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Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Niemandsland
Jonas: Ich konnte mich nicht rühren. Ich war gefesselt und geknebelt. Ich hatte Angst. Ich wartete. Die Tür ging auf, und herein kam, nein, kein Mann mit Pistole, eine Frau mit Laserstrahler. Frau Professor Caligari. Sie zielte auf meine Stirn. Ich starrte in ihre Augen und in die Mündung. Drei Löcher, schwarz wie der Tod. Ihr Finger am Abzug bewegte sich, wurde weiß, aber es zischte nicht. Es klingelte. Wieder und wieder. Und da wachte ich endlich auf. Ich schüttelte den schweren Kopf, um den schweren Traum zu verscheuchen und griff zum Fon.
Jonas: Ja?
Sesam: Jonas?
Jonas: Jonas. Jonas, nur Jonas.
Sesam: Privatdetektiv?
Jonas: Ja. Der letzte. Ein Fossil. Ein Dinosaurier. Nur nicht so groß und so schrecklich. Dafür bin ich zu müde. Und wer sind Sie?
Sesam: Mein Name ist Sesam. Martin Sesam.
Jonas: Ja?
Sesam: Der Name sagt Ihnen nichts? Sesams Zierzwerge?
Jonas: Nie gehört. War das alles, was sie wollten?
Sesam: Bitte?
Jonas: Mich fragen, ob ich Sie kenne?
Sesam: O nein, ich hätte einen Auftrag für Sie. Aber ich sage Ihnen gleich, es ist ein schwieriger Auftrag. Sie müßten in eine sehr gefährliche Gegend.
Jonas: Das Reservat?
Sesam: Sie waren schon im Reservat, habe ich gehört, und Sie sind lebend wieder rausgekommen. Deshalb habe ich ja auch an Sie gedacht. Aber ich meine nicht das Reservat. Da, wo ich Sie hinschicken will, ist es womöglich noch schlimmer.
Jonas: Etwa die Grauzone?
Sesam: Na, so schlimm nun auch wieder nicht.
Jonas: Hören Sie, Herr Sesam, dreimal darfst du raten können Sie mit anderen spielen. Ich hab keine Lust. Wiederhören.
Sesam: Nein, legen Sie nicht auf. Ich meine das Niemandsland. Würden Sie ins Niemandsland gehen?
Jonas: Sicher. Warum nicht?
Jonas: Sicher. Das sagte ich so einfach, als ob er mir nur einen Whisky angeboten hätte. Ich war nicht voll da. Am Vorabend war ich mit Judith zusammen gewesen. Wir hatten uns gestritten. Nicht der erste Streit, bei weitem nicht, aber vielleicht der letzte. Mir ging alles auf die Nerven. Judith. Babylon. Mein Job. Ich ging mir selber auf die Nerven. Darum sagte ich einfach: Ins Niemandsland? Warum nicht? Aber ganz weggetreten war ich doch nicht.
Jonas: Kommt natürlich darauf an, was Sie locker machen. Goldbarren, Uran, Diamanten.
Sesam: Ich dachte eher an Euros, gute, normale, solide Euros.
Jonas: Wieviel?
Sesam: Das besprechen wir besser direkt. In Ruhe. Bei mir. Am Schwanensee 14. Wann können Sie hier sein?
Jonas: Wie spät ist es?
Sesam: Halb elf.
Jonas: Schon?
Jonas: Nach dem Krach mit Judith war in ins Casablanca gegangen, zur alkoholischen Therapie und Auferbauung. Es muß ziemlich lange gedauert haben. Mein Kopf tat weh. Mein Magen auch. Und zu allem Überfluß wollte ich auch noch ins Niemandsland. Wahnsinn.
Jonas: In anderthalb Stunden, Herr Sesam.
Sesam: Gut, ich erwarte Sie also um 12.
Jonas: 12 Uhr Mittags.
Sam: Hight Noon. Do not forsake me o my darling.
Jonas: Das war natürlich Sam. Unentbehrliche Hilfe des Detektivs und unausstehliche Plage. Mein Computer. Überprogrammiert und unterbelichtet. Nie um ein Wort verlegen, auch wenn's nicht das richtige ist. Was hatte ich Gerry Cooper am Hut. Mein Held ist Humphrey Bogart.
Sam: Ich habe den Verdacht, daß unter der zynischen Schale ein reichlich sentimentales Herz schlägt.
Jonas: Schon besser, Sammy. Klapp das Bett rein. Wir haben viel vor.
Sam: Der bescheidene Knecht eurer detektivischen Waghalsigkeit hat sich erfrecht, zuzuhören. Sag mal Kumpel, willst du wirklich ins Niemandsland?
Jonas: Vielleicht, Sam, aber jetzt fahren wir erstmal ins Westend, an den schönen blauen Schwanensee. Da wohnt dieser Sesam, und wenn er da wohnt, dann hat er.
Sam: Hat er was, o Leuchtturm in stockdunkler Nacht.
Jonas: Kies, Sammy, Moos, Mäuse, Pinke, Money, Euros, und ein bißchen davon will er abgeben an einen bedürftigen Privatdetektiv.
Jonas: Er hatte wirklich, der Herr Sesam. Eine richtige Villa, viel Platz, eine Einrichtung direkt aus Teurer Wohnen, Musik aus unsichtbaren Lautsprechern, irgendwas klassisches, Georg Sebastian Beethoven, eine gut bestückte Hausbar eben 0815 Millionärsstil. Nur eine Sache fiel aus dem Rahmen. Überall an den Wänden, auf dem Fußboden standen, lagen, hingen sie rum: kleine Kerle aus Plastik, bunt angemalt mit langen Bärten und langen Zipfelmützen. Ich sah sie mir an, während ich meinen Whisky schluckte, echt, natürlich, nicht Synth. Sie erinnerten mich an was.
Jonas: Ach ja Gartenzwerge.
Sesam: Bitte, Herr Jonas, nicht dieses Wort, ein absoluter Faupaux in unsere Branche. Es ist abgewertet und unzutreffend ist es obendrein, seit es keine Gärten mehr gibt. Es sind Zierzwerge, Herr Jonas, Sesams Zierzwerge, putzige Gesellen, eine wahre Freude fürs Auge und fürs Herz, der geschmackvolle Schmuck fürs geschmackvolle Heim.
Jonas: So was kaufen die Leute?
Sesam: Sie werden sich wundern, Herr Jonas, wenn Sie wüßten, wer alles meine Zwerge kauft, gebildete Menschen, Menschen mit hohem sozialem Nutzenstatus.
Jonas: Ah deshalb.
Sesam: Wie meinen?
Jonas: Deshalb hab ich kein Organ dafür. Ich bin nur ein armer Privatdetektiv. Apropos. Kommen wir zu Ihrem Fall, Herr Sesam.
Sesam: Wir sind schon mitten drin.
Jonas: Sie meinen, ich soll ins Niemandsland wegen Ihrer Garten- pardon Ihrer Zierzwerge.
Sesam: So ist es, Herr Jonas.
Jonas: Das müssen Sie mir erklären.
Sesam: Aus diesem Grunde hab ich Sie ja hergeben. Hören Sie zu.
Jonas: Herr Sesam produzierte also Zierzwerge, das war an sich nichts besonderes, viele Leute in Babylon produzieren alles mögliche, mit Robotmaschinen natürlich, aber eben das tat Herr Sesam nicht. Seine Zwerge waren Handarbeit, 100prozentig echte menschliche Handarbeit, damit warb Herr Sesam, und das war der Grund, sagte Herr Sesam, daß seine Zierzwerge weggingen wie die bekannten warmen Semmeln. Im Gegensatz zu den Zwergen der Konkurrenz, die von Robots gemacht wurden.
Sesam: Die liebenswerten kleinen Unzulänglichkeiten, Herr Jonas, die spezifisch menschliche Nichtganzperfektion, das ist das besondere, das einmalige an meinen Produkten und dafür zahlen meine Kunden gern mehr als anderswo.
Jonas: Schön für Sie, Herr Sesam, wo liegt das Problem?
Jonas: Das Problem, sagte Herr Sesam lag bei der WePo, der Werbepolizei. Die kontrolliert, ob Werbesprüche wie „echte menschliche Handarbeit“ tatsächlich stimmen, und zwar scharf, andere Polizeieinheiten lassen sich schmieren, die WePo nicht, und deshalb mußte Herr Sesam seine Zierzwerge auch wirklich von menschlichen Arbeitern herstellen lassen.
Sesam: Natürlich nicht von Einheimischen, bei den Tarifen und Nebenkosten würden meine Zwerge unerschwinglich. Nein, Herr Jonas, bei mir arbeiten Drittweltler.
Jonas: Illegale Einwanderer, meinen Sie, ohne Arbeitserlaubnis.
Sesam: Gott, Herr Jonas, natürlich ist es im Prinzip verboten die Leute zu beschäftigen, Aber die WePo interessiert sich nur dafür, ob meine Zwerge wirklich von Menschen gemacht werden, von was für Menschen, das will sie gar nicht wissen, und die ImPo, die Immigrationspolizei, hat in Babylon nichts zu sagen, nur im Grenzgebiet. Außerdem, die Drittweltler, die es über die Grenze schaffen, sind froh, wenn sie einen Job kriegen. Immerhin verdienen sie bei mir das mehrfache vom dem, was sie bei sich zuhaus kriegen würden, falls sie da überhaupt arbeiten dürfen.
Jonas: Nicht zu bestreiten. Im KDW, dem Konglomerat Dritte Welt, sieht's traurig aus, so traurig, daß immer wieder Drittweltler versuchen, über die Grenze zu uns zu kommen, in die Vereinigten Staaten von Europa, wo Milch und Honig fließen, das meinen jedenfalls die von drüben. Wir hier sehen das ein bißchen anders. Und wenn dann auch den Drittweltlern klar wird, daß die VSE nicht das sind, was sie sich vorgestellt haben, ziehen sie weiter, ins wahre Paradies, nach Amerika.
Sesam: Und ich besorge mir neue Arbeitskräfte aus dem Grenzgebiet. Die paar Handgriffe, die sie brauche, bringen wir ihn schnell bei. Wir gießen unsere Zwerge, Herr Jonas, in alten Formen aus dem 20. Jahrhundert.
Jonas: Bestens, ich versteh bloß immer noch nicht, wo Ihr Problem liegt, Herr Sesam, über die faszinierenden Einzelheiten der Zwergenproduktion können wir uns vielleicht ein ander Mal unterhalten. Wo drückt der Schuh?
Sesam: Das hab ich bereits erwähnt, Herr Jonas, im Niemandsland.
Jonas: Das Niemandsland ist eine Art Dreiländereck, da wo das KDW, die VSE und die UVR, die Union der Volksrepubliken, zusammenstoßen, irgendwo auf dem Balkan. In den späten 90er Jahren, nach den großen Hungermärschen aus dem Süden und den langen Abwehrschlachten, hat man hier die Grenze neu festgelegt, in großen Zügen, über den genauen Verlauf konnte man sich nicht einigen, und so entstand das Niemandsland, ein etwa 20 km breiter Streifen, den alle drei Anlieger beanspruchen und der keinem gehört. Zur Dritten Welt hin ist das Gebiet praktisch offen, wir haben gegen die illegalen Einwanderer einen Zaun gebaut, der nicht viel nützt, und die UVR hat ihre Ecke durch eine massive Mauer abgeschottet, mit so was haben sie schon im vorigen Jahrhundert gute Erfahrungen gemacht, dazwischen liegt das Niemandsland, ein wilder Landstrich, ohne Gesetze, voller Gefahren wie seinerzeit der amerikanische Westen, trotzdem schlagen sich immer wieder Drittweltler zu uns durch.
Sesam: Und auf einmal klappt das nicht mehr, Herr Jonas, seit 4 Wochen hab ich keine neuen Arbeiter von drüben bekommen, keinen einzigen, Herr Jonas, der Nachschub ist plötzlich abgerissen, und niemand weiß warum.
Jonas: Was sagt denn ihr Schleuser? Sie haben doch einen.
Sesam: Selbstverständlich habe ich einen Schleuser. Baklava in Karakul, tüchtiger Mann, wir arbeiten seit Jahren zusammen, als die Leute ausblieben, hab ich gleich drüben angerufen.
Jonas: Und was sagt Baklava.
Sesam: Er kann sich die Sache nicht erklären. Die Trupps werden zusammengestellt wie immer, und gehen wie immer mit ihren Führern ins Niemandsland, und da verschwinden sie, jedenfalls kommen sie nicht auf unserer Seite an. Seit 4 Wochen. Ich habe kaum noch Arbeiter, Herr Jonas, die Bestellbücher sind voll, die Lager sind leer. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Jonas: Aber sicher wissen Sie das, Herr Sesam, da Sie sich nicht an die ImPo werden können.
Sesam: Natürlich nicht.
Jonas: Beauftragen Sie einen Detektiv. Der soll sich im Niemandsland mal umsehen. Für 200 Euros pro Tag und Spesen.
Sesam: 200? Ihr Tarif sagt 80.
Jonas: Normalerweise, Herr Sesam, normalerweise. Aber für 80 Euros gehe ich nicht ins Niemandsland. Und wenn ich vernünftig wäre, auch nicht für 200.
Jonas: Das war wieder so ein Fall. Nicht ganz astrein, nicht 100prozentig, nichts für fahrende Ritter, die erschlagen Drachen, retten Jungfrauen, schützen Witwen und Waisen, Herr Sesam war keine Waise auch keine Witwer und erst recht keine Jungfrau. Was er mit den Drittweltlern machte, roch ein bißchen nach Ausbeutung. Anderseits die Leute kamen freiwillig und wollten bei ihm arbeiten. Und ich verpflichtete mich nur mal nach dem rechten zu sehen, nicht etwa Sesams Nachschub an Arbeitskräften zu sichern.
Sesam: Einverstanden. 200 Euros pro Tag.
Jonas: Und Spesen und 400 Euros im Voraus.
Sesam: Jaja, wenn Sie nur was ausrichten, Herr Jonas. Wie wollen Sie vorgehen?
Jonas: Professionell, Herr Sesam.
Sesam: Ja natürlich. Sie haben schon einen Plan.
Jonas: Ich hatte einen Plan, aber den behielt ich lieber für mich. Der Plan war riskant, das Niemandsland war riskant, das ganze Unternehmen war riskant. Und je weniger davon wußten, um so besser. Jonas ist Solist, aus Prinzip, die Einsamkeit des Privatdetektivs.
Jonas: Sie kriegen einen Bericht, Herr Sesam, wenn alles vorbei ist. Vorher sagt er nichts. Und Sie sagen auch nichts. Sie sagen keinem Menschen, daß ich für Sie ins Niemandsland gehe.
Sesam: Und Baklava, sollte der nicht Bescheid wissen, schon in Ihrem Interesse, Herr Jonas, Sie könnten Hilfe brauchen.
Jonas: Sie sagen es keinem Menschen, Herr Sesam, auch nicht Baklava.
Sesam: In Ordnung, wenn Sie so großen Wert darauf legen.
Jonas: Er wirkte verlegen, das fiel mir auf, aber ich hakte nicht nach. An diesem Tag, dem 13. August 2010 war ich wirklich nicht ganz da. Durch Nachhaken hätte ich mir einiges ersparen können. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Sesam: Ich werde Ihnen eine Rikscha rufen, Herr Jonas.
Jonas: Nicht nötig. Ich nehm die Metro.
Sesam: Das ist nicht Ihr Ernst, ich zahle, setzen Sie die Rikscha auf die Spesenrechnung.
Jonas: Ich hab’s eilig, Herr Sesam. Ich fahr mit der Metro.
Jonas: Ich weiß nicht, warum ich darauf bestand, vielleicht weil ich Sesam zeigen wollte, wie hart ich war, so hart, daß man mit mir Nägel in die Wand schlagen konnte, oder weil mir alles so ungeheuer egal war. Kamikaze Jonas. Der hat keine Angst in der Metro, auch dann nicht, als drei Typen in den Wagen stiegen, in dem ich ganz allein saß, zwei davon hatten die irren Augen der typischen Metro-Killer, sie setzten sich rechts und links neben mich und rutschten immer näher. Wenn sie den Mund aufmachten, roch es wir freitag abend im Lokus vom armen Schlucker. Sie sahen das anders.
1. Metro-Killer: Stinkt hier.
2. Metro-Killer: Na das ist der da, der alte Pater, der alte Sack.
1. Metro-Killer: Der ist schon verfault, darum stinkt er so. Hey Alter du stinkst.
2. Metro-Killer: Machs Maul auf, Alter.
1. Metro-Killer: Der sagt nichts, der hat Schiß.
2. Metro-Killer: Vielleicht sagt er was, wenn wir bißchen an ihm rumspielen.
1. Metro-Killer: Wir können ihn ja mal ankokeln oder ihm was abschneiden.
2. Metro-Killer: Hey Alter sollen wir dich mal ein bißchen ankokeln? Oder dir was abschneiden.
1. Metro-Killer: Guck mal, Alter, Rasiermesser ganz scharf.
2. Metro-Killer: Hey kuck mal, Spirituskanister und Feuerzeug. Hähä.
Jonas: Beide waren jetzt ganz nah, ganz dicht neben mir, ich mußte was tun. Karategrundkurs, plötzlich ohne Ansatz beide Ellbogen rechts und links raus, je in einen Solarplexus.
Metro-Killer: Ah!
Jonas: Beide klappten nach vorn und kriegten meine Handkante ins Genick, damit waren sie erst mal bedient, aber da war ja noch der dritte Typ, ich hatte ihn im Augenwinkel und das war gut so, er stand etwas abseits und machte eigentlich einen ganz normalen Eindruck, kein crazy look um die Augen, kein Spiritus, kein Rasiermesser, aber ein Laserstrahler. Während ich die zwei Stinker fertig machte, holte er ihn raus, ganz ruhig, er ging in die Grätsche und hielt die Waffe Richtung Jonas in beiden Händen, ein Profi. Mit Karate war hier nichts zu machen. Meine gute alte Smith & Wesson. Ich kann ziemlich schnell zielen, auch wenn Gary Cooper nicht mein Held ist.
Strugazkiplatz.
Jonas: Ein Bahnhof. Still und leise schlichen die beiden Stinker von dannen, der mit dem Laser schlich nicht. Er konnte nicht mehr schleichen, nicht mal mehr kriechen. Er konnte überhaupt nichts mehr. Er lag da mit einem Loch im Kopf. Als die Metro weiterfuhr, war ich allein im Wagen, mit einem toten Mann. Und natürlich mit Computer Sam.
Sam: Ist es gestattet, eurer fernöstlichen Kampfestechnik nebst Pistoleroeffizienz zum glorreichen Sieg über die bösen Metrokiller ergebenste Glückwünsche auszusprechen.
Jonas: Danke, Sam, danke. Ich wär mir da nicht so sicher.
Sam: Wie das, mein Herr. Es war ein Sieg. Ein großer Sieg. Wir werden nimmer seines Gleichen sehen.
Jonas: Soll sein, Sam, soll sein. Metrokiller, die zwei die sich zu mir gesetzt haben, das waren welche, angeheuert für einen Schuß oder Kapsel Solipsin.
Sam: Dreigroschenknaben, wie man diesen Typus in den guten alten Zeit zu benamsen pflegte, o 80 Euro Mann.
Jonas: Sam besteht aus zwei Elementen, aus dem Hirn und aus den Sinnen, wie ein Mensch, aber anders als beim Menschen ist das Hirn der bei weitem größte Teil, die Speicherbox, die fest in meinem Büro steht, Sam 1. Sam zwo ist ein Kästchen im Taschenformat, mit Sam 1 drahtlos verbunden. Sam 2 sieht, hört und redet, er redet immer zu und überall, weil ich ihn überall hin mitnehmen, damit er mir bei der Arbeit hilft. Das tut er auch, auf seine Weise.
Sam: Kein typischer Metro-Killer hingegen ist jener dritte Aggressor, welches dies irdische Jammertal so früh und frühzeitig verlassen mußte.
Jonas: Dazu sieht er viel zu ordentlich aus.
Sam: Offiziell könnte man sagen.
Jonas: Fast wie ein Polizist.
Sam: Ob er wohl einen Dienstausweis hat. Nun greif ihm doch schon in die Tasche, alter Zausel, du bist doch sonst nicht so zimperlich.
Jonas: Gemach, gemach. Kein Dienstausweis. Sam.
Sam: Bürgerkarte. Geld?
Jonas: Nichts, Sammy. Gar nichts, Moment, hier ist doch was, ein Holobild, und da drauf, das bin ich.
Sam: Hehe, sprechende Ähnlichkeit, Meister, bei der vorangegangenen Szene handelte es sich als keinesfalls um einen beliebigen Metroüberfall, vielmehr...
Jonas: Die Kerle waren auf Jonas angesetzt. Warum?
Sam: Möglicherweise eine Verbindung mit dem soeben von eurer Meisterdetektivität übernommenen Fall.
Jonas: Sehr unwahrscheinlich Sammy. Holo anschaffen, Killer anheuern, mich verfolgen, das dauert seine Zeit. Und Sesam hat mich erst vor knapp 3 Stunden angerufen. Vielleicht steckt jemand dahinter, der noch eine alte Rechnung mit mir zu begleichen hat.
Sam: Oh, die Auswahl ist groß, o vielfach verfeindeter Ehrenmann, ein Freund und Rächer der seligen Frau Prof. Caligari, des seligen Herrn Quarz, des seligen Herr Guttapercha, des seligen Randy Orgas, des seligen Vizepräsidenten Cordes...
Jonas: Und so weiter und so weiter.
Jonas: Als ich ausstieg, war ich immer noch allein im Wagen, der Tote fuhr weiter bis zur Endstation, da sind sie an so was gewöhnt und räumen weg was anfällt. Ich wanderte Richtung Heimat. Unterwegs blieb ich stehen, vor einem Art-Shop, der war neu in der Nachbarschaft und hatte eine hübsche Verkäuferin. Aber das war nicht der Grund, weshalb ich reinging.
Verkäuferin: Kann ich Ihnen helfen?
Jonas: Ich suche Zwerge, Gartenzwerge, Pardon, Zierzwerge, meine ich, haben Sie so was?
Verkäuferin: Selbstverständlich führen wir Zierzwerge. Wenn Sie sich hier hinten umsehen wollen, in diesem Regal.
Jonas: Hmh. Ja, ja wirklich nett. Handarbeit?
Verkäuferin: Leider nein, alles Robotware.
Jonas: Haben Sie denn gar keine handgemachten Zwerge, Sesams Zierzwerge zum Beispiel.
Verkäuferin: Völlig ausverkauft, tut mir leid.
Jonas: Oder von irgendeiner anderen Firma, bloß Handarbeit müssen sie sein.
Verkäuferin: Da kämen nur noch Zierzwerge von Adamson & Co in Frage, aber die sind leider auch ausgegangen.
Jonas: Hmh. Und wie sieht's aus mit andern Artikeln?
Verkäuferin: Handarbeit.
Jonas: Ja Handarbeit.
Verkäuferin: An handgearbeiteten Waren haben wir zur Zeit leider gar nichts da, offenbar ein momentaner Engpaß. Kommen sie doch nächste Woche wieder vorbei.
Jonas: Jetzt aber nach Hause, ins gemütliche 22 Quadratmeterloch, das mir Wohnung ist und Büro dazu, packen und überlegen, letzteres laut, wozu hatte ich Sam.
Jonas: Die Konkurrenz ist es also nicht. Diese Firma, wie heißt sie...
Sam: Adamson und Co. euer Liebden. Ganz gewiß nicht, ist sie doch gleich fall betroffen. Wie verhält es sich jedoch mit jener weiten Konkurrenz des Herrn Sesam, welche Zierzwerge nicht mittels Menschenhand herstellen läßt, sondern wie Vernunft und Fortschritt es gebieten, elektronisch automatisch.
Jonas: Könnte sein, Sammy, glaub ich aber nicht. Diesen Engpaß an menschlichen Arbeitskräften gibt’s ja nicht nur in der Zwergenbranche. Hinter der Sache steckt was anderes als Konkurrenzkampf, was größeres.
Sam: Was?
Jonas: Das können wir nur an Ort und Stelle rauskriegen Auf, Sammy, auf ins Niemandsland.
Sam: Wenn's denn sein muß, o tapferster der tapfersten.
Jonas: Ich will dir was sagen: Ich bin furchtbar müde.
Sam: Sam auch.
Jonas: Und ich hab zu gar nichts Lust.
Sam: Aber ich.
Jonas: Trotzdem ich fahr gern ins Niemandsland. Ich bin froh, daß ich wegkomme, weg von diesem Büro, weg von Babylon, weg von den Straßen, den Menschen.
Sam: Weg von der Dame Judith.
Jonas: Da hast du dich nicht einzumischen, Sam, das hab ich dir schon oft gesagt.
Sam: Oh, Sam bereut. Sam ringt die Hände, Sam streut Asche auf sein Haupt. Verzeih gestrenger Herr, verzeih.
Jonas: Schon gut, Sammy, Buch mir ein Platz in der nächsten Chemorocket nach Karakul.
Jonas: Wie gesagt ich hatte einen Plan. Ich wollte nicht direkt ins Niemandsland, nicht von den Vereinigten Staaten von Europa aus, ich machte ein Umweg und steuerte mein Ziel sozusagen von hinten an, über die Dritte Welt. Karakul liegt im KDW, nicht weit von der Grenze, nicht weit vom Niemandsland, eine interessante Stadt mit Moschen und Museen, Basaren, krummen Gassen, fotogenen Eingeborenen, ein paar großen internationalen Hotels für die vielen Touristen aus Amerika, Japan und Europa und mit einem Flugplatz.
Zollbeamtin: Jonas.
Jonas: Nur Jonas.
Zollbeamtin: Aus Babylon VSE.
Jonas: Steht doch alles da, Schwester. Geboren 1. Mai 1967, Größe 1, 83, besondere Kennzeichen: keine.
Zollbeamtin: Zweck ihrer Reise?
Jonas: Tourist.
Zollbeamtin: Bleiben Sie länger?
Jonas: Vielleicht.
Zollbeamtin: Zertifikat Ihrer letzten Gesundheitsinspektion.
Jonas: Auch das. Bitte sehr.
Zollbeamtin: Magengeschwür. Hinter den Vorhang, Herr Jonas.
Jonas: Warum denn das?
Zollbeamtin: Schutzimpfung gegen Malaria. Vorschrift.
Jonas: Seit wann.
Zollbeamtin: Vorschrift. Gehen Sie hinter den Vorhang, halten Sie den Betrieb nicht auf.
Jonas: Von mir aus, wenn mir nichts schlimmeres passiere als eine Impfung gegen Malaria. Und es ging nicht nur mir so. Alle Touristen wurden geimpft. Ungewöhnlich. Aber ich dachte nicht weiter darüber nach. Ich hatte wichtiges zu tun. Ich suchte mir eine Unterkunft, nicht eins von den großen Touristenhotels, einen billigen Schuppen im Basarviertel, und da verwandelte sich Jonas, der europäische Tourist, in den Drittweltler Mustafa.
Jonas: Preisfrage Sam.
Sam: Ja.
Jonas: Wie erfährt man am besten, was mit Grenzgänger aus der dritten Welt im Niemandland passiert. In dem man selbst als illegale Drittweltler ins Niemandsland geht, richtig.
Sam: Ohne jeden Zweifel, Herr Rundfunkrat.
Jonas: Wie seh ich aus?
Sam: Wie Jonas nur mit etwas dunklerem Teint und anders gekleidet als üblich.
Jonas: Das muß reichen.
Sam: Ja.
Jonas: Plastifacetanks gibt es hier nicht und mit einem völlig falschen Gesicht rumzulaufen ist auch nicht das wahre. Weißt du noch, damals im Schlachthausfall.
Sam: Welche Frage Sir, hab ich doch all eure Herrlichkeit Abenteuer sorgsam gespeichert und für alle Zeit bewacht. Ein Denkmal dauerhafter denn Erz. Horaz.
Jonas: Wer immer das sein mag.
Sam: Ho.
Jonas: Mit Waffen sieht's ziemlich dünn auf. Das landesübliche Messer, mehr ist nicht drin. Ein armer Drittweltler hat kein Laserstrahler. Nicht mal eine Smith & Wesson. Auch wenn ich sie durch die Flughafenkontrollen gekriegt hätte. Geld, 1000 Piaster, das sind etwa 200 Euros. Tja, und dann hab ich bloß noch mein Kopf.
Sam: Sowie den allzeit getreuen Sam, sofern ein armer Drittweltler ein Computer sein Eigen nennen darf, ohne Verdacht zu erregen.
Jonas: Weiß du was, Sammy.
Sam: Ja?
Jonas: Ich sag einfach, du bist ein altmodisches Transistorradio.
Sam: Pfui. Pfui.
Jonas: Nicht für mich. Und das Computer so was wie Würde haben kann ich mir nicht denken.
Sam: Das denken sollten eure verquälte Scherzhaftigkeit den Computern überlassen, die haben kleinere Chips und größere Speicher.
Jonas: Der Rest war einfach. Ein paar Tassen Tee, synthetisch natürlich, ein paar Fragen, ein paar Piaster, und Jonas Mustafa stand in einem schäbigen kleinen Laden, wo es Mützen aus synthetischem Lammfell zu kaufen gab, hier residierte Dschamil Baklava, der Schleuser, der Mann, der armen Drittweltlern das Tor zu den Fleischtöpfen Europas öffnete, aus reiner Menschenliebe und gegen ein kleine Gebühr.
Baklava: Hast du Geld?
Jonas: Ja, Effendi, wenig.
Baklava: Wieviel?
Jonas: Ein paar Piaster, Effendi.
Baklava: Wieviel?
Jonas: 5. äh 500 Piaster.
Baklava: Gib sie mir.
Jonas: Alle 500, Effendi?
Baklava: Gib her. Alles was du hast. In ein paar Stunden bist du drüben, in Europa, da brauchst du keine Piaster. Oder willst du gar nichts nach Europa. Willst du lieber zurück in dein Dorf?
Jonas: O nein, Effendi.
Baklava: Na also. Gib. 500. Gut so. Geh hinten durch die Tür, auf dem Hof steht ein Lastwagen.
Jonas: Ein Benzinauto.
Baklava: Natürlich ein Benzinauto, was denkst du denn, du steigst auf die Ladefläche unter die Plane, und da wartest du.
Jonas: Worauf, Effendi?
Baklava: Das wirst du schon merken.
Jonas: 12 Leutchen hockten schon auf der Ladefläche, als ich dazustieg, und nach mir kamen noch welche. Keiner sagte ein Wort. Alle warteten. Ab und zu steckte Baklava seinen unschönen Kopf durch die Plane und sah jedem von uns aufmerksam ins Gesicht. Es wurde dunkel, die Fahrertür klappte, der Motor wurde gestartet, unser Wagen setzte sich in Bewegung, wir fuhren durch die Straßen von Karakul und dann über Land auf schlimmen Straßen. Neben mir saß ein alter Mann mit seiner Tochter oder Enkelin, einer richtigen orientalischen Schönheit, schwarzes Haar, Mandelaugen usw. Nach zwei Stunden Rütteln und Schütteln fühlte der Alte sich soweit gelockert, daß er ein Gespräch mit mir anfing, er hieß Hüsük, sagte er, und er war halbblind, aber er war nicht dumm:
Hüsük: Du bist anders, Mustafa, du bist keiner von uns.
Jonas: Ich komme von weit her. Vom Rand der Wüste. Sag mir Großvater Hüsük, warum willst du nach Europa.
Hüsük: Ich gehe mit meiner Enkelin, meine Enkelin Safiye, sie wird drüben Arbeit finden und sie wird es gut haben.
Jonas: Und du, Großvater, bist du nicht schon zu alt zum arbeiten.
Hüsük: Ich gehe um zu sterben, Mustafa, dann zu sterben, wenn meine Zeit gekommen ist, nicht zu früh, nicht an der Krankheit. Gibt es sie auch bei euch, am Rand der Wüste diese schreckliche Krankheit?
Jonas: Nein.
Safiye: Bei uns im Dorf sind schon viele an ihr gestorben, auch in den Nachbardörfern.
Hüsük: Sogar in Karakul soll sie schon sein die Krankheit.
Jonas: Was ist das für eine Krankheit, Großvater.
Hüsük: Man nennt sie den schwarzen Tod, wer von ihr befallen wird, bekommt zuerst heftiges Fieber, dann wachsen ihm Beulen und Leisten unter den Narben am Hals, schwarze Geschwüre so groß wie Hühnereier, sie breiten sich über den ganzen Körper aus, und nach wenigen Tagen stirbt der Kranke, unter großen Schmerzen.
Safiye: Die Regierung hat versprochen, uns Medizin zu schicken, aber sie hat es nicht getan.
Hüsük: Man sagt, die Regierung hat nicht genug Medizin, alles was sie hat, gibt sie den Fremden, die unser Land besuchen, sagt man, damit sie nicht krank werden und man draußen nicht schlecht über unser Land redet. Schau durch das Loch in der Plane, Safiye, sag mir, was du siehst.
Safiye: Nichts, Großvater, alles ist dunkel.
Hüsük: Kein Licht?
Safiye: Nein, Großvater.
Hüsük: Dann sind wir schon im Niemandsland.
Jonas: Seit einer Minute piepte Sam wie wild in meiner Brusttasche. Notsignale, ich rücke etwas ab von Hüsük, holte meinen Freund und Helfer raus und hielt ihn ans Ohr. Zum Glück war es so dunkel, daß keiner der anderen was mitkriegte.
Sam: Na endlich. Habe mir erlaubt, mitzuhören, Herr Sanitätsrat. Klar Fall. Diagnose eindeutig.
Jonas: In der Dritten Welt ist eine Epidemie ausgebrochen. Irgendeine Seuche.
Sam: Nicht irgendeine, Herr Medizinalrat, eine ganz bestimmte, die Beulenpest.
Jonas: Unsinn Sam, die Pest ist längst ausgerottet, zuletzt ist sie aufgetreten, warte mal, das war...
Sam: Vor genau 90 Jahren, Herr Oberarzt, in der Mandschurei, seitdem muß sich in einem gottverlassenen Winkel der Dritten Welt eine Kolonie vom Pasteur Relabestis bis heute gehalten haben.
Jonas: Und das wäre?
Sam: Der Pestbazillus, geschätzter Lateingehilfe. Die Beschreibung des Krankheitsablaufs ist unmißverständlich. In der Dritten Welt grassiert die Pest.
Jonas: Was?
Sam: Ja, ein Tatbestand, den die Regierung offensichtlich geheimzuhalten wünscht.
Jonas: Natürlich, wegen der Touristen, damit sie nicht abgeschreckt werden.
Sam: Jeder Tourist wird noch auf dem Flughafen geimpft. Pieks.
Jonas: Ja, gegen Malaria.
Sam: Glaubst du das wirklich, du geistiger Hilfspfleger. Frage, was geschieht mit den Grenzgängern, mit den Drittweltlern, die durch das Niemandland nach Europa gelangen wollen. Einige von ihnen müssen infiziert sein.
Jonas: Und wenn sie in Europa sind und da auch die Pest ausbricht.
Sam: Dann weiß alle Welt bescheid. Das ganze KDW wird unter Quarantäne gestellt. Es gibt keine Touristen mehr.
Jonas: Ja, aber es kommen ja keine Grenzgänger mehr nach Europa.
Sam: Dreimal dürfen Herr Chefarzt raten, warum. So, spring ab.
Jonas: Soll ich nicht die andern hier...
Sam: Die würden dir sowieso nicht glauben, spring ab, Jeronimo.
Jonas: Also sprang ich ab und duckte mich hinter einen Grabenrand. Keinen Augenblick zu früh. Ein paar Meter weiter blieb der Wagen stehen, plötzlich blendeten Scheinwerfer auf, es wurde taghell, ich mußte ein paar Sekunden lang die Augen zukneifen. Als ich sie wieder aufmachte, sah ich Soldaten in den Uniformen der KDW-Grenztruppe, sie zerrten Hüsük, Safiye und die andern von der Ladefläche und trieben sie in einen niedrigen Schuppen ohne Fenster.
Jonas: Sie bringen sie um, Sam, sie bringen alle um, den alten Hüsük, die schöne Safiye, alle.
Sam: Seit 4 Wochen, geehrter Trauergast, bringen die KDW-Truppen alle illegalen Grenzgänger um, damit die Außenwelt nichts von der Pest erfährt.
Jonas: Jetzt wissen wir, warum Herr Sesam keine Arbeiter mehr kriegt.
Sam: Ganz recht, großer Durchblicker, Auftrag ausgeführt. Mission beendet.
Jonas: Bleibt nur ein kleines Problem, Sam.
Sam: Ja?
Jonas: Wie komme ich zurück nach Babylon. Oder wenigsten raus aus dem Niemandland.
Grenzsoldat mit Megafon: Hier spricht das Sanitätskommando der Grenztruppe, Konglomerat Dritte Welt, wir rufen Jonas, alias Mustafa, Jonas alias Mustafa.
Jonas: Woher wissen die?
Grenzsoldat mit Megafon: Verlassen Sie Ihr Versteck, Flucht ist zwecklos, kommen Sie zu uns, ergeben Sie sich, es wird Ihnen nichts geschehen.
Jonas: Glaubst du ihm, Sammy?
Sam: Glaubst du ihm?
Jonas: Bin ich blöd? Taktischen Rückzug nennt man so was.
Sam: Bitte gelegentlich einen Blick auf den treuen Sammy werfen zu wollen, o flotter Normeh. Der erleuchtete rote Pfeil auf dem Bildschirm weist den Weg nach Europa.
Jonas: Der Weg führte quer durchs Niemandsland, vorbei an Ruinen, an gesprengten Bunkern, an verrosteten Panzerwracks, alles war still, unheimlich still. Und auch ich war leise, um nicht mögliche Verfolger aufmerksam zu machen. Aber es gab keine Verfolger. Im ganzen großen Niemandsland schien nichts zu leben, kein Strauch, kein Tier, kein Mensch, doch, da war was: vor mir ein Licht, ein Flackern, ein Lagerfeuer, ich schlich näher, vorsichtig, und sah 3 Männer, 3 wildaussehende struppige Kerle mit Hackmessern am Gürtel und eine Frau, der die drei gerade die Taschen ausräumten.
Bandit: 20 Piaster, eine silberne Kette, ein Ring, Messing.
Bandit: Die guten Sachen hat sie in der Wäsche.
Bandit: Glaub ich auch. Zieh dich aus.
Safiye: Nein.
Bandit: Ja zieh dich aus.
Safiye: Nein. Las mich los. Hilfe.
Jonas: Das ist Safiye, sie ist auch geflohen.
Safiye: Man will mich... Zu Hilfe! Hilfe! Hilfe! zu Hilfe!
Bandit: Schrei nur, keiner hört, keiner hört dich, und wenn du schreist, machst du uns erst richtig scharf. Maul halten.
Sam: Sehr gut Leutnant, lassen Sie ausschwärmen. Zu Befehl, Herr Hauptmann. Ausschwärmen, keiner darf entkommen! Na bitte, hat gewirkt.
Jonas: Nicht ganz, Sam.
Jonas: Nur zwei Banditen waren ins Dunkel getürmt, der dritte hielt Safiye am Arm fest und wußte offenbar nicht recht, was er tun sollte. Ich half ihm, ich warf ihm ein Messer in den Hals, er fiel um und alle Unklarheit war vorüber. Für immer. Ich trat in den Feuerschein, um mir das Messer zurückzuholen.
Safiye: Mustafa.
Jonas: Hallo Safiye.
Safiye: Sie haben sie erschossen, Mustafa, Großvater auch. Alle sind tot, nur wird nicht, Mustafa.
Jonas: Ja, Safiye. Wie bist du aus dem Schuppen gekommen?
Safiye: Ein Brett war lose, ich bin durchgekrochen.
Jonas: Und sie haben dich nicht gesehen.
Safiye: Nein, ich bin gelaufen, ich hatte Angst, auf einmal waren die Banditen da.
Jonas: Jetzt ist ja alles gut, ist ja gut. Vorläufig jedenfalls. Du gehst am besten mit mir, Safiye.
Safiye: Ja Mustafa. Ich hab ja sonst niemand mehr.
Jonas: Und wieder ein Marsch durchs nächtliche Niemandsland. Diesmal aber nur ein kurzer. Safiye war erschöpft und ich brauchte auch ein bißchen Ruhe. Wir suchten uns eine Ruine, die noch ein paar intakte Wände hatte, es war kühl. Wir waren beide müde, Safiye und ich, aber was wir noch nötiger hatten als Schlaf, das waren Wärme und Trost. Ich schaltete Sam ab. Wir wärmten und wir trösteten uns. Dann schliefen wir ein. Schritte und Stimmen schreckten uns aus dem Schlaf, es wurde schon hell, ich riskierte einen vorsichtigen Blick über die Mauer und schaltete Sam wieder ein. Drei Köpfe sind besser als zwei, auch wenn Sam keinen hat.
Jonas: Das sind unsere Söldner, eine Streife der ImPo. Keine Gefahr, oder? Was denkst du?
Sam: Was kann Hoheit schon an der Meinung eines armseligen Computers liegen, eines Objekts, welches menschliche Willkür an und abschalten kann, ganz nach Belieben.
Jonas: Hör auf zu muffeln, Sam. Was meinst du?
Sam: Erlaube mir ergebenst, vorerst verhaltene Vorsicht anzuempfehlen.
Safiye: Guten Morgen, Jonas.
Jonas: Guten Morgen Safiye. Jonas? Wieso Jonas? Mustafa.
Safiye: Jetzt brauchst du nicht mehr zu lügen du heißt Jonas und du bist aus Europa.
Jonas: Wer sagt das.
Safiye: Die Grenzer. Unsere Grenzer. Sie waren sehr böse, als sie merkten, daß du nicht mehr bei uns warst. Sie haben nach dir gefragt, und dann haben sie mich aussortiert, bevor sie die anderen erschossen haben, sie haben gesagt, du bist ein Spion, sie haben gesagt, ich soll im Niemandsland nach dir suchen, und wenn ich dich gefunden habe, und wenn Grenztruppen in der Nähe sind, ganz gleich ob unsere oder Europäer, dann dann soll ich...
Jonas: Ja?
Safiye: Hier, hier ist er, hier ist Jonas! Wenn ich dich verrate, lassen sie mich nach Europa, das haben sie versprochen. Hier.
ImPo-Beamter: Waffen in Anschlag. Kommen Sie raus, Hände über den Kopf, los los. Sie sind also Jonas. Super, das gibt Sonderurlaub, vielleicht sogar einen Orden. Danke Täubchen gut gemacht, jetzt brauchen wir dich nicht mehr.
Safiye: Ah!
ImPo-Beamter: Hast du dir gedacht, Täubchen, nach Europa, uns die Pest einschleppen. Kommen Sie, Jonas.
Jonas: Eine knappe Stunde zu Fuß zum ImPo-Stützpunkt, Fahnenstange, Landeplatz mit einem Hubschrauber, Baracke. Meine Wächter schoben mich durch eine Tür mit der Aufschrift Kommandantur.
Shuk: Majorin Shuk, Immigrationspolizei der VSE. Willkommen. Der vielbegehrte Jonas in meinem Stützpunkt. Ich bin hoch erfreut.
Jonas: Und ich erst.
Shuk: Lassen Sie sich anschauen. Sie sind wirklich kein Mensch, keine Katze, wieviel Leben haben Sie eigentlich. Gestern, in Babylon, sind Sie einem unserer besten Spezialisten entkommen, den wir auf Sie angesetzt hatten. Was sage ich entkommen, Sie haben ihn umgebracht, nicht er Sie wie es vorgesehen war.
Jonas: Der Überfall in der Metro, das waren Sie, die ImPo?
Shuk: Ja sicher, Weil Sie planten, das Niemandsland aufzusuchen, und das konnten wir nicht zulassen.
Jonas: Woher wußten Sie denn daß ich ins Niemandland wollte? Ich hatte doch gerade erst mit meinem Auftraggeber...
Shuk: Dafür hat Herr Sesam gesorgt, noch bevor er Ihnen den Auftrag gab, hat er diese seine Absicht kundgetan.
Jonas: Wem?
Shuk: Seinem Schleuser, Baklava, um ihn, wie er meinte, zu beruhigen, nun ist aber Baklava ein Patriot, und in der jetzigen problematischen Situation. Sie wissen ja Bescheid, Jonas, Beulenpest im KDW etc. In dieser Situation also arbeitet Baklava mit den Grenzorganen seines Staates zusammen.
Jonas: Soll heißen er führt den Mördern die Opfer zu, nachdem er sie ausgeplündert hat.
Shuk: Aber Jonas machen sie eine so simple Geschichte nicht zu Melodram. Baklava hat die KDW-Grenzwächter über Sie informiert und die Kameraden von drüben haben die Information sofort an uns weitergegeben. Wir ziehen alle an einem Strang.
Jonas: Hoffentlich hängen Sie bald dran.
Shuk: Was wollen Sie. Auch wir können nicht daran interessiert sein, daß pestkranke Drittweltler Europa heimsuchen.
Jonas: Warum sperren Sie nicht einfach die Grenze?
Shuk: Mein bester Jonas dann würde allgemein bekannt werden was die Kameraden von drüben mit so großem Eifer und aus so guten Gründen geheimzuhalten suchen, und ihren dringenden Wunsch, daß auch weiterhin niemand von der grassierenden Beulenpest erfährt, läßt die Dritte Welt sich gern etwas kosten.
Jonas: Die ImPo wird also bestochen.
Shuk: Die Welt, mein lieber Jonas, ist kein Nonnenkloster, Alle bestechen oder werden bestochen. Zurück zu Ihnen. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat unseres Spezialisten taten Sie etwas, womit niemand rechnen konnte. Sie gingen nicht auf direktem Weg ins Niemandland, Sie flogen als Tourist nach Karakul, und wir hier an der Grenze haben vergeblich auf Sie gewartet. Zum Glück hatten wir dafür gesorgt, daß Baklava ein Holobild von Ihnen bekam, für alle Fälle. Er erkannte Sie trotz ihrer Mustafamaskerade und verständigte seine Kontaktleute an der Grenze. Besondere Vorkehrungen wurden nicht getroffen, man nahm an, Sie würden mit samt der übrigen LKW-Ladung routinemäßig erledigt werden.
Jonas: Ein Irrtum.
Shuk: Gewiß, aber ohne scherwiegende Folgen. Wir sind ja auch noch da. Wir sind gewissermaßen die Lumpensammler.
Jonas: Wie sinnig.
Shuk: Wenn den Kameraden drüben einer durch die Lappen geht, rufen sie uns an und wir fangen ihn ab. Und dann erschießen wir ihn natürlich.
Jonas: Natürlich. Mich auch?
Shuk: Aber ja. Sie vor allem.
Jonas: Aber ich hab nicht die Pest. Ich bin geimpft.
Shuk: Sie sind viel gefährlicher als so ein armer verpester Drittweltler. Sie wissen, was hier gespielt wird. Und Sie sind im Stande es weiter zu erzählen. Sie hatten Glück, Jonas, großes Glück, aber jetzt ist Ihr Glück zu Ende und Ihr Leben auch. Schade. Apropos: haben sie einen letzten Wunsch. Wenn es sich irgendmachen laßt.
Jonas: In dem Schrank da seh ich eine Flasche.
Shuk: Schottischer Whisky, echter, uns geht es gut, wir können uns was leisten. Wie hätten Sie ihn gern, mit Eis, mit Soda, mit Wasser?
Jonas: In einem Glas.
Shuk: Aber gewiß doch. Ah!
Jonas: Das ist ein Messer, Majorin, die Spitze direkt an Ihrer Halsschlagader.
Sam: Wie vor einem Jahr im Reservat, Sultan Suleiman, mein Meister geruht sich zu erinnern.
Jonas: Klar. Was jetzt, wir sind nicht im 10. Stock und einen Kanal gibt es hier nicht.
Sam: Wohl aber, hehehe, muß eure innere Schwerbegrifflichkeit tatsächlich darauf hingewiesen werden, wohl aber einen Hubschrauber.
Jonas: Gute Idee, Sam.
Sam: Gute Idee, Sam. Ausgezeichnete Idee, wunderbare Idee, exorbitante Idee, superpyramidale Idee.
Jonas: Auf jeden Fall eine Idee, die funktionierte. Ich nahm mir den Laserstrahler der Majorin und ging mit ihr zum Hubschrauber, langsam, die ImPos trauten sich nicht einzugreifen, ich band die Majorin auf dem Nebensitz fest und flog los. Zum Glück wußte ich, wie man mit so einem Ding umgeht. Ich überlegte, ob ich die Majorin unterwegs rauswerfen sollte, ich tat's nicht, es hatte schon so viele Tote gegeben. Statt dessen ließ ich sie an einem Seil auf einen Alpengletscher runter. Auch eine Strafe. Den Hubschrauber landete ich auf freiem Feld vor Babylon. Drei Stunden später war ich bei Martin Sesam, gewaschen und umgezogen. Und Sesam war über meinen Bericht gar nicht glücklich.
Sesam: Beulenpest, Todesschwadron, Baklava ein falscher Fuffziger, was soll ich mit so einer Räuberpistole, mich interessiert nur eins, Herr Jonas, haben Sie mir von drüben neue Arbeitskräfte mitgebracht?
Jonas: Das war nicht mein Auftrag, Herr Sesam.
Sesam: Ach. Wissen Sie wenigstens, wann ich mit neuen Arbeitern rechnen kann?
Jonas: Überhaupt nicht.
Sesam: Ist das wahr? Dann muß ich Konkurs anmelden.
Jonas: Ihre Sache, Herr Sesam.
Sesam: Meinen Sie, Jonas? Wenn ich pleite gehe, können Sie sich ihre Rechnung an die Backe kleben. Von mir kriegen Sie kein Geld, 400 Euros Vorschuß haben Sie schon, mehr gibt's nicht.
Sam: Besagten 400 Euros Vorschuß auf der Einnahmenseite steht auf der Ausgabenseite gegenüber die Summe von 387 Euros 0 Cents. Welche sich zusammensetzt wie folgt: Flug Babylon-Karakul mittels Chemorocket 352 Euros. Diverse gebrauchte Kleidungsstücke 78 Euros...
Jonas: Sei mal still: 400 weniger 387.
Sam: 13 Euros.
Sesam: Na bitte 13 Euros Reingewinn, ist doch was. Sie finden wohl selbst raus.
Jonas: Auf dem Weg nach Hause kam ich wieder am Art-Shop vorbei, die hübsche Verkäuferin stand in der Tür und lächelte mich an.
Verkäuferin: Hatten Sie nicht gestern nach handgearbeiteten Zierzwergen gefragt?
Jonas: Ja.
Verkäuferin: Einen hab ich noch gefunden beim Grossisten. Das ist der allerletzte hat er gesagt, weil keine mehr nachkommen. Wollen Sie ihn mitnehmen?
Jonas: Soll ich Ihnen was verraten: Ich hasse Zierzwerge.
Jonas: Ich hätte sie fragen können, ob sie abends schon was vorhatte. Ich hätte sie zu mir einladen können. Das echte Büro eines echten Detektivs. Das zieht immer. Aber ich war zu müde. Ich ging nach Hause, legte mich ins Bett und ließ mich von Sam in den Schlaf singen.
Sam: You must remember this, a kiss is just a kiss...
Jonas: Ich dachte an die Verkäuferin, an Judith, an Safiye und daran, daß ich was unternehmen sollte, wegen der Pest in der Dritten Welt. Morgen.
Das war Niemandsland. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam: Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Elisabeth Endriss, Sabine von Maydell, Karin Kernke, Harald Leipnitz, Michael Habeck, Michael Hoffmann, Peter Capell und viele andere (Michael Gahr, Julia Fischer, Norbert Goth, Erik P. Caspar, Joachim Schmahl, Marold Langer-Philippsen). Ton und Technik: Günter Heß und Angela Bernd. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1985). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.
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