlich, Frau Professor. Widerliches Weib. – Ja, kommen Sie rein, die Tür ist auf. – Was wollen Sie?
Jonas: Eine Bauchspeicheldrüse kaufen.
Guttapercha: Und wer sind Sie?
Jonas: Jemand, der `ne Bauchspeicheldrüse kaufen will. Und bar bezahlen.
Guttapercha: Sie haben Pech.
Jonas: Wieso? Bin ich falsch bei Ihnen?
Guttapercha: Nein, bei mir kriegen Sie jedes gewünschte Organ. In bestem Zustand. Bei mir. Nur bei mir.
Jonas: Wo liegt das Problem?
Guttapercha: Es ist nichts da. Alles ausverkauft. Ich warte auf neue Ware. Kann jeden Moment kommen. Rufen Sie mich morgen an. Und jetzt raus mit Ihnen. Falls Sie nicht lesen können, an der Tür da vorn steht privat. Raus mit Ihnen, hab ich gesagt.
Jonas: Noch eine Frage: Mit wem haben Sie eben foniert?
Guttpercha: Meine Assistenten, Mr. Crap und Mr. Turt. Und der Typ hier ist ein neugieriger Zeitgenosse, der zu viele Fragen stellt. Ihr begleitet ihn zur Straße.
Mr. Crap: Friedlich, Chef?
Guttapercha: Wenn er friedlich ist.
Mr. Crap: Alles klar, Chef. Kommen Sie mit.
Jonas: Die beiden sogenannten Assistenten mit den ansprechenden Namen setzten mich freundlich vor die Tür. Und weil es spät war, und ich nichts Besseres vorhatte, ging ich nach Hause. Apartment plus Büro, 22 Quadratmeter. Trautes Heim. Ich dachte nach. Welche Verbindung bestand zwischen einer mächtigen Geheimorganisation wie ZIP und dem schwarzen Organmarkt? ZIP wollte das Überbevölkerungsproblem beseitigen, in dem es die Bevölkerung beseitigte. Wenigstens teilweise. Und der Schwarzmarkt tat genau das Gegenteil. Ich sah nicht durch. Und Sam auch nicht. Unzureichende Daten. Das sagt er immer, wenn er keine Ahnung hat. Am nächsten Morgen rief ich Guttapercha an.
Guttapercha: Problem inzwischen bereinigt. Ihre Bauchspeicheldrüse ist da.
Jonas: OK, ich komm gleich rüber.
Guttapercha: Nein, morgen Vormittag.
Jonas: Warum soll ich solange warten?
Guttapercha: Weil ich es sage.
Jonas: Merkwürdig. Aber wie auch immer. Offensichtlich ist neue Ware eingetroffen. In Babelshafen. Das heißt, übers Meer. Und das heißt...
Sam: Mit dem Schiff, Herr und Meister.
Jonas: Wenn ich dich nicht hätte, Sammy. Sieh doch spaßeshalber mal nach, was für Schiffe zwischen gestern Abend und heute früh in Babelshafen eingelaufen sind.
Sam: Piep. Nur ein einziges, o Großadmiral der sieben Meere. Der Superkühlfracht-segler El Präsidente Tabasco. Aus Costaguana. Um 18 Stunden verspätet. In aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um das Transportmittel der schwarzen Organe.
Jonas: Ich will’s genau wissen, Sam. Mach ne Querverbindung. Landungen dieses Kühlschiffs aus Costaguana, sagen wir, im letzten Jahr, und Aktivität auf dem schwarzen Markt. Du hast doch jetzt den Hypo-Code von Judith.
Sam: Aye Aye Sir.
Jonas: Ergebnis: Einen Tag nach Einlaufen der Präsidente Tabasco brach auf dem Schwarzmarkt munteres Treiben aus. Jedesmal. Die Sache war klar. Aber ich wollte es noch genauer haben.
Jonas: Und jetzt noch ein kurzer Blick in die Frachtpapiere. – Ja was ist, Sam?
Sam: Einen Augenblick Geduld, erhabener Hafenkommandant. Piep. Piep. Information nicht zugänglich.
Jonas: Nanu.
Sam: Höchste Geheimstufe. Unbekannter Code. Und Aua...
Jonas: Was hast du, Sammy? Was ist passiert?
Sam: Ein elektronischer Hinterhalt. Infro-Anfrage wurde abgefangen und zurückverfolgt.
Jonas: Sicher, Sam?
Sam: Leider ja, Wahna. Sam zerknittert, Wahna. Erwischt auf falschem Fuß. Sam glauben nur Routine, Wahna. Sam können nicht ahnen großes Geheimnis im Busch.
Jonas: Krieg dich wieder ein, Sammy. Passiert ist passiert.
Jonas: Knappe 24 Stunden später tanzte ich im After Eight an, um dort meine Drüse abzuholen. Ober-Organu Guttapercha steckte 3000 Euros ein, drückte mir einen Kühlbehälter in die Hand, und damit wollte ich gleich zu van Brendel, wie es sich gehört für einen braven Privatdetektiv.
Guttapercha: Sie bleiben noch einen Moment hier, Jonas.
Jonas: Danke, ich hab’s eilig. Ich möchte nichts trinken.
Guttapercha: Zu trinken kriegen Sie auch nichts. Sie kriegen was anderes. Nämlich das!
Jonas: Ah!
Jonas: Ehe ich was unternehmen konnte, hatten sie mich schon fest im Griff. Die Herren Crap und Turt.
Guttapercha: Ich habe es Ihnen schon mal gesagt, Jonas. Sie sind zu neugierig, Sie und Ihr gottverdammter Computer. Sie interessieren sich für Sachen, die gefährlich sind. Sehr gefährlich.
Jonas: Das... das war wirklich reine Neugier. Nichts Ernstes.
Guttapercha: Wissen Sie was, Jonas, das glaube ich Ihnen sogar. Ich gebe Ihnen einen Rat. Vergessen Sie die Präsidente Tabasco und alles was damit zusammenhängt.
Jonas: Aber gerne, schon vergessen.
Guttapercha: Ob ich Ihnen das auch so ohne weiteres glauben kann. Sicherheitshalber werden wir Ihnen eine kleine Erinnerung mit auf den Weg geben, ein Denkzettel, wie man so sagt. Wenn ich bitten darf, Mr. Crap, Mr. Turt.
Mr. Crap: Jawohl, Chef.
Guttapercha: Langsam, haut ihn nicht gleich zum Krüppel. Denkzettel habe ich gesagt, eine freundschaftliche Abreibung, mehr nicht.
Mr. Crap: Schade.
Jonas: Nach der Abreibung ließen sie mich laufen. Mit der Bauchspeicheldrüse. Laufen konnte ich noch, und auch sonst war ich noch einigermaßen beieinander. Kleinere Betriebsunfälle steckt Jonas weg, ohne mit der Wimper zu zucken. Nachdem ich mich mit einem dreistöckigen Whiskey erfrischt hatte, rief ich meinen Auftraggeber an, und bestelle ihn zu mir.
Jonas: Bitte sehr. Einmal Pankreas on the rocks.
Brendel: Wunderbar, ganz wunderbar. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin. Hatten Sie Schwierigkeiten?
Jonas: Ein bißchen.
Brendel: Aber das hat Sie nicht abgehalten. Sie nicht. Sie haben die Sache großartig gemacht, Jonas. Wie, will ich gar nicht wissen. Was kriegen Sie?
Jonas: Insgesamt drei Tage zu je 80 Euros, das macht, äh... äh Sam?
Sam: Äh, äh, 240 Euros, o Gaus, Euklid nebst öh, Einstein. Plus 270 Euros Spesen, welche sich zusammensetzen wie folgt...
Brendel: Nicht nötig, geschenkt. Mein Computer wird Ihrem Computer den Betrag sofort gutschreiben. Dazu einen Bonus von 300 Euros, weil Sie so tüchtig waren, und so fix.
Jonas: Na bitte. Es gab eben noch wahre Dankbarkeit unter den Menschen. Ich war um runde 600 Euros reicher. Und das wär’s gewesen. Aber ich war nicht nur reicher, ich war auch stur. So stur wie der alte Phil Marlowe. Mindestens. Für mich war die Sache noch nicht zu Ende.
Sam: Costaguana, o starker Atlas, der du die Welt weder auf den Schultern trägst noch im Kopfe, Costaguana ist ein kleiner Staat in Zentralamerika. Eine sogenannte Bananenrepublik. Bevölkerung: ca. 23 Millionen. Export tropische Früchte. Keine Industrie. Regierungsform: Präsidentschaft ohne Parlament.
Jonas: Besondere Kennzeichen: keine. Und da kommen also Organe für unseren schwarzen Markt her, in Mengen. Interessant. Was hätte Marlowe in meinem Fall gemacht, Sam?
Sam: Nachgehakt, Chef, nachgebohrt.
Jonas: Dann bohren wir doch mal ein bißchen. Wieviel habe ich auf dem Konto?
Sam: 1102 Euros, o du mein Nabübchen.
Jonas: Soviel?
Sam: Die Abfindung im Reservatsfall ist noch immer nicht zur Gänze ausgegeben, o König Midas, oder meine ich Krösus?
Jonas: A ja. Das dürfte reichen, Sammy.
Sam: Wofür, euer Wohlhabenheit?
Jonas: Costaguana. Hin und zurück.
Sam: Nie im Leben, Kumpel. Schon der einfache Flug mit Chemorock...
Jonas: Chemorock. Wer spricht denn von Chemorock. Bin ich Millionär? Schiff, Sammy, Lastensegler. Damit fahren wir rüber nach Costaguana, und sehen uns da mal ein bißchen um. Und wenn bei der Organgeschichte nichts rauskommt, dann machen wir vielleicht ein paar Tage Urlaub.
Sam: Urlaub. Blauer Himmel. Weißer Sand. Grüne Palmen.
Jonas: Meinst du, so was gibt’s noch in Costaguana?
Sam: In der Sonne liegen. Im Meer baden.
Jonas: Baden. Im Meer. Jetzt spinnst du aber wirklich, Sam. Wir leben doch nicht mehr im 20. Jahrhundert. Zurück in die Gegenwart, marsch marsch.
Sam: Jawohl, Herr General. Erlaube mir den Hinweis, als eines von nur noch drei Ländern auf dieser unserer Erde, huldigt Costaguana dem atavistischen Visumzwang. Derohalb und Dessentwegen...
Jonas: Werden wir ein Visum beantragen müssen, Sam. Wo?
Sam: Im Costaguanesischen Generalkonsulat zu Babelshafen, Exzellenz.
Jonas: Ich rief an, und erfuhr, ich müßte mir das Visum persönlich abholen. Also auf nach Babelshafen. Mit der Druckluftpost im Metallzylinder, auch bekannt als Sardinenbüchse. Weil jeder Passagier sich auf nur einem viertel Quadratmeter einrichten muß. 10 Minuten zischten wir durch die Röhre. Und ich war da. In Babylons Tor zur Welt. Am Ufer des nordischen Meerbusens. Die übliche Hafen-Atmosphäre. Wellen und Wind. Die Silhouetten der riesigen computergesteuerten Frachtsegler an den Kais. Nur die Möwen fehlten. Die Kneipen voll von leichten Mädchen und leichten Jungs für Seemänner und Seefrauen. Irgendwo dazwischen lag das Generalkonsulat von Costaguana. Und hier sah sich der Typ hinter dem Schreibtisch meine Bürgerkarte an, als hätte ich ihm einen abgelaufenen philippinischen Paß in die Hand gedrückt.
Konsulatsbeamter: Jonas, hhm. Leider kann Ihnen das Visum nicht sofort ausgestellt werden, Senior, eine technisch bedingte Verzögerung. Sie verstehen.
Jonas: Nein. Wann kann ich das Visum kriegen. Maniana?
Konsulatsbeamter: Ich bitte Sie, Senior. Nur ein paar Minuten. Wenn Sie solange im Nebenzimmer Platz nehmen würden. Die rechte Tür.
Jonas: Ah!
Jonas: Die Sonne machte einen jähen Kopfsprung hinter den Horizont, der Mond raste über den Himmel, die goldenen Sternlein prangten, es wurde plötzlich Nacht, und ich legte mich zur Ruhe. Irgendein Zeitgenosse hatte mir ein höchst wirksames Schlafmittel über den Schädel gezogen. Als ich aufwachte, war es immer noch Nacht. Der Mond schien, das Meer rauschte, und die ganze friedliche Stimmung hatte nur einen Schönheitsfehler. Um mich herum standen die Herren Crap, Turt und Guttapercha. Letzterer hielt einen Laserstrahler in der Hand, die Mündung auf meinem Magen gerichtet. Als ich das im Schein der trüben Hafenfunzeln sah, machte ich die Augen ganz schnell wieder zu.
Mr. Crap: Und was nu, Chef?
Guttapercha: Was schon? Weglasern. Dann ins Wasser mit dem Kerl. Der macht uns keine Schwierigkeiten mehr.
Mr. Crap: OK, Chef, Sie haben den Laser.
Guttapercha: Ich? Also, vielleicht macht das doch besser einer von euch. Crap?
Mr. Crap: Wie Sie wollen, Chef. Dann schmeißen Sie das Ding mal rüber.
Jonas: Mein Stichwort. Ich kam hoch, und bevor die drei was mitkriegten, hatte ich den Laser in der Hand. Amateure. Das heißt, Crap und Turt waren immerhin soweit Experten, daß sie sich ganz schnell in die Büsche schlugen. Guttapercha wollte auch, aber er war ein bißchen zu lahm. Und weil ich gerne einen der Brüder dabehalten hätte, um ihn auszuquetschen, schickte ich ihm einen Laserstrahl nach. Das Knie war gemeint, aber ich war noch nicht voll da, und traf ihn einen guten Meter höher. Guttapercha fiel um, und als ich bei ihm war, lebte er nicht mehr. Ich sah mich um, keiner da, um so besser. Ich räumte ihm die Taschen aus, und dann, was sollte ich machen, rollte ich ihn ins Wasser.
Sam: Die Affäre, o Poposeidon, nimmt ungeahnte, und wie zu bemerken ich mich nicht enthalten zu können glaube, höchst gefährliche Dimensionen an.
Jonas: Sam hatte ich bei mir. Sam habe ich immer und überall bei mir. Natürlich nicht den großen Kasten, der im Büro steht, sondern Sam zwo oder auch Pocket-Sam. Ein Ableger im Miniformat. Guter Rat in jeder Lage, und Gesellschaft dazu.
Jonas: Irgendwer hat irgendwas zu verbergen.
Sam: Und scheut, wie es scheint, selbst vor Mord nicht zurück.
Jonas: Wenn schon. Jetzt erst recht.
Sam: Leicht gesagt, wie wollen Durchlaucht nach Costaguana kommen ohne Visum?
Jonas: Sieh mal an. Ein Dauervisum für Costaguana, ausgestellt auf Archimedes Guttapercha. Schade, daß ich dem Kerl gar nicht ähnlich sehe. Das Holobild läßt sich nicht ändern, leider.
Sam: Das Holobild nicht, wohl aber dero Antlitz.
Jonas: Mein Gesicht? Plasti-Face meinst du?
Sam: Natürlich, Genosse. Andererseits aber auch wieder nicht natürlich, da für euer Gnaden Geldbeutel viel zu teuer.
Jonas: Tja, Sammy, du weißt eben doch nicht alles.
Sam: Wie darf ich das verstehen?
Jonas: Wir haben Bargeld, Sam. Der gute alte Guttapercha, möge er in Frieden schwimmen, hatte einen ganzen Tausender in der Tasche, welchen einem guten Zweck zuzuführen ich nicht zögern werde.
Sam: Majestät wollen sich gesichtsmäßig in Guttapercha umwandeln?
Jonas: Wenn’s zur Wahrheitsfindung beiträgt.
Sam: Amen.
Jonas: In Babelshafen gibt es alles. Auch einen Plasti-Face-Shop, direkt neben dem letzten, in Ehren ergrauten Tätowierer, dem ich im Vorbeigehen einen freundlichen Gedanken widmete. Von Kollege zu Kollege sozusagen.
Angestellte: Ein anderes Gesicht, der Herr? Warum nicht? Öfter mal was Neues, sagten schon unsere Großeltern. Und wie wünschen Sie?
Jonas: So. Wie auf diesem Holo.
Angestellte: Hmh. So wollen Sie aussehen? Wirklich? Unter uns, also ich würde an Ihrer Stelle dann doch lieber das Gesicht behalten, das Sie jetzt auf dem Hals tragen. Nein? Na gut, es ist Ihr Bier und unser Geschäft. Wann paßt es Ihnen?
Jonas: Sofort.
Angestellte: Wollen mal sehen. Ja, zufällig ist ein Platz im Tank frei. Legen Sie ab.
Jonas: Die Prozedur war kurz, teuer und schmerzlos. Ich stieg in den Elektro-Plastik-tank als Jonas, und als ich rauskam war ich, vom Hals ab aufwärts, Archimedes Guttapercha. Mir blieb auch nichts erspart. Ich nahm mir vor, eine Zeit lang nicht in den Spiegel zu kucken. Mit dem neuen Gesicht und mit dem Visum kriegte ich ohne Schwierigkeit ein Ticket nach Costaguana. Ich mußte mich beeilen. Die Präsidente Tabasco wollte gleich ablegen. Vorher rief ich vom Kai aus in Babylon an.
Judith: Hier spricht die automatische Fonbeantwortung Judith Delgado. Sie hören eine Aufzeichnung. Durch einen beruflichen Wechsel bin ich zur Zeit stark in Anspruch genommen und daher vorläufig nicht zu erreichen. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht. Bitte sprechen. Bitte sprechen.
Jonas: Auch Jonas können die Worte fehlen. Meist gerade dann, wenn er sie händeringend braucht. Nichts zu machen. Aufbruch ohne Abschied ist sowieso besser. El Präsidente Tabasco landete pünktlich in El Dorado, der Haupt-, Hafen- und überhaupt einzigen Stadt von Costaguana. Und der Mann mit Guttaperchas Gesicht wurde empfangen wie ein Staatsgast.
Posada: Senior Archimedes Guttapercha, Oberstleutnant Elena Posada, Adjutantin erster Klasse bei seiner Erhabenheit, dem Präsidenten.
Jonas: Tante Gusto Tenjente, stehen Sie bequem.
Posada: Ich habe die Ehre, Sie in Ihr Hotel zu begleiten. Sie werden in Kürze Gele-genheit zu einer Audienz bei seiner Erhabenheit erhalten. Ich darf Ihnen versichern, daß seine Erhabenheit dem Gespräch mit größtem Interesse entgegen sieht.
Jonas: Ich auch. Aber zuerst das Hotel. Eine große Suite. 80 Quadratmeter mindestens. Essen so so, Trinken bestens. Whiskey, echter, nicht Synth. Zur freien Verfügung. Costaguana war ein Schlaraffenland, wenn man Guttapercha hieß, oder wenigstens so aussah. Ich versuchte einen Plan zu machen, aber dazu ging alles viel zu schnell. Eine knappe Stunde später saß ich in einem Benzinauto. So was gab’s noch im wilden Amerika.
Posada: Um der Unterredung den passenden Rahmen zu geben, wünscht seine Erhabenheit, Sie in La Installation zu empfangen.
Jonas: La Installation, was ist das?
Posada: Sie scherzen, Senior Guttapercha.
Jonas: Erstaunlich viel Soldaten haben Sie hierzulande, Oberstleutnant.
Posada: In Costaguana gibt es keine Soldaten, Senior Guttapercha.
Jonas: Ach nein? Und die bewaffneten Uniformierten da draußen?
Posada: Angestellte, Senior Guttapercha, Angestellte im Ministerium für Außenhandel, aber das wissen Sie doch. Sie sind doch nicht zum ersten Mal bei uns.
Jonas: Von da ab hielt ich lieber den Mund. Und sah nur noch stumm aus dem Fenster. Durch die Bananenpflanzungen rechts und links rollten gewaltige Agarautomaten. Die wenigen jämmerlichen Siedlungen dazwischen waren bewacht und eingezäunt. Und eingezäunt oder besser eingemauert war auch unser Ziel, La Installation, was immer das sein mochte. Wir fuhren durch ein bewachtes Tor in der Mauer, und dann lag sie vor uns, die Installation. Mehrere große miteinander verbundene Gebäude, die Fassaden bemalt im schönsten bananenrepublikanischen Barock, dahinter Rohre und Schornsteine, die munter rauchten. Anscheinend eine Art Fabrik. Und über dem Ganzen ein süßer Hauch von Fäulnis.
Posada: Senior Archimedes Guttapercha aus Babylon, Vereinigte Staaten von Europa. Seine Erhabenheit, der Präsident General Don Alfredo Lopez Tabasco de Maricon Ibustament.
Tabasco: Meine liebe Elena, warum so förmlich? Wir kennen uns. Wie geht’s, mein Freund?
Jonas: Danke, Er... Erhabenheit.
Tabasco: Nennen Sie mich Fred. Sie haben abgenommen, Guttapercha. Der Streß, nicht wahr. Immerhin liegt unser gesamter Export in die VSE in Ihrer Hand, in Ihrer bewährten Hand.
Posada: Nicht zu vergessen die Union der Volksrepubliken, Erhabenheit.
Tabasco: Richtig, die UVR haben Sie ja auch. Respekt, mein lieber Guttapercha, Sie sind wirklich unsere Nummer eins drüben, abgesehen natürlich von Frau Professor Caligari, aber die ist eine Klasse für sich, nicht wahr?
Jonas: Seine Erhabenheit war noch jung, und wirkte in seiner edelsteinbesetzten Uniform wie eine Kreuzung aus intergalaktischem Generalissimus und Anmacher vor einem Stimulationsschuppen. Und er redete auch wie ein Anmacher. Ohne Punkt und Komma.
Tabasco: Erzählen Sie, mein lieber Guttapercha, gibt’s was Neues auf ihrem schwarzen Markt? Wie gehen die Geschäfte? Was macht die Korporation?
Posada: Si? Momentico. Für Sie, Erhabenheit.
Tabasco: Danke, Elena. Ja, was. Ja. Nein.
Posada: Noch ein Whiskey, Senior Guttapercha?
Jonas: Warum nicht, danke.
Tabasco: Nein, das mach ich selbst. Lassen Sie Ihr Glas stehen, mein lieber Guttapercha, Sie können später austrinken. Wir machen eine Führung. Eine Führung durch La Installation. Wenn ich mich nicht irre, waren Sie noch nie hier, oder?
Jonas: Nein, Erhabenheit.
Tabasco: Fred, mein lieber Guttapercha. Fred.
Posada: Wünschen Erhabenheit, daß ich die Leibgarde rufe?
Tabasco: Nicht doch, Elena, wir sind unter uns. Unter Freunden. Ein zwangloser Rundgang zu dritt. Informell. Intim. Enmarcha.
Jonas: Durch einen langen Gang kamen wir auf eine Plattform. Nein, eine Plattform war es eigentlich nicht. Eher eine Scheibe aus Plexiglas, durchsichtig und ungeheuer groß. Mindestens 100 mal 100 Meter. Sie war gleichzeitig Fußboden und Decke. Wir standen darauf, und unter unseren Füßen sahen wir einen weiten Raum, durch Zwischenwände unterteilt in viele viele schmale Verschläge. Wie Waben in einem Bienenkorb. In jedem Verschlag hockte oder lag ein Mensch, nackt, reglos, aber atmend.
Tabasco: Betäubt, mein lieber Guttapercha. Ruhiggestellt. Das ist praktisch, human und nicht teuer, weil wir das Opium im Lande produzieren. In erster Linie achten wir natürlich darauf, daß sie tüchtig essen. Wie spät ist es, Elena?
Posada: 17 Uhr 32, Erhabenheit.
Tabasco: Schade. Die nächste Fütterung findet erst in drei Stunden statt. Das hätte ich Ihnen gern gezeigt, mein lieber Guttapercha. Wenn Sie... wenn Sie an diesem Hebel ziehen, öffnet sich im Plexiglas eine Klappe. Hier. Wie Sie bemerken, befindet sich darunter, unter der Klappe, ein Trog. Und in diesen Trog wird von hier oben der Brei gegossen. Wir füttern eine äußerst gesunde Mixtur. Proteine, Eiweiß, Vitamine etc. Schließlich wollen wir unseren guten Kunden und Abnehmern fehlerlose Ware liefern. Abnehmer. Da fällt mir ein, vor wenigen Minuten habe ich übers Telefon eine betrübliche Mitteilung erhalten. Ihre Waffe ist schußbereit, Elena?
Posada: Jawohl, Erhabenheit.
Tabasco: Äh, ja, was wollte ich sagen.
Jonas: Eine betrübliche Mitteilung, Erhabenheit.
Tabasco: Ja.
Jonas: Äh, Fred.
Tabasco: Richtig. Stellen Sie sich vor, unser europäischer Zwischenhändler ist tot. Man hat ihn bei Babelshafen aus dem Wasser gefischt. Ein gewisser Archimedes Guttapercha. Tüchtiger Mann. Wir werden sein Andenken in Ehren halten. – Sie sagen nichts?
Jonas: Was soll ich sagen? Ich bin sprachlos. Ganz offensichtlich eine Falschmeldung.
Tabasco: Das glaube ich kaum. Wenn er eine verdächtige Bewegung macht, Elena, dann schießen Sie.
Posada: Zu Befehl, Erhabenheit.
Tabasco: Sehen Sie, mein lieber falscher Guttapercha, gerade eben haben Sie behauptet, Sie seien noch niemals hier gewesen. Nun hat aber der gute echte Guttapercha La Installation schon mehrmals besucht. Geben Sie auf? Sie müssen dieser Mensch sein, von dem Guttapercha erst kürzlich aus Babylon berichtete. Ein biblischer Name, äh, Josafad, Jonathan...
Jonas: Jonas. Nur Jonas.
Tabasco: Jonas, ganz recht. Sie sind neugierig, mein lieber Jonas. Sie wollen hinter die Kulissen des schwarzen Organhandels sehen. Bitte sehr. Sehen Sie. Das hier ist die Quadra, der Stall. Weiter hinten die Anästhesie. Schonend und human, das kann ich Ihnen versichern. Und das eigentliche Schlachthaus, die Carniserisa. Eine weitgehend automatisch arbeitende Anlage, hygienisch, sauber, auf dem neuesten Stand der Technik. Dann gibt es noch die Speicher und die Kühlsysteme.
Jonas: Danke, das reicht mir.
Tabasco: Aber mein lieber Jonas, seien Sie doch nicht so emotional. Betrachten Sie die Sache vernünftig, mit kühlem Kopf. Costaguana ist ein armes Land. Unser einziger Rohstoff ist der Boden. Und den haben wir schon vor Jahrzehnten verkauft an Bananas Incorporated USA. Ansonsten haben wir Menschen. Menschen im Überfluß. Als Arbeitskräfte sind sie nicht gefragt. Die Bananenplantagen werden vollautomatisch bewirtschaftet. Was tun? Mein verehrter Herr Vorgänger und Vater hatte eine großartige Idee. Auch der Mensch ist Rohstoff und als solcher verwertbar. Zumindest in Teilen. Die eigentlichen Dimensionen dieser seiner Idee sind Papa allerdings noch nicht voll aufgegangen. Er fing klein an, politische Gegner, Guerilleros, die ihm Sorgen machten, wurden nicht mehr wie in alter Zeit an die Wand gestellt und verscharrt. Das, so Papa, sei Verschwendung. Er ließ die Leute zerlegen und verkaufen. Aus solch bescheidenen Anfängen ist inzwischen eine Großindustrie geworden. Die Bevölkerung vermehrt sich fromm und fleißig. Wir haben auf dieser Basis aufgebaut, wir haben erweitert, wir haben investiert, dank der finanziellen Hilfe, die wir über ZIP und Frau Professor Caligari bekommen haben. Und so haben wir vor noch nicht einmal einem Jahr La Installation einweihen können. Ein Musterbetrieb, mein lieber Jonas. In seiner Art einmalig auf der Welt.
Jonas: Das will ich doch hoffen.
Tabasco: Unsere Ware geht in den schwarzen Weltmarkt. Offiziell, das versteht sich, können wir nicht bekannt geben, wie wir produzieren, aber die Regierungen, alle Regierungen, auch ihre, mein lieber Jonas, wissen Bescheid. Nicht nur, daß sie nichts gegen uns unternehmen, sie greifen uns auch hilfreich unter die Arme. Organe zum Transplantieren sind weltweit knapp. Ohne Schwarzmarkt geht es einfach nicht. Wenn es uns nicht gäbe und unsere Lieferungen, dann würde der Nachschub von ihren Kriminellen organisiert werden, und die würden sich die Organe nachts auf den Straßen besorgen. Bevor es dazu kommt, in den VSE, den USA, der UVR, bevor man es soweit kommen läßt, handelt man denn doch lieber mit uns. Ein Marktproblem, mein lieber Jonas, Angebot und Nachfrage. Die Welt, die reiche, die industrialisierte Welt, braucht dringend Organe. Wir haben, wir liefern und wir verdienen. Wir verdienen nicht schlecht. Apropos, wie hoch schätzen Sie sich ein, mein lieber Jonas? Ihr Schweigen, meine ich. Es ist ja nicht unbedingt nötig, nicht wahr, daß alle Welt informiert wird über unsere Organindustrie. Gewisse kuriose Menschen, wie es sie gerade bei Ihnen gibt, könnten Geschrei erheben. Keine ernsthafte Bedrohung, aber doch lästig. Kurz gefragt, mein lieber Jonas, wieviel?
Jonas: Mein lieber Fred, ich bin unbezahlbar.
Tabasco: In diesem Falle, mein bester, werden wir Sie wohl verwerten müssen. Schade.
Jonas: Wir waren noch immer auf der Plattform aus Plexiglas, hoch über den willenlosen Organspendern, zu denen bald auch Jonas gehören sollte. Dagegen mußte was unternommen werden. Ich machte einen Plan. Es war vielleicht kein sehr guter Plan, aber ein besserer fiel mir nicht ein.
Tabasco/Posada: Ah!
Jonas: Ich wartete, bis Präsident und Adjutantin zusammen auf der Futterklappe standen, suchte hinter dem Rücken mit der linken Hand den Hebel, fand ihn, zog daran, die Klappe ging auf, beide stürzten in den Futtertrog und blieben bewußtlos liegen. Ende des ersten Akts. Zweiter Akt. Ich kletterte vorsichtig nach unten, zog sie aus, ein nackter Präsident unterscheidet sich nicht erheblich von einem nackten Pion, legte sie in zwei freie Verschläge und ließ sie an den Enden der Gummiröhrchen lutschen, die in den Opiumtank führten. Die Uniformen versteckte ich unter einer Pritsche. Dritter Akt: Ich stieg wieder nach oben und dachte laut nach, zusammen mit Sam.
Sam: Seine Erhabenheit, der Präsident, wie auch Oberstleutnant Posada, können meinem Meister kaum noch gefährlich werden. Aller Voraussicht nach werden sie unerkannt zu menschlichen Ersatzteilen verarbeitet werden.
Jonas: Sicher, Sammy, aber das ist nicht das Problem.
Sam: Sondern?
Jonas: Wie komme ich hier raus?
Sam: Das sollte dem hochgeehrten Staatsgast Arch... Arch... Archimedes Guttapercha keine Schwierigkeiten machen.
Jonas: Du bist nicht auf dem Laufenden, Sam. Die Story ist geplatzt.
Sam: Hoheit belieben sich in einem Irrtume zu befinden. Wer weiß denn von dero wahrer Identität, doch nur Präsident Tabasco und seine Adjutantin, sonst niemand.
Jonas: Stimmt, Sam. OK, bluffen wir uns raus.
Jonas: Entschlossen marschierte ich durch die Korridore der Installation, und sah keinen Menschen. Bis ich zu dem Raum kam, wo der Kerncomputer der Sicherungsanlage arbeitete, hier stand ein Soldat Wache. Aber bald stand er nicht mehr, er lag. Verschnürt mit einem kräftigen Kabel. Und der geehrte Staatsgast studierte die Anlage.
Jonas: Was hältst du davon, Sam?
Sam: Nun ja, der allerletzte Schrei ist es nicht, aber immerhin der vorletzte.
Jonas: Kommst du rein, Sammy?
Sam: Das wird sich machen lassen. Was befielt mein Herr und Meister?
Jonas: Als erstes unterbrichst du jede Verbindung nach außen.
Sam: Wird gemacht, Chef.
Jonas: Dann müßtest du die elektronische Sicherung auslösen, und festklemmen. Verstehst du. Das niemand mehr raus oder reinkommt. Und daß die Sperre von innen nicht aufzuheben ist.
Sam: Schwierig, aber nicht unmöglich. Vermutlich wünschen Durchlaucht den Komplex vorher zu verlassen.
Jonas: Soviel Zeit mußt du mir schon geben, Sam. In sieben, acht Minuten sollte ich spätestens am Tor sein. In 10 Minuten machst du den Laden dicht, klar?
Sam: Countdown läuft.
Jonas: Bis zum Tor klappte der Zeitplan, aber dann kam Sand ins Getriebe, der Wächter war mißtrauisch, wie Wächter nun mal sind und bewaffnet bis an die Zähne.
Soldat: Halto. Passaporte.
Jonas: Lobenswerte Pflichterfüllung, mein Guter, aber in meinem Fall absolut unnötig. Ich bin Gast seiner Erhabenheit des Präsidenten, machen Sie keine Geschichten, lassen Sie mich durch.
Soldat: Nix. Nur durch mit Pasaporte spezial. Don del passaporte spezial.
Jonas: Ich brauch keinen Sonderausweis. Gott, ist der Kerl stur. Wieviel Zeit haben wir noch, Sammy?
Sam: Acht Sekunden.
Jonas: Also noch mal, Amigo, ich bin Staatsgast, Ehrengast, du mich durchlassen, sonst du erschossen. Bum.
Soldat: No. Hamas. Ho! Alarma!
Jonas: Caramba!
Sam: Eine Sekunde.
Jonas: Ein munteres Durcheinander. Einen Augenblick lang war der Posten verwirrt. Ich stieß ihn zur Seite und machte einen gewaltigen Satz vors Tor. Der Kerl riß einen Flammenwerfer hoch, da sagte Sam zero. Und prompt ging zwischen mir und dem Posten die unsichtbare elektronische Schutzwand runter. Gefahr vorbei, Feuer kam nicht durch. Ich setzte mich in das Auto, das mich hergebracht hatte, und fuhr zurück. Nicht nach El Dorado, sondern an der Stadt vorbei zum Flughafen.
Jonas: Wenn alles klappt, Sam, sind wir in zwei Stunden zuhause.
Sam: Wie dieses, Sahib? Ein Lastensegler?
Jonas: Nichts Lastensegler. Chemorock, Sammy, Chemorock.
Sam: Angesichts der finanziellen Situation euer Majestät dürfte ein Heimflug mittels chemischer Rakete sich als entschieden zu kostspielig erweisen.
Jonas: Ach weißt du, Sam, ich hab schon wieder eine hilfreiche Hosentasche gefunden. Diesmal bei seiner Erhabenheit. Und darin steckt eine dicke Rolle 1000-Peso-Noten. Der Präsident hat nichts mehr davon, und ich kann’s gut gebrauchen. Für Chemorock-Luxusklasse, und für die Costaguanesischen Ausreisebeamten mit den offenen Händen und den zugedrückten Augen.
Sam: Wenn der bescheidene Rechenknecht ein Fazit ziehen darf, Hoheit sind heil in Babylon eingetroffen, haben sich, dem Himmel sei Dank, in Jonas zurückverwandelt, und können einen Reingewinn von rund 7500 Pesos verbuchen. Piep. 232 Euros zum heutigen Umrechnungskurs.
Jonas: Soweit so gut, Sam. Aber der Fall ist noch nicht abgehakt und ausgestanden. Es muß sich doch irgendwas tun lassen gegen den Schwarzmarkt, gegen die Organwirtschaft in Costaguana.
Sam: Und was, o Helfer der Witwen und Waisen.
Jonas: Wenn ich das wüßte, Sammy.
Jonas: Ich rief Judith an. Aber Judith war nicht zu Hause. Ich rief Julian van Brendel an. Weil ich eine dankbare menschliche Stimme hören wollte. Aber der war auch nicht zu Hause.
Jonas: Wer spricht?
Computer: Hier ist der persönliche Computer des Herrn Julian van Brendel. Herr van Brendel ist verschieden.
Jonas: Was? Woran? Wann?
Computer: Herr van Brendel starb am 24. September 2009 während einer Transplantation. Todesursache: Unverträglichkeitsreaktion auf die ihm übertragene Bauchspeicheldrüse.
Jonas: Beileid.
Computer: Hier ist der persönliche Computer des Herrn Julian van Brendel. Herr van...
Jonas: Unverträglichkeit. Und Frau Prof. Caligari. Ich hab so ne Ahnung. Sam!
Sam: Mein Gebieter.
Jonas: Ratio der Todesfälle durch Unverträglichkeit bei Transplantation illegal erworbener Organe.
Sam: Zeitraum?
Jonas: Dieses Jahr. Vom 1. Januar bis heute.
Sam: Kommt sofort, Meister. Piep. Rate besagter Todesfälle liegt um 187 % über dem Durchschnitt des Jahres 2008.
Jonas: 187 %. Das ist es, Sammy.
Sam: Das ist was, o Inbegriff aller Intelligenz.
Jonas: Paß auf. Nach der Ausschiffung kommen die schwarzen Organe nicht gleich auf den Markt, sondern erst zu Frau Professor Caligari, ins Zentralkrankenhaus. Und da werden sie verseucht, vergiftet, unverträglich gemacht, was weiß ich. So schlägt ZIP zwei Fliegen mit einer Klappe. In Costaguana wird die Bevölkerung dezimiert, und bei uns auch. Alles paßt zusammen, Sam. Und jetzt weiß ich auch, was wir tun müssen. Wir bringen die Geschichte unter die Leute.
Sam: Sinnlos, großer Häuptling. Was im Schlachthaus von Costaguana passiert, interessiert hier keinen Menschen, der eine neue Niere braucht oder ein neues Herz.
Jonas: Stimmt schon, Sammy, aber daß er an einer neuen Niere und einem neuen Herzen eingehen wird, das interessiert ihn, da kannst du sicher sein. Und das verbreiten wir. In den Dateien, den Medien, überall.
Jonas: Vorher rief ich noch mal bei Judith an. Aber Judith war immer noch nicht zu sprechen. Jonas war allein. Abgesehen von Sam natürlich.
Jonas: Weißt du, Sam, wie ich mich fühle? Wie ein Bessett, dem man auf die Ohren getreten hat.
Sam: Was, o Herr und Gebieter, ist ein Bessett?
Jonas: Berechtigte Frage, Sammy. Gehen wir an die Arbeit.
Sam: Piep. Wau Wau.
Das war Schlachthaus. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Andrea Dahmen, Peter Fricke, Alexander Malachovsky, Edwin Noel, Günter Sauer und viele andere (Fred Klaus, Wilfried Klaus, Andrea Rosenberg, Heiner Schmidt, Selestino Sanchez, Renate Grosser). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.
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