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Forenübersicht » Pfadfinder - Forum » Büchervorstellungen und Rezensionen von Pfadiliteratur » Ritter der neuen Zeit - Neue BP-Biographie jetzt auf deutsch

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2 Beiträge in diesem Thema (offen) Seiten (1): (1)
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Gast Amicus  
Ritter der neuen Zeit - Neue BP-Biographie jetzt auf deutsch
Gast
Hallo zusammen,

ich hab gestern im SZ-Literaturteil von letztem Montag eine Buchbesprechung einer Erscheinung auf Deutsch einer wohl sehr umfangreichen Biographie von BP.



Die Ritter der neuen Zeit
Rezensiert von GERT RAEITHEL - 06-10-2008

Fast zwanzig Jahre nach dem englischen Original liegt nun die deutsche Fassung von Tim Jeals dickleibigem Werk über Robert Stephenson Baden-Powell (1857–1941) vor, den Begründer der Pfadfinderbewegung. Sowohl das Verlegerehepaar wie der Übersetzer haben einen pfadfinderischen Hintergrund, anderweitig wäre diese Lebensbeschreibung wohl überhaupt nie auf Deutsch erschienen.
Baden-Powell, dessen vorderer Namensbestandteil auf deutsche Vorfahren hindeutet, hatte als Dreijähriger seinen Vater verloren. Die anspruchsvolle Mutter ließ es an Fürsorge mangeln, zeitweise wuchs der kleine Stephe (sprich: Stiewi) bei den Großeltern auf, früh wurde er auf eine Internatsschule geschickt. Weil er die Aufnahmeprüfung für Oxford nicht schaffte, kam er gleich als Offiziersanwärter zu einem Husarenregiment. Der 19jährige fand sich als Kavallerist im Dienste der britischen Krone in Indien wieder.

Detaillierter als Tim Jeal kann man eine Lebensgeschichte nicht erzählen. So erfahren wir, dass die Tochter eines Freundes von Stephe in dem Dorf Creaton in Northamptonshire lebte, teilweise aber auch „im New Forest in East Boldre in der Nähe des Hafens von Lymington am Fluss Solent”. An dieser Stelle muss ein Kuriosum erwähnt werden: Anders als das Original enthält die über 700 Seiten starke deutsche Ausgabe weder ein Namens- noch ein Ortsregister. Aus Versehen ist es nicht mitgedruckt worden, kann aber, in ausgedünnter Form, vom Verlag nachgefordert werden.


Baden-Powells Neigung zu gutmütigen Foppereien täuschte über seinen Ehrgeiz hinweg. Unermüdlich antichambrierte der eher kleine, drahtige Mann, um gute Kommandos zu erhalten und in der Offiziershierarchie aufzusteigen. Allerdings wiederholte sich bei der Aufnahmeprüfung für die Stabsakademie die Pleite von Oxford: Er fiel durch. Wollte er rascher als bisher befördert werden, brauchte er Fronteinsätze. Im Burenkrieg war es soweit. Südafrika sollte britisch werden. Konkret ging es um den Zugang zu den Goldminen. Europäische Kolonialmächte boten afrikanischen Stämmen „Schutz” an, um ihr Land unter Kontrolle zu bringen. Briten wie Buren bewaffneten Eingeborene. Krupp lieferte die Kanonen. Baden-Powell wurde unversehens zum Kriegshelden, nachdem er als Kommandant der Ortschaft Mafeking einer quälend langen Belagerung widerstanden hatte. Jeal schildert diese Belagerung in allen Einzelheiten und dokumentiert schier jeden gefallenen Schuss.

Das Pfadfindertum wäre ohne die afrikanischen Erfahrungen des Kolonialoffiziers Baden-Powell nicht entstanden. Jahre vor dem ersten Boy Scout Camp veröffentlichte er eine Schrift mit dem Titel „Reconnaissance and Scouting”. In seinem Tagebuch finden sich Einträge wie dieser: „Ich war beim Kundschaften mit meinen Eingeborenenjungen.” In Südafrika praktizierte er den „Pfadfinderschritt”, abwechselnd laufen und gehen. Die Knoten, die Pfadfinder später an ihren Heimabenden übten, hatte er Afrikanern beim Brückenbau abgeschaut. Die ersten englischen Scouts stimmten am Lagerfeuer Kriegslieder der Zulus an. Ihre Halstücher waren ursprünglich als Schutz vor der subäquatorialen Sonne gedacht.

Ob Radspuren in Afghanistan oder Fußabdrücke im Transvaal – Baden-Powells Interesse am Spurenlesen grenzte an eine Obsession. Aus seinem südafrikanischen Buschtagebuch übernahm er Tipps fürs Fährtenlesen in sein Handbuch für Pfadfinder. Aus einer Fährte könne man auf Alter, Geschlecht und den Charakter einer Person schließen. Das Handbuch trägt den Titel „Scouting for Boys” (1908). Es war seinerzeit der größte englische Bestseller und weltweit einer der erfolgreichsten Longseller.
Der ideale Pfadfinder ist Baden-Powell zufolge rein in Gedanken, Worten und Taten. Er vollbringt jeden Tag eine gute Tat. Er ist sparsam, höflich und naturverbunden. Kein Hasenfuß. Auf keinen Fall ein Snob, wie er in Städten vorkommt. Alkohol und Nikotin meidet er, Selbstbefriedigung und Fußball als bloßer Zuschauersport ist seine Sache nicht. Die Pfadfinderei soll aus Jungen anständige Bürger machen und auf den Dienst in den Kolonien vorbereiten. Das Pfadfindermotto lautet „Be Prepared” – die Initialen des Gründervaters! – oder „Allzeit bereit”. Baden-Powell hat sich anregen lassen von dem, was George Catlin über Indianer geschrieben hat oder Mark Twain über das Leben auf dem Mississippi oder Rudyard Kipling über den indischen Dschungel. Diese Quellen verblassen allerdings neben der Inspiration durch die Kriegserlebnisse im afrikanischen Busch.

Im Alter von 53 Jahren tauschte er die Generalsuniform gegen die Pfadfinderkluft ein. Mit 55 heiratete er eine 23jährige. Sie brachte drei Kinder zur Welt, hinterher war „der Bedarf an Zeugungsakten beendet”, wie Jeal schmucklos feststellt. Die Ehe machte ihn krank, starke Kopfschmerzen plagten den Jungvermählten, die erst nachließen, als er aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszog und sein Lager auf dem Balkon aufschlug. Der Frage, ob der Gründer der weltgrößten Jugendbewegung homosexuell war, widmet Jeal ein ganzes Kapitel. Sicher ist: Er fand den nackten männlichen Körper anziehender als den weiblichen und scheute vor sexuell aktiven Frauen zurück. Homophile Neigungen sind offenkundig, und Jeal weiß, dass Baden-Powell „im Überfluss Gelegenheiten zu heimlichen sexuellen Begegnungen hatte”, obgleich Hinweise fehlen, dass er diese Gelegenheiten ergriffen hat. Somit bleibt das Fazit, dass er seine Homosexualität unterdrückte. Als Berufsoffizier und oberster Pfadfinder stand ihm ein Spielraum für Sublimierung zur Verfügung, „über den selbst Freud gestaunt hätte”.

Nicht zu beneiden ist der Biograph einer Person, die so viel Widersprüchliches in sich barg wie Baden-Powell. Er propagierte männliche Härte, trat aber nur zu gern in Frauenkleidern auf. Mit seinem umgänglichen Wesen machte er sich überall beliebt, doch blieb er – mit einer Ausnahme – ohne enge Freunde. Knaben wolle er zu wehrhaften Männern erziehen, freilich sollten sie – wie er selbst – ihre Jungenhaftigkeit behalten. Den fundamentalen Widerspruch arbeitet Jeal gekonnt heraus: Baden-Powell wies der britischen Jugend den Weg zu einer vorindustriellen, an der Kultur der Eingeborenen orientierten Lebensweise als Vorbereitung für eine Tätigkeit, die eben diesen Eingeborenen im Empire den Fortschritt bringen sollte. Vielleicht beruhte Baden-Powells Erfolg auf seiner Widersprüchlichkeit. Seine Denkhaltung war in jeder Richtung auslegbar.

Kaum ein Ismus, dessen ihn Kritiker nicht bezichtigt hätten: Imperialismus natürlich, Militarismus, Sadismus, Rassismus, Sympathie für den Faschismus. Für jede dieser Anschuldigungen existieren Belege und Gegenbelege. Er schätzte „Mein Kampf” als „wundervolles Buch” mit guten Ideen, doch der nationalsozialistische Rassenwahn war ihm fremd, und später zeichnete er Hitler, wie er von einem Kehrbesen hinausgefegt wird. Tim Jeal hat seine Biographie auch als Antwort auf Baden-Powells Kritiker geschrieben. Auf 20 Seiten will er den Vorwurf entkräften, er habe in Mafeking eine große Zahl von Bewohnern und Flüchtlingen schwarzer Hautfarbe dem Hungertod preisgegeben. Nur: Jeal geht in seinem Bemühen, Baden-Powell zu exkulpieren, des Öfteren zu weit. Die unglaubwürdigste Stelle des ganzen Werkes ist seine Erklärung, warum Baden-Powell halb verhungerte Schwarze vor der Suppenküche für die Brühe aus Esel- oder Pferdefleisch auch noch bezahlen ließ. Er sei eben ganz der Sohn seiner Mutter gewesen und „von frühester Kindheit darauf gedrillt, über jeden Posten auf der Seite der Ausgaben penibel Buch zu führen. Sein Bruder George war der Autor von ,State Aid and State Interference‘, einem Angriff auf jede Form der Subvention”.

Selbst der nachsichtigste Biograph könnte über die sadistischen Neigungen vor allem des jungen Offiziers nicht hinwegsehen. Dass er seinem Krieg entgegenfieberte, mag zum Soldatenberuf gehören. Darüberhinaus suchte er fortwährend alte Schlachtfelder auf, fachsimpelte mit Scharfrichtern und fuchste sich, das Schauspiel einer Hinrichtung verpasst zu haben. Sein liebster „blood sport” war die Jagd auf wilde Schweine. Genüsslich rammte er vom Sattel aus dem Eber die Lanze in die Weichteile.
Tim Jeals Werk kommt daher wie die definitive Biographie, doch über drei Streitpunkte werden er und andere Historiker sich so schnell nicht einig werden. Beim ersten Punkt geht es um die Belagerung von Makefing. Anhänger der heroischen Schule sagen, Baden-Powell und seine hartbedrängten Leute trotzten in Unterzahl allen Widrigkeiten, bis der Feind abzog. Demgegenüber lästern seine Kritiker, das sei ein schöner Kavallerieoffizier, der sich so in die Falle locken lässt, dass er am Schluss seine eigenen Pferde aufessen muss. Der zweite Punkt betrifft Baden-Powells Homosexualität, ja oder nein. Der dritte Streitpunkt bezieht sich auf die ursprüngliche Intention der Pfadfinderbewegung. Verfolgte Baden-Powell bei der Charakterbildung junger Menschen vorrangig zivile oder militärische Ziele? Jeal steuert, wie so oft, einen Mittelkurs: Der Gründervater der Boy Scouts wollte zwar, dass jeder britische Junge schießen lernt, aber gerade in „Scouting for Boys” betonte er bürgerliche Werte. Sein Brevier liest sich heute noch „erfrischend unmilitärisch”, staunte der liberale Guardian.

Jeal schreibt wenig über die Pfadfinderbewegung in anderen Ländern. Die Belagerung von Mafeking handelt er auf über 100 Seiten ab, die amerikanischen Boy Scouts sind ihm gerade mal vier Seiten wert, die europäischen ein paar Zeilen. In Deutschland nahm die Bewegung ihren Anfang, nachdem Alexander Lion „Scouting for Boys” übersetzt hatte. Lion war ebenfalls Kolonialoffizier und bei der Niederschlagung des Herero-Aufstands dabei gewesen. Unterm Kaiser schätzte man die militärische Verwertbarkeit pfadfinderischer Tugenden. Später verschob sich der Akzent. „Wir sind die Ritter der neuen Zeit / in Sturm und Gewitter allzeit bereit”, heißt es in einem Pfadfinderlied aus den zwanziger Jahren. Im „Dritten Reich” wurde Lion als Jude verfolgt, Baden-Powell als so gefährlich angesehen, dass ihm bei einer etwaigen Invasion der Insel die Verhaftung gedroht hätte. Nach dem Zusammenbruch wurden die hiesigen Pfadfinder mit Genehmigung der Militärregierung neu gegründet. Im Zuge von Studentenbewegung und Frauenemanzipation spalteten sie sich in Traditionalisten und Fortschrittliche auf. Schon fand das erste anti-autoritäre Zeltlager statt.

Im Alter beklagte Baden-Powell die Zerstörung von Stammeskulturen, die er selbst mit zertrampelt hatte. Dem Abschlachten von Tieren konnte er nichts mehr abgewinnen. Empfehlenswerter sei die Jagd mit der Kamera denn mit Gewehr und Sauspieß. Der Greis, längst war er in den Adelsstand erhoben, schlief gern noch mal im Zelt – neben seinem Rolls Royce. Begraben ließ er sich – wo sonst? – in Afrika. Sein Sohn hatte ihn fast auf der ganzen Linie enttäuscht. Immerhin setzte Lord Peter Baden-Powell den Scoutismus insofern fort, als er in kurzen Hosen und mit Rucksack im Oberhaus erschien. GERT RAEITHEL
TIM JEAL: Baden-Powell. Gründer der Pfadfinderbewegung. Aus dem Englischen von Cornelius Hartz. Verlag M. u. H. von der Linden, Wesel 2007, 764 Seiten, 35 Euro.


Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zuletzt von Amicus am 11.10.2008 - 21:04.
Beitrag vom 11.10.2008 - 20:32
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2771 Beiträge
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ich habe den Tim Jeal auf deutsch schon länger.
Muß sagen: Ein sehr gut geschriebens, gut recherchiertes Werk mit fundierten Infos.
Nur manchmal leider zuuuuu langatmig *gg*



Erkenntnis nach einigen Jahren im PT: "Schuld haben grundsätzlich die anderen!" ;-)
Beitrag vom 12.10.2008 - 14:24
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