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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Eurodschungel
Jonas: Er fing schon mies an, dieser 3. Mai 2012. Jacob hatte vor, seinen Schuppen umzutaufen. Nicht mehr Casablanca sollte er heißen, sondern...
Jonas: Wie soll dein Schuppen jetzt heißen?
Jacob: Babylon. Cafe Babylon.
Jonas: Cafe? Du weißt doch gar nicht, was Cafe ist, Jacob.
Jacob: Na und? Cafe hat was. Nostalgie. Klasse.
Jonas: Es gab immer noch den alten Synth-Whisky. Mies und teuer. Es war immer noch das alte Casablanca. Ich fühlte mich wie zu Hause. Müde und mies.
Jacob: Ja? Ja, Moment. Für dich Jonas.
Jonas: Sie können eine Nachricht hinterlassen. Sprechen Sie nach dem Pfeifton. Tüt. Oder pfeifen Sie nach dem Sprechton, wie Sie wollen.
Toivonen: Jonas?
Jonas: Von mir aus können Sie auch summen oder singen.
Toivonen: Sind Sie Jonas? Der Detektiv?
Jonas: Ich mußte es zugeben. Jonas. Nur Jonas. Der letzte Detektiv. Der letzte vom Stamm der Marlowe, Spade, Burma. Und der vielen anderen, die es auch nie gegeben hat. Einzelkämpfer. Einsam und ungebrochen. Der Typ, der für Sie die heißen Kastanien aus dem Feuer holt, ohne Handschuhe, für 100 Euros pro Tag und Spesen und so weiter. Manchmal komm ich mir richtig toll vor. Aber meistens fühle ich mich mies.
Jonas: Jetzt wissen Sie’s. Und wer oder was sind Sie?
Toivonen: Toivonen. Martta Toivonen. Sind Sie frei?
Jonas: Wie ein Vogel.
Toivonen: Ich meine, wären Sie bereit und in der Lage, einen Auftrag zu übernehmen?
Jonas: Ich könnte Sie gerade noch reinquetschen, Frau Toivonen, worum geht’s?
Toivonen: Nicht übers Fon. Kommen Sie zu mir.
Jonas: Wann?
Toivonen: Am besten gleich.
Jonas: Wohin?
Toivonen: Rubinweg 17. Apartment G.
Jonas: Rubinweg. Sie wohnen im Golden Ghetto.
Toivonen: Im High Security Compound für Spitzenkräfte. Ganz recht.
Jonas: Zugang nur mit Spezialpaßscheibe. Lassen Sie eine für mich am Tor hinterlegen.
Toivonen: Ich denke nicht daran. Sehen Sie zu, wie Sie mich erreichen. Wenn Sie der richtige Mann für den Job sind, schaffen Sie es. Viel Glück.
Jonas: Gieß mir noch einen Plastikschnaps ein, Jacob.
Jacob: Kannst du bezahlen?
Jonas: Kommt darauf an.
Jacob: Worauf?
Jonas: Ob ich einen Fall habe.
Jacob: Und? Hast du einen?
Jonas: Kommt darauf an.
Jacob: Worauf?
Jonas: Ob ich ins Golden Ghetto komme.
Jacob: Mit oder ohne Paß?
Jonas: Ohne.
Jacob: Vergiß es. Vergiß den Fall und vergiß die Bestellung.
Jonas: Schreib an, Jacob.
Jacob: Seit Wochen schreib ich an für dich, Jonas. Jetzt ist Schluß.
Jonas: Aber Jonas wollte gar keinen Fall. Jonas wollte im Casablanca sitzen, trinken und sich mies fühlen. Man ließ ihn nicht. Jacob drehte ihm den Hahn zu. Und dann mischte sich auch noch Sam ein.
Sam: Sprung auf, Kamerad, marsch marsch aufs Pferd. Wieher! Die Pflicht gebeut, der leere Beutel schreit zum Himmel.
Jonas: Komm wieder runter, Sammy.
Jonas: Sam saß heute auf dem hohen Roß. Sam ist mein Computer. Es gibt ihn zweimal, dick und fett im Büro, klein und handlich in der Tasche. Sam kann viel. Vor allem reden. Wie drei Dutzend Staubsaugerverkäufer oder wie eine große Bibliothek nach einem Wirbelsturm. Überprogrammiert bis zum verbalen Dauerdurchfall. Das ist Sam.
Sam: Sammy ist groß. Sammy ist mächtig.
Jonas: Wenn er auf den Stuhl steigt, 1 Meter 60. Schluß mit der Blödelei. Jetzt wird gearbeitet. Kategorischer Befehl.
Sam: Was steht zu Diensten, Sir, sagt’s mir an.
Jonas: Wie kommt Jonas ohne Paß ins Golden Ghetto? Kurz und knapp, wenn ich bitten darf.
Sam: Wer wenn nicht ihr, mein Herr und Meister.
Jonas: Warum er Sam heißt, muß ich wohl nicht erklären. Wer sich für Jonas interessiert, kennt auch Casablanca, den alten Film meine ich, nicht Jacobs Kneipe.
Sam: Der High Security Compound oder Golden Ghetto, wie des Volkes Mund ihn so treffendtümlich zu benamsen pflegt rühmt sich eines hochentwickelten ultramodernen superkomplexen elektronischen Schutz- und Sicherheitssystems vom Typ ANK 2020
Jonas: ANK?
Sam: Absolut lamente nicht knackbar, geliebtester Analphabet.
Jonas: Nicht knackbar, wirklich, auch nicht für dich, Sam?
Sam: Gemach, Gevatter, ein System, welches sich von Sam nicht penetrieren ließe, müßte noch erfunden werden.
Jonas: Du kommst also rein.
Sam: Gewiß, Genosse, im Prinzipe.
Jonas: Was heißt das?
Sam: Sammy braucht dazu nur ein ganz klein wenig Zeit.
Jonas: Wieviel?
Sam: Ach, ein Wöchlein nur.
Jonas: Eine Woche.
Sam: Naja, vielleicht auch zwei.
Jonas: Gestorben, Sammy, ich muß heute noch bei dieser Toivonen antanzen.
Sam: Auch in diesem Falle, eure hektische Betriebsnudeligkeit, hat Sam etwas anzubieten, Sam, der Kluge, Sam, der Weise, der stets Rat Wissende, der niemals um einen Ausweg...
Jonas: Is ja gut, Sammy, was schlägst du vor?
Sam: Jonas besorgt sich eine Paßscheibe.
Jonas: Einfach so?
Sam: Einfach so. Von der Zentralen Sicherheitsverwaltung. Allwo eine gewisse hochgestellte Amtsperson...
Jonas: Etwa Judith?
Sam: Ja.
Jonas: Nein.
Sam: Doch.
Jonas: Kommt nicht in Frage.
Sam: Da haben wir’s wieder, Damen und Herren, hochgeschätztes Publikum, der Stolz erhebt sein Haupt, in unlogische irrationale unsinnige, zutiefst menschliche Eigenschaft. Ich frage Sie: Kann man Stolz essen, kann man sich was dafür kaufen?
Jonas: Sammy, es geht nicht.
Sam: Es muß gehen. Hör zu, du Schnarch, dein Konto ist total ausgefüllt, nicht mal Jacobs miesen Whisky kannst du dir leisten. Dein letzter Fall war vor drei Monaten die Biogeschichte, und dir hat dir nur ein paar Piperlinge eingebracht, du brauchst den Auftrag, Mann, ja, nimm ihn, also reiß dich zusammen.
Jonas: Judith. Judith Delagdo. Wir hatten eine wunderschöne Beziehung gehabt, bis zum Fall Inselklau vor einen Jahr, da hatte sie mich kaltschnäuzig ausgenutzt, um ihre Karriere zu fördern, nicht zum letzten Mal, daß sie im November 2011 Sicherheitsdirektorin geworden war, verdankte sie Jonas, der hatte ihr ahnungslos den Weg freigeschaufelt. Siehe Fall Schneewittchen.
Judith: Das hab ich dir nicht vergessen, Jonas, du bist im Casablanca? Ich schicke Chefinspektor Brock vorbei, mit einem Spezialpaß fürs Golden Ghetto, und wenn du sonst noch was brauchst...
Jonas: Danke, ich bin wunschlos glücklich, Judith.
Judith: Wirklich? Ruf mich an, wenn dir was einfällt. Ich schulde dir was, Jonas, nicht nur wegen Schneewittchen und Inselklau. Machs gut, Jonas.
Jonas: Zwei Stunden später. Weit im Westen von Babylon. Wo Permaplestmauer und Plexikuppel über dem Golden Ghetto in den grauen Himmel ragen. Hier hausen die auserwählten in olympischer Ruhe. Unter sich. Unbehelligt von den widerlichen Wucherungen des 21. Jahrhunderts und von Menschen wie Jonas. Wer ins Schlaraffenland wollte, mußte sich durch Reisbrei fressen. Ins Golden Ghetto zu kommen, war schwieriger. Man mußte durch die Sicherheitsschleuse, vorbei an Holo-Augen und Sensor-Fallen, an scharfen Robo-Dogs und noch schärferen Robo-Wächtern. Hier halfen weder Argumente noch Bitten, hier half nur eine kleine grüne Silikonkarte. Der Spezialpaß.
Robo-Wächter: Danke. Paß gültig. Bitte rechts herantreten.
Jonas: Wozu denn das?
Robo-Wächter: Eye-Scanning. Retinacheck. Eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Soeben installiert. Bitte rechts herantreten.
Jonas: Hast du das gewußt, Sammy, daß die hier Eye-Scanning haben. Wenn ich rechts rantrete und in den Scanner gucke, dann stellt der doch sofort fest, meine Netzhaut ist nicht gespeichert, er schlägt Alarm, die Robo-Dogs kommen und machen Hackfleisch aus Jonas.
Robo-Wächter: Bitte rechts herantreten. Kinn fest auf Vorsprung pressen, Augen an die Scanneröffnungen.
Jonas: Was soll ich tun, Sammy, gib mir einen Rat, wozu hab ich dich denn.
Sam: Nur keine Panik auf der Titanic, Herr Kapellmeister. Wie soll ein Computer in Ruhe überlegen, wenn sein Mensch ihm ständig dazwischenzetert. Na, wollen mal kücken. Der Scanner hängt an einem eigenen geschlossenen System. Ja, nicht allzu complicated. Da läßt sich was machen. Alles klar auf der Andrea Doria.
Robo-Wächter: Rechts herantreten. Sofort rechts herantreten!
Sam: Tu, was er sagt, der brave Robo-Wächter. Kein Zaudern, kein Zagen, frisch auf, wohl an, ich bin dein Mann.
Jonas: Kein Zagen, von wegen. Als der Scanner meine Netzhaut abtastete, wartete ich mit weichen Knien auf den Alarm, der nicht kam, statt dessen ging die Schranke hoch. Jonas durfte ins gelobte Land, ohne Probleme.
Jonas: Wie hast du das gedreht, Sammy?
Sam: Och, eine ganze klitze Kleinigkeit, du mein zelebrales Softeis, nicht der Rede wert. Wie mein Meister durchs Loch linste, hab ich das System kurzfristig lahmgelegt.
Jonas: Wie, Sammy?
Sam: Na wie schon? Saft abgedreht, und dann gleich wieder angedreht, und derweil dem Kleinen fix ein falsches Memory verpaßt, in Folge welchen Tuns der Scanner nun mehro der festen Überzeugung huldigt, er habe die Netzhaut meines Herrn in Augenschein genommen, sie überprüft und ihr spezifisches Muster in seinem Speicher vorgegeben gefunden. Resultat: Alles in Ordnung. Jonas kann passieren. Ach, diese Zwergsysteme sind manchmal doch zu blöd.
Jonas: Rubinweg 17, wir sind da.
Sam: Aha.
Jonas: Apartment G.
Sam: Gut.
Toivonen: Ja?
Jonas: Sicherheitsdienst. Wir haben eine verdächtige Person aufgegriffen, an der Mauer, sie will zu Ihnen, Frau Toivonen, sagt sie.
Toivonen: Jonas?
Jonas: Ja, so heißt der Mann.
Toivonen: Sie sind Jonas. Ich erkenne Ihre Stimme. Sie haben es also geschafft.
Jonas: Wie Sie hören, Frau Toivonen.
Toivonen: Guter Mann. Warten Sie einen Moment, ich komme runter. Wir müssen zurück nach Babylon.
Jonas: Nachdem ich mir die Beine ausgerissen habe, um zu Ihnen ins Getto zu kommen?
Toivonen: So ist das Leben, Herr Jonas. Ich bin gleich bei Ihnen.
Jonas: Zurück ging es schneller und bequemer. In Frau Toivonens schwarzer Luxuslimousine. Unser Ziel war das Zentrum, der Platz der immerwährenden Hochkonjunktur, da lag die Bank, die Frau Toivonen gehörte. Die Europäische Depot- und Investment-Bank. Klein aber fein. Der begehbare Safe im Keller war offen und leer.
Toivonen: Heute nacht ausgeräumt, Herr Jonas, bis auf den letzten Euro.
Jonas: Und das trotz Ihrer spektakulären Hardwareparade, Frau Toivonen.
Toivonen: Ja. Wir haben alles, was sich für gutes Geld kaufen läßt, Herr Jonas. Bioschlösser, Holocams, variable Sensoren.
Jonas: Kein Alarm heute Nacht.
Toivonen: Nein, Herr Jonas.
Jonas: Und keine Anzeichen von Gewaltanwendung.
Toivonen: Unser Sicherheitssystem muß ausgetrickst worden sein, umgangen, manipuliert.
Jonas: Sieht ganz so aus. Hmh. Warum ich, Frau Toivonen?
Toivonen: Bitte?
Jonas: Warum kommen Sie mit der Sache zu mir? Warum nicht zur Kripo?
Toivonen: Weil ich Resultate will. Sie sind mir empfohlen worden, Herr Jonas, von meinen Bundesschwestern, Adamson, Vereinigte Kosmos, und Waldorf, Multipharm, als unorthodox, eigenwillig und erfolgreich. Sie werden feststellen, wer sich an unseren Bareinlagen vergriffen hat, und was viel wichtiger ist, Sie werden das Geld wieder zur Stelle schaffen. Ehrlich sollen Sie ja auch sein.
Jonas: Wie viel Geld, Frau Toivonen?
Toivonen: 2 Millionen Euros, plus minus ein paar Tausend. Aber deshalb brauchen Sie doch nicht gleich in die Knie zu gehen, Herr Jonas, soviel ist das nun auch wieder nicht.
Jonas: Jonas war nicht wegen der Summe auf Grund gegangen. Jonas hatte was erspäht. Hinten an der Wand. Unter der offenen Safetür. Ein kleines Stück Papier. Circa 5 mal 5 Zentimeter. Unregelmäßig. Zackig. Abgerissen. An einem Ende ein paar Bleistiftstriche. Am anderen aufgedruckte Buchstaben. O R R Y, darunter A P P.
Toivonen: Eine Spur?
Jonas: Möglich. Was hältst du davon, Sam?
Sam: Ein Stück Papier.
Jonas: Was du nicht sagst, Sammy.
Sam: Versehen mit Bleistiftaufzeichnungen.
Jonas: Toll. Jetzt weiß ich, warum Computer Denkmaschinen heißen.
Sam: Hmh. Ergänzt man die Striche, für eine Denkmaschine eine Lappalie, so ergibt sich eine zwar grobe, jedoch in allen wesentlichen Punkten korrekte Skizze von Schaltkreisen und Positionen der hierorts installierten Sicherheitsanlagen. Die Buchstaben hin wiederum lassen sich zwanglos und folgerichtig zu folgendem Aufdruck vervollständigen: Dont worry, be happy.
Jonas: Das war mal ein Hit, als ich noch klein war.
Sam: Schon lange her. Ach ja, und was du nicht sagst, hier und heute ist Dont worry be happy der Name eines Stimshops im Wilden Südosten von Babypsilon. Ohne Frage hundelt es sich bei vorgelegtem Beweisstück um den Rest eines Blattes von einem Block, welchen besagter Stimshop zu Werbezwecken hat herstellen lassen. Auf diesem Blatt, und damit komme ich zur Ente meiner Ausführungen, hat der Bankräuber sachdienliche Hinweise zur Durchführung seines lichtscheuen Tuns notiert. Na, was sagst du jetzt, du Schrumpfkopf. Hmh. Nichts? Hahaha. Dann sag ich’s für dich: Niemand, aber auch gar niemand, käme auf die Idee, einen Plattprägen wie dich als Denkmaschine zu bezeichnen.
Toivonen: Sie lassen sich ja einiges bieten von Ihrem Computer, Herr Jonas, meiner dürfte das nicht.
Jonas: Sie haben ja auch keinen Sam, Frau Toivonen.
Toivonen: Gott sei dank nicht.
Sam: Gott sei dank nicht. Gott sei dank nicht. He, was ist jetzt, stehen wir hier rum und plauschen oder arbeiten wir?
Jonas: Wer kennt Ihr Sicherheitssystem, Frau Toivonen?
Toivonen: Die installierende Firma, ich natürlich...
Jonas: Sonst niemand?
Toivonen: Unsere zwei Großkunden, denen haben wir die Anlage erklärt und vorgeführt. Damit sie sich um ihr Geld keine Sorgen machen. Bankerpsychologie.
Jonas: Ihre zwei Großkunden. Namen?
Toivonen: Dirty dancing GmbH, eine Agentur, die ältere Künstler an Seniorenclubs vermittelt, Künstler, die das können, was vor einem viertel Jahrhundert in war, Hipp Hopp, Rap, Scratch Rock und Dirty Dancing natürlich.
Jonas: Und?
Toivonen: Und der Stimshop Dont worry be happy.
Jonas: Ach was.
Sam: Ach ja. Oho. Sieh an. So so. Dont worry, be happy. Mein Pappi, Jaja.
Jonas: Bei den Unruhen von 1996 war aus dem Büroviertel zwischen Südstadt Reservat und Bioland der wilde Südosten geworden. Eine bizarre Landschaft aus Plastikresten und Betonruinen, aus lecken Rohrleitungen, die im Nichts endeten, aus verglühtem Asphalt und schwarzen Fensterhöhlen, aus giftgrünen Wucherungen schleimiger Schlingpflanzen. Ein Dschungel, der größte Straßendschungel in den Vereinigten Staaten von Europa. Bevölkert von Street-Gangs und Killer-Kids, von Nachtmenschen und Neo-Samurais, von Kannibalen und Mutanten, und von ein paar cleveren Geschäftsleuten, die im gesetzlosen Niemandland auf ihre Kosten kommen. Zum Beispiel mit dem Stimshop Dont worry be happy. In den wilden Südosten von Babylon kommt man leichter als ins Golden Ghetto. Man braucht keine Paßscheibe. Man braucht nur etwas Mut und feste Schuhe. In den Südosten fährt keine Metro und kein Taxi. Ich ließ mich absetzen so nahe wie möglich und wollte zu Fuß weiter. Aber da gab’s Probleme. Drei Probleme. Sie stiegen aus einem roten E-Mobil und bauten sich vor mir auf.
Groucho: Du Jonas?
Jonas: Und wenn?
Groucho: Du nicht weiter.
Jonas: Sagt wer?
Groucho: Wir sagen. Du nicht weiter. Du zurück.
Jonas: Drei Superchimps, illegale Importe aus dem Süden. Genmanipulierte Züchtungen. Bei meinen mußte ein nostalgischer Witzbold am Werk gewesen sein. Nummer eins hatte einen angemalten Schnurrbart und eine kalte Zigarre zwischen den Zähnen. Nummer zwei trug ein italienisches Hütchen. Nummer drei grinste geil unter einer wüsten roten Lockenperücke. Genau. Groucho, Chico und Harpo, die legendären Marxbrothers. Aber wenn Groucho das Maul aufmachte, war er nicht mehr Groucho, Groucho, das verbale Maschinengewehr, dann war er nur ein Superchimp, ein trauriger Wechselbalg, dem man ein paar Worte beigebracht hatte, und der Befehle ausführte. Bedingungslos.
Groucho: Du zurück.
Jonas: Oder?
Groucho: Wir machen kaputt. Schießen mit Laser.
Jonas: Superchimps Waffen zu geben ist verboten. Weißt du das, alter Freund? Ihr seid überhaupt verboten, ihr dürft in Babylon gar nicht rumlaufen.
Groucho: Schluß. Du nicht reden. Du zurück. Nach Hause. Marsch.
Jonas: Jonas marschierte zurück. Runde 100 Meter. Dann bog er um eine Ecke. Die Chimps natürlich hinterher. Das störte mich nicht. Ich wußte, wie ich sie loswerden konnte. Und wo.
Sam: Altbabypsilon, Herr Denkmalspfleger.
Jonas: Altbabylon, Sammy, wir gehen durch die Wand.
Sam: Aha, euer Ungenauigkeit meinen die Holoprojektion der mittelalterlichen Stadtmauer?
Jonas: Was denn sonst, Sam, du machst ne Stippvisite im Zentralrechner und suchst uns eine gute Stelle zum Durchrutschen.
Sam: Ist geritzt, Kumpel, will sagen, wie ihr es wünschet, Monsignore, also gescheh's.
Jonas: Altbabylon ist nicht wirklich alt. Die Verwaltung hat es vor ein paar Jahren hochgezogen, für Touristen aus Großjapan und Amerika. Ein putziges Viertelchen, Fachwerk, Giebel, Schornsteine, krumme Gassen, Kopfsteinpflaster und eine Stadtmauer aus Feldsteinen, Pseudo- natürlich, Plastik und Holo, rechnergesteuert. Der Plan klappte wunderbar. Ich kroch durch die Holomauer. Die Chimps kamen, stutzen, kratzten sich die runden Schädel, und so standen sie vermutlich immer noch, als Jonas schon längst im wilden Südosten unterwegs war, Richtung Stimshop, und sich dabei so seine Gedanken machte.
Jonas: Jemand hat was dagegen, daß ich mir diesen Stimshop mal ankucke. Warum?
Sam: Weil zu vermuten steht, o Sonne meiner Wonne, daß dorten sich findet, was wir suchen. Der bzw. die Bankräuber nebst den entwendeten Finanzen. Der bzw. die Bankräuber hat bzw. haben die Europäische Depot- und Investment-Bank nach seiner bzw. ihrer Tat unter Beobachtung gehalten und sobald euer Zielstrebigkeit die Biene betruten, Korrektur die Bühne betraten...
Jonas: Hat bzw. haben er bzw. sie verflixt jedenfalls haben sie mich verfolgt und abgefangen. Wer, Sammy, wer steckt dahinter?
Sam: Tja, zwei Gegenfragen, Chef. Erstens: Wer ist ganz groß im Stimshopgeschäft und zweitens wer beschäftigt mit Vorliebe Superchimps als Gorillas. Gut, was? Hehe. Hast du’s mitgekriegt, Mickerhirn, Chimps als Gorillas, paradox, witzig, geistreich. Genauso wie ich, hähähähäh.
Jonas: Du meinst die Korporation?
Jonas: Früher hieß so was Mafia. Heute sagen wir die Korporation, oder die Firma, oder die Organisation. Das organisierte Verbrechen. Verbrechen als Großunternehmen. Drogen. Hirnstim. Medien. Sex. Überall saß sie drin, die Korporation und scheffelte Milliarden.
Sam: Millionen. Trilliarden.
Jonas: Und darum kann ich mir nicht vorstellen, daß die große Korporation eine kleine Bank um jämmerliche 2 Millionen Euros beklaut, und dann soviel Wind macht, um Jonas an der Aufklärung zu hindern. Da muß was anderes dahinter...
Groucho: Da, Jonas.
Sam: Kaptän Hornblower, Sir, melde gehorsamst, drei Superchimps backbord voraus.
Groucho: Halt! Du stehen. Du warten.
Sam: Du nix können sprechen, du Pfeife.
Jonas: Jonas dachte nicht daran. Jonas rannte. Über Stock und Stein. Vor allem Stein. Bis ich fand, was ich brauchte. Vor einer Halde aus Schlacke und verschmorten Metallteilen hatten ein paar Amazulu in wilder Kriegsbemalung einen einsamen Straßensamurai gestellt. Arme Amazulu. Die Wetten der Zuschauer standen 5 zu 1 für den Samurai. Ich schlug einen Haken, tauchte im Gewühl unter und hängte die Superchimps ab. Dachte ich.
Jonas: So. Zurück zum Thema. Was hat die Europäische Depot- und Investment-Bank mit der Korporation zu tun, Sam.
Sam: Es steht geschrieben: ein Narr fragt mehr denn zehn Weise zu beantworten vermögen.
Jonas: Ich hab dich was gefragt.
Sam: Hach, unzureichende Daten, du Träne.
Jonas: Bitte, dann eben anders. Du kommst zurück in die Tasche.
Sam: Nein.
Jonas: Da gehst du in dich.
Sam: Nein.
Jonas: Und wenn du was entdeckt hast.
Sam: Nein. Nicht auf mich drauf.
Jonas: Ich hatte mir nur die Vorstellung ansehen wollen, aber sie hatten mich in die Kanone gesteckt und abgeschossen. Ich flog hoch über dem Zirkus, über Babylon, hoch, immer höher, dann machte ich einen Bogen und stürzte, tiefer, tiefer, bis ich wieder bei mir war und die Augen aufschlug. Ich lag unter einer Straßenleuchte, die vor langer Zeit ein Riese zu einem Korkenzieher verdreht hatte. Der Kopf tat mir weh.
Sam: Jaja, jaja. Die übliche Nachwirkung eines Knockouters. Drei Tage Bettruhe. Absolute Alkoholabstinenz.
Jonas: Halt den Schnabel, Sam.
Sam: Hab keinen.
Jonas: Halt ihn trotzdem. Was ist passiert?
Sam: Sam hält den Schnabel. Wie das Gesetz es befielt.
Jonas: Du sollst antworten.
Sam: Sammy in Tasche, Mata, Sammy nix gesehen.
Jonas: Aber gehört wirst du doch wohl was haben. Na?
Sam: E-Mobil.
Jonas: Rot vermutlich.
Sam: Knockouter.
Jonas: Da sagst du mir nichts neues, Sammy.
Sam: Schwere Tritte, sechs Füße.
Jonas: Die Superchimps.
Sam: Hin zu Jonas, Pause, wieder weg.
Jonas: So. Dann wollen wir mal nachsehen, was die drei Brüder Jonas abgenommen haben.
Sam: Aua.
Jonas: Nanu?
Sam: Meinem über alle Maßen bedauernswerten, da ausgeknockten und superchimplich manipuliertem Herrn fehlt ihm wohl etwas von Wichtigkeit?
Jonas: Im Gegenteil, Sammy, sie haben mir nichts geklaut, sie haben mir was zugesteckt. Zehn Hundert-Euroscheine in Banderole.
Sam: Mit Stempel.
Jonas: Mit Stempel, Sammy.
Sam: Worauf steht: Europäische Depot- und Investment-Bank, korrekt?
Jonas: Korrekt. Seltsam.
Sam: Nein, nur Sam. Komm, wirf ihn von dir, den schnöden Mammon.
Jonas: Tausend Euros? Das schöne Geld.
Sam: Na, schmeiß weg, Döskopp. Zu spät. Och, da sind sie schon wieder, unsere äffischen Verfolger.
Jonas: Und nicht nur die. Im Fenster des E-Mobils erschien ein Kopf. Ein häßlicher Kopf. Aber unbestreitbar menschlich. Zwei Marxbrothers hielten Jonas fest. Der dritte apportierte dem Kopf das Bündel Euroscheine.
Medusa: Ah, unser Geld. Das Korpus delicti, wie die kriminologisch Gebildeten sagen, und der Delinquent gleich dabei, wie überaus zuvorkommend. Ich freue mich, Sie zu sehen.
Jonas: Die Freude ist ganz auf Ihrer Seite.
Medusa: Jonas, nur Jonas, Privatdetektiv und Bankräuber.
Jonas: Und der Unhold, der Schulkindern das Pausenbrot wegißt.
Medusa: Aber Herr Jonas, wo wir Sie doch mit dem Beweis in der Hand gestellt haben, in flagrante delicto, wie es heißt. Sie haben die Europäische Depot- und Investment-Bank beraubt. Sie haben unser Geld gestohlen. Was machen wir mit Ihnen, Herr Jonas. Nehmen wir Sie mit ins Generaldirektorium? Ich weiß nicht. Verhöre, Diskussionen. Umständlich, Herr Jonas, und unnötig. Wir sollten die unangenehme Affäre gleich hier beenden. Auf der Stelle. Meine drei Assistenten werden das gern übernehmen. Nicht wahr, Groucho?
Groucho: Machen Jonas kaputt? O ja Boss!
Sam: Du Flöte, freue dich und frohlocke, Chef, denn siehe, es naht die Rettung, haha, vom Himmel hoch da komm ich her...
Jonas: Ein Helikopter fegte heran mit dem blauem Emblem der Sicherheitsverwaltung, und mit sensorgesteuerten Miniraketen. Die Superchimps waren durchlöchert, ehe sie ihre Laser hochkriegen konnten. Ihr Boss setzte sich ab. In seinem gepanzerten Fahrzeug. Der Helikopter blieb kurz über Jonas stehen. In der offenen Tür winkte einer.
Brock: Klein und häßlich sehen Sie von hier oben aus, Jonas. Bis zum nächsten Mal.
Jonas: Genau im rechten Moment. Zufall?
Sam: Daß Sam nicht kichert. Hähähäh.
Jonas: Hast du den Typ im E-Mobil erkannt, Sammy?
Sam: Natürr, Medua.
Jonas: Max Medusa, Finanzminister der Korporation, ihr oberster Geldwäscher.
Sam: Hmh. Und wieder findet im großen Detektivpuzzle ein wichtiges Stück seinen Platz. Das der Bank entwendete Geld gehört der Korporation, sie hat es dort deponiert, um es bei nächster Gelegenheit zu waschen.
Jonas: OK, Sammy, aber wieso hält Medusa ausgerechnet Jonas für den Bankräuber, und wieviel...
Sam: Alarm! Rotes E-Mobil kommt zurückeldibums!
Jonas: Laß uns verschwinden, Sam.
Toivonen: Kann ich Ihnen einen Platz in meinem Wagen anbieten, Herr Jonas?
Jonas: Frau Toivonen!
Toivonen: Kommen Sie, steigen Sie ein, oder trauen Sie mir nicht?
Jonas: Ehrlich gesagt, nein.
Toivonen: Wollen Sie sich lieber mit Medusa auseinander setzen?
Jonas: Das wollte Jonas nicht. Also stieg er ein. Eine kurze Fahrt, ein paar Minuten um ein paar Ecken. Dann hielten wir vor der ausgebrannten und ausgeschlachteten Hülle eines Hochhauses.
Toivonen: Steigen Sie aus, Herr Jonas. Sie tauchen am besten hier unter und warten.
Jonas: Worauf, Frau Toivonen?
Toivonen: Daß es dunkel wird, Herr Jonas, daß Sie weitermachen können. Sie haben doch ein Ziel.
Jonas: Sie meinen den Stimshop Dont worry be happy?
Toivonen: Genau, Herr Jonas.
Jonas: Augenblick, Frau Toivonen, ich hab ein paar Fragen.
Toivonen: Später, Herr Jonas.
Jonas: Das war nicht mein Tag. Ich zuckte die Achseln und tat, was Frau Toivonen mir geraten hatte. Wenn es eine Erklärung für das gab, was heute hier ablief, dann würde ich sie im Stimshop finden. In der Lobby des Hochhauses räumte ich mir eine Ecke frei, setze mich hin und wartete. Meine alte Smith & Wesson in Griffnähe. Der Himmel in den Fenstern wurde dunkelgrau, dann schwarz. Plötzlich hörte ich was. Schritte. Vorsichtige Schritte. Sie kamen näher. Wer war das? Medusa und seine Killer? Kannibalische Nachtmenschen auf der Suche nach dem Abendessen?
Brock: Legen Sie den Revolver weg, Jonas, und machen Sie sich nicht in die Hosen. Ich bin zwar kein Fan von Ihnen, aber fressen will ich Sie nicht, schon weil Sie mir nicht bekommen würden.
Jonas: Chefinspektor Brock von der Sicherheitsverwaltung in einer neuen Rolle. Nicht mehr als rettender Engel von oben. Diesmal als Weihnachtsmann mit einem Sack voller Geschenke.
Brock: Da hätten wir erst mal einen Laserstrahler. Neuestes Modell, noch gar nicht auf dem freien Markt. Dann eine AIR-Transfo-Einheit in Taschenformat.
Jonas: AIR für Anti-Infrarot. Die Einheit baut um den Träger ein Feld auf, in dem Mikrosensoren seine Körpertemperatur in die Temperatur der Umgebung umwandeln und ihn so für Infrarotgeräte unsichtbar machen. Hightech, unerschwinglich für einen Privatdetektiv, aber sehr nützlich, wenn der Privatdetektiv nachts in geheimer Mission unterwegs ist.
Brock: Und damit Sie nicht nur nicht geschnappt werden, sondern auch selber was schnappen können, ein paar Infrarotgucker, alles aus dem Arsenal der Sicherheitsverwaltung, mit schönen Grüßen von Sicherheitsdirektorin Delgado. Jetzt sind Sie beide quitt, soll ich Ihnen ausrichten.
Jonas: Sagen Sie mal, Brock, wie haben Sie mich eigentlich aufgespürt?
Brock: Ich kenne Sie gut, Jonas, Sie sind stur und lästig, eine echte Nervensäge, aber dämlich waren Sie bisher nicht, das ist neu. Fragen Sie doch Ihre elektronische Quasselstrippe. Wir sehen uns.
Jonas: Fürchte ich auch.
Sam: Quasselstrippe. Eine unverloste Bodenschämtheit, Korrektur bodenlose Unverschämtheit.
Jonas: Findest du, Sam?
Sam: Ja, finde ich. Preisfrage für geistig nicht eben hochbemittelte Privatdetektive. Auf welche Weise pflegt die Sicherheitsverwaltung Kontakt zu einem ahnungslosen Individuum zu pflegen?
Jonas: Orter.
Sam: Beziehungsweise Mikrotransmitter. Sehr gut, Schüler Jonas. Zuatzfrage. Welchen Gegenstand hat unser kleiner Sonnenschein von der Sicherheitsverwaltung erhalten?
Jonas: Die Paßscheibe fürs Golden Ghetto.
Sam: Yes.
Jonas: Weg damit, und da wir gerade dabei sind, Sammy, sehen wir uns doch auch gleich mal die schönen Sachen an, die uns der liebe Onkel Brock mitgebracht hat. Na bitte, hier ist einer, an der Infrarotbrille. Ex und hopp. Hätt ich wissen müssen, Judith und ihr miesen Tricks.
Sam: Nicht allso eure hektische Voreiligkeit. Vielleicht brauchen wir Sie noch einmal, die Freunde und Helfer. Bedenke doch, wer es auf dich abgesehen hat: Die Korporation.
Jonas: Die ist mir noch immer lieber als die Sicherheitsverwaltung.
Sa: Ach, red kein Stahl. Die Bullen stecken dich höchstens in den Knast, die Korporation steckt dich in Beton, und da kannst du nicht drin wohnen, und dann kippt Sie dich ins Nordmeer.
Jonas: Ein tröstlicher Gedanke. Ich nahm ihn mit auf den Weg zum Stimshop Dont worry be happy. Leicht gesagt und leicht zu finden. Jonas brauchte nur den Kabelfreaks nachzugehen, den Hyppies mit der Steckdose im Hinterkopf. Dahin, wo über dunklen Ruinen bunte Lasergewitter tobten. Wo Neonlichter in blasser Glut vor sich hinfroren, und wo der Roboanimator pausenlos seinen Spruch in die Nacht grölte.
Robo-Animator: Dont worry be happy...
Jonas: In der großen Halle hingen hunderte von Hyppies am Draht und ließen ihr Lustzentrum zappeln. Die Minute 10 Euros.
Sam: Hirnwichser, Kabelfixer.
Jonas: Großes Glück aus kleiner Dose. Nichts für Jonas.
Anmacher: Sie suchen das Besondere, mein Herr, das sehe ich ihnen an. Von Massenabfütterung halten Sie nichts. Sie sind wer. Sie heben sich ab. Ich sag Ihnen was: Gehen Sie nach rechts zum Fahrstuhl, fahren Sie ins Untergeschoß, wo die Supermindmaschinen stehen. Da können Sie sich voll ausleben, mein Herr. Die gewagtesten Wünsche, die geheimsten Träume werden wahr. Genuß ohne Reue, mein Herr. Sie haben die Wahl zwischen mehr als 40 Programmen. Von 500 Euros aufwärts, nur Bargeld, keine Karten. Wie ich Sie so einschätze, mein Herr, Programm Casanova oder Dschingis Khan, wär das nichts für Sie?
Jonas: Philip Marlowe, haben Sie das?
Anmacher: Nie gehört, mein Herr, tut mir leid. Ich merk schon, Sie sind nur mit dem echt ausgefallenen zufrieden. Wir hätten da Sonderprogramme anzubieten, mein Herr, keine Dutzendware, nicht ganz billig, aber exquisit. Vollzugsbeamter im Frauengefängnis. Na?
Jonas: Schalt dich ab. Verschwinde.
Sam: Darf man euer momentan Abgelenkten daran erinnern, daß wir uns nicht hier befinden, um niederer Lust zu frönen, vielmehr...
Jonas: Ich weiß, Sammy, wir suchen was. Bankräuber. Und ne Menge Geld.
Sam: Zuvorderst doch wohl Erleuchtung.
Jonas: Sehen wir uns mal auf der Rückseite um.
Jonas: Auf der Rückseite gab es eine kleine Tür. Nicht verschlossen. Das hätte mich stutzig machen sollen. Ich drückte sie auf und trat ein. Und dann blieb ich stocksteif stehen. Nicht freiwillig. Ein Neurofreezer hatte mich erwischt. Das Licht ging an. Vor mir standen zwei Riesen in schwarzen Kampfanzügen. Und Max Medusa.
Medusa: So sieht man sich wieder, Herr Jonas, jetzt muß ich Sie also doch dem Generaldirektorium vorführen. Schade. Ich hätte es uns und Ihnen gern erspart. Cool, Easy, bringt ihn ins Sprechzimmer.
Jonas: Die Riesen nahmen dem starren Jonas Laser und Revolver ab und schleppten ihn durch den Gang, eine Wendeltreppe runter in einen weißgekachelten Raum, der ein bißchen aussah wie das altmodische Behandlungszimmer eines altmodischen Arztes. Und der dazugehörige Onkel Doktor war auch da. Ein kleiner Mann im weißen Kittel, kahl, mit goldener Brille. Außerdem zwei, die dich kannte: Simon Krapp und Lukrezia Carnevale, zwei führende Mitglieder der Korporation.
Medusa: Das ist er.
Carnevale: Dieser Jonas?
Medusa: Jonas, nur Jonas.
Krapp: Der Mann, der unsere Bank ausgeräumt hat?
Medusa: Zusammen mit der Kollegin Toivonen.
Carnevale: Behaupten Sie, Medusa. Warum hätte Sie das tun sollen?
Medusa: Eine klassische Intrige, verehrte Kollegin. Wir, das Generaldirektorium der Korporation, sollten desinformiert werden, destabilisiert und letztendlich exterminiert. Kollegin Toivonen ist ehrgeizig. Sie will alles. Die ganze Macht.
Carnevale: Beweise, Medusa.
Medusa: Ich habe sie beobachten lassen und daher weiß ich, sie hat Jonas hier her geschickt, um Unruhe zu stiften, Zwietracht zu schüren, den Superchimps, die ich auf ihn angesetzt hatte, konnte er entkommen, aber nun ist er uns direkt in die Arme gelaufen in der typischen Verblendung des Kleinkriminellen. Das hier hab ich ihm aus der Tasche gezogen.
Krapp: Geld? Aus unserer Bank? Alles klar.
Carnevale: Das sind doch nur 1000 Euros, wo hat er die restlichen Millionen?
Medusa. Fragen Sie nicht mich, verehrte Kollegin, fragen Sie ihn.
Jonas: Jonas wurde gefragt. Jonas gab keine Antwort. Nicht weil er nicht sprechen konnte. Der Neurofreezereffekt war abgeklungen. Aber was hätte er sagen sollen?
Krapp: Halten wir uns nicht auf mit dem Kerl. Cool und Easy sollen ihn durch den Wolf drehen, bis er was sagt.
Carnevale: Ich bin mehr für die gute alte Elektroschockmethode. Er sieht aus, als ob er einiges aushält. Was meinen Sie, Dr. Babinski?
Babinski: Sie wissen, ich habe in Ihrem Gremium keine Stimme, meine Herrschaften, lediglich eine beratende Funktion als Mediziner, bei, nun ja, bei intensiven Verhören. Gestatten Sie mir dennoch einen Vorschlag.
Krapp: OK, Doc, aber machen Sie es kurz, ja.
Babinski: Meine Herrschaften, in diesem unseren Stimshop können wir, wie Ihnen bekannt ist, durch direkte Hirnstimulation mittels unserer Supermindmaschinen pansendorische Halluzinationen erzeugen, die von realen Sinneswahrnehmungen nicht zu unterscheiden sind, vor allem wenn die Stimulations- und Rezeptionsakzeptanz unserer Kunden durch die vorherige Verabreichung halluzinogener Drogen gefördert wird, Drogen wie Serotonin, Ditoxipholylethylamin.
Krapp: Kommen Sie zum Punkt, Doc.
Babinski: Sogleich, Herr Krapp. Sie kennen die neueste Entwicklung auf diesem Sektor, unserer erfolgreichen Sadomasoprogramme für eine exklusive Minoritätenklientel.
Carnevale: Ich verstehe. Sie wollen Jonas an so ein Programm anschließen.
Babinski: Ganz recht, Frau Carnevale. Strikt Maso natürlich und unlimitiert. Schmerz, subtilster Schmerz, ohne jene Terminierung, wie sie die kommerzielle Ratio uns auferlegt. Ein hochinteressantes Experiment.
Krapp: Experiment? Der Kerl soll reden!
Babinski: Der wird reden, Herr Krapp, das versichere ich Ihnen, ich denke da an ein historisches Programm, noch im Entwicklungsstadium, Arbeitstitel: In den Folterkellern der Inquisition.
Jonas: Ich trug einen arme Sünderkittel aus grober Sackleinwand und lag auf einer harten Pritsche. Meine Füße waren gefesselt, die Hände auch, über dem Kopf. Fackeln in eisernen Haltern warfen flackernde Schatten auf feuchtes Gestein, auf Brandeisen, Ketten und Peitschen, auf den halbnackten Herkules in roter Kapuze, der neben mir hockte, ein hölzernes Speichenrad zwischen den Fäusten, und auf den Inquisitor, ein kleiner Mann, kahl, in weißer Kutte. Durch seine goldene Brille sah er mich milde an.
Babinski: Nun, mein Sohn, bist du bereit, abzulassen von sündigem Starrsinn und frevelhafter Verstocktheit? Erleichtere deine Seele, gestehe, verirrtes Lamm, gestehe, wo du sie versteckt hast, die ketzerischen Pamphlete, die Teufelssalben für den Hexensabbat. Du weigerst dich zu sprechen? So werden wir denn deinen armen Leib peinigen müssen, auf daß deine unsterbliche Seele gerettet werde. Beginne, Bruder Dominiko, drehe dein Rad. Spürst du es, spürst du, wie deine Muskeln sich dehnen, deine Sehnen sich strecken, deine Haut sich bis zum Zerreißen spannt? Gestehe! Gestehe!
Jonas: Nein! Ich weiß nichts!
Babinski: Halt inne, Bruder Dominiko. Kleine Pause, Herr Jonas, wie fühlen Sie sich?
Jonas: Ich war nicht mehr im Keller der Inquisition. Ich war wieder im Stimshop in der engen Kabine, fest an den Sessel geschnallt. Dr. Babinski nahm mir den Sensorhelm ab.
Babinski: Das war natürlich nur ein Vorgeschmack, eine kurze Einstimmung, um ihre Reaktionen zu testen. In etwa 10 Minuten, wenn das Serotonin seinen vollen Wirkungsgrad erreicht hat, fahren wir fort, und dann, Herr Jonas, machen wir Ernst mit der peinlichen Befragung. Noch einmal Streckbett, dann Daumenschrauben, Brannteisen, und wenn Sie weiterhin hartnäckig sind, Herr Jonas, dann gehen wir bis zum bitteren Ende, bis zum Scheiterhaufen auf der Plaza del Sol.
Jonas: Sam? Bist du da, Sam?
Sam: Hmh. Zur Stelle, Chef, in eurer Tasche.
Jonas: Hast du mitgekriegt, was die mit mir machen?
Sam: O ja Herr. Mit einer Träne im Knopfloch und mit tiefer tiefer Betroffenheit.
Jonas: Dafür kann ich mir nichts kaufen, Sam.
Sam: Ja.
Jonas: Hilf mir lieber. Kannst du dich nicht in die Supermindmaschine einschleichen und das Folterprogramm stoppen?
Sam: No, gewiß Sir, im Prinzipe, jedoch...
Jonas: Nicht in zehn Minuten. Ich weiß.
Sam: Naja, Nobody is perfect, hmh. Pst Pst! Man kommt.
Medusa: Kein Laut, Jonas.
Jonas: Max Medusa. Allein. Gekommen, um Jonas zu retten, sagte er, und er tat es auch. Er schnallte mich los. Und dann ging er voran mit einer Taschenlampe, einen langen Korridor entlang, bis in einen staubigen Kellerraum. Hinter einem Pfeiler blieb er stehen, vor einer rostigen Eisentür.
Medusa: Mein ganz privater Notausgang. Wenn wir ihn benutzen, dann stehen wir auf den Schienen der Metro. Sehen Sie sich nicht so ängstlich um, Jonas, seit 16 Jahren fährt hier kein Zug mehr. Wir gehen nach rechts. Kommen Sie.
Jonas: Fünf Minuten Fußmarsch. Dann wurde es hell. Eine Metrostation. Malachovksy-Platz. Das Beleuchtungssystem funktionierte noch immer. Nach 16 Jahren. Unglaublich. Wir kletterten auf den Bahnsteig. Medusa zog seinen Laserstrahler und richtete ihn auf mich. Dabei sah er mich an, als ob Detektive für ihn noch unter Computerviren stünden. Gleich würde er sagen: Sie hätten sich nicht in Dinge einmischen sollen...
Medusa: Sie hätten sich nicht in Dinge einmischen sollen, die Sie nichts angehen, Jonas, das hab ich versucht, Ihnen klarzumachen, durch meine Superchimps, heute nachmittag, als Sie sich in den Südosten aufmachten, aber Sie wollten ja nicht hören.
Jonas: Und da hatten Sie eine Idee. Jonas ließ sich ganz wunderbar als Sündenbock benutzen, als Ablenkung, als Mittel zur Desinformation. Darum haben Sie mir die 1000 Euros aus dem Bankraub untergejubelt, für Sie kein Problem, denn das ist ja wohl klar, die Euros in der Europäischen Depot- und Investment-Bank, die haben Sie sich unter den Nagel gerissen, Medusa, um Ihrer Kollegin und Konkurrentin Toivonen was anzuhängen nehm ich an, vielleicht brauchten Sie auch nur ein bißchen Bargeld.
Medusa: Wer braucht das nicht. Sie sind wirklich gut, Jonas, Sie haben den Fall gelöst. Nur schade, daß Sie so gar nichts davon haben werden. Denn jetzt, wo Sie alles wissen, ist Ihnen auch bestimmt klar, weshalb ich Sie aus dem Stimshop geholt und hierher gebracht habe.
Jonas: Sie konnten nicht zulassen, daß Jonas weiter gefoltert wird, dann hätte sich nämlich rausgestellt, Jonas weiß nichts, Jonas ist unschuldig, und Ihre Konstruktion wäre zusammengebrochen.
Medusa: Wo ich mir solche Mühe gegeben habe. Das geht natürlich nicht, und deshalb muß ich Sie jetzt umbringen... Was ist das?
Jonas: Hört sich an wie ein Zug.
Medusa: Unsinn, die Linie ist stillgelegt.
Jonas: Das hatte man dem Metrozug wohl nicht gesagt. Er donnerte aus dem Tunnel, hielt, die Türen gingen auf, ganze Horden von Sicherheitsmenschen stürzten auf den Bahnsteig, und griffen sich Medusa. So viel Kavallerie für einen einzigen Indianer. Und zwei ganze Generäle auch noch. Chefinspektor Brock und...
Jonas: Judith!
Judith: Wie du siehst, Jonas. Willst du dich nicht bedanken, wir haben dir mal wieder das Leben gerettet.
Brock: Was passiert mit Medusa, Frau Delgado, nehmen wir ihn mit?
Judith: Wenn ich das wüßte.
Toivonen: Überlassen Sie ihn uns!
Jonas: Wir hatten Zaungäste. Durch ein Loch in der Decke sahen sie uns zu. Toivonen, Krapp, Carnevale und Dr. Babinski unseligen Angedenkens.
Toivonen: Wir haben ein paar Fragen an Medusa. Wo unsere Euros sind, zum Beispiel. Und er wird es uns verraten, oder was meinen Sie, Dr. Babinski?
Babinski: Davon bin ich überzeugt, Frau Toivonen.
Jonas: Ich auch. Verraten Sie mir was, Frau Toivonen.
Toivonen: Wenn ich kann, Herr Jonas.
Jonas: Medusa wollte mich umbringen. Hätten Sie ihn gehindert?
Toivonen: Wissen Sie, Herr Jonas, Sie sind nur ein kleiner Bauer in einem großen Spiel. Ein Bauer ist entbehrlich, sobald er seine Rolle gespielt hat. Sie haben Ihre Rolle gut gespielt. Sie sind der von mir gelegten Spur gewissenhaft gefolgt. Sie haben Medusa aufgescheucht und nicht locker gelassen. Ihre paar Euros haben Sie sich redlich verdient. Ich lasse sie Ihnen überweisen.
Jonas: Von mir aus. Sag mal Judith, wie habt ihr mich hier gefunden? Eure Orter habe ich doch weggeschmissen.
Judith: Sam ist dafür eingesprungen. Seit Schneewittchen, weißt du noch, Jonas, haben wir eine besondere Beziehung, ich und Sammy.
Sam: Rein sexuell.
Jonas: Dein Glück, daß du keine Ohren hast, Sam, ich würde sie dir ja so langziehen.
Sam: Aua!
Jonas: Und was dich betriff, Judith, wir sind quitt, ein für alle mal.
Judith: Nein, Jonas, jetzt bist du mir was schuldig, und ich werde es einfordern, demnächst. Bis bald, Jonas.
Brock: Ehe ich’s vergesse, Jonas, die Sachen, die ich Ihnen vorhin gebracht habe, die rücken Sie mal ganz schnell wieder raus.
Jonas: Die gehören mir. Die haben Sie mir geschenkt.
Brock: Iwo. Nur geliehen. Die Sicherheitsverwaltung hat nichts zu verschenken. Kommen Sie schon rüber damit.
Jonas: Später. Im Casablanca. Jonas war wieder flüssig. Jonas saß und trank. Und fühlte sich mies.
Jonas: Na los, Sam, spiel es, spiel As time goes by.
Sam: Wenn’s unbedingt sein muß, aber singen tu ich nicht.
Jacob: Weißt du, Jonas, vielleicht tauf ich’s doch um, das Casablanca. Relax oder Mind maschine. Zeitgeist, Jonas, das ist es, Lifestyle.
Jonas: Was hab ich gesagt. Es war nicht mein Tag.
Das war Eurodschungel. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Elisabeth Volkmann, Rainer Basedow, Jochen Busse und viele andere (Cornelia Boje, Claudius Zimmermann, Alvin Joachim Mayer, Roland Astor, Hans Stetter, Detlev Kügow). Ton und Technik: Irene Thielmann und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Werner Klein. (Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks) (1990). (Redaktion: Erwin Weigel).
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